12. Kapitel

Drei Offiziere saßen in dem Raum, der früher das Kommandantenzimmer des Forts Samana gewesen war und den man insofern auch jetzt noch so nennen konnte, als Bush von hier aus das Kommando über die Befestigung weiterführte. In einer Ecke stand ein Bett unter einem Moskitonetz, ihm gegenüber saßen jetzt Buckland, Bush und Hornblower in lederbezogenen Sesseln. Von einem Balken an der Decke hing eine Lampe herab, die das Zimmer mit beißendem Gestank erfüllte und ihren Schein auf die schweißnassen Stirnen der drei Männer warf. Die Luft war hier noch heißer und dumpfer als an Bord, aber man brauchte hier wenigstens nicht dauernd daran zu denken, daß auf der anderen Seite des Schotts ein wahnsinniger Kommandant lag.

»Ich zweifle keinen Augenblick daran«, sagte Hornblower »daß Villanueva den Oberst Ortega nicht nur hierhersandte, um über die Gefangenen zu verhandeln, sondern daß er ih außerdem den Auftrag gab, wegen diese Räumungsangelegenheit bei uns vorzufühlen.«

»Woher wollen Sie das so sicher wissen?« meinte Buckland.

»Bitte, Sir, versetzen Sie sich einmal in die Lage Ortegas.

Würden Sie es wagen, auch nur ein Wort über eine Frage von solcher Bedeutung zu verlieren, wenn Sie keinen Auftrag dazu hätten? Wenn es Ihnen nicht ausdrücklich befohlen wäre, Sir?«

»Nein, das käme natürlich nicht in Frage«, sagte Buckland.

Niemand, der Buckland kannte, hätte bezweifelt, daß er damit die Wahrheit sprach, darum fühlte er sich jetzt auch völlig überzeugt.

»Also dachte Villanueva sofort daran, zu kapitulieren, als er erfuhr, daß wir dieses Fort hier genommen hatten und daß er die Renown nicht mehr daran hindern konnte, in der Bucht zu ankern. So müssen die Dinge stehen, Sir, eine andere Erklärung scheint es nicht zu geben.«

»Sie mögen recht haben«, sagte Buckland zögernd.

»Wenn er aber bereit ist, mit uns über eine Kapitulation zu verhandeln, dann ist er entweder ein Feigling, Sir, oder aber er befindet sich in einer ernsten Gefahr.«

»Na, na...«

»Für uns ist es ganz unwichtig, Sir, welche dieser beiden Möglichkeiten zutrifft und ob die Gefahr echt oder nur eingebildet ist, da es uns ausschließlich darauf ankommt, bei diesem Handel möglichst viel herauszuschlagen.«

»Sie reden ja wie der schlimmste Winkeladvokat«, sagte Buckland.

Er sah sich durch Hornblowers Logik zu einem folgenschweren Entschluß gedrängt, gegen den er sich trotz allem innerlich heftig sträubte. In seinem Zwiespalt entfuhr ihm unversehens dieser beleidigende Vergleich.

»Ich bitte um Entschuldigung, Sir«, sagte Hornblower, »wen ich Ihnen nicht die gebührende Achtung entgegenbrachte. Meine Zunge ist mir wieder einmal durchgegangen. Natürlich liegt es nur bei Ihnen, Sir, zu entscheiden, was Ihnen die Pflicht zu tun gebietet.«

Bush bemerkte wohl, wie das bloße Wort Pflicht Buckland den Nacken steifte.

»Was meinen Sie also, was hinter diesem ganzen Manöver steckt?« fragte Buckland. Vielleicht wollte er damit nichts anderes als Zeit zum Nachdenken gewinnen, immerhin erhielt Hornblower dadurch Gelegenheit, seine Ansicht über die Lage weiterzuentwickeln.

»Villanueva hält dieses Ende der Insel seit Monaten gegen die Aufständischen, Sir. Wir wissen nicht, wie groß das Gebiet ist, das er einstweilen noch beherrscht, aber wir können leicht erraten, daß es sich nicht allzu weit ins Innere erstreckt, vielleicht nur bis zum Kamm der Berge, dort jenseits der Bucht Wahrscheinlich leidet er unter bitterem Mangel an allen möglichen Dingen: Pulver, Blei, Flintsteinen, Schuhen und so weiter.«

»Nach dem Zustand unserer Gefangenen zu urteilen ist das richtig, Sir«, warf Bush ein. Es wäre schwierig gewesen, nachträglich festzustellen, welche Gründe ihn dazu veranlaßten, sich mit dieser Bemerkung an dem Gespräch der beiden anderen zu beteiligen, vielleicht kam es ihm wirklich nur darauf an, der Wahrheit um ihrer selbst willen zu dienen. »Das kann schon sein«, sagte Buckland.

