60
Buford
Erst sechs Stunden nach dem ersten Artilleriesperrfeuer standen die Feindabsichten fest. Der Bericht der Hubschrauberaufklärung zeigte ein erstes Bild, aber Satelliten-Bildmaterial machte es erst unmißverständlich klar. Es war also weit nach Mitternacht, bevor die Saudis erkannten, daß ihre Streitkräfte vorwiegend am falschen Fleck standen und daß ihr westlicher Deckungsverband geplättet worden war von einem Feind, der zu schlau oder zu blöd war, sich an die Erwartungen zu halten. Um dem zu begegnen, müßten sie eine Manöverschlacht kämpfen, für die sie nicht vorbereitet waren. Die UIR zog zuerst nach KKMC, sicher wie der Teufel. Darum würde es eine Schlacht geben, dann hätte der Feind die Option: sich ostwärts wenden zum Golf – und dem Öl – oder südwärts weiterziehen nach Riad, den politischen Knockout landen und den Krieg gewinnen. Kein schlechter Plan, dachte Diggs. Wenn er ausgeführt würde. Deren Problem glich aber dem der Saudis. Die hatten einen Plan, hielten ihn für ganz gut und dachten ebenfalls, der Gegner würde zur eigenen Zerstörung beitragen. Das geschah jedem früher oder später, und der Schlüssel zum Gewinn lag im Wissen um das, was man konnte und was nicht.
Im Lageraum sprach Ryan am Telefon mit seinem Freund in Riad.
»Ich bin im Bilde, Ali«, versicherte ihm der Präsident.
»Das hier ist ernst.«
»Bald geht die Sonne auf, und Sie haben Spielraum, den Sie für Zeit eintauschen können. Es hat früher auch funktioniert, Hoheit.«
»Und was werden Ihre Streitkräfte tun?«
»Können ja kaum von dort nach Hause fahren, oder?«
»Sie sind sich so sicher?«
»Eure Hoheit wissen, was die uns angetan haben.«
»Nun ja, aber …«
»Unsere Truppen ebenfalls, mein Freund.« Und dann hatte Ryan eine Bitte.
»Dieser Krieg hat für die alliierten Streitkräfte böse begonnen«, sagte Tom Donner gerade live auf NBC Nightly News. »Die vereinten Armeen des Irak und des Iran haben die Saudi-Linie westlich Kuwaits durchschlagen und dringen nach Süden vor. Ich bin hier mit Troupiers des 11. Berittenen Panzerregiments, Blackhorse Cav. Hier ist Sergeant Bryan Hutchinsen aus Syracuse, N.Y. Sergeant, was halten Sie davon?«
»Schätze, wir werden abwarten müssen, Sir. Was ich Ihnen sagen kann, die B-Truppe ist bereit für alles. Ich frag' mich, ob die für uns bereit sind, Sir. Kommen Sie mit und sehen Sie zu.« Mehr hatte er dazu nicht zu sagen.
»Wie Sie sehen, trotz der schlimmen Nachrichten vom Schlachtfeld sind diese Soldaten bereit – sogar begierig – für den Kampf.«
Der Saudi-Oberbefehlshaber legte nach dem Gespräch mit seinem Herrscher auf. Dann wandte er sich zu Diggs. »Was empfehlen Sie?«
»Für den Anfang meine ich, wir verlegen die 5. und 2. Brigade südwestwärts.«
»Das ließe Riad ungedeckt.«
»Nein, Sir, das tut es eigentlich nicht.«
»Wir sollten umgehend zum Gegenangriff übergehen!«
»General, das muß nicht gleich sein«, teilte Diggs ihm mit und blickte auf die Karte herab. Die 10. Cav war in einer echt interessanten Lage …
Er sah auf. »Sir, haben Sie je die Geschichte vom alten und vom jungen Stier gehört?« Und Diggs hob an zu einem seiner Lieblingswitze, der nach wenigen Sekunden die hohen Saudi-Befehlshaber langsam nicken ließ.
»Sehen Sie, sogar das amerikanische Fernsehen sagt, daß es uns gelingt«, sagte der Chef des Nachrichtendienstes zu seinem Boß.
Der kommandierende General der UIR-Luftwaffe war da weniger zuversichtlich. In 24 Stunden hatte er 30 Jäger verloren gegenüber vielleicht zwei Verlusten auf der saudischen Seite. Sein Plan, reinzubohren und die AWACS-Flieger zu vernichten, war fehlgeschlagen, und hatte ihn einige seiner besten Piloten gekostet. Die gute Nachricht für ihn war, daß der Feind nicht die Flugzeuge hatte, um innerhalb der Landesgrenzen wirklichen Schaden anzurichten. Jetzt kamen weitere Bodenverbände aus dem Iran herab, um auf Kuwait vorzurücken, und mit Glück hätte er nur die Frontverbände zu decken, eine Aufgabe, mit der sich seine Leute auskannten, besonders bei Tageslicht. Die Aufgabe würden sie in wenigen Stunden erfahren.
Insgesamt 15 Scud-Raketen wurden Richtung Dhahran gestartet. Die Schiffe von COMEDY zu erwischen wäre bestenfalls ein Glückstreffer gewesen, und alle ankommenden Raketen wurden abgefangen oder stürzten harmlos ins Meer in einer Nacht aus Krach und Feuerwerk. Das letzte der Ladung – jetzt vor allem Laster – kam nun die Rampen herab, und Greg Kemper legte die Feldstecher ab, als er die lange, braungestrichene Kolonne im Morgennebel entschwinden sah. Wo sie hinfuhren, wußte er nicht. Was er wußte, war daß rund fünftausend scheißwütende Leute der North Carolina National Guard bereit waren, etwas zu tun.
