Der Trainer Jürgen Klopp war eine Notlösung. Christian Heidel, der Manager des Zweiligisten FSV Mainz, fand an Fastnacht 2001 keinen Nachfolger für Eckhard Krautzun, nur den Klopp, der als Spieler seine beste Zeit hinter sich hatte. Klopp sollte Mainz ein Spiel coachen, dann zwei, und dann noch ein paar – Jahre. Mit Aufs und Abs, die Aufs überwiegen.

von Roger Repplinger

Als Spieler ganz ordentlich – als Trainer außergewöhnlich

Mit hoch gekrempelten Hosen stehen Kinder im Fastnachtsbrunnen. In dem Becken des Brunnens liegt kein Münzgeld, sondern die Alufelge eines VW. Eine Mutter hält ihren Kleinen so ins Wasser, dass dies seine Zehen kitzelt. Das gefällt ihm. Vor dem Eiscafé »de Covre« sitzen Pärchen, essen Erdbeer-Becher mit Sahne, und haben diesen Gesichtsausdruck: »Den Tag heute hat uns der liebe Gott geschenkt, und es ist der letzte in diesem Jahr. Dann wird es dunkel.« Im mittleren Teil des etwas schlauchartigen Platzes stehen rote Steinbänke, auf einigen sitzen Männer in einem undefinierbaren Alter und zeigen den festen Willen, die Schönheit der Welt, die heute ihr Maximum erreicht, durch das Saufen aus Tetra Paks zu steigern.

Ein Herr Friedl verspricht auf Zetteln, die an Laternenpfählen hängen, geistige Fitness bis ins hohe Alter durch Bridge, »das faszinierende Kartenspiel zu viert«. Das Wehrbereichskommando sitzt in einem der vorbildlich restaurierten alten Häuser, die im Zweiten Weltkrieg stehen geblieben sind, das Landesamt für Denkmalpflege, die Industrie- und Handelskammer Rheinhessen und das »Unterhaus«, ein renommierter Veranstaltungsort für Kleinkunst, auch.

Schillerplatz

Der Chef, der dem Platz den Namen gegeben hat, ist auch da: der junge Friedrich Schiller, mit den Augen des späten 19. Jahrhunderts gesehen und in Bronze gegossen, in der Pose des Dichterfürsten. Aber im Grunde gehört der Platz den Narren, denn er befindet sich in Mainz. In einem schlauen Buch steht geschrieben, dass sich an der Stelle, wo früher das »Café Neuf« stand, in dem im März 1905 acht junge Männer den FSV Mainz 1905 gründeten, eine Wetterstation befinden soll. Von der Wetterstation ist nichts zu sehen, an das Café erinnert nichts mehr.

Erinnerung ist keine objektive Abbildung der Vergangenheit, das bekommen ja nicht mal die Historiker hin. Bei der Erinnerung spielt eine Rolle, wie derjenige, der sich erinnert, die Ereignisse, um die es geht, damals bewertet hat, und wie er sie heute bewertet, und wie er seine damalige Bewertung heute einschätzt. Hat er seinen Frieden gemacht? War das überhaupt notwendig?

Wenn alle in Mainz, die sich erinnern, den Trainer loben, kann der vom 28. Februar 2001 bis 30. Juni 2008 nicht alles falsch gemacht haben.

Heidels Büro

Im Büro von Christian Heidel in der Geschäftsstelle des FSV Mainz im Dr.-Martin-Luther-King-Weg, erinnert manches an Jürgen Klopp. Fotos an der Wand, aber vor allem Heidels Enthusiasmus, die Freude, die es ihm macht, über seinen Freund Klopp zu sprechen, mit dem er »vor zwei Tagen zuletzt telefoniert« hat. Heidel redet schnell, die Worte perlen aus ihm wie das Wasser aus dem Fastnachtsbrunnen, so viel hat er zu sagen. Der Spaß, den er mit seinen Erinnerungen hat, hat was mit dem Spaß zu tun, den ihm die Arbeit mit Klopp gemacht hat.

Heidel lacht viel, lächelt, grinst, wenn er nur dran denkt. Es macht ihm mindestens so viel Spaß, sich heute dran zu erinnern, wie es damals Spaß gemacht hat, es zu erleben. Entscheidend für die Entwicklung des FSV Mainz 05 von einem stets vom Abstieg bedrohten Zweitligisten, zu einer respektablen Bundesligamannschaft, war Wolfgang Frank. Wichtig für die Entwicklung des als Fußballer nicht eben reich beschenkten, rauen rechten Verteidigers Jürgen Klopp zu einem Meistertrainer, war Wolfgang Frank. Der Fußballlehrer kommt mitten in der Saison 1995/96 zum scheinbar sicheren Zweitliga-Absteiger FSV Mainz. Die Mainzer haben eine desolate Vorrunde gespielt, sie sind die schlechteste Mannschaft der Zweiten Liga. So schlecht zu sein, ist nicht gut, aber es ist so schlecht, dass man da was probieren kann, probieren darf oder gar muss.

Frank I

Wolfgang Frank, Jahrgang 1951, war einst Mittelstürmer unter anderem beim VfB Stuttgart und Borussia Dortmund und trotz 172 Zentimeter Größe ein guter Kopfballspieler. Vor seiner Mainzer Zeit war er als Trainer in der Schweiz und bei Rot-Weiß Essen tätig, damals in der Zweiten Liga. Mit RWE stand Frank 1994 im Pokalfinale, das allerdings mit 1:3 gegen Werder Bremen verloren ging.

