Achtzehntes Kapitel
Zweikampf
»Ihr habt in der Nacht nicht im Schlafsaal unserer Mönchsbrüder geschlafen«, stellte Fra Branaguorno fest, als er Arnulf im Speiseraum bei Bruder Markus gegenübersaß. Inzwischen hatten alle anderen Mönche das Refektorium verlassen, ebenso die durchreisenden Gäste, die die Gesandtschaft des sächsischen Kaisers nutzten – unter ihnen ein paar Pilger, die auf dem Landweg ins Heilige Land gelangen wollten und sich auch nicht dadurch abhalten ließen, dass Bruder Markus es ihnen auszureden versuchte. Schließlich fuhren regelmäßig Schiffe vom Eutherios-Hafen geradewegs nach Akkon, Sidon oder zu einer der anderen Städte an der Küste, von wo man innerhalb einer Tagesreise leicht nach Jerusalem gelangen konnte. Dass es zunehmend Klagen von Pilgern über rechtliche Schikanen des schiitischen Kalifs von Kairo gab, stand auf einem anderen Blatt.
Jetzt waren Fra Branaguorno und Arnulf von Ellingen allein, und der weise Berater Kaiser Ottos meinte wohl, offen reden zu können. Branaguornos Zustand hatte sich wieder normalisiert. Es war so gekommen, wie Bruder Markus angekündigt hatte. Die anfallsartigen Beschwerden, die Fra Branaguorno in mehr oder minder regelmäßigen Abständen plagten, seit er beim Überfall der Normannen den furchtbaren Hieb am Kopf abbekommen hatte, verflüchtigten sich ebenso unvermittelt, wie sie auftauchten.
Arnulf hatte den Mönch nur kurz darauf angesprochen. Aber es war schon nach wenigen Worten klar gewesen, dass der überaus sprachkundige Mann über dieses Thema mit niemandem reden wollte – es sei denn, er fing selbst damit an.
»Seht mich nicht an, als hättet Ihr einen Mondsüchtigen vor Euch, Arnulf!«, wies Fra Branaguorno den Ritter zurecht, der sich allerdings keiner Schuld bewusst war. »Es mag sein, dass Ihr von Zeit zu Zeit eine etwas wunderliche Seite an mir zu sehen bekommt, aber davon abgesehen könnt Ihr Euch auch weiterhin voll und ganz auf mich verlassen.«
»Daran habe ich nie gezweifelt.«
»Aber ich zweifle in Eurem Fall etwas daran.«
»Inwiefern?«
Er beugte sich über den Tisch, und seine Augen wurden schmaler. Wie meistens trug er auch in geschlossenen Räumen die Kapuze über den Kopf und tief ins Gesicht gezogen, sodass seine Augen im Schatten lagen und nur das spitze Kinn und der dünnlippige Mund zu sehen waren. »Es geht mich nichts an, wie Ihr Eure Nächte hier in Konstantinopel verbringt, und es gibt in dieser Stadt sicherlich mancherlei Verlockung für einen Mann wie Euch …«
»Was wollt Ihr mir sagen, Fra Branaguorno?«
»… aber all das soll mich nicht weiter kümmern. Als Mann Gottes und als jemand, der Euch einiges an Lebensjahren und -erfahrung voraushat, will ich nicht den Stab über Euch brechen oder darauf hinweisen, dass Ihr alles, was Ihr tut, am Tag des Gerichts vor Gott rechtfertigen müsst! Aber wenn Ihr Euch wie ein Narr verhaltet, dann halte ich es für meine Pflicht, es Euch zu sagen.«
»Ein Narr?«
»Ich kenne Euch gut genug, um zu erraten, dass Ihr die letzte Nacht nicht hinter den Pforten eines der zahlreichen Bordelle verbracht habt, die die Hauptstadt der Christenheit in ihren Mauern beherbergt, sondern vielmehr in der Nähe einer geschickten Handwerkerin, die die seltene Kunst beherrscht, Zeichen in das Papier einzubringen, und sich den schönen Namen Evangelia gegeben hat! Na, habe ich Recht? Schließlich trefft Ihr Euch schon geraume Zeit mit ihr.«
Arnulf von Ellingen schwieg.
