Zum Stab von Jürgen Klopp gehört auch sein Berater Marc Kosicke, nicht zuletzt zuständig für die Außenwirkung seines Mandanten. Eine Verbindung, die über einen kleinen Umweg ihren Anfang fand.
von Matthias Greulich
Marc Kosicke – der Mann, dem die Trainer vertrauen
Niemand in dem luftigen Büro käme auf die Idee, Gästen etwas Süßes anzubieten. Auf dem Tisch im Konferenzraum liegen statt Keksen Holzspieße mit frischen Obststücken bereit. Am Empfang sieht man Angestellte, die ihren Kollegen zuwinken, wenn sie in der Mittagspause eine Runde im nah gelegenen Wald joggen gehen. Wer ähnlich sportlich aussehen will, kann im Erdgeschoss die neuesten Sneaker, Fußballschuhe und Trikots kaufen.
Die Freundschaft zwischen Jürgen Klopp und Marc Kosicke begann in der Deutschlandzentrale von Nike mit einer Anfrage. Ob er nicht einen Schuhvertrag mit dem Sportartikelhersteller abschließen könne, fragte der Fußballtrainer den damaligen Leiter des Marketings. »Das passt zu mir«, sagte Klopp, damals noch in Mainz beschäftigt, wie sich Marc Kosicke erinnert.46 Als beide am Abend zusammen noch ein Bier trinken gingen, raunte ihm der Trainer zu, dass er kein Geld für sich, sondern lediglich die Klamotten wolle.
Unaufgeregt und mit festem Händedruck
Marc Kosicke, 40, sportlich, norddeutsch, kurz rasiertes Haupthaar, leitet inzwischen seine eigene Agentur. Er berät Fußballtrainer. Michael Oenning, Bruno Labbadia, Holger Stanislawski, André Schubert und Jürgen Klopp sind seine Kunden. 2007 gründeten die Freunde Marc Kosicke und Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff »Projekt B«. Mittlerweile ist Marc Kosicke alleiniger Geschäftsführer und verlegte den Firmensitz vom Starnberger See ins hessische Eltville.
Von Jürgen Klopp redet er mit Wärme, sie vertrauen sich und haben ihre Zusammenarbeit vor vier Jahren per Handschlag beschlossen. Es muss ein sehr fester Händedruck gewesen sein. Marc Kosicke drückt sehr fest zu, wenn er einen Gesprächspartner begrüßt. Er macht einen verbindlichen Eindruck und wirkt in der notorisch aufgeregten Fußballbranche angenehm geerdet. Einer Branche, in der selbst langjährige Bundesligaspieler ihren Berater oder dessen Mitarbeiter die alltäglichsten Dinge für sich erledigen lassen. Die Fußballer erwarten, dass ihnen vieles abgenommen wird. So ist Jürgen Klopp nicht, der genau weiß, was er will und das gilt für die meisten Trainer, die es gewohnt sind, Entscheidungen zu treffen. »Das macht die Zusammenarbeit sehr angenehm«, sagt Marc Kosicke.
Von wegen, ruhiges Studentenleben …
Alles war schon vorbereitet. Der ehemalige Nationalspieler Oliver Bierhoff wollte das Studentenleben an der Kölner Sporthochschule kennenlernen. Sein bester Freund, Marc Kosicke, der in Köln Sportwissenschaften studiert hatte, vermittelte ein »Schnupperstudium«, wie es Oliver Bierhoff47 formulierte. »Sport treiben, Seminare besuchen, Student sein.« Daraus wurde zwar nichts, da Oliver Bierhoff seinen Posten als Manager der Fußball-Nationalmannschaft antrat, doch die Kumpels heckten bald was Neues aus. Sie gründeten »Projekt B«, wobei Marc Kosicke mittlerweile alleiniger Geschäftsführer ist. Die Agentur betreut neben Oliver Bierhoff fünf Trainer sowie Jens Lehmann und den Fernsehmoderator Sebastian Hellmann.
»Projekt B« hat den momentan begehrtesten Bundesligatrainer im Angebot, der in Werbespots immer wieder im Fernsehen zu sehen ist. Jürgen Klopp wirbt für den Autohersteller Seat und Tapetenkleister. Für Henkel ist er das »Metylan-Gesicht 2011«. Der Slogan »Enjoy«, den der Werbebotschafter in dem Seat-Werbefilm viermal aufsagen muss, wirkt zwar selbst für Wohlmeinende etwas aufgesetzt, doch sind diese gut dotierten Verträge ein probates Mittel, um aus der hohen Popularität von Jürgen Klopp Kapital zu schlagen.
