Lionel White

LIONEL WHITE

Als Black Jesus aus dem Krieg nach Hause kam, hing ihm eine fette Stevie-Wonder-Sonnenbrille im Gesicht. Nicht, weil es cool aussah. Darum ging’s nicht. Man hatte ihm die Brille verpasst, um die unschönen Krater zu verbergen, die die fiesen kleinen Plastikbomben in seine Augenhöhlen gerissen hatten. Er hatte in Bagdad gekämpft und in Sadr City. Er hatte unten am Fluss gekämpft und auf all den maroden Straßen dazwischen. Er hatte in der Red Zone gekämpft und in der Green Zone auch. Vor allem aber hatte er gegen die kleine Stimme in seinem Kopf gekämpft, die ihm zuflüsterte: Junge, was hast du hier eigentlich verloren?

Debbie, seine dicke Mom, war in ihrem schrottreifen Chrysler Kombi die ganze Nacht gen Süden gefahren, zur »Marine Corps Air Station«. Nieselregen auf der Straße. Memorial Day. Nachdem sie sich auf der Besucherliste eingetragen und ihren Ausweis gezeigt hatte, wurde sie durch einen Flur zu einem Zimmer gebracht, wo ein Junge im Stuhl am Fenster saß. Sein versengter Kopf blickte nach draußen, wo die kalte Sonne, die er nun nie wieder sehen würde, wie eine Münze durch einen Automaten zu fallen schien. In diesem Moment legte sie ihre Hand auf seine aschfahlen Haare und sagte: »Wer hat dir das nur angetan?«

»Mom?«

»Ja, ich bin hier.«

»Ich will nach Hause.«

»Ich weiß, Liebling. Ich weiß, dass du nach Hause willst.«

Es ist dunkel, als sie auf dem New York State Thruway nach Hause fahren und das Licht des wackeligen Scheinwerfers vor ihnen auf dem Asphalt tanzt. Sie dreht am Radio, bis sie ihre Station gefunden hat: »Kuschelhits und Melodien von Gestern«. Islands in the stream, that is what we are, no one in between, how could we be wrong, sail away with me to another world and we rely on each other, ah ha, from one lover to another, ah ha.

Der Tacho zeigt 54 Meilen pro Stunde. Auf den Tempolimit-Schildern steht zwar 65, seit sie vor zwanzig Jahren die Geschwindigkeitsbegrenzung angehoben haben, aber das ist ihr egal. Debbie macht, was sie will – auch wenn nun alle Autos an ihrem Chrysler vorbeirauschen. Aus dem Radio plätschert leise und unaufdringlich die Musik, aber sie kann ihre Augen nicht auf der Straße halten, weil sie ständig zu ihrem Jungen rüberschauen muss – gleich neben ihr auf dem zerschlissenen Beifahrersitz, so steif und so schmächtig in seiner schicken Uniform. Und so jung. So gespenstisch und doch so greifbar nah.

Sie passieren Exit 17. Sie greift nach seiner Hand.

»Hat sich viel verändert, seit du weg bist, Lionel.«

Er sagt nichts. Dann sagt er: »Was zum Beispiel?«

»Oh, weiß nicht.«

»Warum sagst du’s dann?«

Sie schaut in sein Gesicht. Dann wieder auf die Straße. Nach einer Weile sagt sie: »Es gibt ein paar Dinge, die ich vergessen hatte, als wir telefonierten.«

»Vergessen?«

»Mhm.«

»Okay, dann erzähl sie mir jetzt.«

»Ich hab unser Haus abgebrannt.«

»Was?«

»Unser Haus.«

»Es ist ein Trailer, Ma.«

»Dann eben unser Zuhause. Ich hab unser Zuhause abgebrannt.«

»Aus Versehen?«

»Ja, aus Versehen.«

»Glaub ich dir nicht.« Seine dunkle Brille starrt sie an.

»Und warum nicht?«

»Weil ich dich kenne, Ma. Du bist ein Zocker, du bist ein eiskalter Zuhälter.«

»Lionel!«

»Was?«

»Wo hast du bloß solche Sachen aufgeschnappt?«

»Weiß nicht. Da drüben halt. Von den Jungs dort.«

»Wie kann man seine Mutter nur so nennen! So hab ich dich nicht erzogen, hörst du? Wenn ich dich so reden hör, möchte ich am liebsten in eine Tüte scheißen und mit der Faust draufschlagen.«

»Sag mir einfach, was passiert ist.«

Sie kann sich den Anflug eines Lächelns nicht verkneifen. Die massige Frau drückt ihre Knie gegen das Lenkrad, greift mit der freien Hand zur Fensterkurbel und dreht es hinunter. Sie hat seine Hand nicht losgelassen. Sie kann einfach nicht.