Eddington war bereits mit seinem Brigadestab südlich von KKMC. Sein WOLFPACK-Verband würde wohl nicht rechtzeitig eintreffen, um dort die Schlacht aufzunehmen. Statt dessen leitete er ihn nach Al Artawiyah um, einem der Flecken, die manchmal historische Bedeutung erlangen, weil dort Straßen hinführen. Er war sich nicht sicher, ob das hier geschehen würde, erinnerte sich aber, daß Gettysburg ein Ort gewesen war, wo Bobby Lee für seine Männer einige Schuhe bekommen wollte.
Während sein Stab die Arbeit aufnahm, zündete sich Eddington eine Zigarre an und ging nach draußen, um zwei Kompanien seiner Männer bei der Ankunft mit ihren Fahrzeugen anzutreffen. Die MPs verteilten sie auf hastig ausgehobene Verteidigungsstellungen. Jäger kreischten über sie hinweg. Sahen aus wie amerikanische F-15E. Okay, dachte er, der Feind hatte ganz nette zwölf Stunden gehabt. Sollen sie daran festhalten.
»Colonel!« Ein Staff Sergeant, Kommandeur eines Bradley, salutierte aus seiner Luke heraus. Eddington kletterte rauf, sobald der Kampfwagen stand. »Guten Morgen, Sir.«
»Wie geht es allen?«
»Verdammt bereit, Sir. Wo sind die?« fragte der Sergeant und nahm seine staubbedeckte Schutzbrille ab.
Eddington streckte den Arm aus. »Rund 100 Meilen da lang, kommen hier lang. Sagen Sie mir, wie sich die Truppe fühlt, Sergeant.«
»Wie viele dürfen wir umbringen, bevor sie uns stoppen, Sir?«
»Ist es ein Panzer, ein BMP oder ein Laster, töten. Ist es südlich der Berme und hält eine Waffe, töten. Aber nicht Leute töten, die keinen Widerstand leisten. Gegen die Regeln verstoßen wir nicht. Das ist wichtig.«
»Uns ist's recht, Colonel.«
»Und gehen Sie mit Gefangenen kein unnötiges Risiko ein, klar?«
»Nein, Sir«, versprach der Bradley-Kommandeur. »Werd' ich nich'.«
Blackhorse rückte westwärts vor nach KKMC. Colonel Hamm schob sein Kommando vor, 1., 2. und 3. Schwadron von Süden nach Norden aufgereiht, jede mit 30 Kilometer Front. Die 4. (Flug-)Schwadron behielt er im Sack, mit nur einigen Heli-Kundschaftern auf Suche voraus, während die Bodenmannschaften ihrer Truppe vorauseilten, um eine vorgeschobene Basis an einem Fleck einzurichten, den seine Front noch gar nicht erreicht hatte. Hamm war in seinem M-4-Kommandowagen – natürlich als ›Star Wars (manche nannten es ›God‹) Track‹ bezeichnet.
Die Info seiner Vorauseinheiten kam langsam rein.
Das IVIS-System kam jetzt online in echter taktischer Umgebung.
Inter-Vehicle Information System war ein Datennetz, mit dem die Army seit rund fünf Jahren rumspielte. Es war nie unter Kampfbedingungen zum Einsatz gekommen, und Hamm war stolz, daß er dessen Wert als erster beweisen durfte. Seine Kommandoschirme im M-4 bekamen alles. Jedes Einzelfahrzeug war gleichzeitig Quelle und Empfänger von Information. Es begann damit, allen zu sagen, wo alle Freundeinheiten waren, dank GPS mit metergenauer Präzision. Auf Tastendruck erhielt Hamm die Ortung jedes seiner Kampfwagen auf einer Karte mit allen relevanten Details des Terrains. Mit der Zeit bekäme er ein ähnlich genaues Bild der Feindpositionen, und damit kam die Option, seine Schläge präzise zu setzen. Die 2. und 5. der Saudis waren im Nordwesten und rückten aus dem kuwaitischen Grenzbereich vor. Er hatte noch rund 150 Kilometer querfeldein vor sich, bevor er sich um Feindkontakt sorgen mußte, und die vier Stunden seines Aufmarschs ließen die Kontrolle seiner Einheiten und die Gerätefunktionen ausgiebig prüfen. Da hatte er keine Zweifel, aber der Drill mußte sein, denn Fehler auf dem Schlachtfeld, auch kleine, kamen teuer zu stehen.
Reste der 4. saudischen Brigade versuchten sich nördlich von KKMC zu sammeln. Es verblieben vielleicht zwei Kompanien aus Panzern und Begleitfahrzeugen, die meist die ganze lange Wüstennacht mit pausenlosem Schlagabtausch zugebracht hatten. Manche hatten aus reinem Glück überlebt andere durch die brutal darwinistische Auslese, die mobile Kampfhandlungen darstellten. Der überlebende Kommandeur war ein nachrichtendienstlicher Major, der einem wütenden NCO den Panzer abgenommen hatte. Seine Männer hatten wenig Übung mit ihrem IVIS-Gerät, da sie strukturierten Übungen das Rumballern und Rumrasen vorgezogen hatten. Nun, wußte der Major, dafür hatten sie bezahlt. Als erstes mußte er die versprengten Tanklaster finden, die seine Brigade in der Reserve gehalten hatte, damit die überlebenden 29 Panzer und 15 weitere Kettenfahrzeuge die Tanks füllen konnten. Einige Munitionslaster tauchten auch auf, und die Hälfte seiner Fahrzeuge konnte die Munitionsgestelle wieder auffüllen. Danach schickte er die Begleitfahrzeuge nach hinten und wählte ein Wadi – ein ausgetrocknetes Flußbett – nordwestlich von KKMC als nächste Verteidigungsstellung. Wenig später hatte er eine standfeste Verbindung zum Oberkommando und konnte um Hilfe bitten.