Frank will beim FSV was Neues machen. »Wenn du Letzter bist, musst du was anders machen«, sagt Heidel. In der Winterpause kündigt Frank an: »Wir spielen jetzt 4-4-2, ohne Libero.« Heidel denkt: »Oh Gott, oh Gott, ohne Libero, auch das noch«, und: »Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.« Die Spieler lassen sich auf Franks Ideen ein. Der lässt statt Manndeckung das Verschieben im Raum üben. Revolution machen immer diejenigen, die nichts zu verlieren und manches zu gewinnen haben. Das ist nicht nur im Fußball so. Frank betritt Neuland in Deutschland. In Württemberg gibt es einen Verbandstrainer, Helmut Groß, der seinen jungen Trainern die Raumdeckung nahe bringt, aber im Profifußball traut sich das bis dahin kaum jemand. Deutschland ist Libero-Land10.

Frank fängt ganz von vorne an: Pressing sollen seine Jungs spielen, den Gegner beim Spielaufbau stören, die gegnerischen Verteidiger angreifen, den Ball erobern, dann ist der Weg zum Tor nicht so weit. Franks erster Sieg: Er gewinnt die Mannschaft.

In Deutschland wird bei der Fußball-Berichterstattung häufig der Fehler in den Vordergrund gestellt, wenn, wie im Februar 2011, ein Mittelfeldspieler wie Bastian Schweinsteiger den Ball an Kevin Großkreutz verliert, der Lucas Barrios ins Spiel bringt, der ein Tor macht. Für das Umzingeln, das Pressing, die Leistung der Mannschaft, die gegen den Ball11 spielt und Schweinsteiger zum Fehler zwingt, fehlt der Blick. Solche Ballgewinne zeichnen modernen Fußball aus. Frank weiß das, Klopp weiß es von ihm.

Dennis Weiland im Café Raab

Ein solches Spielsystem funktioniert nur, wenn alle mitmachen, auch die Stürmer. »Einen kannst du vielleicht raus lassen«, schränkt der frühere Mainzer Mittelfeldspieler Dennis Weiland, 37, ein, der im Café Raab sitzt. Es ist Klopps Mainzer Lieblingscafé. Wir nehmen ein paar Tassen aufgeschäumte Milch, in denen ein Espresso schwimmt. Nicht weit davon entfernt steht Klopps Haus im angenehmen Mainzer Stadtteil Gonsenheim. Die Straße runter ist der Wald, in dem die Mainzer Spieler Kondition trainiert haben.

Unter Wolfgang Frank machen bei Mainz alle mit, wenn gegen den Ball gearbeitet wird. In Ulm auch. In Ulm, in der Dritten Liga, gibt es seit 1997 noch so einen Verrückten. Der heißt Ralf Rangnick. Im DFBPokal 1997/98 müssen die Mainzer mit ihrem Trainer Dietmar Constantini zum Drittligisten SSV Ulm 1846 und werden mit 4:1 verhauen. Bei Mainz ist Klopp nicht im Aufgebot. Klopp kommt mit Constantini nicht klar. Heidel denkt: »Die Ulmer, die spielen so, wie wir gerne spielen würden.« Und dann fällt ihm der Name dieses »Ungarn« nicht ein, »so ein Kleiner«, bei Ulm vorne im Sturm. War kein Ungar, der Ungar bei Ulm war der athletische Innenverteidiger Tamás Bódog, der das 1:0 macht und später bei Mainz spielt, der Kleine im Sturm war Dragan Trkulja, ein säbelbeiniger Serbe, der gegen Mainz zwei Tore vorbereitet und eines macht. Spielte Pressing, der Trkulja.

Wolfgang Frank übt mit den Mainzern Anfang 1996 die Raumdeckung, das Verschieben, das Pressing. Dann spielen die Mainzer eine grandiose Rückrunde, nicht weil die Spieler plötzlich so gut sind, oder wenigstens nicht nur, sondern auch, weil der Trainer eine Idee hat, und keiner in der Liga hat eine Antwort. Heute spielen alle mit der Viererkette, das damals war der Anfang, holprig, und vom Rand des Fußballs aus. Das Establishment wartet ab und zieht später nach. Frank krempelt alles um, ist enorm ehrgeizig.

In der Winterpause der nächsten Saison überzieht er. In dieser Phase kommt ihm das Gespür für die Bedürfnisse der Mannschaft abhanden, er lässt zuviel trainieren. Mainz verliert die ersten beiden Rückrundenspiele. Frank, mit einer Konsequenz, die etwas Schmerzhaftes hat, schmeißt hin. Klopp lernt bei Frank, wie es geht, und lernt, wie es nicht geht.

Reinhard Saftig

Nun hat Heidel ein Problem, das er in den nächsten Jahren immer haben wird, wenn er einen Trainer entlässt. Wo ist ein Coach, der ballorientiert spielen lässt: Viererkette, 4-4-2, offensiv, Pressing – denn das wollen er und die Spieler nie mehr hergeben. Wo ist dieser Coach? »Deutschland hatte damals kein Nachwuchsproblem, kein Problem mit jungen Spielern, wie alle behauptet haben, sondern ein Trainer-problem«, sagt Heidel. Er hat ein Trainerproblem.

