14

I

m Polizeipräsidium traf Zacharias allein Lohmeier an. Er mühte sich, diesen Mann nicht nur ekelhaft zu finden. Sei neutral, du hast ihn angeheuert, nun nutze seine Fähigkeiten und behandle ihn korrekt. Lohmeier erhob sich devot, als Zacharias vor seinem Schreibtisch stand. »Ich glaube, wir wissen nun, wo der Mann wohnt«, sagte Lohmeier.

»Der Anführer?«

»Ja.«

»Wie haben Sie ihn gefunden?«

»Wir haben das Bild überall gezeigt, bis wir einen trafen, der den Mann offenbar kannte. Er nannte uns den Namen, und über den Namen fanden wir schließlich seine Anschrift.«

»Ist er zu Hause?«

»Die Kollegen sind unterwegs und versuchen ihn zu verhaften.«

Zacharias spürte, wie er unruhig wurde. Er ging in sein Zimmer und schaute aus dem Fenster auf den Alexanderplatz. Im Nieselregen eilten Menschen hin und her, ohne dass es ein Muster ergab. Zacharias überlegte, was geschehen könnte, wenn sie den Anführer tatsächlich verhaften und verhören konnten.

Da klopfte es an der Tür. Er rief »Herein!«, und Sonja trat ein. Es überraschte ihn, und sie wusste es. Sie hatte sich zurechtgemacht. Er verglich sie mit Margarete und sah in ihrer Schönheit Margaretes Elend um so drastischer. Sonja hungerte nicht, sie hatte offenbar nie gehungert. Wie sie das schaffte, er wusste es nicht. Fast hätte er sie danach gefragt, aber er sagte nichts.

Sonja strahlte ihn an, als wäre nie etwas gewesen. Sie stellte sich so nah vor ihn, dass er sie hätte berühren können. Er fühlte sich starr.

»Ich soll dich schön grüßen vom Genossen Friesland. Er würde gerne mit dir reden. Mich lässt er ausrichten, Meinungsverschiedenheiten seien doch ganz natürlich unter Genossen. Er hat Bronski zurechtgestaucht, dass der keinen Unsinn nach Hause meldet.«

Was bedeutete das? Wollten sie ihn hereinlegen? Sie hatten doch die Mehrheit in der Partei, und wenn es so weiterging, würden sie bald die Führung übernehmen.

»Ich habe nichts dagegen, wenn der Genosse Friesland mich hier besucht. Du kannst es ja auch.«

»Bestimmt wird er dich hier bald einmal besuchen. Aber er will gerne privat mit dir sprechen. In einem Polizeipräsidium fühlt er sich nicht wohl.« Sie lachte, als hätte sie einen guten Witz erzählt.

Ob sie schon etwas wusste von ihrem möglichen Fahndungserfolg? Unmöglich, dachte er. Aber er würde Lohmeier fragen müssen, seit wann bekannt sein könnte, dass sie eine Spur hatten. Konnte es jemanden geben in der Kommission, der Frieslands Gruppe etwas steckte?

»Warum kommst du jetzt?« fragte er und war gleich wütend auf sich, weil er hätte wissen müssen, dass er so verriet, dass er Friesland verdächtigte.

»Warum heute, warum morgen?« sagte sie und schaute ihm in die Augen. »Ich dachte, du freust dich, dass ich dich besuche. Aber das war wohl ein Irrtum.« Sie war schnippisch, aber Zacharias ahnte, dass sie es nur spielte. Wahrscheinlich war ihr gesamtes Verhalten gesteuert von ihrem Auftrag. Und der konnte nur heißen, herauszubekommen, was Zacharias wusste, damit Friesland rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen konnte. Aber wenn Friesland fragte, verriet er auch, was ihn interessierte, und vielleicht konnte Zacharias daraus folgern, was Friesland plante. Also spiele ich das Spiel mal mit und tue so, als wünschte ich eine Versöhnung.