Wie ein Messer schneidet die kühle Nachtluft hinein.

»Das Dairy Queen hat den Geist aufgegeben.«

»Was meinst du damit?«

»Pleite. Ausgeschissen.«

»Sie haben den Laden dichtgemacht?«

»So sieht’s aus.«

»Aber ich …«

»Psst. Nicht traurig sein. Ich weiß, wie gerne du als Kind dorthin gegangen bist.«

»Was hat das Dairy Queen mit unserem Zuhause zu tun?«, fragt er und zieht die Hand weg.

Seine Mutter atmet tief durch. Dann sagt sie: »Alles. Das hat inzwischen alles mit uns zu tun, Süßer.«

Er weiß nicht, was er darauf sagen soll.

»Lionel? Bodenstation an Lionel?«

»Nenn mich nicht mehr so.«

Sie zieht eine Grimasse und sieht ihn an. »Was willste denn damit sagen? So heißt du nun mal.«

»Ich heiß jetzt Black Jesus.«

»Was?«

»Black Jesus. So nennen sie mich.«

»Wer?«

»Die Jungs in der Truppe.«

»Und warum?«

»Weil ich so weiß bin. Und weil mein Nachname White ist. Und weil ich an Weihnachten geboren wurde.«

»Schnall ich nicht.«

»Einer der Jungs hat ’nen Vater, der in Georgia Prediger war. Trichterte ihm allen möglichen Scheiß ein. Dass Jesus eine Nutte geheiratet hat. Dass Jesus in Wahrheit ein Farbiger war. Nur so’n Scheiß.«

»Na super.«

»Man nennt das Sarkasmus, Ma. Einmal sagten sie mir, ich solle auf ein Ölfass steigen und die Arme ausstrecken wie eine Vogelscheuche und …«

»Sie wollten dich verarschen?«

»Das haben sie nicht so gemeint. Sie sind nun mal auf diesem Trip …«

Ein Vogel knallt gegen die Windschutzscheibe. Das Geräusch schreckt Lionel auf. Er zittert.

»Was war das?« Er muss es einfach wissen. Seine Finger krallen sich in den Sitz, sein Rückgrat presst sich gegen den vergammelten Vinylbezug.

Debbie antwortet nicht. Die sterblichen Überreste des Vogels sind zum großen Teil bereits vom Fahrtwind weggerissen worden, aber nicht alles. Etwas, das wie ein Teil des Kopfes aussieht, klebt noch am Glas. Ein Auge. Schwarze Federn und ein hauchdünner Knochen – so zerbrechlich wie die Stäbchen in einem chinesischen Fächer. Blut läuft in einem feinen hellen Rinnsal die Scheibe hinunter. Sie verfolgt seinen Lauf – ein bizarres Zickzack, so unberechenbar wie das neue Leben, das sie sich für ihren Sohn ausgedacht hat. Während das Rinnsal unter der Scheibe verschwindet – dort, wo die Scheibenwischer schlafen –, denkt sie: Lüg ihn an, Debbie. Hat er nicht schon genug Blut sehen müssen?

Wieder fragt er seine Mutter, was das für ein Geräusch war.

»Nichts«, sagt sie und schaltet den Scheibenwischer ein. Mit ihren Augen verfolgt sie, wie die blutigen Wischblätter von einer Seite zur anderen quietschen und die letzten Vogelreste von der Scheibe fegen.

Es ist kalt geworden im Chrysler. Der Soldat friert. Debbie kurbelt das Fenster wieder hoch. Von Weitem sieht sie, dass ein Auto mit roten Warnblinkleuchten am Straßenrand steht. Sie muss an ihren Werkzeugkasten im Kofferraum denken, an den Wagenheber. Als sie näher kommt, sieht sie, dass die Kühlerhaube offen steht. Leichte Rauchschwaden steigen auf. Zehn zu eins, dass es der Kühler ist. Vielleicht sollte sie anhalten und ihre Hilfe anbieten. Nein, heute nicht. Heute muss sie ihr Baby nach Hause bringen.

