14. Kapitel
Bush stand neben Buckland auf dem Achterdeck der Renown und hielt sein Glas auf das Fort gerichtet.
»Das Kommando rückt jetzt ab, Sir«, sagte er und fuhr nach einer Weile fort: »Das Boot setzt von der Landungsbrücke ab.«
Die Renown lag vor der Bucht von Samana vor Anker, dicht neben ihr lagen die drei Prisen. Alle vier Schiffe waren mit Gefangenen vollgestopft, die sich den Siegern in die Hand gegeben hatten; die Segel waren klar zum Setzen, so daß man Anker lichten konnte, sobald die Renown das Signal gab.
»Das Boot ist schon gut frei«, sagte Bush. »Ich möchte wissen... ah!«
Das Fort auf der Höhe war mit einer mächtigen dunklen Rauchfontäne in die Luft geflogen, Mauerbrocken und alle möglichen anderen Dinge wirbelten darin hoch. Ein paar Sekunden später folgte erst der Donner der Explosion. Zwei Tonnen Schießpulver, angesteckt durch die Lunte, die das Zerstörungskommando brennend zurückgelassen hatte, taten ganze Arbeit. Wälle und Bastionen, Turm und Plattform, alles stürzte in Trümmer. Am Fuß des Steilhangs lagen bereits die traurigen Reste der Geschütze, abgesprengte Schildzapfen, aufgerissene Mündungen, vernagelte Zündlöcher. Wenn die Aufständischen anrückten und den Platz besetzten, fanden sie kein Hilfsmittel vor, die Verteidigung der Bucht neu zu organisieren - auch die andere Batterie auf der Landzunge jenseits des Wassers war schon gesprengt.
»Ich glaube, wir haben die Werke gründlich außer Gefecht gesetzt, Sir«, sagte Bush.
»Ja«, sagte Buckland, der mit seinem Kieker die Ruinen betrachtete, als sie allmählich aus dem Qualm und Staub auftauchten. »Bitte, lichten Sie Anker, sobald das Boo eingesetzt ist.«
»Aye, aye, Sir«, sagte Bush.
Als das Boot glücklich in seinen Klampen saß, wurde das Spill bemannt und das Schiff mit viel Schweiß und Muskelkraft kurzstag gehievt; dann war der Anker glücklich aus dem Grund, und schon breiteten sich unter allen Rahen die Segel. Das backgesetzte Großmarssegel gab der Renown ein wenig Fahrt über den Achtersteven, mit hartgelegtem Ruder und backgesetzten Vorsegeln fiel sie dabei nach der gewünschten Seite ab. Die angebraßten Marssegel füllten sich, der Rudergänger wirbelte die Speichen seines Rades herum, schon gehorchte das Schiff dem leisesten Druck und gewann von Sekunde zu Sekunde Fahrt. Leicht überliegend, glitt die Renown geräuschlos durch das ruhige Gewässer, und die Wellen spielten friedlich unter ihrem Galionsschech, als sie hart am Wind nach draußen strebte, um Kap Engano zu runden. Vorn auf der Back begann einer der Männer hurra zu rufen, und schon im nächsten Augenblick fiel die ganze Mannschaft begeistert ein, als die Renown sich anschickte, den Schauplatz ihres Sieges zu verlassen. Auch die Prisen waren bereits in Fahrt, und ihre Besatzungen ließen es sich natürlich nicht nehmen, die Hurras mindestens ebenso herzhaft zu erwidern. Bush konnte durch sein Glas bald Hornblower ausfindig machen; er stand an Deck des großen vollgetakelten Schoners La Gaditana und schwenkte gerade seinen Hut nach der Renown herüber.
»Ich möchte jetzt dafür sorgen, daß unter Deck alle nötigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, Sir«, sagte Bush.