»Wir sollten in der Tat den Streit beenden. Offenbar hat der Genosse Friesland eine andere Auffassung von meinem Auftrag als ich. Das mag daran liegen, dass er vor mir nach Deutschland gekommen ist und nicht mehr mit Lenin oder Dserschinski sprechen konnte, nachdem sie mir meine Weisungen gegeben hatten. Sag dem Genossen Friesland, ich würde ihn aufsuchen, sobald meine Zeit es zulässt.«

»Heute abend«, sagte sie. »Bei mir zu Hause.«

Er begriff, das war eine Art Ultimatum, verpackt in ein reizendes Lächeln, das mehr versprach, als Sonja jemals halten würde. Es sei denn, sie hatte einen Auftrag. Auch wenn er es unterdrücken wollte, der Gedanke erregte ihn. Dummkopf, machst dich zum Affen deiner Lust.

Als Sonja gegangen war, wartete er. Er überlegte, ob er diesen Anführer nicht doch gesehen hatte in Lichtenberg. Dann klopfte es. Lohmeier eilte ins Zimmer. Er wischte sich Schweiß von der Stirn, obwohl er nur aus dem Nebenzimmer herübergeeilt war. »Er ist uns entwischt. Irgend jemand hat ihn gewarnt, sonst wäre er nicht entkommen. Aber wir haben einen Kumpanen von ihm gefangen, er hielt sich jedenfalls in der Wohnung dieses Burschen auf. Wir haben ihn mitgebracht. Wollen Sie mit ihm reden?«

Zacharias befahl, den Mann zu bringen.

Lohmeier rannte zurück in sein Zimmer und ließ die Tür offen. Gleich war er wieder da, seine Hand krallte sich in die Schulter eines Mannes mit einer Schirmmütze im Hamburger Stil. Er stieß den Mann auf den Stuhl vor Zacharias’ Schreibtisch und stellte sich hinter ihn, jederzeit bereit, den Verdächtigen zu schlagen.

»Nun bleiben Sie ruhig«, sagte Zacharias betont gelassen. Dann erkannte er den Mann, es war ein Kämpfer aus Lichtenberg. Der erkannte nun auch Zacharias. »Sieh an, Genosse«, sagte er.

Zacharias bat Lohmeier hinaus. Er solle einen Mann vor die Tür stellen, falls der Genosse Anstalten mache, sich einem freundlichen Gespräch zu entziehen. Lohmeier verbarg seine Enttäuschung nicht, als er ging.

»Mit solchen Figuren arbeitest du also zusammen«, sagte der Mann. Müde Augen schauten aus einem grauen Gesicht. Am Kinn hatte er eine schmale Narbe wie von einem Messer oder Seitengewehr. Auf seiner schwarzen Jacke perlten Wassertropfen.

»Was zu trinken, zu essen?«

Der Mann winkte ab. »Gib dir keine Mühe.«

»Gut, wie heißen Sie?«

»Bärmann, Friedrich.«

»Adresse?«

»Dort, wo deine Leute mich verhaftet haben.«

»Sie wohnen also mit dem Genossen zusammen, der in die ehemalige Reichskanzlei eingedrungen ist.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Wie heißt dieser Genosse?«

Bärmann zögerte, bohrte sich im Ohr und legte sich offenbar eine Verteidigungstaktik zurecht. Wenn er den Namen nicht nannte, machte er sich selbst verdächtig. Nannte er ihn, mochte er sich als Verräter fühlen. »Den will ich nicht nennen.«

»Sie sind Genosse?«

»Ich bin Spartakist«, sagte er stolz. »Vom ersten Tag an.«

»Und deshalb decken Sie einen Anschlag auf die Genossin Luxemburg?«

»Das ist doch Blödsinn.«

Sie saßen sich lange schweigend gegenüber. Zacharias überlegte, wie er den Mann zum Sprechen bringen konnte. Gleich fiel ihm ein, wie sie es in der Tscheka gemacht hatten. Pistole an den Kopf, die Kinder bedrohen oder die Frau, Haus anzünden, schlagen, treten.

»Wir haben in Lichtenberg gemeinsam unseren Kopf hingehalten, auch für die Genossin Luxemburg. Stimmt’s?«

Bärmann blinzelte ihn an. Er nickte kaum wahrnehmbar.

