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Mein Plan war, Sloane mit der Limousine abzuholen, ihr die Blume zu geben und dann endlich die Ernte einzufahren und mindestens mit ihr herumzuknutschen. Immerhin hatte mein Dad eine ganze Menge springen lassen, und das hier wurde bestimmt der wichtigste Abend meines Lebens. Ein Prinz sein – das musste schließlich für etwas gut sein.

Aber es kam ganz anders.

Erst einmal platzte Sloane beinahe der Kragen, als sie das Sträußchen sah. Jedenfalls wäre er ihr geplatzt, wenn ihr enges Kleid das zugelassen hätte.

»Bist du blind, oder was?«, fragte sie. Ihre ohnehin durchtrainierten Armmuskeln traten noch stärker hervor, als sie ihre Hände zu Fäusten ballte. »Ich sagte, mein Kleid sei schwarz. Das beißt sich total.«

»Die Blume ist weiß.«

»Nicht ganz weiß, du Blödmann.«

Ich verstand nicht, warum sich Nicht-ganz-Weiß mit dem Kleid beißt. Aber für ein heißes Outfit galten wohl ganz besondere Regeln.

»Hör mal«, sagte ich. »Das blöde Dienstmädchen hat es vergeigt. Ich kann nichts dafür.«

»Das Dienstmädchen? Du hast dir nicht mal die Mühe gemacht, die Blumen selbst zu kaufen?«

»Wer kauft schon selber was? Ich schenke dir ein andermal Blumen.« Ich hielt ihr die Box mit dem Sträußchen hin. »Es ist schön.«

»Ziemlich billig.« Sie schlug es mir aus der Hand. »Es ist nicht das, was ich wollte.«

Ich starrte die Blumenbox auf dem Boden an. Eigentlich wollte ich einfach nur weg hier. Aber in dem Moment tauchte Sloanes Mom auf. Sie hatte die allerneueste Technik dabei, um bewegte und unbewegte Bilder von Sloane und mir zu machen – Sloane an meiner linken Seite, Sloane an meiner rechten Seite und Sloane posierend ein Stück vor mir. Die Kamera lief, und Miss Hagen, die Single war und wahrscheinlich nichts dagegen gehabt hätte, meinem Dad vorgestellt zu werden, flötete: »Und hier der künftige Prinz mit seiner Prinzessin.« Also tat ich, was Rob Kingsburys Sohn tun würde. Ich kickte die Billig-Rose aus dem Weg und lächelte nett in die Kamera, sagte die richtigen Sachen, z. B. wie hübsch Sloane aussähe, wie großartig der Ball werden würde und blablabla.

Aus irgendeinem Grund hob ich dann die Ansteck-Rose doch auf. Ein weiteres Blütenblatt war abgefallen, und ich steckte es zu dem anderen in meine Hosentasche. Die Box nahm ich mit.

 

Der Ball fand im Plaza statt. Als wir dort ankamen, gab ich dem Mädchen am Eingang die Eintrittskarten. Sie betrachtete das Anstecksträußchen.

»Schöne Blume«, sagte sie.

Ich schaute sie an, um herauszufinden, ob sie mich auf den Arm nehmen wollte. Wohl nicht. Wahrscheinlich war sie in meiner Klassenstufe, ein unscheinbares Mädchen mit rothaarigem Zopf und Sommersprossen. Sie sah nicht aus, als würde sie ins Plaza gehören. Bestimmt war sie eine Stipendiatin, denn die mussten immer so öde Aufgaben übernehmen wie Karten abreißen. Offenbar hatte sie niemand zum Ball eingeladen oder ihr jemals Blumen gekauft, nicht mal eine billige, kaputte Rose. Ich warf Sloane einen Blick zu, die gerade ein freudiges Wiedersehen mit fünfzig besten Freundinnen feierte, die sie seit gestern nicht mehr gesehen hatte, weil alle die Schule geschwänzt hatten, um sich Pediküren und Wellness-Behandlungen zu unterziehen. Sloane hatte die ganze Fahrt über wegen der Rose herumgestänkert – so hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt – und weigerte sich noch immer, sie zu tragen.

»Hey, möchtest du sie haben?«, fragte ich das Mädchen.

»Das ist aber nicht nett«, sagte sie.

»Was?« Ich versuchte mich daran zu erinnern, ob ich jemals auf ihr herumgehackt hatte. Nein. Sie war nicht hässlich genug, als dass man sie damit hätte ärgern können. Sie war einfach nur eine totale Null, mit der ich nicht meine Zeit verschwenden würde.

»Mich an der Nase herumzuführen und so zu tun, als würdest du sie mir schenken, um sie mir dann wieder wegzunehmen.«

»Ich tue nicht nur so. Du kannst sie wirklich haben.« Ich fand es total seltsam, dass sie sich überhaupt für eine dumme Rose interessierte. »Sie passt farblich nicht zum Kleid meiner Freundin oder so, deshalb trägt sie sie nicht. Sie wird einfach verwelken, deshalb kannst du sie genauso gut behalten.« Ich hielt sie ihr hin.

