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Ausbruch

Es wäre natürlich schöner gewesen, erst Montag morgens zurückzukehren, aber das hätte bedeutet, die Kinder zu früh zu wecken. Jack jr. und Sally mußten sich sowieso auf Schularbeiten vorbereiten, und für Katie mußte ein neues Arrangement getroffen werden. Camp David war so anders gewesen, daß die Rückkehr fast eine Art Schock war. Sobald der Regierungssitz vom Helikopter aus zu sehen war, wechselten Ausdruck und Stimmung abrupt. Die Sicherheitsvorkehrungen waren massiv gesteigert worden, und das erinnerte auch daran, wie wenig attraktiv dieser Ort und das Leben darin für sie waren. Ryan stieg als erster aus, salutierte vorm Marine am Ende der Treppe und sah zur Südfassade des White House hoch. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Willkommen zurück in der Realität. Präsident Ryan geleitete seine Familie hinein und begab sich nach zum Oval Office.

»Okay, was passiert?« fragte er van Damm.

»Die Untersuchung hat noch nicht viel zutage gebracht. Murray rät zur Geduld, es läuft alles. Bester Rat, Jack: einfach weitermachen«, sagte ihm der Stabschef. »Morgen ist ein anstrengender Tag. Die Stimmung im Lande ist für Sie. In solchen Zeiten gibt es immer eine Welle von Sympathie für …«

»Arnie, ich bin nicht auf Stimmenfang aus, klar? Es geht mir nicht darum, daß die Leute mir besser gesinnt sind, nachdem Terroristen meine Tochter angegriffen haben«, stellte Jack fest, mit wieder erwachender Wut nach zwei Tagen Erleichterung. »Falls ich je daran dachte, in diesem Job zu bleiben, hat mich die letzte Woche davon geheilt.«

»Nun ja, aber …«

»Zur Hölle mit ›aber‹! Von hier will ich nur eines mit zurücknehmen: mein Leben und meine Familie, sonst nichts. Falls jemandem Prunk und Umstände dieses beschissenen Gefängnisses gefallen, bitte. Ich weiß es jetzt besser. Gut«, sagte POTUS bitter, seine Office-Stimmung wieder voll in Fahrt. »Ich tue den Job, halte die Reden und versuche, etwas sinnvolle Arbeit zu leisten. Aber verdammt sicher ist, daß es nicht wert ist, sich von neun Terroristen die Tochter fast killen zu lassen. Auf diesem Planeten gibt es nur eins, was man hinterläßt: seine Kinder. Darum geht's, Arnie.«

»Es sind ein paar harte Tage gewesen, und …«

»Was ist mit den Agenten, die starben? Und ihren Familien? Ich bin hier schon so eingesessen, daß ich kaum an sie gedacht habe. Es ist ja wichtig, daß ich mich mit so was nicht aufhalte, richtig? Auf was soll ich mich konzentrieren? ›Pflicht, Ehre, Vaterland‹? Wer dazu fähig ist und seine Menschlichkeit abschalten kann, gehört nicht hierher, und der Job beginnt, mich in einen solchen Menschen zu verwandeln.«

»Sind Sie fertig, oder soll ich Ihnen einen Karton Taschentücher besorgen?« Einen Augenblick lang sah es aus, als wolle der Präsident van Damm eine kleben. Arnie trotzte sich durch. »Jene Agenten starben, weil sie Jobs wählten, die ihnen wichtig erschienen. Soldaten tun's genauso. Wie zur Hölle glauben Sie, daß ein Land entsteht? Durch nette Gedanken? So blöde sind Sie früher nicht gewesen. Sie waren mal ein Marine. Haben Ihren Teil für CIA getan. Da hatten Sie noch Klöten. Sie haben einen Job, zu dem Sie sich freiwillig gemeldet haben, auch wenn Sie's nicht zugeben wollen. Und jetzt sind Sie hier. Sie wollen davonlaufen, gut – laufen Sie. Sagen Sie nicht, es sei einerlei. Wenn Menschen zum Schutz Ihrer Familie gestorben sind, verfluchte Scheiße, wagen Sie zum Teufel noch mal nicht, zu behaupten, es wäre wurscht.« Van Damm stürmte aus dem Office heraus, ohne sich um die Tür hinter sich zu kümmern.

Ryan wußte dann eigentlich nicht, was tun. Er setzte sich an den Schreibtisch. Da waren die üblichen Papierstapel, geordnet vom nimmermüden Stab. Hier China, da der Nahe Osten, dort Indien. Hier gab es Vorinformation zu den Wirtschaftsindikatoren, da politische Vorhersagen zu den 161 Kongreßsitzen, die in zwei Tagen besetzt würden. Hier war ein Bericht zum Terroristenüberfall. Hier war eine Liste der gefallenen Agenten, mit Listen der Ehegattinnen, Eltern und Kinder und, im Fall von Don Russel, Enkelkinder. Die Gesichter kannte er alle, aber Jack mußte zugeben, daß er sich die Namen nicht alle gemerkt hatte. Sie waren gestorben, um sein Kind zu schützen, und er wußte nicht mal alle Namen. Schlimmer noch, er hatte zugelassen, das man ihn wegkarrte, ihn in weiterem Komfort schwelgen – und vergessen ließ. Aber hier war alles auf dem Schreibtisch, wartete auf ihn und würde nicht verschwinden. Und er konnte auch nicht weglaufen. Er stand auf und ging raus, bog nach links ab zu Arnies Büro, an Secret-Service-Agenten vorbei, die den Austausch sicher gehört und sich eigene Gedanken gemacht hatten.

»Arnie?«

»Ja, Mr. President?«

»Es tut mir leid.«

»Okay, Süße«, stöhnte er. Er würde morgen zum Arzt gehen. Nichts war besser geworden, vielmehr schlimmer. Wenn er's nur verschlafen könnte, aber das ging nicht. Nur die Erschöpfung gönnte ihm hier und da eine Stunde. Das bloße Aufstehen, um zum Klo zu gehen, erforderte ein paar Minuten konzentrierter Mühe. Seine Frau wollte dabei helfen, aber nein, dafür braucht ein Mann keine Begleitung. Andererseits hatte sie recht: Er mußte zum Arzt. Wäre er doch schon gestern gegangen, dachte er. Dann hätte er sich heute besser gefühlt.

