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Verteilung

»Jesus, Jack! Du hättest sogar mich überzeugt«, meinte Jackson.

»Bei unserem Freund aus der Geistlichkeit wird das nicht so leicht sein.« Er rieb seine schweißnassen Hände aneinander. »Außerdem wissen wir noch nicht, ob sie Wort halten wird. Okay, Meldung an den Verband COMEDY: DEFCON EINS. Was ihnen feindselig erscheint, wird abgeschossen. Aber um Himmels und Christi willen, stellt sicher, daß der Kommandeur sich am Zügel zu halten weiß.«

Der Lageraum war jetzt ruhig, und Präsident Ryan fühlte sich sehr allein, trotz der hier versammelten Leute. Minister Bretano und die Vereinigten Stabchefs waren zugegen, Rutledge fürs Außenamt. Minister Winston, da Ryan dessen Urteil schätzte, Goodley, der über alle geheimdienstlichen Informationen auf dem laufenden war. Sein eigener Stabschef und die übliche Leibwache. Sie alle zeigten ihre Zustimmung, das half aber nicht viel. Mit Indien hatte er selbst sprechen müssen, denn Jack Ryan war jetzt die United States of America, und das Land zog jetzt in den Krieg.

Den Medienvertretern wurde dies über dem atlantischen Ozean beigebracht. Amerika erwarte jederzeit einen Angriff der Vereinigten Islamischen Republik auf die anderen Golfstaaten. Sie würden zur Berichterstattung dort sein. Man teilte ihnen auch mit, welche Einheiten eingesetzt würden.

»Das ist alles?« fragte einer der besser Informierten unter ihnen.

»Damit hat sich's im Moment«, bestätigte der Public Affairs Officer.

»Wir hoffen, die vorgezeigte Kampfkraft wird sie von einem Angriff abhalten, aber wenn nicht, wird's aufregend.«

»Aufregend – das Wort reicht bei weitem nicht.«

Dann erzählte ihnen der PAO, warum das geschah, und im fensterlosen KC-135 auf dem Flug nach Saudi-Arabien wurde es ausnehmend still.

Die Kuwaiter hatten im Grunde zwei schwere Brigaden, unterstützt von einer motorisierten, für Panzerabwehr gerüsteten Aufklärungsbrigade.

Die zwei Brigaden, nach amerikanischem Vorbild ausgerüstet und ausgebildet, lagen wie üblich mit gewissem Abstand zur Grenze, um ein Eindringen zu kontern, nicht um den ersten Vorstoß zu treffen – womöglich am falschen Fleck. Die 10. US-Kavallerie stand zwischen und etwas hinter ihnen. Colonel Magruder war unter ihnen der dienstälteste und als Taktiker der erfahrenste Offizier, aber es gab Kuwaiter mit höherem Rang – die Kommandeure aller drei Brigaden waren Brigadiers –, und es war ja ihr Land. Andererseits war das Land klein genug, um nur einen zentralen Kommandostand zu benötigen, und dort war Magruder, um sowohl sein Regiment zu befehligen, als auch die Befehlshaber Kuwaits zu beraten. Letztere waren stolz, aber auch nervös. Stolz waren sie auf die Fortschritte, die ihr kleines Land seit 1990 gemacht hatte. Auf den ersten Blick sahen ihre Streitkräfte jetzt aus wie eine sehr fähige motorisierte Armee. Nervös machte sie die deutliche zahlenmäßige Unterlegenheit und der Ausbildungsstand ihrer Reservisten, die das Gros ihrer Truppe ausmachten. Aber in einem Aspekt waren sie gut: dem Schießen. Die Lücken in ihren Reihen ergaben sich aus der Tatsache, daß zwanzig Panzer zum Ersatz der Geschützrohre in den Werkstätten waren. Dies erledigten zivile Vertragsunternehmer, während die Panzerbesatzungen in wachsender Ungeduld auf und ab gingen.

Die Hubschrauber der 10. Cav streiften an den Landesgrenzen entlang. Mit ihrem Longbow-Radar schnüffelten sie tief in die UIR hinein nach Bewegung und fanden bislang nichts Besonderes. Die kuwaitische Luftwaffe hielt eine Flugwache von vier Abstandsjägern in der Luft, den Rest der Maschinen auf hoher Alarmstufe bereit. Auch wenn sie zahlenmäßig unterlegen waren, würde dies keine Wiederholung von 1990 werden. Am meisten beschäftigt waren die Baupioniere, die Schanzen für all die Panzer aushoben, damit sie bis auf den Geschützturm aus der Deckung heraus kämpfen konnten. Tarnnetze machten sie von der Luft aus unsichtbar.

»Also, Colonel?« fragte der Oberbefehlshaber der Kuwaiter.

»Kein Einwand zu Ihren Stellungen, General«, erwiderte Magruder und überblickte nochmals die Karte. Er ließ nicht alle Gefühle erkennen.

Zwei, drei Wochen Intensivtraining hätte er begrüßt. Eine sehr leichte Übung hatte er laufen lassen, eine seiner Geschwader gegen ihre 1. Brigade. Die hatte er sehr schonend behandelt – jetzt war nicht die Zeit, ihr Selbstbewußtsein anzukratzen. Enthusiastisch waren sie und ihre Schießkünste bei rund siebzig Prozent auf der amerikanischen Skala, aber Manöverkrieg müßten sie noch kräftig büffeln. Nun, eine Armee aufzuziehen brauchte Zeit, die Ausbildung von Offizieren erst recht, und sie gaben ihr Bestes.

»Hoheit, ich muß Ihnen für Ihre bisherige Kooperation danken«, sagte Ryan am Telefon. Auf der Wanduhr im Lagebesprechungsraum war es 2.10.

»Jack, mit Glück werden die das hier sehen und stehenbleiben«, erwiderte Prinz Ali bin Sheik.

»Ich wünschte, ich könnte dem zustimmen. Es ist Zeit, Ihnen etwas zu sagen, das Sie noch nicht wissen, Ali. Unser Botschafter wird Sie später am Tage voll informieren. Sie sollten erfahren, was Ihre Nachbarn so treiben. Es geht nicht nur um Öl.« Er fuhr etwa fünf Minuten lang fort.

»Sie sind sich dessen sicher?«

»Die hier gesammelten Beweise werden Sie binnen vier Stunden in Händen halten«, versprach Ryan. »Wir haben es bisher nicht einmal unseren Soldaten gesagt.«

»Würden die solche Waffen auch gegen uns einsetzen?« Die natürliche Frage. Biologische Kriegsführung gab jedem Gänsehaut.

»Das glauben wir nicht, Ali. Umweltbedingungen sprechen dagegen.« Auch das hatte man geprüft. Die Wettervorhersage für die kommende Woche war heiß, trocken und klar.

»Wer solche Waffen einsetzt, Mr. President … Es ist ein Akt der schlimmsten Barbarei.«

»Deshalb erwarten wir nicht, daß sie klein beigeben. Die können nicht …«

»Nicht ›die‹, Mr. President. Ein Mann. Ein gottloser Mann. Wann sprechen Sie mit Ihrem Volk?«

»Bald«, antwortete Ryan.

»Bitte, Jack, dies ist nicht unsere Religion, nicht unser Glaube. Bitte sagen Sie das Ihrem Volk.«

»Das weiß ich, Hoheit. Es geht nicht um Gott. Es geht um Macht. Wie immer. Ich habe leider noch anderes zu tun.«

»Ich ebenfalls. Ich muß den König aufsuchen.«

»Bitte richten Sie ihm meine Grüße aus. Wir stehen weiterhin zueinander, Ali.« Damit starb die Verbindung.

»Weiter. Wo genau ist Adler im Moment?«

»Er pendelt wieder nach Taiwan«, antwortete Rutledge. Jene Verhandlungen gingen weiter, obwohl der Zweck der Aktivitäten, die diese erst notwendig gemacht hatten, inzwischen recht klar war.

»Okay, er hat auf der Maschine sicheres Kommunikationsgerät. Sie unterrichten ihn«, sagte er Rutledge. »Habe ich sonst noch was zu erledigen?«

»Schlafen«, sagte ihm Admiral Jackson. »Überlaß uns die Nachtschicht, Jack.«

»Dem Plan stimme ich zu.« Ryan stand auf – etwas wackelig vom Streß und vom Schlafmangel. »Weckt mich auf, wenn ich gebraucht werde.«

Werden wir nicht, sagte keiner.

