Wer Jürgen Klopp dabei beobachtet, wie er nach Torerfolgen seiner Mannschaft wie ein Irrwisch die Seitenlinie rauf und runter rennt, mit zersausten Haaren und rudernden Armen, der verzerrte Gesichtsausdruck all die sich entladende Anspannung verrät – der kommt zu dem Entschluss, dass dieser Mann »unter Strom« steht. Auch die doppelte »Säge«, bei der Klopp mit kerzengeradem Oberkörper beide Armen ruckartig vor und zurückfährt, kommt beim Torjubel gerne zum Einsatz. Nicht minder schön die ritualisierte Einlage mit Torwarttrainer »Teddy« de Beer, wenn beide ihre Arme zur Seite strecken, um Brust voraus aneinander zu stoßen. »Kopf hoch, Brust raus« als Zeichen der Stärke, des Selbstbewusstseins, des Erfolgs. Dieser Mann lebt und liebt seinen Sport, als spielte er noch selbst auf dem Rasen mit.

Diese sprühende Begeisterung, diese Energie und impulsive Leidenschaft, die Klopp im Gegensatz zu einigen seiner Trainerkollegen auch nach außen trägt: Was ist die Triebfeder dieses Charismatikers, der mit »Übungsleiter K.« sogar eine eigene Mode-Kollektion trägt und zu dessen Wertschätzung in Dortmund ein eigener Fanclub gegründet wurde? Wo liegt der Ursprung für seinen Ehrgeiz, den er auf seine Mannschaft überträgt? Woher kommt diese Mischung aus lockerer Kumpeltyp und natürlicher Autorität, die Klopp verkörpert? Eine Persönlichkeit, die den Raum füllt, wenn sie ihn betritt.

»Das lässt mich total locker bleiben.«

Jürgen Klopp ist stets er selbst, ist echt. Es ist die wohl markanteste Facette seiner Persönlichkeit. Er spielt keine Rolle, kann nach eigener Meinung auch »gar nicht schauspielern«. Sofern er die Medien nicht bewusst für seine Zwecke nutzt, denkt er nicht darüber nach, wie seine Worte öffentlich interpretiert werden könnten, sie müssen auch nicht zwangsläufig knigge-like sein: »Was die Öffentlichkeit angeht, da habe ich reines Glück, weil es mir völlig wurscht ist, was sie denkt. Das lässt mich total locker bleiben. Die einen finden ›das ist ein netter Kerl, immer gut drauf‹ und die anderen sagen ›dieser Klugscheißer geht mir schon seit Jahren auf den Sack‹. Doch ich kann mich weder um die einen noch um die anderen kümmern. Ich muss mich um das kümmern, was für mich wichtig ist: Dafür zu sorgen, dass mein direktes Umfeld von mir profitiert – ob familiär oder beruflich. Mich hat man lange für einen Dampfplauderer gehalten. Doch letztlich setzen sich Arbeit und Qualität durch und es ist nicht so wichtig, was du öffentlich redest.«

Beruflich profitieren Klopps Spieler auch davon, dass er den Zeitgeist trifft. Seine Ansprache steht im Einklang mit einer neuen Profigeneration, die Entscheidungen nicht einfach nur abnickt, sondern sie erklärt haben möchte. Sie zunächst verstehen will. Klopp überzeugt, indem seine Entscheidungswege transparent sind, er andere Meinungen einbezieht, die Entscheidungen aber letztinstanzlich nur von ihm getroffen werden. Schließlich muss er sie als Cheftrainer auch verantworten.

Sein Lehrmeister Wolfgang Frank bestätigt diese Einschätzung: »Abgehobene Fußballlehrer haben aus meiner Sicht heute keine Chance mehr. Die jungen Spieler erwarten von einem, dass man mit ihnen lebt, sich mit ihnen auseinandersetzt und kreativ ist (…) Man kann auch mal eigene Fehler zugestehen, um dann wieder von ihnen Dinge einzufordern. Das ist ein permanentes Geben und Nehmen – und ich glaube, der Jürgen macht das sehr gut. Er verbindet sachliche Diskussion mit einer gewissen Emotionalität.«41

Klopp ist sich und seinem (Trainer-)Stil stets treu geblieben – und dabei ist es kein Widerspruch, dass er sich zugleich weiterentwickelt hat. Auch verhält er sich zu seinen Spielern etwas distanzierter als zu Beginn der Mainzer Zeit. Damals war er kaum älter als einige seiner Spieler. Spieler, mit denen er kurz zuvor noch selbst gekickt hatte. Heute hat sich der Trainer Klopp vom Spieler Klopp längst abgenabelt.