»Seit Sie angekommen sind, Sir, ist er völlig von der See abgeschnitten. Dadurch ist seine Lage erst recht unhaltbar geworden. Er weiß ja nicht, wie lange wir hier bleiben wollen, weil er Ihre Befehle nicht kennt.«

»Kennst du sie denn?« dachte Bush mit einem Blick auf Hornblower, während Buckland auf die Anspielung mit sichtlicher Unruhe reagierte. »Sprechen wir nicht von de Befehl«, sagte er.

»Villanueva sieht sich, wie gesagt, abgeschnitten, seine Vorräte schrumpfen zusammen. Wenn er die Dinge so weiterlaufen läßt, muß er eines Tages doch kapitulieren. Darum nimmt er lieber jetzt gleich Verhandlungen auf, solange er sich noch halten kann, solange er noch etwas in die Waagschale zu werfen hat, als daß er damit bis zum letzten Augenblick wartet und schließlich zur bedingungslosen Übergabe gezwungen ist.«

»Das leuchtet mir ein«, sagte Buckland.

»Dazu kommt, daß er sich lieber uns in die Hände gibt als den Schwarzen«, schloß Hornblower seine Beweisführung.

»Ja, das ist sicher«, sagte Bush. Jedermann hatte von den Schrecken des Sklavenaufstands gehört, der diese unglückliche Insel schon seit acht Jahren mit Mord und Brand verwüstete. Die drei Männer saßen eine Weile schweigend und ließen sich Hornblowers letzte Bemerkung durch den Kopf gehen. »Also gut«, sagte Buckland endlich, »hören wir uns den Mann an.«

»Soll ich ihn hereinbringen, Sir? Er wartet schon recht lange.

Ich könnte ihm die Augen verbinden.«

»Ach, tun Sie, was Sie wollen«, sagte Buckland mit einer müden Geste. Aus der Nähe und nachdem ihm das Taschentuch von den Augen genommen worden war, sah Oberst Ortega wesentlich jünger aus, als man von weitem angenommen hatte.

Er war sehr schlank gewachsen und zeigte auch in seiner zerschlissenen Uniform noch Haltung und vornehme Lebensart.

Ein Muskel seiner linken Wange zuckte ununterbrochen auf und ab. Buckland und Bush erhoben sich langsam von ihren Plätzen, als ihnen Hornblower den Spanier vorstellte.

»Oberst Ortega gibt an, er spreche kein Englisch«, sagte Hornblower. Er legte nur die leiseste Betonung auf die Wort »gibt an«, sein Blick ruhte nur um einen Herzschlag länger auf den beiden Vorgesetzten, als er es aussprach, aber sie mußten die Warnung verstanden haben.

»Gut, fragen Sie ihn, was er wünscht«, sagte Buckland.

Der Gedankenaustausch in spanischer Sprache nahm einen steifen, förmlichen Verlauf. Die einleitenden Worte beider Kontrahenten nahmen sich aus wie ein vorsichtiges Kreuzen der Waffen, bei dem jeder die Schwächen des Gegners zu entdecken, die eigenen zu verbergen suchte. Dann aber trat ein Wechsel in der Tonart ein; der Augenblick konnte sogar Bush nicht entgehen, obwohl er kein Wort der Unterhaltung verstand.

Offenbar war man mit den unverbindlichen Redensarten zu Ende und begann nun die konkreten Vorschläge zu erörtern.

Ortega gab sich dabei, als hätte er Gnaden zu verteilen, und Hornblower hatte alle Mühe, darzutun, daß er sich keine Gnaden wünschte. Am Ende wandte er sich in englischer Sprache an Buckland: »Er hat uns formulierte Kapitulationsbedingungen vorzulegen«, sagte er.

»Was schlägt er vor?«

»Bitte, lassen Sie sich nicht anmerken, was Sie davon halten, Sir. Er verlangt freien Abzug für die ganze Truppe, Schiffe, Mannschaften, zivile Angehörige und möchte Geleitbriefe für die Schiffe von hier nach einer anderen spanischen Besitzung - it anderen Worten nach Kuba oder Puerto Rico. Als Gegenleistung will er uns alles, was zurückbleibt, unbeschädigt übergeben: die militärischen Vorratslager, die Batterie auf der anderen Seite, kurzum alles.«

»Aber...« Buckland mußte sich alle Mühe geben, seine Gefühle nicht zu verraten.