»Was mir zu Ohren kommt, kommt auch anderen zur Kenntnis. Zum Beispiel einem Kaiser …«
Arnulf wusste genau, worauf Fra Branaguorno hinauswollte. Vor mehreren Jahren war die Heirat zwischen Arnulf und einer entfernten Verwandten des Kaisers arrangiert worden. Wenn es dazu käme, würden Arnulfs Güter in erblichen Besitz umgewandelt, zum Vorteil seiner gesamten Familie. Davon abgesehen wäre es für die Zukunft überaus günstig, dass diese Ehe Arnulf eine Verbindung zum Herrscherhaus eintragen würde. Arnulf hatte die junge Frau einmal flüchtig in Magdeburg bei einem Bankett im Palast des Kaisers kennengelernt. Sie hieß Woda, und man hatte sie wohl nach ihrem Vater, Woden von Ostfalen, benannt. Woda war ein schüchternes Wesen mit großen blassblauen Augen, das nicht viel sprach. Als Kind war sie immer kränklich gewesen, und man hatte schon gemunkelt, dass ihre Fähigkeit, Kinder zu empfangen, unter ihren vielen Krankheiten in der Jugend gelitten haben könnte. Arnulf erinnerte sich genau an eine Klausel in der Hochzeitsvereinbarung, auf der sein Vater bestanden hatte. Sie besagte ausdrücklich, dass die Ehe in diesem Fall annulliert werden konnte, ohne die Umwandlung der seit drei Generationen im Besitz derer von Ellingen befindlichen Güter in ein erbliches Lehen rückgängig zu machen.
All diese Dinge gingen Arnulf jetzt durch den Kopf. Äußere Umstände hatten bisher verhindert, dass die Ehe geschlossen werden konnte. Stellten zunächst die Familie der künftigen Braut und jene des Bräutigams die eine oder andere Nachforderung, so kamen dann ein Feldzug des Kaisers gegen die rebellierenden Slawen der Billunger Mark sowie einige Überfälle der Ranen von der Insel Rügen dazwischen, die mit ihren Schiffen Siedlungen an der Küste angriffen und plünderten, später war ein Aufstand in Italien niederzuschlagen, und schließlich erfolgte dieser ganz besondere Auftrag, mit dem Kaiser Otto ihn zu den Eisenbergen jenseits von Mawarannahr sandte.
Aber wenn Arnulf zurückkehrte, würde man die Zeremonie sicherlich alsbald ansetzen – es sei denn, die Familie der Braut hätte ihn inzwischen für tot gehalten und Woda mit jemand anderem vermählt. Das brächte zwar einiges an rechtlichen Komplikationen mit sich, wäre in diesem Fall aber sicher zu rechtfertigen. Immerhin dauerte Arnulfs Aufenthalt in den fernen Ländern jenseits der oströmischen Grenzen bereits weit länger als ursprünglich geplant. Außerdem war sein Schicksal lange Zeit vollkommen ungewiss gewesen – und Nachrichten darüber hatten Magdeburg wohl ebenfalls mit einiger Verzögerung erreicht, wie es vermutlich noch Monate dauern würde, bis man dort erfuhr, dass er wohlauf und am Leben war.
»Ihr solltet darauf achten, dass Euch keine Nachrichten nach Magdeburg vorauseilen, die Woden von Ostfalen zornig machen könnten«, riet Fra Branaguorno. »Das ist nur ein Rat – Ihr müsst letztlich selbst entscheiden, wie viel Euch welches Vergnügen wert ist.«
»Falls dies das Einzige ist, das Ihr mit mir besprechen wolltet, dann sage ich Euch nun Folgendes: Ich habe Euren Rat gehört und werde ihn bedenken – aber ich werde dennoch tun, was mir angemessen erscheint!«
»Nein, das ist noch nicht alles«, erklärte Fra Branaguorno. »Petros Makarios, der erste Logothet des Kaisers, möchte mit uns sprechen. Und wenn er uns ruft, dann können wir das nicht ignorieren …«
»Natürlich nicht.«
»Es wäre denkbar, dass er uns den Brief des Kaisers übergibt. Das wiederum könnte bedeuten, dass man uns indirekt auffordert, die Stadt zu verlassen. Und zwar so schnell wie möglich!«
»Aber das geht nicht! Die Bulgaren stehen vor der Tür!«
»Ich weiß, aber es gibt ja noch den Seeweg. Ich habe Bruder Markus gebeten, sich um ein Schiff zu kümmern, das uns notfalls mitnehmen könnte …«
Arnulf erhob sich. »Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft …«
»… aus persönlichen Gründen länger in der Stadt bleiben zu können?«, erriet Fra Branaguorno den Gedanken seines Gegenübers. »Es tut mir leid, aber das wird wahrscheinlich nicht gehen.«
Der Säulengang war von Fackeln erleuchtet. Die Wächter, die Fra Branaguorno und Arnulf in ihre Mitte genommen hatten, hüllten sich in Schweigen.