Klopps Führungsstil
»Mit mir kann man sprechen, allerdings haben die Spieler keinen Einfluss auf meine Entscheidungen. Wir machen keine Diskussionsrunden (…) und ich schließe mich dann der Mehrheit an, das gibt’s nicht. Es gibt keinen Grund, eine Mannschaft zu fragen: ›Wie wollt Ihr spielen? Offensiver oder defensiver, mehr über links oder rechts?‹ Die Entscheidung muss ich treffen, da ich auch der einzige bin, der sich richtig viele Gedanken dazu macht.«

Das zweite Gesicht

Für BVB-Boss Hans-Joachim Watzke ist Klopp ein »Menschenfänger, der andere in seinen Bann zieht.« Und der viel Wert auf persönlichen Freiraum legt, wie auch seine zweite Frau Ulla bestätigt42: »Alles hat bestimmten Regeln zu folgen, das macht mich wahnsinnig«, begründete sie dem Magazin, weshalb die studierte Pädagogin ihren Dienst bei einer Sonderschule mit »alteingesessenen Methoden« beendete. »Da bin ich wie mein Mann. Wir Kloppos brauchen unsere Freiheiten, um uns zu verwirklichen«, betont die Kinderbuchautorin.

Doch droht diese Selbstverwirklichung eingeschränkt zu werden oder geht Klopp etwas »gegen den Strich«, dann ist es mit dem schelmischen Sonnyboy vorbei. Dann kommt das zweite, das aufbrausende Gesicht zum Vorschein: Seine Lippen werden schmaler als sonst, die Mimik wirkt süffisant-distanziert. Wird Klopp gar richtig wütend, baut er sich mit voller Körperlänge auf. Dabei geht der Kopf schon mal näher an sein Gegenüber heran und überwindet die sonst natürliche Distanz. So geschehen in ausgeprägter Form im November 2010 beim 2:0 gegen den Hamburger SV, als er sich über ein nicht geahndetes Foul gegen seine Elf ereiferte und dem Schiedsrichterassistenten seine Stirnmütze auf die Stirn drückte. Das DFB-Gericht belegte Klopp, der sich anschließend reumütig zeigte, mit einer Geldstrafe von 10.000 Euro.

Es ist eine Gratwanderung, die Klopp beschreitet. Er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube, gibt sich vor der Kamera genauso wie dahinter und stellt sich schützend vor seine Mannschaft – so wie bei der beschriebenen TV-Szene nach dem Spiel in Leverkusen und dem Platzverweis gegen Mario Götze. Überzieht er dabei, wird öffentlich schnell das Image des »impulsiven Lautsprechers« gezeichnet. Doch seinem Image schenkt Klopp eben wenig Beachtung. Als »Fan unter den Trainern«, wie von BVB-Anhänger Thorsten Birgel formuliert, feiert Klopp nicht nur Torerfolge so überschwänglich wie der Dauerkarteninhaber auf der Südtribüne, sondern regt sich auch ebenso leidenschaftlich über vermeintliche Fehlentscheidungen auf. Auf seinen ersten Platzverweis als Trainer ist Klopp sogar ein bisschen stolz, wie er in Interviews gerne erzählt: Noch zu Mainzer Zeiten fragte er den Linienrichter, wie viele Fehlentscheidungen denn erlaubt seien. Bei fünfzehn, so Klopp, hätte er noch eine frei.

»Nicht nur hochemotional, sondern auch sehr intelligent«
Auch Thomas Hennecke vom Kicker ist überzeugt, dass Klopp die öffentliche Aufmerksamkeit bewusst auf sich zieht, wenn er der Meinung ist, sein Team schützen zu müssen: »Seine Mannschaft ist immer noch sehr jung und im Umgang mit schwierigen Momenten noch nicht so sehr erprobt. Daher glaube ich schon, dass er ihr in Schwächephasen schon mal ganz bewusst eine Atempause verschafft. Pikante Aussagen oder Formulierungen, die in der Öffentlichkeit einen entsprechenden Widerhall finden, sind bei ihm nur in Ausnahmefällen eine Laune des Augenblicks oder der spontanen Emotion geschuldet. Ein intelligenter Mensch wie Klopp ist sich der Wirkung seiner Worte schon bewusst.«