Das Vorgehen war leicht gewesen. Der Tresorraum mit dem Bandarchiv hatte Ausmaße wie eine respektable Bibliothek, und alles war leicht auffindbar. Dort auf dem fünften Regal waren drei Beta-Kassetten in ihren Schutzhüllen. Plumber nahm sie und ersetzte die Bänder in den Hüllen durch leere. Die drei Bänder nahm er in seiner Aktentasche mit heim, wo aus praktischen Gründen ein Betamax kommerzieller Art stand. Er spielte die Bänder des ersten Interviews ab, um sicherzugehen, daß sie nicht beschädigt waren. Sie waren intakt. Die mußten in sichere Verwahrung.

Dann entwarf John Plumber sein Drei-Minuten-Kommentar für die Abendnachrichten des nächsten Tages. Es wurde eine milde Kritik der Präsidentschaft Ryans. Dafür brauchte er eine Stunde, da er im Gegensatz zum derzeit typischen TV-Reporter Wert legte auf eine gewisse sprachliche Eleganz. Er druckte die Rede aus und las sie durch, denn Fehlerkorrektur und das Redigieren fielen ihm auf Papier leichter als am Monitor. Zufrieden kopierte er das Stück auf Diskette, von der im Studio später eine Fassung für den Teleprompter gemacht würde. Dann komponierte er ein weiteres Kommentarstück gleicher Länge, das er ebenfalls druckte. Mit diesem befaßte sich Plumber deutlich länger. Wenn es sein beruflicher Schwanengesang werden sollte, mußte es anständig sein, und dieser Reporter, der schon eine Menge Nachrufe für andere erstellt hatte, wollte seinen eigenen perfekt haben. Mit der abschließenden Fassung zufrieden, machte er davon einen Ausdruck und stopfte die Seiten in seine Aktentasche neben die Kassetten. Die Seiten würde er nicht auf Diskette kopieren.

»Ich schätze, daß die fertig sind«, sagte der Chief Master Sergeant.

Die Aufnahme vom Predator zeigte die Panzerkolonnen auf dem Rückweg ins Lager, Turmluken offen, Besatzungen sichtbar, meist rauchend. Die Manöver waren für die frischgebackene UIR-Armee gut verlaufen, und auch jetzt führten sie ihre Straßenbewegung gut geordnet durch.

Major Sabah hatte erwartet – gehofft –, daß der neue Nachbar seines Landes zur Integration seiner Streitmächte viel länger gebraucht hätte, aber die Gemeinsamkeiten der Ausstattung und der Kampfdoktrin hatte sie begünstigt. Radiomeldungen, die hier und bei STORM TRACK kopiert worden waren, wiesen darauf hin, daß die Übung vorbei war. Durch die TV-Aufnahmen des UAV wurde dies bestätigt, und Bestätigung war wichtig.

»Merkwürdig …«, bemerkte der Sergeant, selbst überrascht.

»Wie bitte?« fragt Sabah.

»Entschuldigung, Sir.« Der NCO stand auf, ging zum Eckschrank und entnahm eine Karte, die er bei der Werkstation ausbreitete. »Dort gibt es keine Straße. Schauen Sie, Sir.« Er verglich die Kartenkoordinaten mit denen auf dem Monitor – der Predator trug sein eigenes GPS-System und meldete seine Position automatisch an die Operateure – und tippte auf den richtigen Kartenabschnitt. »Sehen Sie?«

Der kuwaitische Offizier blickte zwischen Karte und Bildschirm hin und her. Auf letzterem gab es jetzt eine Straße, aber das war leicht erklärt. Eine 100-Panzer-Kolonne könnte fast jede Oberfläche zu einer Art hartgepreßter Straße umwandeln, und das war hier geschehen.

Vorher aber hatte es dort keine gegeben. Das hatten die Panzer erst in den letzten paar Stunden besorgt.

»Das ist eine Veränderung, Major. Früher war Iraks Armee immer straßengebunden.«

Sabah nickte. Es war so offensichtlich, daß es ihm nicht aufgefallen war. Die Armee Iraks hatte 1991 an der eigenen Zerstörung durchs Festhalten an den Straßen mitgewirkt. Es ließ ihre Bewegungen vorhersagen und hatte den vorrückenden Alliierten die Freiheit gelassen, aus unerwarteten Richtungen anzugreifen.

Das hatte sich geändert.

»Meinen Sie, die haben auch GPS?« fragte der Chief Master Sergeant.

»Haben Sie erwartet, daß sie auf ewig dumm bleiben?«

*

Präsident Ryan küßte seine Frau auf dem Weg zum Aufzug. Die Kinder waren noch nicht auf. Ben Goodley erwartete ihn im Hubschrauber.

»Hier sind Adlers Notizen von der Teheran-Reise.« Der National Security Advisor reichte sie ihm. »Außerdem die Zusammenfassung zu Peking. Die Arbeitsgruppe trifft sich zur Lagebesprechung um zehn.«

»Danke.« Jack schnallte sich an und begann zu lesen. Arnie und Callie kamen an Bord und nahmen Sitze vor ihm ein.

»Irgendwelche Ideen, Mr. President?« fragte Goodley.

»Ben, die sollten von Ihnen kommen, oder?«

»Wie wär's mit: Für mich ergibt's keinen Sinn?«

»Den Teil kenn' ich schon. Sie bewachen heute die Telefone und Faxe. Scott sollte jetzt in Taipeh sein. Was auch immer von ihm kommt, geht schnellstens weiter an mich.«

»Ja, Sir.«

Der Helikopter ruckte nach oben. Ryan bemerkte es kaum. Seine Gedanken kreisten um den Job, so beknackt der auch war. Price und Raman waren bei ihm. Auf der 747 gab's dann noch mehr, und weitere Agenten warteten bereits in Nashville. Die Präsidentschaft von John Patrick Ryan ging weiter, ob's ihm gefiel oder nicht.

Die Land mochte klein sein, vielleicht unwichtig, sogar ein Paria der internationalen Gemeinschaft – wegen des größeren und weniger wohlhabenden Nachbarn im Westen –, aber es hatte eine gewählte Regierung, und das sollte in der Gemeinschaft der Nationen eigentlich zählen.

