7. Kapitel

Leutnant Buckland, zur Zeit Kommandant H. M. Linienschif Renown, vierundsiebzig Geschütze, stand auf dem Achterdeck seines Schiffes und peilte sein Glas nach den niedrigen Höhen von Santo Domingo. Die Renown rollte in einer unnatürlichen und höchst lästigen Weise, denn die lange atlantische Dünung des Nordostpassats glitt noch immer unter ihrem Kiel hindurch, während sie in den letzten leichten Puffs der Landbrise beigedreht lag, die seit Mitternacht geweht hatte und nun allmählich schlafen ging, da die glühende Sonne die Insel wieder zu erwärmen begann.

Die Renown wälzte sich förmlich in der See und holte dabei über, daß die Pforten der Unterbatterie bald an Steuerbord, bald an Backbord untertauchten. Das bißchen Brise, das überhaupt vorhanden war, wehte nämlich keineswegs genau aus der Richtung der Dünung und hatte auch nicht genügend Kraft, das schwere Schiff zu stützen, das mit backgesetztem Kreuztopp beilag. Es legte sich so weit auf die Seite, daß die Haltegiens knackend die Last der schweren Geschütze aufnahmen, die von ihnen an Ort gehalten wurden, und daß es fast unmöglich war, auf dem abschüssigen Deck Fuß zu fassen. So lag das Schiff jedesmal für ein paar bange Sekunden, kam dann endlich langsam wieder hoch und rollte, ohne auf ebenem Kiel haltzumachen, mit klappernden Blöcken und ratterndem Geschirr so schwungvoll nach der anderen Seite, daß einem Hören und Sehen verging - bis es in entgegengesetzter Richtung ebensoweit überlag. Wieder krachten die Haltegiens der Geschütze, wieder rutschte jeder Unvorsichtige erbarmungslos nach Lee. Zuletzt lag die Renown wie tot auf der Seite, bis die Dünung unter ihr durchgerollt war und das Spiel von neuem begann.

»Mein Gott«, sagte Hornblower, der sich mit beiden Händen an einem Belegnagel der Kreuznagelbank festklammerte, um nicht im Wassergang zu landen, »kann er denn zu keinem Entschluß kommen?«

Hornblower hatte merkwürdig glasige Augen, was Bus veranlaßte, ihn genauer unter die Lupe zu nehmen.

»Seekrank?« fragte er neugierig.

»Das hält ja der stärkste Mann nicht aus«, antwortete Hornblower. »Diese verfluchte Rollerei!«

Bush hatte einen gußeisernen Magen, der sich nie auch nur im mindesten störend bemerkbar machte, aber er wußte wohl, daß es weniger Glückliche gab, die noch nach wochenlangem Seetörn unter der Seekrankheit litten, besonders wenn sich die Bewegungen des Schiffes änderten. Diese tote Schaukelei war natürlich mit dem kraftvollen Leben der Renown unter Segel überhaupt nicht zu vergleichen.

»Buckland will eben genau wissen, wie es an Land aussieht«, sagte er in dem Bemühen, Hornblower aufzuheitern.

»Ich möchte wissen, was es da noch zu sehen gibt«, brummte Hornblower. »Auf dem Fort droben weht die spanische Flagge.

Dort ist natürlich jedermann längst im Bilde, daß sich hier ein Linienschiff herumtreibt, und die Dons brauchen nicht gerade Hellseher zu sein, um zu merken, daß wir nicht zum Vergnügen hergekommen sind. Und wir lassen ihnen jetzt auch noch Zeit, sich gebührend auf unseren Empfang vorzubereiten.«

»Was bleibt uns denn anderes übrig?«

»Er hätte im Dunkeln mit der Seebrise anlaufen sollen, die Landungsabteilung klar zum Ausschiffen. Dann in der Morgendämmerung so rasch wie möglich an Land und den Platz gestürmt, ehe die Kerle von einer Gefahr etwas ahnten - o Gott!«

Der letzte Ausruf hatte nichts mit dem zu tun, was Hornblower eben gesagt hatte. Er entrang sich ihm nur, weil sein Magen wieder einmal revoltierte. Unter der dunklen Sonnenbräune zeigten seine Wangen einen grünlichen Schimmer.

»Das ist ja schlimm«, sagte Bush.

Buckland stand noch immer an der Reling und versuchte, seinen Kieker trotz des Rollens auf den Küstenstrich zu halten.

Das war also Scotchmans Bay, die Bahia de Escosesa, wie sie die spanischen Karten nannten. Nach Westen zu verlief die Küste flach ins Meer, die mächtigen Roller brachen hier schon weit draußen und schäumten milchig weiß und mit gebrochener Kraft an den Strand. Ganz anders sah es in östlicher Richtung aus. Hier erhob sich die Küste sofort zu einer Reihe baumbedeckter Hügel, die steil aus dem blauen Wasser aufragten. An ihnen brach sich die Dünung in Wolken von brandendem Gischt, der hoch an den Felsen hinaufleckte und als Wasserdampf zurückfiel. Auf eine Strecke von dreißig Meilen lief dieser Höhenzug fast genau ostwestlich an der Küste entlang und bildete die Samana-Halbinsel, die im Samana Point endete.

Den Karten zufolge war diese Halbinsel nicht breiter als zehn Meilen, hinter ihr, auf der anderen Seite von Samana Point, lag die Samana-Bucht, die sich auf die Mona-Durchfahrt zwischen Haiti und Puerto Rico öffnete. Diese Samana-Bucht bot einen prächtigen Unterschlupf für Kaperfahrzeuge und kleine Kriegsschiffe. Hier lagen sie unter dem Schutz des Forts auf der Samana-Halbinsel, von hier aus konnten sie jederzeit auslaufen, um die westindischen Konvois zu überfallen, die die Mona-Durchfahrt benutzten. Es war für jedermann an Bord leicht zu erraten, daß die Renown Befehl hatte, dieses Piratennest auszuräuchern, ehe sie leewärts nach Jamaika weitersegelte.

Aber einstweilen sah es ganz so aus, als wäre sich Buckland noch längst nicht darüber klar, wie er diese Aufgabe lösen sollte.

Seine Unentschlossenheit konnte all den neugierigen Zuschauern nicht entgehen, die sich an der Reling der Renown angesammelt hatten.

Plötzlich fing das Großmarssegel mit donnerndem Knallen zu schlagen an, und das Schiff drehte langsam mit dem Kopf gegen die See. Die Landbrise war endgültig eingeschlafen, und der ewig über dem Atlantik wehende Passat trat wieder sein Herrschaft an. Buckland schob erleichtert seinen Kieker zusammen. Zum mindesten war das für ihn ein triftiger Grund, die Unternehmung aufzuschieben.

»Mr. Roberts!«

»Sir?«

»Legen Sie das Schiff mit Backbordhalsen an den Wind, Kurs voll und bei!«

»Aye, aye, Sir.«

Die Achtergäste rannten an die Kreuzbrassen, und das Schiff fiel langsam ab. Allmählich füllten sich die Marssegel, unter ihrem Druck legte sich die Renown langsam über und begann zugleich Fahrt aufzunehmen. Ihr Backbordbug faßte den nächsten Roller und setzte gleich so kräftig ein, daß eine Wolke von Gischt über die Back fegte. In den steifen Luvwanten und Pardunen sang der Wind sein heiteres Lied, das sich prächtig mit der rauschenden Musik des Rumpfes und der See vereinte. Die gleiche Renown, die sich eben noch wie ein totes Stück Holz in der Dünung gewälzt hatte, war plötzlich wieder zu neuem, fröhlichem Leben erwacht. Der heulende Passat legte sie auf die Seite, sie stampfte in großartigen Schwüngen voran, als hätte sie selbst die größte Freude an diesem Spiel, die Seen brodelten um ihren Bug, ihr Kielwasser zeichnete in das Blau des Ozeans eine lange, leuchtendweiße Bahn.

