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Anordnungen
Es zeigte sich, daß sowohl Sato als auch sein Kopilot Blut gespendet hatten, um Opfern des unseligen Krieges gegen Amerika zu helfen, und durch die zum Glück niedrige Zahl Verwundeter war dieses Blut noch verfügbar. Mit Computerhilfe fand das Rote Kreuz Japans die Konserven, die Polizei holte Proben ab, schickte sie per Boten nach Washington, via Vancouver, und – japanischen Fliegern war es aus verständlichen Gründen noch verboten, die Vereinigten Staaten oder auch Alaska anzusteuern – eine VC-20 der Air Force brachte sie weiter nach Washington. Der Kurier war ein hoher Polizeibeamter, der Aluminiumkoffer mit Handschellen am linken Handgelenk befestigt. Ein Trio FBI-Agenten holte ihn auf Andrews ab und brachte ihn ins Hoover-Gebäude, Ecke Zehnte und Pennsylvania. Des FBIs DNA-Labor verglich dann diese Proben mit Blut- und Gewebeproben von den beiden Leichen. Die schon vorliegende Blutgruppenübereinstimmung ließ die Testergebnisse vorausahnen. Dennoch würden sie so ausgeführt, als wäre es der einzige, vage Hinweis in einem verwirrenden Fall. Dan Murray, amtierender Direktor, hielt sich sonst bei Ermittlungen nicht immer sklavisch an die Vorschriften, doch sie waren Heilige Schrift bei diesem Fall. Ihn unterstützte Tony Caruso, zurück aus dem Urlaub und mit der Leitung des FBI-Teils der Ermittlung betraut, rund um die Uhr bei der Arbeit, außerdem Pat O'Day als Springer-Inspektor, dazu Hunderte Nebendar-Stellen. Murray empfing den japanischen Kollegen im Besprechungszimmer des Direktors. Auch er hatte Probleme damit, gleich Bill Shaws Büro zu beziehen.
»Wir führen auch eigene Tests durch«, sagte Chefinspektor Tanaka Jisaburo und schaute auf seine Uhren – er hatte beschlossen, zwei zu tragen, eine mit Tokio- und eine mit Washington-Zeit. »Sowie sie vorliegen, werden Ihnen die Ergebnisse zugefaxt.« Dann öffnete er die erneut. »Dies ist unsere Rekonstruktion vom Ablauf Kapitän Satos letzter Woche, Notizen über Gespräche mit Verwandten und Kollegen, Hintergrundinformationen zu seinem Leben.«
»Prompte Arbeit. Vielen Dank!« Murray nahm die Blätter entgegen und war unsicher, was er als nächstes tun sollte. Offensichtlich wollte sein Besucher noch etwas sagen. Murray war Tanaka noch nie begegnet, doch was man über ihn sagte, war beeindruckend. Ein sehr erfahrener Ermittler, hatte sich Tanaka auf Politkorruptionsfälle spezialisiert, ein Gebiet, das ihn stark beschäftigte. Sein Beruf hatte ihn zu einem Priester von der Art gemacht, der sich Spanien zu Zeiten der Inquisition bediente. Damit war er bestens geeignet für diesen Fall.
»Sie bekommen unsere volle Unterstützung. Wenn Ihr Amt einen hohen Beamten zur Beaufsichtigung unserer Ermittlungen hinschicken will, bin ich autorisiert, Ihnen mitzuteilen, daß man es willkommen heißen wird.« Er schwieg einige Sekunden mit gesenktem Blick, ehe er fortfuhr: »Dies ist eine Schande für mein Land. Wie jene Leute uns alle benutzt haben …« Als Abgesandter eines Landes, das dafür bekannt war, keine Emotionen zu zeigen, war Tanaka eine Überraschung. Er ballte die Fäuste, und seine dunklen Augen brannten vor Wut. Vom Besprechungsraum aus konnten die beiden zum entstellten Capitol Hill hinaufsehen, der vor der Morgendämmerung noch durch Hunderte Arbeitsscheinwerfer leuchtete.