Vor dem Fähnrichsquartier standen Seesoldatenposten mit geladenen Musketen und aufgepflanzten Bajonetten. Bush lauschte einen Augenblick an der Wand und hörte von drinnen ein tolles Durcheinander von Stimmen. Nicht weniger als fünfzig Frauen und fast ebenso viele Kinder drängten sich in diesem engen Raum. Das war natürlich schlimm, aber man konnte eben nicht umhin, die Leute einzusperren, solange da Manöver des Inseegehens dauerte. Später war es dann wohl möglich, sie vielleicht gruppenweise an Deck zu lassen, damit sie frische Luft und Bewegung bekamen. Die Niedergänge zur Unterbatterie waren durch feste Grätings geschlossen, und jeder Niedergang war durch einen Posten bewacht. Durch die Öffnungen dieser Grätings drang ein penetranter Gestank nach Menschen herauf, denn dort unten vegetierten jetzt nicht weniger als vierhundert spanische Soldaten unter Verhältnissen, die denen auf einem Sklavenschiff wenig nachgaben. Sie waren erst am frühen Morgen hinuntergebracht worden, und dennoch herrschte jetzt schon dieser unerträgliche Gestank. Man mußte daher unbedingt dafür sorgen, daß diese Männer, ebenso wie die Frauen, gruppenweise an die frische Luft kamen. Das machte unendliche Mühe und erforderte zugleich größte Vorsicht. Bush hatte schon das schwierige Problem gelöst, die Gefangenen wenigstens regelmäßig mit Essen und Trinken zu versorgen.
Jedes Wasserfaß war gefüllt, und zwei Bootsladungen Yams waren von Land gekommen. Angenommen, der Wind stand so gleichmäßig durch, wie zu erwarten war, dann dauerte die Fahrt nach Kingston nicht ganz eine Woche. Dort aber waren alle Sorgen zu Ende, die Gefangenen wurden der Kommandantur übergeben - und waren darüber wahrscheinlich ebenso froh wie Bush.
Nach einer Weile kam Bush wieder an Deck und warf noch einmal einen Blick auf die grünen Höhen von Santo Domingo, die an Steuerbord vorüberzogen, als die Renown an der Küste entlangglitt. Auf der gleichen Seite, in Lee, wie es ihm der Befehl vorschrieb, stand Hornblower mit seinen drei Prisen, die unter gekürzten Segeln liefen. Sogar bei dieser frischen Siebenmeilenbrise und obwohl die Renown alle ihre Segel führte, hätten ihr die drei mit Leichtigkeit davonlaufen können, wenn es ihnen darauf angekommen wäre. Kaperschiffe konnten ihre Beute nur erjagen und ihren Gegnern nur entwischen, wenn sie besonders gute Am-Wind-Eigenschaften besaßen, d. h. wenn sie in der Lage waren, sich rasch nach Luv zu arbeiten. So hätte auch Hornblower die Renown in kürzester Zeit weit hinter sich lassen können, wäre er nicht durch seinen Befehl gebunden gewesen, sich ständig in Lee und in Sicht des Linienschiffes zu halten, so daß dieses ohne weiteres auf ihn abhalten konnte, um ihn gegen etwa auftauchende Gegner zu schützen. Die Prisenbesatzungen waren weiß Gott nicht zahlreich, und ebenso wie auf der Renown steckten daher auch auf Hornblowers Schiffen alle Gefangenen bei geschalkten und bewachten Luken unter Deck.
Bush hob grüßend die Hand an den Hut, als Buckland das Achterdeck betrat.
»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich jetzt anfangen, die Gefangenen der Reihe nach an die Luft zu bringen.«
»Bitte, richten Sie das ganz so ein, Mr. Bush, wie Sie es für richtig halten.«
Das Achterdeck war den Frauen vorbehalten, auf dem Großdeck hielten sich die Männer auf. Es war schwer, den Leuten verständlich zu machen, daß sie abwechselnd an die Luft kommen sollten. Die Frauen, die als erste an Deck geführt wurden, schienen sich einzubilden, daß sie für immer von denen getrennt werden sollten, die unten geblieben waren. So gab es denn wilde Klagen und Vorhaltungen, die sich nur schwer mit dem üblichen steifen und würdevollen Benehmen auf dem Achterdeck eines englischen Linienschiffes in Einklang bringen ließen. Die Kinder kannten erst recht keine Disziplin und rannten schreiend hierhin und dorthin, so daß einzelne Matrosen zu ihrer besonderen Erbauung hinter ihnen herlaufen mußten, um sie ihren Müttern zurückzubringen. Andere Matrosen mußten abgeteilt werden, um den Gefangenen Essen und Wasser zu bringen. Bush, der jedes schwierige Problem in Angriff nahm, sobald es auftauchte, kam allmählich zu der Überzeugung, daß das Leben als Erster Offizier eines Linienschiffes, das ihm früher einmal als herrlicher, abe unerreichbarer Wunschtraum erschienen war, in Wahrheit herzlich wenig Verlockendes hatte.