»Dann gibt’s wieder Dampf«

Klopp ist sich durchaus bewusst, dass er den Bogen gelegentlich zu überspannen droht. Doch dass er deshalb sein Verhalten ändern wird, daran glaubt der Gefühlsmensch selbst nicht: »Ich habe schon einen Haufen Mist gemacht in der Öffentlichkeit, auf den ich nicht stolz bin. Aber beim nächsten Mal, wenn ich gerade einen Reporter zusammengestaucht habe, dann schaffe ich es vielleicht, die nächsten drei blöden Fragen zu übergehen und zu denken: ›Komm, du hast erst vor einer Woche Mist gebaut.‹ Doch bei der vierten blöden Frage weiß ich genau, stehe ich wieder in Flammen, Alarmstufe Rot, und dann gibt’s wieder Dampf. Das bin ich und das ist nicht so leicht zu ändern.«

Ungezügelte Impulsivität könnte nun allerdings noch teurer werden oder zu häufigerer Verbannung auf die Tribüne führen: Denn seit Beginn der Saison 2011/12 will der DFB stärker gegen vehement gestikulierende Trainer durchgreifen, so sie damit überzogen gegen Entscheidungen des Schiedsrichters protestieren. Doch Klopp wird Klopp bleiben: Ein Energiebündel »unter Strom«.

»Klopp lässt Dampf ab,
ist aber nicht nachtragend.«

Als Experte des Kicker Sportmagazins für Borussia Dortmund hat sich Thomas Hennecke in den letzten dreieinhalb Jahren so manches Mal mit Jürgen Klopp zum Interview getroffen, dabei gerne auch mal kontrovers diskutiert – immer mit offenem Visier auf beiden Seiten. Klopps Verhältnis zu Henneckes Berufsstand beschreibt er als »unglaublich professionell«, aber auch »unverblümt direkt«: »Wenn sich Klopp nicht richtig zitiert fühlt oder der Inhalt einer Story ihn kom plett verärgert hat, knüpft er sich den Journalist schon mal persönlich vor, und auf diplomatische Floskeln verzichtet er dann. Doch selbst wenn ihm etwas gegen den Strich geht, ist er nicht nachtragend. Er macht sich Luft, lässt Dampf ab und am nächsten Tag ist die Geschichte vergessen. Das finde ich gut. Man weiß, woran man bei ihm ist.«

Doch laut Hennecke kommt nicht jeder Kollege mit dieser direkten Ansprache klar: »Angenehm ist es nicht, Klopps Zielscheibe zu sein, wenn er ungefiltert seinen Unmut über Fragen artikuliert, die er für oberflächlich oder dumm hält. Ungeachtet dessen wird Klopp von den Medienvertretern für seine kommunikative Art geschätzt.«

Verständnis bringt Hennecke dafür auf, dass es Klopp nervt, zum x-ten Mal die gleiche Frage beantworten zu müssen. »Dann kann er schon mal grantig werden. Ich erinnere mich an eine Pressekonferenz zwei Monate nach Trainingsauftakt, als er nach dem Saisonziel befragt wurde, wahrlich nicht zum ersten Mal. Dann überlegte er einen Moment, schüttelte den Kopf und fragte den Journalisten zurück, wo dieser sich eigentlich die letzten Monate aufgehalten habe. In solchen Momenten lässt er sehr ungefiltert seinen Dampf entweichen.«

Als spannend empfindet Hennecke die fachlichen Diskussionen mit Klopp, die häufiger kontrovers, aber fair ablaufen. Der Journalist gibt ein Beispiel aus der Saison 2010/11: »Die mangelnde Chancenverwertung war immer mal wieder ein Thema in den Medien. Eines, das Klopp nicht nachvollziehen konnte, da sein Ansatz ein völlig anderer ist: Er wertet es als positives Zeichen für das BVB-Spiel, gerade dass so viele Großchancen herausgearbeitet werden – wie viele davon vergeben wurden, diese Betrachtung ist ihm zu negativ.«

Zu unterschiedlicher Auffassung gelangten Hennecke und Klopp auch zu Beginn der Folgesaison: »Zum schleppenden Saisonstart habe ich einen längeren Text darüber geschrieben, warum der BVB anders als im Vorjahr spielt, warum die Leichtigkeit verflogen ist. Dieser methodische Ansatz gefiel ihm gar nicht und wir hatten ein längeres Streitgespräch. Die ersten fünf Spieltage könnten nicht mit der gesamten Vorsaison verglichen werden, war sein Standpunkt. Er ist dann sehr beharrlich in der Verteidigung seiner Position. Da hat er mir ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass ich komplett auf dem Holzweg sei.«

Markenzeichen Jürgen Klopp

Mit seinem Dreitagebart, lockerer Haarpracht, Brille, Baseball-Cap und legerem Kapuzenshirt ist Jürgen Klopp bereits optisch eine Type.43 Die frühere Nickelbrille ist passé, ebenso die einstige Bezeichnung als »Harry Potter«, als in jüngeren Jahren die Figur hager und die Haare kürzer waren. Doch wie Klopp in Mainz aus einem potenziellen Absteiger einen Bundesliga-Aufsteiger formte, das konnte nur mit Zauberkräften zu tun haben. Jürgen Klopp ist fachlich wie persönlich zu einem Markenzeichen geworden.