Schutz des Mandanten im Blick
Einen anderen Werbevertrag hat Marc Kosicke allerdings kündigen müssen. Für die zur Ergo Versicherungsgruppe gehörende Hamburg-Mannheimer International hatte Jürgen Klopp seit Sommer 2010 Motivationsseminare vor Nachwuchskräften und Führungskräften gehalten. In diesem Frühjahr wurde bekannt, dass bei einer Belohnungsreise für Versicherungsvertreter der Hamburg-Mannheimer 2007 in Budapest eine organisierte Sex-Party mit Prostituierten gefeiert worden war. »Was man von dieser Reise liest, kann man nur aufs Schärfste verurteilen«, sagte Marc Kosicke dem Handelsblatt im Mai 2011. Um das gute Image von Jürgen Klopp nicht zu beschädigen, zog Marc Kosicke deshalb die Notbremse und stieg aus dem Vertrag aus.
Bei der Wahl der Turnschuhe stand im Sommer ebenfalls eine Veränderung ins Haus. Die Wahl der Sneaker ist gerade bei Jüngeren eine Entscheidung mit großer Tragweite – eine andere als die favorisierte Marke zu tragen, geht gar nicht. Marc Kosicke und Jürgen Klopp sind aus diesem Alter raus und nicht sentimental, wenn sich die Chance für einen attraktiven neuen Sponsorenvertrag ergibt. So gab Puma im August 2011 bekannt, zu Beginn der neuen Bundesliga-Saison eine langfristige Partnerschaft mit dem Meistertrainer eingegangen zu sein, der künftig Puma-Schuhe tragen wird. »Das richtige Schuhwerk hat für Sportler einen enormen Stellenwert. Puma und Fußball – das ist echte Liebe. Das passt zu mir«, wird Jürgen Klopp in einer Pressemitteilung des Sportartikelherstellers vom 17. August 2011 zitiert.
Jürgen Klopp als »TV-Bundestrainer«
Freies Reden vor Publikum fällt Klopp leicht, ob vor seiner Mannschaft oder einer breiteren Öffentlichkeit. Eine Eigenschaft, von der Klopp meint, sie vom Vater übernommen zu haben. Die Redegewandtheit ist ihm gegeben, nicht antrainiert. Dafür ist Klopp zu schlagfertig, zu gedankenschnell. Auch, weil er nicht nur gut redet, sondern genauso gut zuhört. So war es naheliegend, dass Klopp neben seiner Trainerkarriere 2005 noch eine weitere »Laufbahn« startete: die als eloquenter Medienexperte. Für das ZDF analysierte er neben Moderator Johannes B. Kerner Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft, unterstützt von Franz Beckenbauer und dem Schweizer Ex-Schiedsrichter Urs Meier.
Mithilfe eines elektronischen Taktik-Tisches gelang es Klopp, dem Fernsehpublikum die entscheidenden Spielszenen anschaulich und plakativ zu erklären – in einer klaren Sprache, dank der auch für den Fußballlaien komplexe Sachverhalte verständlich wurden. Der Taktiktisch war in dieser Form ein Novum in Deutschland. Bei ihm ließen sich virtuelle Markierungen vornehmen, wo ein Spieler richtigerweise hätte stehen sollen oder welcher der bessere Laufweg gewesen wäre. Ein Instrument, das Klopp bei seinen überzeugenden Erklärungen wirkungsvoll unterstützte. Für die Öffentlichkeit wurde Klopp nun zum »TV-Bundestrainer«, der taktisch ansprach, was sonst verborgen blieb – und damit seine Popularität enorm steigerte. Weit über die Mainzer Grenzen hinaus wurde seine Kompetenz nun wahrgenommen.
Zweifache Auszeichnung, aber …
Als Würdigung ihrer unterhaltsam-informativen Spielaufbereitung erhielten Klopp, Meier und Kerner anlässlich der WM 2006 den Deutschen Fernsehpreis für die »Beste Sportsendung«. Eine Ehrung, die Klopp vier Jahre später für die WM 2010 erneut zuteil wurde, diesmal bei RTL an der Seite von Moderator Günther Jauch. Die Auszeichnungen nahm Klopp allerdings nicht persönlich entgegen. Weshalb, das erklärte er 2010: »Ich möchte nicht in die Annalen eingehen als der Fußballtrainer, der zweimal den Fernsehpreis gewonnen hat, aber mit seinen Mannschaften nichts Bedeutendes.«48 Damals ahnte Klopp noch nichts von der Meisterschaft 2011 …
Klopps Zurückhaltung war jedoch nachvollziehbar, musste er doch gerade in der Mainzer Abstiegssaison 2006/07 einige öffentliche Kritik einstecken, nach dem Motto: »Der Trainer, der den TV-Zuschauern den Fußball erklärt, den aber seine Mannschaft nicht versteht.« Mit Amtsübernahme beim BVB 2008 beendete Klopp seine Tätigkeit als Co-Kommentator – und hätte sie nach eigenem Bekunden auch bei einem Verbleib in Mainz nicht weiter fortgeführt, da dem Trainer seine Wahrnehmung als Medienexperte zu dominant geworden war.
