17. KAPITEL

Im Wohnzimmer stand Keith vor seinem Lehnstuhl und hatte den rechten Arm weit ausholend hinter den Kopf geführt. Die Flamme brannte kerzengerade. Michelle stellte fest, dass die Stimmen verschwunden waren. Die Zeit der Ablenkungsmanöver war also vorbei.

Grimmig befreite sie ihre Ohrmuscheln von der Watte und warf sie achtlos hinter sich. Sie hob die Waffe und richtete sie auf die Treppe. Sollte es wider Erwarten doch einem dieser Monster gelingen, nach unten zu ihnen zu gelangen, würde sie die passende Begrüßung parat haben.

Aus dem Obergeschoss drangen beunruhigende Geräusche. Es hörte sich nach mindestens einem Dutzend Füße an, die da oben über den Korridor stapften. Michelle konnte es zwar nicht wissen, war aber überzeugt davon, dass sie durch das Arbeitszimmer eingedrungen waren. Der Korridor war nicht lang und die Schritte kamen immer näher. In der nächsten Sekunde mussten sie am oberen Treppenabsatz auftauchen. Michelle platzierte sich ein Stück weiter rechts von Keith. So hatte sie sowohl die Treppe als auch die Terrassentür im Blick. Sollten sie aber tatsächlich gleichzeitig aus zwei Richtungen angreifen, müsste sie sich ganz und gar auf die unten eindringenden Gegner konzentrieren und hoffen, dass das Feuer den Angriff von oben allein aufhalten würde.

Dann sah sie die Ersten von ihnen. Jeder von denen hätte der sein können, den sie im Arbeitszimmer am Fenster gesehen hatten. Alle sahen gleichermaßen tot, aber trotzdem gefährlich agil aus.

In lehmiger Erde konserviert und mumifiziert. Ist euch das passiert? Seht ihr deshalb so aus, als wäre der Verwesung auf halbem Weg die Puste ausgegangen?

Tatsächlich sahen die Gestalten aus, wie aus einem schlechten Zombiefilm entsprungen. Im Kino hätten diese Erscheinungen niemanden mehr schockiert. Doch die Realität benötigt keine ausgefallenen Spezialeffekte. Ein abgetrennter Kopf in einem Film, und ist er noch so gut präpariert, schockt kaum jemanden. Liegt aber eines Abends ein echter Kopf vor unseren Füßen, dann kennt das Grauen keine Grenzen.

So ging es auch Michelle mit diesen Kreaturen. Ihre Eingeweide verkrampften sich bei ihrem Anblick. Ein paar Sekunden lang starrten sie sich einfach gegenseitig an. Die Monster starrten aus toten Augen unverwandt auf Keith und Michelle hinab und beide starrten zwischen Entsetzen und blanker Wut zurück. Dann rissen plötzlich die ersten drei, die aufgetaucht waren ihre ausgezehrten Leichenarme in die Höhe und stimmten ein infernalisches und atonales Kreischen an, als wollten sie die kleinen Menschen, die sie anstarrten allein durch ihre Stimmen töten. Nur einen Wimpernschlag später stürmte die Horde los und gab den Blick auf fünf weitere Untote frei, die sofort nachrückten. Sie stoben in einem Pulk die Treppe hinunter und registrierten nicht, wie Keith eiskalt den richtigen Augenblick zum Wurf abpasste.

Erst, als die ersten drei Ungeheuer die Holzscheite fast erreicht hatten, warf er die Fackel.

