26
Ich war in der Tiefschlafphase, aus der mich eigentlich nichts hätte wecken können - und doch musste mein Gehirn etwas registriert haben. Mein Herz hämmerte in der Brust, als ich nach dem Hörer tastete; mein Kopf fühlte sich an wie Watte. Ich muss wohl »Hallo!« gesagt haben, denn sie fing an zu sprechen, obwohl ich die Worte noch nicht einordnen konnte. Als ich »Lieutenant« hörte, wurde ich hellhörig. Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte drei Uhr fünfzehn.
»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte ich. »Ist mit Ihrem Mann alles in Ordnung?«
»Ja«, antwortete sie, »und es tut mir wirklich Leid, Sie mitten in der Nacht zu wecken, aber ich war gerade bei Ihrem Freund. Es geht ihm nicht gut. Ich dachte, das würde Sie interessieren.«
»Mein Freund?« Das ließ mich stutzen. Ich war noch nicht ganz wach und redete abgehackt und undeutlich. »Ich habe keinen Freund. Von wem sprechen Sie?«
»Vielleicht habe ich mich nicht klar ausgedrückt«, erklärte sie, »aber ich bin nicht in Los Angeles, Terry. Der Lieutenant und ich sind in New York.«
New York.
Okay.
Zumindest wusste ich nun, von wem sie sprach. Sie war vorsichtig genug, keine Namen zu nennen. Ich hörte öfter ein merkwürdiges Klicken in meiner Leitung. Kein Wunder, wenn man bedachte, wer der Vater meines Sohnes war. »Hat...«, es gelang mir nicht richtig, Luft zu holen, »hat der Lieutenant irgendwelche Schwierigkeiten mit ihm?«
»Nein, überhaupt nicht.« »Sicher?«
»Ganz sicher. Ich rufe Sie nur wegen Ihres Freundes an. Es geht ihm wirklich nicht gut.«
Wieder beschleunigte sich mein Puls. Zuerst machte ich mir Sorgen um Christophers Zustand. Doch dieser Gedanke ging einher mit der Frage, was mit mir und meinem Sohn passieren würde, wenn er nicht mehr in der Lage wäre, uns zu unterstützen. Nicht sehr nobel, aber mein Überlebensinstinkt war sehr ausgeprägt. Ich musste ein Kind versorgen, und ich hatte noch zwei Jahre Ausbildung vor mir. Niemand würde mir Kredit geben, und auf meinem Sparkonto herrschte Ebbe. Mein Wohlergehen hing von seinem ab.
Ich brauchte einen Moment, bevor ich die Worte herausbrachte: »Wie krank ist er denn?«
»Nicht sehr, aber vielleicht möchten Sie ihn ja selbst einmal besuchen. Ich hab für Sie und Ihren Sohn einen Flug von O'Hare nach La Guardia für zehn Uhr gebucht. Wenn Sie ihn nicht wollen, storniere ich ihn wieder.«
Mir gingen eine Menge Gedanken durch den Kopf: Konnte ich mir das Ticket leisten? Und einen Babysitter? Konnte ich die Schule schwänzen? Aber solche Überlegungen waren eigentlich müßig: Letztendlich blieb mir keine andere Wahl. »Ich fliege, aber meinen Sohn lasse ich lieber mit seinem Babysitter hier.«
»Dann storniere ich seinen Platz.«
»Das kann ich auch selbst, wenn Sie mir die Daten geben.« »Sicher?«
»Absolut. Ich hol eben mal Papier und was zu schreiben.« Sie nannte mir die Flugnummer und alle anderen Daten. »Das hat Ihnen bestimmt Umstände gemacht«, sagte ich. »Vielen Dank.« »Keine Ursache.«
»Wem gebe ich das Geld für das Ticket?« »Das ist schon bezahlt.«
»Hmm. wenn er Ihnen gesagt hat, Sie sollen mich anrufen, muss er ja wirklich sehr krank sein!«
»Er ist nicht wirklich krank und kommt sicher bald wieder auf die Beine. Aber über einen Besuch würde er sich bestimmt freuen. Er weiß übrigens nicht, dass ich Sie angerufen habe. Das war meine Idee.«
»Haben Sie dann das Ticket bezahlt?« »Machen Sie sich darüber keine Gedanken.« »Ich kann Ihnen das Geld wiedergeben.« »Wie schon gesagt, es ist bezahlt, und Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen«, erklärte sie. »Aber es bleibt unter uns.«