Er braucht für die Mannschaft, die um Frank trauert und sein System weiter spielen will, den richtigen Trainer – und fürs Umfeld einen großen Namen. Auch, um den bösen Satz des ambitionierten Frank zu entkräften: »Die Mainzer wollen ja gar nicht aufsteigen.« Er holt Reinhard Saftig, damals 45 Jahre alt, der für ein paar Monate die Münchner Bayern, dann unter anderem Borussia Dortmund, auch Bayer Leverkusen, und zuletzt Galatasaray Istanbul gecoacht hat.

Heidel macht eine irritierende Erfahrung. Er sagt den Trainerkandidaten, die nicht so Schlange stehen wie das heute der Fall wäre, ganz deutlich, was er von ihnen will. Und die Trainer sagen, dass sie das auch wollen: Ballorientiert spielen, verschieben, im Raum verteidigen, 4-4-2, offensiv spielen, pressen – aber dann machen sie etwas anderes. Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie es nicht können, und das nicht zugeben, weil sie den Job bei Mainz wollen. »Heute«, sagt Heidel, »hat Mainz als Verein eine Idee, eine Spielidee, wir geben dem Trainer ein Konzept vor, das er erfüllen muss.« Im Rahmen des Konzepts hat der Trainer alle Freiheiten, einen Trainer, der mit Libero spielen will, wird es in Mainz, solange das Wasser von Main und Rhein nicht den Berg hoch fließen, nicht geben.

Schattenkabinett

Mannschaftssitzung vor einem Spiel gegen Rot-Weiß Essen, Reinhard Saftig erklärt die Taktik, Grundordnung: Dreierkette. Nichts mehr von Franks System, altbackener Fußball. Nach der Sitzung kommt der Spieler Klopp zu Heidel ins Büro, er ist ein wenig aufgebracht, der Spieler Klopp. Und nun wird es konspirativ: »Sollen wir spielen wie immer, oder wie der Saftig es will?«, fragt Klopp den Manager. Heidel überlegt nicht lange, die Konsequenzen ahnend: »Spielt so wie immer.« Also die Frank-Taktik, Viererkette, das, worauf er Saftig in den Gesprächen, bevor der neue Mann einen Vertrag bekam, verpflichtet hatte. Mainz gewinnt, Saftig wird gefeiert, es entsteht, was Heidel »das Schattenkabinett« nennt. Auf Dauer geht das nicht, Heidel wird das immer klarer.

»An dem Tisch«, sagt Heidel in seinem Büro und klopft vehement auf den Tisch, auf dem unsere Kaffeetassen hüpfen, habe er mit Klopp, dem Spieler, gesessen, und über die Taktik gesprochen, mit der Mainz spielen muss, trotz Trainer. »Wir machen das so, und wir machen das so«, erklärt ihm der Klopp. Und der Saftig ist nur die Außendarstellung. Doch irgendwann setzt sich Saftig gegen den in Klopp personifizierten Widerstand der Mannschaft durch, und macht ein paar Fehler, die von den Spielern nicht korrigiert werden können. Mainz wird Vierter, der VfL Wolfsburg, noch ohne VW im Kreuz – manchmal auch im Nacken – steigt auf. Es ist der erste der ominösen vierten Mainzer Plätze.

In der nächsten Saison muss Saftig gehen, der Österreicher Dietmar Constantini kommt. Er war unter seinem Mentor Ernst Happel Co-Trainer der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft. Mit Constantini spielt Mainz häufig unentschieden und mit Libero. Nach einer 1:3-Niederlage zu Hause gegen die SG Wattenscheid, der Abstand zu den Stuttgarter Kickers, die 15. sind, beträgt nur noch einen Punkt, tritt Constantini zurück: »Euch kann in dieser verdammt schwierigen Situation nur noch einer helfen, und das ist Wolfgang Frank«, sagt Constantini, und man sieht diesem Satz Franks Schatten an.

Frank II

Wolfgang Frank, gerade bei Austria Wien unter Vertrag, kommt nach Mainz zurück. Wenn Liebe im Spiel ist, sind Verträge nicht entscheidend. Zum Auswärtsspiel bei den Stuttgarter Kickers, dem ersten unter Rückkehrer Frank, fahren 1.200 Mainzer Fans mit, sie rufen: »Messias, Messias.« Manche Spieler empfinden ähnlich, da schwingt etwas von dem mit, was in den Mainzer Dom gehört, aber nicht ins Fußballstadion. Gegen die Kickers gewinnt Mainz mit 2:1, ohne Libero, Jürgen Kramny spielt wieder im Mittelfeld, die Tore machen Steffen Herzberger und Sven Demandt. Mit Frank wird Mainz in der Saison 1997/98 Zehnter. In der Saison 1998/99 wird Mainz Siebter.

Im April 2000, nach einer 0:1-Niederlage gegen den 1.FC Köln, als Frank, mit Vertrag bis 2001 bei Mainz, offen über einen vorzeitigen Wechsel zum MSV Duisburg verhandelt, muss er in Mainz gehen. Daraufhin spricht Frank zwei Jahre kein Wort mit Heidel. Unter seinem Assistenten Dirk Karkuth schaffen die in Abstiegsgefahr schwebenden Mainzer den Klassenerhalt. Karkuth ist keine Dauerlösung, die soll René Vandereycken sein, doch der bringt einen Libero mit.