»Ich habe bis jetzt nichts Erwähnenswertes dazu geäußert, Sir«, sagte Hornblower.

Ortega war dem Gespräch der beiden Offiziere mit größter Spannung gefolgt. Jetzt wandte er sich stolz erhobenen Hauptes von neuem an Hornblower. Seine Worte hatten einen leidenschaftlichen Klang, aber dann unterstrich er eine seiner Bemerkungen mit einer Geste, die zu der Würde seiner Haltun seltsam kontrastierte - er fuhr sich mit der Hand in einer Art an den Hals, daß man unwillkürlich an einen Menschen dachte, der sich übergab.

»Er sagt, wenn wir nicht auf seine Bedingungen eingingen, dann würde bis zum letzten Mann gekämpft«, verdolmetschte Hornblower. »Man könnte sich darauf verlassen, daß der spanische Soldat lieber in den Tod ginge, als daß er seine Ehre verspiele. Er meint, wir könnten ihnen nichts Schlimmeres antun, als es bereits geschehen sei, wir hätten, mit anderen Worten, unser Pulver an ihnen verschossen. Uns auf der Insel festzusetzen und ihn auszuhungern, könnten wir nämlich nicht riskieren, weil uns das gelbe Fieber - il vomito negro - drohe, Sir.«

In der Aufregung der letzten Tage hatte Bush überhaupt nicht an diese Gefahr gedacht. Jetzt hatte er selbst das Gefühl, daß er bei ihrer plötzlichen Erwähnung ein besorgtes Gesicht machte, und bemühte sich eilends, wieder eine recht gleichgültige Miene aufzusetzen. Ein Seitenblick auf Buckland zeigte ihm, daß auch dessen Ausdruck diese Wandlung durchmachte. »Ich verstehe«, sagte Buckland.

Es war nicht auszudenken! Wenn auf der Renown das gelbe Fieber ausbrach, dann hatte das Schiff vielleicht schon binnen einer Woche nicht mehr genug Leute zum bloßen Bedienen der Segel.

Ortega begann mit einem neuen leidenschaftlichen Redeschwall, und Hornblower übersetzte weiter.

»Er sagt, seine Truppen hätten ihr ganzes Leben hier zugebracht und bekämen daher das gelbe Fieber nicht so leicht wie unsere Leute, viele von ihnen hätten es schon gehabt und seien dagegen immun. Auch er hätte es schon gehabt, Sir.«

Bush erinnerte sich, wie heftig Ortega dazu an seine Brust geschlagen hatte. »Die Schwarzen hielten uns Engländer für ihre schlimmsten Feinde, meint er, und daran seien die Ereignisse i Dominica schuld. Er könnte sich leicht mit ihnen gegen uns verbünden, dann würde schon morgen eine schwarze Armee gegen das Fort hier anrücken. Aber erwecken Sie bitte nicht den Anschein, als ob wir ihm das glaubten, Sir.«

»Da soll der Teufel weiterkommen«, schimpfte Buckland voll Zorn. Er versuchte vergebens, sich zu besinnen, was denn in Dominica vorgefallen war. Geschichte - auch die zeitgenössische - war nicht seine starke Seite. Wieder sprach Ortega.

»Er sagt, das sei sein letztes Wort, Sir, er hätte einen verständigen Vorschlag gemacht und ließe sich kein Jota davon abhandeln. Ich möchte vorschlagen, daß Sie ihn jetzt wegschicken, nachdem Sie alles von ihm gehört haben, und ihm sagen, daß er morgen Ihre Antwort erfahren werde.«

»Ja, gut.«

Jetzt waren wieder feierliche Reden auszutauschen, Ortegas Verbeugungen waren so höflich und formvollendet, daß Buckland und Bush trotz allen Widerstrebens nicht umhin konnten, sie stehend entgegenzunehmen und nach bestem Können zu erwidern. Hornblower verband Ortega von neuem mit einem Taschentuch die Augen und führte ihn hinaus.

»Was halten Sie von dieser Sache?« sagte Buckland zu Bush.

»Ich möchte mir erst alles gründlich durch den Kopf gehen lassen, Sir«, gab Bush zur Antwort.

Als Hornblower wieder hereinkam, steckten sie bereits tief in der Erörterung aller Gründe und Gegengründe. Er blickte erst den einen, dann den anderen an und wandte sich schließlich an Buckland. »Werde ich heute abend noch benötigt, Sir?«

»Weiß der Teufel, ja! Ich möchte, daß Sie hierbleiben, weil Sie mehr über diese Degos wissen als wir beide. Was halten Sie von dem ganzen Kram?«

»Er wußte seine Sache recht gut zu begründen, Sir.«

»Sehen Sie, das finde ich auch«, sagte Buckland, sichtlich erleichtert.