Sie trugen Metallharnische nach Art oströmischer Söldner, versehen mit dem Zeichen der Warägergarde. Die Krone mit den gekreuzten Schwertern war in Messing in den Harnisch eingearbeitet. Arnulf fragte sich, ob auch diese Männer mit Schwertern aus dem unzerbrechlichen Stahl ausgerüstet waren, den Thorkild Larsson Eisenbringer und seine Getreuen aus den Bergen jenseits von Samarkand holten.
Vermutlich ja. Schließlich war nicht zu erwarten, dass ausgerechnet die allein der Person des Kaisers verpflichteten Krieger der Garde minderwertige Waffen trugen.
»Als ich vor ein paar Jahren hier war, diente der jetzige erste Logothet noch als kleiner Schreiber. Aber so geht das hier manchmal …«, flüsterte Fra Branaguorno.
Der Säulengang kreuzte sich mit einem zweiten. Die Waräger eskortierten sie nach links. Vor ihnen befand sich eine hohe Tür, die zu jenem Raum führte, in der Petros Makarios residierte. Rechts und links standen zwei Bewaffnete, die fast so regungslos wirkten wie manche der Statuen in den Gängen des Palastes.
Arnulf und Fra Branaguorno hatten den Weg zu dieser Tür zur Hälfte hinter sich gebracht, da öffnete sie sich knarrend, und ein Mann trat heraus, den Arnulf nur allzu gut kannte. Thorkild Eisenbringer! Niemals würde er dieses Gesicht vergessen.
Der riesenhafte Mann mit dem rotstichigen Haar trug seinen Helm unter den Arm geklemmt. Jetzt setzte er ihn jedoch auf den Kopf. Er blieb stehen und fixierte Arnulf mit einem Blick, der sein Gesicht in eine grimmige Maske verwandelte.
Die Tür fiel unterdessen ins Schloss.
»Bewahrt die Ruhe!«, raunte Fra Branaguorno an Arnulf gerichtet. Doch der trat ein paar Schritte vor, die Hand am Schwertgriff. Die Waräger, die sie eskortiert hatten, drehten sich um und richteten die Spitzen ihrer Speere auf ihn, sodass er erstarrte.
»Sieh an!«, rief Thorkild. »Da bist du ja, Sachse! Wie heißt es so schön? Wo auch immer man eine Handvoll Dreck ins Meer wirft, wird dieser Dreck irgendwann in Konstantinopel angespült!«
Er zog sein Schwert. Aber er näherte sich nur langsam.
»Jetzt willst du anscheinend beenden, was du in Tukharistan nicht geschafft hast!«, erwiderte Arnulf. »Mir soll es recht sein. Ich habe keine Angst vor dir – denn diesmal kämpfen wir mit Waffen aus dem gleichen Stahl. Allerdings wundert es mich, wie wenig Respekt du vor dem Palast des Herrn hast, dem du dienst!«
»Darüber lasse ich mich jedenfalls von dir nicht belehren«, erwiderte Thorkild finster. Er schwang das Schwert durch die Luft, ließ es von der rechten in die linke Hand wechseln und nahm den Griff dann mit beiden Händen. Grimmige Entschlossenheit stand in seinen verzerrten Zügen. Falls er tatsächlich mit einer Schar von Warägern aus Schweden zurück nach Konstantinopel gelangt war, erklärte dies zumindest, warum man ihm offenbar bei Hof einiges durchgehen ließ. Angesichts der Lage, in der sich die Stadt befand, konnten fünfhundert oder tausend zusätzliche warägische Söldner von entscheidender Bedeutung sein – jedenfalls solange die Streitkräfte aus dem Osten nicht eingetroffen waren. Und dass der schlechte Zustand der kaiserlichen Heerstraßen den Marsch dieser Truppen nicht beschleunigte, lag auf der Hand. Arnulf wusste aus eigener Anschauung von seinem weiten Rückweg, in welcher Verfassung ein Großteil dieses sonst hoch gerühmten Netzes schneller Verbindungen für Heer und Handel war.