»Ich leite eine Untersuchungskommission, die nur einen Auftrag hat: den Anschlag auf die Genossin Luxemburg aufzuklären. Oder wie würden Sie das sonst nennen, wenn bewaffnete Männer in die Reichskanzlei eindringen und herumschießen. Es hat zwei Tote gegeben, Genosse, und einige Verletzte.«

Bärmann blinzelte wieder, dann zeigte sich Verwunderung in seinem Gesicht.

Zacharias fragte sich, ob Bärmann seine Lüge schluckte. Eigentlich wussten sie beide, dass es diesen Anschlag nicht gab. »Ich bin der persönliche Sekretär der Genossin Luxemburg. Wenn Sie wollen, fahren wir zu ihr. Damit Sie sehen, dass sie dieselben Fragen hat wie ich.«

Bärmann riss die Augen auf. »Das würdest du tun?«

»Gewiss.«

»Dann fahren wir.«

Zacharias ging zum Telefon und wählte die Nummer der KPD-Zentrale. Dort erhielt er die Auskunft, Luxemburg sei in der Reichskanzlei. Zacharias erwischte in der Reichskanzlei nur Jogiches. Dem schilderte er kurz, was er vorhatte, und Jogiches sagte, er solle kommen. Bis dahin sei die Genossin Luxemburg vielleicht schon aus der Sitzung heraus. Sonst müssten sie warten.

»Kommen Sie«, sagte Zacharias zu Bärmann. »Die Genossin Luxemburg erwartet uns.«

Zacharias entschied sich, Bärmann keine Handschellen anzulegen. Der Gefangene folgte ihm hinunter zur Pforte, wo Zacharias einen Wagen mit Fahrer forderte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Wagen vorfuhr. Sie setzten sich auf die Rückbank des NSU, der Fahrer war ein kleingewachsener Mann mit Lockenkopf, darauf eine eng sitzende Ledermütze. Der Mann fuhr schnell, während der Fahrt sagte Bärmann kein Wort. Es arbeitete in ihm.

Sie hatten Glück, Rosa saß in ihrem Dienstzimmer, als Jogiches die beiden hineinführte. Zacharias stellte Bärmann vor, Rosa lächelte ihn freundlich an und reichte ihm die Hand, als Bärmann berichtete, er sei in Lichtenberg dabei gewesen.

»Nun, Genosse Bärmann, Sie wissen etwas über dieses Unternehmen in der Reichskanzlei?« fragte Rosa.

Jogiches stand an der Tür und schaute gespannt zu.

»Ich war nicht dabei, aber mein Mitbewohner, der Genosse …« Er schaute die Anwesenden nacheinander an.

»Sie können uns den Namen ruhig verraten«, sagte Zacharias. »Ich verspreche Ihnen, wir tun dem Genossen nichts. Wir suchen nur die Drahtzieher.«

»Und nicht die dummen Jungen, die auf sie hereingefallen sind«, sagte Rosa. Zacharias hatte sie nie freundlicher sprechen gehört.

Bärmann schien etwas erleichtert zu sein.

»Ich war ja nicht dabei, hab nur was gehört vom Gustav. Der hat erzählt, er habe den Auftrag bekommen, in der Reichskanzlei Rabatz zu machen. Der Genosse Liebknecht habe das angeordnet, er wolle damit erreichen, dass die Genossen dort besser aufpassen. Es war so eine Art Übung, hat der Gustav gesagt.«

»Aber es sind Menschen erschossen worden.«

»Na, es sollte echt aussehen. Man kann doch nicht herumschießen und überhaupt keinen treffen. Das glaubt einem doch keiner. In einer Revolution gibt es Opfer. Hat der Gustav gesagt.«

»Hat der Justav denn auch gesagt, wo er sich verstecken will, wenn er fliehen muss?« fragte Rosa. Zacharias hatte sie noch nie berlinern gehört.

»Nee, mir nicht.«

»Vielleicht finden wir in der Wohnung etwas, das uns einen Hinweis gibt«, sagte Zacharias.

Bärmann hob kurz die Hände.