»Können wir den Kerlen nicht doch noch irgendwie Daumenschrauben ansetzen, Sir?« meinte Bush. Wenn ihm auch selbst keine andere Möglichkeit einfiel, so war er doch von Natur aus viel zu mißtrauisch, um sich ohne weiteres auf einen Handel einzulassen, den so ein Ausländer vorschlug, ganz gleich, wie verlockend er sich auch ausnahm.

»Wir könnten das Schiff in die Bucht hineinbringen«, meinte Buckland, »aber das Fahrwasser ist schwierig, das haben wir ja gestern erlebt.«

Mein Gott, war es wirklich erst gestern gewesen, daß die Renown versucht hatte, diese Passage unter einem Hagel glühender Kugeln zu erzwingen? Buckland hatte einen friedlichen Tag hinter sich, darum mutete ihn das Wor »gestern« wohl nicht so seltsam an.

»Außerdem haben wir immer noch das Feuer der Batterie drüben auf der anderen Seite in Kauf zu nehmen«, fuhr Buckland fort, »auch wenn diese hier in unserer Hand ist.«

»Wenn wir uns dicht an unserer Seite halten, Sir«, versuchte Bush einzuwenden, »sollten wir uns eigentlich daran vorüberdrücken können.«

»Und wenn wir ungeschoren vorbeikommen, was dann? Die anderen haben ihre Schiffe wieder tief in die Bucht hineingewarpt - und diese Schiffe haben sechs Fuß weniger Tiefgang als wir. Wenn sie ein bißchen Verstand haben, leichtern sie sie jetzt noch gründlich, so daß sie sie weiter über flaches Wasser warpen können. Stellen Sie sich vor, wie dumm wir uns vorkommen, wenn wir uns da hineinbemühen, um am Ende zu erleben, daß sie für unsere Geschütze unerreichbar sind.

Dann bliebe uns nichts anderes übrig, als wieder auszulaufen, vielleicht gar unter feindlichem Feuer! Das gäbe ihnen so viel Oberwasser, daß sie nachträglich noch die Bedingunge verwerfen würden, die uns der Bursche da eben gemacht hat.«

Buckland schien allein die Vorstellung aufzuregen, er könnte womöglich noch einen zweiten erfolglosen Vorstoß zu melden haben.

»Jawohl, das muß ich zugeben«, sagte Bush ganz kleinlaut.

»Lassen wir uns auf die Bedingungen ein«, sagte Buckland, der sich sichtlich für diesen Gedanken erwärmte, »dann spielen wir den Schwarzen diesen ganzen Teil der Insel in die Hand.

Von da an kann diese Bucht nicht mehr von Kaperschiffen angelaufen werden. Die Neger selbst haben keine Schiffe und könnten sie nicht bemannen, wenn sie sie hätten. Das heißt: Wir hätten unseren Befehl ausgeführt. Nun, Mr. Hornblower, stimmt das nicht?«

Bush wandte den Blick zu dem Angeredeten. Hornblower hatte schon am Morgen todmüde ausgesehen und war den ganzen Tag über fast nicht zur Ruhe gekommen. Jetzt wirkten seine Züge natürlich erst recht abgespannt, seine Augenlider waren vor Überanstrengung gerötet.

»Es gibt vielleicht doch ein Mittel, ihnen die Daumenschrauben anzusetzen, Sir«, sagte er.

»Und wie wollten Sie das erreichen?«

»Es wäre ein gewagtes Unternehmen, die Renown in den inneren Teil der Bucht zu bringen. Aber vielleicht können wir die Kaperschiffe hier von der Halbinsel aus trotzdem unter Feuer nehmen, wenn Sie die entsprechenden Anordnungen geben.«

»Herr Gott noch mal, was ist das nun wieder?« entfuhr es Bush.

»Und was für Befehle sollte ich da geben?« fragte Buckland.