»Gut«, sagte Captain Kemper, als er die CRITIC-Nachricht von CINCLANT las. »Das erleichtert die Sache erheblich.« Entfernung zum indischen Verband war jetzt 320 Kilometer: Dampfzeit rund acht Stunden. Der archaische Ausdruck wurde noch immer verwendet, obwohl sämtliche Kampfschiffe von Düsenturbinen angetrieben wurden. Er nahm den Hörer und kippte den Schalter, um über die 1-MC-Lautsprechanlage zu reden. »Alle herhören. Hier spricht der Kapitän. Schiffsverband COMEDY ist jetzt unter DEFCON Eins. Das bedeutet, wenn jemand zu nahe kommt, schießen wir. Die Mission ist Auslieferung des Panzergeräts in Saudi-Arabien. Unser Land fliegt die Soldaten ein, die sie fahren werden, in Erwartung eines Angriffs auf unsere Alliierten in der Region durch die neue Vereinigte Islamische Republik. In sechzehn Stunden schließen wir mit einem Oberflächen-Kampfverband auf, der vom Mittelmeer aus eine Expreßfahrt hierher macht. Dann fahren wir in den Persischen Golf ein und führen unsere Lieferung aus. Der Verband erhält einen Schirm freundlicher Flieger, und zwar Air-Force-F-16C-Jäger, aber es ist zu erwarten, daß der UIR – unserem alten Freund Iran – unsere Ankunft nicht gefallen wird. Anzio läuft in den Krieg, Leute. Das wär's im Moment.« Er kippte den Schalter zurück. »Okay, fangen wir mit den Simulationen an. Ich will alles sehen, das die Hundesöhne gegen uns versuchen könnten. Binnen zwei Stunden erhalten wir ein nachrichtendienstliches Update. Bis dahin wissen wir, was wir gegen Flieger- und Raketenangriffe unternehmen können.«

»Was ist mit den Indern?« fragte Weps.

»Die behalten wir auch im Auge.« Auf der taktischen Hauptanzeige sah man eine P-3C Orion, die COMEDY zur Ablösung der Vorwache passierte. Der indische Kampfverband überquerte ostwärts wieder einmal das eigene Kielwasser.

Ein KH-11-Satellit glitt gerade, Nordwest nach Südost, über den Persischen Golf hinweg. Seine Kameras, die schon die drei Panzerkorps der Armee Gottes beäugt hatten, fotografierten nun die gesamte iranische Küste auf der Suche nach Abschußrampen für Silkworm-Raketen chinesischer Fertigung. Die Daten liefen zum Kommunikationsvogel über dem Indischen Ozean, dann Richtung Washington, wo Techniker, immer noch in chemisch imprägnierten Masken, die Fotos auf flugzeugförmige Silhouetten der Boden-Boden-Raketen absuchten. Die festen Abschußbasen waren wohlbekannt, aber die Waffen ließen sich auch von größeren Lastern abfeuern, und es gab viele Küstenstraßen zu prüfen.

*

Die erste Vierergruppe Linienmaschinen landeten ohne Zwischenfall bei Dhahran. Eine Willkommenszeremonie gab es nicht. Es war heiß: Der Frühling hatte die Region nach dem überraschend kalten und nassen Winter früh erreicht, das hieß Mittagstemperaturen nahe 38 Grad, wobei nachts das Quecksilber auf rund fünf Grad fiel. So nah an der Küste war es auch schwül.

Brigadegeneral Marion Diggs stieg aus einem der Verkehrsflieger als erster heraus. Er würde die Bodenoperationen dieses Feldzuges kommandieren. Die Virusepidemie hatte auch MacDill AFB in Florida lahmgelegt, die Heimat von GENICOM. Die Einweisungsdokumente, die er bisher kannte, gaben als Kommandeur des 366. Air Combat Wing einen weiteren Einsterner an, noch kürzer im Dienst als er. Es war viel Zeit vergangen, dachte Diggs, seitdem eine so wichtige Operation einem Offizier seines Grades anvertraut worden war.

Er wurde von einem Drei-Sterne-General der Saudis begrüßt. Beide bestiegen den Wagen für die Fahrt zur Kommandozentrale, wo sie ein nachrichtendienstliches Update erwartete. Hinter Diggs folgte die Stabsgruppe des 11. ACR, in den anderen drei Maschinen eine Sicherheitsgruppe und der Großteil der zweiten Schwadron von Blackhorse.

Wartende Busse brachten sie zur POMCUS-Basis. Zwei Stunden später rollte die Zweite der Blackhorse ins Freie.

»Wie meinen Sie das?« fragte Daryaei.

»Anscheinend ist eine größere Truppenbewegung im Gange«, sagte ihm sein Geheimdienstchef. »Radarstellungen im Westen des Irak haben Linienmaschinen entdeckt, die aus dem Luftraum Israels in den der Saudis wechseln. Wir sehen auch eskortierende und patrouillierende Jäger.«

»Was noch?«

»Gegenwärtig nichts, doch scheint es gut möglich, daß die Amerikaner eine weitere Einheit ins Königreich verlegen. Ich bin mir nicht sicher, welche – sicherlich aber keine sehr große. Ihre in Deutschland stationierten Divisionen sind in Quarantäne und alle heimatbasierten ebenfalls. Tatsächlich ist der Großteil ihrer verfügbaren Armee für interne Sicherheit im Einsatz.«

»Wir sollten sie trotzdem angreifen«, drängte sein Luftwaffenberater.

»Das hielte ich für einen Fehler«, sagte sein Nachrichtenoffizier. »Es wäre eine Verletzung des saudischen Luftraums, was diese Ziegenhirten vorzeitig warnen würde. Die Amerikaner können bestenfalls eine Einheit von Brigadestärke verlegen. Eine zweite liegt auf Diego Garcia beziehungsweise deren Gerät, wir haben aber keine Nachricht, daß sich diese bewegt hat, und wenn, erwarten wir, daß unsere indischen Freunde sie aufhalten können.«

»Wir vertrauen den Heiden?« fragte der Luftwaffenberater verächtlich.

»Ihrer Abneigung gegen Amerika können wir vertrauen. Und wir können sie fragen, ob ihre Flotte etwas gesichtet hat. Jedenfalls könnte Amerika nur eine weitere Brigadestärke aufstellen, mehr nicht.«

»Vernichten wir sie trotzdem!«

»Das wirft operationelle Geheimhaltung über Bord!« Darauf wies der Nachrichtenoffizier hin.

»Wenn die noch immer nicht wissen, daß wir kommen, sind sie Narren«, wandte der Luftwaffenberater ein.

»Die Amerikaner haben kein Grund zum Verdacht, daß wir gegen sie Feindseligkeiten vornehmen. Ihre Flieger anzugreifen, falls sie das sind, würde unnötigerweise sie, nicht nur die Saudis alarmieren. Die sind wohl besorgt wegen unserer Truppenbewegungen im Irak. Sollen sie doch eine kleine Verstärkung einfliegen. Mit der verfahren wir, wenn die Zeit gekommen ist«, sagte der Nachrichtendienstler.

»Ich werde Indien anrufen«, sagte Daryaei ausweichend.

*

»Nur Navigationsradar … korrigiere: zweimal Luftüberwachung, wahrscheinlich von den Trägern«, sagte der Unteroffizier. »Kursverfolgung ergibt null-neune-null, Geschwindigkeit rund sechzehn.«

Der Taktik-Offizier auf der Orion, Tacco genannt, sah auf seine Karte.

Der indische Kampfverband war am östlichsten Rand des ovalen Fahrtmusters angelangt, das seit mehreren Tagen beibehalten wurde. Binnen zwanzig Minuten würde eine Kehrtwende nach Westen erfolgen, und dann würde es langsam aufregend. COMEDY war jetzt 120 Meilen von dieser Formation entfernt, und seine Maschine fütterte Anzio und Kidd ständig mit Daten. Unter den Flügeln der von vier Propellerturbinen angetriebenen Lockheed hingen vier Harpoon-Raketen. Weiße: scharfe Waffen. Das Flugzeug war nun unter dem taktischen Kommando von Captain Kemper auf der Anzio, und auf seinen Befehl hin könnten sie diese Raketen starten, zwei für jeden der indischen Flugzeugträger, denn sie waren die Fernwaffe der gegnerischen Marine. Wenige Minuten dahinter würde dann ein Schwarm Tomahawks und weiterer Harpoons mit gleichem Ziel folgen.

»Fahren die EMCON?« fragte sich der Offizier laut.

»Mit eingeschalteten Nav-Geräten?« erwiderte der Unteroffizier.

»COMEDY hat sie doch sicher schon mit ESM erfaßt. Wetten, daß unsere Kerle den ganzen Himmel aufheizen, Sir.« Im Grunde hatte COMEDY zwei Möglichkeiten. Auf EMCON – Emissionskontrolle – gehen, also ihre Radare abschalten, damit die andere Seite Zeit und Treibstoff bei der Suche verprassen müßte, oder einfach alles einschalten und damit eine riesige elektromagnetische Blase erzeugen, die leicht zu erkennen war, aber gefährlich für den, der in sie eindringen wollte. Anzio hatte die zweite Option vorgezogen.

»Irgendwelches Fliegergequatsche?« fragte Tacco ein weiteres Besatzungsmitglied.

»Negativ, Sir, nicht im geringsten.«

»Hmpf.« Was machten die bloß? Er konnte nicht wissen, was die sagten oder dachten. Er hatte bloß die aus Radardaten von Rechnern erzeugten Kursverläufe. Der Rechner wußte vom GPS-System stets, wo sich sein Flieger befand. Daraus ergab sukzessive Peilung auf Radarechos die Ortung und …

»Kursveränderung?«

»Negativ. System hat sie immer noch auf Kurs null-neune-null mit sechzehn Knoten. Die verlassen gerade den Kasten, Sir. Sie liegen jetzt 30 Meilen östlich von COMEDYS Kurs für die Seestraße.«

»Ich frage mich, ob die ihre Meinung geändert haben.«

*

»Ja, unsere Flotte ist auf See«, sagte ihm die Premierministerin.