»Hat dieser Gustav Verwandte in Berlin oder Umgebung?« fragte Jogiches.

»Weiß ich nicht.«

»Dann sagen Sie uns doch bitte den Nachnamen von Gustav«, sagte Zacharias.

»Tibulski«, sagte Bärmann.

»Gut«, sagte Zacharias.

»Warten Sie einen Augenblick«, sagte Rosa. Sie verließ den Raum.

Bärmann knetete seine Finger, während sie warteten. Dann sagte er: »Was man macht, man macht es falsch.«

»Jetzt nicht mehr«, erwiderte Zacharias. »Wir kriegen das hin, keine Sorge.«

Bärmann schaute trübsinnig an die Wand. Zacharias verstand, was den Mann quälte. Der fühlte sich als Verräter, entweder an seinem Kumpan oder an Rosa.

Die Tür ging auf, Liebknecht kam herein. Der reichte Bärmann die Hand, dann den anderen. »Die Genossin Luxemburg hat mich unterrichtet. Ich will Ihnen nur sagen, dass ich den Angriff auf die Reichskanzlei nicht befohlen habe. Das war eine Provokation der Revolutionsregierung, und man müsste verrückt sein, zu glauben, der Vorsitzende dieser Regierung stecke dahinter. Haben Sie das verstanden?« Liebknecht klang empört.

»Ja, Genosse Liebknecht.«

»Glauben Sie mir das?«

»Natürlich, Genosse Liebknecht.«

Liebknecht eilte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. »Verrückt!« sagte er laut, so dass sie es im Zimmer hörten. Bärmann zuckte zusammen. Er war beeindruckt, dass die berühmten Führer der Revolution mit ihm sprachen.

»Genosse Bärmann, Sie können nach Hause gehen. Aber ich erwarte von Ihnen, dass Sie mir sofort mitteilen, wenn Ihr Kollege Tibulski wieder auftaucht. Sind Sie damit einverstanden?« fragte Zacharias.

»Aber Sie …«

»Nein, wir tun ihm nichts. Und wenn sich wie zu erwarten herausstellt, dass Ihr Freund hereingelegt wurde, kann er nach seiner Aussage nach Hause gehen.«

»Versprochen?« Er schaute Rosa an.

»Versprochen«, sagte sie und gab ihm die Hand. »Dann gehen Sie jetzt.«

Bärmann stand auf und schaute sich ängstlich um. Dann eilte er zur Tür und verschwand.

»Es wird eng«, sagte Jogiches. Offenbar setzte er eine Diskussion fort.

»Das wird es ohnehin«, erwiderte Rosa. »Wenn wir Friesland nachgeben, bekommen wir den Terror. Tun wir es nicht, versinken wir in der Anarchie. Ich hatte geglaubt, die Massen entwickeln eine eigene Vernunft, gerade die deutschen Arbeiter. Sozialismus ist doch Freiheit. Aber ich begreife inzwischen, dass die Arbeiter an die Stelle des Zwangs im Kapitalismus nicht die Selbstdisziplin setzen, sondern das Durcheinander, in dem jeder tut und lässt, was er will. Ich bin verantwortlich für Wirtschaft, aber glaubst du, ich habe eine Ahnung, wie es um die Wirtschaft steht? Wir haben Betriebe sozialisiert, aber die produzieren oder produzieren nicht. Was sie produzieren, entscheiden Betriebsräte oder Belegschaftsversammlungen oder Abteilungen in den Betrieben selbst. Wenn wir die Revolution retten wollen, müssen wir die Zügel anziehen, wie Clara sagt, Verantwortung zuteilen und die Leitung übernehmen. Aber soll ich jetzt in jeden Betrieb Deutschlands gehen und die Arbeiter überzeugen? Erinnerst du dich, Leo, 1905 in Polen. Was war das für eine Begeisterung! Wir haben immer geglaubt, die Polen seien die Anarchisten und die Deutschen diszipliniert. Es müsste doch ein Leichtes sein, mit diesen deutschen Arbeitern, jahrzehntelang erzogen im Sinn der Sozialdemokratie, den Sozialismus zu verwirklichen. Und jetzt wissen wir nicht einmal, ob die Arbeiter den Sozialismus wollen. Die da in den Räten palavern, sind das die Vertreter des Proletariats oder sind das selbsternannte Schreihälse, die der Krieg entwurzelt hat, die nun Krawall machen und ein bisschen weitermorden wollen? Weißt du noch, Leo, am 4. August, wie die Massen zu den Waffen drängten, darunter so gute Genossen, die Tage zuvor noch gegen den Krieg auf die Straße gegangen waren? Geben wir’s doch zu, die Massen haben den Sozialismus damals verraten, die internationale Arbeiterklasse hat sich abgeschlachtet, allen Bekundungen der Internationale zum Trotz. Und nun, wo wir endlich am Ziel sein könnten, lässt das Proletariat den Sozialismus wieder im Stich. Ich bin am Ende meines Lateins.« Sie war erschöpft und niedergeschlagen, wie jemand, der verzweifelt gegen eine Flut kämpft und weiß, dass sie ihn doch fortspülen wird.