»Wenn es uns gelingt, nahe dem Beginn oder der Basis dieser Halbinsel ein Geschütz in Stellung zu bringen, dann liegt das innere Ende der Bucht in unserem Feuerbereich, Sir. Dort hätte wir es nicht einmal nötig, die Kugeln glühend zu machen, weil wir den ganzen Tag Zeit haben und sie in aller Ruhe in Stücke schießen können, ganz gleich, wie oft sie ihren Ankerplatz verlegen.«

»Weiß Gott, Sie haben recht«, sagte Buckland, dessen Gesichtsausdruck sich sichtlich belebte. »Würden Sie es auf sich nehmen, eines der Geschütze aus dem Fort dorthin zu bringen?«

»Ich habe darüber nachgedacht, Sir, und muß leider sagen, daß das nicht ohne weiteres zu machen ist - zum mindesten nicht schnell. Diese Vierundzwanzigpfünder wiegen zweieinhalb Tonnen und sind auf Festungslafetten montiert. Pferde haben wir nicht zur Verfügung, wie aber sollten wir sie sonst über alle die Wasserläufe wegbringen und vier Meilen, wenn nicht mehr, transportieren? Hundert Mann würden dazu nicht ausreichen.«

»Ja, Donnerwetter!« fuhr Buckland auf. »Was hat es dann für einen Zweck, überhaupt davon anzufangen?«

Wir brauchen ja nicht unbedingt ein Geschütz aus dem Fort zu nehmen, Sir«, sagte Hornblower. »Eins von Bord würde den gleichen Dienst leisten, zum Beispiel einer der langen Neunpfünder, die wir als Buggeschütze haben. Die langen Rohre tragen fast ebenso weit wie die kurzen Vierundzwanziger.«

»Aber wie bekommen wir die Kanone hin?«

Bush war bereits im Bilde, ehe Hornblower mit seiner Antwort begann. »Lassen Sie sie in die Barkaß verladen, Sir, geben Sie die nötigen Taljen und Trossen mit und schicken Sie sie ungefähr dorthin, wo wir gestern gelandet sind. Dort fällt das Kliff steil zum Wasser ab, und es finden sich überall dicke Bäume, an denen wir die Trossen festmachen können. So dürfte es gar nicht schwer sein, das Geschütz schwebend auf die Höhe zu bringen. Diese Neunpfünder wiegen ja nur eine Tonne.«

»Das weiß ich«, warf Buckland in gereiztem Ton ein.

Ein unerwarteter Vorschlag war nicht so schwer anzubringe - wollte man dagegen einem alten Offizier Dinge erzählen, die er sich längst an den Schuhsohlen abgelaufen hatte, dann machte man sich offenbar weniger beliebt.

»Gewiß, Sir. Aber wenn wir diesen leichten Neunpfünder erst einmal oben auf dem Kliff haben, dann wird es verhältnismäßig einfach sein, ihn über den Höhenrücken der Halbinsel hinwegzuschaffen, so daß wir die innere Bucht unter Feuer nehmen können. Irgendwelche Gräben oder Rinnen wären dort nicht zu passieren. Eine halbe Meile bergauf - nicht einmal besonders steil, Sir -, und es wäre geschafft.«

»Und was würde sich Ihrer Meinung nach daraus ergeben?«

»Wir könnten diese Schiffe unter Feuer nehmen, Sir. Nur mit einem Neunpfünder, gewiß, aber diese leichten Schoner halten nicht viel aus, und wenn wir zwölf Stunden lang Schuß um Schuß auf sie abgeben, dann sind sie auf alle Fälle zu Wracks zersplittert. Vielleicht brauchen wir nicht einmal so lange dazu.

Ich nehme an, daß wir sogar die Kugeln glühend machen könnten, wenn wir wollten, aber notwendig wird es nicht sein.

Wahrscheinlich brauchen wir überhaupt nur das Feuer zu eröffnen, Sir.«

»Wie kommen Sie zu dieser Ansicht?«

»Die Dons setzen diese Schiffe auf keinen Fall aufs Spiel, Sir.

Ortega redete zwar große Töne über ein Bündnis mit den Schwarzen, aber in Wirklichkeit glaubt er ja selbst nicht an das, was er da sagt, Sir. Die Neger warten ja nur auf eine Gelegenheit, um jedem Weißen, der in ihre Hände fällt, die Gurgel abzuschneiden. Und, verzeihen Sie, Sir, ich finde, sie haben damit nicht einmal so unrecht.«

»Hm, meinen Sie?«

»Es ist bestimmt so, Sir. Diese Schiffe bieten den Dons die einzige Möglichkeit zu entkommen. Wenn sie sehen, daß wir sie ihnen versenken, dann bekommen sie einen tödlichen Schreck, denn das hieße für sie, daß sie sich den Schwarzen auf Gnad und Ungnade ausliefern müssen, wenn sie nicht alle - Männer wie Frauen - umkommen wollen. Ich glaube, Sir, da ziehen sie es doch wohl vor, sich in unsere Hände zu geben.«

»Weiß Gott, das glaube ich auch«, sagte Bush.