Die Volksrepublik war mit Waffengewalt entstanden – wie die meisten, erinnerte sich SecState – und hatte prompt Millionen seiner eigenen Bürger abgeschlachtet; hatte ein revolutionäres Entwicklungsprogramm gestartet (›der Große Sprung nach vorne‹), das in noch größerem Unglück mündete, als für marxistische Nationen die Norm war; hatte dann eine weitere interne ›Reform‹ (›die Kulturrevolution‹) begonnen, deren Vorläufer in etwa ›Hundert-Blumen-Kampagne‹ hieß, mit dem tatsächlichen Zweck, potentielle Dissidenten hervorzulocken, damit ihnen revolutionäre Studenten später den Garaus machten. Der revolutionäre Eifer der letzteren gegen die Kultur Chinas war tatsächlich revolutionär – man hatten sie zugunsten des Kleinen Roten Buches fast ausgemerzt. Dann gab es noch mehr Reform, den angeblichen Wechsel vom Marxismus zu etwas anderem, eine weitere Studentenrevolution – diesmal gegen das bestehende politische System –, die man arrogant vor den Fernsehern der Welt mit Panzern und Maschinengewehren geplättet hatte. Desungeachtet schien die restliche Welt bereit zu sein, der Volksrepublik zu gestatten, ihre Cousins auf Taiwan zu zerschmettern.

Das nannte man Realpolitik, dachte Scott Adler. Ähnliches hatte im Holocaust geendet, dem sein Vater entkommen war, mit einer am Unterarm tätowierten Nummer als Beweis. Auch sein Land verfolgte offiziell eine Ein-China-Politik, mit der unausgesprochenen Nebenregel, daß die PRC die ROC nicht angreifen durfte, sonst könnte Amerika vielleicht doch reagieren – oder auch nicht.

Adler war ein Karrierediplomat, von Cornell und der Fletcher School of Law and Diplomacy an der Tufts University graduiert. Er liebte sein Land. Er war oft ein Instrument seiner Politik, und er fand sich nun als ihre wahrhaftige Stimme in internationalen Angelegenheiten. Doch oft war, was er zu sagen hatte, nicht gerade gerecht, und in solchen Augenblicken fragte er sich, ob er nicht auch so handelte wie sechzig Jahre zuvor andere Fletcher-Absolventen, wohlgebildet und wohlmeinend, die sich am Ende fragten, wie verflucht blind sie gewesen sein mußten, den Ausgang der Sache nicht vorherzusehen.

»Wir haben Fragmente – eigentlich einige größere Raketenteile, die in der Tragfläche hängenblieben. Sie ist definitiv aus der PRC«, sagte der ROC-Verteidigungsminister. »Wir gestatten Ihren Technikern die Überprüfung und Durchführung bestätigender Tests.«

»Danke. Ich werde es mit meiner Regierung besprechen.«

»So.« Dies war der Außenminister. »Die erlauben Direktflug von Peking nach Taipeh. Sie protestieren nicht gegen die Entsendung eines Flugzeugträgers. Sie leugnen jede Beteiligung am Airbus-Zwischenfall.

Ich gebe zu, ich sehe in diesem Verhalten keinen Sinn.«

»Ich freue mich, daß man nur Interesse an der Wiederherstellung regionaler Stabilität bekundet.«

»Wie nett von ihnen«, sagte der Verteidigungsminister. »Nach eigener, vorsätzlicher Störung.«

»Dies hat uns wirtschaftlich stark geschadet. Wieder werden ausländische Investoren nervös, und mit der Kapitalflucht kommen wir in leichte Verlegenheit. Meinen Sie, das ist deren Absicht?«

»Herr Minister, wäre das der Fall, hätte man mich direkt herfliegen lassen?«

»Offensichtlich irgendeine List«, antwortete der Außenminister, bevor der Verteidigungsminister etwas sagen konnte.

»Aber wenn, wozu?« wollte Adler wissen. Verdammt, sie waren Chinesen. Vielleicht konnten sie es austüfteln.

»Wir sind hier sicher. Wir wissen es, auch wenn es ausländischen Investoren nicht einleuchtet. Dennoch ist die Lage etwas unglücklich.

Wie das Leben in einer Wasserburg. Draußen ist ein Löwe, der uns töten und fressen will. Er kann den Graben nicht überspringen und weiß es, versucht es aber trotzdem immer wieder. Ich hoffe, Sie verstehen unsere Sorgen.«

»Das tu' ich, Sir«, versicherte ihm SecState. »Sollte die PRC den senken, würden Sie das auch tun?« Auch wenn sie die Absicht der PRC nicht entziffern konnten, ließe sich die Lage vielleicht doch entspannen.

»Im Prinzip ja. Die genauen Details besprechen Sie bitte mit meinem Kollegen hier. Sie werden uns nicht unvernünftig finden.«

Und der ganze Flug für diese einfache Aussage. Nun mußte Adler nach Peking zurück, um sie abzuliefern. ›Ehestifter, Ehestifter‹ …

Hopkins hatte eine eigene Kindertagesstätte, permanent besetzt und immer mit einigen Universitätsstudenten im Praktikum für ihr Hauptfach Kinderfürsorge. Katie ging rein, sah sich um und war von der vielfarbigen Umgebung begeistert. Hinter ihr waren vier Agenten, alle männlich, denn es gab gerade keine Frauen ohne Auftrag. In der Nähe waren drei Zivilbeamte der Baltimore City Police, und nach gegenseitigem Ausweischeck begann wieder ein Tag für SURGEON und SANDBOX. Katie hatte den Hubschrauberflug genossen. Heute würde sie neue Freunde gewinnen, aber abends, das wußte ihre Mutter, würde sie fragen, wo Miss Marlene wäre. Wie erklärte man einer knapp Dreijährigen den Tod?

Die Menge applaudierte mit mehr als der üblichen Wärme. Ryan spürte es. Hier war er, nicht mal drei Tage nach einem Attentat auf seine jüngste Tochter, machte für alle seinen Job, zeigte Stärke und Mut und all den anderen Scheiß, dachte POTUS. Begonnen hatte er mit einem Gebet für die gefallenen Agenten, und Nashville lag im Bibel-Gürtel, wo man so was ernst nahm. Der Rest der Rede war eigentlich ganz gut geraten, fand der Präsident, und behandelte Dinge, an die er wirklich glaubte. Gesunden Menschenverstand, Ehre, Pflicht. Es war nur so, das ihm seine Stimme mit den Worten, die jemand anderes geschrieben hatte, hohl klang, und es fiel ihm schwer, so früh am Morgen seine Gedanken daran zu hindern, abzuschweifen.

»Danke, und Gott schütze Amerika«, schloß er ab. Die Menge jubelte.

Die Band legte wieder los. Ryan schüttelte den lokalen Größen die Hände und verließ winkend die Bühne. Arnie wartete hinter dem Vorhang.