»Okay.« Ich bedankte mich nochmals. »Richten Sie dem Lieutenant einen schönen Gruß von mir aus und sagen Sie ihm, dass alles im grünen Bereich ist.«
»Mach ich. Er wird sich bestimmt freuen.«
Für New Yorker Maßstäbe war die Dreizimmerwohnung der Levines eigentlich groß. Doch für Decker konnte sich dieses »groß« eigentlich nur auf die dreieinhalb Meter Raumhöhe beziehen, was jedoch noch längst keine akzeptable Wohnfläche bedeutete. Jon und Raisie waren so nett gewesen, ihm das Kinderzimmer zu überlassen und ihre drei Kleinen auf Futons und Sofas ins Wohnzimmer auszuquartieren. Der Raum bestand fast nur aus Betten ein Kinderetagenbett und ein dazu passendes einfaches Kinderbett, das sie neben das untere Etagenbett gerückt hatten. Decker hatte sich zum Schlafen quer über die unteren Betten gelegt und auf das obere seinen Koffer verfrachtet, denn im Kleiderschrank war kein Platz mehr für seine Sachen. Es gab zwar einen in einen Winkel gezwängten Schreibtisch, der aber so voll war, dass ständig eine Papierlawine abzugehen drohte.
Irgendwie brachte er es auch fertig, seine einsneunzig ohne a llzu viele Verrenkungen ins Bad und unter die Dusche zu manövrieren, sich zu rasieren, anzuziehen und ein Morgengebet zu sprechen. Um zehn hatte er die Wohnung für sich allein. Raisie war zuerst mit den Kindern zur Schule und dann zur schiwa gegangen, nachdem sie ihm vorher eine Kanne frischen Kaffee gemacht und die New York Times hingelegt hatte. Jonathan war schon früh mit der U-Bahn zur Arbeit gefahren und hatte ihm die Wagenschlüssel dagelassen.
Bei der zweiten Tasse Kaffee klingelte sein Handy. Es war Rina. »Wie geht's deinem Gesicht?«
»Es ist noch da.«
»Peter.«
»Die Schwellung ist ziemlich zurückgegangen. Ich fühl mich viel besser.« »Das Darvocet wirkt.«
»Gott sei Dank gibt's Medikamente.« Decker legte die Zeitung aus der Hand. »Du klingst ausgeschlafen.«
Tatsächlich hatte Rina in den letzten dreißig Stunden nur drei davon geschlafen. Als sie in Orlando ankam, war es schon fast neun gewesen. Die Autofahrt zu den Deckers, die außerhalb von Gainesville wohnten, hatte auch noch einmal eine Stunde gedauert. »Ich bin froh, dass ich hier bin. Schade, dass du noch fehlst.«
»Ich bin bald bei euch, Schatz. Sind auch alle nett zu dir?« »Sehr, und Hannah hat schon zwei Bleche Kekse gebacken.« »Kann ich mit ihr sprechen?«
»Sie ist mit deiner Mutter im Garten, rote Bete ernten. Danach wollen sie Kuchen backen. Und anschließend machen Hannah und ich vielleicht eine Radtour.«
»Das Wetter muss ja die reinste Wohltat sein nach New York.«
»Ja, wir haben schon fast fünfzehn Grad, und es soll noch w ärmer werden. Strahlender Sonnenschein. Lockt dich das nicht?«
»Du bist mir so eine Hexe.«
Rina konnte kaum ein Gähnen unterdrücken. »Eigentlich müsste ich mal nachsehen, was sie so treiben.« Eigentlich müsste ich mal schlafen. »Randy steht hinter mir, und ihm gefällt es genauso wenig wie mir, dass du dich immer noch in New York herumtreibst. Er will mit dir sprechen.«
»Was hast du ihm denn erzählt?«
»Nur ein paar nicht unwesentliche Details zur Lage in New York, die du ihm wohlweislich verschwiegen hattest.«
»Du machst es mir nicht gerade leicht.«
»Genau. Ich möchte nämlich, dass du schnellstens herkommst.«
»Gib ihn mir mal.«
Sie reichte Randy den Hörer und machte ihm ein Zeichen, dass sie sich jetzt hinlegen würde.