»Ist Ihnen jetzt besser?« erkundigte sich Bush bei Hornblower.

»In einer Hinsicht ja«, erhielt er zur Antwort. Hornblower hatte den Blick auf die fernen Höhen von Santo Domingo gerichtet. »Ich wünschte, wir gingen jetzt dort ins Gefecht, statt wegzulaufen und erst noch lange darüber nachzudenken.«

»Sie Eisenfresser!«

»Ich? Ein Eisenfresser? Keine Spur - ganz im Gegenteil. Ich wünschte - ach, ich glaube, ich wünsche mir immer viel zuviel.«

Es gab eben Menschen, die man einfach nicht verstand, dachte Bush resigniert. Er für seine Person war zufrieden, sich die warme Sonne auf den Buckel scheinen zu lassen, deren Hitze jetzt durch den frischen Wind und die Fahrt des Schiffes angenehm gemildert wurde. Brachte die Zukunft Kampf und Gefahren, nun, so konnte er mit gelassener Ruhe darauf warten.

Vor allem beglückwünschte er sich immer wieder ehrlich, daß ihm das Schicksal erspart hatte, Bucklands Verantwortung tragen zu müssen, der nun ein Schiff und siebenhundertvierzig Mann ins Gefecht führen sollte. Diese Aussicht auf ein Gefecht ließ einen wenigstens einmal die schauerliche Tatsache vergessen, daß unten in der Kajüte ein wahnsinniger Kommandant eingesperrt lag.

Beim Dinner in der Messe sah er zu Hornblower hinüber, der einen zappligen und nervösen Eindruck machte. Buckland hatte seine Absicht bekanntgegeben, den Stier am folgenden Morgen bei den Hörnern zu packen, Samana Point zu runden und sich den Weg in die Tiefe der Bucht zu erzwingen. Es bedurfte nur weniger Breitseiten der Renown, um alles, was dort an Schiffen vor Anker lag, zu zerstören. Bush billigte diesen Plan aus vollster Überzeugung. Man mußte zunächst einmal die Kaperer ausrotten, verbrennen, versenken, dann war immer noch Zeit zu überlegen, was weiter zu geschehen hatte, sofern sich das überhaupt noch als nötig erwies. Bei der Besprechung in der Messe hatte Buckland die Offiziere aufgefordert, sich zu melden, falls sie noch irgendwelche Fragen hätten. Darauf hatte sich Smith mit viel Verständnis nach den Gezeiten erkundigt, und Carberry hatte ihm eingehend Auskunft erteilt. Roberts hatte ein paar Fragen über die Lage an der Südküste der Bucht, nur Hornblower, der am unteren Ende des Tisches saß, hatte die ganze Zeit den Mund gehalten, allein seine Augen waren gespannt und aufmerksam von einem Sprecher zum anderen gewandert.

Während der beiden Abendwachen ging Hornblower für sic allein mit gesenktem Kopf und anscheinend tief in Gedanken an Deck auf und ab. Bush bemerkte, daß die Finger seiner auf dem Rücken verschränkten Hände keinen Augenblick Ruhe hielten, und wurde bei diesem Anblick plötzlich von einem peinlichen Zweifel befallen. War es möglich, daß es diesem tatkräftigen jungen Offizier an physischem Mut gebrach? Diese Frage war nicht etwa auf seinem eigenen Mist gewachsen - er hatte sie vielmehr vor Jahren einmal von irgendeinem anderen gehört, der sie in boshafter Absicht stellte. Immerhin war es noch freundlicher von ihm, sich auf diese zweifelnde Fragestellung zu besinnen, als sich kurzerhand einzugestehen, daß er Hornblower für einen Feigling hielt. Bush verstand in diesen Dingen wenig Spaß - wenn sich ein Mann als Feigling erwies, dann wollte er nichts mehr mit ihm zu schaffen haben.

Am folgenden Morgen schrillten die Pfeifen durch die Decks, und die Trommeln der Seesoldaten schlugen ihren aufrüttelnden Wirbel dazu. »Klaaarschiff zum Gefecht! Alle Mann auf Gefechtsstation! Klarschiff zum Gefecht!«

Bush begab sich in die Unterbatterie, wo seine Gefechtsstation war. Er hatte den Befehl über das ganze Deck und im besonderen über die siebzehn Vierundzwanzigpfünder der Steuerbordseite, Hornblower kommandierte unter ihm die Geschütze der Backbordseite. Die Mannschaften legten bereits die Zwischenwände nieder und beseitigten alles, was hinderlich im Wege stand. Jetzt kamen ein paar Sanitätsgäste durch das Deck, die auf einer Planke eine in eine Zwangsjacke geschnürte Gestalt trugen. Trotz der Jacke und der festen Laschings wand sich der arme Mensch ununterbrochen hin und her und weinte dabei herzzerreißend. Der Kommandant wurde in das sichere Kabelgatt geschafft, da auch seine Kajüte gefechtsklar gemacht werden mußte. Ein paar von den Leuten nahmen sich trotz der allgemeinen Hast und Eile die Zeit, die Jammergestalt auf der Planke kopfschüttelnd zu betrachten, aber Bush jagte sie rasch genug wieder an die Arbeit. Er hatte den Ehrgeiz, sein Unterbatterie innerhalb einer anständigen Zeit klar zu melden.

Hornblower kam eilends den Niedergang herab, nahm vor Bush grüßend Haltung an und widmete sich dann seinen Kanonen. Der größte Teil dieses tiefliegenden Decks lag im Zwielicht, denn die kräftigen Sonnenstrahlen, die durch die Niedergänge hereinfielen, drangen nicht bis in die entfernteren Teile des großen, mit düsterer roter Farbe ausgemalten Raumes.

Ein halbes Dutzend Schiffsjungen kam gelaufen, jeder von ihnen trug eine Pütz mit Sand, den sie mit den Händen über das Deck ausstreuten. Bush hielt ihr Tun scharf im Auge, der Sand mußte nämlich richtig verteilt sein, damit die Geschützbedienungen festen Halt für ihre Füße fanden. Dann kamen die Wassereimer an den Geschützen an die Reihe; sie wurden mit Wasser gefüllt, damit sie ihrem doppelten Zweck dienen konnten, die Wischer zum Reinigen der Rohre anzufeuchten und ausbrechende Brände zu bekämpfen. Rund um den Großmast stand noch ein weiterer Ring von Feuereimern, in Baijen auf beiden Seiten des Decks schwelten die Lunten, an denen die Geschützführer notfalls ihre Luntenstöcke neu entzünden konnten. Feuer und Wasser beherrschten das Bild.

Die Wache der Seesoldaten trampelte durch das Deck, diese Männer staken in ihren roten Röcken mit den gekreuzten weißen Bandelieren und stießen mit ihren hohen Tschakos beim Gehen an jeden Decksbalken. Korporal Greenwood verteilte sie einzeln auf alle Niedergänge, wo jeder von ihnen mit geladenem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett seinen Posten bezog. Ihre Aufgabe war es, dafür zu sorgen, daß kein Unbefugter nach unten kam, um sich in der Sicherheit dieses schon halb unter Wasser gelegenen Decks zu bergen. Auch Mr. Hobbs, der Feuerwerker, trat kurz in Erscheinung. Gefolgt von seinen Maaten und Helfern ging er durch das Deck, um alsbald in der Tiefe der Pulverkammer zu verschwinden. Er und seine Leute trugen weiche Tuchpantoffeln an den Füßen, damit sie au keinen Fall das lose Pulver zur Entzündung bringen konnten, das dort unten in der Hitze des Gefechts immer einmal danebengestreut wurde.