»Na schön, wenn das so ist …« Sie lächelte und nahm die Rose. Ich versuchte, ihre krummen Zähne zu ignorieren. Warum ließ sie sich nicht einfach eine Zahnspange verpassen? »Danke, sie ist wunderschön.«

»Hey, viel Spaß damit.«

Als ich wegging, ertappte ich mich bei einem Lächeln. Warum hatte ich das getan? Es war doch sonst nicht meine Art, nett zu hässlichen Entlein zu sein. Ich fragte mich, ob sich alle armen Menschen über dumme Kleinigkeiten so freuten. Ich konnte mich gar nicht daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal für etwas begeistert hatte. Jedenfalls war es witzig zu wissen, dass Sloane am Ende aufhören würde herumzujammern. Sie würde die Rose doch haben wollen, und ich würde sagen können, dass ich sie nicht mehr hatte.

Ich hielt nach Kendra Ausschau. Beinahe hätte ich sie vergessen, aber mein Timing war perfekt, wie immer: Sie huschte gerade durch die Eingangstür. Sie trug ein schwarz-violettes Kleid, das aussah wie ein Kostüm für eine Harry-Potter-Gala, und sie suchte mich.

»Hey, wo ist deine Eintrittskarte?«, fragte eine der Ticket-Tanten.

»Oh, ich habe nicht … ich suche jemanden.«

Ich sah, wie so etwas wie Mitleid über das Gesicht der Kartenabreißerin huschte, so als wüsste sie genau, was da gerade abging – so von Versager zu Versager. Aber sie sagte: »Tut mir leid. Ohne Ticket kann ich dich nicht hineinlassen.«

»Ich warte auf meine Verabredung.«

Noch ein mitleidiger Blick. »Okay«, sagte die Kartenabreißerin. »Aber geh ein bisschen zur Seite.«

»Klar.«

Ich lief zu Sloane und zeigte in die Richtung, wo Kendra ziemlich verloren herumstand. »Showtime.« Genau in diesem Moment entdeckte mich Kendra.

Sloane wusste genau, was zu tun war. Sie war zwar sauer auf mich, aber sie war der Typ, der niemals eine Gelegenheit auslassen würde, einem anderen Mädchen dauerhafte emotionale Schäden zuzufügen. Deshalb packte sie mich und drückte mir einen dicken Kuss auf die Lippen. »Ich liebe dich, Kyle.«

Süß. Ich küsste zurück, erwiderte aber nichts.

Als wir fertig waren, starrte uns Kendra an. Ich ging zu ihr hinüber.

»Was glotzt du so, du hässliche Kröte?«

Ich hatte eigentlich erwartet, dass sie anfangen würde zu weinen. Es machte Spaß, auf den Außenseitern herumzutrampeln, sie zum Heulen zu bringen und dann noch ein wenig weiter auf ihnen herumzutrampeln. Ich hatte mich schon eine ganze Weile auf diesen Abend gefreut. Das entschädigte mich beinahe für den Stress mit den Blumen.

Aber stattdessen sagte sie: »Du hast es wirklich getan.«

»Was getan?«, fragte ich.

»Schau sie dir an«, kicherte Sloane. »Was für ein Prachtexemplar von einem scheußlichen Kleid. Darin sieht sie noch fetter aus als sonst.«

»Yeah, wo hast du das denn aufgetrieben?«, fragte ich. »Auf einem Abfallhaufen?«

»Es gehörte meiner Großmutter«, sagte Kendra.

»Wo ich herkomme, kauft man sich für einen Ball neue Kleider.« Ich lachte.

»Du hast es also wirklich getan?«, wiederholte sie. »Du hast mich tatsächlich zu einem Ball eingeladen, obwohl du ein anderes Date hattest, nur um mich dumm dastehen zu lassen?«

Ich lachte wieder. »Und du hast echt geglaubt, jemand wie ich würde jemanden wie dich mit auf den Ball nehmen?«

»Nein, das habe ich nicht geglaubt. Aber ich hatte gehofft, dass du mir meine Entscheidung nicht so leicht machen würdest, Kyle.«

»Welche Entscheidung?« Hinter mir gackerte Sloane und skandierte »Loser«, und schon bald stimmten andere mit ein, bis schließlich der ganze Raum von dem Wort widerhallte, sodass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.

Ich schaute das Mädchen an, diese Kendra. Sie weinte nicht. Sie sah auch nicht verlegen aus. In ihren Augen lag dieser intensive Blick, wie bei diesem Mädchen in diesem alten Stephen-King-Film, den ich mal gesehen hatte, Carrie. Das Mädchen in dem Film entwickelte telekinetische Kräfte und murkste seine Feinde damit ab. Und fast erwartete ich jetzt, dass Kendra auch damit anfing – Leute zu töten, nur indem sie sie anschaute.

Aber stattdessen sagte sie mit einer Stimme, die nur ich hören konnte: »Du wirst schon noch sehen.«

Und dann ging sie.