Im achteren Zwischendeck unter der Kajüte waren dreißig Offiziere zusammengepfercht, angefangen vom eleganten Villanueva bis hinunter zum Zweiten Steuermann der Gaditana, und diese Leute machten Bush allein fast ebensoviel zu schaffen wie alle anderen Gefangenen zusammen. Sie hatten nämlich zum Auslüften die Heckgalerie zur Verfügung und stellten alles mögliche an, um sich von dort aus mit ihren Frauen auf dem Achterdeck zu unterhalten, was ja verhältnismäßig einfach war.
Außerdem mußten sie aus den Vorräten der Offiziersmesse verpflegt werden, die bei dem unersättlichen Appetit der spanischen Herren entsprechend rasch zusammenschrumpften.
Bush konnte allmählich kaum mehr erwarten, daß sie endlich in Kingston ankamen. Er hatte jetzt weder Zeit noch Lust, darüber nachzugrübeln, welche Aufnahme ihnen dort wohl bevorstand, und das war unter den gegebenen Umständen bestimmt ganz gut. Denn wenn er auch einerseits für den Erfolg beim Sturm auf Santo Domingo auf Anerkennung rechnen durfte, so hatte er doch zugleich das Ergebnis der Untersuchung zu fürchten, die sich noch mit der Dienstenthebung des Kapitäns Sawjer samt all ihren Begleitumständen zu befassen hatte.
Tag um Tag blieb der Wind gleich günstig, Tag um Tag rauschte die Renown durch das blaue Karibische Meer, und genau in ihrem Lee, das hieß in diesem Fall an Backbord voraus, liefen ihre drei Prisen auf demselben Kurs mit. Die Gefangenen, selbst die Frauen, begannen sich allmählich von der Seekrankheit zu erholen, ihre Verpflegung und Bewachung hatte sich inzwischen eingespielt und nahm daher auch alle Beteiligten entsprechend weniger in Anspruch. Im Norden kam Kap Beata in Sicht, man konnte Backbord anbrassen und steuerte nun Kurs auf Kingston. Abgesehen von diesem einen Mal, brauchten die Segel kaum angerührt zu werden; der Wind wehte stetig in gleicher Richtung und Stärke, und de allstündliche Logwurf ergab in fast eintöniger Wiederkehr eine Fahrt von acht Knoten. Die Sonne tauchte jeden Morgen in märchenhaftem Glanz hinter ihnen aus dem Meer, Abend für Abend wies das Bugspriet in die flammende Pracht ihres Untergangs. Tagsüber brannte sie erbarmungslos auf Schiff und Menschen nieder, sofern nicht eine der harten Regenböen einfiel und Sonne und See für kurze Minuten den Blicken entzog. In den Nächten wiegte sich die Renown unter dem Geglitzer unzähliger Sterne weich in den von achtern auflaufenden Seen.
So eine dunkle, wundervolle Sternennacht war auch wieder angebrochen, als Bush seine Abendrunde beendet hatte und zu Buckland in die Kammer trat, um ihm die vorgeschriebene Meldung zu machen. Die Wachen und Posten standen, die Freiwache schlief, alle Lampen unter Deck waren gelöscht, die Wache hatte die Royals festgemacht, damit das Schiff nicht zu viel Segel führte, wenn es im Dunkeln unversehens von einer Regenbö überrascht wurde. Kurs war West zu Nord, Mr. Carberry hatte die Wache an Deck, das Prisengeleit war Backbord vorn, eine Meile entfernt, in Sicht. Der Posten vor der Kajüte des kranken Kommandanten war ordnungsmäßig aufgezogen. Alle diese Einzelheiten berichtete Bush, getreu der geheiligten Tradition der Marine, und Buckland hörte sie sich so geduldig an, wie es die gleiche heilige Tradition von ihm verlangte.