Bald kamen die Pulverjungen wieder heraufgeeilt, jeder brachte die Ladung für ein Geschütz. Die Zurrings der Kanonen wurden losgeworfen, die Bedienungen standen an den Takeln und warteten auf den Befehl zum Öffnen der Pforten und zum Ausrennen ihrer Geschütze. Bush warf noch einen prüfenden Blick an beiden Geschützreihen entlang. Alle Geschützführer waren auf ihren Posten, an jeder Steuerbordkanone standen zehn, an jeder Backbordkanone fünf Mann - das war die Höchst-und die Mindestzahl für einen Vierundzwanzigpfünder. Bush war dafür verantwortlich, daß die jeweils ins Gefecht kommende Seite reichlich bemannt war; wurde nach beiden Seiten geschossen, so mußte er ein angemessenes Verhältnis finden; begannen endlich Ausfälle einzutreten, und wurden einzelne Geschütze außer Gefecht gesetzt, dann galt es, die Mannschaften der Lage entsprechend neu einzuteilen. Die Unteroffiziere und Deckoffiziere meldeten ihre Stationen gefechtsklar, und Bush wandte sich an den Fähnrich, der als Befehlsübermittler neben ihm stand.

»Mr. Abbott, melden Sie die Unterbatterie klar zum Gefecht.

Und fragen Sie, ob die Geschütze ausgerannt werden können.«

»Aye, aye, Sir.«

Noch vor wenigen Sekunden hatte geschäftiger Lärm das ganze Schiff erfüllt, jetzt wurde es hier unten mäuschenstill.

Außer dem Knacken und Knarren des Rumpfes hörte man keinen Laut. Das Schiff glitt in rhythmischem Auf und Nieder über die See, Bush stand am Großmast und fing unbewußt die Bewegungen mit seinem schwingenden Körper ab. Der junge Abbott kam den Niedergang heruntergerannt: »Mr. Buckland dankt für die Meldung, Sir. Mit dem Ausrennen der Geschütze soll noch gewartet werden.«

Hornblower stand weiter achtern in einer Linie mit den Augbolzen der Seitenrichttaljen. Er hatte kurz den Kopf gewandt, um zu hören, was Abbott meldete, jetzt blickte er wieder geradeaus. Bush beobachtete ihn, wie er breitbeinig dastand und seine Hände hinter dem Rücken fest ineinanderkrampfte. In der Haltung seiner Schultern und in der Art, wie er den Kopf trug, verriet sich ein seltsamer Zustand der Erstarrung, der alles mögliche bedeuten konnte: echten Kampfgeist oder auch das Gegenteil davon. Jetzt sprach einer der Geschützführer Hornblower an, und Bush sah, wie er sich halb umwandte, um ihm zu antworten. Selbst in dem schlechten Licht der Unterbatterie konnte Bush erkennen, daß sein Ausdruck unnatürlich gespannt war und sein Lächeln einen gequälten Eindruck machte. Nun ja, entschied Bush mit aller Nachsicht, deren er fähig war, es gab wohl mehr als einen Mann, der so oder ähnlich aussah, wenn es ins Gefecht ging.

In tiefstem Schweigen lief das Schiff weiter seinen Kurs.

Selbst Bush spitzte die Ohren, um zu hören, was über ihm vorging, und daraus auf die Lage zu schließen. Durch den Niedergang hörte man von fern die Stimme eines Matrosen.

»Keinen Grund, Sir! Mit dieser Leine keinen Grund!«

Offenbar stand ein Mann in den Rüsten und lotete, das hieß, daß sie schon dicht unter Land gekommen waren. Die ganze Unterbatterie zog daraus den gleichen Schluß, und schon begann sich jeder mit seinem Nachbarn darüber zu unterhalten.

»Ruhe da!« schnauzte Bush.

Wieder ein Ruf des Lotgasten und gleich darauf ein lautes Kommando. Im nächsten Augenblick schien es, als wäre die ganze Unterbatterie mit körperlich greifbarem Lärm erfüllt. Die Oberdecksgeschütze wurden ausgerannt, hier, in dem engen Raum unter Deck, verstärkte sich aber jedes Geräusch von oben durch die Resonanz des Rumpfes auf mindestens das Dreifache, so daß die droben über das Deck rollenden Lafetten eine donnerähnlichen Lärm verursachten. Alle blickten erwartungsvoll auf Bush, weil sie annahmen, daß jetzt auch von ihm ein Befehl kommen würde. Er aber verzog keine Miene.

Noch war es nicht soweit, noch hatte er keine Erlaubnis dazu.

Endlich erschien ein Fähnrich im Niedergang.

»Eine Empfehlung von Mr. Buckland, Sir, Sie möchten die Geschütze ausrennen.«

Der Fähnrich hatte seine Meldung herausgebrüllt, ohne erst einen Fuß an Deck zu setzen, und jedermann hatte sie gehört.

Einen Augenblick summte das ganze Deck wie ein Bienenschwarm, übereifrige Leute rannten schon an die Pforten, um sie aufzustoßen.

»Ruhe!« brüllte Bush. Schuldbewußt erstarrte wieder alles zu eisigem Schweigen.

»Pforten auf!«

Das Zwielicht der Unterbatterie verwandelte sich in hellen Tag, als sich die Pforten öffneten; kleine Rechtecke von Sonnenschein huschten von Backbord her über das Deck und wurden mit jeder Bewegung abwechselnd breiter und schmäler.

»Renn aus!«

Bei offenen Pforten war der Lärm nicht so groß, die Geschützbedienungen warfen sich in die Takel, die Lafetten rollten, und die Geschütze steckten ihre Mündungen durch die Bordwand. Bush trat an das nächste Geschütz, beugte sich vor und peilte durch die Pforte hindurch. Da lagen die grünen Hügel der Insel; wenn man Glück hatte, reichte man mit den Kanonen hin, die Hänge dort waren nicht so steil wie drüben; an ihrem Fuß erstreckte sich ein dschungelbedecktes Vorland.

»Halsen!«

Bush erkannte Roberts' Stimme, der wohl auf dem Achterdeck kommandierte. Das Deck unter seinen Füßen legte sich waagerecht, und die Hügel draußen schienen um das Schif herumzuschwingen. Die Masten krachten, als die Rahen rundgebraßt wurden. Jetzt rundeten sie wohl eben Point Samana.

Auch die Bewegungen des Schiffes hatten sich weit auffallender geändert, als es bei einer bloßen Kursänderung der Fall gewesen wäre. Nicht nur, daß die Renown jetzt auf ebenem Kiel lag, sie schien zugleich in ruhiges Wasser gelangt zu sein und glitt nun lautlos in die Bucht hinein. Bush ging neben einem Geschützrohr in die Hocke und peilte nach der Küste hinüber.

Das war also die Südseite der Halbinsel, die hier wieder fast ebenso jäh zur Bucht abfiel wie auf der anderen Seite zur offenen See. Oben auf dem Kamm stand das Fort, über dem die spanische Flagge wehte.

Wie ein aufgeregtes Eichhörnchen kam der Fähnrich den steilen Niedergang heruntergeturnt.

»Sir! Sir! Zum Einschießen einen Schuß auf die Batterie, sobald Ihre Geschütze über die Entfernung tragen!«

Bush maß ihn mit einem kalten Blic »Wer hat das befohlen?« fragte er.