»Unsere Mannschaft war von Frank taktisch hervorragend ausgebildet, die Trainer, die sie nach ihm hatte, waren es nicht«, sagt Heidel, »die Mannschaft war taktisch besser als ihre Trainer.« Und mit den neuen Spielern gab es Probleme, weil die alten das System drauf hatten, die neuen es aber nicht lernten, weil es die Trainer ihnen nicht beibringen konnten.

Vandereycken legt sich mit den erfahrenen Spielern an, Klopp ist nicht mehr im Kader. Am 11. November, zwölfter Spieltag, eine 0:2-Heimniederlage gegen Hannover 96 mit Roter Karte für Torwart Dimo Wache, hat Mainz zwölf Punkte. Der Belgier, von 2006 bis 2009 belgischer Nationaltrainer, wird entlassen. Mainz liegt auf dem 15. Tabellenplatz. Das waren keine Pfeifen, die Trainer in Mainz, aber die Ansprüche der Mainzer waren hoch. Mit der Mannschaft war nur durch ein Spielsystem, mit dem die individuellen Schwächen aufgefangen wurden, etwas zu gewinnen.

Ufz Krautzun

Vandereyckens Nachfolger heißt Eckhard Krautzun. Er hat das geschickt eingefädelt, indem er bei Klopp anruft. Einfach nur so, wie er Klopp versichert. Dass er Trainer in Mainz werden will, verschweigt er. Krautzun fragt und Klopp erklärt ihm, was in der Mannschaft nicht läuft und warum es nicht läuft und was man tun muss, damit sich das ändert. Beim Gespräch mit den Verantwortlichen des FSV Mainz glänzt Krautzun mit Insiderwissen, er kann erklären, wie es mit der Viererkette geht, von der er nur das weiß, was Klopp ihm am Telefon erklärt hat. Er bekommt den Job. »Wir wussten nichts von diesem Gespräch zwischen Krautzun und Kloppo«, sagt Heidel.

Der in der Welt herumgekommene Trainer hat einen unglücklichen Start, indem er sich auf der Pressekonferenz mit dem Satz: »Ich freue mich, in der Pfalz und am Bruchsee zu arbeiten« gleich ins rheinhessische Abseits stellt.

Dem FSV droht derweil der Abstieg. Unter Krautzun, Jahrgang 1941, dessen Vokabular von den Erfahrungen der Kriegsgeneration geprägt ist, wird gegen den FC St. Pauli ein Punkt geholt, und gegen Nürnberg gewonnen, dann folgen sieben Spiele mit nur zwei Punkten. »Kein Schlachtenglück«, schnarrt Krautzun.

Ende Januar 2001 ein 0:0 bei den Stuttgarter Kickers, Mainz ist 16., die Kickers sind 15. Dann ist Winterpause. »Wir mussten was tun«, sagt Heidel und macht sich auf die Suche nach einem neuen Trainer. Es ist Rosenmontag, er sitzt zu Hause und liest die Jahrbücher des Kicker. Vorwärts, rückwärts. »Ich konnte mich mit keiner Vita anfreunden«, sagt Heidel. Neuer Trainer, neuer Trainer, wer wird neuer Trainer »beim Absteiger Nummer eins«, als der Mainz bezeichnet wird?

Die Mannschaft ist mit Krautzun im Trainingslager in Bad Kreuznach, auf der Flucht vor der alles verschlingenden »Määnzer Fassenacht«. Die Vereinsspitze ist beim Rosenmontagsumzug in der Innenstadt. Heidel sitzt auf dem Sofa und denkt nach: »Wie geht es weiter?« Irgendwann sagt er sich: »Die sollen das selbst regeln, wir nehmen die Mannschaft in die Verantwortung. Die Spieler, die sollen das selbst machen, wir haben doch vier, fünf Führungsspieler, wir trainieren uns selbst.« So wie die Jugendlichen in den selbst verwalteten Jugendzentren sich gegenseitig erziehen. Das hat nichts mit Trotz zu tun, oder damit, dass die Mannschaft untrainierbar ist, sondern damit, dass die Spieler etwas vom Fußball wissen, was in Deutschland damals nur wenige Trainer wissen. Und zu denen gehört Krautzun nicht.

»Mach ich«

Heidel ruft Harald Strutz an, ehemaliger Dreispringer, Rechtsanwalt, und seit 1988 Präsident von Mainz 05. Im Hintergrund »dädä dädä dädäää«, Heidel sagt: »Wir trennen uns vom Trainer.« Strutz gelassen: »Jo.« Und im Hintergrund »dädä dädä dädäää«. Heidel sagt: »Der Klopp wird Trainer.« Strutz, die Ruhe selbst: »Aha.« Und im Hintergrund hört Heidel ein dreifach kräftiges »Helau«.

