11. Kapitel

Die Mittagssonne brannte auf das Fort Samana. Seine Wälle und Mauern warfen die Hitze zurück und strahlten sie in mörderischer Konzentration nach innen zu aus, so daß man es selbst in schattigen Winkeln kaum aushielt. Die Seebrise hatte noch nicht eingesetzt, die Kriegsflagge hing wie tot am Flaggenmast und bedeckte halb die spanische Flagge, die ebenso leblos darunterhing. Dennoch herrschten Ordnung und Disziplin. Auf jeder Eckbastion standen die Ausguckposten in der brennenden Sonne und sicherten das Fort gegen überraschende Überfälle. Schildwachen der Seesoldaten wanderten gemessenen Schrittes und, wie es in ihrer Dienstvorschrift hieß, »straff und in militärischer Haltung« nnerhalb ihrer Postenbereiche auf und ab.

Vor dem Hauptmagazin saß Leutnant Bush auf einer Bank und gab sich alle Mühe, wach zu bleiben. Er verfluchte die Hitze, er verfluchte seine eigene Gutmütigkeit, die ihn dazu bewogen hatte, den jüngeren Offizieren zuerst Gelegenheit zur Rast zu geben und solange selbst die Verantwortung des Offiziers vom Dienst auf sich zu nehmen.

Plötzlich kam ein Läufer um die Ecke gerannt.

»Mr. Bush, Sir! Ein Boot kommt von der Batterie auf der anderen Seite.«

Bush starrte den Läufer verständnislos an.

»Wie? Was heißt das? Wohin steuert das Boot?«

»Genau auf uns zu, Sir. Es führt eine Flagge - eine weiße Flagge, wie es scheint.«

»Na ja, ich werde mir das selbst anschauen«, sagte Bush.

»Keine Ruh' bei Tag und Nacht!« Mit krachenden Gelenken raffte er sich auf und stelzte steif und müde über die Rampe zur Batterie hinauf. Dort wartete der Unteroffizier vom Dienst schon mit dem Fernrohr auf ihn, er war von seinem Ausguckturm heruntergestiegen, um ihm entgegenzueilen. Bush setzte das Glas ans Auge. Wie ein schwarzer Käfer inmitten der blaue Fläche der Bucht, kam eine sechsriemige Jolle geradenwegs auf das Fort zugepullt. Es war so, wie der Läufer gemeldet hatte.

Der Flaggenstock am Bug des Bootes zeigte eine Flagge. Sie konnte weiß sein, mit Sicherheit war das allerdings nicht festzustellen, da sie in der schwachen Brise zu wenig auswehte.

Für das Fort bestand jedoch keine unmittelbare Gefahr, denn in dem Boot befanden sich alles in allem nicht mehr als zehn Mann. Der Weg quer über die glitzernde Bucht war für ein Ruderboot recht weit. Bush beobachtete, wie es von Minute zu Minute stetig näher kam. Die niedrigen, felsigen Hänge, die auf dieser Seite der Halbinsel Samana zum Wasser abfielen, bildeten in der Nähe des Forts eine sanfte Böschung, über die ein Weg zur Landungsbrücke hinunterführte. Dieser Pfad konnte, wie Bush bereits festgestellt hatte, von den beiden rechten Flügelgeschützen der Batterie bestrichen werden. Aber es erübrigte sich, diese Geschütze zu besetzen, weil man auf den ersten Blick sah, daß kein Angriff beabsichtigt war. Wie zur Bekräftigung ließ jetzt ein stärkerer Windstoß endlich die Bootsflagge auswehen - es zeigte sich, daß sie wirklich weiß war.

Ohne vom Kurs abzuweichen, kam das Boot auf den Landungssteg zugerudert und ging zuletzt dort längsseit. Jetzt blitzte es in der Sonne metallisch auf, gleich darauf stieg ein schmetterndes Trompetensignal hell und klar in die heiße Mittagsluft und drang an die Ohren der britischen Besatzung.

Dann kletterten zwei Männer aus dem Boot auf die Landungsbrücke. Sie trugen weißblaue Uniformen, einer hatte einen Säbel an der Seite, der andere hielt die blitzende Trompete in der Hand, die er gleich wieder an die Lippen setzte, um ein zweites Mal zu blasen. Durchdringend klar hallten die Klänge von den Felsen wider, die Vögel, die in der Mittagshitze geschlafen hatten, flatterten mit lauten Klagerufen auf, weil ihnen das Geschmetter dieser Trompete wohl fast noch unangenehmer war als der Donner der Artillerie am Morgen.