… in erster Linie ein Fußballlehrer
Dessen ungeachtet ist Jürgen Klopp natürlich weiterhin ein Medienliebling. Einer, der dank seiner natürlichen Ausstrahlung und hohem Unterhaltungsfaktor ein gern gesehener Gesprächspartner ist. Und einer, der von einer Jury der Deutschen Akademie für Fußballkultur für den besten Fußballspruch 2011 nominiert wurde. Neben zehn weiteren wurde auch ein Spruch von Klopp ausgewählt, geäußert nach dem ersten Sieg des BVB beim FC Bayern seit zwanzig Jahren: »Bei unserem letzten Sieg in München wurden die meisten meiner Spieler noch gestillt.« Dieses Zitat errang den achten Rang, der erste ging an BVB-Torwart Roman Weidenfeller für den Spruch: »I think we have a grandios Saison gespielt.«
Doch bei aller Eloquenz, dem stets guten Spruch auf den Lippen und der exzellenten Außendarstellung: »Vor allem ist Jürgen Klopp ein hervorragender Fußballlehrer«, betonen die, die tagtäglich mit ihm zu tun haben, unisono: BVB-Sportdirektor Michael Zorc und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.
Interview mit Cristián Gálvez zu
Persönlichkeit
und Außenwirkung von Jürgen
Klopp
Dass Jürgen Klopp ein Mann der Öffentlichkeit ist, bringt bereits sein Berufsbild mit sich. Wie sich dort Wirkung erzielen lässt, weiß Persönlichkeitstrainer Cristián Gálvez. Ein Gespräch über Führungsmerkmale, Glaubenssätze, Unternehmen des Aufbaus und der Perfektion sowie erfolgsrelevante Faktoren aus der Persönlichkeitspsychologie, die sich bei Jürgen Klopp beobachten lassen. Begrifflichkeiten, die zunächst kompliziert anmuten. Cristián Gálvez gelingt es, sie verständlich zu strukturieren.
»Klopp möchte die Welt ein bisschen besser machen.«
Herr Gálvez, Jürgen Klopp ist derzeit in aller Munde. Lassen Sie uns weniger über seine Fachkompetenz als Trainer sprechen, sondern mehr über seine enorme Strahlkraft in der Öffentlichkeit. Was zeichnet ihn als Persönlichkeit aus?
Klopp genießt in der stark ergebnisorientierten Unternehmenswelt ein sehr hohes Ansehen – und das auch völlig verdient. Durch meine Arbeit als Referent und Coach schaue ich täglich in die Führungsetagen deutscher und internationaler Unternehmen. Immer wieder mache ich dabei die Erfahrung, dass uns im internationalen Vergleich die wirklich herausragenden Führungspersönlichkeiten fehlen: die Führungsvorbilder. Unsere deutschen Unternehmen werden häufig hervorragend gemanagt, jedoch zu wenig geführt. Vielleicht ist genau das der Grund, weshalb eine Persönlichkeit wie Jürgen Klopp diese Begeisterung auslöst – auch unter deutschen Spitzenmanagern. Denn Klopp verkörpert auf ideale Weise die Eigenschaften einer herausragenden und zeitgemäßen Führungspersönlichkeit.
Wie unterscheiden Sie denn zwischen »managen« und »führen«?