An Aschermittwoch ist das nächste Spiel, gegen Duisburg, die aufsteigen wollen, dann, am Samstag, gegen Chemnitz, den Letzten. »Ich wollte erst mal diese beiden Spiele überstehen«, sagt Heidel. Er ruft Dimo Wache, den Mannschaftskapitän, im Trainingslager an und spricht mit ihm. Er ruft Klopp im Trainingslager an, der verletzt ist und nicht spielen kann: »Ich wusste ja, er will mal Trainer werden.« Heidel stellt sich vor, dass Klopp als Spielertrainer fungiert und fürchtet, dass der sagt: »Du hast sie ja nicht alle.« Heidel fragt, Klopp antwortet prompt: »Mach ich«, aber er will nur Trainer sein. Rasch hatte er abgewogen: Eine Zweitligakarriere als Spieler, die ihrem Ende entgegen ging oder eine neue Karriere, die er sich zutraute. Heidel ist überrascht und froh, denkt: »Hut ab«, und stimmt zu. Den Spieler Jürgen Klopp gab es nach diesem Telefonat in Bad Kreuznach nicht mehr.

»Gib mir ein Spiel«

Heidel fährt anschließend nach Bad Kreuznach, denn alle entscheidenden Akteure wissen nun Bescheid, nur der Krautzun weiß nichts. »Gib mir noch ein Spiel«, bittet Krautzun, als ihn Heidel über seine Entlassung informiert. Heidel sagt »nein«. Krautzun fragt ihn: »Was machste denn jetzt?« Und Heidel sagt: »Wir nehmen den Klopp.« Krautzun sagt: »Nein, denk an den Verein, du hast Verantwortung gegenüber dem Verein, gib mir noch ein Spiel.« Heidel sagt »nein«.

Nun kommt die Pressekonferenz, auf der Heidel den neuen Trainer präsentiert. Die Mainzer Journalisten, die schon was geahnt haben und für die Trainerentlassungen nichts Neues sind, flachsen: »Was will denn der Kloppo hier?« Und als sie erfahren, dass er Trainer sein will, machen sie sich lustig, auch in ihren Zeitungen, über Mainz, die nun offensichtlich völlig den Verstand verloren haben, die Zweite Liga aufgegeben haben, über Klopp, der offensichtlich größenwahnsinnig geworden ist. »Wir wurden verarscht«, sagt Heidel.

Klopps erste Ansprache

Dann hält Klopp eine Ansprache an die Mannschaft. Seine erste, Heidel hört zu. »Wenn man mir Schuhe gegeben hätte, ich wäre auf den Platz gelaufen, und ich hätte es gut gemacht«, sagt er. So überzeugt war Klopp, dass die Mannschaft gegen Duisburg gewinnt. »Die Spieler wollten sofort raus und die Duisburger fressen«, erinnert sich Heidel. Der denkt sich: »Okay, Fußball kann er«, das wusste er seit den Zeiten des Schattenkabinetts, »reden kann er auch«. Das ist ja schon mal was.

Gegen Duisburg kommen 3.500 Zuschauer. Vertrauen sieht anders, Skepsis so aus. Mainz gewinnt mit 1:0, Torschütze Christof Babatz. »Gut«, denkt Heidel, »soll Kloppo auch das Spiel gegen Chemnitz machen.« Babatz macht das 1:0 gegen Chemnitz, am Ende steht es 3:1. Klopps Pressekonferenzen sind super, die Interviews nach dem Spiel genauso. »Das kann er auch«, denkt Heidel, »gut, dann bis Saisonende.« Vertrag per Handschlag. Klopp steckt wieder Stangen in den Rasen und die Mannschaft trainiert verschieben, sie presst, spielt offensiv, 4-4-2 und verteidigt im Raum. Mainz bleibt in der Liga, Klopp Trainer, nun mit Vertrag.

Da ist endlich ein Bogen, ein Zusammenhang, eine Verbindung, endlich passt das eine Teil zum anderen. Frank hat einen Nachfolger. Doch während bei Frank nur das gespielt werden durfte, was auf dem Plan stand, keiner davon auch nur einen Jota abweichen, vor allem nicht Dribbeln durfte, fördert Klopp, bei allen taktischen Vorgaben, die Individualität. Was auch damit zu tun hat, dass er individuell stärkere Spieler als Frank hat.

Authentisch

Den Wechsel vom Spieler zum Trainer schafft Klopp, weil er auch als Trainer »authentisch ist«, sagt Heidel und nennt das »seine größte Gabe«. Man hat Vertrauen zu ihm, ein, wie man weiß, ein höchst prekäres Gut. »Man hat das Gefühl, dass das, was er sagt, gilt«, sagt Heidel. Dass er das ist, was er sagt, dass er sich nicht verstellt. Es gibt Trainer, die markieren den harten Hund, und sind es nicht. Das macht Klopp nicht.

Klopp ist ein Mensch, der als Trainer auf den Schiedsrichter losgeht, über Werbebanden stolpert, auf die Tribüne muss, auf und abspringt, eine furchterregende Fratze zieht, brüllt, heult, die Zähne fletscht, auf den Platz rennt, und immer ist er hundert Prozent Klopp. »Wie das wirkt, darüber macht er sich keine Gedanken«, sagt Heidel, »Tuchel ist auch so«. »Authentisch«, sagt auch Weiland, der inzwischen in Mainz im vierten Semester Sport studiert. Trotz Kniebeschwerden war die Sporteingangsprüfung kein Problem. Weiland wird die Riege der Trainer, die aus Klopps Mannschaften hervorgegangen sind, verstärken: Otto Addo, Sandro Schwarz, Christian Hock, Jürgen Kramny, Sven Demandt, Petr Ruman, Tamás Bódog, Marco Rose, Sven Christ, Peter Neustädter, Ermin Melunovic, Marco Walker. Das sagt etwas aus über einen Fußballlehrer, wenn die Spieler, die er trainiert hat, nicht abgeschreckt werden, sondern auch als Trainer arbeiten wollen.