»Haben Sie die amerikanischen Schiffe gesehen?«

Die Regierungschefin Indiens war in ihrem Büro allein. Ihr Außenminister war momentan abwesend, aber bereits auf dem Rückweg. Diesen Anruf hatte man vorausgesehen, aber nicht erhofft.

Die Lage hatte sich geändert. Präsident Ryan, so schwach sie ihn auch jetzt noch einschätzte – wer, außer einem Schwächling, hätte einem souveränen Land so gedroht? –, hatte ihr dennoch Angst eingejagt. Wie, wenn Daryaei die Seuche in Amerika in die Wege geleitet hätte? Sie hatte keine diesbezüglichen Beweise und würde solche Informationen auch nie suchen. Ihr Land konnte sich nie mit einer solchen Tat in Verbindung bringen lassen. Ryan hatte sie – wie oft, viermal? fünfmal? – um ihr Wort gebeten, daß die Marine Indiens die amerikanische Flottenbewegung nicht behindern würde. Aber nur einmal hatte er den Ausdruck Massenvernichtungswaffen gebraucht. Es war die tödlichste Redewendung im internationalen Dialog. Um so mehr, hatte ihr Außenminister gesagt, da Amerika nur eine Art solcher Waffen besaß und daher biologische und chemische Waffen betrachtete, als wären sie Kernwaffen. Das brachte sie auf eine weitere Gleichung. Flieger gegen Flieger, Schiff gegen Schiff, Panzer gegen Panzer – man beantwortete einen Angriff mit der gleichen Waffe, die der Gegner verwendete. Mit aller Gewalt und Wut, daran erinnerte sie sich auch. Ryan hatte offen erkennen lassen, daß er seine Handlungsweise der Art des angeblichen Angriffs durch die UIR angleichen würde. Zum Schluß mußte sie den irren Anschlag auf seine kleine Tochter bedenken. Schwacher Mann, der er sein mußte, war er doch ein wütender Schwächling, gerüstet mit Waffen, die alles an Gefährlichkeit in den Schatten stellten.

Daryaei war ein Narr, Amerika auf diese Weise zu provozieren. Hätte er bloß seinen Angriff auf Saudi-Arabien gestartet, um mit konventionellen Waffen auf dem Feld zu obsiegen – es wäre erledigt. Aber nein, er mußte versuchen, Amerika zu Hause zu lähmen, auf eine Weise zu provozieren, die reinster Wahnsinn war – und jetzt konnten sie und ihre Regierung und ihr Land involviert werden, erkannte sie.

Mit so etwas hatte sie nicht gerechnet. Ihre Flotte einzusetzen war Risiko genug – und die Chinesen, was hatten die schon getan? Eine Übung gestartet, vielleicht jene Maschine beschädigt – 5000 Kilometer entfernt! Was für ein Risiko trugen denn die? Gar keins! Daryaei erwartete viel von ihrem Land, und mit seinem Angriff direkt auf die Bürger Amerikas war es zuviel.

»Nein.« Sie wählte ihre Worte sorgfältig. »Unsere Flotteneinheiten haben amerikanische Flugpatrouillien gesichtet, aber nicht ein Schiff. Wir hörten, wie Sie vielleicht auch, daß ein amerikanischer Schiffsverband den Suez passiert, aber nur Kriegsschiffe, nichts anderes.«

»Sie sind sich dessen sicher?« fragte Daryaei.

»Mein Freund, weder unsere Schiffe noch unsere Marineflieger haben im Arabischen Meer irgendwelche amerikanischen Schiffe gesehen.« Der eine Überflug war schließlich mit von Land gestarteten MiG23S der indischen Luftwaffe erfolgt. Sie hatte ihren vorgeblichen Alliierten nicht angelogen. Nicht ganz. »Das Meer ist weit«, fügte sie hinzu.

»Aber so durchtrieben sind die Amerikaner nicht, oder?«

»Ihre Freundschaft wird nicht vergessen«, versprach ihr Daryaei.

*

»Aufgepaßt! Habe vier Flieger, die von Gasr Amu abheben«, sagte ein Captain an Bord des AWACS. Die neuentstandene UIR-Luftwaffe hatte auch trainiert, aber hauptsächlich über dem (neuen) Landesinneren, und das war sogar von dieser gehobenen Plattform aus schwer zu verfolgen.

Wer dies auch geplant hatte, machte seine Sache nicht schlecht. Das vierte Quartett aus Linienmaschinen war gerade in den saudischen Luftraum eingetreten, weniger als 200 Meilen von den aufsteigenden UIR-Jägern entfernt. An der Luftfront war es bisher ruhig geblieben.

Zwei Jägern hatte man in den letzten paar Stunden nachgespürt; die waren vom Flugprofil her aber wahrscheinlich Checkflüge. Aber jetzt hob eine Vierer-Rotte in zwei engen Paaren ab. Das machte sie zu Jagdflugzeugen – mit einer Mission.

Gegenwärtiger Geleitschutz für Operation CUSTER war in diesem Sektor eine Rotte von vier amerikanischen F-16, die zwanzig Meilen vor der Grenze patrouillierten.

»Kingston Führung, hier Himmelsauge sechs, over.«

»Himmel, Führung.«

»Haben vier Bandits, null-drei-fünf ihre Position, Engel zehn steigend, Kurs zwo-neun-null.« Die vier amerikanischen Jäger flogen nach Westen, um sich zwischen die UIR-Jäger und die Linienmaschinen zu setzen.

Die UIR-Jagdflugzeuge, inzwischen als F-1 aus Frankreich identifiziert, preschten weiter Richtung Grenze, bogen zehn Meilen vorher ab und zeichneten sie schließlich mit nur einer Meile Abstand nach. Die F-16 taten es ihnen gleich, die Piloten sahen einander und musterten jeweils durch ihre Schutzvisiere ihre Gegenüber aus 4000 Meter Entfernung. Luft-Luft-Raketen waren unter den Flügeln sämtlicher Jäger klar erkennbar.

»Kommse doch rüber, wennse Lust auf 'n Plausch haben«, schlug der Major in der führenden F-16 auf Guard-Frequenz vor. Es kam keine Antwort. Die nächste Rate von Operation CUSTER setzte ungehindert ihren Weg nach Dhahran fort.

*

O'Day war früh drin. Seinem Babysitter, der ja nicht zur Schule mußte, kam gern, denn ihm gefiel der Gedanke ans viele Geld, und die wichtigste Nachricht für alle Beteiligten war, daß in zehn Meilen Umkreis nicht ein Fall dieser neuen Krankheit aufgetreten war. Trotz der Unannehmlichkeiten hatte O'Day jede Nacht zu Hause geschlafen – auch wenn es einmal nur vier Stunden waren. Er wäre kein Daddy, wenn er nicht mindestens einmal am Tag sein Töchterchen küßte, und sei es im Schlaf.

Wenigstens war die Fahrt zur Arbeit jetzt leichter; er hatte vom Bureau einen Wagen, schneller als seinen und mit Warnleuchte, die half, ihn durch all die Sperren zu schleusen.

Auf dem Schreibtisch lagen die Fallresümees von den Hintergrundchecks bei den ganzen Secret-Service-Leuten. Die Arbeit war bei fast jedem Fall von abstumpfender Duplizität gewesen. Eine Hintergrund-Überprüfung war bei jedem USSS-Angestellten Pflicht, sonst hätten sie die Sicherheitsfreigaben, die Teil des Jobs waren, nie erhalten. Geburtsurkunden, Schulfotos und alles übrige ließen sich perfekt bestätigen.

Aber in zehn Fällen gab es lose Enden, denen man im Laufe des Tages nachgehen würde. O'Day kam immer wieder auf einen zurück.

Raman war Iraner von Geburt. Aber Amerika war eine Nation von Immigranten. Der FBI selbst war mit Irisch-amerikanern gegründet wurde, vorzugsweise von Jesuiten ausgebildet, weil J. Edgar Hoover geglaubt haben sollte, daß kein Irisch-amerikaner mit jesuitischer Ausbildung sein Land auch nur im entferntesten verraten könnte. Gewiß hatte es damals Aufsehen erregt, und noch heute war Antikatholizismus das letzte ehrbare Vorurteil. Aber genauso bekannt war, daß Immigranten oft die loyalsten Bürger abgaben. Davon profitierten das Militär und die anderen Sicherheitsbehörden. Nun, dachte Pat, das wäre nicht schwer.

Bloß die Teppichgeschichte prüfen und gut. Er fragte sich, wer dieser Mr. Sloan war. Ein Typ, der einen Teppich wollte, wahrscheinlich.

*

Es lag eine Stille über den Straßen Teherans. In Clarks Erinnerung waren sie 1979/80 nicht so gewesen. Auch bei seinem kürzlichen Besuch war es anders gewesen, mehr wie die übrige Gegend: geschäftig, aber nicht gefährlich. Als Journalisten betrugen sie sich wie Journalisten.