Die Verpuffung war gewaltig. Hätten sich Michelle und Keith nicht instinktiv abgewendet, hätte der grelle Blitz sie für Minuten geblendet, was ihre Chancen im darauf folgenden Chaos zu überleben drastisch reduziert hätte. Die verzehrende Kraft der Flammen war allumfassend und die angreifenden Ungeheuer waren von einer Sekunde auf die andere einer Flammenwand gefangen. Das infernalische Kreischen veränderte schlagartig. Statt herausgebrüllter Wut war es jetzt ein wahnsinniges Schmerzgeheul, das Michelle die Tränen in die Augen trieb. Alle acht Angreifer waren von den Flammen erfasst und in brennende Fackeln verwandelt worden. Sie stürzten zuckend und um sich schlagend übereinander und rutschen zusammen mit ihrem Scheiterhaufen wie eine Lawine die Treppe hinunter. Am Fuß der letzten Stufe kamen sie zum Stillstand und wanden sich in letzten Zuckungen auf den Fliesen.

Schon hatte auch das Treppengeländer Feuer gefangen und die Flammen drohten sich in Richtung Obergeschoss durchzufressen. Gerade als der letzte Schrei der verbrennenden Monster auf der Treppe verklungen war, erhob sich ein von wahnsinniger Wut getragenes Brüllen derer, die draußen vor den Fenstern lauerten.

Aus den Augenwinkeln registrierte Michelle, dass Keith bereits mit einem Feuerlöscher die Flammen erstickte, um zu verhindern, dass das ganze Haus in Flammen aufging. Gleichzeitig brach die zweite Angriffswelle los, die sie nun allein abwehren musste, wenn sie eine Chance haben wollten, am Leben zu bleiben.

Sie kamen durch die Terrassentür. Es gab einen gewaltigen Krach, als die Scheibe unter ihrem Ansturm barst und der Türrahmen gleich mit herausgesprengt wurde. Der festgetackerte Vorhang wurde zerfetzt und bot überhaupt keine zusätzlich verzögernde Wirkung.

Eine ganze Horde dieser zombieartigen Wesen quoll in den Raum. Michelle stand breitbeinig da, hielt die Waffe vor sich gestreckt und begann zu schießen. Sie schaffte es, drei oder vier von ihnen zu erledigen, indem sie ihnen die Köpfe wegschoss, doch der Flut der Angreifer war sie nicht gewachsen. Jetzt kamen sie auch aus der Küche und zu allem Überfluss drängten auch von oben wieder welche nach und konnten jetzt ungehindert hinuntergelangen, weil Keith den Brand auf der Treppe gelöscht hatte. Sie waren verloren.

Michelle wich rückwärts vor ihnen zurück und stieß mit ihrem Rücken gegen Keith, der sich ebenfalls in die Mitte des Raumes zurückzog. So standen sie Rücken an Rücken und waren umzingelt. Keith hatte nur noch den Feuerlöscher und Michelle die leergeschossene Pistole, die sie aber noch drohend von einem zum anderen schwenkte, als hätte sie noch einen Schuss in petto. Es stank nach verbranntem Fleisch, nach Verwesung und Staub.

So fühlt man sich also, wenn man bloß noch Sekunden zu leben hat.

Weder Angst noch bedauern schwangen in diesem Gedanken mit. Für Michelle war es nur die Feststellung einer interessanten Tatsache. Über Angst, Wut und Trauer war sie jetzt weit hinaus. Sie hatte sich ihrem Schicksal bereits ergeben. Nur schnell würde es hoffentlich gehen.

„Kommt schon, ihr Mistviecher! Was ist? Worauf wartet ihr, häh!“

Mit breiter Brust und erhobenem Kopf schrie Keith ihnen seine Verachtung entgegen und dann begann er, auf sie zuzugehen.

„Ihr traut euch wohl nicht, was? Dann komme ich eben zu euch. Bringen wir es hinter uns!“

Erstaunlicherweise stürzten sie sich nicht auf ihn, um ihn zu zerfleischen. Sie gaben sogar einen Weg frei und bildeten einen Korridor zur zerstörten Tür hin. Michelle beobachtete diese Szene ungläubig. Boten sie ihm die Möglichkeit, zu gehen? Konnte er jetzt tatsächlich einfach hinaus in die Nacht marschieren, ohne dass sie ihm ein Haar krümmen würden? Was hätte dann der ganze Wahnsinn für einen Sinn gehabt?