»Ich muss ja nicht alleine glücklich bleiben auf der Welt.«
Klopp weiß genau, dass eine Menge Glück im Spiel war, um Trainer beim FSV Mainz zu werden. Er weiß genau, was es bedeutet, Bundesliga-Trainer zu sein: »Das kann ich jeden Tag fühlen.« Da er auch weiß, wie schwer sich Vereine bei der Suche nach dem richtigen Trainer tun, hält er sich nicht zurück, wenn er gefragt wird. Kann auch vorkommen, dass er was ungefragt sagt:
»Mittlerweile kenne ich sehr viele Kollegen. Entweder habe ich mit ihnen den Trainerschein gemacht oder habe sie im Laufe der Zeit kennengelernt. Wenn mich ein Präsident am Telefon hat, dann sage ich ihm schon mal: ›Ich kenne da einen, der für dich interessant sein könnte.‹ Ich glaube, dass Entscheider gerade bei der Trainerauswahl extrem viel Hilfe gebrauchen können. Entweder weil sie zu wenig Informationen besitzen oder keine Ruhe haben, die richtige Entscheidung zu treffen. Oder nicht mutig genug sind. In Mainz waren sie mutig, in Dortmund waren sie mutig – davon habe ich profitiert. Und deswegen muss ich ja auch nicht alleine glücklich bleiben auf der Welt.«

Weiland kommt im Sommer 2001 vom VfL Osnabrück. Die Mainzer haben am 22. Oktober 2001 in Osnabrück gespielt, beide Mannschaften kämpfen gegen den Abstieg. Bei Mainz muss Mittelfeldspieler Jürgen Kramny nach 15 Minuten mit Muskelfaserriss raus, Klopp wird eingewechselt und spielt gegen Weiland, der die Tore von Daniel Thioune zum 2:1-Sieg des Vfl vorbereitet. Osnabrück steigt trotzdem ab, Mainz bleibt in der zweiten Liga.

»Das hat dich für Mainz qualifiziert«, sagt Klopp zu Weiland, als der sein »Dosenöffner« im Mittelfeld geworden war. Heidel erzählt, dass er zu Spielerverpflichtungen nie Trainer mitgenommen hat, weil er die Befürchtung hatte, dass die den Neuen abschrecken. Anders bei Klopp, der war sein stärkstes Argument: »Mit ihm ist mir fast nie ein Spieler abgesprungen.«

Weiland erkundigt sich, als die Mainzer Anfrage vorliegt, bei Kumpel Babatz, mit dem er für Germania Grasdorf gespielt hat, und immer zusammen auf dem Zimmer war, wie das so ist, in Mainz. Babatz findet Mainz gut. »Man wusste, dass die mit Viererkette spielen, die hatten mit Michael Thurk und Blaise Nkufo gute Stürmer, und suchten einen Linksfuß«, sagt Weiland. Einen wie ihn.

In Osnabrück warnen sie ihn: »Was willste denn da? Spielst vor 3.000 Zuschauern und nächste Saison steigst du auch ab.« Weiland, ein kluger Bursche, schaut sich den Mainzer Kader an und findet ihn unbedingt zweitligatauglich. »Wir hatten dann das Potenzial, um 4-3-3 zu spielen«, sagt Weiland, das war gut für ihn.

Das System

Klopp baut die Neuen langsam ein, ein Neuer muss das System adaptieren. »Das System stand im Vordergrund«, sagt Weiland. Es gab immer auch mal neue Spieler, »die das System nicht spielen konnten, die kriegten das nicht rein, die hatten Probleme bei uns«. Es geht darum, zu antizipieren, zu ahnen, was der Gegner macht, im Kopf wach zu sein. Das war etwas anderes als stumpfe Manndeckung. Auch Pressing muss man wollen.

Weiland erinnert sich an eine Situation, als er seinem Bruder Niclas, dem Stürmer, einen Ball vorlegt, in den freien Raum hebt, über den Verteidiger drüber. Aber der Bruder bleibt stehen, klassisches Missverständnis. Dennis regt sich auf und schimpft: »Hey Mann, du weißt doch, was ich mache!« Daraufhin regt sich Klopp darüber auf, dass sich Dennis Weiland aufregt, statt weiter zu spielen. »Und wenn er sich aufregt, dann ist das erst mal so«, sagt Weiland. Und bleibt auch erst mal so. »Dann musste man was für ihn reißen, um wieder eine Chance zu bekommen«, sagt Weiland.

Weiland bemisst Klopps Anteil daran, dass die Mannschaft an den beiden verpassten Aufstiegen nicht zerschellt ist, als »sehr groß«. Der Trainer macht den Spielern keine Vorwürfe, die Spieler machen sich untereinander keine. »Aus einer anderen Stadt wird man gejagt, wenn das passiert, in Mainz gefeiert«, sagt Weiland, »die Erfahrung macht nicht jeder«.