»Ich danke Ihnen, Mr. Bush.«
»Besten Dank, Sir. Gute Nacht, Sir.«
»Gute Nacht, Mr. Bush.«
Bushs Kammer mündete auf das Halbdeck; die Luft darin war so heiß und dumpf, wie das die Tropen mit sich brachten. Aber Bush ließ sich durch solche Kleinigkeiten nicht anfechten. Er hatte die Morgenwache übernommen, das bedeutete, daß ihm jetzt sechs volle Stunden Schlaf zu Gebote standen. Um keinen Preis hätte er auch nur eine Minute davon verschenkt. Mit ei paar raschen Bewegungen fuhr er aus seinen Sachen. Als er gleich darauf im Hemd dastand und schon im Begriff war, das Licht zu löschen, sah er sich nur rasch noch einmal in seiner Kammer um. Schuhe und Hose lagen auf seiner Seekiste, so daß er sie im Notfall sofort greifen und anziehen konnte. Säbel und Pistolen hingen in ihren Haltern am Schott. Das war also in Ordnung. Ein Läufer, der ihn wecken kam, mußte ohnehin eine Lampe mitbringen, das war Befehl. So legte er denn die Hände an den Mund, um besser zielen zu können, und blies seine Laterne aus. Dann warf er sich rücklings auf die Koje, spreizte Arme und Beine weit auseinander, daß der Schweiß besser verdunsten konnte, und schloß die Augen. Dank seiner gesegneten Gemütsverfassung war er schon nach ein paar Atemzügen eingeschlafen. Um Mitternacht wurde er nur so lange munter, daß er die Wache pfeifen hörte, und stellte befriedigt fest, daß er noch vier Stunden weiterschlafen konnte.
Er hatte noch nicht einmal so stark geschwitzt, daß es ihm in der Koje ungemütlich geworden wäre. Später erwachte er ein zweites Mal. Er schlug die Augen auf und starrte sekundenlang fassungslos in das Dunkel über ihm, denn seine Ohren hatten ihm verraten, daß sich irgend etwas Ungewöhnliches zutrug. Er hörte laute Schreie, er hörte Fußgetrappel über sich. Vielleicht war eine Regenbö überraschend von vorn eingefallen, so daß jetzt alle Segel back standen. Aber das hätte anders geklungen.
War das nicht eben ein Schmerzensschrei? Hatte da nicht eine Frau aufgekreischt? Hatten sich etwa die verdammten Weiber wieder bei den Haaren? Schon wieder Fußgetrappel und dann ein Gebrüll, daß Bush wie der Blitz aus der Koje sprang. Er riß die Kammertür auf und hörte im gleichen Augenblick den Knall einer Muskete. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, was da im Gange war. Er sprang zurück, um Säbel und Pistole an sich zu reißen, kaum aber stand er wieder vor seiner Kammer, als plötzlich gellendes Gebrüll das ganze Schiff erfüllte. Die Niedergänge glichen wahrhaftig den Pforten zur Hölle, au denen böse unterirdische Mächte hervorquollen und alle nachtdunklen Winkel des Schiffes mit ihrem Triumphgeschrei erfüllten.