»Für einen Gauner gar nicht schlecht.« Ryan gelang noch keine Erwiderung, da kam Andrea heran.

»FLASH-Nachricht wartet im Vogel auf Sie, Sir. Von Herrn Adler.«

»Okay, ab dafür. Bleiben Sie in der Nähe«, sagte er der Chefagentin auf dem Weg zum hinteren Ausgang.

»Immer«, versicherte ihm Price.

»Mr. President«, rief ein Reporter. Da war eine ganze Schar. Heute morgen war er der lauteste. Es war einer vom NBC-Team. Ryan drehte sich um. »Werden Sie den Kongreß zu einer neuen Gesetzgebung für die Kontrolle von Feuerwaffen drängen?«

»Weshalb?«

»Der Angriff auf Ihre Tochter war …«

Ryan hob die Hand. »Okay, soweit ich's verstehe, ist der verwendete Waffentyp bereits verboten. Ich kann leider nicht erkennen, was da ein neues Gesetz bewirken sollte.«

»Aber Befürworter sagen …«

»Ist mir bekannt, was die sagen. Und jetzt benützt man einen Angriff auf meine Kleinste und den Tod von fünf großartigen Amerikanern, um eigene politische Ziele zu verfolgen. Was halten Sie davon?« fragte der Präsident und ließ ihn stehen.

»Wo liegt das Problem?«

*

Er beschrieb seine Symptome. Der Hausarzt war ein alter Freund; sie spielten sogar Golf miteinander. Das war nicht schwer. Am Ende jedes Jahres hatte der Cobra-Vertreter einen Haufen fast neuwertiger Vorführschläger. Viele wurden Jugendprojekten gespendet oder an Clubs als Mietstöcke verkauft. Aber einige konnte er Freunden weitergeben, ganz abgesehen von einigen Greg-Norman-Autogrammen.

»Nun, du hast Fieber, 39,4 Grad, das ist ein bißchen hoch. Der Blutdruck ist 100 zu 60, und das ist für dich etwas wenig. Du siehst saumäßig aus …«

»Ich weiß, ich fühle mich auch so.«

»Du bist krank, aber kein Grund, dich zu sorgen. Wahrscheinlich ein Grippevirus. All die Luftreisen sind auch keine Hilfe. Passiert ist folgendes: Du hast was eingefangen, und andere Faktoren haben's verschlimmert. Fing am Freitag an, nicht?«

»Donnerstag nacht, vielleicht Freitag morgen.«

»Trotzdem eine Runde gespielt?«

»Und mit einem Schneemann beendet«, gab er zu, das hieß 80 Schläge.

»Damit wäre ich gesund und stocknüchtern zufrieden.« Der Doktor fuhr ein Handicap von 20. »Du bist über fünfzig; du kannst dich nicht nachts mit den Schweinen suhlen und erwarten, morgens mit den Adlern zu fliegen. Völlige Ruhe, viel Flüssigkeit – ohne Alkohol. Das PCM nimmst du weiter.«

»Kein Rezept?«

Der Doc schüttelte den Kopf. »Antibiotika wirken nicht bei Viren.

Damit muß dein Immunsystem fertig werden. Aber wo du schon hier bist, nehme ich Blut ab. Eine Überprüfung deines Cholesterols ist längst fällig. Ich schick' die Schwester. Ist jemand da, der dich heimfährt?«

»Yeah, ich wollte nicht selber fahren.«

»Gut. Gib der Sache ein paar Tage. Cobra kommt solange ohne dich klar, und die Golfplätze sind noch da, wenn's dir wieder gutgeht.«

»Danke.« Er fühlte sich schon besser. Das tat man immer, wenn der Arzt einem sagte, man müsse nicht sterben.

*

»Bitte sehr.« Goodley reichte ihm das Blatt. Wenige Bürohäuser, einschließlich der sicheren der Regierung, hatten die Kommunikationseinrichtungen, die ins Oberdeck der VC-25 mit der Rufbezeichnung Air Force One gepfercht waren. »Die Nachricht ist gar nicht so schlecht.«

SWORDSMAN überflog es kurz und setzte sich, um es langsamer zu lesen. »Okay, er meint, er kann die Lage entschärfen«, bemerkte Ryan.

»Aber er weiß noch immer nicht, was für eine verdammte Lage es eigentlich ist.«

»Besser als gar nichts.«

»Hat die Arbeitsgruppe dies hier schon?«

»Ja, Mr. President.«

»Vielleicht finden die irgendeinen Sinn darin. Andrea?«

»Ja, Mr. President.«

»Sag dem Fahrer, es kann losgehen.« Er sah sich um. »Wo ist Arnie?«

»Ich rufe Sie über Handy an«, sagte Plumber.

»Toll«, antwortete van Damm. »Meins ist zufällig auch eins.« Die Einrichtungen im Flugzeug waren außerdem gesichert, mit STU-4-Eigenschaften. Das sagte er nicht. Er hatte nur einen treffenden Spruch gebraucht. John Plumber war definitiv nicht mehr auf seiner Liste für Weihnachtsgrußkarten. Leider war seine Direktwahl noch in Plumbers Rolodex. Schade, daß er die Nummer nicht ändern konnte. Er müßte seiner Sekretärin noch einschärfen, den Typen nicht mehr durchzustellen, zumindest nicht auf Reisen.

»Ich weiß, was Sie denken.«

»Gut, John. Dann muß ich's nicht sagen.«

»Schauen Sie sich die Sendung heut' abend an. Ich komm' zum Schluß dran.«

»Weshalb?«

»Werden Sie schon sehen, Arnie. Bis dann.«

Der Stabschef drückte die Kill-Taste und überlegte, was Plumber meinen könnte.

Dem Mann hatte er mal vertraut. Verdammt, er hatte auch seinem Kollegen vertraut. Er hätte dem Präsidenten vom Anruf berichten können, entschied sich aber dagegen. Es wäre unklug, ihm jetzt noch etwas aufzuladen. Beim Flug nach California würde die Sendung aufgenommen, und wenn es das wert war, würde er POTUS das Band vorführen.

*

»Ich wußte gar nicht, daß eine Grippe im Umlauf ist«, sagte er, als er sein Hemd wieder anzog. Dafür brauchte er eine Weile. Der Automanager hatte überall Schmerzen.