Clark kehrte wieder in Marktviertel ein, sprach höflich mit Leuten über das Geschäftsumfeld, das Lebensmittelangebot, was man von der Vereinigung mit dem Irak hielt etc. und was er bekam, war Marke Vanille.

Platitüden. Politische Aussagen waren ohne jede Würze, auffallend arm an der Leidenschaftlichkeit, die ihm vom Geiseldrama her im Gedächtnis war, als jedes Herz, jede Seele sich gegen die übrige Welt wandte – besonders Amerika. Den Antrieb von damals spürte er bei den Leuten nicht mehr und dachte an den merkwürdig freundlichen Juwelier zurück. Die wollten wohl bloß leben wie jeder andere auch. Die Apathie erinnerte an die Sowjetbürger der Achtziger. Die wollten nur weiterkommen, ein bißchen besser leben und daß ihre Gesellschaft auf ihre Bedürfnisse einging. Hier war die revolutionäre Wut ausgebrannt. Warum hatte dann Daryaei so gehandelt? Wie würde das Volk es aufnehmen? Am wahrscheinlichsten war, daß er die Volksnähe verloren hatte.

Er hatte seinen Anhang aus wahren Gläubigen und eine große Anzahl solcher, die im Bus mitfahren und die bequemen Sitze genießen wollten, während alle anderen zu Fuß und beiseite gingen, aber das wär's. Ein fruchtbarer Boden zur Anwerbung von Agenten, um jene auszumachen, die genug hatten und gesprächsbereit waren. Schade, daß es keine Zeit gab, hier ein richtiges Netz aufzuziehen. Er sah auf die Uhr. Zeit, sich wieder zum Hotel zu begeben. Ihr erster Tag war ein Reinfall und Teil ihrer Deckung zugleich. Ihre russischen Kollegen würden morgen eintreffen.

Der erste Schritt war ein Check der Namen Sloan und Alahad. Das begann mit dem Telefonbuch. Und richtig, da gab es einen Mohammed Alahad. Inserat in den Gelben Seiten, persische und orientalische Teppiche. Der Laden war an der Wisconsin Avenue, rund eine Meile von Ramans Wohnung; keine Besonderheit. Im Crisscross gab es auch einen Mr. Joseph Sloan, mit der Nummer 536-4040, fast wie Ramans 5.363.040. Eine Ziffer falsch, was den Irrläufer auf dem Anrufbeantworter des Secret-Service-Agenten leicht erklären ließ.

Der nächste Schritt war reine Formsache. Ein Befehl ließ die Computeraufzeichnungen hergestellter Verbindungen an den wahrscheinlichen Tagen durchlaufen … und da war es auf seinem Bildschirm: ein Anruf an 536-4040 von 202-459-6777. Aber das war doch nicht Alahads Ladenanschluß!? Noch ein Check wies 6777 aus als eine Zelle zwei Straßen vom Laden entfernt. Komisch.

Warum nicht noch einen Check? Der Agent war das technische Genie in der Mannschaft. In der Spionageabwehr gefiel's ihm ganz gut. Man zerpflückte die Dinge einfach immer weiter. Er fand auch, daß die Spione, die er jagte, so ähnlich dachten wie er. Dazu seine technische Expertise … hmph, im vergangen Monat keine Verbindung zwischen Teppichladen und 536-4040. Er ging einen weiteren Monat zurück. Nein. Und die andere Richtung? Nein, 536-4040 hatte nie 457-1100 angerufen.

Also, wenn der einen Teppich bestellt hatte und der Händler den Typ anrief, um ihn wissen zu lassen, er wär' endlich angekommen … warum gab's da keine Anrufe?

Der Agent lehnte sich zum nächsten Schreibtisch rüber. »Sylvia, kommste mal was anschauen?«

»Was gibt's denn, Donny?«

*

Ganz Blackhorse war inzwischen gelandet. Die meisten waren in ihren Fahrzeugen oder an ihren Fliegern. Das 11. Berittene Panzerregiment umfaßte 123 M1A2-Abrams-Kampfpanzer, 127 M3A4-Bradley-Spähfahrzeuge, 12 M109A6-Paladin-155-mm-Selbstfahrlafetten und 8 M270-MLRS-Kettenfahrzeuge, zuzüglich 83 Helikopter insgesamt, 26 davon AH-54D-Apache-Kampfhubschrauber. Das waren die Waffenträger. Unterstützt wurden sie von Hunderten ›weicher‹ Fahrzeuge – meist Laster für Sprit, Essen und Munition – und zwanzig Extras, die man hier Wasserbüffel nannte: von vitaler Bedeutung in diesem Erdteil.

Der erste Schritt war es, den ganzen Haufen von der POMCUS-Basis wegzubekommen. Die Kettenfahrzeuge wurden auf Tieflader bugsiert für die Fahrt nördlich nach Abu Hadrijah, eine kleine Stadt mit einem Flugplatz und designierter Sammelpunkt für die 11. Cav. Als jedes Fahrzeug aus seinem Lagerhaus fuhr, stoppte es auf einer mit rotem Farbfleck gekennzeichneten Stelle. Dort wurden die GPS-Navigationssysteme gegen bekannte Vermessungspunkte kalibriert. Zwei der IVIS-Geräte waren defekt.

Die Sattelschlepperfahrer waren Pakistani, ein paar hundert von Tausenden, die das Königreich für niedrige Arbeiten importiert hatte. Für die Abrams- und Bradley-Besatzungen wurde das aufregend, denn die hiesigen Lastwagenfahrer, so schien es, wurden nach Meilen, nicht Stunden entlohnt. Sie fuhren wie die Berserker.

Auch die Männer der Guard kamen jetzt langsam an. Für die gab es im Moment nichts zu tun außer dem Aufbau bereitgestellter Zelte, reichlich Wassertrinken und Leibesübungen.

SSA Hazel Loomis hatte den Befehl über diesen Trupp von zehn Agenten. Sissy Loomis war seit Beginn ihrer Laufbahn im FBI. Jetzt ging sie auf die Vierzig zu, hatte aber noch immer die Jubeltrupp-Ausstrahlung, die in ihrer Zeit als Agentin auf der Straße so nützlich gewesen war. Auch konnte sie auf eine Vielzahl erfolgreicher Fälle zurückblicken.

»Das hier sieht etwas komisch aus«, sagte Donny Selig und legte ihr seine Notizen auf den Schreibtisch.

Viel mußte nicht erklärt werden. Fernsprechkontakte zwischen Nachrichtendienstlern enthielten nie die Worte »Ich habe den Mikrofilm«. Die harmlosesten Äußerungen, im voraus abgesprochen, konnten die richtigen Informationen übermitteln. Deswegen hieß es ja ›Kodewörter‹. Loomis schaute die Daten durch, dann zu ihm auf.

»Adressen?«

»Klar hab' ich die, Sis«, versicherte Selig.

»Dann wollen wir mal Mr. Sloan besuchen.« Der Negativaspekt von Beförderung war, daß ihr normalerweise die Gehsteigarbeit versagt war.

Diesmal aber nicht, sagte sich Loomis.

Der F-15E Strike Eagle hatte wenigsten eine Zweier-Crew; Pilot und WSO konnten sich so während des endlosen Flugs unterhalten. Den Vorteil hatten auch die sechs B-1B-Crews; der Lancer bot sogar Platz genug, daß man sich hinlegen und schlafen konnte, ganz abgesehen von der echten Toilette. So mußten diese, im Gegensatz zu den Jabo-Besatzungen, nicht sofort nach der herbeigesehnten Landung in Al Khardzh südlich Riads unter die Dusche. Der 366. Air Combat Wing, eine Flugdivision also, hatte um die Welt verteilt vier ›Startlöcher‹: Standorte in der Nähe voraussichtlicher Konfliktherde, mit Versorgungsgerät, Sprit und Munitionierungseinrichtungen unter kleinen Haushälter-Mannschaften, die im Ernstfall durch 366stes eigenes Personal, teils mit Charterflügen, verstärkt wurden. Dazu gehörten zusätzliche Mannschaften, damit theoretisch die Crews nach dem Flug von Mountain Home AFB in Idaho ihre Ruhezeit pflegen konnten, während Reserve-Crews die Maschinen in die Schlacht führten. Gründlich erschöpfte Flieger (und Fliegerinnen) brachten ihre Vögel zur Landung herein, rollten zu den Schutzhangars, stiegen aus und übergaben ihre Schützlinge dem Wartungspersonal. Zuallererst wurden Zusatztanks abmontiert und bei den Bombern durch Schachthalterungen für Waffen ersetzt, während die Crews sich zu langen Duschen und Einweisungen durch die Nachrichtendienstler begaben. Innerhalb eines Zeitraums von fünf Stunden wurde die gesamte Kampfstärke des 366. in Saudi-Arabien versammelt, abgesehen von einer F-16C, die wegen Avionik-Problemen nach Bentwater Royal Air Force Base in England ausgewichen war.

»Bitte?« Die ältere Dame trug keine OP-Maske. Sissy Loomis reichte ihr eine – die neue Begrüßungsform in Amerika.

»Guten Morgen, Mrs. Sloan. FBI«, sagte die Agentin und hielt die Dienstmarke hoch.