Auch nach dem zweiten verpassten Aufstieg kein Gedanke an einen Fluch, an psychologische Barrieren, fehlenden Killerinstinkt, »das haben wir uns nicht einreden lassen«, sagt Weiland. Klopp ist ein »emotionaler Mensch, der die Emotionen auslebt, auch als wir nicht aufgestiegen sind, aber dann fängt er sich, schaltet den Kopf ein. Er hat uns klar gemacht, dass dies nicht das Ende der Fahnenstange ist, dass die Möglichkeit wieder kommt«, sagt Weiland. Die Spieler glauben ihrem Trainer auch das.

Vertrauen

»Ich habe dran geglaubt, dass der Trainer für die Mannschaft gut ist, und das Richtige macht, auch wenn ich nicht gespielt habe«, sagt Weiland. Es gab Entscheidungen, vor allem am Ende seiner Mainzer Zeit im Jahr 2006, die er nicht nachvollziehen konnte, als er nach Verletzungspausen auf eine Chance gehofft hatte, aber keine mehr bekam. »Man denkt auch dann, der denkt sich was dabei«, sagt Weiland.

Deshalb ist Klopp jemand, den man auch nach neun Spielen ohne Sieg nicht in Frage stellt, deshalb ist er jemand, der das Interesse von Bayer Leverkusen, des Hamburger SV, von Bayern München und Borussia Dortmund erregt.

Mit Hans-Joachim Watzke, dem Geschäftsführer von Borussia Dortmund, spricht Heidel zwei Jahre, bevor Klopp zum BVB geht, das erste Mal über seinen Trainer. »Ich habe ihm gesagt: Das ist der größte Trainer in Deutschland«, sagt Heidel, auch wenn das schlecht für den FSV ist. Es wird angezweifelt, ob Klopp mit Stars umgehen kann, weil es die ja in Mainz nicht gibt. Klopp wird als reiner Motivationskünstler gesehen, der Mannschaften heiß machen kann, ein wilder Hund, ein bisschen zu wild vielleicht. Bei den Bayern fragen sie sich, ob einer, der wie Klopp rumläuft, unrasiert, Jeans, Löcher drin, in der Champions League geht? Das fuchst Klopp. Die Bayern sagen ihm: »Wir entscheiden uns zwischen Ihnen und einem international renommierten Trainer.« Klopp verzichtet, die Bayern bekommen Jürgen Klinsmann.

Der Scout des HSV

Die Hamburger schicken einen Scout, dem auffällt, dass Klopp zu spät zum Training kommt und raucht. Er weiß nicht, dass es ein Ritual in Mainz ist, dass Klopp als Letzter auf den Trainingsplatz läuft. Und zum Rauchen sagt Klopp: »Na ja.« Der HSV hält ihn so lange hin, bis Klopp dem von sich aus ein Ende macht. Bleiben Leverkusen und der BVB. Die Leverkusener machen ihm klar, dass er nur die Nummer zwei hinter Mirko Slomka ist, der es dann auch nicht wird, sondern Bruno Labbadia. Also geht Klopp, weil Mainz nicht aufsteigt, zum BVB.

Ein guter Scout hätte gesehen, dass Klopp, wenn er früher mittrainierte, mit ganzem Herzen dabei ist, »und es immer mal schafft, einen Ball rein zu stochern, der alte Stürmer«, sagt Weiland. Mit Willen. Willenskraft, von der er eine Menge hat, schätzt Klopp auch bei anderen. »Wenn das einer nicht hatte, Willen, dann bekam Kloppo eine dicke Halsschlagader«, sagt Weiland. Ein guter Scout hätte die Begeisterung gesehen, mit der in Mainz gearbeitet wird, den Enthusiasmus, den Spaß des Trainers an der Arbeit, den Spaß der Spieler, und die Präzision, die Akribie.12