Als er eben vor seine Tür getreten war, feuerte der Posten unter der Laterne seine Muskete ab. Die Laterne und der Schuß warfen ihren Schein auf eine Menschenwoge, die schon im nächsten Augenblick über dem armen Seesoldaten zusammenschlug und ihn unter sich begrub. Dabei erhaschte Bush einen Blick auf eine Frau, die den Haufen anzuführen schien, eine hübsche junge Mulattin, die mit einem der Kaperschiffsoffiziere verheiratet war. Jetzt stürmte sie schreiend mit aufgerissenem Mund und glasigen Augen dem Haufen voraus. Bush hob die Pistole und schoß, aber schon drängte die Bande an ihn heran. Er zog sich in den engen Rahmen seiner Tür zurück, Hände griffen nach der nackten Klinge seines Säbels, er zog sie aber mit einem Ruck durch die zupackenden Fäuste, er hieb mit seiner verschossenen Pistole drein, er stieß mit den bloßen Füßen, um sich von den drängenden, greifenden Gegnern zu befreien. Rückhändig stach er wieder und wieder mit dem Säbel in die enggepreßte Masse Mensch hinein, die mit aller Gewalt auf ihn eindrang. Zweimal schlug er mit dem Kopf heftig an die Decksbalken, aber er fühlte keinen Schmerz; dann war die Flut plötzlich vorüber, das Lärmen und Schreien entfernte sich - er war verschont geblieben. Die stöhnenden Opfer, die sich vor ihm in ihren Schmerzen wanden, hatten seine Gegner wohl abgeschreckt. Seine bloßen Füße rutschten in dem heißen Blut der Verwundeten.
Sein erster Gedanke war Buckland, aber ein einziger Blick nach achtern sagte ihm, daß er als einzelner keine Aussicht hatte, ihm irgendwie nützlich zu sein. Sonst aber gab es jetzt nur einen Platz für ihn, das Achterdeck. Den Säbel in der Faust, rannte er los, um dorthin zu gelangen. Am Fuß des Aufgangs tobte wieder ein Haufe brüllender Spanier, und von oben her hörte man ebenfalls lautes Geschrei - dort schlugen sic offenbar die Achtergäste mit den Meuterern herum. Auch vorn wurde überall gekämpft. Im matten Licht der Sterne leuchteten die weißen Hemden der Matrosen auf, die sich verzweifelt gegen die anstürmenden Scharen wehrten. Unbewußt fiel Bush in das Gebrüll der anderen ein, ein Haufen Männer ging auf ihn los, als er sich näherte, und er fühlte den harten Schlag eines eisernen Belegnagels auf seinem Säbelblatt. Wenn aber Bush erst einmal in richtige Wut geriet, dann wurde er zu einem höchst gefährlichen Gegner, weil er nicht nur Riesenkräfte, sondern zugleich eine erstaunliche Gewandtheit entwickelte.
Dreinschlagend und parierend sprang er katzenhaft schnell auf dem engen Deck umher, sein Gehirn faßte während dieser blutrünstigen Minuten nur noch einen Gedanken: Kampf dem Feind, das Schiff zurückgewinnen, und wenn er auch allein mit seinem Säbel gegen alle stand! Dann, als er einen aus der Gruppe seiner Gegner niedergeschlagen hatte, wich der Rausch wieder etwas von ihm. Da sah er ein, daß er vor allem die Besatzung sammeln mußte. Sein Beispiel sollte die Männer befeuern und eine unwiderstehliche, geschlossen kämpfende Truppe aus ihnen machen. Er hob die Stimme zu einem lauten Gebrüll:
»Renown! Renown! Hier Renown! Alles heranschließen!«
Das Handgemenge an Oberdeck flammte von neuem auf.
Bush fühlte einen brennenden Schmerz quer über das Schulterblatt, er fuhr blitzschnell herum, seine linke Hand griff eine Gurgel, dann spannte er seine Muskeln und raffte alle Kraft zusammen - ein Ruck, ein Schwung, und der Gegner krachte an Deck.
»Renown!« schrie er von neuem.
Mit lautem Getrampel kam eine Schar Matrosen angestürzt und sammelte sich um ihn.
»Los, haut sie zusammen!«
Aber der Angriff, den er führte, begegnete einer ganze Mauer von Menschen, die von achtern nach vorn drängten. Bush und seine kleine Schar wurden quer über das Deck zurückgeworfen und standen zuletzt in fürchterlicher Bedrängnis mit dem Rücken gegen die Reling. Dicht vor ihm rief einer etwas auf spanisch, es gab einen Wirbel in dem Ring, der sie umgab, dann blitzte krachend eine Muskete auf. Ihr Mündungsfeuer schien sekundenschnell auf wilde Gesichter, in seinem Schein blitzte das Bajonett, das auf der Mündung der Muskete saß, der Mann neben Bush stieß einen lauten Schrei aus und stürzte an Deck - Bush konnte fühlen, wie er um sich schlug und gegen seine Beine stieß. Ein Mann zum mindesten hatte sich also einer Feuerwaffe bemächtigt - entweder stammte sie aus einem Waffenregal oder von einem Seesoldaten - und hatte es sogar ermöglicht, sie neu zu laden. Wenn er mit seinen Leuten da stehenblieb, wo sie jetzt standen, dann wurden sie hoffnungslos zusammengeschossen.