Als sie an Exit 19 vorbeifahren, atmet sie vorsichtig ein und sagt: »Es ist nicht alles verbrannt …«

Er hört es und sagt: »Zum Beispiel?«

»Oh, keine Ahnung. Dein Babar zum Beispiel.«

Der Soldat rührt keine Miene. Debbie dreht ihren Kopf, um zu sehen, wie er die Neuigkeit aufnimmt. Ein listiges Grinsen auf ihrem Gesicht.

Ein paar Minuten später fragt er: »Hast du ihn aus dem Feuer rausgeholt?«

»Nicht wirklich.«

»Aber die Feuerwehrleute?«

»Hmmm. Auch nicht.«

»Nun spann mich nicht auf die Folter, Ma.«

»Ich hab ihn am Morgen rausgenommen.«

»An welchem Morgen?«

»Am Tag, als unser Haus abgebrannt ist.«

»Trailer.«

»Unser Zuhause.«

»Inzwischen nicht mal mehr das.«

»Okay, ich hab ihn also von deinem Bett genommen und einen kleinen Ausflug zum See mit ihm gemacht. Als ich wieder zurückkam, machte der Feuerwehrwagen in der Einfahrt einen Höllenlärm. Die Nachbarn gafften, überall schwarzer Rauch – ganz wie im Film. Es stank zum Himmel, aber irgendwie gefiel es mir auch schon wieder: der Rauch und die Flammen und so.«

»Wo ist er jetzt?«

»Babar?«

»Ja.«

»An einem sicheren Ort.«

»Und wo ist der?«

»Wirst du schon sehen«, sagt sie und möchte sich am liebsten gleich ohrfeigen: Wie kann man nur so etwas Gemeines sagen?

Sie fahren über den dunklen Highway bis zum Exit 21: »Catskill/Gay Paris/Cairo« steht nüchtern und lieblos auf dem im Scheinwerferlicht auftauchenden Schild, das dort unerschütterlich aus dem Boden wächst. Es scheint den Eindruck erwecken zu wollen, es habe hier schon vor den ersten Bäumen gestanden – und würde noch immer hier stehen, wenn es niemanden mehr gab, der auf der maroden Landstraße heim ins Nichts fuhr.

Sie bezahlt die Mautgebühr mit einer Handvoll Münzen, und zwei Kuschelklassiker später rollen sie, Hand in Hand, auf den Parkplatz des innigen Traumes vom ewigen Sommer, den sie für sich und ihren Sohn ausgemalt hatte. Dumm nur, dass ihr niemand gesagt hat, dass dieser Traum keinen Cent wert ist – selbst wenn ihr die Versicherung einen ganzen Trailer mit Schecks schenken sollte. Nicht mal tausend faule Küchenbrände können noch was daran ändern, dass ihr Traum mausetot ist. Unwiderruflich.

Mit seinem Kleidersack über der Schulter stapft Debbie um die dampfende Kühlerhaube, hilft ihrem Jungen aus dem Auto und führt ihn am Arm zum Eingang. Sie halten an und atmen die kühle Nachtluft. Wind in den Bäumen. Ein schöner, silbriger Mond. Die große Stille in ihrem armseligen kleinen Kaff. Der Geruch von Kiefern und Küchenabfällen. Sie atmen und warten. Noch ein letztes Mal tief durchatmen. Dann berührt sie den kalten Türknauf, dreht ihn und zieht ihren Jungen hinein.

Innen riecht’s komisch – wie 10000 Tage Zwiebelringe und der vertrocknete Geist des Ketchups. Reinigungsmittel. Abgestandene Limo. Zuckerstreusel. Toter Kühlschrank. Totes Lachen. Der vage Geruch von geronnener Milch – abstoßend und doch irgendwie makellos, prähistorisch und auf verzweifelte Weise rührend. Er taumelt durch diese rauschhaften Gerüche und spürt, wie sich seine Mutter im Dunkeln bewegt. Hört, wie ihre Hände den Lichtschalter finden. Hört, wie die Lampen in dem leeren Raum aufflackern. Hofft, dass sie vielleicht diesmal bis zum Inneren seiner Augen vordringen. Keine Chance.