Randy nickte und wandte sich an Peter. »Wie geht's deinem Gesicht?«
Seine Stimme klang ernst - ganz Polizeibeamter.
»Ausgezeichnet«, antwortete Peter, »sicher hat Rina furchtbar übertrieben.«
»Das glaub ich nicht. Ich hab mich mit ihr unterhalten, mein Lieber. Muss ich wieder Feuerwehr spielen, weil jemand mit Streichhölzern hantiert?«
»Also, ich sitze hier am Küchentisch, lese die New York Times und trinke Kaffee. Hört sich das etwa nach James Bond an?«
»Wir müssen mal ein paar Takte miteinander reden, Peter. Telefonierst du von einem Festanschluss?«
»Nein. Ich ruf dich sofort zurück.« Zwei Minuten später m eldete er sich wieder. »Also, wolltest du mich nur runterputzen, oder hast du auch ein paar Fakten für mich?«
»Austeilen kannst du, aber einstecken nicht.«
Peter verkniff sich eine Bemerkung, denn Randy klang wirklich ernst. »Hast du was Neues für mich?«
»Okay, kommen wir zur Sache«, lenkte Randy ein. »Ich habe den Namen Lieber in alle Datenbanken im Miami/Dade County eingegeben, aber Fehlanzeige. Kein Chaim Lieber, kein Ephraim Lieber, nichts über den Alten. Dann hab ich Lieber in allen umliegenden Bezirken suchen lassen - wieder kein Ergebnis. Dann landesweit im NCIC-Fahndungscomputer. Wieder nichts. Es gibt noch andere Datenbanken, aber das kann dauern. Und da du den Fall sowieso am Freitag abschließt, können wir uns das eigentlich schenken.«
»Stimmt.«
Randy zögerte einen Moment. »Das heißt, du kommst wirklich am Freitag?«
»Ja, ich komme wirklich am Freitag, das hab ich Rina versprochen, und Hannah auch. Und jetzt versprech ich's dir.«
»Gut. In dem Fall erzähl ich dir, was ich rausgekriegt hab. Ich habe >Quinton< in unsere lokale Datenbank hier eingegeben, ohne wirklich zu erwarten, dass ich etwas finden würde. Aber tatsächlich kam dabei heraus, dass einige Leute von da oben Immobilien an unserer >Goldküste< besitzen, in Miami/Dade County, Boca Raton und Fort Lauderdale. Auch über chassidische Juden aus Quinton konnte ich ein paar Informationen herausfischen, die meisten über Veruntreuung öffentlicher Schulgelder. Weißt du schon darüber?«
»Ein wenig. Erzähl mal.«
»Mehrere Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die im Schulrat saßen, sind angeklagt, öffentliche Schulgelder als Mittel für religiöse Schulen verbucht zu haben. Es gab auch ein paar Hinweise darauf, dass sie der Bezirksschulleitung zu hohe Schülerzahlen gemeldet haben, um an mehr Geld zu gelangen. Dann war da noch was über Falschangaben bei Wohlfahrtsbehörden und Lebensmittelmarkenbetrug. Du hast es dort also wirklich mit ganz feinen Leuten zu tun.«
»Na ja, zum Teil vielleicht.«
»Auf jeden Fall sind es genug, um richtig Ärger zu kriegen.«
»Du hast >mehrere< Mitglieder gesagt. Meinst du damit zwei oder drei? Verglichen mit der Kommunalpolitik in anderen Städten wäre das ja ein Klacks.«
»Nun nimm's nicht gleich persönlich.« Randy hielt inne. »Sicher, du liegst wahrscheinlich auch nicht falsch, Pete. Es ist halt nur so, dass sie relativ auffällig leben und sich eigentlich für was Besseres halten. Wer zu viel redet, landet schnell auf der Abschussliste.«
Das sah Decker ein. »Tja, so ist das Leben.«