Dabei ist der Begriff »Marke« zu einem Modewort verkommen. Eines, das nicht immer nur positiv besetzt ist. Vor allem dann, wenn Marken zu schnell aufgebaut werden, aufstrebende Charaktere medial voreilig zu einer solchen »gehypt« werden. »Die besten Marken sind die, die erfolgreich sind. Die anderen sind unglaubwürdig«, sagt DFBSportdirektor Matthias Sammer. »Erfolgreich« heißt in Sammers Duktus möglichst: Erweiterung des Briefkopfes, also Titel.

Für Klopp trifft diese Definition zu. Er ist als Marke glaubwürdig, da er erfolgreich ist. Seit der Meisterschaft 2011 auf dem Briefkopf, aber auch bereits zuvor, als er Mainz 05 aus schwieriger Tabellenlage erst vor dem Abstieg rettete und den Klub schließlich in die Bundesliga führte.

Doch was genau macht eine Marke aus? Wie wird sie gebildet und was ist ihr Kern? Erste Voraussetzung ist die Produktqualität, die überzeugen muss. Auf den Fußball übertragen bedeutet dies fast immer: ansehnlicher, möglichst erfolgreicher Sport, gewürzt mit einer ordentlichen Prise Unterhaltung und Identifikation. Enttäuscht ein Verein zu häufig die Erwartungen seiner Fans, stimmt das Produkt nicht. So wie an den Artikel im Supermarkt, hat auch der Konsument eines Fußballspiels eine ganz bestimmte Erwartung an dieses »Produkt« – die beim Fußball zudem ausgesprochen emotional ausfällt.

Marke ist nicht gleich Marke

Erfolg als eine Grundsäule der Markenbildung ist individuell zu bestimmen: Bedeutet Erfolg im Fußball ausschließlich Aufstiege und Titel? Oder lässt sich Sammers Definition noch erweitern? Erfolg im Verständnis des St. Pauli ist nicht identisch mit dem des FC Bayern. St. Pauli steht als Marke für Freude, Lockerheit, Humor oder Unangepasstheit. Für seine Fans ist bereits die Zugehörigkeit zur Bundesliga ein Geschenk, ein Abstieg kein Drama. Der Markenkern bleibt dadurch unberührt, er hat sich vom sportlichen Tagesgeschäft entkoppelt. Vielleicht eine Ausnahme. Schlimmer wäre es, würde der Kiezklub seine Identität verleugnen. So war es möglich, dass selbst nach einem 1:8-Debakel gegen den FC Bayern am vorletzten Spieltag 2010/11, mit dem der Abstieg besiegelt war, die Mannschaft von ihren Fans gefeiert wurde – ebenso wie der scheidende Trainer und St. Paulis Kultfigur Holger Stanislawski.

Anders sieht es beim FC Bayern aus, dessen alljährlicher Anspruch es ist, die Meisterschaft zu gewinnen sowie in der Champions League eine gewichtige Rolle zu spielen. Aus diesem Ansatz heraus erhält eine Niederlage ein viel größeres Gewicht, da die Marke regelmäßiges Gewinnen verlangt. Ein seit den 1970er Jahren und einer Vielzahl von Titeln gewachsenes Selbstverständnis. Eine Niederlage ist für den FC Bayern also überproportional folgenreicher, als dies bei St. Pauli der Fall ist. Erfolg und sein Einfluss auf die Markenbildung ist demnach eine Frage der Definition: Wofür steht der Verein und was sind seine Ziele?

Neben dem Nachweis von Erfolg wirken sich noch weitere Faktoren auf die Markentauglichkeit aus – auch bei Trainern im Profi-Fußball. Ihr Aufgabenfeld hat sich in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren stark erweitert. Sie sind längst nicht mehr nur Übungsleiter, deren Arbeit sich auf das Training und Spielbetreuung beschränkt. Immer bedeutender ist die Öffentlichkeitsarbeit geworden, in der jeder Coach nicht nur sich, sondern auch seinen Klub vertritt. Ideal wird die Kombination dann, wenn der Trainer Werte und Überzeugungen verkörpert, die mit den Idealen seines Arbeitgebers übereinstimmen. Denn wenn gemeinsame Werte vorliegen, erleichtert dies das Arbeiten in dieselbe Richtung. So identifizierte sich Klopp von Anfang an mit dem Dortmunder Konzept, verstärkt auf die Jugend zu setzen.