Debbie hatte sich eine kleine Rede ausgedacht, die sie genau in diesem Moment halten wollte. Sie wollte ihm sagen, dass er ihr Ein und Alles ist. Dass sie immer seine Zuflucht sein würde, dass sie immer an ihn glauben würde, dass sie sein Augenlicht wäre, wenn er’s denn wünsche. Dass diese Welt eine schlechte sei und es ihr leidtue, ihn dort hineingeboren zu haben, aber dass das alles nur passiert sei, weil sie als Mädchen auch mal Träume gehabt habe. Sie wollte ihm beichten, dass sie den Namen seines Vaters nie erfahren hatte, weil sie ihn einfach nicht wissen wollte, als sie damals in dem heißen Auto saßen, und der Mann nichts weiter war als eine Stimme, ein Geruch und ein schwerer Körper im Dunkeln war. Sie hatte sich alles genau ausgemalt – wie sie ihren Jungen aus der Hölle, in die man ihn geschickt hatte, an den einzigen Ort auf dieser Erde bringen würde, der ihm ein Lächeln auf die Lippen zaubern konnte. Aber als sie die Beleuchtung angeknipst hatte und im kalten Licht seinen Gesichtsausdruck sah, war ihr die ganze Feierlichkeit wie ein nasses, totes Fohlen auf den Boden geklatscht. Also hält sie lieber den Mund. Und würgt die plötzliche Wüste in ihrer Kehle hinunter. Und wartet, bis er selber den Mund aufmacht.

Als er das tut, sagt er: »Wir sind im Dairy Queen.«

»Ich hab’s für dich getan.«

»Hier wohnen wir jetzt?«

»Ja, hier wohnen wir.«

»Nur wir?«

»Nur wir.«

Draußen pfeift der Wind durch die Kronen der Kiefern.

»Wo ist denn mein Schlafzimmer?«

»Oben, auf dem Dachboden.«

»In dem Taubenschlag?«

»Der eine nennt’s Taubenschlag, der andere Mansarde.«

»Ich dachte, es sei nur eine Attrappe.«

»War’s auch mal.«

»Ich dachte, dass es dort überhaupt kein Zimmer gibt.«

»Es war völlig versifft. Ich hab geschrubbt, bis mir der Arm abfiel. Und ich hab ein Bett für dich gefunden. Und den Raum mit Salbei enträuchert.«

»Was zum Teufel soll das denn?«

»Irgendein abgefahrenes indianisches Ritual, das mir Joe empfohlen hat.«

»Joe, der Hilfssheriff?«

»Man verbrennt nur die Blätter.«

»Perverser Feuerteufel.«

»Man tut es, um den Raum zu reinigen.«

»Reinigen wovon?«

»Weiß nicht genau. Von bösen Geistern, denk ich mal. Joe ist ja halber Mohikaner. Wir waren seit dem Unfall öfter zusammen. Er war auch der Erste, der beim Brand vor Ort war.«

»Kann ich mir vorstellen.«

»Sei nicht so gehässig.«

Debbie muss grinsen. Es ist lange her, dass sie so miteinander geredet haben. Ein gutes Gefühl, hier in der Stille zu stehen. Es gibt so viele Sachen, die sie ihm sagen möchte. Spar sie dir auf, Debbie. Und frag nicht nach seinen Augen. Sag ihm nur, dass du ihm die Treppe raufhelfen willst.

»Du musst völlig durch den Wind sein. Warum bringen wir dich nicht nach oben.«

»Black Jesus.«

»Wie auch immer.«

Sie sitzt bei ihm auf der Bettkante und streicht über seine Augenbrauen, dann über das blasse Haar.

»Ich sag’s noch mal: Hör auf, Ma.«

»Ich kann nicht.«

Das Licht der Nachttischlampe fällt auf ihre Gesichter und zeigt seine Umrisse unter der Decke – wie ein Körper auf einer Bahre. Die Sonnenbrille sitzt unverrückt, auf ihrem Pullover fliegen Gänse.

»Bist du sicher, dass dir auch wirklich warm genug ist?«

»Mir geht’s gut.«

»Ich kann noch eine andere Decke holen, falls …«

»Mir geht’s gut.«

»Willst du deinen Babar?«

»Er ist doch nur ein ausgestopfter Elefant, Ma.«

»Das weiß ich. Willst du ihn?«

»Nein, lass ihn ruhig auf dem Stuhl.«

Seine Mutter beobachtet seinen Mund. Er ist älter. Er ist anders. Es ist der Mund, der im Schmerz nach ihr schrie – dort drüben im trockenen blonden Sand, eine halbe Welt entfernt, in einer Stadt, von der man noch nie gehört hatte, in einem alten Land, das laut aufstöhnt, um das Stöhnen des Windes in seinen Ruinen zu übertönen. Jetzt ist es der Mund eines Blinden. Der Mund eines Überlebenden – und in seinen Konturen ist nichts mehr von dem kindlichen Staunen, das für immer verloren ging.