Arnulf deutete auf die Wächter, die noch immer ihre Speerspitzen auf ihn richteten. »Brauchst du etwa Hilfe, um mich umzubringen, oder hat selbst ein feiger Mörder wie Thorkild Eisenbringer ein wenig von dem, was man anderswo Ehre nennt?«
Thorkild knurrte ein paar Worte, die Arnulf nicht verstand – Worte, die offenbar aus seinem Heimatdialekt kamen. Daraufhin zogen sich die Wächter zurück. Sie wichen zur Seite, hielten zwar weiterhin die Speerspitzen in Arnulfs Richtung, wahrten jetzt aber einen seitlichen Abstand.
Arnulf ging ruhig seinem Gegner entgegen. »Den Tod meines unschuldigen Knappen werde ich dir nicht verzeihen!«
Als Antwort folgte ein wütender Angriff. Thorkild schwang sein Schwert über dem Kopf, und beide Klingen klirrten im nächsten Augenblick gegeneinander. Eine rasche Folge von Hieben parierte Arnulf. Immer wieder prallte Stahl mit unvergleichlicher Wucht auf Stahl. Beide schlugen mit voller Kraft zu.
Arnulf musste zunächst Schritt um Schritt ausweichen, aber dann trieb er seinen Gegner mit ein paar äußerst wuchtigen Hieben zurück. Funken sprühten, so heftig prallte Metall auf Metall. Aber keine der Klingen brach. Sie waren vollkommen gleichwertig. Dann schlug ein besonders kräftiger Hieb Thorkild das Schwert aus der Hand. Es rutschte klirrend über den Marmorboden, und Arnulfs Schwertspitze war am Hals des Eisenbringers.
Dieser rührte sich nicht. Er wirkte wie erstarrt. »Na los! Schneid mir die Kehle durch, aber bedenke, dass du diesen Palast nicht mehr verlassen wirst, denn hier stehen Männer, mit denen ich Seite an Seite in der Schlacht gestanden habe und die dich sofort töten werden, wenn ich es befehle!«
In diesem Moment öffnete sich jene Tür, aus der Thorkild gekommen war. Zwei Männer traten hervor. Der eine war bärtig und mit dem Gewand und der Kette eines Logotheten ausgestattet. In ihm erkannte Arnulf Petros Makarios wieder, dessen Antlitz ihm noch von dem flüchtigen Treffen mit Kaiser Basileios in Erinnerung geblieben war. Bei dem zweiten Mann handelte es sich um Johannes Philagathos. Seitdem Arnulf ihm in Magdeburg und später noch einmal in Italien begegnet war, hatte er sich verändert. Er war hager geworden. Sein Gesicht ähnelte dem eines alternden Asketen, obwohl er Gerüchten zufolge asketisch nur im Hinblick auf übermäßiges Essen war. Theophanu hatte den Griechen einst an den Hof von Magdeburg geholt, wo er zeitweilig den jungen Kaiser Otto III. unterrichtete – und die Gerüchte um ein ehebrecherisches Verhältnis zwischen Johannes Philagathos und Theophanu waren nicht einmal nach dem Tod der Kaiserin verstummt. Hier im Palast von Kaiser Basileios verzichtete er anscheinend auf jedes äußerliche Gepränge, das ihm sein Rang als Bischof eigentlich erlaubt hätte. Er trug ein schlichtes, schwarzes Gewand und ein goldenes Kreuz auf der Brust.
Petros Makarios sprach ein paar empört klingende Worte auf Griechisch, und Fra Branaguorno antwortete. Arnulf verstand kein Wort davon. Aber er senkte seine Schwertspitze und steckte die Waffe in die Lederscheide an seinem Gürtel.