»Immer. Nur kommt es nicht immer in die Nachrichten«, antwortete der Arzt, als er die Befunde musterte, die seine Krankenschwester gerade notiert hatte. »Und Sie hat's erwischt.«

»Also?«

»Also machen Sie langsam. Nicht ins Büro gehen. Bringt nichts, Ihre ganze Firma anzustecken. Sie werden's durchstehen. Bis Ende der Woche sollte's Ihnen wieder gutgehen.«

*

Das SNIE-Team traf sich in Langley. Eine Tonne frischer Nachrichten war aus der Region Persischer Golf eingetroffen und wurde in einem Konferenzraum auf dem sechsten Stock durchsortiert. Chavez' Foto von Mahmoud Hadschi Daryaei war im Haus vergrößert worden und hing jetzt an der Wand. Vielleicht wird's zur Dartzielscheibe, dachte Ding.

»Kettendruck-Straßen«, grunzte der ehemalige Infanterist beim Predator-Video.

»Bißchen groß, ums mit'm Gewehr anzugehen, Sundance«, meinte Clark. »Die Biester haben mir immer 'ne Scheißangst eingejagt.«

»Die LAWS-Rakete schafft's locker, Mr. C.«

»Was ist die Reichweite einer LAWS, Domingo?«

»Vier-, fünfhundert Meter.«

»Die Rohre schießen zwei bis drei Kilometer«, bemerkte Clark.

»Denk drüber nach.«

»Ich bin mit der Hardware nicht auf Zack«, sagte Bert Vasco. Er wies zur Leinwand. »Was heißt das hier?«

Die Antwort kam von einem der CIA-Militär-Analytiker. »Es bedeutet, das UIR-Militär ist wesentlich besser beisammen, als wir vermutet hatten.«

Der vom Defense Intelligence Agency rübergeholte Army Major widersprach nicht. »Ich bin halbwegs beeindruckt. Die Übung war ziemlich Vanille, nicht zu kompliziert in den Truppenbewegungen, aber von vorn bis hinten durchorganisiert. Keiner ging verloren …«

»Glauben Sie, die verwenden jetzt GPS?« fragte der CIA-Analytiker.

»Jeder, der die Zeitschrift Yachting abonniert, kann die Dinger kaufen. Der Preis lag unter vierhundert Dollar, als ich zuletzt schaute«, erzählte der Offizier seinem Gegenstück in Zivil. »Es bedeutet viel bessere Ortsbestimmung für ihre Motorisierten. Mehr noch, es heißt, die Effektivität ihrer Artillerie wird massiv gesteigert. Weiß man, wo die Rohre liegen und wo der Beobachterposten ist und wo von ihm aus das Ziel liegt, geht schon die erste Salve ziemlich genau ins Ziel.«

»Vierfache Steigerung der Leistung?«

»Locker«, antwortete der Major. »Der ältere Herr dort an der Wand hat einen dicken Knüppel, mit dem er den Nachbarn zuwinken kann. Wird er ihnen auch zeigen, vermutlich.«

»Bert?« fragte Clark.

Vasco ruckte auf seinem Stuhl. »Es macht mir langsam Sorgen. Dies entwickelt sich unerwartet schnell. Hätte Daryaei nicht andere Probleme, wäre ich noch stärker beunruhigt.«

»Zum Beispiel?« fragte Chavez.

»Wie ein Land, das er konsolidieren muß; und er weiß sicher: Fängt er mit den Säbeln zu rasseln an, reagieren wir.« Der FSO hielt inne.

»Sicher will er die Nachbarn wissen lassen, wer neuerdings der Größte im Viertel ist. Wie knapp ist er dran, etwas anfangen zu können?«

»Wenn wir nicht im Bilde wären, jetzt. Aber wir sind im Bilde.«

»Ich bitte Sie jetzt, sich mir in einer Schweigeminute anzuschließen«, sagte Ryan in Topeka. Hier war es elf – zu Hause Mittag. Nächste Haltestelle Colorado Springs, dann Sacramento, dann, gütiger Himmel, heimwärts.

»Man muß sich fragen, welche Art Mann wir hier haben«, sagte Kealty vor seinen eigenen Kameras. »Fünf Männer und Frauen tot, und er sieht einfach nicht den Bedarf für ein Gesetz, das diese Feuerwaffen kontrolliert. Es übersteigt mein Begriffsvermögen, wie einer so kalt und herzlos sein kann. Nun, wenn ihm diese mutigen Agenten nichts bedeuten, mir schon. Wie viele Amerikaner werden noch sterben müssen, bevor er diesen Bedarf einsieht? Muß er erst wirklich ein Familienmitglied verlieren? Sorry, das kann ich einfach nicht glauben«, fuhr der Politiker für die Minicam fort.

»Wir wissen's doch alle noch. Leute kandidierten für die Wiederwahl zum Kongreß, und eine der Sachen, die sie uns sagten, war: ›Stimmen Sie für mich, denn für jeden Steuerdollar, der aus diesem Bezirk kommt, kommt dann ein Dollar zwanzig zurück.‹ Haben Sie diese Behauptungen noch im Gedächtnis?« fragte der Präsident.

»Was sie nicht sagten, war – nun, eigentlich eine ganze Menge. Erstens, wer hat je behauptet, man könne sich bei der Regierung auf Geld verlassen? Der Weihnachtsmann wird doch auch nicht gewählt. Es ist andersrum. Die Regierung kann's ohne Ihr Geld nicht geben.

Zweitens, wollen die Ihnen sagen, ›Stimmt für mich, weil ich's den gemeinen Leuten in North Dakota wirklich zeigen werde‹? Sind die nicht auch Amerikaner?

Drittens ist der Grund hierfür in Wahrheit, daß defizitäre Regierungsausgaben bedeuten, jeder Bezirk bekommt zahlenmäßig mehr zurück, als durch Bundessteuern abfließen – Verzeihung, ich meine direkte Bundessteuern. Die, die man sieht.

Also prahlten die vor Ihnen, daß sie mehr Geld ausgaben, als sie hatten. Wenn Ihr Nachbar Ihnen sagen würde, er betreibe Scheckprellerei mit Ihrer eigenen Bank, meinen Sie nicht, daß Sie zur Polizei gehen würden?

Wir wissen alle, daß die Regierung tatsächlich mehr nimmt, als sie zurückgibt. Sie hat's bloß besser verstecken gelernt. Das Defizit im Bundeshaushalt bedeutet, daß, wann immer Sie Geld borgen, es mehr kostet als nötig – warum? Weil die Regierung sich so viel borgt, daß die Zinsraten hochgetrieben werden.