Diese Unterscheidung existiert seit Ende der 1980er Jahre. Professor John P. Kotter von der Harvard Business School differenzierte damals zwischen Management und Leadership, sprich Führung. Auf der einen Seite die Manager, die verwalten, erhalten und imitieren. Hier geht es vor allem um Organisation, Kontrolle und Stabilität. Das sind Menschen, die fragen: »Wie läuft es? Wann geht es weiter?« Interessanterweise kommt der Begriff »Management« aus dem Italienischen: »maneggiare« bedeutet ursprünglich »ein Pferd in die Manege zu führen«. Insofern liegt dieses Verständnis sehr dicht an der Welt des Fußballs mit ihren Sportarenen und hochbezahlten zweibeinigen Edelrössern. Diese Menschen haben immer das Ergebnis im Auge. Die Perspektive ist kurzfristiger. Auf der anderen Seite spricht Kotter von »leadership«, also von Führung. Hier geht es um Zukunft, Motivation, Vision, Orientierung und vor allem um nachhaltigen Wandel. Diese Persönlichkeiten sind keine Kopien, sondern Originale, die langfristig denken. Sie bauen Vertrauen auf, sind begeistert und begeisternd, haben klare Visionen und hinterfragen immer wieder den Status quo.
Und da kommen wir zu Klopp …
Genau, und zwar sehr schnell. Denn Jürgen Klopp ist eine sehr authentische Führungspersönlichkeit. Authentizität heißt: Denken, fühlen und handeln stehen immer im Einklang. Was er denkt, zeigt sich stimmig durch sein Handeln. Zudem versteht Klopp es hervorragend, beide Seiten miteinander zu verbinden: Denn so sehr er als Führungspersönlichkeit auftritt, so stark zeigt sich auch seine Managerseite: Er betont ja immer wieder, dass die Technik das Rüstzeug im Fußball ist. Und wenn dann seine Spieler im Training den Ball 850 Mal technisch sauber verarbeiten müssen, dann ist das reines Management.
»Klopp hat es früh aufgesogen«
Lässt es sich denn erlernen, eine Führungspersönlichkeit zu sein? Oder ist das nicht beeinflussbar, also eine reine Typfrage?
Führungstrainer sagen natürlich gerne, dass erfolgreiche Führung erlernbar ist. Klopp jedenfalls ist mit der Führungsrolle groß geworden: Er war bereits in der Schule Klassensprecher, im Jugendverein Mannschaftskapitän – also immer in der Rolle desjenigen, der etwas vorangetrieben hat. Klopp hat wichtige Führungskompetenzen früh aufgesogen: Er ist sozial, kommunikativ und integrativ. Andere, die diese Fähigkeiten nicht vermittelt bekommen haben, müssen sie mühsam nachlernen. Es gibt ja Topmanager, die analytische Abläufe super umsetzen können, dann jedoch in eine Führungsposition hineinkommen und total scheitern. Unternehmen brauchen immer beides: Führung und Management. Und bei Klopp erkenne ich einen sehr, sehr starken Führungsanteil. Gleichzeitig versteht er es, diesen praktisch zu übertragen: »Wie setzen wir das um, damit wir erfolgreich sind?«
Sie sagten eben, dass eine Führungspersönlichkeit den Status quo in Frage stellt. Wie zeigt sich das bei Klopp?
Er verfolgt nicht nur die Entwicklung innerhalb seiner Branche, sondern schaut ganz bewusst auch über den Tellerrand hinweg. Eine typische Führungspersönlichkeit im Wirtschaftsleben war der inzwischen verstorbene Steve Jobs, bis August 2011 Vorstandsvorsitzender von Computer-Gigant Apple. Jobs hat sich nicht daran orientiert, was die Konkurrenz gemacht hat, sondern geschaut, wie sich Schönheit und Ästhetik ins Leben bringen lassen – auch bei Computern. Jobs schmiss einst frühzeitig sein Studium und setzte sich mit der Kalligrafie49 auseinander. Auch Klopp ist jemand, der in seinen Aussagen immer wieder deutlich macht, dass er über den Tellerrand hinaus schaut und damit den Status quo hinterfragt.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Wir Menschen sind sehr adaptive Wesen. Wir gucken ganz gerne mal, womit andere in unserem Umfeld erfolgreich sind und versuchen, uns das abzuschauen. Klopp geht darüber hinaus und richtet seinen Blick weiter. In einem Interview mit der ZEIT (Anm.: Ausgabe vom 6. 8. 2009) sagte er: »Ich habe gerade einen Film über einen Schlagzeuger gesehen, der erzählte, dass er einzelne Sequenzen bis zu 1.600 Mal wiederholt, bis er sie wirklich verinnerlicht hat. Dann denkt er nicht mehr nach, sondern spielt einfach.« Daran sieht man, dass er auch bewusst in andere Welten hineinschaut. Führungspersönlichkeiten nehmen die Chancen des Lebens anders wahr.