Im Rahmen des Internationalen Sportkongresses 2011 in Bochum im Juli 2011 äußerte sich Jürgen Klopp im Interview mit Moderator Max Jung zu den Anfängen seiner Trainerzeit – im Einzelnen über …12
… die ersten Trainertage 2001:
»Ich kenne noch den Montag, den Tag vorher, den Tag nachher. Die kann ich alle eins zu eins wiedergeben, klar. Das war ein entscheidender Einschnitt in meinem Leben. Man darf nicht vergessen: Ich war damals als Zweitliga-Spieler bei Mainz 05 ein alternder Spieler. (…) Vom alternden Kicker zum blutjungen Trainer war eine eher angenehme Metamorphose. Ich hatte auch direkt das Gefühl, das Leben ist wieder schöner. Und dann durfte ich die Mannschaft übernehmen. Ich habe für wenige Dinge ein Talent, aber dafür scheine ich ein bisschen zu haben. Das hat damals dazu ausgereicht, gemeinsam mit der Mannschaft aus einer schier aussichtslosen Situation heraus noch die Liga zu halten.«
… das Risiko, einen Abstiegskandidaten zu übernehmen:
»Ich habe das damals nicht bewusst wahrgenommen, aber heute ist mir klar: Wäre ich mit 33 Jahren zwei, drei Spieltage vor Saisonende mit Mainz abgestiegen, dann wäre das Trainergeschäft relativ hart gewesen. Dann hätte ich auf meiner Agenda stehen gehabt: erster Versuch, gleich abgestiegen. Da hätte keiner mehr nachgefragt, (…) und einem solchen Trainer noch eine zweite Chance gegeben. Und daher musste ich schon extrem viel Glück in Anspruch nehmen und eben auch auf die Mannschaft vertrauen, das zu schaffen.«
… über die Erfüllung einer Passion:
»Zeitnah war mir klar, dass ich den Trainerjob gerne den Rest meines Lebens machen würde, aber du kannst dich ja nicht bewerben. Ich kann ja nicht sagen: ›Freunde, passt auf, ich kann zwar nicht so gut kicken, aber ich habe einigermaßen durchstiegen, wie das Spiel funktioniert. Also lasst mich mal eure Mannschaft übernehmen.‹ Das geht ja nicht. Mit meiner Legende, die ich als Spieler habe, musst du eigentlich in der vierten oder fünften Liga anfangen (…). Und ich hatte das Glück, als durchschnittlicher Spieler gleich in der zweiten Liga anzufangen.«
… über den famosen Start in die Trainerkarriere mit sechs Siegen in sieben Spielen:
»Das mussten wir auch. Wir hätten keinen Punkt weniger holen dürfen. Es war schon dramatisch, wobei ich das damals nicht so empfand. Wir waren einigermaßen entspannt, denn wir wussten eigentlich, dass das Ding schon verloren war. Jetzt konnten wir nur noch versuchen, an der Sensation zu schrauben und das hat wirklich sehr, sehr gut funktioniert. Wir hatten eine charakterlich außergewöhnlich gute Mannschaft, die alles angenommen hat, was ich mit ihnen veranstaltet habe. Das hat wirklich großen Spaß gemacht.«
Stellvertretend für diesen Spaß berichtete Klopp von der Rückreise nach einem gewonnenen Auswärtsspiel in Ulm: »Wir haben dem Busfahrer gesagt: ›Fahr’ rechts raus‹ und haben an einer Tankstelle angehalten. Dann sind alle mit Sonnenbrillen raus und haben Bier geholt. Wenn sie den Mannschaftsbus von Mainz 05 gesehen haben, haben damals noch alle gedacht: ›Wer sind denn die Ochsen, die da rauskommen?‹ Heute wäre das so nicht mehr möglich. Aber mit dieser Mannschaft, von der etwa alle so alt waren wie ich, war das durchaus nicht die falsche Maßnahme. Das ist mehr als zehn Jahre her, es war eine andere Zeit.«

Weiland erinnert sich lachend an die internationalen Spiele, als Mainz dank der Fairplay-Regelung im Uefa-Pokal spielt, etwa gegen MIKA Aschtarak in Armenien, gegen Keflavik ÍF auf Island und gegen den FC Sevilla. Als Klopp ein Keflavik-Video vorführt, bittet er um Ernsthaftigkeit, weil er selbst darüber lachen muss, wie die Isländer Ecken und Freistöße hoch vor das Tor treten, in der Hoffnung, der Wind schiebt den Ball Richtung Kasten, oder am besten gleich rein. Was er auch tut.

Ende

Im Jahr 2006 läuft Weilands Vertrag aus und wird nicht verlängert. Es gibt kein großes Gespräch. Weiland braucht das nicht, er ist nicht böse darüber. Es »tat weh, ein bisschen«, weil Weiland ahnt, dass er was verliert, was er nicht mehr bekommen wird: Das Gefühl, dass es passt, menschlich und spielerisch. Toni da Silva kommt zu Mainz, ein guter Spieler, bei Weiland reißt das Syndesmoseband, er kommt nicht mehr ran. Der Bruder geht auch, kurze Zeit später Babatz. Dennis Weiland landet bei Eintracht Braunschweig, der Unterschied ist riesig.

Klopps Mischung aus Kumpelhaftigkeit, Humor und sehr detaillierter, ernsthafter Feinarbeit ist einmalig. Üben, bis was sitzt, auf Winzigkeiten achten, und bei Weiland Shampoo schnorren: »Wo issn dein Shampoo?«, fragt Klopp. »Das weißt du doch«, sagt Weiland. Das ist Klopp in Mainz. Im Dortmunder Spiel erkennt Weiland das Mainzer Spiel wieder, weiter entwickelt. Immer Klopps Handschrift, und immer was dazu.

Heidel muss jetzt zur Nationalmannschaft, er hat einen Termin mit Joachim Löw und Oliver Bierhoff. Aber er will das Gespräch über Klopp nicht abwürgen, er will, dass was rüber kommt von dem, was Klopp in Mainz war und noch immer ist. »Gut?«, fragt er am Ende, »ja, Herr Heidel, gut«, sage ich.

Mit Weiland verquatsche ich mich so, dass ich fast den Bus verpasse, der mich zum Zug bringt, der dann nicht fährt. Wir landen bei Iniesta und Xavi, da kann man nicht so einfach aufhören, außerdem ist der Latte macchiato im Café Raab gut. Weiland überlegt, wie er die A-Lizenz, eventuell die Fußballlehrer-Lizenz, und das Studium unter einen Hut bekommt. Da ist etwas in ihm, das will Trainer werden, hoffentlich lässt er es raus.

Wie gut es damals war, ist Weiland heute klar. Erst wenn man nicht mehr drin steckt, bis zum Hals, fängt der Kopf zu überlegen an. Wenn Weiland herausfindet, was gut war bei Klopp, wird das auch denen etwas bringen, die er mal trainiert. Und so geht das dann immer weiter.