Sein Verband war nicht zusammenhängend. Die Panzer und Kettenfahrzeuge entstammten fünf verschiedenen Bataillonen. Viele Mannschaften kannten sich nur flüchtig oder gar nicht, und ihm mangelte es an Offizieren, um das bißchen Kommando zu befehligen. Mit dem Gedanken wurde ihm klar, daß seine Aufgabe der Befehl, nicht der Kampf war, und widerstrebend übergab er den Panzer wieder dem Sergeant, dem er ›gehörte‹, um statt dessen einen Mannschaftswagen mit mehr Funkgeräten zu besteigen.
Die Überlebenden der saudischen 4. erhielten Gelegenheit zur Reorganisation und Proviantierung, weil die Armee Gottes das auch nötig hatte. Nachfolgende Untereinheiten tankten an den Versorgungswagen, die den Kampfverbänden gefolgt waren, und sprangen dann vor, damit die Tanklaster sich der einstigen Vorhut widmen konnten. Die Brigade- und Divisionskommandeure waren bislang zufrieden. Das Auftanken war auch fast in der Zeit. Den initialen Widerstand hatten sie gebrochen, zwar mit mehr Verlusten als erwartet, aber den Feind jedenfalls zerschmetternd. Männer waren müde, aber Soldaten sollten müde sein, dachten alle, und die Tankpausen erlaubten die Nickerchen, die sie brauchten. Mit dem anbrechenden Tag warf die Armee Gottes die Motoren an und nahmen ihren Vortrieb wieder auf.
Die ersten Schlachten des Tages würden in der Luft stattfinden. Die alliierten Luftstreitkräfte begannen kurz nach vier von Basen im Süden des Königreiches zu starten. Die ersten Maschinen waren F-15 Eagle, die sich zu den drei kreisenden E-3B AWACS über und um Riad gesellten. Die UIR-Jäger stiegen auch auf, immer noch unter Kontrolle ihrer Bodenstationen im ehemaligen Irak. Es begann wie eine Art Ballett zwischen zwei Tanzgruppen. Beide wollten wissen, wo die Gegenseite die SAMs hatte. Beide würden Gürtel haben, hinter denen sie sich verstecken konnten, aber die Anfangsgefechte würden im gegenseitigen elektronischen Niemandsland stattfinden. Den ersten Zug tätigte eine Viererrotte der 390. Flugschwadron, die Wildeber. Von ihrem AWACS gewarnt, daß ein UIR-Verband sich nach Osten wandte, flogen sie westwärts, mit Nachbrenner über den Leerraum hinweg, und bogen dabei wieder Richtung Golf ab. Die UIR-Jäger, tatsächlich iranische F-4 aus der Zeit des Schah, erwischte es kalt. Sie sahen in die verkehrte Richtung, wurden von ihrem Controller gewarnt und machten kehrt. Erwartet hatten sie ein Kampfmuster, in dem eine Seite die Raketen feuern, die andere ausweichen, dann selbst feuern würde, in einer Konfrontationsart, die so alt war wie der mittelalterliche Zweikampf. Keiner hatte ihnen gesagt, daß die amerikanischen Feinde so nicht geübt hatten.
Die Eagle feuerten zuerst, je eine AMRAAM. Dies war eine ›Fire and forget‹-Rakete, die ihnen nach dem Schuß Reißaus gestattet hätte.
Das tat die erste Rotte Eagle nicht, sondern bohrte hinter den Raketen weiter, gemäß Taktik und getrieben von dem, was ihr Präsident über Radio gesagt hatte. Drei der vier Ziele wurden von den Raketen, die amerikanische Piloten den Slammer nannten, zerstört. Der vierte Flieger wich aus, segnete sein Glück und drehte zurück, um seine eigene Waffe abzufeuern. Sein Radar zeigte ihm aber einen Jäger in 15 Kilometer Entfernung mit fast 2000 Knoten Näherungsgeschwindigkeit.
Er drehte nach Süden ab – ein Fehler. Ein Eagle-Pilot nahm Schub weg und setzte sich hinter den Feind. Der andere war heute morgen etwas langsam. Nach fünfzehn Sekunden füllte der Phantom das Visier aus …
»Fox-Three, Fox-Three, ein Abschuß!«
Eine zweite Rotte Eagle war jetzt im Kampfgebiet, jagte eigene Ziele. Die UIR-Bodenkontrolle war von der Ereignisabfolge überrascht und befahl ihren Rotten, die Amerikaner anzupeilen und die eigenen radargesteuerten Raketen großer Reichweite abzufeuern – doch auch dann wichen die Amerikaner nicht aus wie erwartet. Statt dessen rollten sie senkrecht zum Boden, wobei sie gleiche Entfernung zu den feuernden Fliegern einhielten. Damit verwehrten sie dem Gegner den Doppler, also Entfernungsänderung zum Ziel, brachen die Radarpeilung und sandten die Raketen in ungelenkte Ferne. Die Eagle machten kehrt und lösten eigene Raketen in 15 Kilometer Entfernung aus, während die UIR-Jäger erneute Anpeilung versuchten. Wieder bohrten sie hinterher. Mit der Warnung, daß weitere Raketen in der Luft waren, drehten die feindlichen Jäger ab und preschten davon, waren jedoch in Reichweite der Slammer und wurden ebenfalls alle vier ausgelöscht.