»Ja?« Eingeschüchtert war sie nicht, aber überrascht.

»Mrs. Sloan, wir führen eine Ermittlung durch und würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen. Es ist nur zur Aufklärung. Würden Sie uns helfen?«

»Denke schon.« Mrs. Sloan war über sechzig, adrett gekleidet und sah freundlich genug aus, aber etwas erstaunt vom Ganzen.

»Dürften wir reinkommen? Dies ist Agent Don Selig«, stellte sie ihren Begleiter vor. Auch diesmal war ihr freundliches Lächeln erfolgreich; Mrs Sloan setzte nicht mal die Maske auf.

»Sicher.« Die Hausherrin gab die Tür frei.

Ein Blick reichte, um Sissy Loomis klarzumachen, daß etwas nicht ganz stimmte. Erstens lag kein persischer Teppich im Wohnzimmer – nach ihrer Erfahrung kauften die Leute nicht nur einen der Dinger.

Dann war die Wohnung einfach zu ordentlich.

»Entschuldigung, ist Ihr Gatte zu Hause?« Die Wirkung war unmittelbar und schmerzlich.

»Mein Gatte ist vorigen September verschieden«, sagte Mrs. Sloan.

»Oh, das tut mir aber leid, Mrs. Sloan. Das wußten wir nicht.« Und damit wurde aus einer Routineüberprüfung etwas völlig anderes.

»Er war älter als ich. Joe war achtundsiebzig«, sagte sie.

»Sagt Ihnen der Name Alahad irgendwas, Mrs. Sloan?« fragte Loomis, als sie sich setzten.

»Nein. Sollte es?«

»Er handelt mit persischen und orientalischen Teppichen.«

»Oh nein, so was haben wir nicht. Ich bin doch gegen Wolle allergisch.«

*

»Jack?« Ryan riß die Augen auf. Die Uhr zeigte auf kurz nach acht am Morgen.

»Was zum Henker? Warum hat niemand …«

»Du hast sogar den Wecker verschlafen«, sagte Cathy. »Andrea sagte, Arnie sagte, ich soll dich bis etwa jetzt schlafen lassen. Schätze, ich brauchte das auch«, fügte SURGEON hinzu; zehn Stunden hatte sie durchgeschlafen. »Dave hat mir einen freien Tag verordnet«, sagte sie noch.

Jack rappelte sich auf und ging ins Bad. Als er zurückkam, reichte ihm Cathy die Einweisungsunterlagen. Der Verstand sagte ihm, daß man ihn geweckt hätte, wenn irgendwas Ernstes geschehen wäre – ein Telefon schaffte das immer. Die Papiere zeigten, daß alles relativ stabil war. Zehn Minuten danach war er angezogen. Er nahm sich Zeit, den Kindern hallo zu sagen, und küßte seine Frau. Dann machte er sich auf den Weg.

»SWORDSMAN in Bewegung«, sagte Andrea in ihr Mikrofon. »Lageraum?« fragte sie POTUS.

»Yeah. Wer hat das ent…«

»Mr. President, es war der Stabschef; aber der hatte recht, Sir.«

Ryan sah sie an. »Dann bin ich wohl überstimmt.«

Die Nationale Sicherheitsmannschaft hatte die ganze Nacht an seiner Statt durchgemacht. An seinem Sitz stand Kaffee bereit. Die hatten davon gelebt.

»Okay, was geschieht da drüben.«

»COMEDY ist jetzt 130 Meilen an den Indern vorbei – nicht zu glauben: Die haben die Patrouille hinter uns wieder aufgenommen«, sagte Admiral Jackson seinem Oberbefehlshaber.

»Spielen auf beiden Seiten der Straße«, folgerte Ben Goodley.

»Beste Art, sich überfahren zu lassen«, warf Arnie ein.

»Weiter.«

»Operation CUSTER ist so gut wie abgeschlossen. Das 366. ist in Saudi-Arabien, minus ein defekter Jäger. Die 11. Cav rollt aus ihrer Lagerbasis zum Sammelpunkt. So weit, so gut«, sagte der J-3. »Die andere Seite ließ einige Jäger an der Grenze aufsteigen, aber wir und die Saudis hatten dort eine Sperre, und außer einigen bösen Blicken ist nichts passiert.«

»Glaubt jemand, die werden zurückstecken?« fragte Ryan.

»Nein.« Das kam von Ed Foley. »Das können sie nicht. Nicht jetzt.«

*

Das Rendezvous fand fünfzig Meilen vor Ra's al Hadd statt, dem östlichsten Winkel der Arabischen Halbinsel. Die Kreuzer Normandy und Yorktown, der Zerstörer John Paul Jones und die Fregatten Underwood, Doyle und Nicholas nahmen achtern Station auf, damit Platte und Supply sie zum Aufbunkern nach dem Expreßlauf von Alexandrien drannehmen konnten. Die Kapitäne wurden per Hubschrauber zur Anzio gebracht, und es folgte eine Stunde Missionsbesprechung beim dienstältesten Captain. Ihr Ziel war Dhahran. Dafür mußten sie nach Nordwesten in die Straße von Hormus – sechs Stunden Dampfen: 22.00 Uhr Ortszeit. Die Straße war zwanzig Meilen breit und mit Inseln besprenkelt, außerdem eine der am stärksten befahrenen Wasserwege der Welt, sogar jetzt bei der aufziehenden Krise. Supertanker, von denen ein einziger mehr Wasser verdrängte als sämtliche Kriegsschiffe im jetzt als TF-61.1 bezeichneten Verband zusammen, waren nur die bekanntesten Schiffe in dieser Gegend. Es gab massige Containerschiffe unter unterschiedlichsten Flaggen, sogar einen mehrstöckigen Schaftransporter, einem Großstadt-Parkhaus ähnlich, mit lebendem Hammelfleisch aus Australien. Dessen Geruch war auf allen sieben Weltmeeren berühmt.

Radar in der Straße war zu Verkehrsleitzwecken flächendeckend, und das hieß, TF-61.1 würde sich kaum unbemerkt reinschleichen können.

Einiges aber konnten sie tun. Am engsten Punkt würden die Marineschiffe nach Süden halten, sich zwischen den Inseln Omans hindurchlavieren und hoffentlich im Radarmüll übersehen werden. Dann würden sie Abu Musa südlich umfahren, durch die Meute von Ölplattformen, die sie zur Radar-Deckung mißbrauchen wollten. Von dort wäre der Kurs nach Dhahran gerade voraus, an den Kleinstaaten Katar und Bahrain vorbei. Die Gegenseite verfügte über Schiffe amerikanischen, britischen, chinesischen, russischen und französischen Ursprungs, alle mit der einen oder anderen Art Rakete bewaffnet. Die wichtigsten Schiffe des Verbands waren natürlich unbewaffnet. Sie würden die Kastenformation beibehalten, Anzio 2000 Meter in Führung, Normandy und Yorktown 2000 Meter steuerbords, mit Jones als Nachhut. Die zwei Un-Rep-Schiffe würden mit der O'Bannon und den Fregatten auf enger Eskorte einen zweiten, also Köderverband bilden. Hubschrauber würden oben sein, als Patrouille und, durch die hochgeschalteten Transponder, zur Simulation viel größerer Ziele. Die diversen Kapitäne warteten auf die Helikopter, die sie zu ihren Kommandos zurückbringen sollten.

Es war das erstemal seit Ewigkeiten, daß eine amerikanische Marineformation ohne einen Flugzeugträger als Deckung der Gefahr entgegenfuhr. Die Bunker waren voll, die Verbände formierten sich wie geplant, drehten nach Nordwesten, und die Schiffe nahmen bei 26 Knoten den Knochen zwischen die Zähne. Um 18.00 Ortszeit bretterte eine Rotte F-16 vorüber, um den Aegis-Schiffen Gelegenheit zur Systemprobe gegen reale Ziele zu geben, aber auch zur Verifikation des IFF-Kodes für die Mission dieser Nacht.

*

Mohammed Alahad, so sahen sie, war verdammt alltäglich. Fünfzehn Jahre zuvor war er nach Amerika gekommen. Es hieß, er sei Witwer und ohne Kinder, führe ein ordentliches, einträgliches Geschäft in einer der besseren Einkaufszeilen Washingtons. Tatsächlich war er gerade jetzt drinnen. Zwar hing das GESCHLOSSEN-Schild an der Tür, aber er hatte wohl nichts Besseres zu tun, als im Laden zu sitzen und seine Rechnungen durchzugehen.

Einer von Loomis' Trupp ging zum Geschäft und klopfte an die Tür.

Alahad kam und öffnete mit den erwarteten Gesten, und man konnte sich ausrechnen, was gesagt wurde. Bedaure, aber alle Geschäfte sind zu, Präsidentenbefehl – Yeah, sicher, aber ich habe nichts vor und Sie doch auch nicht, oder? – Ja, aber jener Befehl … He, wer wird's denn je erfahren? Kommen Sie, geben Sie sich einen Ruck. Schließlich ging der Agent hinein, Maske vorm Gesicht. Nach zehn Minuten kam er wieder heraus, ging um die Ecke und rief von seinem Wagen aus an.

