5
Am Tag des Balls zog ich den Smoking an, den Magda, unser neues Dienstmädchen, mit Dads Kreditkarte für mich geliehen hatte. Das ist das Gute an einem Dad, der nie da ist: Er kauft einem alles Mögliche, weil es einfacher ist, als herumzustreiten. Treys Eltern sind z. B. totale Geizhälse – sie verlangten tatsächlich von ihm, sich zwischen einer Xbox und einer Wii zu entscheiden. Machen sich Sorgen, ihn zu »verwöhnen« oder so. Mein Dad hat mir beides gekauft. Dann rief ich Trey mit meinem Handy (gesponsert von Dad) an, während ich auf die Limousine (zusätzlicher Bonus von … Dad) wartete. Ich schaute im Kühlschrank nach dem Anstecksträußchen, das Magda aus dem Blumengeschäft hatte mitbringen sollen. Sloane hatte mir etwa fünfzehn- oder sechzehnmal gesagt, dass ihr Kleid »schwarz und sehr heiß« sei und dass ich es nicht bereuen würde, wenn ich ihr eine Orchidee zum Anstecken kaufte. Deshalb hatte ich Magda natürlich angewiesen, eine zu besorgen.
»Denkst du manchmal auch, dass Schulbälle eine Art von legalisierter Prostitution sind?«, fragte ich Trey am Telefon.
Er lachte. »Wie meinst du das?«
»Ich meine, ich« – und damit meinte ich eigentlich meinen Dad – »blättere fünfhundert Kröten für einen Smoking, eine Limousine, Eintrittskarten und ein Anstecksträußchen hin, und dafür bekomme ich eine Gegenleistung. Wie klingt das in deinen Ohren?«
Trey lachte. »Klassisch.«
Ich suchte im Kühlschrank nach dem Sträußchen. »Wo zum …«
»Was ist los?«
»Nichts. Ich muss los.«
Ich erforschte die Tiefen des Sub-Zero, aber da war keine Orchidee. Die einzige Blume, die ich dort fand, war eine einzelne weiße Rose.
»Magda!«, schrie ich. »Wo zum Henker ist die Orchidee, die du mitbringen solltest? Was ist mit der Rose da?« Ich war mir ziemlich sicher, dass Rosen um einiges billiger waren als Orchideen. »Magda!«
Keine Antwort.
Schließlich fand ich sie in der Waschküche, wo sie Waschmittel auf einen von Dads Hemdkragen schüttete. Ziemlich gemütlicher Job, wenn man mich fragt. Dad arbeitete 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und richtete keine Unordnung in der Wohnung an. Ich war die meiste Zeit in der Schule, und wenn nicht, dann hielt ich mich so weit wie möglich von zu Hause fern. Im Grunde wurde Magda also dafür bezahlt, dass sie kostenlos unser Apartment benutzte, eigentlich hatte sie den ganzen Tag Zeit zu waschen, Staub zu saugen, Soaps anzuschauen und in der Nase zu bohren.
Das und die paar Botengänge, und nicht mal die erledigte sie richtig.
»Was ist das?«, fragte ich und hielt ihr die Plastikbox mit dem Sträußchen unter die Nase. Eigentlich war das nicht exakt das, was ich wirklich sagte. Ich fügte noch ein paar Schimpfwörter hinzu, die sie vermutlich noch nicht einmal verstand.
Sie wich vor meiner Hand zurück. Ihre ganzen Halsketten gaben ein klimperndes Geräusch von sich. »Schön, nicht wahr?«
»Schön? Das ist eine Rose. Ich sagte aber Orchidee. Or-chi-dee. Bist du so dumm, dass du nicht weißt, was eine Orchidee ist?«
Sie reagierte nicht mal auf die Beleidigung dumm, was nur zeigte, wie dumm sie tatsächlich war. Sie war erst seit ein paar Wochen da, aber sie war noch dümmer als unsere letzte Haushälterin, die gefeuert worden war, weil sie ihr billiges rotes Wal-Mart-T-Shirt in unserer Wäsche mitgewaschen hatte. Magda hörte nicht auf, Wäsche zusammenzulegen, aber sie starrte die Rose an, als wäre sie auf Drogen oder so was.
»Ich weiß, was eine Orchidee ist, Mr. Kyle. Eine stolze, eitle Blume. Aber können Sie nicht sehen die Schönheit dieser Rose?«
Ich schaute die Rose an. Sie war schneeweiß, und es schien fast so, als würde sie vor meinen Augen wachsen. Ich wandte den Blick ab. Als ich sie wieder anschaute, sah ich bildlich vor mir, was Sloane für ein Gesicht machen würde, wenn ich mit der falschen Blume angetanzt käme. Heute Abend würde ich wohl keine Zuwendungen von ihr erhalten, und das alles nur wegen Magda. Dumme Rose, dumme Magda.
»Rosen sind billig«, sagte ich.
»Schöne Dinge sind kostbar, egal wie der Preis. Wer die kostbaren Dinge im Leben nicht erkennen, wird niemals glücklich. Ich wünsche mir, dass Sie glücklich sind, Mr. Kyle.«
Klar, und die besten Dinge im Leben kosten nichts, stimmt’s? Aber was soll man schon von jemandem erwarten, der seinen Lebensunterhalt damit bestreitet, anderer Leute Unterhosen zu waschen.
»Ich finde sie hässlich«, sagte ich.
Sie legte die Wäsche, die sie hielt, beiseite und schnappte sich blitzschnell die Rose. »Dann schenken Sie sie mir.«
»Du hast sie wohl nicht mehr alle!« Ich schlug ihr die Box aus der Hand. Sie fiel zu Boden. »Das hattest du wohl von Anfang an so geplant, was? Einfach das Falsche mitbringen, damit ich es dann nicht haben will und dir schenke. Aber nicht mit mir!«
Sie schaute auf die Rose am Boden hinunter. »Sie tun mir leid, Mr. Kyle.«
»Ich tue dir leid?« Ich lachte. »Wie kann ich dir leidtun? Du bist ein Dienstmädchen.«
Sie antwortete nicht, sondern griff sich stattdessen wieder eines von Dads Hemden, als gäbe es nichts Besseres auf der Welt, als Wäsche zusammenzulegen.
Ich lachte erneut. »Du solltest dich eigentlich vor mir fürchten. Du solltest dir vor Angst in die Hose machen. Wenn ich meinem Dad sage, dass du sein Geld so verschwendet hast, wird er dich rauswerfen. Wahrscheinlich wird er dafür sorgen, dass du abgeschoben wirst. Du solltest echt Angst vor mir haben.«
Sie legte weiterhin Wäsche zusammen. Wahrscheinlich konnte sie gar nicht gut genug Englisch, um zu verstehen, was ich gesagt hatte. Ich gab es auf. Eigentlich wollte ich die Rose nicht nehmen, denn dadurch würde ich ja zugeben, dass ich sie Sloane mitbrachte. Aber blieb mir eine andere Wahl? Ich holte sie aus der Ecke, in der sie gelandet war. Die Plastikbox war zerbrochen und die Rose lag auf dem Boden. Ein Blütenblatt war abgefallen. Billiger Mist. Ich steckte das lose Blütenblatt in die Hosentasche und legte den Rest des Anstecksträußchens so gut es ging zurück in die Box. Dann wollte ich gehen.
Aber da sagte Magda – in perfektem Englisch übrigens – : »Ich habe keine Angst vor Ihnen, Mr. Kyle. Ich habe Angst um Sie.«
»Wie auch immer.«