»Der Kopilot wurde ermordet«, sagte Murray.
»Ach?«
Dan nickte. »Erstochen und dem Anschein nach noch vor dem Start. Im Augenblick scheint es, als habe Sato allein gehandelt – soweit es das Fliegen der Maschine betrifft.« Zur Tatwaffe hatte sich das Labor auf ein Steakmesser mit schmaler Klinge und Sägerand festgelegt, die übliche Art bei der Fluggesellschaft. Auch als so alter Hase im Ermittlungsberuf erstaunte es Murray immer wieder, was die Laborexperten alles ausmachten.
»Ich verstehe. Das ergibt einen Sinn«, bemerkte Tanaka. »Des Kopiloten Frau ist schwanger, mit Zwillingen. Sie ist jetzt im Krankenhaus unter strenger Beobachtung. Was wir über ihn erfahren haben, läßt ihn als liebevollen Ehemann ohne politisches Interesse erscheinen. Meinen Leuten scheint kaum denkbar, daß er sein Leben so beenden würde.«
»Hatte Sato irgendwelche Verbindungen zu …«
Kopf schütteln. »Wir haben keine gefunden. Einen Verschwörer hat er nach Saipan geflogen, sie unterhielten sich kurz. Sonst war Sato einfach internationaler Pilot. Seine Freunde waren seine Kollegen. Er lebte ruhig im bescheidenen Haus nahe Narita International. Doch sein Bruder war hoher Offizier bei den Seestreitkräften, und sein Sohn war Jagdflieger. Beide sind bei den Feindseligkeiten ums Leben gekommen.«
Das wußte Murray bereits. Motiv und Gelegenheit. Er schrieb ein Memo, den Rechtsattaché in Tokio das Angebot annehmen und an den japanischen Ermittlungen teilnehmen zu lassen – doch dazu brauchte er erst grünes Licht von Justice und State. Verdammt noch mal, das Angebot schien wirklich aufrichtig zu sein. Gut.
*
»Verkehr, wie ich's liebe!« stellte Chavez fest. Sie kamen die I-95 herein, am Springfield Mall vorbei. Zu dieser Zeit – es war noch immer finster – war der Highway normalerweise mit Bürokraten und Lobbyisten vollgepflastert. Heute nicht, aber John und Ding waren hereinbeordert, was ihren ›Essentiell‹-Status bestätigte, falls den jemand anzweifelte. Clark antwortete nicht, also fuhr der Untergebene fort: »Was, meinst du, wird Dr. Ryan tun?«
John zuckte die Achseln und brummte: »Nimmt's, wie's kommt, schätz' ich. Besser er als ich.«
»Roger, Mr. C. Bei meinen Freunden am George Mason wird's bald rundgehen.«
»Glaubst du?«
»John, er hat eine Regierung neu aufzubauen. Wird ein wahrhaftiger Bilderbuchfall. Hat noch keiner vorher getan. Du weißt, was wir jetzt rausfinden?«
Ein Nicken. »Ja, ob die Kiste wirklich funktioniert.« Besser er als ich, dachte John erneut. Sie kamen rein, um über die Operation in Japan zu berichten. Das war heikel. Clark war schon lang im Geschäft, aber nicht lang genug, um sehr glücklich zu sein, anderen sagen zu müssen, was er getan hatte. Er und Ding hatten getötet – nicht zum erstenmal –, und das sollten sie jetzt detailliert schildern für Leute, die zumeist nie eine Waffe gehalten, geschweige denn im Ernstfall geschossen hatten. Geheimhaltungseid hin oder her, eines Tages könnten einige reden, und die geringste Folge wären peinliche Presseenthüllungen. Als nächstes käme Befragung unter Eid – nun, so bald nicht, korrigierte sich John – vorm Untersuchungsausschuß; Fragen von Leuten beantworten, die von so was nicht mehr Ahnung hätten als die CIA-Pimpfe, die dafür bezahlt wurden, von ihren Schreibtischen aus über Leute im Feld zu richten.