Warum Jürgen Klopp so überzeugend wirkt, was ihn neben seiner erfolgreichen Arbeit noch zu einer Marke macht und warum er gerade zu Borussia Dortmund so gut passt: Experte Frank Dopheide verrät dazu interessante Ansichten.

Interview mit Frank Dopheide über Markenbildung –
»Klopp handelt fünffach wertvoll für die Marke BVB.«

Herr Dopheide, was charakterisiert die »Marke Klopp«? Woraus zieht sie ihre Kraft?

Klopp zieht seine Kraft aus der Bodenständigkeit. Er spricht die Sprache des Volkes und tritt auch im Jogginganzug auf. Seine Außendarstellung ist nicht Mittel zum Zweck. Er ist tatsächlich so, wie er sich gibt. Er bleibt immer ähnlich und hat sich im Laufe der Jahre wenig verändert, sowohl vom Aussehen als auch von seiner Sprache oder seinem Habitus her. Er bleibt sich treu und das macht auch seine Marke so wertvoll. Dass Klopp seinen Stil beibehält, ist etwas, was ihm große Kraft verleiht. Sehen Sie sich nur seinen Mittelscheitel an, dem er beharrlich treu bleibt – ganz egal, ob der noch modisch ist oder nicht. Klopp zieht es durch!

Was zeichnet Klopp als Persönlichkeit noch aus?

Er ist rhetorisch sehr überzeugend und das, was er sagt, passt zu dem, was er verkörpert. Somit entsteht Glaubwürdigkeit, die ja für Markenbildung ganz entscheidend ist. Er hat eine große Klappe, redet bildhaft und verständlich, sodass man kein Fußballprofi sein muss, um ihm fachlich folgen zu können. Er spricht Klartext, was auch gut für die Marke BVB ist, da sich Klopps bodenständig-ehrliches Auftreten mit der Mentalität des Ruhrgebiets deckt. Ich glaube zudem, dass Klopp auf Frauen sehr anziehend wirkt und große Kraft auf junge Menschen entfaltet. Dazu muss man sich nur anschauen, welch junge und schlagkräftige Truppe er geformt hat.

Bei Klopps leidenschaftlichen Schüben am Spielfeldrand kann ihm die Bodenständigkeit hingegen schon mal abhanden gehen …

Sicher ist er am Spielfeldrand ein sehr impulsiver Typ. Man hat oft das Gefühl, dass er nachträglich nicht immer hundertprozentig glücklich damit ist, was er am Spielfeldrand gerade veranstaltet hat. Aber das muss halt irgendwie aus ihm raus.

Regelmäßige Einzahlung auf das »Markenkonto«

Zudem wirkt er sehr konsequent, sehr geradlinig in seiner Handlungsweise.

Genau. Das Spannende ist: Jürgen Klopp ist so stabil in dem, was er tut, dass er noch unglaublich viel Kraft gewinnen wird. Das ist ein exponentieller Entwicklungsfaktor: Am Anfang dauert das lange, so ähnlich wie bei einer Kapitalversicherung: Monat für Monat wird etwas auf ein Markenkonto eingezahlt, in diesem Fall durch sein Handeln. Mit der Zeit entwickelt sich eine beschleunigende Kraft und auf einmal wird man wirklich wertvoll. Und weil Klopp die »Einzahlung« so lange für sich durchgehalten hat, sticht er inzwischen aus der Trainergilde hervor.

Sie sagten eben, dass Klopp gut zur Mentalität des Ruhrgebiets passt. Stimmt der Eindruck, dass er auch besonders gut zum BVB passt?

Das ist richtig – und das kann ich Ihnen auch anhand der Limbic® Map der Gruppe Nymphenburg veranschaulichen, die ich gerne als Werteraum bezeichne. In ihm lässt sich jeder einzelne Wert, für den ein Charakter oder ein Unternehmen steht, einem bestimmten Oberbegriff zuordnen. Das habe ich sowohl für Klopp als auch für den BVB mal gemacht. Wenn wir zunächst überlegen, wofür die Marke Borussia Dortmund steht, fallen mir Begriffe ein wie Freundschaft, Heimat oder Treue. Aus dieser tiefen Verwurzelung mit der Region rührt die Marke BVB. Für sie ist also im Werteraum der Oberbegriff »Balance« sehr wichtig (Anm.: wie aus vorhergehenden Abbildungen ersichtlich ist). Hier merkt man übrigens auch, weshalb ein Michael Zorc (Anm.: aktueller BVB-Sportdirektor und Spielerlegende des Klubs) so eine wichtige Figur beim BVB ist: weil er diese Verbundenheit mit Dortmund, dieses Heimatgefühl, transportiert.