»Auf jeden Fall wäre es die klassische Reaktion. Wenn du nicht mit Rina verheiratet wärst, würde ich glatt denken, du hast total den Verstand verloren, dich mit denen einzulassen. Und manchmal hab ich wirklich das Gefühl, du bist übergeschnappt.«
»Das klingt wie Mama persönlich.«
»Nein, denn Mama glaubt, du hättest aus anderen Gründen den Verstand verloren - und macht sich Sorgen, dass du in der Hölle landest.«
»Richte ihr aus, dass ich warmes Klima gut vertrage. Übrigens ist Unlauterkeit kein jüdisches Monopol. Selbst die frommen Baptisten waren nicht alles Moralapostel.«
»Wohl wahr, aber jetzt hast du es nicht mit korrupten Baptisten, sondern vielleicht mit korrupten Juden zu tun.«
»Du hast gerade gesagt, du hättest nichts über die Liebers gefunden.«
»Das heißt noch lange nicht, dass sie sauber sind. Vielleicht ist ihnen nur noch keiner auf die Schliche gekommen. Aber lass mich zu Ende erzählen.«
»Hast du noch mehr rausbekommen?«
»Ja, eine Sache noch. Für Quinton gab's eine Reihe Fundstellen in unserem Bezirk. Anscheinend hat man mehrere Teenager, die mit ihren Eltern Ferien in Miami gemacht haben, bei einer Rave-Razzia festgenommen. Sie hatten Ecstasy eingeworfen. Eigentlich sollten sie wegen Drogenbesitz angeklagt werden, aber die Anklage wurde abgebogen zu Erregung öffentlichen Ärgernisses. Offenbar hat sich wer eingemischt und mit ein paar Scheinchen gewedelt.«
Decker kam ein Gedanke. Die einzelne Pille in Ephraims Zimmer.
»Hey, bist du noch dran?«, erkundigte sich Randy. »Ja, ja. Ecstasy, sagst du?«
»Ja, Ecstasy. Zurzeit sehr angesagt bei den Raves.«
»Was haben sie mit den Kids gemacht?«
»Die Sache fiel unters Jugendstrafrecht - die Akten sind unter Verschluss.«
»Wann war das?«
»Vor etwa sechs Monaten.«
Ungefähr zu der Zeit, als Shayndie im Einkaufszentrum herumhing.
»Unter Verschluss, sagst du.« Peter überlegte.
»Man kommt absolut nicht dran. Keine Ahnung, wo sie sind. Aber wenn ein Ryan Anderson und ein Philip Caldwell als Problemkinder in Quinton auftauchten, würde das sicher niemanden überraschen, falls dir das weiterhilft.«
»Und ob mir das weiterhilft. Danke, Randal.«
»Dank mir lieber, indem du dein Versprechen hältst.«
»Ich schwöre...«
»Ja, ja, schon gut. Übrigens, wusstest du, dass Ecstasy ein Laster deiner Brüder ist?«
»Wovon redest du?«, hakte Peter nach. »Die israelische Mafia. Hast du nichts vom Oded-Tuito-Fall in New York gehört?«
Decker wusste nichts darüber. Als Lieutenant bei der Mordkommission hatte er mit der Arbeit der Sitten- und Rauschgiftdezernate so gut wie keine Berührungspunkte, zumal er viertausend Kilometer von der Ostküste entfernt arbeitet. »Erzähl's mir kurz.«
»Oded Tuito war ein Drogenkurier, den die New Yorker Polizei neun Monate lang nicht zu fassen kriegte, bis er schließlich in Spanien festgenommen wurde. Er schmuggelte Ecstasy von Europa in die USA, und zwar mithilfe von Erotiktänzerinnen.«
»Sag das noch mal!« »Was?«
»Hast du >Erotiktänzerinnen< gesagt?« »Kommt dir das irgendwie bekannt vor?« »Möglicherweise.« »Was heißt das.?«
»Erzähl erst mal weiter von Oded Tuto.« »Tuito.«
»Buchstabier mal.«
Randy buchstabierte. »Wo war ich jetzt stehen geblieben?«
»Oded Tuito wurde in Spanien festgenommen.«