Schlimmstenfalls kam's zur Anklage, weil die Dinge, die er getan hatte, zwar nicht direkt illegal waren, legal aber auch nicht. Irgendwie waren die Verfassung und der United States Code nie so recht dem angepaßt worden, was die Regierung zwar tat, aber ungern öffentlich zugab. Sein Gewissen war zwar rein, seine Ansichten über taktische Moral würden aber nicht jedermann angemessen erscheinen. Ryan würde sie aber vermutlich verstehen – immerhin etwas.
»Was Neues heut morgen?« erkundigte sich Jack.
»Wir rechnen damit, daß die Bergungsarbeiten am Abend fertig sind, Sir.« Pat O'Day war heute für FBI bei der morgendlichen Lagebesprechung. Er erklärte, Murray sei zu beschäftigt. Der Inspektor übergab eine Mappe mit Listen geborgener Leichen. Ryan überflog sie kurz und fragte sich, wie zum Teufel er bei so etwas noch frühstücken könnte?
Zum Glück gab es im Moment nur Kaffee.
»Was noch?«
»Das Bild festigt sich langsam. Wir haben, meinen wir, die Leiche des Kopiloten geborgen. Er wurde ermordet, schon Stunden vorm Absturz, was die Annahme stützt, der Pilot habe allein gehandelt. Wir führen DNA-Tests durch, um die Identitäten zu bestätigen.« Der Inspektor blätterte in seinen Notizen, um sein Gedächtnis aufzufrischen. »Tests auf Drogen und Alkohol waren bei beiden Leichen negativ. Auswertung des Flugdatenschreibers, der Bänder mit Funkverkehr und Radaraufzeichnungen, was wir gesammelt haben, führt alles zum selben Ergebnis: ein Täter, der allein vorging.«
»Nächster Schritt?«
»Wird ein Ermittlungsprozeß wie im Lehrbuch. Wir rekonstruieren alles, was Sato – so hieß der Pilot – im Laufe des letzten Monats getan hat, und verfolgen die Spuren. Telefongespräche, wo er war, wen er traf, Freunde, Kollegen, Tagebuch, wenn's eins gibt, alles, was uns in die Hände fällt. Der Gedanke dahinter ist, den Mann vollständig zu rekonstruieren und festzustellen, ob er Teil einer möglichen Verschwörung war. Das dauert – ein ziemlich umfassender Vorgang.«
»Vorläufige Einschätzung?« fragte Jack.
»Einzeltäter«, sagte O'Day diesmal mit noch mehr Überzeugung.
»Ist noch verdammt früh für 'ne Schlußfolgerung«, wandte Andrea Price ein. O'Day drehte sich um.
»Das ist keine Schlußfolgerung. Mr. Ryan hat um vorläufige Einschätzung gebeten. Ich bin eine ganze Weile im Ermittlungsgeschäft, und dies sieht nach einem sorgfältig ausgearbeiteten Spontanverbrechen aus. Beim Mord am Kopiloten, zum Beispiel. Er hat die Leiche nicht mal aus dem Cockpit entfernt. Hat sich laut Tonband beim Opfer entschuldigt nach dem Zustechen.«
»Sorgfältig ausgearbeitetes Spontanverbrechen?« zweifelte Andrea.
»Flugkapitäne sind durchorganisierte Leute«, erwiderte O'Day. »Was für den Laien höchst kompliziert wäre, ist für die so einfach wie ein Reißverschluß. Die meisten Mordanschläge erfolgen durch gestörte Individuen, die zufällig Glück haben. In diesem Fall hatten wir leider einen sehr fähigen Täter, der sein Glück selbst gestalten konnte. Wie auch immer, das ist, was wir im Augenblick haben.«
»Noch mal zur Verschwörungstheorie: Wonach würden Sie suchen?« fragte Jack.