Und innerhalb des Sports …
… ist die Life Kinetik als geistiges wie körperliches Training ein sehr schönes Beispiel. Von ihr scheint Klopp ganz begeistert zu sein. Das ist eine ganz entscheidende Qualität von Führungspersönlichkeiten: Nicht nur zu schauen, was sich innerhalb der Branche bewährt hat, sondern auch außerhalb. Da zeigt er sich offen und ist daher in seiner Persönlichkeit sehr breit aufgestellt – das ist Führungsqualität.
Wie Identifikation funktioniert
Führungspersönlichkeiten haben Ihrer Meinung nach klare Visionen. Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt empfahl einst: »Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.« Wie füllen Sie die »Vision« inhaltlich mit Leben und worin erkennen Sie sie bei Klopp?
Aus Visionen lassen sich greifbare Ziele definieren. Visionen sind zielbestimmend – natürlich bei allen Unwägbarkeiten, die der Weg dorthin mit sich bringt. Eine Vision macht eine Person greifbar und vertrauenswürdig. Denn wir mögen Persönlichkeiten immer dann besonders, wenn wir wissen, woran wir bei ihnen sind. So propagierte US-Präsident Barack Obama in seinem Wahlkampf »change«, also den Wechsel. Daraus lassen sich konkrete Ziele, zum Beispiel für die Gesundheits- und Steuerpolitik ableiten. Auch wenn wir Fernsehen schauen oder ins Kino gehen, möchten wir immer wissen, was die Personen wollen: James Bond will die Welt retten, ET will nach Hause, Thomas Gottschalk will unterhalten und Peter Klöppel die Welt erklären – jede dieser Figuren wird uns durch ihre Vision erst vertraut. Sie handeln im permanenten Einklang mit ihren Zielen und Visionen. Das schafft Vertrauen!
Und Klopp will was?
Seine Vision ist, die Welt in seiner Umgebung ein bisschen besser zu machen. Das macht sich nicht nur durch seine Formulierungen bemerkbar, sondern zeigt sich vor allem durch sein Handeln. Es ist dieser entschlossene Wille, der seine Vision greifbar macht. Als Trainer will er seine Mannschaft besser machen. Als TV-Experte will er den Menschen das Geschehen auf dem Platz erklären. Ich kann es nur betonen: Er will es einfach besser machen. Ein solch starker Wille kommt aus dem Herzen, ist nicht aufgesetzt. Andere würden vielleicht sagen: »Ich will damit viel Geld verdienen, berühmt sein, die Nummer eins werden, will dies oder das.« Aber Klopp sagt: »Für mich heißt das, auch wenn das pathetisch klingt, den Ort, an dem ich bin, ein wenig besser zu machen.« So sagt er es im ZEIT-Interview. Und dieser Ansatz beschränkt sich nicht auf den sportlichen Bereich, sondern ist ein grundsätzlicher. Nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern überall dort, wo er ist, soll die Welt ein bisschen besser werden. Das ist seine Grundhaltung.
Denken Sie, dass es für dieses Selbstverständnis einen Auslöser gibt?
Ich vermute, dass er aus einem sehr stabilen Elternhaus kommt und glücklicherweise immer die Dinge tun konnte, die ihm am Herzen lagen. Daran will er auch andere teilhaben lassen. Wo es genau herkommt, das wäre vermessen zu beurteilen.
Klopp und die »aufgeklärte Patriarchie«
Zurück zur Führungspersönlichkeit Klopp. Wie lässt sich sein Führungsstil beschreiben?
Es gibt zwei wesentliche Führungsstile: Das eine ist der autoritäre Stil, den typischerweise der frühere FC Bayern-Trainer Louis van Gaal vertritt. Dann gibt es noch den partizipativen, den mitwirkenden Stil – und hier ist Jürgen Klinsmann sehr stark, wenn ich an seine Zeit als Bundestrainer denke. Beim damaligen Duo Jürgen Klinsmann und Joachim Löw bestand das Erfolgsrezept darin, dass Klinsmann die Führungspersönlichkeit verkörperte und Löw den Manager, der analysiert, umsetzt und die Arme hochkrempelt. Eine ideale Ergänzung. Klopp wiederum vereint etwas, das man als »aufgeklärte Patriarchie« bezeichnen kann.
»Aufgeklärte Patriarchie«?
Damit meine ich, dass Klopp auch hier über eine wertvolle Mischung aus beiden Richtungen verfügt: Wenn es um Grundwerte geht, ist er sehr autoritär. Er gibt eine klare Richtung vor. Klopp wird aber dann sehr partizipativ, wenn es um Abläufe und Einzelheiten geht. Er versteht sich also auf der einen Seite als Führungspersönlichkeit, lässt den Spielern aber andererseits auch einen individuellen Freiraum. Das führt dazu, dass er für konkrete Werte steht: Vertrauen, Verbindlichkeit und Verantwortung. Sie sind in seinen Aussagen sehr stark vertreten.