»Ja, genau, er und der andere. den Namen hab ich vergessen. Egal, ich erinnere mich gleich wieder dran, weil es wichtig ist.« Randy ging im Geist seine Notizen durch. »Egal, also der zweite Kerl bekannte sich auch schuldig auf Beteiligung a m Drogenhandel - das war vor einem Jahr. Beide ließen Stripteasetänzerinnen für sich arbeiten, und beide hatten Kontakte zur israelischen Mafia - Orgad... Jacob Orgad. Das war der andere Typ. Aber weißt du, welche Masche sie vor den Erotiktänzerinnen hatten?«
»Ich kann's mir fast schon denken.«
»Chassidische Juden. Junge Pärchen, frisch verheiratet, oft erst Anfang zwanzig. Ein paar von den Frauen waren schwanger. Also packten die Dealer die Pillen in Socken und erzählten denen, es seien Diamanten drin. Die Sache flog natürlich auf. Interessant ist das vor allem in einer Hinsicht.«
»Nun sag schon.«
»Der Fall ist noch nicht abgeschlossen. Nachdem die Polizei die beiden Kerle hochnahm, übernahmen andere Israelis den Job, und diesmal ging die Sendung zu einem anderen Hafen -Miami/Dade. Im Drogendezernat liegen Haft- und Durchsuchungsbefehle für ein paar von ihnen bereit - Shalom Weiss, Ali Harabi und Yusef Ibn Dod.«
»Die letzten beiden Namen klingen eher nach Arabern als nach Israelis.«
»Es sind israelische Araber. Tja, im Nahen Osten herrscht Frieden, aber nicht so, wie man sich das vorstellt. Einer meiner jüdischen Kollegen vom Drogendezernat hat mir erzählt, dass die Israelis und die Araber nur auf drei Märkten kooperieren; Drogen, Sex und - ganz im Ernst - Wassermelonen.«
Decker lachte. »Und hast du eine Ahnung, wo die Kerle stecken?«
»Nein. Wir haben uns ein paar von den Tänzerinnen hier geschnappt. Eine von ihnen war schwer auf Turkey, und als sie nicht mehr so richtig weiterwusste, hat sie die besagten Namen ausgespuckt. Aber die Männer waren schon über alle Berge, als wir das Mädchen einkassierten.«
»Klingt alles sehr interessant.« »Ja, aber jetzt bist du dran, Pete.« »Ich frag mich nur, ob Lieber Shalom Weiss kannte.« »Ich mich auch. Hast du einen bestimmten Verdacht?« »Ich war da auf etwas gestoßen, das ich mir nicht erklären konnte. Aber vielleicht versteh ich's jetzt.«
»Spuck's aus.«
»Der Polizeichef von Quinton, Virgil Merrin. Ich traf ihn im Tattlers.« »Was zum Teufel treibst du im Tattlers?«
»Lange Geschichte, aber unwichtig. Ich fragte mich nur, warum Merrin dort war. An einem politisch so unkorrekten Ort so nah bei seinem Wohnort?«
»Vielleicht ist er einfach nur ein geiler Bock, der nicht gern weit fährt.«
»Vielleicht war er ja auch wegen Geschäften dort, Randy. Überleg doch mal, was du mir gerade erzählt ha st. Teenager aus Quinton werden in Miami wegen Besitz von Ecstasy festgenommen. Die Israeli-Mafia schmuggelt Ecstasy mithilfe von Erotiktänzerinnen. Ich begegne dem Polizeichef von Quinton in einem Lokal, dessen Hauptattraktion erotische Tänzerinnen sind. Drei flüchtige Israelis, die wegen Ecstasyschmuggels gesucht werden. Und das ermordete Mädchen, Shaynda Lieber. Sie hing mit einigen Jugendlichen rum, die in Quinton wohnen. und das Ganze ausgerechnet vor sechs Monaten.«
»Klingt spannend.«
»Zufall kann es schlecht sein, da kommt einfach zu viel zusammen«, überlegte Decker weiter. »Aber vielleicht ist das auch nur Wunschdenken. Randy, kannst du mir ein Bild von Weiss faxen? Beziehungsweise von allen dreien - wie hießen die anderen noch mal?«
»Harabi und Ibn Dod.«
»Genau, alle drei, wenn ihr sie dahabt.«