Das Gleiche schien Keith zu denken und ganz offensichtlich traute er dem Braten nicht, denn er bewegte sich nicht mehr vom Fleck. Der Gedanke, durch dieses Spalier zu gehen, hätte Michelle auch nicht behagt. Es sah aus, als würden sie lediglich den Weg zum Schafott freigeben. War das die Absicht? Sollten sie freiwillig das Haus verlassen und in die Nacht hinausgehen, damit sie ihnen dort den Rest geben konnten? Nun, da konnten sie lange warten. Entweder ging es hier drin zu Ende oder gar nicht.

Doch Michelle musste feststellen, dass sie wieder einmal völlig falsch gelegen hatten. Draußen, am Ende des Durchgangs, den die Wesen freigegeben hatten, leuchtete plötzlich ein fahles Licht auf und fiel durch die zerstörte Tür ins Haus hinein. Ein Murmeln und Raunen ging durch die Menge ihrer Feinde und der Korridor wurde noch einmal verbreitert. Nein, sie sollten nicht hinausgehen. Etwas kam zu ihnen hinein.

„Was ist das“, flüsterte Keith und schob sich dabei schützend vor Michelle. Das war eine gute Frage, doch Michelle hatte keine Antwort – jedenfalls, bis sie es sah.

Ein alter, vielleicht sechzigjähriger Mann mit schütterem weißen Haar und bekleidet mit etwas, das wie ein Leichentuch aussah, schritt in einen Lichtkegel gehüllt durch die Reihen der Untoten. Er selbst sah nicht so versehrt aus, wie die Anderen. Hätte er nicht diese eingedrückte und blutverkrustete Schläfe an der linken Kopfseite gehabt, hätte man ihn fast für einen lebenden Menschen halten können. Während er näher kam, schenkte er seinen sich ergeben verneigenden Untergebenen keinerlei Beachtung. Er fixierte allein Michelle und Keith und so unglaublich Michelle es auch vorkam, schenkte er ihnen ein strahlendes Lächeln, als er vor ihnen stand.

„Willkommen in meinem Haus. Gefällt es Ihnen hier?“

Das Lächeln war also keineswegs freundlich gemeint. Zusammen mit der scheinheiligen Frage, war es der blanke Hohn und das brachte Michelle in Rage.

Was soll´s? Soll er mich doch töten!

Sie holte aus und schlug ihn mit der flachen Hand. Alle Verachtung, die sie aufbringen konnte, hatte sie in diesen Schlag gelegt, doch sie wünschte sich augenblicklich, sie hätte es nicht getan. Die komplette Haut seiner linken Wange blieb an ihrer Hand kleben und wurde ihm mit dem darunterliegenden Fleisch vom Knochen gezogen. Seine Reaktion darauf war gleich null. Das Grinsen wich nicht aus seinem Gesicht, das jetzt auf groteske Weise entstellt war und sein Kopf zuckte keinen Millimeter zurück. Angeekelt versuchte Michelle, den Lappen aus Haut und Muskeln von ihrer Hand zu schütteln, während sie verzweifelt darum rang, sich nicht zu übergeben.

Der Fremde zuckte verächtlich mit dem verbliebenen Mundwinkel und krächzte ein höhnisches Lachen. Dem Beispiel ihres Gebieters folgend, begann jetzt die ganze Horde zu lachen. Es klang scheppernd, bei einigend gurgelnd, als hätten sie den Rachen voll mit geronnenem Blut und bei wieder anderen hörte es sich an wie das Winseln eines asthmatischen Hundes. Der Alte schnitt diesen Chor mit einer abrupten Handbewegung ab und fixierte wieder Michelle.