»Auf!« schrie Bush und stürzte nach vorn.
Aber die kleine Schar hinter ihm hatte den Mut verloren und rührte sich nicht von der Stelle. Bush allein konnte es nicht gelingen, eine Bresche in den Menschenring zu schlagen, er mußte wieder zurück. Eine zweite Muskete blitzte und krachte, und wieder fiel ein Mann. Irgendwer erhob im Dunkeln seine Stimme und rief sie auf spanisch an. Bush verstand kein Wort, aber er konnte leicht erraten, daß er aufgefordert wurde, sich zu ergeben.
»Geh zum Teufel, du Hund!« schrie er.
Er hätte vor Wut beinahe geheult. Der Gedanke, daß sein herrliches Schiff in fremde Hände fallen könnte, schien ihm um so schrecklicher, je mehr er fürchten mußte, daß er sich verwirklichte. Es war nicht auszudenken. Ein englisches Linienschiff gekapert und in irgendeinen kubanischen Hafen entführt! Was sagte England dazu? Was die Marine? Lieber sterben, als das erfahren müssen. Bush war jetzt völlig außer sich, er hatte mit dem Leben abgeschlossen. Wieder sprang e die Gegner an, aber diesmal nicht mit einem Kampfruf an seine Männer, sondern nur noch mit einem wilden, tierhaften Gebrül - wie ein Irrer tobte er gegen den Feind und entwickelte dabei übermenschliche Kräfte. So gelang ihm, was zuerst unmöglich schien: Hauend und stechend durchbrach er den Ring seiner Feinde. Aber er blieb mit seinem Erfolg allein, niemand von seinen Leuten tat es ihm nach. Ihm öffnete sich endlich freie Bahn, aber hinter ihm schlossen sich gleich die Reihen, und der ungleiche Kampf ging weiter.
Seine Raserei wich allmählich ruhigerer Besinnung. Als er wieder in die Wirklichkeit zurückfand, lehnte er an einem der Achtzehnpfünder, die das Oberdeck bestückten - oder schien es nicht vielmehr, als wollte er sich hinter der Kanone verstecken?
Man hatte ihn für den Augenblick vergessen, er hielt noch immer seinen Säbel in der Hand und bemühte sich, trotz seiner Benommenheit ein Bild der Lage zu gewinnen. Wie konnte dieses Unglück entstehen? Ohne Zweifel steckte nichts als sinnliche Begierde dahinter, die wohl einige Leute dazu verleitet hatte, das ganze Schiff aufs Spiel zu setzen. Nicht, als ob es dabei einen richtigen Handel gegeben hätte, bestimmt hatte sich keine dieser Frauen in der ausdrücklichen Absicht hingegeben, damit einen Verrat zu erkaufen. So war es bestimmt nicht gewesen. Aber es war nicht schwer zu erraten, daß sich die Frauen samt und sonders nicht eben abweisend benahmen und daß einige von den Wachmannschaften ihre Pflicht vernachlässigt hatten, um diese schöne Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen zu lassen. So konnte es sehr wohl kommen, daß die Absperrung nicht mehr ganz dicht hielt.