»Meinen Sie wirklich, man könnte sie auf diese Art dazu bringen, von ihrem hohen Roß herabzusteigen?«

»Jawohl, Sir, ich könnte mir das denken. Wahrscheinlich wären Sie dann in der Lage, Ihre Bedingungen zu stellen: Bedingungslose Übergabe für alle Soldaten.«

»Das haben wir schon zu Anfang festgestellt«, sagte Bush.

»Wenn sie schon die Waffen strecken müssen, dann tun sie das immer noch lieber vor uns als vor den Schwarzen.«

»Sie könnten ihnen in einigen Punkten entgegenkommen«, schlug Hornblower vor, »um ihre Gefühle zu schonen. Zum Beispiel könnten Sie sich damit einverstanden erklären, daß ihre Frauen von uns nach Kuba oder Puerto Rico gebracht werden, wenn sie das wünschen. Darum könnten Sie dennoch in allen wichtigen Punkten festbleiben. Vor allem müssen die Schiffe als unsere Prisen gelten.«

»Prisen! Weiß Gott, daran hatte ich noch gar nicht gedacht«, rief Buckland.

Prisen bedeuteten Prisengelder, und als Kommandant stand ihm natürlich der Löwenanteil daran zu. Aber das war noch nicht alles - das Geld war vielleicht sogar der kleinste Vorteil, viel wichtiger war, daß solche Prisen im Triumph in den Hafen gebracht wurden und darum einen weitaus größeren Eindruck hinterließen, als die ruhmreichsten Nachrichten von Gefechten und Versenkungen, die außerhalb des Gesichtskreises der hohen Vorgesetzten stattgefunden hatten. Und dann: das Wor »bedingungslose Kapitulation« allein klang unbedingt nach etwas Endgültigem, ein für alle Male Erledigtem, es war an und für sich schon ein Beweis, daß der Sieg nicht vollständiger sein konnte.

»Nun, was sagen Sie zu diesem Plan, Mr. Bush?« fragte Buckland.

»Ich meine, man könnte es damit versuchen, Sir«, sagte Bush.

Er hatte sich darein gefunden, Hornblower so zu nehmen, wie er war. Der Mann warf einen mit seiner Tatkraft und seinem Feuerwerk von Einfällen ganz einfach über den Haufen, so daß einem am Ende nicht viel anderes übrigblieb, als ihm zu folgen.

Und doch steckte hinter Bushs Verhalten neben bloßer Resignation auch ein gerüttelt Maß ehrlicher Bewunderung.

Bush war nämlich ein grundanständiger Mensch und kannte keine unlauteren Motive. Die kluge Umsicht, mit der Hornblower seinen Vorgesetzten behandelte, hatte ihren Eindruck auf ihn nicht verfehlt, und er beneidete den Jüngeren im stillen um den Takt, den er dabei entwickelt hatte. Bush war auch ehrlich genug, sich zuzugeben, daß er sich wohl innerlich heftig dagegen gesträubt hatte, Ortegas Bedingungen anzunehmen, aber dennoch gar nicht auf den Gedanken gekommen war, auf ihre Änderung hinzuarbeiten, indes Hornblower dieses Ziel sofort ins Auge faßte. Logischerweise kam er zu dem Schluß, daß Hornblower ein Offizier von ganz hervorragenden Qualitäten war. Bush selbst hatte sich nie etwas auf seine Qualitäten eingebildet, in diesem Augenblick hatte er auch noch den letzten Schritt getan und den heimlichen Argwohn überwunden, den er gegen solche »Leuchten« fast gewohnheitsmäßig hegte. Er zwang sich dazu, seine Zurückhaltung hintanzusetzen und unzweideutig für den jungen Hornblower einzutreten.

»Ich glaube, daß Mr. Hornblower volles Vertrauen verdient«, sagte er.

»Gewiß«, sagte Buckland. Die leise Überraschung, die in seinem Ton zum Ausdruck kam, schien jedoch anzudeuten, daß er doch nicht so ganz daran glaubte. Jedenfalls hielt er es für richtig, diesem Thema nicht weiter nachzugehen.