»Man möchte diese Sache auf sich beruhen lassen«, sagte Fra Branaguorno an Arnulf gewandt.
»Auf sich beruhen?«, fragte Arnulf fassungslos. Er deutete auf Thorkild. »Dieser Mann ist ein Mörder und Räuber!«
»Das ist ein Mann, der hier am Hof einen untadeligen Ruf als Verteidiger des Kaisers genießt«, mischte sich nun Johannes Philagathos ein. Er trat vor. »Was immer Euren Streit ausgelöst haben mag, Arnulf von Ellingen, Ihr habt meiner Mission am Hof durch Euer ungezügeltes Auftreten stark geschadet! Und um diesen Schaden nicht noch zu vergrößern, solltet Ihr so schnell wie möglich die Stadt verlassen und nach Magdeburg zurückkehren!«
»Schweigt!«, zischte Fra Branaguorno in der Sprache der Sachsen und meinte Arnulf. »Redet kein einziges Wort mehr, sondern überlasst mir alles!«
Von dem folgenden Wortwechsel zwischen Fra Branaguorno und den beiden Griechen verstand Arnulf so gut wie nichts.
Schließlich wandte sich Petros Makarios an Thorkild Eisenbringer und redete auch mit ihm in griechischer Sprache. Daraufhin ging Thorkild zu seinem Schwert, das fast zwanzig Schritt weit über den glatten Marmorboden gerutscht war, und nahm es wieder an sich. Sein Gesicht blieb finster. Er kehrte zurück und trat nahe an Arnulf heran. »Weder du noch dein missgestalteter Mönchsfreund werden Saxland je erreichen!«, knurrte er in der Sprache der Nordmänner zwischen den Zähnen hindurch. Er nahm wohl an, dass Petros Makarios und Johannes Philagathos ihn nicht verstehen konnten. »Ich habe mehrere Schiffsladungen der besten Söldner aus dem Reich der Svear an der Ostsee angeworben und nach Miklagard gebracht. Einem solchen Mann verzeiht man alles – umso mehr, wenn bulgarische Barbaren vor den Toren der Stadt stehen! Daran solltest du immer denken, Sachse!«
Mit diesen Worten ging er davon.
Arnulf sah ihm noch kurz nach. »Vermutlich hat er Recht«, murmelte Fra Branaguorno. »Er ist unangreifbar.«
Der Logothet winkte Arnulf und Fra Branaguorno herbei und hieß sie mit einer herablassend wirkenden Geste, näher zu kommen.
Petros Makarios sprach nun Latein, das er offenbar ebenso gut beherrschte wie das Griechische. »Ihr seid hier, um einen persönlichen Brief von Kaiser Basileios an Euren Kaiser in Magdeburg entgegenzunehmen«, erklärte er. »Ich gehe davon aus, dass unser kaiserlicher Gast hier zu meiner Rechten« – er deutete auf Johannes Philagathos – »Euch möglicherweise auch das eine oder andere Schriftstück für Kaiser Otto mitgeben wird.«
»Euren Auftrag werde ich mit Gewissenhaftigkeit erfüllen«, versprach Arnulf.
Daraufhin überreichte der Logothet Arnulf ein Dokument in einem versiegelten Umschlag aus Pergament. Es war unmöglich, das Schriftstück zu öffnen, ohne dass sein eigentlicher Adressat dies später bemerken würde – es sei denn, es führte jemand durch, der Zugang zum persönlichen Siegel von Kaiser Basileios hätte.
»Der Landweg ist im Moment für Reisende nicht zu empfehlen«, fuhr Petros Makarios fort, »und wie ich hörte, gibt es auch auf dem Seeweg Schwierigkeiten, falls Ihr gedenkt, über eine Verschiffung nach Venedig nordwärts zu ziehen.«
»Welcher Art sind diese Schwierigkeiten?«
»Ein Händler und Gesandter aus Venedig hat mir erst vor ein paar Tagen von Piratenüberfällen in der Adria berichtet. Die Flotte Venedigs scheint gegen Piratennester in Dalmatien einen regelrechten Krieg zu führen. Der Mann, mit dem ich sprach, heißt Lorenzo D’Antonio – Ihr findet ihn im venezianischen Händlerquartier am Goldenen Horn, falls Ihr Euch über die Lage erkundigen wollt.«
»Lorenzo D’Antonio aus der Familie D’Antonio, die mit den Tiepolos verschwägert ist?«, vergewisserte sich Fra Branaguorno.