Werteraum von Borussia Dortmund anhand der Limbic® Map

Die Limbic® Map in zweifacher Ausführung: mit den Werteräumen für Borussia Dortmund sowie für Jürgen Klopp. Entwickelt wurde die Limbic® Map von der Gruppe Nymphenburg Consult AG in München. Verortet wurden die Werte in den beiden Abbildungen von der Deutschen Markenarbeit GmbH aus Düsseldorf.

Werteraum von Jürgen Klopp
anhand der Limbic® Map

Die Limbic® Map in zweifacher Ausführung: mit den Werteräumen für Borussia Dortmund sowie für Jürgen Klopp. Entwickelt wurde die Limbic® Map von der Gruppe Nymphenburg Consult AG in München. Verortet wurden die Werte in den beiden Abbildungen von der Deutschen Markenarbeit GmbH aus Düsseldorf.

Die Limbic® Map
Zum grundsätzlichen Verständnis der Limbic® Map erklärt die Gruppe Nymphenburg44: »Die Limbic® Map zeigt den Emotionsraum des Menschen übersichtlich auf einen Blick. Alle menschlichen Motive, Werte und Wünsche lassen sich auf der Limbic® Map darstellen und in Relation zueinander bringen. Zur Konstruktion der Limbic® Map: Die Position der Werte in der Limbic® Map wurden zunächst mittels einer Expertenbeurteilung von Diplom-Psychologen ermittelt und dann mittels Distanz-Analysen empirisch validiert45.« Von der Markenberatung Gruppe Nymphenburg AG wurde das Navigations-Tool entwickelt, »um Motiv- und Wertstrukturen von Marken und Produkten deutlich zu machen.«
Die Bedeutung der Begrifflichkeiten in der Limbic® Map erläutert Bernd Werner, Leiter Marketing & Branding bei der Gruppe Nymphenburg: »Die drei Instruktionen Balance, Stimulanz und Dominanz sind die Oberbegriffe. Disziplin/Kontrolle, Abenteuer/Thrill und Fantasie/Genuss stellen ›Misch-formen‹ der drei Instruktionen dar: Die Mischung aus Stimulanz und Dominanz ist Abenteuer/Thrill, die Mischung aus Dominanz und Balance ist Disziplin/Kontrolle und die Mischung aus Stimulanz und Balance ist Fantasie/ Genuss.
Anschließend erfolgt die individuelle Zuordnung für eine Person, für ein Unternehmen oder für eine beliebige Marke. Für jeden von ihnen lassen sich Werte verorten, an denen sich eine einzelne Person oder ein Unternehmen orientiert. Dopheide gibt dazu Beispiele aus der Wirtschaft: Getränkehersteller Red Bull steht eindeutig für Impulsivität, Risikofreude und Spontaneität, wird also bei ›Abenteuer/Thrill‹ eingeordnet. Die Deutsche Bank hingegen steht für Dominanz, für Elite, Macht, Status und Stolz – und findet sich daher bei ›Disziplin/Kontrolle‹ wieder. Dasselbe lässt sich natürlich auch mit Bundesliga-Vereinen machen. Und wenn wir ihre Entscheidungsträger beraten und ihnen sagen sollen, ob dieser Spieler oder jener Trainer zu ihnen passt, dann praktizieren wir das genauso.«

Was wäre, wenn die Borussia versuchen würde, sich noch andere als die beschriebenen Werte zu eigen zu machen?

Das ginge nur, wenn sie sich nah bei den bisherigen befänden. Ein Beispiel: In den 1990er Jahren wollte Borussia in Richtung FC Bayern, den ich im Bereich »Dominanz« einordne – also genau in der entgegengesetzten Seite des Werteraums. Doch diese Neuorientierung konnte nicht klappen, da sie von der Marke nicht getragen wird und die Wurzeln dort nicht liegen. Und einfach von einem Bereich zum anderen zu springen, ist nicht möglich. So funktioniert Marke nicht.