Viele Menschen werben um Vertrauen, nicht allen gelingt es. Wie schafft es Klopp, Vertrauen aufzubauen?
Eine wichtige Rolle spielen seine Rituale, die Vertrauen zu ihm als Persönlichkeit aufbauen. Klopp pflegt Rituale, die Menschen innerhalb einer Gruppe zusammenführen sollen – so die Auslosung im Trainingslager, welcher Spieler mit wem das Zimmer teilt. Daraus macht er ein richtiges Happening und schafft damit eine gemeinsame Identität. Darin ist Klopp sehr stark. Auch dieses ritualisierte Feiern bei der Meisterschaft zähle ich mit dazu. Wir erlebten, wie er auf Augenhöhe mitfeierte: Der Mann distanziert sich nicht, er steht mittendrin. Für die Zusammengehörigkeit ist es wichtig, dass solch ein Erfolg gemeinsam gefeiert wird.
Klopps Maxime: Leistung bringen!
Was bedeutet es, im Fußball eine »gemeinsame Identität« zu schaffen? Das klassische »Wir-Gefühl« zu formen, das im Fußball so gerne der guten, alten Zeit des »Elf Freunde müsst ihr sein« zugerechnet wird?
Eine gemeinsame Identität zu schaffen, ist kein Anachronismus. Klopp ist sehr identitätsstiftend. Das heißt: Dort, wo er hinkommt, ist er auch – voll und ganz. Es geht dabei nicht um ihn, sondern um die Identität des Ganzen: Er will ein Team formen, das gemeinsam und konsequent ein vorgegebenes Ziel verfolgt. Klopp war lange Jahre in Mainz, doch als er 2008 nach Dortmund ging, war er von jetzt auf gleich angekommen und hat sich gesagt: »Jetzt mache ich eben hier die Welt etwas besser.«
Welche Rolle spielen die Glaubenssätze, wenn ein Ziel verfolgt wird? Inwieweit beeinflussen sie das Verhalten?
Unsere Glaubenssätze steuern unser Verhalten ganz wesentlich. Glaubensätze entstehen aufgrund von gelernten Erfahrungen. Entweder aufgrund eigener Erfahrungen oder aufgrund der Muster, die wir vermittelt bekommen. Prägend sind Eltern, Autoritäten, Freunde, das soziale Umfeld. Was wir über uns und die Welt denken, steuert unser Verhalten. Unsere Persönlichkeit ist wesentlich geprägt durch unsere Gedankenwelt. Wenn ich also glaube, dass Leistung wichtig ist, werde ich auch Leistung einfordern. Wenn ich glaube, dass Spaß wichtig ist, werde ich Spaß einfordern.
Welche Glaubenssätze dominieren Ihrer Meinung nach bei Klopp?
Ich glaube, dass Klopp sehr leistungsbezogene Glaubenssätze verinnerlicht hat. Hierbei ist offenbar sein Vater sehr prägend gewesen. Nach eigener Aussage hatte Klopp einen absolut sportbegeisterten Vater, der eine sehr hohe sportliche Erwartung an ihn knüpfte. Dadurch hat er sich weiterentwickelt und sehr früh gelernt, dass persönliches Wachstum, Erfolg und Zufriedenheit nur dann entstehen können, wenn sich Menschen außerhalb ihrer Komfortzone bewegen. Klopp wurde dank eines geschützten und vertrauenswürdigen Umfelds auch mental frühzeitig gestärkt. In seiner Kindheit hat er bestimmte Dinge über sich und das Leben gelernt, die er jetzt als Trainer natürlich wunderbar weitergeben kann. Diese Glaubenssätze über Leistung an sich hat Klopp in die Wiege gelegt bekommen.
Und wie gelingt es, diese Glaubenssätze zu übertragen? Denn wenn die Spieler sie nicht für sich akzeptieren, werden sie ihrem Trainer nur bedingt folgen.
Man hört aus Klopps Aussagen heraus, dass er positive Glaubenssätze über sich und die Welt hat. Und das überträgt sich, denn die Menschen schwingen immer mit, wenn sie zuhören oder zuschauen. Warum sind wir berührt, wenn Spitzensportler ihre Erfolge feiern? Warum lassen wir uns von ihren Freudentränen anstecken? Weil sie echt sind. Warum weinen wir nicht bei einer Doku-Soap im deutschen Nachmittagsfernsehen? Weil sie eben nur gespielt, nicht aber mit Leib und Seele verkörpert wird. Menschen haben feine Antennen und erkennen diesen Unterschied. Wissenschaftlich landen wir im spannenden Feld der Spiegelneuronen. Dazu nur soviel: Klopp glaubt an das, was er sagt. Das spüren wir. Und genau das lässt uns mitfühlen. Das schafft Emotionen.