Der Offizier mit dem Säbel entrollte eine weiße Fahne und machte sich dann mit dem Trompeter daran, den Pfad zum Fort heraufzusteigen. Nach internationalem Kriegsbrauch handelte es sich ohne Zweifel um einen Parlamentär. Die Trompetensignale sollten zeigen, daß keine Überraschung beabsichtigt war, die weiße Flagge bescheinigte schon von weitem die friedliche Absicht des Trägers.

Während Bush die kleine Gruppe langsam näher kommen sah, überlegte er rasch, welche Vollmacht er besaß, auf eigene Faust mit dem Gegner zu verhandeln, zugleich wurde ihm recht zweifelhaft zumute, wenn er an die Schwierigkeiten dachte, die sich für solche Abmachungen allein aus der Verschiedenheit der Sprache ergaben.

»Die Wache auf!« befahl er dem Unteroffizier, dann sagte er zum Läufer: »Bestellen Sie Mr. Hornblower, ich ließe ihn bitten, so schnell wie möglich hierherzukommen.«

Wieder scholl die Trompete den Bergpfad herauf, viele der Schläfer im Fort erwachten von ihren Tönen, und daß die übrigen sich nicht dadurch stören ließen, mag als Beweis dafür gelten, wie müde sie waren. Unten im Hof verriet das Getrampel gestiefelter Füße und der Widerhall kurzer Befehle, daß die Wache der Seesoldaten antrat. Die weiße Flagge hatte inzwischen fast die Kante der Grabenböschung erreicht. Dort blieb ihr Träger stehen und warf einen Blick zur Brustwehr hinauf, während der Trompeter noch ein letztes Signal blies, dessen stürmische Noten auch den letzten Schläfer im Fort aus seinen Träumen rissen.

»Zur Stelle, Sir«, meldete sich Hornblower.

Der Hut, zu dem er grüßend die Hand hob, saß ihm schief auf dem Kopf, er wirkte in seiner verwitterten Uniform weiß Gott wie eine Vogelscheuche. Sein Gesicht hatte er inzwischen gewaschen, um so auffallender wirkten die dicken schwarzen Stoppeln um sein Kinn. Bush wies mit dem Daumen auf de spanischen Offizier.

»Können Sie genug Spanisch, um mit dem Mann dort zu verhandeln?«

»Ich weiß nicht, Sir, doch, jawohl.«

Die letzten beiden Worte waren Hornblower eigentlich ungewollt entfahren, er hätte lieber noch ein bißchen Zeit gewonnen, ehe er sich festlegte, aber dann war ihm doch die klare Antwort entschlüpft, die sich unter Soldaten allein geziemte.

»Nun, dann lassen Sie hören, was Sie können.«

»Aye, aye, Sir.«

Hornblower trat auf die Brustwehr. Der spanische Offizier zog seinen Hut, als er ihn vom Grabenrand aus erblickte, und machte eine höfliche Verbeugung. Hornblower erwiderte seinen Gruß auf die gleiche Weise. Offenbar folgten jetzt noch von beiden Seiten höfliche Begrüßungsworte, dann erst wandte sich Hornblower wieder zu Bush zurück:

»Wollen Sie ihm Zutritt zum Fort gewähren, Sir?« fragte er.

»Er sagt, es gäbe viele Vereinbarungen zu treffen.«

»Nein«, sagte Bush ohne Zögern, »ich will nicht, daß er hier herumspioniert.«

Im Grunde konnte sich Bush nicht vorstellen, was der Spanier ausfindig machen sollte, aber er war eben von Natur aus ein argwöhnischer, vorsichtiger Mensch.

»Jawohl, Sir.«

»Sie werden zum Verhandeln schon zu ihm hinaus müssen, Mr. Hornblower, aber ich werde Sie von hier aus durch die Seesoldaten decken.«

»Aye, aye, Sir.«

Nach einem neuerlich kurzen Austausch von Höflichkeiten verließ Hornblower die Brustwehr und ging eine Rampe hinunter, während die Seesoldatenwache auf Bushs Befehl di andere hinaufmarschierte. Bush konnte von einer Schießscharte aus den Ausdruck der Spanier beobachten, als jetzt in den anderen Schießscharten die Tschakos, die roten Waffenröcke und die gefällten Musketen der Seesoldaten sichtbar wurden.