»M - Mister Buckland, Sir.«

»Sagen Sie mir das gefälligst gleich. Na schön. Eine Empfehlung an Mr. Buckland, und ich sei vorläufig noch lange nicht in Schußweite.«

»Aye, aye, Sir.«

Vom Fort stieg Rauch auf, der jedoch nicht von Pulver herrühren konnte. Bush lief ein leichter Schauder über den Rücken, weil er sich sagen mußte, daß dieser Rauch aus einer Esse kam, in der die Leute ihre Kugeln heiß machten. Nicht lange mehr, und das Fort überschüttete sie mit einem Hagel glühender Geschosse, gegen die es, soweit Bush ermessen konnte, keine wirksame Abwehr gab, weil er jetzt und später außerstande war, seine Rohre so weit zu heben, daß sie ihr Ziel erreichten, während umgekehrt das Fort die Renown von seiner beherrschenden Höhe aus jederzeit mühelos eindecken konnte.

Er richtete sich auf und ging nach Backbord hinüber, wo Hornblower in ähnlicher Stellung neben einer Kanone kauerte und durch die Pforte hinausspähte.

»Da drüben springt eine Landzunge vor«, sagte Hornblower.

»Sehen Sie die flachen Stellen? Das Fahrwasser führt da offenbar im Bogen herum. Und auf der Landzunge liegt eine Batterie - was sagen Sie zu dem Rauch? Offenbar macht man die Geschosse heiß.«

»Ohne Zweifel«, meinte Bush.

Bald lagen sie also unter schwerstem Kreuzfeuer, und man konnte nur hoffen, daß sie ihm nicht allzulange ausgesetzt blieben. Jetzt ertönten von Deck her laute Befehle, die Masten knackten, als die Rahen herunterkamen - die Renown steuerte durch die Biegung der tiefen Rinne.

»Das Fort hat Feuer eröffnet, Sir«, meldete der Steuermannsmaat, dem die vorderen Geschütze der Steuerbordseite unterstanden.

»Danke, Mr. Purvis«, sagte Bush. Er ging hinüber und blickte hinaus.

»Haben Sie den Einschlag beobachtet?«

»Nein, Sir.«

»Jetzt schießen sie auch von dieser Seite«, meldete Hornblower.

»Danke sehr.«

Das Fort spuckte dicken, weißen Pulverdampf. Während Bush noch hinsah, stieg gerade zwischen seinem Auge und dem Fort eine Wassersäule von der golden glitzernden Fläche auf, und im gleichen Augenblick krachte dicht über seinem Kopf irgend etwas Hartes in die Bordwand. Die Kugel war vom Wasser abgeprallt und stak nun irgendwo in den halbmeterdicken Eichenbohlen, aus denen die Seiten der Renown gezimmert waren.

Gleich darauf brach ein wahres Höllenkonzert von Krachen und Splittern los - die erste wohlgezielte Salve hatte eingeschlagen.

»Vielleicht kann ich jetzt die Batterie auf meiner Seite eben erreichen, Sir«, sagte Hornblower.

»Dann sehen Sie zu, was Sie ausrichten können.«

Jetzt erschien Buckland in eigener Person. Er schrie in furchtbarer Aufregung den Niedergang herunter.

»Können Sie denn immer noch nicht Feuer eröffnen, Mr. Bush?«

»Eben ist es soweit, Sir.«

Hornblower stand am mittleren Vierundzwanzigpfünder. Der Geschützführer schob die Richtspake unter die Lafette und hängte sich mit seinem ganzen Gewicht daran, um das Schwanzende anzulüften. Zwei Mann an jeder Seitentalje holten und fierten unter seiner Leitung, um dem Geschütz die genaue Seitenrichtung aufs Ziel zu geben. Der Keil für die Höhenrichtung war ganz unter dem Bodenstück herausgezogen, das Rohr stand also im steilsten Winkel nach oben. Jetzt schlug der Geschützführer den Schutzdeckel des Zündlochs zurück, überzeugte sich, daß die Mulde voll Pulver war, und stieß mit dem Ruf »Achtung!« den glühenden Luntenstock hinein. Der Schuß erfüllte den engen Raum mit ohrenbetäubendem Lärm, beizender Mündungsqualm wehte durch die Pforten zurück ins Schiff.

»Noch eine Kleinigkeit zu kurz«, meldete Hornblower von der nächsten Pforte aus. »Wenn die Rohre erst heiß sind, reichen sie hin.«

»Erste Gruppe: Feuer eröffnen!« schrie Hornblower.

Die vier vordersten Geschütze donnerten fast gleichzeitig los.

»Zweite Gruppe!«

Bush fühlte, wie das Deck unter seinen Füßen unter de Druck von Entladung und Rückstoß schwankte. Scharfer, bitter schmeckender Qualm erfüllte das enge, niedrige Deck, und der Lärm war vollends entsetzlich.

»Noch einmal so, Männer!« brüllte Hornblower. »Die Gruppenkommandeure besser auf die Seitenrichtung achten!«

Dicht neben Bush gab es plötzlich einen furchtbaren Krach, eine Masse heulte an ihm vorüber und bohrte sich nicht weit von seinem Kopf knirschend in einen Decksbalken. Das Ding war durch die offene Pforte hereingeflogen und hatte den Verstärkungsring am Bodenstück des Geschützes getroffen.

Zwei Mann, die dort gestanden hatten, waren zusammengestürzt, der eine lag reglos an Deck, der andere wand sich jämmerlich in seinen Schmerzen. Eben wollte Bush befehlen, sie zu bergen, da fiel ihm etwas noch weit Schlimmeres ins Auge. In dem Decksbalken zu seinen Häupten klaffte ein breiter Riß, aus dessen Tiefe Rauch hervordrang.

Offenbar war die glühende Kugel beim Auftreffen auf das Bodenstück in Trümmer gegangen. Ein ziemlich großes, wenn nicht das größte ihrer Stücke war tief in den Decksbalken eingedrungen, und schon begann das Holz zu schwelen.

»Feuereimer heran!« schrie Bush.

Zehn Pfund glühendes Eisen, eingebettet in das trockene Holz des Schiffes, konnten in wenigen Sekunden den schönsten Brand verursachen. Im gleichen Augenblick hörte man von oben das Geräusch rennender Füße, das Poltern bewegten Geschirrs und dann das Klippklapp von Pumpen. Also war man auch am Oberdeck schon damit beschäftigt, ausbrechende Brände zu bekämpfen. Hornblowers Kanonen donnerten nach Backbord, ihre Lafetten ratterten über das Deck. Die Hölle war losgelassen, ihr Brodem wirbelte um ihn her.

Wieder krachten die Masten beim Schwenken der Rahen.

Trotz allen Tumults, den der Kampf mit sich brachte, mußte das Schiff durch das gewundene Fahrwasser gesegelt werden. Bus peilte durch eine Pforte hinaus, aber als es sich dazu zwang, die Entfernung in Ruhe zu schätzen, da sagte ihm sein Auge, daß das Fort auf der Höhe immer noch außer Schußweite war. Es hatte keinen Sinn, die Munition daran zu verschwenden. Er richtete sich wieder auf und warf einen Blick in die düstere Batterie. Da hatte er plötzlich das Gefühl, als wäre mit dem Schiff unter seinen Füßen etwas los. Er reckte sich auf die Zehen, um dem tollen Verdacht weiter nachzuspüren. Richtig, das Deck war ein klein wenig geneigt und kam ihm plötzlich seltsam starr und unbeweglich vor. Gott im Himmel!

Hornblower sah sich nach ihm um und stach mit dem Finger nach unten, wodurch er seine schreckliche Vermutung bestätigt sah. Die Renown saß auf Grund. Sie mußte so weich und langsam in den Schlick gelaufen sein, daß sie ohne wahrnehmbaren Stoß die Fahrt verlor. Dennoch saß sie anscheinend ziemlich weit auf dem Trockenen, weil die Neigung des Decks nach achtern schon deutlich zu spüren war.