Und so, meine Damen und Herren, enthält jede Rate für Ihre Hypothek, für Ihren Wagen, für die Kreditkartenrechnung, alles eine Art Steuer. Vielleicht sind Ihre Zinskosten steuerbegünstigt. Wie nett«, sagte POTUS. »Die Regierung läßt Ihnen Steuern für Zahlungen nach, die Ihnen ohne sie eigentlich gar nicht entstehen würden, und dann behaupten die, Sie bekämen mehr zurück, als Sie eingezahlt hätten.« Ryan hielt inne.

»Meine Damen und Herren. Ich bin kein Politiker und kein Fürsprecher bestimmter Bezirkskandidaten dieser Region für leere Sitze im Haus des Volkes. Ich bin hier mit der Bitte, daß Sie nachdenken. Auch Sie haben eine Verpflichtung. Die Regierung gehört Ihnen, nicht umgekehrt. Wenn Sie morgen wählen gehen, nehmen Sie sich die Zeit, darüber nachzudenken, was die Kandidaten sagen und wofür sie stehen.

Fragen Sie: ›Klingt dies vernünftig?‹ und treffen dann nach bestem Vermögen Ihre Wahl. Das schulden Sie Ihrem Land.«

Der Lieferwagen vom Reparaturdienst für Heizung und Klimaanlagen fuhr in die Auffahrt, und zwei Männer stiegen aus und kamen auf die Veranda. Einer klopfte.

»Ja?« fragte die Dame des Hauses verwirrt.

»FBI, Frau Sminton.« Er zeigte seinen Ausweis. »Dürften wir bitte hereinkommen?«

»Weshalb?« fragte die zweiundsechzigjährige Witwe.

»Sie könnten uns mit etwas helfen, wenn Sie wünschen.« Es hatte länger gedauert als erwartet. Der Weg der Waffen im SANDBOX-Fall war zum Hersteller, von dort zum Großhändler, zum Händler, zu einem Namen und schließlich zu einer Adresse verfolgt worden. Mit der Adresse waren Bureau und Secret Service zum Richter am US-Bezirksgericht gegangen, um einen Durchsuchungs- und Festnahmebefehl zu bekommen.

»Bitte, kommen Sie rein.«

»Danke. Frau Sminton, kennen Sie den Herrn nebenan?«

»Sie meinen Mr. Azir?«

»Richtig.«

»Nicht sehr gut. Manchmal winke ich.«

»Wissen Sie, ob er zur Zeit daheim ist?«

»Sein Wagen ist weg«, sagte sie. Die Agenten wußten das bereits. Ein Oldsmobile mit Maryland-Schildern. Jeder Cop im Umkreis von zweihundert Meilen war danach auf der Suche.

»Wissen Sie, wann Sie ihn zuletzt gesehen haben?«

»Freitag, schätz' ich. Da waren auch andere Wagen da und ein Laster.«

»Okay.« Der Agent zog ein Funkgerät aus der Overalltasche. »Vorrücken, vorrücken. Vogel ist wahrscheinlich – wiederhole wahrscheinlich – schon ausgeflogen.«

Vor den staunenden Augen der Witwe erschien ein Hubschrauber direkt überm Haus, dreihundert Meter entfernt. Seile zischten zu beiden Seiten herab, und bewaffnete Agenten glitten daran herunter. Von beiden Richtungen der Landstraße rauschten vier Wagen heran, über den breiten Rasen gerade aufs Wohnhaus zu. Für diesen Fall war die Lösung: nicht rumfackeln. Vorder- und Hintertür wurden eingetreten – dreißig Sekunden später ging eine Sirene los. Anscheinend hatte Mr. Azir eine Alarmanlage. Dann knisterte das Funkgerät.

»Klar, Gebäude ist klar. Hier spricht Betz. Suche komplett, Gebäude ist klar. Labortruppe vor.« Damit erschienen zwei Lieferwagen, fuhren die Einfahrt hoch, und eine der ersten Handlungen der Insassen war die Entnahme von Kies- und Grasproben dort zum Vergleich mit Abschabungen von den Mietwagen bei Giant Steps.

»Mrs. Sminton, dürften wir bitte Platz nehmen? Es gibt da ein paar Fragen, die wir Ihnen gern über Mr. Azir stellen würden.«

»Also?« fragte Murray, als er in der FBI-Kommandozentrale eintraf.

»Kein Glück«, sagte der Agent an der Konsole.

»Verdammt.« Hatte er auch nicht erwartet. Er erwartete jedoch einige wichtige Neuigkeiten. Das Labor hatte jede Menge physischer Beweismittel sichergestellt. Kiesproben könnten zur Einfahrt passen. Gras und Dreck vom Inneren der Kotflügel und Stoßstangen könnten die Fahrzeuge mit Azirs Haus verbinden. Teppichfasern – dunkle, kastanienbraune Wolle – an den Schuhen der toten Terroristen könnten den Aufenthalt dort beweisen. Im Moment war ein Zehnerteam dabei festzustellen, wer genau dieser ›Mordecai Azir‹ war. Die Wetten gingen dahin, daß er in etwa so jüdisch war wie Adolf Eichmann. Keiner wollte dagegenhalten.

»Kommandozentrale, hier Betz.« Billy Betz war Assistant-SAC vom Baltimore Field Division und ein ehemaliger HRT-Schütze, daher der dramatische Abstieg vom Helikopter als Anführer seiner Männer … und einer Frau.

»Billy, hier ist Dan Murray. Was haben Sie für mich?«

»Können Sie's glauben? Eine halbleere Kiste .762er Kugelmunition mit passender Chargennummer. Wohnzimmer hat einen tief rotbraunen Teppich. Hier sind wir richtig. Bei den Kleidern im Schrank des Hauptschlafzimmers sind Lücken. Schätzungsweise seit einigen Tagen keiner hiergewesen, würde ich sagen. Der Standort ist sicher. Keine Selbstschußfallen. Die Labortruppe leiert ihre Routine an.« Und das achtzig Minuten, nachdem SAC Baltimore das Bundesgericht in Garmatz betreten hatte. Nicht schnell genug, aber flott.

Die Beweismittel-Experten waren eine Mischung aus FBI, USSS und BATF. Sie würden das Haus noch stundenlang auf den Kopf stellen.

Jeder trug Handschuhe. Jede Oberfläche würde auf Fingerabdrücke untersucht, zum Vergleich mit denen der Terroristen.