»Es ist ein Teppichgeschäft«, sagte der Agent Loomis über sicheren Funk. »Wenn wir den Laden aufmischen wollen, müssen wir warten.«

Das Telefon war bereits angezapft, aber es hatte noch keine Anrufe gegeben.

Die andere Hälfte des Teams war in Alahads Wohnung. Sie fanden ein Foto von einer Frau und einem Kind, wohl sein Sohn, in etwas wie einer Uniform – rund vierzehn Jahre alt, dachte der Agent, als er sie mit einer Polaroid aufnahm. Aber wieder war sonst alles Marke Vanille.

Es war genau so, wie ein Geschäftsmann in Washington leben würde oder ein Geheimdienstagent. Läßt sich einfach nie unterscheiden. Sie hatten den Ansatz eines Falls, aber nicht genug Beweise, um einen Richter damit zu belästigen, geschweige denn für einen Durchsuchungsbefehl. Der Anteil an berechtigtem Verdacht war ein wenig mager. Aber es war eine Ermittlung zur nationalen Sicherheit, und die Zentrale hatte ihnen gesagt, daß hier die Regeln außer Kraft waren.

Technisch gesehen hatten sie schon mehrmals das Gesetz übertreten mit unberechtigtem Eindringen in Wohnungen und Anzapfen von Leitungen. Loomis und Selig gingen ins Apartmenthaus gegenüber. Vom Manager erfuhren sie, daß eine freie Wohnung auf Alahads Laden heraussah, erhielten ohne Probleme die Schlüssel und organisierten die Überwachung der Vorderseite, während zwei weitere Agenten die Rückseite übernahmen. Sissy Loomis nahm ihr Handy, um die Zentrale anzurufen.

Ein weiterer Potentieller war nicht komplett verdachtsfrei, meinte O'Day. Es gab Raman und einen schwarzen Agenten, dessen Frau Muslimin war und ihn anscheinend konvertieren wollte – aber der hatte es mit seinen Kameraden besprochen, und es stand in seiner Akte, daß seine Ehe, wie andere beim Service, ziemlich wackelig war.

Das Telefon läutete.

»Inspektor O'Day.«

»Pat? Hier Sissy.«

»Wie sieht's aus bei Raman?« Er hatte mit ihr drei Fälle bearbeitet, alle zu russischen Spionen. Diese Cheerleaderin hatte die Kiefer eines Kampfhundes, wenn sie sich in etwas verbiß.

»Die Nachricht an sein Telefon, verwählt, weißt du noch?«

»Yeah?«

»Unser Teppichhändler rief einen Toten an, dessen Witwe 'ne Wollallergie hat«, sagte Loomis.

Klick.

»Weiter, Sis.« Sie las ihre Notizen vor und gab weiter, was die Agenten in der Wohnung des Händlers gefunden hatten.

»Dieser sieht real aus, Pat. Das Tradecrait ist einfach zu gut. Es sieht so normal aus, daß keinem was auffällt. Aber weshalb die Telefonzelle, außer er sorgt sich, ob seins angezapft ist? Wieso einen Toten versehentlich anrufen? Und warum ging der verwählte Anruf an einen vom Detail?«

»Tja, Raman ist verreist.«

»Sollte er bleiben«, riet Loomis. Sie hatten keinen Fall, nur einen Verdacht. Wenn sie Alahad verhafteten, würde der sicher einen Anwalt verlangen – und was dann? Er hatte einen Anruf getätigt. Den müßte er nicht verteidigen, konnte einfach dazu schweigen. Sein Anwalt könnte sagen, es wäre einfach irgendein Fehler – Alahad hätte vielleicht sogar eine plausible Erklärung parat –, und nach Beweismittel fragen, und dann stand's FBI mit leeren Händen da.

»Das würde uns genauso aufdecken, oder?«

»Besser auf der sicheren Seite, Pat.«

»Ich muß das zu Dan bringen. Wann wollt ihr den Laden aufmischen?«

»Heute nacht.«

*

Die Troupiers von Blackhorse waren komplett erschöpft. Obwohl körperlich fit und wüstentrainiert: Die Soldaten hatten sechzehn Stunden in Flugzeugen bei trockener Luft und engen Sitzen verbracht, ihre persönlichen Waffen in den Fächern über ihnen – da guckten die Stewardessen immer so komisch –, und kamen bei kochender Hitze elf Zeitzonen entfernt an ihr Ziel. Aber sie taten, was getan werden mußte.

Schießen war zuerst an der Reihe. Die Saudis hatten einen großen Schießstand eingerichtet, mit stählernen Springzielen in 300 bis 5000 Meter Entfernung. Kanoniere richteten ihre Waffen per Lauf und probierten sie aus, mit echter statt Übungsmunition. Die Projektile flogen ›direkt durch den Punkt‹. Nach Verlassen der Tieflader bewegten die Fahrer ihre ›Reittiere‹, um sicherzugehen, daß alles korrekt funktionierte, doch die Panzer und Bradleys waren wirklich im fast fabrikneuen Zustand, der ihnen beim Herflug versprochen wurde. Funküberprüfungen zeigten auf, daß sich jeder mit jedem unterhalten konnte. Dann verifizierten sie die überaus wichtigen IVIS-Datenverbindungen. Die mondäneren Aufgaben kamen zuletzt. Die M1A2s in Saudi-Arabien hatten noch nicht die neueste Modifikation dieser Fahrzeugreihe: außenliegende Munitionspaletten. Statt dessen gab es eine Art große Gürteltasche aus Maschenstahl für Persönliches, vor allem für Wasser.

Nacheinander führten die Crews ihre Fahrzeuge durch den Kurs. Dann fuhren sie ins Ladeareal, um die auf dem Stand verbrauchte Munition zu ersetzen.

Es war alles ruhig und geschäftig. Die Saudis ehrten die Gastfreundschaftsgesetze mit Bereitstellung von Essen und alkoholfreien Getränken en masse an die Truppe, während sich die hohen Offiziere beim bitteren Kaffee dieser Gegend besprachen.

Marion Diggs war kein großer Mann. Sein Leben lang war er ein Kavallerist und hatte immer die Fähigkeit genossen, 60 Tonnen Stahl mit den Fingerspitzen zu führen oder sich auszustrecken und ein anderes Fahrzeug in drei Meilen Entfernung zu berühren. Jetzt war er Oberbefehlshaber von einer Division, aber mit einem Drittel davon 200 Meilen im Norden, einem weiteren Drittel auf einigen Schiffen, die später heute nacht einen Spießrutenlauf zu bestehen hatten.

»Also, was steht auf der anderen Seite bereit?« fragte der General.

Satellitenfotos kamen auf den Tisch, und der oberste amerikanische Nachrichtenoffizier aus KKMC trug vor.

»STORM TRACK berichtet minimalen Funkverkehr«, meldete der Einweisungsoffizier, ein Colonel. »Wir sollten daran denken, daß die da draußen ziemlich exponiert sind.«

»Eine meiner Kompanien ist unterwegs, sie zu decken«, erwiderte ein Saudi-Offizier. »Sollten bis zum Morgen in Position sein.«

»Was macht Buffalo?« fragte Diggs. Eine weitere Karte kam auf den Tisch. Die Kuwaiter-Verteilung sah in seinen Augen gut aus. Wenigstens nicht auf vorderste Front ausgerichtet. Bloß ein Schutzschild auf der künstlichen Anhöhe, sah er, und drei schwere Brigaden zum Konter gegen einen Durchbruch positioniert. Er kannte Magruder. Er kannte sogar alle Schwadronkommandeure. Wenn die UIR dort zuerst angriff, zahlenmäßig stärker oder nicht, würden sie sich bei Streitmacht Blau eine verflucht blutige Nase abholen.

»Feindabsichten?« fragte er als nächstes.

»Unbekannt, Sir. Es gibt hier Aspekte, die wir nicht verstehen. Washington hat uns gewarnt, einen Angriff zu erwarten, aber noch nicht, warum.«

»Was zum Teufel?«

»Näheres könnte ich nicht sagen, Sir«, erwiderte der Intel-Spezialist.

»Ach ja, wir haben hier Presseleute, vor ein paar Stunden gelandet. Die sind in einem Hotel in Riad.«

»Fabelhaft.«

»Ohne Wissen über deren Pläne …«

»Deren Ziel ist doch offensichtlich«, bemerkte der Saudi-Oberbefehlshaber. »Unsere schiitischen Nachbarn haben bereits soviel Wüste, wie sie brauchen.« Er klopfte auf die Karte. »Dort ist unser wirtschaftlicher Schwerpunkt.«

»General?« fragte eine andere Stimme. Diggs wandte sich nach links.

»Colonel Eddington?«

»Schwerpunkt ist politisch, nicht militärisch. Das sollten wir vielleicht im Auge behalten, meine Herren«, sagte der Colonel aus Carolina.

»Wenn die auf küstennahe Ölfelder hinauswollten, bekämen wir reichlich strategische Warnung.«

»Die sind uns zahlenmäßig stark überlegen, Nick. Es gibt ihnen einen gewissen Grad strategischer Flexibilität. Sir, auf diesen Fotos sehe ich eine Menge Treibstofflaster.«

»Beim letztenmal hielten die an der Grenze zu Kuwait, weil der ihnen ausgegangen war«, erinnerte sie der Saudi-Kommandeur.