Klopp beim »Unternehmen des Aufbaus« – das passt!
Inwiefern sind Ihre Aussagen abhängig davon, für welchen Klub Jürgen Klopp arbeitet? Käme seine Persönlichkeit bei einem anderen Arbeitgeber als Mainz 05 und Borussia Dortmund, die beide in ihrer Emotionalität und Bodenständigkeit gut zu ihm passen, in gleicher Weise zur Entfaltung?
Ich glaube, dass Klopp mit Dortmund den idealen Verein für sich gefunden hat. Lassen Sie mich erneut einen Bezug zur Wirtschaft herstellen: Grundsätzlich gibt es einen Unterschied zwischen Unternehmen des Aufbaus und Unternehmen der Perfektionierung. Der bekannte Wirtschaftsprofessor und Unternehmensberater Hermann Simon unterscheidet zwischen diesen beiden Unternehmensmodellen und stellt heraus, dass bei beiden unterschiedliche Persönlichkeiten an der Spitze stehen. Ebenso werden von ihnen verschiedene Führungssyteme und -stile eingefordert.
Und zwar?
Die Führungspersönlichkeiten, die ein Unternehmen aufgebaut haben, verfügen in aller Regel über andere Qualitäten, als jene, die später zu einem gesetzten System dazustoßen. Besonders im deutschen Mittelstand ist das stark zu beobachten. Alle Mittelstandsunternehmen waren zunächst Unternehmen des Aufbaus. Bei ihnen sind Eigenschaften wie Zielstrebigkeit, Vitalität, Ausdauer oder Inspiration besonders wichtig. Ich denke, dass Borussia Dortmund zu Klopps Amtsübernahme 2008 ebenfalls ein solches Unternehmen des Aufbaus war – gerade nach den erheblichen wirtschaftlichen Problemen in den Jahren zuvor.
Und bei Unternehmen der Perfektionierung?
Zu ihnen gehört im deutschen Fußball vor allem Bayern München. Hier werden ambitionierte Ziele auch öffentlich und offensiv artikuliert. Die Marktführerschaft soll behauptet, globale Präsenz erreicht werden. Dementsprechend muss Bayern München stets in der Champions League spielen. In Dortmund ging es erstmal darum, eine gute und möglichst kostengünstige Mannschaft zu formen. Bei einem solchen Unternehmen des Aufbaus kann diese energetische, visionäre Art von Klopp Vertrauen stiften und Erfolg generieren. Was nicht heißen soll, dass Klopp nicht auch beim FC Bayern erfolgreich sein könnte. Doch der Unterschied liegt in Zeit und Geduld, bis sich der Erfolg einstellt: Davon wäre ihm bei einem Unternehmen der Perfektionierung vermutlich weniger eingeräumt worden, als bei einem Unternehmen des Aufbaus.
Und wie hat Klopp beim »Unternehmensaufbau« mitgeholfen?
Indem er fordert und fördert. Ich schaue immer gerne auf Sprachmuster, die sich heraushören lassen. Klopp hat eine Eigenart, auch Journalisten in Interviews gleich auf irgendeine Art und Weise zu fordern. Indem er zum Beispiel völlig anders antwortet als erwartet und dabei auf nette Art süffisant ist. Das klingt nie nach Machtspiel, eher nach forderndem Gutmensch mit positiver Absicht. Ganz nach dem Motto: »Ich bin Trainer, ich muss die Leute fordern. Ich muss sie immer wieder aus der Komfortzone herausholen, damit etwas Besonderes entstehen kann.« Er kitzelt das Beste aus jedem heraus. Das hebt natürlich auch die Aktivierung des Zuschauers, da hört man gerne zu, da passiert etwas. Führung hat immer etwas mit Veränderung zu tun. Und bei Klopp hat der Beteiligte immer das Gefühl, dass sich etwas verändert. Anders als bei den Politikern in den zahlreichen Talkshows. Denn dort geht es in der Regel nicht wirklich um Veränderung.
Komfortzone ade!
Die Menschen lassen sich von Klopp tatsächlich aus ihrer Komfortzone herausholen?