»… Meine Damen und Herren, deshalb ist Ihre Aufgabe so wichtig, morgen die Richtigen für den Dienst an Ihnen zu wählen. Viele von Ihnen haben eigene Geschäfte und stellen Leute ein, die für Sie arbeiten. Die meisten haben Häuser und stellen gelegentlich Klempner, Elektriker, Tischler für benötigte Arbeiten ein. Sie versuchen, für solche Arbeiten die richtigen Leute auszuwählen, weil Sie für die Arbeit zahlen und sie sauber erledigt haben wollen. Wenn Ihr Kind krank ist, suchen Sie möglichst die besten Ärzte aus – Sie achten darauf, was ärztlich getan wird und mit welchem Können. Warum? Weil nichts für Sie wichtiger wäre als das Leben Ihres Kindes.

Auch Amerika ist Ihr Kind. Amerika ist stets jung. Amerika benötigt die richtigen Leute, die nach dem Rechten schauen. Es ist Ihre Aufgabe, die Richtigen auszuwählen, unabhängig von Partei oder Rasse oder Geschlecht oder irgend etwas anderem als Talent und Aufrichtigkeit.

Ich kann und ich will Ihnen nicht sagen, welcher Kandidat Ihrer Stimme würdig ist. Gott gab Ihnen den freien Willen. Die Verfassung dient Ihrem Recht, diesen Willen auszuüben. Wenn Sie es versäumen, Ihren Willen mit Bedacht auszuüben, haben Sie sich selbst verraten, und dann kann weder ich noch sonst irgend jemand das wieder für Sie richten.

Vielen Dank, daß Sie mir bei meinem ersten Besuch in Colorado Springs zuhören kamen. Morgen ist Ihr Tag. Nutzen Sie ihn bitte, die richtigen Leute anzustellen.«

»In einer Serie von Reden, die eindeutig darauf abzielen, konservative Stimmen zu gewinnen, klapperte President Ryan das Land am Vorabend der House-Wahlen ab, doch während Bundesbeamte den Terroristenüberfall auf seine Tochter untersuchen, hat der Präsident glatt den Gedanken an verbesserte Gesetze zur Kontrolle von Feuerwaffen abgeschmettert. Dieser Bericht kommt vom NBC-Korrespondenten Hank Roberts, der heute mit der Reisegruppe des Präsidenten unterwegs ist.« Tom Donner sah weiter in die Kamera, bis das rote Licht erlosch.

»Meiner Meinung nach hat er heute einige gute Sachen gesagt«, bemerkte Plumber, während das Band durchlief.

»Komisch, früher hat Callie Weston mal tolle Reden geschrieben«, äußerte sich Donner beim Durchblättern seiner Vorlage.

»Hast du die Rede gelesen?«

»John, hör auf. Das muß ich nicht lesen. Wir wissen, was er sagen wird.«

»Zehn Sekunden«, rief der Direktor in ihre Ohrhörer.

»Übrigens, nette Vorlage für später, John.« Das Gesicht fabrizierte bei ›drei‹ ein Lächeln.

»Eine riesige Arbeitsgruppe aus Bundesbeamten untersucht jetzt die Attacke vom Freitag auf die Tochter des Präsidenten. Diesen Bericht haben wir von Karin Stabler aus Washington.«

»Dachte, er würde dir gefallen, Tom«, antwortete Plumber, als die Lampe wieder dunkel wurde. Um so besser, dachte er. Sein Gewissen war jetzt rein.

Die VC-25 hob rechtzeitig ab und wich wegen ungünstigen Wetters im Norden New Mexicos nach Norden aus. Arnie van Damm war oben im Kommunikationsbereich. Hier gab es genug wichtigtuerische Kästen, so schien es, die halbe Welt zu regieren, und unter der Haut des Flugzeugs versteckt war eine Satellitenschüssel groß genug, fast alles zu empfangen. Auf die Bitte des Stabschefs hin empfing sie gerade die NBC-Ausstrahlung von einem Hughes-Vogel.

»Es folgt ein abschließender Kommentar unseres Spezialkorrespondenten John Plumber.« Donner drehte sich gnädig ihm zu. »John.«

»Danke, Bob. Dem Beruf des Journalisten habe ich mich vor vielen Jahren verschrieben, weil ich in meiner Jugend dazu inspiriert wurde«, erklärte er. »Ich weiß noch, wie ich Ed Morrow während des Blitzkriegs in London zuhörte, Eric Sevareid aus den Dschungeln Burmas und all den Gründervätern meines Berufes. Ich bin aufgewachsen mit Bildern, die im Geiste entstanden aus Wörtern von Männern, denen ganz Amerika vertraute, die nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit sagten. Ich entschied, die Berufung, Wahrheit zu finden und sie dem Volk nahezubringen, wäre so nobel wie jede andere, die ein Mann – oder eine Frau – anstreben konnte.

Wir sind nicht immer vollkommen, wir aus diesem Geschäft«, fuhr Plumber fort.

Zu seiner Rechten betrachtete Donner verblüfft den Teleprompter.

Dies war nicht, was vor der Kameralinse Vorbeiscrollte, und er erkannte, daß Plumber zwar gedruckte Seiten vor sich hatte, aber die Rede aus dem Gedächtnis vortrug. Man stelle sich's vor. Wie in alten Zeiten anscheinend.

»Ich würde gern sagen, ich wäre stolz darauf, in diesem Beruf zu sein. Ich war's mal. Ich war am Mikrofon, als Neil Armstrong seinen Fuß auf den Mond setzte, und bei traurigen Anlässen, wie Jack Kennedys Begräbnis. Aber professionell zu sein heißt nicht, nur dabeizusein. Es bedeutet, sich zu etwas bekennen, an etwas glauben, für etwas einstehen zu müssen.

Vor wenigen Wochen haben wir an einem Tag Präsident Ryan zweimal interviewt. Das erste Gespräch kam morgens aufs Band, das zweite machten wir live. Mit etwas anderen Fragen. Dafür gibt's einen Grund.

Zwischen dem ersten und zweiten Interview wurden wir zu jemandem bestellt. Den Namen sage ich jetzt noch nicht, sondern später. Die Person gab uns Information: empfindliche Information, die dem Präsidenten schaden sollte. Zu der Zeit sah's wie eine gute Story aus. War's nicht, doch das wußten wir nicht. Zu der Zeit sah's aus, als hätten wir die falschen Fragen gestellt. Wir wollten bessere stellen.