Die Saudi-Armee – eigentlich Nationalgarde genannt – umfaßte fünf schwere Brigaden, fast alles amerikanisches Gerät. Drei waren südlich Kuwaits aufgestellt, eine davon bei Ras al Kafdschi, Ort der einzigen bisherigen Invasion des Königreichs, aber direkt am Wasser, und keiner erwartete einen Angriff vom Meer aus. War nicht ungewöhnlich, erinnerte sich der Amerikaner, sich darauf vorzubereiten, den letzten Krieg auszufechten.

Eddington seinerseits erinnerte sich an ein Zitat Napoleons. Als der einen Verteidigungsplan betrachtete, der Truppen gleichmäßig entlang einer Grenze postierte, hatte er den Offizier gefragt, ob das Ziel die Unterbindung von Schmuggel wäre. Jenes Defensivkonzept hatte eine Patina der Legitimität erhalten durch die NATO-Doktrin der Vorwärtsverteidigung an der innerdeutschen Grenze, war aber niemals auf die Probe gestellt worden, und wenn es jemals einen Ort gab, Raum gegen Zeit einzutauschen, dann waren es die saudi-arabischen Wüsten An Nefüd und Ad Dahná. Eddington hielt dazu den Mund. Er war Diggs untergeben, und die Saudis schienen stark auf ihr Territorium fixiert – wie die meisten Leute. Diggs und er sahen sich an. Wie die 10. Cav die Gruppenreserve für die Kuwaiter darstellte, sollte es die 11. für die Saudis tun. Das könnte sich ändern, wenn seine Leute der Guard ihre Ketten in Dhahran in Bewegung setzten, aber bis dahin mußte diese Aufstellung genügen.

Ein großes Problem dieser Lage war das örtliche Kommandoverhältnis. Diggs hatte einen Stern – einen verflucht guten, wußte Eddington –, aber er war bloß Brigadier. Wenn GENICOM hätte herfliegen können, wäre einer mit dem Rangstatus hiergewesen, stärker bindende Empfehlungen für die Saudis aussprechen zu können. Colonel Magruder von der Buffalo Cav hatte wohl so etwas getan, aber Diggs' Position war etwas kitzlig.

»Nun, wir werden jedenfalls ein paar Tage haben.« Der amerikanische General drehte sich um. »Setzen Sie zusätzliche Aufklärungsressourcen ein. Wenn jene sechs Divisionen furzen, will ich wissen, was die zu Abend gegessen haben.«

»Unsere Predator steigen bei Sonnenuntergang auf«, versprach der Intel-Colonel.

Eddington ging raus für eine Zigarre. Hätte er nicht müssen, fiel ihm nach ein paar Zügen ein. Die Saudis rauchten ja alle.

»Nun, Nick?« fragte Diggs, der sich zu ihm gesellte.

»Bier wäre nett.«

»Bloß leere Kalorien«, bemerkte der General.

»Vier-zu-eins-Verhältnis, und die haben die Initiative. Falls meine Leute rechtzeitig ihr Gerät bekommen. Das hier könnte recht interessant werden, Diggs.« Noch ein Zug. »Die Aufstellung ist bescheuert.«

Eine Redewendung von seinen Studenten, dachte sein Vorgesetzter.

»Übrigens, wie nennen wir das hier?«

»Operation BUFORD. Namen für Ihre Brigade, Nick?«

»Wie wär's mit WOLFSRUDEL? Falsche Schule, weiß ich, aber TEERFERSE klingt mir nicht richtig. Dies hier geht mir zu verflucht schnell, General.«

»Eine Lektion, die die Gegenseite vom letztenmal gelernt haben muß: uns keine Zeit zu geben, unsere Streitkräfte aufzubauen.«

»Wahrhaftig. Nun, ich muß nach meinen Leuten sehen.«

»Nehmen Sie meinen Mixer«, sagte ihm Diggs. »Ich werde ein Weilchen hiersein.«

»Ja, Sir, Danke.« Eddington salutierte und ging los. Dann drehte er sich um. »Diggs?«

»Ja?«

»Wir sind vielleicht nicht so gut trainiert, wie Hamm und seine Jungs, aber wir werden es bringen, verlassen sie sich drauf.« Er salutierte wieder, ließ den Stumpen fliegen und marschierte zum Black Hawk davon.

Nichts bewegt sich so leise wie ein Schiff. Bei dieser Geschwindigkeit, knapp 55 Stundenkilometer, würde ein Automobil Lärm machen, den man in einer stillen Nacht Hunderte Meter weit hören könnte, aber beim Schiff wär's das Hochfrequenz-Zischen von Stahl, der durch momentan ruhige See schnitt, und das trug überhaupt nicht weit. An Bord konnte man die Vibration der Motoren spüren oder den Baß vom saugenden Atem der Turbinen hören, das war aber alles. Nur Zischen, und hinter jedem Schiff schäumte das Kielwasser in gespenstischem Grün von winzigen Organismen, aufgeschreckt durch die Druckwelle ihrer Passage. Den Besatzungen erschien das verdammt hell. Auf jeder Brücke war die Beleuchtung runtergedreht, um die Nachtsicht zu erhalten. Navigationslichter waren nicht gesetzt, ein Fahrtrechtsverstoß in diesen engen Gewässern. Auf Ausguck nach vorne setzte man Fernglas und Lichtverstärker ein. Der Verband lief gerade in den engsten Teil der Passage.

In jedem CIC flüsterten Leute über Schirmen und Kartentischen aus Besorgnis, man könnte sie doch hören. Die Raucher sehnten sich nach ihrem Laster, und mehr als einer fragte sich jetzt, warum: irgendeine Gefahr für die Gesundheit, so wär's doch. Und sie bedachten die Boden-Boden-Raketen in rund fünfzehn Kilometer entfernten Stellungen, jede mit einer Tonne Sprengstoff gleich hinter dem Suchkopf.

»Kommen nach Backbord, neuer Kurs zwo-acht-fünef«, meldete der Deckoffizier auf Anzio.

Die Haupttafel zeigte mehr als 40 ›Ziele‹ an, wie man Radarechos nannte, jedes mit Vektorpfeil für Kurs und Geschwindigkeit. Einlaufend hielt sich mit auslaufend in etwa die Waage. Manche davon waren riesig; das Echo eines Supertankers unterschied sich nicht von dem einer mittelgroßen Insel.

»Tja, bis hierher hätten wir's geschafft«, meinte Weps zu Captain Kemper. »Vielleicht schlafen sie.«

»Und vielleicht gibt's den Großen Kürbis wirklich, Charlie Brown.«

Jetzt drehten sich nur die Navigationsradare. Die Iraner bzw. UIRler hatten sicher ESM-Gerät da drüben, aber wenn die eine Patrouille in der Straße von Hormus postiert hatten, war sie bisher nicht auszumachen.

Manche Ziele ließen sich nicht zuordnen. Fischer? Schmuggler? Freizeitskipper? Konnte man nicht sagen. Der Gegner hielt sich wohl etwas zurück mit dem Überqueren der Seestraße. Die Araber backbords waren wohl genauso territorial eingestellt wie jeder andere, vermutete Kemper.

Alle Schiffe waren auf Gefechtsstation, Kampfsysteme sämtlich hochgefahren, aber noch auf Bereitschaft geschaltet. Wenn sich ihnen jemand zuwandte, würden sie erst Sichtkontakt versuchen. Wenn sie jemand mit Waffenlenk-Radar beleuchtete, würde das nächstgelegene Schiff die Alarmstufe leicht steigern und sein SPY-Radar nach sich nähernden Echos suchen lassen. Das aber wäre schwierig. Die Raketen hatten unabhängige Suchsysteme, die Seestraße war überfüllt, und eine Rakete könnte versehentlich das falsche Ziel anpeilen. So schießwütig würden die Gegner nicht sein; es könnte ja mit einigen tausend gegrillten Schafen enden, dachte Kemper mit einem Lächeln. So spannend diese Phase auch war, für die Gegner war es auch nicht so einfach.

»Kursveränderung bei Spur vier-vier, wendet nach Backbord«, meldete ein Mannschaftsgrad.

Das war ein Oberflächenziel gerade innerhalb UIR-Gewässer, sieben Meilen entfernt und fast schon passiert. Kemper lehnte sich vor. Ein Rechnerbefehl hob die Spur für die letzten zwanzig Minuten hervor.

Gerade mal Steuerungsfahrt, rund fünf Knoten. Jetzt machte es zehn, und hatte gedreht … auf den Köderverband hinter ihnen zu. Die Daten wurden O'Bannon weitergegeben, deren Captain den Verband kommandierte. Abstand der beiden Echos war sechzehn Kilometer und nahm ab.

Es wurde interessanter. Normandys Hubschrauber schloß von achtern zur Spur auf, in niedriger Höhe. Die Piloten sahen grünweißes Aufleuchten, als das unbekannte Schiff mehr Kraft gab, das Wasser aufrührte und mit ihm die Organismen. Plötzliches Hochfahren hieß …

»Ist ein Schnellboot«, gab der Pilot über Datenverbindung durch.

