5. Kapitel

Am nächsten Morgen herrschte beim gemeinsamen Frühstück in der Messe eine recht gedrückte Stimmung. Die Unentschlossenheit des Ersten Offiziers lastete schwer auf allen Offizieren, außerdem war sich jeder der furchtbaren Folgen bewußt, die eine voreilige Dienstenthebung des von König und Parlament bestallten Kommandanten auch für ihn persönlich nach sich ziehen konnte.

Aber die Entscheidung lag allein bei Buckland, der bleich, hohlwangig und unrasiert in ihrer Mitte saß und schweigend vor sich hinstarrte. Er hörte sich an, was Clive auf die drängenden Fragen der anderen über den Zustand des Kommandanten zögernd und vorsichtig von sich gab:

»Was soll ich sagen?« meinte er, »er hat eine Gehirnerschütterung erlitten. Die Schädeldecke ist heil geblieben, aber die Kopfhaut weist einen langen Riß auf. Das Nasenbein ist gebrochen, außerdem das Schlüsselbein und einige Rippen.«

»Kann er sich denn an den Unfall erinnern?« fragte Lomax, der Zahlmeister.

»Nein«, sagte Clive. »Amnesie ist in solchen Fällen die Regel, man kann sie fast als Symptom bezeichnen.«

Man konnte fast spüren, wie nach dieser Auskunft alles erleichtert aufatmete. Jetzt endlich raffte sich Buckland zu der entscheidenden Frage auf:

»Sagen Sie, Mr. Clive, halten Sie den Kommandanten für dienstfähig?«

»Nein, Sir«, antwortete der Schiffsarzt und schränkte dann vorsichtig ein: »Für die nächste Zeit nicht.«

Das war das erlösende Wort. Jetzt wurde auch Hornblower lebendig, der der Unterhaltung bisher stumm und mit verschlossener Miene gefolgt war. Er tat alles, um Buckland den schweren Entschluß zu erleichtern:

»Ich habe hier Korporal Greenwoods Aussage, Sir«, sagte er und wies auf das Dokument, das vor ihm auf dem Tisch lag.

Dann fuhr er fort: »Beide Wachen sind im Augenblick ohnehin an Deck, das wäre die beste Gelegenheit, die Mannschaft zu unterrichten.« Als Buckland immer noch schwieg, fragte er ihn fast flehend: »Alle Mann achteraus, Sir?«

»Ja«, sagte Buckland endlich und stürzte sich damit verzweifelt in das große Abenteuer.

Wahrscheinlich gab es unter der Besatzung so manchen, der mit gemischten Gefühlen von dem Wechsel im Kommando Kenntnis nahm, aber das war die geringere Sorge. Viel bedrückender war der Gedanke an den Geheimbefehl, der immer noch im Schreibtisch des Kommandanten ruhte. Sollte er ihn kurzerhand öffnen und ausführen? Oder sollte er das Schiff einfach zu Admiral Blickertons Geschwader nach Antigua bringen und alles Weitere dem Geschwaderchef überlassen?

Dieses Entweder-Oder lastete auf Buckland wie ein Alptraum, den er nicht abschütteln konnte.

Später am Tage wurden alle Mitglieder der Offiziersmesse einzeln in die Kajüte geführt, damit sie sich mit eigenen Augen von dem jammervollen Zustand des Kommandanten überzeugen konnten. Das Gesicht des schwerverletzten Mannes war fas ganz mit Binden bedeckt, man sah, daß sich die Finger der einen Hand ein bißchen bewegten, die andere lag verborgen in einer Schlinge. Der Arme bot wirklich einen bemitleidenswerten Anblick.

Als Clive am nächsten Morgen seine gebrochene Nase zu behandeln versuchte, geriet er völlig außer Rand und Band, schrie wie am Spieß und warf sich so heftig in seiner Koje herum, daß man ihn zur Schonung seiner anderen Knochenbrüche in eine Art Zwangsjacke aus Segeltuch schnüren mußte. Laudanum und ein kräftiger Aderlaß raubten ihm das Bewußtsein. Als er nach geraumer Zeit wieder zu sich kam, besuchte ihn Bush und fand statt eines Mannes einen armen elenden Wicht, der wie ein Kind vor sich hinweinte und angsterfüllt vor jedem Menschen sein Gesicht verbarg.

»Es kommt oft vor«, dozierte Clive - je länger der Zustand des Kommandanten währte, desto offener sprach er sich darüber aus -, »daß eine Verletzung, ein Sturz, eine Verbrennung oder ein Knochenbruch einen geistig an sich schon etwas labilen Menschen vollends aus dem Gleichgewicht bringt.«

Während in der Einsamkeit der Kajüte ein kranker Mann seinem Schicksal entgegenging, hielt in den Decks der Renown ein neuer Geist seinen Einzug. In dem veränderten Ton, der jetzt in der Offiziersmesse herrschte, gab sich dieser Wandel am deutlichsten kund.

»Jetzt können wir unsere Männer endlich zu guten Seeleuten erziehen«, meinte Carberry, der Obersteuermann bei Tisch, und die Genugtuung, die aus seinen Worten klang, fand bei allen Offizieren lebhaften Widerhall.

»Wir haben nur nicht mehr viel Zeit dazu«, meinte Hornblower. »Wenn die Besatzung gegessen hat, will ich gleich mit meinen Geschützbedienungen in der Unterbatterie noch ein wenig exerzieren.«

Als Bush das hörte, ertappte er sich wieder einmal dabei, da er zu dem um so viel Jüngeren mit Achtung, ja mit Bewunderung aufsah, statt wohlwollend auf ihn herabzublicken, wie es sich nach der Überlieferung in der Navy für den Älteren gehörte. War er womöglich auch schon von jener üblen Mode der Gleichmacherei angesteckt, die sich von Frankreich aus über die ganze Welt zu verbreiten schien? Bei diesem Gedanken stieg Bush die Hitze zu Kopf, er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum, aber es wollte ihm nicht gelingen, Ordnung in seine Gefühle zu bringen.