»He, Kerl, hier Bronco«, höhnte eine Stimme auf dem UIR-Guard-Kanal. »Schicken Sie uns noch welche. Wir sind hungrig. Wir wollnse alle abschießen und ihre Alten drannehmen.« Er schaltete zu Sky-Eins zurück. »Razorback Lead, liegt noch was an, over?«
»Nicht in Ihrem Sektor, bereithalten.«
»Roger dazu.« Der Oberstleutnant, der 390 befehligte, rollte wieder um 90 Grad und blickte auf die Panzer herab, die von ihren Sammelpunkten ausschwärmten. Zum erstenmal in seinem Leben wünschte er, Luft-Dreck statt Luft-Luft zu sein. Colonel Winters kam aus New York.
Da starben Leute, und hier war er im Krieg mit denen, die es getan hatten, hatte aber nur zwei Flieger, nur drei Leute gekillt. »Razorback, Führung, aufschließen.« Dann prüfte er seinen Treibstoffstatus. Mußte bald tanken.
Hinter ihm rückten die Strike Eagle von 391 auf, eskortiert von HARM-tragenden F-16. Die kleineren, einmotorigen Jäger kreuzten mit ihren Emissionssensoren herein, auf der Suche nach SAM-Plattformen. Sie fanden einen ganzen Haufen Fahrzeuge mit kurzer Reichweite, französische Crotale und alte russische SA-6 Gainful, kurz hinter den Führungsreihen der Panzer. Die Viper-Fahrer tauchten ab, um deren Aufmerksamkeit zu erregen, und feuerten ihnen Anti-Radar-Raketen entgegen, um die ankommenden F-15 zu decken. Diese suchten zuallererst feindliche Artillerie.
Die Predator arbeiteten daran. Drei waren abgestürzt, als STORM TRACK ausgeschaltet wurde, ein Nachrichtenverlust, dessen Behebung Stunden brauchte. Es gab nur noch zehn, vier davon oben und im Flug bei 8000 Fuß. Sie schwebten fast unsichtbar über den vorrückenden Divisionen.
Die UIR-Streitmacht verließ sich fast ausschließlich auf geschleppte Artillerie. Die bereitete die nächste Attacke vor, hinter zwei motorisierten Brigaden, die den nächsten Schritt in Richtung KKMC machen wollten.
Ein Predator fand die Gruppe aus sechs Batterien. Die Daten gingen zum Erfassungsteam und von dort zum AWACS, das den sechzehn Strike Eagles der 391. den Angriffsvektor durchgab.
Die Saudi-Formation wartete gespannt. Ihre 48 Kampffahrzeuge waren über acht Kilometer ausgebreitet. Ein ankommendes Kreischen im Himmel ließ ihre Männer Luken dichtholen, als 8-Zoll-Granaten vor der Stellung niedergingen. Das anfängliche Bombardement hielt drei Minuten an, die Einschläge näherten sich unaufhaltsam seinen Fahrzeugen …
»Tiger rein, heiß!« rief der Strike Kommandeur. Der Feind hatte wohl erwartet, der Angriff gelte seinen Panzern. Dort waren die SAMs, mit denen die Viper sich abgaben. Drei Rotten verteilten sich, bildeten Paare und rauchten herab, um bei 1200 Metern mit 500 Knoten ranzupreschen. Die Batterien lagen hübsch ordentlich in gleichmäßigen Reihen, Kanonen zirka 100 Meter auseinander, daneben die Laster, just wie im Handbuch geschrieben, dachte sich LTC Steve Berman. Sein WSO wählte Streubombe und begann sie, mit Bomblets zu begießen.
»Sieht gut aus.« Zwei Kanister BLU-97 CEM waren sie los, mehr als 400 orangengroße Mini-Bomben. Die erste Batterie wurde ausgelöscht.
Sekundärexplosionen verdeckten das Gemetzel. »Weiter.« Der Pilot holte seinen Jäger in eine enge Rechtskehre. Sein Wizzo wies ihn auf die nächste Batterie ein, da sah er …
»Flak bei zehn.« Das erwies sich als ZSU-23-Luftabwehr-Fahrzeug, deren vier Kanonen begannen, Leuchtspurmunition abzufeuern.
»Wähle Mav.«
Der Todestanz dauerte nur Sekunden. Der Eagle wich aus und löste die Maverick AGM aus, die herunterstrich, um das Luftabwehrgeschütz auszulöschen. Dann machte sich der Pilot zur nächsten Haubitzenbatterie auf.
Es war wie damals bei Red Flag, dachte der Pilot. Er hatte 1991 großenteils seine Zeit mit Scud-Jagden verplempert. Die Erfahrung echten Kampfflugs hatte dem Kampftraining auf dem Nellis-AFB-Übungsgebiet nie gleichkommen können. Aber jetzt. Jetzt suchte er Ziele in Echtzeit mit Radar und Augapfel Typ I, und entgegen der Spielzeit auf Nellis schossen die Kerle mit echten Kugeln zurück. Nun, er hatte auch echte Bomben am Auslöser. Das Bodenfeuer wurde konzentrierter, als er seine Maschine für den nächsten Durchgang auf die Ziele ausrichtete.
Es war eigenartig, wie Husten mitten in einem Gespräch. Das letzte Donnern von 20 bis 30 Granaten lag 100 Meter vor ihrer Stellung. Am Horizont, weit hinter den jetzt auftauchenden Panzern, stiegen Staubwolken auf. Einige Sekunden später spürten sie Zittern in ihren Stiefeln, hörten dann fernes Rumpeln. Kurz darauf war alles klar. Grüngestrichene Jäger erschienen, Flugrichtung Süden, freundliche Silhouette. Ein Nachzügler mit Rauchschleppe torkelte durch den Himmel, kippte ab, und zwei Gestalten ruckten hervor, wurden zu Fallschirmen, als der Jäger hinter der Stellung mit einem immensen Feuerball in den Boden rumste. Die Fallschirme schwebten in 1000 Meter Entfernung nieder; der Major schickte ein Fahrzeug los und wandte die Aufmerksamkeit wieder den Panzern zu. Noch außer Reichweite – Artillerie zum Anfordern gab es immer noch nicht.