Einzelne Gefangene schlüpften durch, wahrscheinlich vor allem die Offiziere im Fähnrichsquartier, und das Ende war die wohlvorbereitete allgemeine Erhebung. Da waren sie dann in Massen aus den Luken gequollen, hatten die Posten überwältigt und sich gleich als erstes der Waffen bemächtigt. Die Freiwache schlief in ihren Hängematten und leistete natürlich keine Widerstand, sie wurde wie eine Schafherde nach vorn getrieben, gegen das Schott gedrängt und dort durch eine Schar Bewaffneter im Schach gehalten, während andere Gruppen nach achtern eilten, um sich der Offiziere zu bemächtigen, und unterwegs an Oberdeck jeden niedermachten oder gefangensetzten, der ihnen entgegentrat. An allen möglichen Stellen des Schiffes gab es bestimmt noch verstreute Gruppen von Matrosen und Seesoldaten, die ebenso frei waren wie er selbst, aber keine Waffen in Händen hatten und auch keinen Mut zu weiterem Widerstand aufbrachten. Es war zu erwarten, daß die Spanier bei Tagesanbruch zuallererst eine richtige Kampfabteilung bildeten, die das ganze Schiff durchkämmte und alle noch vorhandenen Widerstandsnester eines nach dem anderen überwand. Unvorstellbar, daß so etwas überhaupt geschehen konnte, und doch war es bittere Wirklichkeit. Für vierhundert wohldisziplinierte Soldaten, die ihr Leben rücksichtslos in die Schanze schlagen und von tapferen Offizieren geführt sind, liegt eben auch das Unwahrscheinlichste noch im Bereich der Möglichkeit.
Laute Befehle - spanische Befehle - schollen über das Deck der Renown. Das Schiff war in den Wind geluvt, so daß die Segel backschlugen, als die Rudergänger an ihrem Rad überwältigt worden waren. Jetzt lag es, bald luvend und bald abfallend, quer in der See, und oben in der Takelage flappten und donnerten die losen Segel. Die Spanier hatten auch Seeoffiziere - die der Prisen - an Bord, die gewiß imstande waren, das Schiff binnen weniger Minuten in ihre Gewalt zu bringen. Selbst mit einer Besatzung von Landratten mußte es ihnen möglich sein, die Rahen zu brassen, das Ruder zu besetzen und am Wind durch den Jamaikakanal zu steuern.
Jenseits dieser Durchfahrt, nur eine gute Tagereise entfernt, lag ja das rettende Santiago. Am Himmel zeigte sich bereits die erste leise Spur der Dämmerung. Nicht mehr lange, dann war der Morgen da, an dem sich das Grauen vollenden mußte. Bus krampfte die Hand fester um seinen Säbelgriff, der Kopf schwindelte ihm, er fuhr sich mit dem Arm über das Gesicht, um die Spinnweben wegzuwischen, die sich gleich einem Schleier vor seinen Blick zu legen schienen.
Plötzlich, schattengleich, aber doch deutlich gegen den Himmel zu erkennen, zeigte sich auf der gegenüberliegenden Seite des Schiffes die Takelage eines anderen Fahrzeuges, das sich längsseit langsam nach vorn schon - Masten, Rahen, das stehende Gut, ein Marssegel, das langsam herumschwenkte. Auf der Renown ertönte wildes Geschrei, es folgte ein knirschendes Krachen, als die beiden Schiffe in der See zusammenschlugen, dann eine qualvolle Pause, vergleichbar dem Augenblick, bevor ein Brecher sich am Strand überschlägt. Endlich tauchten über der Reling der Renown die Köpfe und Schultern von Männern auf, die Tschakos von Seesoldaten, das kalte Blinken von Bajonetten und Entermessern. Da war Hornblower - ohne Hut, den Säbel in der Faust, schwang er die Beine über die Reling und sprang leichtfüßig an Deck. Rechts und links von ihm polterten zugleich seine Männer herab. Trotz Schwäche und halber Ohnmacht konnte Bush doch noch klar genug denken, um sich auszurechnen, daß Hornblower die Prisenbesatzungen von allen drei Fahrzeugen zusammengeholt haben mußte, ehe er mit der Gaditana längsseit kam. Nach Bushs Berechnung konnte er also dreißig Seesoldaten und dreißig Matrosen ins Gefecht führen. Aber während Bush mit einem Teil seines Gehirns noch so klar und logisch denken konnte, war der andere offenbar auf irgendeine Art gehemmt oder gefesselt, denn alles, was sich vor seinen Augen an Deck begab, spielte sich für sein Gefühl so langsam ab, wie man es manchmal in einem Alptraum erlebt.
