Über zehn Jahre ist Jürgen Klopp inzwischen Trainer. Mit Mainz 05 und Borussia Dortmund hat er seither erst zwei Vereine betreut – angesichts der heute teils abenteuerlichen Fluktuation unter Trainern eine beeindruckende Zwischenbilanz. Doch eines Tages wird für Klopp auch das Kapitel Borussia Dortmund beendet sein. Was folgt dann? Wo könnten neue Herausforderungen für ihn liegen?
Dem Vorbild von Ottmar Hitzfeld folgen und nach Erfolgen mit dem BVB anschließend Trainer beim FC Bayern werden? Einen Spitzenklub aus England, Spanien oder Italien übernehmen? Oder Bundestrainer werden? Oder prägt Klopp eine Ära beim BVB, wie heute Thomas Schaaf bei Werder Bremen, der die Grün-Weißen bereits seit 1999 und somit seit mehr als einem Jahrzehnt betreut? Denkmodelle gibt es viele.
Klopps aktueller Vertrag in Dortmund läuft noch bis 2014. Im November 2010 war er ebenso wie die Kontrakte der beiden Co-Trainer Zeljko Buvac und Peter Krawietz um zwei weitere Jahre ausgedehnt worden. »Weil man nicht trennen soll, was zusammen gehört, haben wir den Vertrag mit unserem Cheftrainer verlängert. Es ist eigentlich müßig, noch viel über das, was Jürgen ausmacht, zu sagen. Fakt ist, dass er ein herausragender Trainer ist und seine Fähigkeiten (…) verbunden mit seinen (…) menschlichen Eigenschaften ihn zum idealen Trainer für Borussia Dortmund machen«, verkündete ein stolzer Hans-Joachim Watzke nach der Einigung.
Neben dem Vorsitzenden der Geschäftsführung äußerte sich auch Sportdirektor Michael Zorc erfreut über die weitere Zusammenarbeit: »Jürgen steht für die Weiterentwicklung dieser Mannschaft, nicht erst in dieser Saison.« Das Lob fiel nicht überraschend aus, war die Borussia auf ihrem Weg zur siebten Deutschen Meisterschaft doch bereits zu diesem Zeitpunkt im November 2010 Tabellenführer. Doch dass der BVB unabhängig vom Tabellenstand Vertrauen in das Trainerteam um Klopp & Co. besitzt, hatte er bereit eineinhalb Jahre zuvor bewiesen.
Vertrauensbeweis unabhängig
vom Tabellenstand
Denn bereits im März 2009 waren die Arbeitspapiere von Klopp und seinem Trainerstab vorzeitig bis 2012 verlängert worden. Damals hatte die Borussia gerade eine Serie von sieben sieglosen Spielen hinter sich gebracht, sodass die Verlängerung als deutliches Zeichen der Dortmunder Vereinsführung gewertet werden konnte: »Wir bauen auf diesen Trainer.« In der Mentalität des Ruhrgebiets wird auch eine schwächere Phase akzeptiert, wenn ehrliche Arbeit abgeliefert wird und die Richtung stimmt.
Warum aber dann 2010 bereits die nächste Verlängerung trotz noch länger gültigen Kontrakts? Medial wurde spekuliert, dass der BVB Sorge vor einem Abwerbeversuch des FC Bayern gehabt haben könnte. Schließlich kursierten immer mal wieder Gerüchte über eine mögliche Trennung der Münchener von ihrem Coach Louis van Gaal – und schließlich war der Rekordmeister bereits an Klopp interessiert gewesen, als 2008 die Wahl letztlich auf Jürgen Klinsmann fiel. Tatsächlich wurde die Zusammenarbeit zwischen van Gaal und dem FC Bayern noch während der Saison 2010/11 beendet.
»Wir (Anm.: als Trainerteam) hätten fast alles unterschrieben«, meinte Klopp mit seinem jugendlichen Schmunzeln zur neuerlichen Vertragsverlängerung 2010 und dokumentierte damit die enge Beziehung zum Verein, die seit Amtsantritt 2008 erwachsen ist. »Wir haben wirklich vom ersten Tag an das Gefühl gehabt, dass hier etwas entsteht und wollen das weiterentwickeln.«
Mit seiner Überzeugung, dass Erfolg erarbeitet und erkämpft werden muss, passt Klopp bestens nach Dortmund. Denn in der Malocherstadt ist der Arbeiter im defensiven Mittelfeld mindestens genauso wichtig wie der Künstler auf der 10er Position. Hier werden Kämpfertypen wie einst ein Günter Kutowski oder Murdo MacLeod, Spielerlegenden aus den 1980er und 1990er Jahren, von den BVB-Fans traditionell besonders wertgeschätzt. Wer dazu noch ein offenes Wort spricht, ist umso herzlicher willkommen.
Sollte Klopp dem BVB tatsächlich bis 2014 treu bleiben, säße er mit dann sechs Jahren genauso lange auf dem schwarz-gelben Trainerstuhl wie einst Ottmar Hitzfeld – zweifellos einer der größten Trainer der BVB-Historie. Hitzfeld lenkte die Geschicke der Westfalen von 1991 bis 1997; in diese Zeit fielen die Gewinne von zwei Deutschen Meisterschaften und der Champions League sowie der Einzug ins Finale des UEFA-Pokals. Klopp also auf Dauer ein Borusse? Kein so unrealistisches Szenario, findet auch sein Lehrmeister: »Vielleicht wird Jürgen mit seinen Spielern in Dortmund alt«, mutmaßt Wolfgang Frank.50
Es wird Skat »gekloppt«.