Schöne Scheiße, dachte der Colonel. Doch wie Red Flag, aber diesmal würde er am Abend nicht im Offiziersklub Lügen erzählen oder einen Abstecher nach Vegas machen für Show und Casinobesuch. Sein dritter Anflug führte ihn in eine Garbe, und der Eagle war zu krank, um den Rückflug zu schaffen. Er hatte nicht mal den Boden erreicht, da sah er ein Fahrzeug heranhüpfen. Er fragte sich, von wem es wohl kam, als er auf festgepackten Sand aufkam und abrollte. Er klickte sich vom Schirm frei und zog die Pistole, aber dann waren's doch die Richtigen in einem Hummer, mit zwei saudischen Soldaten darin. Einer ging auf ihn zu, der andere fuhr weiter zum Wizzo, der 800 Meter entfernt stand.
»Kommen, kommen!« sagte der Soldat. Nach einer Minute war der Hummer zurück mit dem Wizzo, der mit verzerrtem Gesicht sein Knie hielt.
»Schlimm verdreht, Boß. Landete auf einem beschissenen Stein«, erklärte er und hebelte sich in den Rücksitz.
Alles, was man ihnen über saudische Fahrer erzählt hatte, war wahr, wußte der Colonel binnen Sekunden. Wie in einem Burt-Reynolds-Film sprang und hüpfte der Hummer den Weg zum sicheren Wadi zurück, aber es war schön, dort die Formen der eigenen Fahrzeuge zu erkennen. Der Hummer hielt: mußte wohl der Kommandostand sein.
Noch fielen Granaten vor der Stellung, aber schlecht gezielt, gut 500 Meter voraus.
»Wer sind Sie?« erkundigte sich Lieutenant Colonel Steve Berman.
»Major Abdullah.« Der Mann grüßte sogar. Berman sah sich um.
»Schätze, Sie sind die, wo wir aushelfen sollten. Haben deren Artillerie gründlich aufgemischt, aber irgendein Schwein hatte Glück mit seiner Schilka. Könnten Sie uns einen Hubi besorgen?«
»Ich werde versuchen. Sind Sie verletzt?«
»Der Wizzo – hatte ein schwaches Knie. Aber hätten Sie was zu trinken?«
Major Abdullah reichte seine Feldflasche rüber. »Es kommt ein Angriff auf uns zu.«
»Was dagegen, wenn ich zusehe?« fragte Berman.
Gut 150 Kilometer weiter südlich formierte sich noch Eddingtons Brigade. Ein Bataillon war schon recht vollständig, dies verlegte er 30 Kilometer nördlich, rechts und links der Straße nach KKMC, um den Rest seiner Truppen zu schützen. Leider war seine Artillerie als letztes gelöscht worden und würden noch mindestens vier Stunden brauchen.
Das ließ sich halt nicht ändern. Als Einheiten ankamen, dirigierte er sie erst an Sammelpunkte, wo ihre Treibstofftanks gefüllt wurden. Mit Runterholen von der Straße, Umleiten zu Sammelpunkten und Tanken wär's rund eine Stunde je Kompanie. Sein zweites Bataillon war fast einsatzbereit. Dieses würde er westlich der Straße hinaufschicken, was dem ersten erlauben würde, sich nach Osten zu verlagern, und damit die Truppenstärke zur Voraussicherung zu verdoppeln. Seine Nachrichtengruppe war noch bei der Aufstellung und begann erst, aus Riad definitive Fakten zu erhalten. Vorn hatte sein Vorausbataillon ein Aufklärungsschild aus HMMWVs und Bradleys 15 Kilometer vorgeschoben, die Wagen versteckt, so gut es ging, Truppen liegend, mit Feldstechern, aber bisher nichts außer gelegentliche Staubwölkchen weit hinter dem Horizont und dumpfes Grollen, das erstaunlich weit trug. Nun, dachte Eddington, um so besser. Er hatte Zeit, sich vorzubereiten, und das wär's wertvollste Gut, das ein Soldat sich erhoffen konnte.
»LOBO-Six, hier WOLFPACK-SIX, over.«
»LOBO-Six hört.«
»Hier WOLFPACK-Six-ACTUAL. Whitefang jetzt in Bewegung. Sollte in einer Stunde zu Ihrer Linken sein. Beginnen Sie die Lateralbewegung, sobald die aufrücken. Over.«
»LOBO-Six-ACTUAL, verstanden, Colonel. Noch immer nichts zu sehen hier oben. Sind ganz gut in Form, Sir.«
»Sehr wohl. Informieren Sie mich weiter. Ende.« Eddington reichte das Funktelefon zurück.
»Colonel!« Das war der Major seiner Nachrichtenabteilung. »Wir haben Information für Sie.«
»Endlich!«
Der Artilleriebeschuß ging weiter, einige Granaten landeten mitten im Wadi. Die Erfahrung machte Colonel Berman zum erstenmal und fand sie nicht nach seinem Geschmack. Es erklärte auch, warum Panzer und Laster so verstreut waren, was ihn zunächst verwundert hatte. Eine Granate schlug 100 Meter links von dem Panzer ein, bei dem sie Schutz suchten, zum Glück auf der anderen Seite. Beide hörten deutlich die Pings der Fragmente, die von braungestrichener Panzerung abprallten.
»Das hier macht keinen Spaß«, meinte Berman und schüttelte den Kopf, um das Nachklingen der Explosion loszuwerden.
»Vielen Dank für die Beseitigung ihrer restlichen Haubitzen. Es war recht beängstigend«, sagte Abdullah, der durch seinen Feldstecher schaute. Die vorrückenden UIR T-80 waren gerade noch über 3000 Meter entfernt. Die tiefstehenden M1Az seiner Kompanien sahen die noch nicht.