Gleich danach kam Hornblower um die Ecke des Forts, nachdem er den Graben auf dem schmalen Damm überquert hatte, der vom Haupttor aus hinüberführte. Wieder wurden die Hüte gezogen, wieder tauschten Hornblower und der Spanier Verbeugungen aus, wobei sie sich in lächerlicher Festlandsmanier gegenseitig mit ihren Kratzfüßen überboten.

Der Spanier brachte schließlich ein Papier zum Vorschein, das er Hornblower mit einer neuen Verbeugung zum Lesen bot - ahrscheinlich war das sein Beglaubigungsschreiben.

Hornblower warf einen Blick hinein und reichte es ihm zurück.

Eine Geste in Richtung Bush, der auf der Brustwehr stand, sollte wohl seine eigene geschriebene Vollmacht ersetzen. Dann sah Bush, wie der Spanier sofort überstürzt zu fragen begann und Hornblower ruhig seine Antworten gab. Aus seinem Kopfnicken konnte er entnehmen, daß diese Antworten bejahend ausfielen, und machte sich einen Augenblick ernstliche Sorgen, ob Hornblower seine Befugnisse nicht überschritt. Dabei machte ihm die Tatsache, daß er bei der Führung dieser Verhandlungen von einem anderen abhing, im Grunde nicht viel aus, denn der Gedanke, daß er selbst etwas Spanisch sprechen könnte, lag ihm weltenfern. Ein Dolmetscher war für seine Begriffe einfach ein notwendiges Requisit, vergleichbar etwa einer Trosse, die man brauchte, um einen Anker zu lichten, oder dem Wind, ohne den man niemals an sein Ziel kam.

Interessiert verfolgte er alles, was geschah, und vermochte bei seiner gespannten Aufmerksamkeit sogar zu erraten, wenn das Thema des Gesprächs gewechselt wurde. Nach einer Weile deutete Hornblower plötzlich nach der Mündung der Bucht, der Spanier wandte sich alsbald hastig um und entdeckte dort die Renown, die sich eben anschickte, die Spitze der Halbinsel z runden. Er starrte lange und mit zusammengezogenen Brauen auf das mächtige Schiff, ehe er sich wieder zu Hornblower zurückwandte, um die Verhandlung fortzusetzen. Der Parlamentär war ein großer, sehr hagerer Mann, sein kaffeebraunes Gesicht wirkte durch den schmalen schwarzen Schnurrbart wie halbiert. Die Mittagssonne brannte noch eine ganze Weile auf die beiden herab - der dritte, der Trompeter, hatte sich außer Hörweite zurückgezogen, bis Hornblower sich endlich umwandte und Bush einen Blick zuwarf.

»Wenn Sie gestatten, komme ich jetzt meine Meldung machen, Sir«, rief er.

»Bitte, Mr. Hornblower.«

Bush ging ihm in den Hof entgegen. Hornblower fuhr grüßend mit der Hand an den Hut und wartete dann mit seiner Meldung, bis er gefragt wurde.

Auf Bushs neugieriges »Nun?« sah er sich endlich in der Lage, zu beginnen.

»Der Parlamentär ist Oberst Ortega, seine Vollmacht stammt von dem General Villanueva, der offenbar am gegenüberliegenden Ufer der Bucht sitzt.«

»Was will er eigentlich von uns?« fragte Bush und versuchte, einstweilen mit dieser ersten, ziemlich unverdaulichen Neuigkeit fertig zu werden.

»Er wollte zuallererst jede Einzelheit über die Gefangenen hören, Sir«, sagte Hornblower, »besonders über die Frauen.«

»Sie haben ihm natürlich gesagt, daß keiner der Frauen etwas zugestoßen ist, nicht wahr?«

»Jawohl, Sir. Er war sehr besorgt um sie. Ich habe ihm versprochen, daß ich Sie in seinem Namen um die Erlaubnis zum Mitnehmen der Frauen bitten würde.«

»Was Sie hiermit einlösen wollen, nicht wahr?« fragte Bush.

»Jawohl, Sir. Ich dachte, es könnte uns unsere Aufgabe hie nur erleichtern, wenn wir die Frauen los würden. Außerdem scheint er eine Menge anderer Dinge auf dem Herzen zu haben; da hielt ich es für richtig, mich möglichst entgegenkommend zu zeigen, damit es ihm nachher um so leichter fällt, sich offen auszusprechen.«

»Hm«, sagte Bush.