Wieder und wieder krachte es im Holz, als immer mehr Kugeln von Land her einschlugen, wieder und wieder hörte man rennende, hastende Füße, wenn die Feuerlöschgruppen hinzueilten, um die Gefahr sofort zu bekämpfen. Sie saßen fest auf Grund und waren dazu verurteilt, durch die verdammten Forts langsam in Stücke geschossen zu werden, wenn sie das Feuer der Artillerie nicht vorher in Brand setzte, so daß sie auf ihrer Sandbank bei lebendigem Leibe schmoren mußten.

Hornblower stand neben ihm, er hielt seine Uhr in der Hand.

»Die Flut steigt noch«, sagte er, »in einer Stunde haben wir Hochwasser. Aber ich fürchte, wir sitzen recht gründlich auf Dreck.«

Bush konnte ihn nur anschauen und fluchen, er wußte seinen überspannten Gefühlen nicht mehr anders Luft zu machen als durch einen Strom gemeiner Schimpfworte.

Hornblower wandte sich von ihm ab und nahm eine Geschützbedienung aufs Korn, die sich um ihre Kanone drängte.

»Ruhe, Dufi, Ruhe!« schrie er. »Wischen Sie gefälligst das Rohr ordentlich aus! Oder wollen Sie, daß Ihnen das Pulver beim nächsten Laden die Hände wegreißt?«

Als Hornblower sich Bush wieder zukehrte, hatte dieser seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen.

»Eine Stunde bis Hochwasser, sagen Sie?« fragte er.

»Jawohl, Sir, nach Carberrys Berechnung ist es noch so lange hin.«

»Dann steh uns Gott bei!«

»Meine Geschütze können die Batterie auf der Landzunge eben noch erreichen. Solange ich ihre Wälle und Schießscharten bestreiche, setze ich wenigstens ihre Feuergeschwindigkeit herab, wenn ich sie schon nicht ganz zum Schweigen bringen kann.«

Wieder krachte ein Einschlag in das Holz und gleich darauf noch einer.

»Das Fort auf meiner Seite ist leider außer Schußweite.«

»Ja, das ist bedauerlich«, sagte Hornblower.

Die Pulverjungen rannten mit frischen Ladungen für die Geschütze mitten durch das Getriebe. Da erschien der Befehlsübermittlerfähnrich und schob sie eilig beiseite.

»Mr. Bush, Sir! Sie möchten sich bitte bei Mr. Buckland melden, Sir. Wir sitzen auf Grund, Sir, mitten im feindlichen Feuer!«

»Halten Sie Ihren Schnabel! Mr. Hornblower, ich übergebe Ihnen hier das Kommando.«

»Aye, aye, Sir.«

Oben auf dem Achterdeck blendete die Sonne. Buckland stand ohne Hut an der Reling und versuchte krampfhaft, seine heftig arbeitenden Gesichtsmuskeln zu beherrschen. Dampf zischte und brodelte auf, als ein Mann den Wasserstrahl aus einem Schlauch auf ein glühendes Kugelbruchstück richtete, da in der Schottwand steckte. Tote lagen im Wassergang.

Verwundete wurden weggeschleppt. Ein Schuß oder einer der Splitter, die bei jedem Einschlag durch die Luft wirbelten, mußte den Rudergänger getötet haben, so daß das Schiff für kurze Minuten steuerlos war und auf Grund lief.

»Wir müssen uns freiwarpen«, sagte Buckland.

»Aye, aye, Sir.«

Das hieß, daß man einen Anker ausfahren und dann die Trosse mit dem Spill einhieven mußte, um das Schiff mit Menschenkraft von Grund zu holen. Bush warf einen Blick in die Runde und sah, was die Lage des Schiffes betraf, alles das bestätigt, was er trotz seiner beschränkten Sicht schon von unten aus festgestellt hatte. Der Bug saß fest im Schlick, man mußte das Schiff also über den Achtersteven freihieven. Ein Schuß heulte dicht über seinen Kopf weg, er mußte alle Selbstbeherrschung zusammennehmen, um sich nicht zu ducken.

»Sie werden eine Ankertrosse durch eine der Heckpforten ausstecken lassen.«

»Aye, aye, Sir.«

»Roberts fährt mit der Barkaß den Stromanker aus.«

»Aye, aye, Sir.«

Daß Buckland das formelle Mister wegließ, war bezeichnend für seinen Gemütszustand und für die Notlage, in der sich das Schiff befand.

»Ich nehme die Leute von meinen Geschützen, Sir«, sagte Bush.

»Gut.«

Jetzt konnte sich erweisen, was Disziplin und gute Ausbildung vermochten. Die Renown hatte das Glück, daß gut die Hälfte ihrer Besatzung alteingefahrene Leute waren, die während der Blockade von Brest eine Menge gelernt hatten. I Plymouth hatten sie lediglich ihren Bestand mit gepreßten Mannschaften aufgefüllt. Was nur Ausbildung und praktische Übung gewesen war, als die Renown noch zur Kanalflotte gehörte, das wurde hier zu einem Manöver, von dem die Existenz des ganzen Schiffes abhing. Hier handelte es sich nicht mehr um jenen etwas oberflächlichen »Betrieb«, der meist im Wettbewerb mit den übrigen Schiffen des Geschwaders veranstaltet wurde. Bush sammelte seine Geschützmannschaften um sich und machte sich an die Aufgabe, eine Ankertrosse aus dem Raum heraufzuholen, während oben Roberts' Leute bereits die Stag- und Rahtakel bemannten, um die Barkaß auszusetzen.

Unten in den Decks war die Hitze noch größer als oben in der brennenden Sonne. Der Qualm aus Hornblowers Geschützen wirbelte in dicken Schwaden unter den Decksbalken.

Hornblower hielt den Hut in der Hand und wischte sich mit dem Taschentuch über das schweißnasse Gesicht. Als Bush wieder unten erschien, begrüßte er ihn mit einem kurzen Nicken, und Bush brauchte ihm nicht erst zu erklären, welche Aufgabe er nun zu erfüllen hatte. Weiter donnerten die Geschütze, weiter wirbelte der Qualm, rannten die Pulverjungen mit neuen Ladungen und die Löschgruppen mit ihren Feuereimern, und mitten in all dem Trubel mannten Bushs Männer das Ankerkabel aus der Tiefe des Raumes. Diese hundert Faden Trosse wogen reichlich ein paar Tonnen; klare Überlegung und fachkundige Leitung waren nötig, um dieses dicke, sperrige Stück Tauwerk klar nach achtern auszulaufen. Aber da war Bush in seinem Element. Eine fest umrissene Aufgabe, der er seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen konnte, entsprach am besten seinen Fähigkeiten. Bis der Kutter unter dem Heck erschien, um den Tampen in Empfang zu nehmen, hatte er das Kabel klar längsdeck geschossen und paßte nun scharf auf, daß das mächtige Ding auch klar und ohne Kinken durch die Heckpforte auslief. Während er achtern hinaussah, kam die Barkaß in sein Gesichtsfeld, an deren Spiegel bereits die schwere Last de Stromankers hing. Jedenfalls war es eine Erleichterung, zu wissen, daß die knifflige Aufgabe, den Anker ins Boot zu geben, ohne Zwischenfall gelungen war. Der zweite Kutter fuhr von der Ankerklüse her das Springkabel aus. Roberts leitete das Manöver, Bush hörte, wie er den Kuttern Befehle gab, als sich die drei Boote langsam vom Heck nach achtern entfernten.

Plötzlich sprangen zwischen den Booten Wassersäulen auf. Die eine oder die andere Landbatterie - oder waren es gar beide - atten ihr Ziel gewechselt. Ein Treffer in die Barkaß hätte die endgültige Katastrophe bedeutet, ein Treffer in einen der Kutter mindestens eine ernste Verzögerung des ganzen Manövers.

»Verzeihung, Sir«, hörte Bush Hornblower neben sich sagen und riß den Blick gewaltsam von der glitzernden Wasserfläche los.