»Wir wollen morgen früh mit dem Manöver beginnen«, fuh er fort. »Ich will die beiden Barkassen zu Wasser bringen, sobald die Leute gefrühstückt haben. Gegen Mittag... na, was ist denn, Mr. Hornblower, wollten Sie etwas sagen?«

»Sir...«

»Los, heraus damit!«

»Ortega kommt morgen früh wieder, um unsere Entscheidung zu hören, Sir. Ich nehme an, daß er bei Hellwerden, oder doch nicht viel später, aufsteht. Er wird etwas frühstücken, vielleicht ein paar Worte mit Villanueva sprechen und dann zu uns herüberfahren. Bis acht Glasen kann er hier sein, höchstens etwas später...«

»Was geht es uns an, wann dieser Ortega frühstückt? Worauf wollen Sie mit all dem Zeug denn eigentlich hinaus?«

»Nehmen wir an, Sir, Ortega erscheint hier um zwei Glasen am Vormittag (also um 9 Uhr). Wenn er sieht, daß wir keine Minute Zeit verloren haben, wenn ich ihm sagen kann, daß Sie seine Bedingungen von Anfang bis zu Ende zurückweisen, Sir, wenn wir ihm vor allem aufgefahrene Geschütze zeigen können und ihm sagen, daß wir in einer Stunde das Feuer auf seine Schiffe eröffnen, sofern er nicht bedingungslos kapituliert, dann macht das einen viel größeren Eindruck auf den Mann.«

»Das ist wohl richtig, Sir«, sagte Bush.

»Verzichten wir auf diesen Vorteil, dann werden sich die weiteren Verhandlungen als bedeutend schwieriger erweisen, Sir. Sie müssen dann entweder von neuem auf Zeitgewinn bedacht sein, bis das Geschütz in Stellung ist, oder Sie müssen mit Drohungen operieren. Ich werde ihm also dann sagen müssen: Wenn Sie nicht ja sagen, dann werden wir ein Geschütz dort oben hinaufbringen, und so weiter. In jedem Fall geben Sie ihm gerade das, was er am dringendsten braucht, nämlich Zeit.

Vielleicht genügt sie ihm, auf einen anderen Ausweg aus seiner Lage zu sinnen, vielleicht verschlechtert sich inzwischen das Wetter, es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß ein Zyklo heranzieht. Aber wenn er gleich von vornherein sieht, daß wir nicht mit uns spaßen lassen, Sir...«

»Das ist sicher die beste Art, diese Kerle zu behandeln«, sagte Bush.

»Auch wenn wir schon mit Tagesanbruch beginnen...«, sagte Buckland. Erst als er mit seinem Satz so weit gekommen war, fiel ihm ein, daß es ja noch eine andere Möglichkeit gab. »Oder meinen Sie etwa, wir könnten gleich damit anfangen?«

»Wir haben die ganze Nacht vor uns, Sir. Sie könnten schon die Barkassen aussetzen und eine davon mit der Kanone beladen. Stroppen, Trossen und eine Art Transportgestell wären vorzubereiten. Und dann wäre noch die Bedienungsmannschaft abzuteilen...«

»So daß das Manöver bei Hellwerden beginnen könnte, nicht wahr?«

»Bei Hellwerden könnten die Boote schon drüben auf der anderen Seite unter Land liegen, so daß sie bei Tagesanbruch landen können, Sir. Sie könnten gleich ein paar Mann mit hundert Faden Leine von Bord hierher schicken. Die können dann noch vor Tagesanbruch den Pfad entlanggehen, bis sie über die Landungsstelle kommen. Dadurch könnten wir eine Menge Zeit sparen.«

»Ja, ja, das stimmt!« sagte Bush, dem es nicht schwerfiel, sich ein Bild von den seemännischen Problemen zu machen, mit denen man sich auseinandersetzen mußte, wenn es hieß, eine Kanone über einen Steilhang hochzuheißen.

»Wir sind an Bord schon recht knapp an Leuten«, meinte Buckland. »Da werde ich zu dem Manöver beide Wachen brauchen.«

»Das wird den Brüdern nicht weh tun, Sir«, sagte Bush. Er hatte nun schon zwei Nächte keinen Schlaf bekommen und sah bereits voraus, daß noch eine dritte folgen würde.

»Noch eins. Ich möchte, daß ein Offizier das Manöver verantwortlich leitet. Wen könnte ich da schicken? Der Betreffende soll vor allem ein guter Seemann sein.«

»Ich will gern gehen, wenn Sie mich haben wollen, Sir«, sagte Hornblower.

»Nein, das geht nicht. Sie müssen hierbleiben und mit Ortega verhandeln. Wenn ich aber Smith schicke, dann bleibt mir an Bord kein einziger Leutnant mehr.«

»Vielleicht könnten Sie mir die Aufgabe übertragen«, sagte Bush. »In diesem Fall müßte allerdings Mr. Hornblower hier im Fort das Kommando übernehmen.«

»Hm«, machte Buckland. »Mir fällt für den Augenblick auch keine andere Lösung ein. Kann ich Ihnen das zutrauen, Mr. Hornblower?«

»Ich werde mir alle Mühe geben, Sir.«

»Nun, wir werden ja sehen«, sagte Buckland.