»Wie lang haben Sie jetzt Feindberührung?«
»Es begann gestern nach Sonnenuntergang. Wir sind der Rest von der 4. Brigade.« Und das stärkte Bermans Vertrauen überhaupt nicht.
Über ihren Köpfen rückte der Geschützturm etwas nach links. Aus dem Funkgerät des Majors kam ein kurzer Satz, seine Antwort war ein Wort – aber gebrüllt. Eine Sekunde danach sprang der Panzer links von ihnen rückwärts, und ein Feuerstrahl verließ das Hauptgeschütz. Es stellte die Granate völlig in den Schatten. Gegen jede Logik hob Berman den Kopf.
In der Ferne sah er eine Rauchsäule, auf der ein Geschützturm tanzte.
»Gott! … Kann ich an eines Ihrer Funkgeräte?«
»Sky-One, hier Tiger-Führung«, hörte ein AWACS-Offizier über einen Nebenkanal. »Befinde mich am Boden bei einer saudischen Panzergruppe nördlich von KKMC.« Er gab die Position durch. »Können Sie uns Hilfe schicken?«
»Tiger, Authentifizierung, bitte?«
»Nein, verdammt! Meine beschissenen Kodes sind mit der F-15 runtergegangen. Hier Colonel Steve Berman aus Mountain Home, jetzt ein pißwütender Flieger, Sky. Vor vierzig Minuten haben wir einer irakischen Artillerie den Rotz rausgedroschen, und jetzt stehen wir bis zum Arsch in deren Panzern. Glau'm Sie mir oder nicht, over.«
»Klingt mir amerikanisch«, dachte ein leitender Controller laut.
»Und wenn Sie genau hingucken, sind ihre Panzer oben rund und zeig'n südwärts und unsere oben flach und zeig'n nordwärts, over.« Der Mitteilung folgte das Scheppern einer Explosion. »Der Dreckklopfer-Scheiß hier macht überhaupt kein' Spaß«, teilte er ihnen mit.
»Mir auch«, entschied der Befehlshabende. »Tiger, bereithalten. Devil-Führung, hier Sky-One, wir haben ein Geschäft für Sie.«
So war es gar nicht geplant, aber so lief es halt. Es sollte frag – für fragmentierte – Befehle geben, die ›Packeten‹ von Fliegern bestimmte Jagdgebieten zuwiesen, dafür gab es aber nicht genügend Maschinen und auch keine Zeit, die Gebiete zuzuteilen. Sky-One hatte eine Rotte F-16 übrig, die auf Luft-Dreck-Arbeit warteten, und die Zeit war so günstig wie jede andere.
Die vorrückenden Panzer stellten sich erst dem Feueraustausch: kein gutes Spiel gegen die Feuerleitsysteme der US-gefertigten Abrams-Panzer, und diese saudischen Mannschaften hatten gerade ein Doktoratsseminar im Schießen absolviert. Der Feind zog sich zurück und wich beidseits aus, wobei er versuchte, mit Rauchtarnung das Schlachtfeld zu verschleiern. Es blieben weitere Fahrzeuge zurück, die eigene schwarze Rauchsäulen in den Morgenhimmel abgaben, als ihre Munitionsgestelle abkühlten. Dieser Anfang einer Begegnung hatte fünf Minuten gedauert und die UIR, soweit Berman erkennen konnte, um 20 Fahrzeuge ärmer gemacht.
Die Viper kamen von Westen rein, in sechs Kilometer Entfernung kaum erkennbar, als sie ihre Mark-82 mitten in die Feindformation warfen.
»Brillant!« sagte der in England ausgebildete Major Abdullah. Die resultierende Anzahl der Feindverluste konnte man von hier nicht erkennen, aber seine Männer wußten jetzt, daß sie in diesem Kampf nicht allein standen.
Falls überhaupt möglich, waren die Straßen Teherans noch ominöser geworden. Clark und Chavez (gegenwärtig Klerk und Tschekow) fiel der Mangel an Gesprächen auf. Leute gingen ihrer Wege, ohne miteinander zu reden. Es gab auch akuten Mangel an Männern, da Reserven einberufen wurden, Gerät bei ihren Zeughäusern faßten und sich bereit machten, in den Krieg zu ziehen, den ihr Land nach Präsident Ryans Vorgriff halbherzig erklärt hatte.
Die Russen hatten ihnen die Lage von Daryaeis gegenwärtigem Domizil gegeben, und ihre Aufgabe war eigentlich nur, einen Blick drauf zu werfen – leicht gesagt, aber in den Straßen der Hauptstadt eines Landes, mit dem man sich im Krieg befand, eine andere Geschichte. Besonders wenn man kürzlich hiergewesen und dem Blick der Sicherheitskräfte schon preisgegeben war. Die Komplikationen häuften sich.
Der Mann lebte bescheiden, sahen sie von zweieinhalb Querstraßen weiter. Es war ein dreistöckiger Bau in einer Mittelklassestraße, ohne Anzeichen der Macht, bis auf offensichtliche Wächter an den Vorderstufen und weniger offensichtliche Wagen an den Kreuzungen. Ein näherer Blick aus 200 Meter Entfernung zeigte, daß die Leute die Straßenseite mieden. Populärer Mann, der Ajatollah.
»Also, wer lebt da noch?« fragte Klerk den russischen Rezidjent. Dessen Deckmantel war zweiter Botschaftssekretär, und zur Stärkung seiner Legende erfüllte er mannigfaltige diplomatische Funktionen.
»Vor allem seine Leibwache, glauben wir.« Sie saßen in einem Café, tranken Kaffee und vermieden geflissentlich Blicke auf das Gebäude.