»Klopp ist eine absolute Identifikationsfigur«

Und die Werte von Jürgen Klopp …

… liegen in einem ganz ähnlichen Bereich wie die des BVB. Klopp deckt all das ab, was den BVB ausmacht. Insofern ist er eine absolute Identifikationsfigur. Wie auch schon in Mainz, wo er diese Werte ausgeprägt hat und eine gefühlte Ewigkeit als Spieler und Trainer tätig war. Ihm ist Familie wichtig. Klopp steht für Freundschaft: Er ist ein Kumpeltyp, ist anfassbar. Den Wert »Heimat« hat er durch seine lange Zeit in Mainz bewiesen. Und die Sicherheit, die hier wichtig ist, ist das handwerkliche Können: Er macht seinen Job schon lange und hat bewiesen, dass er das kann. Dies ist schon mal das Fundament, um zu sagen: Das passt mit dem BVB und Klopp. Trainertypen hingegen wie Louis van Gaal gingen beim BVB gar nicht, weil sie für ganz andere Werte stehen – hier aus der »Dominanz«. Das ist keine Wertung, welcher Bereich besser ist. Sie sind eben nur verschieden. Doch um Stimmigkeit zu erreichen, sollten die Werte von Mensch und Unternehmen, also hier von Trainer und Verein, möglichst übereinstimmen.

Der von Ihnen markierte Wertebereich für Jürgen Klopp geht deutlich über den des BVB hinaus. Wie bewerten Sie dies aus Markensicht?

Dass Klopp Werte hinzuaddiert, die der BVB bisher nicht besaß, ist für den Verein sehr wertvoll. Also Werte wie Leichtigkeit, Humor, Offenheit oder Flexibilität. Fragt man Menschen danach, was ihnen zu Jürgen Klopp einfällt, dann sagen alle: »sein breites Grinsen und die frechen Sprüche«. Und dann kommt oft noch die Art und Weise, wie er am Spielfeldrand herumhüpft, hinzu. Diese drei Punkte sind das. Das ist deshalb interessant, weil sich in diesem Quadrant die neuen Zielgruppen der Bundesliga befinden: die Frauen. Und somit profitiert auch der BVB von den zusätzlichen Werten, die Klopp mit einbringt.

Wie genau kann Borussia Dortmund davon profitieren?

Je älter eine Gesellschaft wird, desto wichtiger werden Aspekte wie Sicherheit, Geborgenheit oder Familie. Dazu kommt: Frauen stehen für Werte wie Leichtigkeit, Humor, Offenheit, gerne auch gepaart mit

Zur Person: Frank Dopheide
Frank Dopheide ist Experte für Werbung und Markenbildung. Dabei fand sein beruflicher Werdegang zunächst einen ganz anderen Ursprung: Er ließ sich zum Rettungsschwimmer ausbilden und studierte an der Sporthochschule Köln, Schwerpunkt Journalistik. 1990 begann dann als Texter der Einstieg in die Werbebranche, deren Karrierestufen Dopheide sukzessive erklomm und die ihn bis 2004 zum Vorsitz der bekannten Werbeagentur GREY führten. Seit Anfang 2011 leitet der geschäftsführende Gesellschafter das Unternehmen Deutsche Markenarbeit GmbH und wird dabei unterstützt von André Paetzel, Experte für Neue Medien. Für herausragende kreative Leistungen wurden Dopheide und seine Agentur-Teams bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.

Sinnlichkeit und Phantasie. Diese Zielgruppe kann Jürgen Klopp jetzt für den BVB mit einfangen. Und das macht ihn fünffach wertvoll, denn unabhängig davon, dass er in erster Linie fachlich ein guter Trainer ist, fügt er neue Werte hinzu. Er wird zusätzlich zur Identifikationsfigur für die Fans, zum Magnet für junge Spieler, zum Turbo für Journalisten und zum Vertrauensanker für Sponsoren. Unabhängig von seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit handelt er also fünffach wertvoll für die Marke BVB.

Individuell ja,
extravagant nein

Steht Klopp aufgrund seiner Impulsivität, Emotionalität und positiven Extravaganz – im Sinne von Unangepasstheit – nicht auch für »Abenteuer/Thrill« mit Werten wie Mut? Wenn man sieht, wie sehr er bei seinem Team die Jugend der Erfahrung vorzieht, muss doch auch Mut zu seinen Eigenschaften zählen.

Vorsicht. Hier muss unterschieden werden, welche die Werte sind, für die Klopp steht, also was für ihn im Leben wichtig ist – und wie er nach außen wirkt. Das eine ist »was« und das andere »wie«. Er ist sehr emotional, richtig. Extravaganz lade ich jedoch anders auf: Extravaganz beinhaltet einen Glamour-Faktor – und den besitzt Klopp nicht. Er ist individuell in seinem Charakter, weil er eigenständig ist. Extravagant mag er wirken, aber es dürfte ihm inhaltlich nicht wichtig sein. Dass Klopp auf junge Spieler setzt, ist eine mutige Entscheidung, ist aber auch eine Frage der Art und Weise, also des »wie«.