»Sicher. Aber sag mir erst mal ganz ehrlich, ob du die drei im Visier hast, Pete.«
»Das würde ich dir natürlich sagen, Randy. Glaubst du wirklich, ich verheimliche dir was?«
»Kein Kommentar.«
»Nun ja, ganz falsch liegst du nicht. Ich hab zwar keinen bestimmten Verdacht, aber doch so meine Vorstellungen, denn ich frage mich natürlich, wo sich diese Kerle verstecken, ohne aufzufallen.«
»In einer der vielen israelischen oder arabischen Gemeinden.« »Oder in einer chassidischen.«
»Araber?«, fragte Randy skeptisch. »Ausgerechnet jetzt?«
»Wenn es wirklich israelische Araber sind, dann sprechen sie bestimmt Hebräisch und haben genügend Schwarzhüte gesehen, um selbst in die Rolle zu schlüpfen. Und wenn andere New Yorker Chassidim an Transporten beteiligt waren, dann hatten diese Typen ja sowieso schon Kontakte hier.«
»Also in Quinton?«
»Na ja, wenn sie die Leute hier beliefert haben, warum nicht?«
»Dann komme ich schnellstens.«
»Noch nicht, Randy. Wenn sie sich hier in Quinton aufhalten und du auftauchst, machen sie sich wieder aus dem Staub - und wer weiß, wohin dann? Vielleicht brauch ich dich ja bald hier, aber erst will ich allein recherchieren. Ich falle nicht so auf wie jemand Neues; außerdem weiß ich nicht, welche Rolle Merrin bei dem Ganzen spielt und ob er mit den Morden an Ephraim und Shaynda Lieber zu tun hat. Lass mich mal ein bisschen herumstochern.«
»Nur ein paar kleine Recherchen, was?« »Du sagst es.«
»Hör mal, Peter, lehn dich aber nicht zu weit aus dem Fenster. Diese Leute sind gefährlich. Weiss war in der israelischen Armee. Das heißt, er ist kein schlechter Schütze.«
»Ich weiß, was du meinst, Randal, und bin dir wirklich dankbar, dass du mir hilfst. Ich hab einen ziemlich guten Draht zu dem Detective, der für den Fall Lieber zuständig ist, Mick Novack vom 28. Revier in Manhattan. Das ist ein fähiger Kopf. Ich kann ihm etwas Arbeit abnehmen, weil er mit fünfzig Fällen gleichzeitig beschäftigt ist und ich nur mit einem.«
»Ich hör immer gern, dass du keine Dummheiten machst«, erwiderte Randy.
»Was, zum Teufel, willst du damit sagen?«, fragte Peter gereizt.
»Ich will damit sagen, dass du dich allein an diesem Fall überhebst, Pete. Es sind zu viele Leute und zu viele Unbekannte im Spiel. Du brauchst einen zweiten Mann. Jemanden, dem du trauen kannst.«
»Theoretisch hast du ja Recht. Ich könnte dich hier auch ganz gut gebrauchen. Aber genauso dringend brauche ich jemand in Gainesville, der auf die Familie aufpasst. Und wer könnte das besser als du?«
Randy fiel ein, dass Rina ihm gegenüber morgens die Überzeugung geäußert hatte, sie und wahrscheinlich auch Peter seien von jemandem verfolgt worden. Sie hatte ihm die Verletzungen in Peters Gesicht zwar detailliert beschrieben, über sich selbst aber wenig Konkretes gesagt. Vielleicht war Peters Bitte, auf die Familie aufzupassen, gar nicht so unbegründet. Also gab Randy nach.
»Ruf mich an, sobald du irgendwelche Zusammenhänge erkennst. «
»Na klar.«
»Ich werde von hier aus weitersuchen«, fügte Randy hinzu. »Das wäre nicht schlecht.«
»Peter, versuch bitte, nicht alles allein zu machen. Du weißt, mit wem wir es zu tun haben.«
»Keine Sorge, Randy, ich hänge am Leben.«
»Genau das meinte ich, Bruderherz. Gut, dass du's mal selber sagst.«