»Er wollte auch Auskunft über die anderen Gefangenen, Sir, die Männer. Vor allem, ob welche gefallen seien. Als ich ihm das bejahte, fragte er mich nach den Namen. Ich konnte sie ihm nicht nennen, weil ich sie selbst nicht wußte, aber ich sagte ihm, daß Sie ihm ohne Zweifel eine Liste der Gefallenen zur Verfügung stellen würden. Er meinte, die meisten Leute hätten ihre Frauen dort drüben (Hornblower zeigte nach der anderen Seite der Bucht), und die machten sich jetzt schwere Sorgen um ihre Männer.«

»Einverstanden, er soll seine Liste haben«, sagte Bush.

»Vielleicht könnte er außer den Frauen auch die Verwundeten mitnehmen, Sir. Damit bekämen wir hier etwas mehr Luft, wir sind ohnehin nicht imstande, die Burschen richtig zu behandeln.«

»Das müßte ich mir noch gründlich überlegen«, sagte Bush.

»Ich frage mich überhaupt, Sir, ob wir nicht diese Gelegenheit wahrnehmen sollten, unsere ganzen Gefangenen loszuwerden.

Wahrscheinlich wäre es nicht schwer, ihn auf Ehrenwort zu verpflichten, daß sie nicht mehr zum Waffendienst herangezogen werden, solange die Renown in diesen Gewässern kreuzt.«

»Ehrenwort? Wenn das nur kein fauler Zauber ist!« sagte Bush, der allen Ausländern gründlich mißtraute.

»Ich glaube, daß er sein Wort halten wird, Sir. Er ist ein spanischer Gentleman. Wenn wir die Leute los werden, dann brauchen wir sie nicht zu bewachen und nicht zu ernähren, Sir.

Und was sollen wir schließlich mit ihnen anfangen, wenn wi dieses Fort hier eines Tages wieder räumen? Können wir sie an Bord der Renown verstauen?«

Hundert Gefangene an Bord der Renown wären eine schreckliche Belastung gewesen. Man konnte rechnen, daß sie täglich hundert Liter Frischwasser verbrauchten, außerdem mußten sie die ganze Zeit bewacht werden. Aber Bush ließ sich nicht gern zu übereilten Entschlüssen verleiten, und es war ihm nicht ganz recht, daß Hornblower so vieles für ausgemachte Sache hielt, was er am liebsten noch lange und gründlich überlegt hätte.

»Ich will mir das noch durch den Kopf gehen lassen«, sagte Bush.

»Da war noch ein anderer Punkt, den er nur andeutete, Sir. Er wollte keine endgültigen Vorschläge machen, und ich zog es vor, ihn nicht dazu zu drängen.«

»Worum handelt es sich?«

Hornblower hielt einen Augenblick inne, ehe er antwortete.

Das allein sagte Bush, daß es sich hier um kein so einfaches Problem handelte.

»Die Sache ist viel wichtiger als all die Abmachungen wegen der Gefangenen, Sir.«

»Nun, was hat er Ihnen denn gesagt?«

»Es könnte möglich sein, eine Kapitulation zu erreichen, Sir.«

»Was meinen Sie damit?«

»Eine Übergabe, Sir. Den Rückzug der Dons von diesem Ende der Insel.«

»Herr im Himmel!«

Das war eine unerwartete, eine tolle Möglichkeit. Bush zog sofort die Folgerungen, die sich daraus ergaben. Eine solche Kapitulation war ein Ereignis von internationaler Bedeutung, vielleicht sogar ein glänzender Erfolg, der in den Gazetten nicht nur einen Absatz, sondern eine ganze Seite füllte. Man würd belohnt, ausgezeichnet - vielleicht sogar befördert. Bei dieser Vorstellung schreckte Bush plötzlich zurück, als ob der Pfad, dem er in Gedanken gefolgt war, am Rande eines Abgrunds endete. Je wichtiger ein Ereignis war, desto genauer wurde es unter die Lupe genommen, desto kritischer wurde es von denen beurteilt, die ohnehin nicht damit einverstanden waren. Die politische Lage hier in Santo Domingo war alles andere als einfach, das wußte Bush, obwohl er nie versucht hatte, den Verhältnissen wirklich auf den Grund zu gehen oder gar ihren Ursachen nachzuspüren. Er war beiläufig darüber im Bilde, daß auf dieser Insel französische und spanische Interessen aufeinanderstießen und daß der Negeraufstand, dem jetzt ein Erfolg in den Schoß gefallen war, sich gegen beide richtete. Das war so ungefähr alles. Noch weniger wußte er über die sogenannte Antisklavereibewegung im Parlament, die die öffentliche Aufmerksamkeit fortwährend gerade auf die Vorgänge hier auf dieser Insel lenkte. Allein der Gedanke, daß das Parlament, das Kabinett oder gar der König seine Berichte sorgfältig und kritisch studieren könnten, flößte Bush geradezu einen eisigen Schrecken ein. Was bedeuteten alle Ehren und Auszeichnungen, von denen er zu träumen wagte, wenn er die Gefahren dagegenhielt, die ihm aus jener Richtung drohten?