Aber Mut gestehen Sie ihm doch zu, oder? Immerhin installierte er direkt nach Amtsantritt beim BVB mit Neven Subotic und Mats Hummels die jüngste Abwehrzentrale der Bundesliga.

Er war sehr lange Zeit bei Mainz, nun bleibt er offenbar auch dem BVB länger treu. Mutige Entscheidungen lassen größere Brüche in einer Biographie erwarten, nach denen die Leute sagen: »Schau mal, der hat immer ungewöhnliche Dinge gemacht.« Er wirkt für mich von außen nicht wie jemand, der Mutproben braucht. Wenn wir im Werteraum »Mut« verorten, dann bei Typen, denen der Lebensalltag zu langweilig ist und die sich bewusst der Gefahr aussetzen. Und so wirkt Klopp auf mich nicht. Ich denke, er weiß ganz genau, was er tut, so sicher, wie er wirkt. Um im Werteraum zu bleiben: Er kommt aus dem Bereich »Sicherheit« und addiert »Leichtigkeit«. Dazu gehört natürlich auch ein bisschen Mut, aber das dürfte kein Kerntreiber sein. Das gleiche gilt für Impulsivität, wieder ein »wie«. So ist sein Charakter, sie ist für ihn aber nicht lebenswichtig.

»Klopp hat ein verbindendes Element«

2008 waren auch andere Vereine außer dem BVB an Klopp interessiert. Spekulieren wir ein wenig: Wer hätte noch zu ihm gepasst?

Spontan fällt mir Bremen ein, weil es aus Markensicht ähnlich positioniert ist wie der BVB. Werder steht für Freundschaft, Familie, Treue, Zusammenhalt und Geborgenheit. Deshalb übrigens durfte auch Trainer Thomas Schaaf in der enttäuschenden Saison 2010/11 im Amt bleiben. (Anm.: Werder wurde Dreizehnter und befand sich zwischenzeitlich in Abstiegsgefahr.) Denn wenn Werte wie die genannten wichtig sind, dann hält man auch solche Situationen aus. Zu den Bayern hingegen hätte Klopp nicht gepasst, da ihr Werteraum ganz woanders liegt: bei Dominanz, Macht und Stolz, nach dem Motto »mia san mia«.

Und bei anderen Bundesligisten?

Auch Bayer Leverkusen hätte nicht gepasst, da ich den Klub bei Funktionalität, Logik, Disziplin, Pflicht und Askese ansiedle. Schalke 04 als Dortmunder Erzrivale ist für Klopp heute natürlich undenkbar, hätte aber vor seinem BVB-Engagement vielleicht gepasst. Doch Schalke ist für mich als Marke kaum definierbar. Ich entdecke dort ganz viel von Nostalgie, Heimat und Freundschaft, aber eben auch Extravaganz, Individualität, Diva – also diesen Glamour. Das ist schwierig einzuordnen und wäre daher auf jeden Fall nicht so eindeutig positiv für Klopp gewesen wie der BVB.

Sie sagen, Klopp sei ein »Vertrauensanker für Sponsoren«. Welche Werbepartner könnten gut zu ihm passen?

Am stärksten profitieren Werbepartner, die seine Leichtigkeit benötigen und die aus einem sehr sicherheitsorientierten, auch familiären Umfeld kommen – wahrscheinlich überraschenderweise sogar Banken. Generell fallen mir Branchen ein, in denen bisher wenig Emotionalität enthalten ist, die bisher steif und trocken wirken. Auch Versicherungen könnten von Klopp als Werbepartner profitieren, ebenso Immobilien- und Bausparfirmen oder Stromanbieter. Vielleicht auch Medien, bei denen man dann sagt, »sieh mal, der Klopp liest oder guckt dies oder das«. Und bei seinem breiten Grinsen geht Zahnpaste natürlich immer … Klopp hat ein verbindendes Element, weil er für Freundschaft, Familie und Treue steht. Die grundsätzliche Frage lautet also: Wo fühlt man sich zusammengehörig?

Stichwort »verbindendes Element«: Wörtlich genommen, passt seine Werbung für Kleister ja wunderbar … Aber ernsthaft: Wie fällt Ihr Fazit zur Marke Klopp und ihrer Passgenauigkeit zu Borussia Dortmund aus? Hundertprozentig stimmig – sowohl bei Klopp selbst, als auch in Verbindung zu Borussia Dortmund. Und genau das macht eine überzeugende Marke aus: dass das Äußere mit dem Inneren übereinstimmt.