Also logen wir. Wir belogen Arnie van Damm, Stabschef des Präsidenten; sagten ihm, die Bänder seien irgendwie beschädigt worden. Damit belogen wir den Präsidenten ebenfalls. Am schlimmsten aber: Wir haben auch Sie belogen. Die Bänder habe ich in Verwahrung genommen. Sie sind in keiner Weise beschädigt.

Es war kein Gesetzesbruch. Der erste Verfassungszusatz erlaubt uns fast alles, und das ist in Ordnung, weil Sie da draußen oberste Richter dessen sind, was unsereiner tut und wer er ist. Aber eines dürfen wir nicht tun: Das von Ihnen in uns gesetzte Vertrauen brechen.

Ich bin kein Anhänger von Präsident Ryan. Mit seiner Politik stimme ich persönlich in vielem nicht überein. Wenn er zur Wiederwahl anstünde, würde ich jemand anderen wählen. Aber ich war an der Lüge beteiligt und kann damit nicht leben. Bei allen Fehlern ist John Patrick Ryan ein ehrbarer Mensch, und ich darf meine Arbeit nicht vom persönlichem Gefühl für oder wider einen Menschen oder eine Sache beeinflussen lassen.

Diesmal tat ich es. Das war falsch. Es ist an mir, mich zu entschuldigen, beim Präsidenten – und bei Ihnen. Es mag das Ende meiner Karriere als Fernsehjournalist sein. Aber wenn, so will ich sie verlassen, wie sie begonnen hat: die Wahrheit sagen, so gut ich's kann.«

»Gute Nacht, von NBC News.« Plumber atmete tief ein, als er die Kamera anstarrte.

»Was zum Teufel sollte denn das alles?«

Plumber stand auf. »Wenn du das fragen mußt, Tom …«

Das Telefon an seinem Platz läutete – in Wirklichkeit blinkte ein Lämpchen. Plumber entschied sich, nicht ranzugehen und ging zur Garderobe. Tom Donner würde selbst zusehen müssen, wie er damit klarkam.

Zweitausend Meilen entfernt, über dem Rocky Mountain National Park, stoppte Arnie van Damm den Videorecorder, ließ das Band auswerfen und trug es die Wendeltreppe hinab zur Kabine des Präsidenten.

Ryan ging gerade den Text seiner nächsten und letzten Rede dieses Tages durch.

»Jack, ich glaube, das wollen Sie sehen«, sagte er und grinste breit.

*

Für alles muß es einen ersten Fall geben. Diesmal war es in Chicago. Sie war Samstag nachmittag zu ihrem Arzt gegangen und hatte denselben Rat erhalten wie alle anderen. Grippe. Aspirin. Flüssigkeit. Bettruhe.

Aber beim Blick in den Spiegel sah sie Verfärbungen ihres hellen Teints, und das ängstigte sie mehr als alle übrigen Symptome zuvor. Diese Flecken konnten nicht warten, also stieg sie in ihren Wagen und fuhr zum University of Chicago Medical Center, einer der besten Kliniken Amerikas. In der Notaufnahme wartete sie rund vierzig Minuten, bis man sie aufrief. Den Weg zum Pult schaffte sie aber nicht und fiel vor den Augen der Verwaltungsleute auf die Bodenkacheln. Das hieß ›Action‹, und gleich darauf rollten zwei vom Krankentransport sie auf der Trage nach hinten zur Behandlung, eine der Verwaltungsleute mit Formularen im Schlepptau.

Zuerst schaute ein junger Assistent, nicht ganz im zweiten Jahr internistischer Weiterbildung, nach der Patientin.

»Was gibt's?« fragte er, als die Schwestern loslegten: Puls, Blutdruck, Atmung.

»Hier.« Die Frau von der Aufnahme gab ihm die Formulare. Der Arzt sah sie durch.

»Grippesymptome, wie's aussieht, aber was ist das?«

»Puls ist 120, Blutdruck ist – Moment mal!« Die Schwester pumpte erneut. »Blutdruck nur 90 zu 50?« Dafür sah sie doch viel zu normal aus.

Der Arzt knüpfte gerade die Bluse der Patientin auf. Und da war es.

Die Klarheit des Augenblicks rief ihm wie ein Blitz Textbuchpassagen vors geistige Auge. Er hob die Hände.

»Leute. Sofort aufhören! Alle! Wir haben hier vielleicht ein großes Problem. Ich will jeden in frischen Handschuhen, Masken für alle, sofort.«

»Fieber, 40,2.« Das kam von einer anderen Schwester, die gerade von der Patientin zurücktrat.

»Das hier ist keine Grippe. Wir haben wesentlichen Blutverlust, und das sind Petechien.« Der Assistenzarzt holte im Sprechen frische Handschuhe und Maske. »Dr. Quinn zu mir.«

Eine Schwester trabte los, während der Arzt rekapitulierte. Blutig erbrochen, schwarzer Stuhl. Blutdruck niedrig, Blutungen in die Haut.

Aber wir sind doch in Chicago! Eine Nadel.

»Alle weg, okay, keiner kommt in die Nähe meiner Hände und Arme«, sagte er. Er staute, traf die Vene und entnahm vier Röhrchen zu fünf Kubik.

»Was gibt's?« fragte Dr. Joe Quinn. Der Assistent erzählte und fragte dann selbst, als er die Blutproben auf ein Tablett legte.

»Was meinst du, Joe?«

»Wenn wir woanders wären …«

»Yeah. Womöglich hämorrhagisches Fieber.«

»Hat sie jemand gefragt, wo sie gewesen ist?« fragte Quinn.

»Nein, Doktor«, gab die Aufnahmeschreibkraft zu.

»Kühlpackungen«, sagte die Oberschwester, die Arme voll damit.

Diese gingen in die Achseln, unter die Kniekehlen, den Hals und sonstwo, um das potentiell tödliche Fieber zu senken.

»Epanutin?« dachte Quinn laut nach.

»Sie krampft noch nicht. Verflucht noch mal.« Der Oberarzt nahm eine Schere und schnitt den Büstenhalter weg. Frische Petechien bildeten sich am Torso. »Wir haben hier eine sehr kranke Dame. Schwester, rufen Sie Dr. Klein von Infektion. Der ist wohl jetzt zu Hause.

Sagen Sie ihm, wir brauchen ihn sofort. Wir müssen das Fieber senken, sie aufwecken und rausbekommen, wo zum Teufel sie gewesen ist.«