„Meine schöne, mutige Dame, ich will Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Sie handelt von einem Mann, der es durch den Anbau und Verkauf von Oliven zu einigem Wohlstand gebracht hat. Dieser Mann war erfolgreich, aber er hatte Neider. Niemand, der mehr Erfolg hat als andere, ist überall beliebt, wissen Sie?“

Wenn der Alte eine Reaktion von ihr erwartete, dann konnte er warten, bis er schwarz wird, das schwor sich Michelle. Ohne eine Regung zu zeigen, blickte sie einfach durch ihn hindurch.

Das ließ ihn jedoch unbeeindruckt und nach einem spöttischen Achselzucken fuhr er fort:

„Jedenfalls, junge Dame, stellte dieser Mann fest, dass Erfolg nichts wert ist, wenn man keine großen Wünsche hat, die man sich durch seinen Erfolg erfüllen kann. Er fragte sich also, was ihm im Leben noch fehlte und er kam auch zu einem Ergebnis. Es war die Liebe, die ihm fehlte. Alle sein Geld und all sein Einfluss vermochten die Leere in seinem Herzen nicht zu füllen. Romantisch, nicht wahr“?“

Keine Reaktion.

„Ich will Sie nicht langweilen, mein arrogantes Fräulein, also kürze ich den Rest der traurigen Geschichte ab. Ich will Ihr hübsches Köpfchen ja nicht über Gebühr strapazieren. Die Liebe war also der Schlüssel zur Zufriedenheit dieses erfolgreichen Mannes. Und er hatte sogar schon die passende Frau im Auge. Doch was sollte er ihr bieten? Seinen Hof, auf dem es außer Arbeit und Gesinde nichts gab? Nein, eine Frau so schön wie diese verdiente etwas Besseres. Einen Palast. Und so kaufte er ein Grundstück. Es war ein großer Flecken, der Platz für ein wunderschönes Haupthaus und später auch für prächtige Nebengebäude geboten hätte. Doch nichts von alledem wurde wahr.“

„Was ist passiert?“

Enttäuscht stellte Michelle fest, dass Keith nicht daran dachte, die Erscheinung mit Nicht-Achtung zu strafen. Das allerdings tat der Geist mit Keith. Er sah ihn nicht einmal an.

„Nein, aus den Träumen des erfolgreichen Mannes wurde nichts, denn am selben Tag, an dem er das Grundstück erworben hatte, besuchte er seinen Grund und Boden und wurde dort erschlagen wie ein Hund. Einer der Neider und Konkurrenten hatte die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und war dem armen Mann im Dunkeln gefolgt. Wo sonst konnte man jemandem so ohne jedes Risiko den Schädel einschlagen, als weitab von jeder menschlichen Behausung auf einem Feld in dunkler Nacht?“

„Frage ihn, ob er dieser Mann war“, raunte Keith ihr ins Ohr. „Mit mir spricht er nicht“, schob er hinterher.

Wenn es Keith so wichtig war, dem Geschwafel des Greises einen Sinn abzugewinnen, dann sollte er seinen Willen eben bekommen. Sie versprach sich nichts davon, außer einer kleinen Verzögerung, bevor er sie trotzdem beide töten würde.

„Dieser Mann, der erschlagen wurde – das waren Sie. Richtig?“

„Ja, selbstverständlich war ich dieser Mann! Warum erzähle ich Ihnen das wohl, sie dummes Ding?“

Dieser arrogante Zorn gefiel Michelle wesentlich besser, als die geheuchelte Freundlichkeit, mit der er sie vorher verhöhnt hatte.

„Ja, ich war der Mann, den irgendein neidischer Bastard wie einen Hund erschlagen hat. Er hat mir meinen Traum genommen und er hat mir überhaupt alles genommen, worauf ich all die Jahre der harten Arbeit hingelebt habe.“

Jetzt war er regelrecht außer sich und der Lichtkegel, der ihn einhüllte, flackerte wie eine Glühbirne, die kurz vor dem Durchbrennen stand. Seine Gefolgsleute brummten schlecht gelaunt und schüttelten empört ihre Fäuste, um zu demonstrieren, was sie davon hielten, dass ihrem Anführer einst so übel mitgespielt wurde.