Traf er jetzt zum Beispiel eine Abmachung, die der Regierung aus irgendeinem Grunde nicht paßte, dann ließ sie ihn ganz einfach fallen - sofort und ohne Bedenken -, und er konnte sicher sein, daß sich keine Hand rührte, um dem mittellosen Leutnant zu helfen, der über keinerlei Beziehungen verfügte. Es war ihm nicht entgangen, wie sorgenvoll Buckland getan hatte, wenn auf solche Fragen auch nur angespielt worden war. Der Geheimbefehl verstand in dieser Hinsicht offenbar keinen Spaß.

»Nichts da!« sagte Bush. »Davon lassen wir die Finger.

Gehen Sie mit keinem Wort auf solche Dinge ein.«

»Aye, aye, Sir. Ich soll ihn also auch nicht anhören, wenn er den Punkt von sich aus zur Sprache bringt?«

»Hm...« Das konnte wieder so aussehen, als ob er sich von seiner Pflicht zu drücken suchte. »Die Entscheidung liegt auf jeden Fall bei Buckland, ich kann ihm unmöglich vorgreifen.«

»Jawohl, Sir. Darf ich Ihnen einen Vorschlag unterbreiten, Sir?«

»Und der wäre?« Bush wußte nicht, ob er sich ärgern oder freuen sollte, daß dieser Hornblower schon wieder einen Trumpf auszuspielen hatte. Aber er hielt eben nicht besonders viel von seiner eigenen Geschicklichkeit im Feilschen und Verhandeln, weil er nur zu genau wußte, daß ihm die bei solchen Geschäften nötigen Schliche und Kniffe nicht lagen.

»Wenn Sie zunächst einmal ein Abkommen über die Gefangenen treffen wollten, Sir, dann dürfte seine Ausführung gleich erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Da wäre zunächst einmal die Frage des Ehrenworts, über dessen Fassung sich eine ganze Weile streiten ließe. Nachher dauert es wieder ziemlich lange, bis die Gefangenen hinübergeschafft sind; Sie könnten zum Beispiel darauf bestehen, daß immer nur ein Boot an der Brücke liegen darf, das wäre eine sehr verständliche Vorsichtsmaßnahme. Mit all diesen Verzögerungen könnten wir so viel Zeit gewinnen, daß die Renown inzwischen in die Bucht gelangt. Sie könnte dann eben außer Schußweite der anderen Batterie vor Anker gehen. Damit wäre das Loch endgültig verstopft, und zugleich wären wir noch in Fühlung mit den Dons, so daß Mr. Buckland die Verhandlungen weiterführen kann, wenn er es wünscht.«

»Ihr Vorschlag hat einiges für sich«, sagte Bush. Auf jeden Fall nahm ihm dieses Verfahren viel von der Last der Verantwortung, die so schwer auf seinen Schultern lag. Zugleich schien es ihm eine hübsche Idee, mit Fragen zweiter Ordnung so lange Zeit zu vertun, bis die Renown auf der Bildfläche erschien und das Gewicht ihrer ehernen Argumente mit in die Debatte warf.

»Sie geben mir also Vollmacht, über die Freigabe der Gefangenen gegen Ehrenwort zu verhandeln, Sir?« fragte Hornblower.