»Beiderseits scheinen die Gebäude geleert worden zu sein. Er hat Sicherheitserwägungen, dieser Mann Gottes. Die Leute werden zunehmend unruhig unter seiner Herrschaft – sogar die Begeisterung über die Eroberung Iraks läßt jetzt nach. Sie sehen die Stimmung so gut wie ich, Klerk. Die Menschen hier sind seit fast einer Generation unter scharfer Kontrolle, sie haben es über. Und es war schlau von Ihrem Präsidenten, Feindseligkeiten vor unserem Freund zu offenbaren. Der Schockwert war hoch, denke ich. Ich mag Ihren Präsidenten«, fügte er hinzu, »wie auch Sergej Nikolaj'tsch.«
»Dieses Gebäude ist nahe genug, Iwan Sergejewitsch«, sagte Chavez leise und rief damit den Kaffeeklatsch zur Ordnung. »Zweihundert Meter ungehinderte Sicht.«
»Was ist mit Schaden am Rande?« überlegte Clark. Das auf russisch auszudrücken erforderte einige Umschreibung.
»Diese Amerikaner; immer so sentimental in solchen Dingen«, bemerkte der Rezidjent. Es amüsierte ihn.
»Towarischtsch Klerk hatte schon immer ein weiches Herz«, bestätigte Tschekow.
Auf Holloman AFB in New Mexico kamen insgesamt acht Piloten ins Basis-Spital für den Bluttest. Die Ebola-Testkits wurden endlich in Serie produziert. Die ersten Militärlieferungen gingen an die Air Force, die schneller mehr Schlagkraft zum Einsatz bringen konnte als die anderen Streitkräfte. Im nahem Albuquerque hatte es einige Fälle gegeben, die im University of New Mexico Medical Center behandelt wurden, und zwei auf der Basis: ein Sergeant und seine Frau, er tot und sie im Sterben – es hatte sich rumgesprochen und steigerte die Wut von Kriegern, die schon aufgebracht genug waren. Die Flieger waren alle clean und spürten eine Erleichterung, die über das Normalmaß hinausging. Jetzt wußten sie, sie durften raus und was tun. Dann waren die Bodenmannschaften dran: ebenfalls frei. Alle marschierten zu den Stellplätzen. Die Hälfte der Piloten schnallten sich F-117 Nighthawk an. Der Rest, mit den Bodenmannschaften, bestieg KC-10-Transporter für den langen Flug nach Saudi-Arabien.
Die Nachrichten verbreiteten sich über das eigene Kommunikationsnetz der Air Force. Das 366. und die F-16 von der Basis in Israel machten sich recht gut, aber jeder wollte ein Stück von diesem Kuchen, und die Männer und Frauen von Holloman würden die zweite Welle ins Schlachtgebiet anführen.
»Ist er denn gänzlich verrückt geworden?« fragte der Diplomat seinen iranischen Kollegen. Es war der RVS-Offizier, der die gefährlichste – zumindest empfindlichste – Aufgabe der Geheimdienstoperation bewältigen mußte.
»Sie können nicht so von unserem Führer sprechen«, erwiderte der iranische Ministerialbeamte, als sie die Straße hinabgingen.
»Also gut, versteht Ihr gelehrter heilige Mann zur Gänze, was geschieht, wenn man Massen Vernichtungswaffen anwendet?« erkundigte sich der Geheimdienstoffizier vorsichtig.
»Er könnte sich verrechnet haben«, gab der Iraner zu.
»Tatsächlich.« Der Russe ließ das im Moment stehen. Diesen Diplomaten der mittleren Hierarchie bearbeitete er nunmehr seit über einem Jahr. »Die Welt weiß jetzt, daß Sie diese Fähigkeit besitzen. Wie schlau von ihm, genau in der Maschine zu fliegen, die es ermöglichte. Er ist völlig wahnsinnig. Sie wissen das. Ihr Land wird zum Paria …«
»Nicht, wenn wir gewin…«
»Nein, nicht wenn Sie können. Aber was, wenn Sie nicht können?« fragte der Russe. »Dann wendet sich die ganze Welt gegen Sie.«
»Das ist wahr?« fragte der Geistliche.
»Es ist wirklich wahr«, versicherte ihm der Mann aus Moskau. »Präsident Ryan ist ein Mann der Ehre. Er war fast sein Leben lang ein Feind meines Landes und ein gefährlicher Feind, aber jetzt, mit Frieden zwischen uns, wird er zum Freund. Er wird von den Israelis, wie von den Saudis respektiert. Der Prinz Ali bin Sheik und er stehen sich sehr nahe. Das ist bekannt.« Das Treffen fand in Aschchabad statt, der Hauptstadt Turkmenistans, unangenehm nahe der Grenze zum Iran, vor allem nach dem Tod des ehemaligen Premiers durch Unfall – wahrscheinlich einen kreativen, wußte Moskau – und mit Wahlen vor der Tür. »Fragen Sie sich dieses: Weshalb sagte Präsident Ryan diese Dinge über den Islam? Ein Angriff gegen sein Land, ein Überfall auf seine Tochter, ein Attentat auf ihn – aber greift er Ihre Religion an, mein Freund? Nein, das tut er nicht. Wer, außer einem ehrbaren Mann, würde solche Dinge sagen?«
Der Mann gegenüber am Tisch nickte. »Es ist möglich. Was wünschen Sie von mir?«
»Eine einfache Frage. Sie sind ein Mann Gottes. Können Sie diese Handlungen der UIR gutheißen?«
Entrüstung. »Unschuldigen das Leben zu nehmen ist Allah ein Greuel. Das weiß jeder.«
Der Russe nickte. »Dann sollen Sie selbst für sich entscheiden, was für Sie wichtiger ist: politische Macht oder Ihr Glaube.«
Doch so einfach war das nicht. »Was bieten Sie uns? Ich habe ein Volk, das alsbald für sein Wohl auf mich blicken wird. Man wende nicht den Glauben als Waffe gegen die Gläubigen.«
»Verstärkte Autonomie, freien Handel für Ihre Waren mit dem Rest der Welt, Direktflug zu anderen Ländern. Mit den Amerikanern werden wir Kreditrahmen mit den islamischen Ländern des Golfs arrangieren.