»Ja, was ist?«

»Könnte ich nicht ein paar der vordersten Geschütze nach achtern bringen lassen?« fragte Hornblower. »Die Gewichtsverlagerung würde bestimmt von Nutzen sein.«

»Da können Sie recht haben«, gab Bush zu. Während er noch überlegte, ob seine Befehlsgewalt ausreichte, so etwas auf eigene Verantwortung anzuordnen, fiel ihm auf, daß Hornblowers Gesicht von Schweiß und Pulverdampf ganz schmutzig und verschmiert war. »Aber holen Sie lieber von Mr. Buckland die Erlaubnis dazu ein. Wenn Sie wollen, fragen Sie ihn in meinem Namen.«

»Aye, aye, Sir.«

Die Vierundzwanzigpfünder der Unterbatterie wogen jeder über zwei Tonnen. Brachte man einige dieser schweren Kanonen von vorn nach achtern, dann konnte das entscheidend dazu beitragen, daß man den Bug aus dem Schlick freibekam.

Bush warf wieder einen Blick durch die Heckpforte. James, der Fähnrich im ersten Kutter, peilte achteraus, um festzustellen, daß er das Kabel auch wirklich genau in Verlängerung de Mittschiffslinie ausgefahren hatte. Jeder Knick in der Kabelführung vom Anker bis zum Spill hätte ja einen bedenklichen Verlust an Zugkraft zur Folge gehabt. Jetzt schoren Kutter und Barkaß zusammen, um die Kabel anzustecken. Es war also bald so weit, daß der Anker fallen könne. Plötzlich kochte das Wasser rings um die Boote auf, eine Salve von der Küste war dicht bei ihnen eingeschlagen, und die Spritzer der Kugeln verrieten, daß sie vom Fort auf der Höhe kam. In Anbetracht der großen Entfernung schossen die Leute dort erstaunlich gut. Aber schon blitzte das Blatt einer Axt in der Sonne auf, die am Spiegel der Barkaß geschwungen wurde, und Bush hatte dieses Blitzen sofort gesehen. Man war also endlich dabei, die Zurrings durchzuschlagen, die den Anker dort an seinem Kranbalken hielten. Gott sei Dank! Hornblowers Geschütze donnerten immer wieder los und ließen das ganze Schiff unter ihrem Rückstoß erzittern, zugleich sagte ihm ein splitterndes Krachen über seinem Kopf, daß die andere Batterie nach wie vor das Schiff beschoß und einen Treffer um den anderen erzielte. Immer noch begab sich alles zur gleichen Zeit.

Hornblower hatte eine Gruppe von Mannschaften abgeteilt, die jetzt damit beschäftigt war, den vordersten Vierundzwanzigpfünder der Steuerbordseite achteraus zu schaffen, ein nicht ganz einfaches Manöver, bei dem der Lafettenschwanz durch die auf Rollen laufende Richtspake angehoben werden mußte. Die Blockräder der Lafette quietschten schauderhaft, als sich die Männer ins Zeug legten, um das schwere Ding herumzuschwenken, und es dann schwitzend Meter für Meter durch die von Menschen und Dingen überfüllte Batterie schafften. Aber Bush konnte sich mit Hornblowers Tätigkeit nicht länger befassen, denn schon war es höchste Zeit für ihn, an Oberdeck zu eilen und vorn am Gangspill nach dem Rechten zu sehen.

Unter Aufsicht von Smith und Booth nahmen dort die Männer eben ihre Plätze an den Spaken ein; die Oberdecksgeschütz hatten ihre letzten Bedienungsmannschaften abgeben müssen, damit genügend Leute zu Gebote standen. Die Männer waren von den Hüften aufwärts nackt, sie spuckten sich in die Hände und versuchten, ob sie guten Halt für ihre Füße fänden. Man brauchte ihnen nicht erst zu erzählen, wie ernst die Lage war, und Booth fand keinen Anlaß, seinen Knotenstock zu schwingen.

»Hiev rund!« rief Buckland vom Achterdeck.

»Hiev rund!« brüllte Booth. »Hiev, daß die Toten erwachen!«

Die Männer warfen sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Spaken, der Spillkopf drehte sich rasch im Kreis, und die Fallen ließen ein munteres Geklapper hören, solange es nur galt, die Lose einzuholen. Das ging so schnell, daß die Jungen mit den Stoppern am Kabelar kaum Schritt halten konnten. Aber damit war es bald zu Ende, das Klappern wurde träger, die Drehung verlangsamte sich. Mühsam ging es noch rund: Klick - Klick - Klick. Jetzt kam erst Druck darauf, die Bering krachte, als das Kabel steif kam. Klick - Klick. Das Kabel war ganz neu, man konnte annehmen, daß es um einiges reckte. Plötzlich heulte ein Geschoß heran - welche Fügung lenkte es genau an diese Stelle?

-, Splitter flogen durch die Luft, Männer brachen zusammen.

Die Kugel hatte sich mitten durch die gedrängte Menschenmenge ihre Bahn gepflügt. Rotes Blut floß in Strömen an Deck und leuchtete in der Sonne, in begreiflicher Verwirrung wichen die Leute vor ihren blutig zerfetzten Kameraden zurück.

»Alles bleibt auf den Plätzen!« schrie Smith. »Ihr Jungen da, schafft diese Männer beiseite! Eine neue Spillspake her! Macht fix, macht fix!«

Die Unglückskugel hatte ihre Kraft im Menschenfleisch noch längst nicht verausgabt, sie hatte auf ihrem weiteren Flug noch die Seitenteile einer Lafette zerschmettert und war dann endlich tief in der Bordwand steckengeblieben. Ebensowenig schien Menschenblut ihre Glut gelöscht zu haben, denn aus dem Loch in dem sie steckte, begann es sofort zu qualmen. Bush griff persönlich nach dem nächstbesten Feuereimer und klatschte seinen Inhalt auf die glühende Kugel. Dampf mischte sich mit dem Qualm, und das Wasser zischte und spuckte. Ein einziger Eimer Wasser reichte eben längst nicht aus, um vierundzwanzig Pfund glühendes Eisen abzulöschen, aber da kam auch schon eine Löschgruppe angerannt, um die schwelende Gefahr mit ganzen Fluten zu ersticken.

Die Toten und Verwundeten waren geborgen, die Männer standen wieder am Spill.

»Hiev!« donnerte Booth. Klick - Klick - Klick - langsam und immer langsamer drehte sich das Spill. Zuletzt kam es ganz zum Stillstand, die Beting ächzte unter dem gewaltigen Zug.

»Hiev! Hiev!«

Klick - dann zögernd und nach langer Pause noch einmal Klick. Jetzt war endgültig Schluß. Eine erbarmungslose Sonne brannte auf die von der Kraftanstrengung gespannten Rückenmuskeln der Männer nieder, ihre hornhäutigen Sohlen suchten Halt an jedem Augbolzen im Deck, während sie sich mit aller Kraft gegen die Spaken stemmten. Bush ließ sie weiterwuchten und begab sich wieder unter Deck. Er konnte noch eine Menge Leute aus der Unterbatterie heraufschicken und setzte diesen Gedanken sofort in die Tat um, damit die Spillspaken dreifach besetzt werden konnten. Eine Gruppe von Leuten war in dem rauchigen Zwielicht noch hart an der Arbeit, um auch das letzte in Frage kommende Geschütz nach achtern zu schaffen. Hornblower stand jetzt wieder bei seinen Kanonen und überwachte das Richten. Bush setzte seinen Fuß auf das Ankerkabel. Es fühlte sich nicht mehr an wie ein Tau, sondern steif und unelastisch wie eine hölzerne Spiere. Dann fühlte er durch die Schuhsohle hindurch die Spur eines leisen Zitterns, so schwach, daß es kaum zu fühlen war - offenbar legten sich die Männer am Spill mit verstärkter Kraft in die Spaken. Das Klick eines neugewonnenen Falls pflanzte sich durch die Verbänd des Schiffes fort, das Kabel bebte einen Augenblick etwas stärker und stand dann gleich wieder unbeweglich steif. Keinen Achtelfuß war es unter Bushs Schuhsohlen weitergekrochen, obwohl sich, wie er wußte, oben an den Spaken an die hundertfünfzig Mann die Seele aus dem Leibe quälten. Wieder entlud sich eins von Hornblowers Geschützen, und Bush fühlte den Ruck des Rückstoßes durch das Kabel. Vom Niedergang her hörte man gedämpft die anfeuernden Rufe von Smith und Booth oben am Spill, aber das Kabel kam nicht einen Zoll. Jetzt trat Hornblower heran und hob vor Bush grüßend die Hand an den Hut.