»Lass den Kopf nicht hängen. Du bist müde und krank. Es ist zuviel. Morgen sieht es schon wieder anders aus. Revolutionen gehen eigene Wege, sie folgen nicht unseren Bücherweisheiten.« Jogiches sprach wie ein Vater zu ihr.

»Ja, ja«, sagte sie. »Entweder Terror oder Konterrevolution. Entweder Hölle oder Fegefeuer. Was für eine Auswahl! Die Genossin Luxemburg muss noch ein wenig an ihren Theorien feilen, die Wirklichkeit passt noch nicht dazu.«

Auf dem Heimweg gingen Zacharias Rosas schwarze Gedanken durch den Kopf. Das kannte er auch, dass man verzweifelt war, alles in Trübsal getaucht und kein Licht am Horizont. Aber Rosas Verzweiflung berührte etwas in ihm, das ihn schon lang quälte. Wenn man den Geschichtsverlauf kannte und wusste, er würde immer zum Sozialismus führen, dann musste man entscheiden, wie es die historische Notwendigkeit verlangte. Aber wenn sich zeigte, dass die Arbeiter noch nicht reif waren für den Umsturz, dass sie mit der Macht nichts anfangen konnten? Lenin hatte gezeigt, die Revolution kam nicht von allein, die Gesetze der Geschichte verwirklichen sich durch die Taten der Menschen. Wenn man die Macht einmal ergriffen hatte in einer seltenen Konstellation der Kräfte, durfte man sie wieder aufgeben, wenn man nicht genug Unterstützung fand? Wenn man also zu früh war? Oder musste man die Massen erziehen und an ihrer Stelle handeln, bis sie reif waren, die neue Gesellschaft aufzubauen?

In Russland hatten die Menschen bis zur Februarrevolution nur Unterdrückung und Ausbeutung erlebt, sie waren abgeschnitten gewesen von Kultur und Zivilisation. Vielleicht musste Lenin mit Gewalt regieren, denn wie soll man Menschen überzeugen, die nicht lesen können? Vielleicht entsprach die Diktatur der Bolschewiki der Mentalität der Russen, und die historische Notwendigkeit wählte einen krummen Weg, sich zu verwirklichen.

Und doch war das Massentöten abstoßend. Musste es nicht diejenigen verändern, die es befahlen und ausführten?

Aber in Deutschland war der bolschewistische Weg undenkbar. Fast schien es, dass die Mehrheit der organisierten Arbeiterklasse noch immer der Sozialdemokratie Eberts und Scheidemanns folgte. Also die Macht wieder abgeben? Dann würden die Freikorps über die Revolutionäre herfallen, wie sie es gerade in München taten. Unter dem Gejohle des Bürgertums färbten sie die Abwässerkanäle der Stadt mit dem Blut der Revolutionäre.

Als er am Abend heimkam, fiel ihm ein, er hatte schon wieder vergessen, Geld mitzubringen. Aber Margarete sprach ihn nicht darauf an. Sie blickte ihm ins Gesicht und schwieg. Nach dem Essen drängte sie ihn, sich schlafen zu legen.

 

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