»Ich könnte gleich mit Ihnen in Ihrer Gig an Bord fahren, Sir«, sagte Bush. »Dann ginge keine Zeit verloren.«

Es war für Bush etwas Neues, einen Vorgesetzten durch solche Listen zum Handeln anzustacheln, aber er machte in dieser Kunst rasche Fortschritte. Die Tatsache, daß sie sich noch vor kurzem alle drei gegen ihren Kommandanten verschworen hatten, machte es jetzt leichter, den richtigen Ton zu finden, und als das Eis einmal gebrochen war, als Buckland sich zum erstenmal bereitgefunden hatte, den Rat seiner jüngeren Kameraden anzunehmen, da stellten sich diesem freien Gedankenaustausch bald keine Hemmungen mehr entgegen.

»Ja, ich glaube, das ist wirklich das beste«, sagte Buckland und konnte kaum umhin, es Bush nachzutun, als dieser daraufhin sofort auf die Füße sprang.

Bush warf noch einen Blick auf Hornblowers zusammengesunkene Gestalt.

»Und Sie, Mr. Hornblower«, sagte er, »legen sich jetzt am besten eine Weile schlafen. Sie brauchen vor allem Ruhe.«

»Ich habe Whiting um Mitternacht als Offizier vom Dienst abzulösen, Sir«, sagte Hornblower, »außerdem muß ich meine Runden gehen.«

»Das mag alles sein. Aber bis Mitternacht sind immer noch zwei Stunden Zeit. Packen Sie sich solange in die Koje, und lassen Sie sich jedenfalls um vier Uhr wieder von ihm ablösen.«

»Aye, aye, Sir.«

Schlafen! Der bloße Gedanke, sich ausstrecken und die Augen schließen zu können, ließ Hornblower vor Müdigkeit schwanken.

»Am besten wäre es, wenn Sie es ihm ausdrücklich befehlen würden«, meinte Bush zu Buckland.

»Was soll das nun wieder? Nun ja, meinetwegen. Also hören Sie, Mr. Hornblower: Ich befehle Ihnen, sich auszuruhen, solange es Ihr Dienst irgend zuläßt.«

»Aye, aye, Sir.«

Bush stieg hinter Buckland vorsichtig den steilen Pfad zur Anlegebrücke hinab und nahm dann in der Achterplicht der Gig an seiner Seite Platz.

»Ich kann aus diesem Hornblower nicht klug werden«, warf Buckland gelegentlich etwas mürrisch ins Gespräch, während die Gig auf die vor Anker liegende Renown zustrebte.

»Er ist bestimmt ein guter Offizier, Sir«, gab Bush zur Antwort. Aber er war schon nicht mehr ganz bei der Sache, im Geist befaßte er sich nämlich schon mit der Aufgabe, einen langen Neunpfünder auf das steile Kliff zu heißen. Er überschlug bereits, was er dazu an Geschirr und Ausrüstung brauchte, und legte sich zugleich die nötigen Anordnungen zurecht. Die Boje mußte mit zwei schweren Ankern, nicht etwa nur mit leichten Bootsdraggen verankert werden. Die Duchte der Barkaß wurden am besten abgesteift, damit sie das Gewicht des Geschützes trugen. Man brauchte Laufblöcke und Stroppen - um Anheißen war es wohl am sichersten, das Geschütz an den Schildzapfen und am Bodenstück zugleich aufzuhängen.

Bush gehörte nicht zu dem intellektuellen Menschenschlag, der seine Freude an theoretischen Überlegungen findet. Eine Unternehmung zu planen, sich im Geist in die Lage des Gegners zu versetzen und die Gedanken anderer zu denken, Überraschungen und Improvisationen auszuklügeln, das alles entsprach nicht seinen Fähigkeiten und konnte ihm daher auch nicht liegen. Wenn es aber darum ging, eine klar umrissene, handgreifliche Aufgabe zu lösen, wenn mit Trossen, Taljen und Bruchbelastungen zu rechnen war, das heißt, wenn es sich darum handelte, ein seemännisches Meisterstück zu liefern, dann war Leutnant Bush nicht zu schlagen, weil er nicht nur eine natürliche Veranlagung für den Seemannsberuf besaß, sondern darüber hinaus von Jugend auf mit allen seinen Künsten und Kniffen verwachsen war.