„Und was haben wir damit zu tun? Warum tun Sie uns all das hier an“, schrie Michelle ihn an. Ihre Augen funkelten vor Zorn und Trotz.

„Das hat überhaupt nichts mit Ihnen zu tun! Bilden Sie sich nicht ein, für mich eine Bedeutung zu haben. Das haben Sie nicht. Sie sind so unbedeutend, wie ein Käfer unter meinem Schuh, kleines Fräulein. Sie sind einfach nur im Weg!“

Das machte Michelle sprachlos.

Wir sind einfach nur im Weg? Wir sollen verschwinden und das war´s dann?

„Nein, das war es nicht. Ja, glotze mich nur an mit deinen Kuhaugen. Du glaubst, du kannst ein Geheimnis vor mir haben? Ich sehe in deinen Kopf wie in ein offenes Buch! Ich werde dir sagen, worum es geht. Es geht darum, dass ich immer auch ein Mann der Gerechtigkeit war. Ich habe immer jedem sein Glück gegönnt, oh ja. Doch gönnte man mir das meine? Nein, man brachte mich um, als ich mein Glück beinahe gefunden hatte. Doch was ich in der Stunde meines Todes erfahren durfte, war wunderbar. Wollt ihr wissen, was das Privileg der Toten ist?“

Auf diese Frage zogen es beide vor, zu schweigen.

„Das Privileg, das uns in der Stunde des Todes zuteilwird, ist das Privileg der Rache, meine sterblichen Freunde!“

„Und an wem rächst du dich? Doch nicht an deinem Mörder, sondern an uns. Wo ist denn da die Gerechtigkeit?“

„Sagte ich nicht, dass es nicht um euch geht? Es geht um das Große, Ganze! Es geht um das Prinzip der Gerechtigkeit und um die Balance zwischen dem niederen Trieb der Rache und dem hohen Gut der Vergebung.“

Plötzlich leuchtete die Antwort auf das Warum in Michelles Verstand auf und sie war sicher, dass sie nun den Sinn von alledem erfasst hatte.

„Sie haben den Grund und Boden verflucht, auf dem Sie zu Tode kamen!“

Erfreut blinzelte der Greis ihr mit seinem unversehrten Auge zu und klatschte vergnügt in die Hände.

„In der Tat, in der Tat. Alle hundert Jahre sollte von nun an jeder, der diesen Grund und Boden sein Eigen nennen würde, das gleiche Schicksal erleiden wie ich. Das ist keine Gerechtigkeit, die einmal geübt wird, sondern eine, die sich wiederholt und zum Prinzip wird! Das ist wahrlich wundervoll, nicht wahr?“

Die Freude über diesen Wahnsinn stand ihm ins Gesicht geschrieben. Wenn das kosmisch Gerechtigkeit war, dann wollte Michelle damit nie mehr zu tun bekommen.

„Ihr zweifelt daran, dass dies Gerechtigkeit genannt werden darf? So glaubt doch ja nicht, dass ich meine gerechte Rache einfach so bekommen habe, ohne dem Schicksal auch etwas dafür zu geben! Glaubt ihr denn, ich bekam meine Rache umsonst?“

Jetzt trat Keith nach vorn und baute sich vor dem Ermordeten auf.

„Du kannst mich ignorieren, wenn du willst, aber ich glaube trotzdem, dass ich verstehe, was du sagen willst. Der Preis, den du zahlen musstest, um deine kranken Rachephantasien erfüllen zu können – es waren all die anderen Menschen, denen das Haus in der Zwischenzeit gehört hat, nicht wahr? All diese Menschen musstest du glücklich und erfolgreich machen, damit es dir einmal alle hundert Jahre erlaubt wurde, deinen Hass gegen die armen Teufel auszuleben, die das Pech hatten, deinen kostbaren Boden im falschen Jahr eines Jahrhunderts erworben zu habe, Ist es nicht so?“

Der Alte drehte seinen Kopf linkisch von ihnen weg, als ginge ihn das Gespräch plötzlich nichts mehr an.

