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Während sein Unterkörper in Flammen zu stehen scheint, versucht Chris, an den Rand des Wasserlochs zu kriechen. Der Schlamm ist dick wie stockender Beton, und jede Bewegung verursacht schmatzende Geräusche, als fräße ihn das Sumpfloch genüsslich auf. Er muss sich auf den Rücken drehen, wenn er nicht ertrinken will. Es gelingt ihm nur halb; die Schmerzen in seinem Bein sind entsetzlich.
Dann sieht er Sam. Eine dunkle Gestalt am Rand des Schlammlochs, von der nur die Konturen erkennbar sind. Genau wie bei den Reitern. Auch sie kamen als Silhouetten auf ihn zu, an dem Tag, an dem er in diesem Wald eine geeignete Stelle zum Morden suchte. Heute haben sie nicht gestört. Sie hielten sich von ihm fern. Und was hat er mit der Privatsphäre angefangen, die sie ihm gegönnt haben?
Er hat alles vermasselt.
Doch sogar jetzt, gebrochen, in einem Loch voller Froschscheiße, hat er noch eine Chance.
»Sam!«
Der Junge reagiert nicht. Er steht breitbeinig da, den Stock locker in der Hand. Das Sonnenlicht glänzt in seinem Haar. Liegt es am Gegenlicht oder daran, dass Chris zu ihm aufblickt, dass Sam dieselbe Autorität ausstrahlt wie die Reiter?
»Sam, ich komm hier nicht mehr raus.«
Sein Sohn bewegt den Kopf.
»Du musst mir helfen. Da im Gras liegt eine Spritze. Da.«
Der Junge geht langsam in Richtung des Pens. Vornübergebeugt läuft er am Ufer entlang. Plötzlich bleibt er stehen.
»Ja, da. Sie sieht aus wie ein Stift. Heb sie auf, Sam.«
Der Junge tut es.
»In dem Pen sind Supervitamine. Wenn du die einnimmst, wirst du stark, fast so stark wie Superman. Dann kannst du Papa aus diesem Loch ziehen. Das willst du doch, oder?«
Seine Stimme zittert. Die Kälte des Schlammlochs hindert ihn am Atmen. Hat er glaubwürdig geklungen? Sieht er ein Nicken? Gibt ihm sein Sohn ein Zeichen, dass er ihn verstanden hat?
»Es ist ganz einfach. Halt den Stift auf die Haut, und drück oben auf den Knopf. Es gibt einen kleinen Pieks, aber der tut nicht weh. Dann bekommst du Superkräfte, kannst mich aus dem Loch ziehen, und dann gehen wir nach Hause, okay? Dann fahren wir zu Mama. Dann bekommst du …«
Was isst der Junge gerne? Was trinkt er gerne?
»Dann bekommst du Cola! Und alles, worauf du sonst noch Lust hast!«
Sam antwortet mit einer kurzen Handbewegung, und ein kleiner Gegenstand wirbelt durch die Luft. Mit einem leisen Klatschen landet er im Loch.
Chris schließt die Augen.
Alles ist verloren.
Als er die Augen öffnet, steht Sam nicht mehr am Rand.
»Sam?«
Rascheln, hinter ihm. Er hebt den Kopf, aber er sieht nichts außer Himmel und Baumkronen. Die flatternden Blätter reflektieren das Licht und ziehen die Aufmerksamkeit auf sich wie ein Mobile über dem Babybettchen.
Der plötzliche Schmerz in seiner Stirn lässt ihn Sternchen sehen, und er geht unter. Er öffnet den Mund, um zu rufen, aber ein Schwall Schlamm erstickt jeden Laut. Das Zeug ist dick und klumpig wie saure Milch. Er beginnt zu würgen, und noch mehr stinkender Schleim dringt in seinen Mund. Chris kommt an die Oberfläche, geht aber wieder unter, als drückte ihn eine Faust nach unten.
Sam!, will Chris rufen, aber es kommt kein Laut aus seinem Mund. Er versucht, den Atem anzuhalten, aber durch den Dreck in den Lungen muss er husten und das Teichwasser fließt hinein. Es verstopft seine Nase, Ohren und Augen, und während sich seine Lungen röchelnd und hustend allmählich mit Schlick füllen, versinkt er tiefer und tiefer.