»Spüren Sie etwas, wenn ich schieße, Sir?«

Als er die Frage gestellt hatte, winkte er dem Geschützführer einer Mittschiffskanone, die geladen und ausgerannt war. Der Geschützführer senkte seine Lunte auf das Zündloch, das Geschütz brüllte auf und rollte in einer Wolke von Qualm zurück. Bush prüfte mit dem Fuß auf dem Kabel die Wirkung.

»Nur einen kleinen Ruck - nein - doch.« Bush kam eine plötzliche Erleuchtung. Er wußte bereits, was ihm Hornblower auf seine Frage antworten würde. »Woran denken Sie?«

»Ich könnte meine ganze Breitseite auf einmal abfeuern; das könnte genügen, den Sog des Schlicks zu überwinden.«

Das war zweifellos richtig. Die Renown lag in einem Bett von Schlick, der sie wie mit Saugnäpfen festhielt. Erfuhr ihr Rumpf eine heftige Erschütterung und wurde zugleich die Ankertrosse eisern steif gehalten, dann gelang es unter Umständen, diese Saugkraft zu brechen.

»Weiß Gott, ich glaube, das wäre einen Versuch wert«, sagte Bush.

»Gut, Sir. Meine Geschütze sind in drei Minuten geladen und schußfertig.« Hornblower wandte sich an seine Batterie und bildete mit den Händen einen Trichter um den Mund.

»Feuer einstellen! Überall Feuer einstellen!«

»Ich werde denen am Spill Bescheid sagen«, sagte Bush.

»Jawohl, Sir.« Hornblower fuhr fort, seine Befehle zu geben.

»Mit doppelten Ladungen - geladen! Zündladungen klar - rennt aus!«

Das war das Letzte, was Bush noch hörte, als er an Oberdeck stieg, um Smith von der Idee zu unterrichten. Der nickte sofort zustimmend, als er begriffen hatte.

»Fest hieven!« rief Smith, und die schwitzenden Männer an den Spaken durften ihren müden Rücken endlich eine kurze Ruhepause gönnen. Es war nötig, daß Buckland Meldung über den Plan erhielt. Er hörte sich alles an und war dann ebenfalls sofort überzeugt. Der unglückliche Mann war ja dazu verurteilt, den Fehlschlag seines ersten selbständigen Unternehmens als Kommandant mit anzusehen.

Er wußte sehr wohl, daß sein Schiff in höchster Gefahr schwebte. Hell verklammerte er sich an die Reling und würgte mit beiden Händen daran, als wollte er sie zu einem Korkenzieher zusammendrehen. Um sein Unglück voll zu machen, kam Smith mit einer neuen Schreckenskunde.

»Roberts ist tot«, stieß er durch die Zähne hervor.

»Nein!«

»Jawohl. Ein Treffer in die Barkaß riß ihn in Stücke.«

»Ach du großer Gott!«

Es sprach für Bush, daß er Roberts' Tod herzlich bedauerte, ehe ihm überhaupt zum Bewußtsein kam, daß er damit Erster Offizier eines Linienschiffes geworden war. Aber jetzt war keine Sekunde Zeit, an Trauer oder Freude zu denken - nicht, solange die Renown im feindlichen Feuer auf Grund saß. Bush rief den Niedergang hinunter.

»Unterbatterie! Mr. Hornblower!«

»Sir?«

»Sind Ihre Geschütze klar?«

»In einer Minute, Sir.«

»Lassen Sie steifhieven«, sagte Bush zu Smith, dann in lauterem Ton nach unten: »Warten Sie auf meinen Befehl, Mr. Hornblower.«

»Aye, Aye, Sir.«

Die Männer legten sich wieder gegen die Spillspaken, stemmten die Beine ein und hievten an.

»Hiev!« rief Bush. »Hiev!«

Aber nach dem ersten Zoll gaben die Spaken nichts mehr her.

Nach dem Erfolg zu schließen, hätten sie ebensogut an einer Kirchenmauer schieben können.

»Hiev!«

Bush kehrte ihnen den Rücken und rannte nach unten. Er setzte wieder den Fuß auf das steife Kabel und nickte Hornblower zu.

Die fünfzehn Kanonen - zwei von der Backbordseite waren ebenfalls nach achtern geschafft worden - waren ausgerannt und feuerbereit, die Bedienungen erwarteten ihre Befehle.

»Geschützführer klar bei Lunten!« kommandierte Hornblower. »Alles andere zurücktreten. Ich befehle eins, zwei, drei. Auf drei wird gezündet. Ist das verstanden?«

Ein kurzes Stimmengewirr bedeutete »jawohl«.

»Ist alles klar? Brennen die Lunten?« Die Geschützführer schwangen ihre Luntenstücke durch die Luft, daß sie so hell wie möglich glühten. »Achtung! Eins - zwei - drei!«

Schon senkten sich die Luntenstücke in die Zündlöcher, und die Geschütze donnerten fast gleichzeitig los. Selbst der unvermeidliche Unterschied der Pulvermenge in den Zündlöchern konnte nicht bewirken, daß die erste und die letzte der fünfzehn Detonationen auch nur eine Sekunde auseinanderlagen. Bush fühlte mit seinem Fuß am Kabel, wie der Rückstoß das Schiff überlegte, die doppelte Ladung in de Rohren hatte diese Wirkung noch erhöht. Der Qualm wirbelte durch das glühend heiße Deck, aber Bush fand jetzt keine Zeit, darauf zu achten. Während des Überholens begann sich das Kabel unter seinem Fuß zu bewegen! Kein Zweifel, es wanderte aus. Das Schiff kam! Schon mußte er seinen Fuß ein Stück weiterrücken. Dann hörte alles ein Klick - das Zeichen, daß am Spill ein Fall gewonnen war. Wieder Klick - Klick. Irgendwo im Pulverdampf brüllte einer hurra, und schon fielen alle anderen ein.

»Ruhe!« schrie Hornblower.

Klick - Klick - Klick, es ging zwar langsam und zögernd, aber das Schiff kam. Das Kabel kroch Zoll um Zoll binnenbords wie ein zu Tode verwundetes Untier aus grauer Vorzeit. Wenn sie es nur in Gang halten konnten! Klick - Klick - Klick, die Pausen dazwischen wurden immer kürzer - auch Bush mußte sich das eingestehen. Rascher und rascher wanderte die schwere Ankertrosse längsdeck.

»Mr. Hornblower, bitte übernehmen Sie hier das Kommando«, sagte Bush und eilte an Oberdeck. Wenn das Schiff frei war, gab es für den Ersten Offizier sofort eine Menge dringender Aufgaben. Die Fallen schienen ein fröhliches Lied aufzuspielen, so lebendig klang ihr Geklapper, während das Spill sich munter weiterdrehte.

Zweifellos gab es an Oberdeck eine Menge zu tun. Vor allem war jetzt sofort eine Reihe von Entscheidungen zu treffen, die durchaus keinen Aufschub duldeten.