Volltreffer! Keith hat den Nagel auf den Kopf getroffen und dem Monster ist es peinlich, dass er ihn erwischt hat.

„Antworte!“, herrschte Keith ihn an. Wenn Blicke allein töten könnten, hätte Keith jetzt sofort der Schlag treffen müssen. Der Kopf des Mannes schoss herum und lief rot vor Zorn an.

„Du kluger, unwichtiger, kleiner Mann“, zischte er Keith an.

„Da du so scharfsinnig bist, brauche ich dir eigentlich gar nicht sagen, was ich zu sagen habe. Ich werde es trotzdem tun – nur für den Fall, dass du nicht ganz so schlau bist, wie du dich gibst. Wir wollen doch sicher gehen, dass ihr mich richtig versteht.“

In diesem Moment hätte Michelle nicht in Keith´ Haut stecken wollen, denn der Alte trat jetzt ganz dicht an ihn heran, bis nur noch wenige Zentimeter zwischen ihren Gesichtern lagen. Sich auszumalen, wie der Atem eines Mannes riechen musste, der seit zweihundert Jahren tot war, ließ sie frösteln.

„Ich habe gesagt, es geht nicht um euch. Nun, mein Freund, das war vielleicht etwas irreführend. Also hört mir besser gut zu! Euch zu töten, würde meine Rache nicht erfüllen. Ihr habt den Grund und Boden ja nicht in diesem Jahr erworben. Die Familie zu töten, der das Haus gehört, hilft mir auch nicht weiter. Ihr gegenüber bin ich sogar verpflichtet. Nein, was ich will, was absolut notwendig ist, ist etwas anderes.“

„Du musst erreichen, dass das Haus noch in diesem Jahr seinen Besitzer wechselt, nicht wahr? Nur dann kannst du deine Rache leben. Du brauchst ein ahnungsloses Opfer, das dieses Haus in genau diesem Jahr erwirbt“

Ein teuflisches Grinsen breitete sich in der Ruine seines toten Antlitzes aus, doch auch Keith begann jetzt, breit zu lächeln.

„Ich würde sagen, dann haben wir einen Deal, alter Mann!“

„Haben wir den“, fragte er verwundert.

„Nimm uns beim Wort! Schon morgen liefern wir dir ein Opfer auf dem Silbertablett. Dafür packst du jetzt deine hässlichen Freunde ein und verschwindest.“

Michelle hatte das Gespräch atemlos verfolgt. Jetzt war alles ganz klar. Hatte sie vorhin noch geglaubt, selbst der Lösung nahe zu sein, wusste sie jetzt, dass Keith den eigentlichen Kern der Sache getroffen hatte. Würde der Alte jetzt einlenken? Hatten sie tatsächlich den Schlüssel in der Hand, der ihr Leben rettete?

„Abgemacht“, flüsterte er Keith ins Gesicht. Dann drehte er sich um und schritt durch das Spalier seiner Handlanger hinaus in die Nacht. Und jeder Untote, an dem er dabei vorbeikam, verblasste im selben Moment und löste sich in Luft aus. Das Letzte, das verschwand, war der Lichtschein, der noch kurze Zeit von draußen ins Haus fiel. Danach war der Spuk vorbei.

Keine verbrannten Körper mehr auf der Treppe, keine erschossenen Zombies auf dem Boden. Nicht einmal Fußspuren hatten sie zurückgelassen.

Michelle und Keith fielen sich in die Arme und verschmolzen in einem langen und innigen Kuss.