Dort vergißt man nicht Taten der Freundschaft.«
»Wie kann ein Mann, der Gott treu ist, so etwas tun?«
»Mein Freund« – das war er nicht wirklich, aber so drückte man sich aus –, »wie viele beginnen etwas Nobles und werden doch korrumpiert? Und wofür stehen sie dann? Macht ist eine tödliche Sache, am meisten für die, die sie in ihren irdischen Händen halten. Für Ihren Teil müssen Sie entscheiden. Welche Art Führer wollen Sie werden, und mit welchen anderen Führern möchten Sie Ihr Land verbinden?« Golowko lehnte sich zurück und nahm ein Schlückchen Tee. Wie sehr hatte sich sein Land geirrt, die Religion nicht zu verstehen – und doch, wie richtig das Ergebnis war. Dieser Mann hatte an seinem Glauben festgehalten als Anker gegen das frühere Regime, hatte darin eine Kontinuität der Gewißheit und der Werte gefunden, die der politischen Realität seiner Jugend gefehlt hatte. Jetzt, wo sein landesweit bekannter Charakter ihn an die politische Macht trug, würde er bleiben, was er war, oder etwas anderes werden? Die Gefahr mußte ihm nun bewußt sein. Er hatte es noch nicht ganz durchdacht, sah Golowko.
»Unsere Religion, unser Glaube sind ein Ding Gottes, nicht des Mordes. Der Prophet lehrt den Heiligen Krieg, ja, doch nicht, daß wir zu unseren Feinden werden. Wenn Mahmoud Hadschi diese Dinge nicht entkräften kann, werde ich nicht zu ihm stehen, all seinen Versprechungen von Geld zum Trotz. Ich würde gerne diesen Ryan treffen, wenn die Zeit reif ist.«
Bis 13.00 Lima hatte sich das Bild sehr schön gefestigt. Die Zahlen waren noch unerfreulich, dachte Diggs, mit fünf kompakten Divisionen, die vier Verbänden von Brigadestärke, noch dazu verstreut, entgegenrückten. Doch es gab manches, das man dagegen tun konnte.
Der kleine Sperrverband der Saudis nördlich von KKMC hatte sich drei spektakuläre Stunden lang gehalten, wurde aber nun umzingelt und mußte weg, trotz der Wünsche des saudischen Hauptquartiers.
Diggs kannte nicht mal den Namen des jungen Majors, hoffte aber, ihn mal zu treffen. Mit ein paar Jahren Ausbildung könnte was Ordentliches aus ihm werden.
Auf seinen ›Rat‹ hin wurde KKMC evakuiert. Schmerzhaft daran war nur das Abschalten der dortigen Nachrichtenressourcen. Das betraf besonders die Predator-Teams, die nun ihre Vögel einholen und zur WOLFPACK-Linie nördlich Al Artawiyahs zurückziehen mußten. Nachdem man jetzt Zeit gehabt hatte, sich alles zu überlegen, wär's doch wie eine riesige Übung beim NTC – drei Korps statt Bataillone als Gegner, doch das Prinzip blieb dasselbe, nicht wahr?
Es blieb noch die Sorge wegen der schweren Division, die man beim Überqueren der Sümpfe westlich Basras geortet hatte. Das feindliche Operationskonzept hatte einen blinden Fleck. Durch die Umgehung Kuwaits hatten sie nach dorthin keine Deckung, vielleicht weil sie es für überflüssig hielten, eher aber weil sie sich nicht verraten wollten und das Loch zu stopfen beabsichtigten, wie es jetzt geschah. Nun, jeder Plan hat einen Makel.
Wohl auch der, den er für Operation BUFORD aufgestellt hatte. Aber er fand ihn noch nicht.
»Sind wir uns einig, Gentlemen?« mußte er fragen. Jeder saudische Offizier im Raum war höherrangig als er, aber sie sahen die Logik seines Vorschlags jetzt ein. Den Feinden würde man allen den Arsch aufreißen, nicht nur einigen. Die versammelten Generäle nickten. Sie meckerten nicht mal über den Verlust von KKMC. Das konnte man ja wieder aufbauen. »Dann beginnt Operation BUFORD bei Sonnenuntergang.«
Sie zogen sich zurück. Einige mobile Einheiten der Saudis waren erschienen und feuerten jetzt Rauchgranaten, um den Rückzug zu decken. Die Hälfte der Fahrzeuge Major Abdullahs machte kehrt und eilte nach Süden. Die Flankeneinheiten waren bereits in Bewegung und wehrten sich gegen die Einkreisungsmanöver, die der Feind eingeleitet hatte.
Bermans Helikopter war nie erschienen, und der Nachmittag lärmender und verwirrender Kampfhandlungen – die Sicht hier unten war beschissen – war lehrreich gewesen. Vier weitere Luftangriffe reinzurufen und die Wirkung am Boden zu sehen, das war etwas, das er sich merken würde, wenn die Saudis es schafften und sich aus der Falle hervorkratzen konnten, die der Gegner um sie herum ausbreitete.
»Kommen Sie mit mir, Colonel«, sagte Abdullah und lief zu seinem Kommandofahrzeug. Damit endete die erste Schlacht um KKMC.