Ja. Es gibt aus der Neuropsychologie neue Erkenntnisse, was die Menschen eigentlich wollen. Demnach gibt es drei Grundbedürfnisse: Sicherheit, Selbstwert und Bindung. Klopp ist unheimlich stark darin, Menschen in allen drei Bereichen zu bestärken. Das sorgt für diese motivierende Kraft seiner Persönlichkeit. Übrigens können nur die Menschen Sicherheit, Selbstwert und Bindung erzeugen, die sie selbst verkörpern. Führungskräfte müssen sich zuerst einmal selbst führen.
Nicht nur seine Spieler äußern sich oft begeistert über Klopp, auch die breite Öffentlichkeit nimmt ihn sehr positiv wahr. Woran liegt das?
Wir lieben Menschen, die kongruent, also in sich stimmig sind. Hinzu kommen positive Eigenschaften wie das ständige Lachen, diese ungezwungene blonde Mähne. Wir nehmen ihn als Sympathieträger wahr. Der Mann hat Spaß, man fühlt sich mit ihm sehr schnell auf einer Augenhöhe. Er gibt seinem Gesprächspartner nicht das Gefühl, zu ihm aufschauen zu müssen. Er ist nicht im »Hochstatus«. Klopp schenkt seinen Mitmenschen ungeteilte Aufmerksamkeit – ein hohes Gut. Er ist den Menschen gegenüber sehr wertschätzend. Auch das ist wieder sehr identitätsstiftend. Und natürlich ist auch ganz wichtig: Inhaltlich ist Klopp sehr fachkompetent, zeigt Wissen.
Lässt sich zusammengefasst sagen, dass der Fußball für Klopp nicht nur seine ganz persönliche Leidenschaft ist, sondern er in ihm auch eine soziale Aufgabe sieht?
Absolut, das betont er ja auch immer wieder, dass dem Fußball eine soziale Aufgabe zukommt. Glaubenssätze gibt es schließlich auch im Fußball: Was glaube ich als Trainer oder Spieler über den Fußball? Wenn Fußball für mich ausschließlich Mittel zum Geldverdienen ist, werde ich ein anderes Verhalten zeigen, als wenn ich glaube, dass Fußball eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe hat und ich den Menschen damit glückliche Momente bereiten will. Und das will Klopp, wie auch bei der Meisterfeier zum Ausdruck kam. Er war bewegt, wie viele Menschen sich aus tiefem Herzen über den Erfolg freuten. Und das wiederum macht auch ihn glücklich, eine Wechselwirkung.
Zur Person: Cristián Gálvez
Sein Motto lautet: Persönlichkeit schafft Wirkung. Und die erzielt der vielseitige Cristián Gálvez als Persönlichkeitstrainer, Buchautor von Ratgebern sowie als Referent mit einem Erfahrungsschatz von über 6.000 Vorträgen. Bereits seit seinem 12. Lebensjahr steht Gálvez auf der Bühne – als Jugendlicher zog er das Publikum bereits als Zauberkünstler in seinen Bann. Zu seinen Kunden zählt das »Who-is-Who« der Unternehmenswelt.
Gálvez studierte Betriebswirtschaftslehre sowie Wirtschafts- und Sozialpsychologie in Deutschland und den USA. Besonders interessiert ihn der Einfluss von Emotionen auf Menschen; auch die Unternehmenskommunikation gehört zu seinen Kerngebieten. 2007, 2008 und 2010 zählte er beim Conga Award, der unter anderem für Vortragsredner verliehen wird, jeweils zur Top Ten der Business Speaker.
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41Zitat aus Interview mit Wolfgang Frank in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 01. Mai 2011
42Zitate von Ulla Klopp aus dem Magazin Focus, Ausgabe Nr. 49/2010 vom 06. Dezember 2010
43Ausnahmen von Klopps Kleidungsregel sind Auftritte in der Champions League, denn der europäische Fußballverband UEFA gibt für alle Trainer die Outfit-Etikette vor – und die lautet: bitte in Anzug!
44Erklärung zur Limbic® Map gemäß Firmenhomepage www.nymphenburg.de
45empirisch validiert: über Erfahrungswerte festgestellt, dass die für diesen Zweck geeignete Methode gewählt wurde
46Zitat von Marc Kosicke im Magazin Spiegel, Ausgabe 15/2011 vom 11. April 2011
47Zitat von Oliver Bierhoff im UniSpiegel vom 07. Februar 2011
48Zitat aus Interview in der Süddeutschen Zeitung, online abrufbar seit dem 19. November 2010
49Die Kalligrafie beschäftigt sich mit der Kunst des Schönschreibens.