Zorc, Watzke und Klopp – dieses Triumvirat gibt ein beeindruckendes Bild von professioneller Geschlossenheit ab. Eines, das symbolisiert: »Zwischen uns passt kein Blatt Papier.« Widersprüchlichkeit durch öffentlich artikulierte Meinungsvielfalt gibt es nicht. Alle drei haben den Verein auf eine gemeinsame Linie eingeschworen. Auch menschlich ist das Verhältnis zwischen den Führungskräften hervorragend. Diese Harmonie drückt sich nicht zuletzt in regelmäßigen Skatabenden zuhause bei der Familie Klopp aus, zusammen mit Watzke und seiner Frau. Dann wird den ganzen Abend über alles außer Fußball geredet, über Gott und die Welt geplaudert. Schon mehrfach fanden diese Treffen anfangs der Woche statt, dann, wenn man glauben könnte, Vorgesetzter und Angestellter hätten nach dem Spiel am Wochenende genug voneinander. Doch das ist ein Trugschluss. Vielmehr macht Watzke keinen Hehl daraus, dass er Klopp am liebsten noch lange Zeit beim BVB sähe.
»Klopp als Bundestrainer würde wunderbar funktionieren.«
Für Frank Dopheide, der sich in diesem Buch bereits über die Werte von Jürgen Klopp äußerte, wäre er als Bundestrainer die Idealbesetzung. Einen Job bei einem internationalen Topklub sieht der Markenexperte dagegen kritisch:
Viele sehen Klopp eines Tages als Bundestrainer, Sie auch, Herr Dopheide?
Das würde wunderbar funktionieren, denn die Nationalmannschaft verkörpert Werte wie Heimat, Sicherheit und Familie, für die auch Klopp steht. Und durch das Sommermärchen von 2006 hat die Nationalelf für sich Werte wie Leichtigkeit, Humor und Offenheit entdeckt. Daher würde das jetzt super passen. In der »Vor-KlinsmannÄra«, also vor 2004, wäre das noch schwieriger gewesen, weil es damals sehr funktional nach Logik, Disziplin, Pflicht und Askese ablief – da waren wir noch die »Rumpelfußballer«. Aber so, wie sich die Marke Nationalmannschaft entwickelt hat, würde das mittlerweile zu einhundert Prozent passen, keine Frage.
Und als Trainer im Ausland? Würde das auch passen?
Die großen internationalen Topvereine wären schwierig, weil sie nichts mehr von Freundschaft, Familie, Treue und Heimat verkörpern. Sie sind oft von Investoren übernommen und sind total auf Erfolg dressiert. Zugleich gehen viele der traditionellen, fundamentalen Werte verloren. Welcher europäische Topverein ist in sich noch verortet? Es müsste ein ähnlicher Kern sein, wie er beim BVB und eben auch bei Klopp vorliegt – und zu dem er idealerweise noch seine ureigene Leichtigkeit hinzufügen kann. Aber das bieten weder Real Madrid, noch der FC Barcelona, noch Manchester United. Nein, mir fällt kein geeigneter internationaler Topverein ein. Ein kleinerer Klub würde von den Werten her eher passen, doch ob Klopp seine sportlichen Ansprüche zurückschrauben möchte?
Als Mittfünfziger in Rente?
Doch wäre Bundestrainer tatsächlich der geeignete Job für einen Mann, der auf den Trainingsplatz gehört – und das möglichst täglich? Mit dann 47 Jahren, wenn sein aktueller Vertrag ausläuft, nur noch alle paar Wochen zwei Länderspiele zu betreuen? Nur unregelmäßig für wenige Tage mit der Mannschaft arbeiten zu können? Heute ist es schwer vorstellbar, dass Klopp darin alsbald seinen Reiz finden wird.
Genug der Worte von außerhalb. Was sagt eigentlich der Betroffene selbst zu seinen Vorstellungen? Auf die Frage nach einem möglichen Lebensentwurf antwortete Klopp im April 2011 ganz anders, als womöglich von Außenstehenden erwartet: »Es kommt vor, dass wir zuhause darüber sprechen, was in zehn Jahren ist. Es wäre schon cool, dann dazustehen und zu sagen: ›Danke, war geil, hat Spaß gemacht ohne Ende, reicht.‹ Und dann 30 Jahre Zeit zu haben. Ich habe gar nichts gesehen von der Welt, habe nicht viel Urlaub gemacht.« 51
Mit Mitte 50 in Fußballrente? Zuzutrauen wäre es Jürgen Klopp, so konsequent wie er seinen Weg bisher gegangen ist. Schon zuvor hatte Klopp ganz ähnliche Worte gewählt: »Die Ruhe in mir zu spüren, (…) dass es mir scheißegal ist, ob am Wochenende irgendeine Fußballmannschaft gewonnen hat oder nicht. (…) Das fände ich schon cool, wenn wir das irgendwie hinkriegen würden: Mit Kindern und Enkelkindern irgendwo in einem großen Haus einfach nur in die Sonne zu glotzen und glücklich zu sein. Das wäre echt entspannend.«52
Bei diesen Worten schaut Klopp in Gedanken versunken nach unten, lässt seine Worte noch etwas nachwirken. »Idealerweise im Ausland zu leben, nicht zu arbeiten«, betont er zudem. Bleibt er bei dieser Einschätzung, fiele der Auslandsklub ohnehin flach. Sicher, Klopp würde zunächst seiner größten Stärke beraubt: der sprachlichen Überzeugungskraft. Für den Fall, dass ihn Europas Eliteklubs doch mal reizen sollten, wäre er mit seiner Akribie gewiss auch in einer Fremdsprache bald »flüssig«.
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50Interview mit Wolfgang Frank in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 01. Mai 2011
51Zitat von Klopp aus Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag vom 24. April 2011
52Auftritt von Klopp beim »Audi Star Talk« des TV-Senders Sport1, ausgestrahlt am 22. März 2011