Als zum Beispiel die Enterabteilung über die Reling kam, da nahm sich das etwa aus wie Exerzierdienst im langsamen Schritt. Alles war plötzlich anders als sonst, alles machte einen unwirklichen Eindruck.
Das Geschrei der Spanier klang für sein Ohr nicht viel ander als das schrille Stimmengewirr spielender Kinder. Bush sah, wie die Musketen angelegt und abgefeuert wurden, aber die ungeordnete Salve hörte sich für ihn nicht lauter an als das Geknatter von Knallbüchsen. Dann wurde der Angriff längsdeck vorgetragen; Bush wollte mit einspringen und daran teilnehmen, aber seltsamerweise versagten ihm seine Beine den Dienst. Er merkte plötzlich, daß er an Deck lag, und seine Arme hatten keine Kraft, als er versuchte, sich hochzustemmen.
So mußte er untätig dem wilden, blutigen Kampf zusehen, der nun von neuem entbrannte. Das Durcheinander war ebenso groß, und beide Seiten kämpften genauso verbissen wie zuvor.
Kleine Gruppen von Männern schienen plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen und stürzten sich auf der einen oder der anderen Seite in den Kampf. Schon kam eine neue Welle angerannt, lauter halb- und dreiviertelnackte Matrosen, geführt von dem gewaltig starken Silk, der den Ansetzer einer Kanone schwang.
Mit dieser ungeschlachten Urweltwaffe drosch er nach rechts und links auf die Spanier los, die diesem Ansturm von Kraft nicht standhielten. Hin und her wogte der Kampf. Ein spanischer Soldat mit einer Schenkelwunde suchte hinkend zu entkommen, ein britischer Matrose setzte mit seiner Enterpike hinter ihm her und jagte sie dem Unglücklichen unter den Rippen in den Leib.
Dann eilte er weiter und ließ den Getroffenen erbarmungslos in seinem Blute liegen.
Das Oberdeck war endlich vom Feind gesäubert, nur die herumliegenden Leichen gaben noch Kunde von dem Kampf, der hier getobt hatte. Unter Deck sah es offenbar anders aus, man hörte berstendes Krachen, Lärm, Schüsse - das hieß, daß dort das Ringen noch weiterging. Bush kam es auch vor, als ob die Geräusche dort allmählich leiser würden, aber das lag nur an seiner eigenen Schwäche, und die war alles andere als erfreulich. Wie gern hätte er Pflicht und Verantwortung vergessen und den müden Kopf auf den Arm gelegt, aber sowie er diesem Bedürfnis nachgab, sprangen ihn gleich die grausige Gespenster an, die schon am Rande seines Bewußtseins lauerten und deren Nähe ihn immer wieder tödlich erschreckte. Je mehr er sich jedoch bemühte, sie abzuwehren, desto schlimmer wurde seine Schwäche. Trotz allen Widerstandes sank ihm schließlich der Kopf auf den Arm, und es war unendlich anstrengend, ihn wieder zu heben. Wie die Zeit verging, kam es ihn härter und härter an, und doch versuchte er, sich immer von neuem dazu zu zwingen. Er wollte unbedingt hoch, wieder auf den Beinen stehen und jetzt, da es so nötig war, als Erster Offizier seine Pflicht tun.
Eine harte, laute Stimme dröhnte ihm schmerzhaft in den Ohren. »Da ist Mr. Bush, Sir, hier liegt er!« Zwei Hände hoben seinen Kopf, die Sonne stach ihm in die Augen, und er schloß ganz fest die Lider.
»Bush, Bush!« Das war Hornblowers Stimme, sie hatte einen zärtlichen, fast flehenden Klang: »Bush, bitte, so sprich doch!«
Zwei zärtliche Hände hielten sein Gesicht; Bush konnte sich gerade noch dazu zwingen, die Lider so weit aufzuschlagen, daß er Hornblower sah, wie er sich über ihn beugte. Zu sprechen hätte mehr Kraft verlangt, als er noch zur Verfügung hatte.
Alles, was ihm jetzt noch gelang, war ein leises Kopfschütteln, und dazu lächelte er ein wenig, weil von Hornblowers Händen ein unbeschreibliches Gefühl des Wohlseins und der Geborgenheit auf ihn überströmte.