»Dann gute Nacht.«

»Gute Nacht, Ma.«

Aber sie kommt einfach nicht hoch aus dem tiefen Loch, das sie in die Matratze gesessen hat. Noch nicht.

»Ich steh jetzt auf.«

»Okay.«

»Wirklich.«

Die Frau beugt sich nach vorne und kommt auf die Füße. Sie atmet noch einmal tief durch, streckt ihren Arm und schaltet das Licht aus. Dann fährt sie im Dunkeln mit ihren Fingern an der Seite seines billigen Bettes entlang, vorbei an der dünnen Decke. Unschlüssig bleibt sie stehen. Dann dreht sie sich um und geht zur Leiter.

Diesmal ist er es: »Ma?«

»Was ist?«

»Ich hab jemanden gesehen.«

Debbies Hände umklammern die oberste Sprosse, ihr Körper ist im Raum darunter verschwunden. »Was soll das heißen?«

»Ich hab jemanden gesehen.«

»Wo?«

»Als sie mich in die Luft gejagt haben.«

Schweigen auf der Leiter. Ein plötzlicher Schmerz, der durch ihren Körper fährt. Ihr wird heiß im Pullover. Nur eine Frage fällt ihr auf die Schnelle ein: »War es ein Freund?«

»Es war ein Mädchen.«

Stille auf der Leiter. Atmen.

»Eher eine Frau«, sagt er.

»Eine der Einheimischen dort?«

»Nein.«

»Dann gehörte sie bestimmt zu den Marines. Eine Krankenschwester?«

»Nein. Es war anders.«

Debbie wartet. Und sagt dann: »Was hast du sonst noch gesehen?«

Er liegt im Bett, in seiner ganz privaten Dunkelheit, und dreht die Frage langsam um, als sei sie eine Spielkarte. »Nur das Mädchen in dieser irren Sonne«, sagt er. »Der Staub und die rote Sonne, und sie tanzten. Sie tanzten.«

Debbie atmet tief. »Black Jesus?«

»Was?«

»Hat sie einer von den anderen Jungs auch gesehen?«

»Ich glaub nicht. Ich war wohl der Einzige.«

Was sagt man dazu, Debbie? Was zum Teufel sagt man da bloß? »War sie das Letzte, was du gesehen hast?«, hört sie sich fragen.

»Ja.«

»Dann sieh zu, dass du sie nicht verlierst.«

Schweigen vom Bett. Dann: »Okay, Ma, aber ich gewöhn mich langsam daran.«

»Woran?«

»Dass die Sachen verschwinden«, sagt er. Und er sieht, wie ihn seine blassen blauen Augen – die Augen, die er sein ganzes Leben lang gehabt hat – an einem Weihnachtsmorgen im Spiegel des Badezimmers ansehen.

Irgendwann in der Nacht wacht der Soldat auf und kriecht aus dem Bett. Mit seiner langen Unterhose steht er mitten in dem winzigen Raum, balanciert auf seinen Fersen und lauscht den Geräuschen seines neuen Heims. Der Armseligkeit der ländlichen Stille. Dem Summen und Brummen. Ein riesiger Truck auf der Umgehungsstraße, schon ist er wieder weg. Er hat die Hände weit ausgestreckt und greift im Dunkeln nach etwas, vielleicht ist es eine dieser mexikanischen Piñatas, die in ihrem Bauch ein anderes Schicksal versteckt hat, das seins hätte sein können, wenn er nur etwas vorsichtiger gewesen wäre. Aber zum Teufel mit der Piñata. Es gibt nun mal kein Was-wäre-wenn, und das zähnefletschende Räderwerk dieser Welt hat für Vorsicht nur ein kaltes Lächeln übrig. Außerdem will er eh nur Babar zu sich holen. Er findet ihn, in sich zusammengesackt, auf dem Klappstuhl an der Wand und trägt ihn zu seinem Bett.

Black Jesus ist ein Killer.

Er kam 1988 zur Welt.

Er zittert.

Elefanten vergessen nie.

Black Jesus ist schüchtern. Und ein Killer.

Black Jesus ist so weiß wie eine Taube.