»Bitte um Befehle, Sir.«

Buckland warf ihm einen unglücklichen Blick zu.

»Wir haben die Flut verpaßt«, sagte er.

Das war richtig. Zur Zeit mußte gerade Hochwasser sein.

Wenn sie jetzt noch einmal Grund berührten, dann war das Freiwarpen nicht mehr so einfach.

»Jawohl, Sir«, sagte Bush.

Die Entscheidung lag einzig und allein bei Buckland, niemand konnte ihm seine Verantwortung abnehmen. Allerdings war es bitter hart für den Mann, sich eingestehen zu müssen, daß er bei seinem ersten selbständigen Kommando gleich eine Niederlage erlitten hatte. Buckland folgte mit seinem Blick den Ufern der Bucht, als erwartete er von irgendwoher eine Eingebung. Hoch über dem brodelnden Pulverqualm der Batterien wehten hüben und drüben die rotgoldenen Flaggen Spaniens - von dort her kam ihm gewiß keine Erleuchtung.

»Hier kommen wir nur mit der Landbrise wieder heraus«, sagte Buckland.

»Jawohl, Sir.«

Und diese Landbrise dürfte kaum noch lange stehen, fügte Bush in Gedanken hinzu, denn das wußte Buckland schließlich genausogut wie er selbst.

Ein Schuß vom Fort her schlug in diesem Augenblick in die Großrüsten. Es gab einen nervenzerreißenden Krach, dann prasselte ein Hagel von Splittern an Deck. Wieder einmal hörte man den Ruf nach der Feuerlöschpumpe, und darüber fand auch Buckland endlich zu seinem bitteren Entschluß.

»Lassen Sie das Springkabel einhieven«, ordnete er an, »und drehen Sie das Schiff mit dem Bug nach See.«

»Aye, aye, Sir.«

Rückzug - Niederlage, das war der Sinn und Inhalt dieses Befehls. Diesen Rückzug mußte man sich noch dazu ertrotzen.

Auch nachdem der Befehl dazu einmal gegeben war, blieb nämlich noch eine Menge zu tun, ehe das Schiff aus dem Bannkreis drohender Gefahr geborgen war, in dem es sich noch immer befand. Bush wandte sich ab, um seine Befehle zu geben.

»Fest hieven am Spill!«

Das Klappern hörte auf, und die Renown lag frei an ihre Heckanker in dem aufgewühlten Schmutzwasser der Bucht.

Wenn sie sich zurückziehen wollte, mußte sie zuerst der Bucht das Heck zukehren, das heißt, in dieser engen Rinne kehrtmachen, dann erst konnte sie unter Segeln nach See zu ablaufen. Glücklicherweise waren die Vorkehrungen zu diesem Manöver bereits getroffen. Wollte man das Schiff auf engstem Raum umdrehen, dann brauchte man jetzt nur die Bugtrosse einzuhieven, die bis dahin lose zwischen Klüse und Anker gelegen hatte.

»Heckankerkabel los vom Kabelar!«

Alles ging leicht und rasch vonstatten, das Ganze war ja ein altgewohntes Stück Seemannschaft, und da verschlug es wenig, daß die Arbeit im Feuer glühender Kugeln vor sich ging. Die Boote lagen noch bemannt zu Wasser und konnten das arg mitgenommene Schiff zur Not in ihrem Schlepp in Sicherheit bringen, wenn die launische Brise vorzeitig schlafen ging. Der Bug der Renown schwang unter dem Zug des Bugkabels langsam herum, als das Spill daran zu hieven begann. Obgleich der Wind allmählich zu einer drückenden Flaute erstarb, wuchs von Minute zu Minute die Aussicht, doch noch dem Schußbereich jener verfluchten Küstenartillerie zu entkommen.

Während sich das Schiff unter dem Zug des Spills noch Meter für Meter auf seinen Anker zu bewegte, sagte sich Bush, daß diese einmal eingeleitete Bewegung auf keinen Fall zum Stillstand kommen durfte. Er trat wieder grüßend zu Buckland heran.

»Soll ich gleich bis vor die Bucht weiterwarpen?«

Buckland stand am Kompaßhaus und starrte geistesabwesend auf das Fort. Der Mann war alles andere als feige - das lag auf der Hand -, aber der Schock der Niederlage und die Aussicht auf ein schwarzes persönliches Schicksal hielten ihn offenbar noch so in Bann, daß er keinen logischen Gedanken fassen konnte.

Erst Bushs Frage riß ihn in die Gegenwart und ihre drängenden Probleme zurück.

»Ja«, sagte Buckland, und Bush ging sofort ans Werk. Er war glücklich, endlich eine nützliche Arbeit leisten zu können, die er von Grund auf verstand.

Ein zweiter Anker mußte Backbord vorn abgesetzt werden, ein zweites Kabel wurde aus der Last geholt. James, der das Kommando über die Boote hatte, seit Roberts gefallen war, wurde durch Zuruf von dem neuen Manöver unterrichtet und zugleich unter den Bug befohlen, damit der Anker an seine Barkaß gehängt werden konnte. Das war der kniffligste Teil des ganzen Unternehmens. Dann legten sich die Barkaßgäste in die Riemen, ihr Boot lag unter dem Gewicht des hinter dem Spiegel hängenden Ankers bis an die Reling im Wasser und schleppte obendrein das schwere Ankerkabel nach, das vom Schiff aus nachgesteckt wurde. Zum eintönigen Geklapper des Spills kroch jetzt die Renown Meter um Meter bis an ihren ersten Anker. Als dessen Trosse auf- und niederzeigte, erhielt James, der jetzt mit seiner Barkaß schon weit vor dem Schiff herfuhr, durch Schwenken einer Flagge den Befehl, seinen Anker fallen zu lassen und unter den Bug zurückzukehren, um hier den Stromanker in Empfang zu nehmen, der eben vollends gelichtet wurde. Von diesem Anker mußte vorher das Heckkabel abgesteckt werden, das seinen Dienst getan hatte, so daß es nunmehr eingeholt werden konnte. Zugleich wurde der Zug des Spills von dem einen Kabel auf das andere übertragen, und außerdem erhielten die beiden Kutter Leinen zugeworfen, damit auch sie ihr bescheidenes Teil zu der großen Aufgabe beitragen konnten, das schwere Schiff voranzuschleppen. Wenn sie es auch nur kaum bemerkbar zu bewegen vermochten, so war dieser Beitrag dennoch wertvoll, da es jetzt vor allem darauf ankam, die Renown außer Schußweite zu bringen.

Unter Deck war Hornblower an der Arbeit, die Geschütze wieder nach vorn zu schaffen, die er vorher achteraus gebracht hatte. Das Rumpeln und Quietschen der Lafettenräder war durch das ganze Schiff zu hören und übertönte sogar das eintönig Klicken des Spills. Dazu brannte die Sonne erbarmungslos vom Himmel und weichte das Pech in den Nähten auf, während das große Schiff mühsam Meter um Meter, Kabellänge um Kabellänge über die glitzernde, stille Wasserfläche dem Ausgang der Bucht von Samana näher kroch, um den glühenden Kugeln zu entgehen. Endlich war es soweit, sie waren endgültig außer Reichweite der Landbatterien, den Männern war eine kurze Pause vergönnt, damit sie ihren kümmerlichen halben Liter warmen, stinkenden Wassers trinken konnten, ehe sie wieder an ihre schwere Arbeit gingen. Es galt, die Toten zu bestatten, die Schäden auszubessern und mit dem Bewußtsein der erlittenen Niederlage fertig zu werden. So mancher mochte sich fragen, ob nicht der böse Geist des Kommandanten immer noch umging, obwohl er ein armer hilfloser Narr war.