»Hat gerade das Gaspedal durchgedrückt. Ziel beschleunigt!«

Kemper verzog das Gesicht. Er hatte die Wahl: nichts tun, und vielleicht geschah nichts. Nichts tun, und vielleicht schaffte das Kanonen/Raketenboot den ersten Schuß gegen O'Bannon und den Verband.

Etwas tun mit dem Risiko, die Gegenseite aufzuscheuchen. Aber wenn das feindliche Schiff zuerst schoß, wußte der Gegner eh Bescheid, nicht?

Vielleicht. Vielleicht nicht. Fünf Sekunden lang blieb es ein Datengewirr; er wartete fünf weitere ab.

»Ziel ist ein Raketenboot, sehe zwei Rampen. Kurs des Ziels wird stabil.«

»Der hat freie Bahn zur O'Bannon, Sir«, meldete Weps.

»Funkgespräche, ich habe UHF-Funkverkehr, Peilung null-eins-fünef.«

»Abschießen«, sagte Kemper augenblicklich.

»Schießen!« sagte Weps über den Sprechkanal zum Hubi.

»Roger, greife an!«

»Combat, Ausguck. Sir, habe einen Blitz wie Raketenstart backbord achtern – jetzt zwei, Sir.«

»Geben Sie ein, zwei Takte …«

»Zwei weitere Starts, Sir.«

Scheiße, dachte Kemper. Der Hubi hatte nur zwei Penguin-ASMs.

Der Feind hatte die ersten zwei gefeuert. Und er konnte jetzt nichts tun.

Der Köderverband erfüllte seine Funktion. Er wurde beschossen.

»Zwei Vampire, nähern sich – Ziel zerstört«, meldete der Pilot die Vernichtung des Raketenboots – das wurde einen Moment später vom oberen Ausguck bestätigt. »Wiederhole: Zwei Vampire nähern sich O'Bannon.«

»Silkworms sind große Ziele«, sagte Weps.

Sie konnten die Mini-Schlacht nur unvollständig verfolgen. Navigationsradar zeigte O'Bannons Wende nach Backbord. Das würde ihre Punktverteidigungs-Raketenrampen achtern freigeben. Es würde auch den angreifenden Raketen ein riesiges Radarziel bieten. Der Zerstörer feuerte keine Ablenkungsköder, denn die Angreifer zu verwirren hieße, die UnRep-Schiffe, die er bewachte, zu gefährden. Automatische Entscheidung? überlegte Kemper. Bedachte? Zeigte Klöten, so oder so. Das Zielbeleuchtungsradar des Zerstörers ging an – er feuerte also seine Raketen, aber das Navigationsradar sagte nicht viel. Dann gesellte sich mindestens eine der Fregatten dazu.

»Lauter Blitze achtern«, berichtete der Ausguck weiter. »Wow, das war 'n Hammer! Wieder einer!« Dann fünf Sekunden Stille.

»O'Bannon für Verband – sind okay.«

Im Moment, dachte Kemper.

Die Predator waren oben, drei davon, einer für jedes der drei südwestlich Bagdads postierten Korps. Keiner davon kam so weit wie geplant. Gut 50 Kilometer vorher erfaßten ihre Thermalkameras die glühenden Formen gepanzerter Fahrzeuge. Die Armee Gottes war in Bewegung. Die Übertragung zu STORM TRACK wurde augenblicklich zu KKMC und von dort in die ganze Welt weitergeleitet.

»Ein paar Tage mehr wäre schön gewesen.« Ben Goodley kleidete seine Gedanken in Worte.

»Wie bereit sind unsere Leute?« Ryan drehte sich zum J-3.

»Das 10. ist bereit für Rock 'n' Roll. Die 11. braucht noch mindestens einen Tag. Die andere Brigade hat noch nicht einmal ihr Gerät.«

»Wie lange bis zur Feindberührung?«

»Mindestens zwölf Stunden, vielleicht achtzehn. Hängt davon ab, wo die genau hinwollen.«

Jack nickte. »Arnie, hat man Callie über all dies hier schon eingewiesen?«

»Nein, überhaupt nicht.«

»Dann erledigen wir das mal. Ich muß eine Rede halten.«

*

Alahad mußte sich wohl gelangweilt haben, im Geschäft so ohne Kundschaft, dachte Loomis. Er ging vorzeitig, stieg in seinen Wagen und fuhr davon. Ihn bei so leeren Straßen zu verfolgen dürfte recht leicht sein.

Wenige Minuten später beobachtete man das Objekt, wie es seinen Wagen parkte und in sein Wohngebäude ging. Sie und Selig überquerten die Straße und gingen zur Rückseite herum. Es gab zwei Schlösser an der Tür, deren Überwindung den jüngeren Agenten zu seinem Unmut zehn Minuten kosteten. Dann das Alarmsystem, das aber einfacher war.

Drinnen fanden sie weitere Fotos, eins wohl vom Sohn. Sie prüften als erstes den Rolodex, und es gab eine Karte für einen Sloan mit der Nummer 536-4040, aber ohne Adresse.

»Was halten Sie davon?« sagte Loomis.

»Ich meine, es ist eine neue Karte, ohne Eselsohren oder so was, und ich meine, da ist ein Punkt über der ersten Vier. Sagte ihm, welche Ziffer zu ändern ist, Sis.«

»Der Typ ist kein Zuschauer, Donny.«

»Sie haben recht, und das heißt, das gleiche gilt für Raman.«

Aber wie es beweisen?

Ihre Deckung mochte aufgeflogen sein oder nicht. Wußte man nicht.

Kemper prüfte die Lage, so gut es ging. Vielleicht hatte das Raketenboot eine Meldung abgesetzt und Feuererlaubnis bekommen … Vielleicht hatte ein junger Kommandeur auf eigene Verantwortung gefeuert … eher aber nicht. Diktaturen gestatteten ihren Militärs nicht viel Autonomie. Wenn man als Diktator damit anfing, fand man sich früher oder später todsicher mit dem Rücken an einer Wand wieder. Der Spielstand jetzt war USA 1, UIR 0. Beide Verbände fuhren weiter, jetzt nach Südwesten in den breiter werdenden Golf, immer noch mit 26 Knoten, immer noch inmitten kommerziellen Verkehrs, und der Äther funkelte vor Schiffsfunk-Gesprächen, die sich wunderten, was zum Teufel nördlich von Abu Musa gerade vorgefallen war.

Omani-Schnellboote waren jetzt auch draußen und im Gespräch mit jemandem, vielleicht UIR: Sie fragten, was los war.

Von der Verwirrung, entschied Kemper, konnte man auch profitieren.

Es war dunkel, und da waren Schiffe schwierig zu identifizieren.

»Wann kommt nautisches Zwielicht?«

»Fünf Stunden, Sir«, sagte der Wachhabende.

»Das sind hundertfünfzig Meilen zu unserem Vorteil. Weiter wie bisher. Sollen die's aussortieren, wenn sie können.« Bahrain unentdeckt zu erreichen wäre Wunder genug.

*

Sie legten alles auf Inspektor O'Days Schreibtisch. ›Alles‹ waren drei Seiten Notizen und ein paar Polaroidaufnahmen. Wichtigster Krümel war der Ausdruck der Verbindungsaufzeichnungen, die Reinschrift von Seligs Gekritzel. Es war das einzige legale Beweisstück, das sie hatten.

»Nicht gerade der dickste Packen Beweismittel, den ich je gesehen hab'«, meinte Pat.

»He, Pat, Sie haben gesagt, es muß schnell gehen«, erinnerte ihn Loomis. »Die sind beide nicht sauber. Ein Geschworenengericht könnte ich damit nicht überzeugen, aber es reicht, eine größere Ermittlung loszutreten, wenn man annimmt, wir hätten Zeit. Aber ich meine, die haben wir nicht.«

»Korrekt. Mitkommen«, sagte er im Aufstehen. »Zum Direktor.«

Es war ja nicht so, als hätte Murray zuwenig zu tun. FBI hatte zwar nicht die Leitung bei der Untersuchung der Ebola-Fälle, aber seine Agenten rannten sich die Füße wund. Dann war da der laufende, neue Fall zum Überfall auf Giant Steps, also Kriminalabteilung und FBI, darüber hinaus auch behördenübergreifend. Und jetzt dies, die dritte ›Leg alles andere beiseite‹-Sache in weniger als zehn Tagen. Der Inspektor winkte sich an den Sekretärinnen vorbei und spazierte, ohne zu klopfen, ins Büro des Direktors.

»Nur gut, das ich nicht gerade beim Pinkeln war«, murrte Murray.

»Dachte nicht, daß du Zeit dafür hast. Ich jedenfalls nicht«, erwiderte Pat. »Es gibt wohl tatsächlich einen Maulwurf im Service, Dan.«

»O?«

»Oh, yeah, und oh, Scheiße. Ich lass' dich von Loomis und Selig hier aufklären.«

»Kann ich es zu Andrea Price bringen, ohne erschossen zu werden?« fragte der Direktor.

»Ich glaub' schon.«