»Das mag sein«, nickte Petros Makarios.
»Ich kenne diese Familie sehr gut, vor allem den alten Nicola D’Antonio, dessen Schwiegervater Andrea Tiepolo eine der apostolischen zwölf Familien über Jahre hinweg anführte und der nur deshalb nicht zum Dogen gewählt wurde, weil ihn zuvor der Schlag traf!«
»Ihr scheint gute Verbindungen nach Venedig zu haben«, stellte Petros Makarios fest.
»Wir danken Euch jedenfalls für diesen Hinweis.«
»Noch eines: Die Überbringung dieses Briefs duldet keinen langen Aufschub, so ungünstig die äußeren Umstände auch sein mögen.«
»Selbstverständlich.« Fra Branaguorno bedachte Johannes Philagathos mit einem kurzen Blick und fragte dann an beide gewandt: »Darf ich aus den Begleitumständen dieser Briefübergabe den Schluss ziehen, dass man einer Einigung ein Stück näher gekommen ist, was die Heirat meines Herrn, des Kaisers in Magdeburg, angeht?«
»Es gibt eine Kandidatin, deren Name in dem Brief genannt wird«, ergriff jetzt Johannes Philagathos das Wort. »Aber dieser Name darf noch unter keinen Umständen bekannt werden.«
»Ich verstehe«, gab Fra Branaguorno zurück und verneigte sich tief.
»Ich werde mich ins Quartier der Venezianer begeben, um mit Lorenzo D’Antonio zu sprechen«, kündigte Fra Branaguorno an, nachdem sie den Palast verlassen hatten. »Wer weiß, vielleicht können wir sogar auf seinem Schiff mitfahren, wenn er zurück nach Venedig segelt.«
»Ihr erwähntet, dass Ihr mit der Familie bekannt seid«, sagte Arnulf.
Der Mönch nickte. »Den kleinen Lorenzo sah ich allerdings nur als Säugling, der mit durchdringender Stimme und Blähungen mein Gespräch mit dem alten Nicola unterbrach … Vorausgesetzt, es handelt sich um denselben Lorenzo! Schließlich sterben die Kinder schnell, und die Zahl der christlichen Namen ist klein, sodass man sie immer wieder zu benutzen pflegt … Ich nehme an, Ihr begleitet mich ins Quartier der Venezianer?«
»Ich würde gerne noch etwas anderes erledigen«, erklärte Arnulf.
Fra Branaguorno schaute auf. Ausnahmsweise fiel der Schatten seiner Kapuze nicht über die Augenpartie. Sein Blick wirkte durchdringend.
»Am besten, Ihr nutzt die Gelegenheit, Euch von dieser Papiermacherin ein für allemal zu verabschieden, Arnulf!«
Sie kamen an einer kleinen Kapelle vorbei, die sich zwischen die dicht an dicht stehenden Häuser zwängte. Aus dem Inneren hörten sie Gesänge. Außen neben die Tür hatte jemand mit Blut ein Andreaskreuz gemalt.
»Was bedeutet das?«, fragte Arnulf.
»Fanatische Ikonoklasten«, erklärte Fra Branaguorno. »Die Brut dieser Bilderverächter ist anscheinend nicht auszurotten.«
»Und das Kreuz aus Blut?«
»Schafsblut. Sie markieren damit die Türen einer Kirche, in der nur das Wort gilt und die frei von den Sünden der Bilderverehrung ist. Wie die Angehörigen des Volkes Israel in Ägypten ihre Türen mit Schafsblut kennzeichneten, damit der Todesengel an ihnen vorübergehen und nur die Erstgeburt der Ägypter töten sollte, so hoffen sie, dass Gott das kommende Verhängnis nur auf die Sünder wirft …«
»Hätte der Herr Konstantinopel dann nicht längst dem Erdboden gleichmachen müssen wie Sodom und Gomorrha?«, gab Arnulf zurück.
»Vielleicht beginnt er damit ja gerade, indem er die Bulgaren nach Thracien geschickt hat – zumindest aus Sicht dieser Fanatiker.«