»Ja«, sagte Bush, der sich plötzlich zu einem Entschluß durchgerungen hatte. »Aber diese Vollmacht erstreckt sich auf keine einzige andere Frage. Halten Sie das im Auge, Mr. Hornblower, wenn Ihnen Ihr Offizierspatent lieb ist.«

»Aye, aye, Sir. Allerdings müßte ich auch vereinbaren, daß die Feindseligkeiten so lange unterbrochen werden, bis die Gefangenen übergeben sind. Darf ich das, Sir?«

»Ja«, sagte Bush mit einigem Widerstreben. Eine vorübergehende Einstellung der Feindseligkeiten ergab sich schließlich als logische Folgerung aus der beschlossenen Handlungsweise. Aber das Wort selbst klang ihm deshalb doch irgendwie verdächtig, nachdem Hornblower einmal angedeutet hatte, daß die Gegenseite über dieses Thema weiterzuverhandeln wünschte.

Mittag war längst vorüber, der Nachmittag schritt immer weiter vor. Eine volle Stunde hatte es allein gedauert, bis der Wortlaut der ehrenwörtlichen Verpflichtung ausgehandelt war, auf Grund deren die gefangenen Soldaten entlassen werden sollten. Es wurde zwei Uhr, bis über diesen Punkt endlich Einigkeit erzielt war, und dann verging wieder eine ganze Weile, bis zunächst die Frauen, ihre gebündelten Siebensachen auf dem Kopf, an Bush vorüber aus dem Haupttor zogen. Das Boot erwies sich als zu klein, um sie alle auf einmal aufzunehmen, es mußte zwei Fahrten machen, ehe das Übersetzen der Männer, und zwar zuerst der Verwundeten, beginnen konnte. Bush freute sich wie ein kleiner Junge zu Weihnachten, als endlich die Renown hinter dem Kap zum Vorschein kam. Mit der aufkommenden Seebrise rauschte sie stolz in die Bucht hinein.

Jetzt erschien von neuem Hornblower und trat grüßend z Bush heran. Er war offensichtlich so müde, daß er kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen konnte.

»Die Renown weiß nichts von der Unterbrechung der Feindseligkeiten, Sir«, sagte er. »Wenn man von Bord aus das Boot mit den spanischen Soldaten über die Bucht rudern sieht, dann wird man todsicher sofort das Feuer eröffnen.«

»Wie wollen wir sie denn von dem Geschehenen in Kenntnis setzen?«

»Ich habe das mit Ortega besprochen, Sir. Er leiht uns ein Boot, daß wir eine Meldung an Bord senden können.«

»Hm, na ja!«

Schlaflosigkeit und Erschöpfung hatten Bush an und für sich in einen gereizten Zustand versetzt. Als jetzt Hornblower wieder einen neuen Vorschlag brachte und seinen vor Müdigkeit halb gelähmten Verstand in Anspruch nahm, lief ihm plötzlich die Galle über.

»Sie befassen sich immerzu mit Dingen, die Sie nichts angehen, Mr. Hornblower«, sagte er. »Ich habe hier das Kommando, merken Sie sich das!«

»Jawohl, Sir«, sagte Hornblower in militärischer Haltung, während Bush ihn immer noch anstarrte und nach diesem plötzlichen Zornesausbruch seine Gedanken zu sammeln suchte.

Es war nicht zu leugnen, die Renown mußte schleunigst von allem in Kenntnis gesetzt werden, was geschehen war. Wenn sie das Feuer eröffnete, dann war das eine Verletzung eines feierlich geschlossenen Abkommens, das er selbst mitunterzeichnet hatte.

»Himmeldonnerwetter!« sagte Bush nach einer Weile.

»Machen Sie doch, was Sie wollen. Wen wollen Sie denn schicken?«

»Ich könnte selbst fahren, Sir. Dann könnte ich Mr. Buckland unmittelbar alles Erforderliche melden.«

»Sie meinen über die... über die...« Bush scheute sich, das gefährliche Wort in den Mund zu nehmen.

»Jawohl, Sir, über die Möglichkeit zu weiteren Verhandlungen«, sagte Hornblower standhaft. »Er muß früher oder später davon erfahren - und solange Ortega noch hier anwesend ist...« Hornblowers Schlußfolgerungen waren ohne Zweifel richtig, und sein Vorschlag schien durchaus vernünftig zu sein.

»Ja, schön, es wird das beste sein, Sie fahren selbst. Aber das eine sage ich Ihnen, Mr. Hornblower: Lassen Sie mir ja keinen Zweifel darüber, daß ich keine Verhandlungen über jene Fragen gestattet habe, auf die Sie immer wieder anspielen. Es wurde also kein Wort darüber gesprochen, und ich weise jede Verantwortung für solche Dinge weit von mir. Haben Sie mich verstanden?«

»Aye, aye, Sir.«