»Sir, erfolgreiche Verschwörungen sind auch unter besten Voraussetzungen schwer durchzuziehen.« Inspektor O'Day fuhr fort: »Das liegt an der Natur des Menschen. Prahlerei ist normal; wir teilen gern Geheimnisse, um uns hervorzutun. So oder so reden sich Kriminelle regelrecht ins Gefängnis. Okay, in diesem Fall geht's nicht um den gewöhnlichen Räuber, aber das Prinzip gilt. Für 'ne Verschwörung braucht man Zeit und Gespräche, das ergibt undichte Stellen. Dann gibt's das Problem, den ›Shooter‹, mir fällt kein besseres Wort ein, auszuwählen. Dazu blieb keine Zeit. Die gemeinschaftliche Sitzung war viel zu spät angesetzt für Diskussionen irgendwelcher Art. Der Mord am Kopiloten sieht stark nach Spontanverbrechen aus. Ein Messer ist unsicherer als eine Pistole, und ein Steakmesser ist keine gute Waffe: biegt oder bricht zu leicht an einer Rippe.«
»Bei wie vielen Morden haben Sie schon ermittelt?« fragte Price.
»Genug. Habe bei zahlreichen Fällen der lokalen Polizei assistiert, besonders hier in D.C. Das Washington Field Office unterstützt die D.C.-Polizei seit Jahren. Wie auch immer, damit Sato der ›Shooter‹ einer Verschwörung würde, hätte er Leute treffen müssen. Wir werden seine Freizeit zurückverfolgen, mit den Japanern zusammen. Bis jetzt aber gibt's nicht einen Hinweis in der Richtung. Im Gegenteil, alle Umstände zeigen auf jemanden, der eine einzigartige Gelegenheit erkannte und spontan Gebrauch davon machte.«
»Wenn der Pilot nun nicht …«
»Ms. Price, die Cockpit-Bänder reichen zurück bis vor den Start in Vancouver. In unserem Labor haben wir Stimmspektrogramme erstellt – es ist ein digitales Band, mit hervorragender Aufnahmequalität. Derselbe Typ, der von Narita startete, hat das Flugzeug hier in den Boden gebohrt. Nun, wenn es nicht Sato war, wieso hat der Kopilot – sie flogen als ein Team – nichts gemerkt? Andersrum, wenn Pilot und Kopilot ausgetauscht waren, dann gehörten beide von Anfang an zur Verschwörung. Warum dann den Kopiloten vorm Start in Vancouver ermorden?
Die Kanadier vernehmen für uns den Rest der Crew, und das gesamte Servicepersonal sagt, daß die Crew genau die waren, die sie sein sollten.
Die DNA-Tests werden das alles noch genau bestätigen.«
»Inspektor, Sie sind sehr überzeugend«, stellte Ryan fest.
»Sir, diese Ermittlung wird kompliziert mit all den Tatsachen, denen nachzugehen ist, aber im Kern sehr einfach. Verdammt schwer, einen Tatort zu fälschen – gibt zuviel, das wir tun könnten. Ließe sich theoretisch etwas aufstellen, das unsere Leute täuscht? Ja, vielleicht, aber das müßte man vorbereiten, über Monate, die man nicht hatte. Am Ende läuft's auf eins hinaus: Die Entscheidung zur Abhaltung der gemeinschaftlichen Sitzung fiel, als die Maschine mitten über dem Pazifik war.«
Sosehr ihr das mißfiel, konnte Price dem Argument nichts entgegnen. Sie hatte Patrick O'Day kurz überprüfen lassen. Emil Jacobs hatte Jahre vorher den Posten des Springer-Inspektors wiedereingeführt und mit Leuten, die Ermittlungsarbeit der Verwaltung vorzogen, besetzt.
O'Day war ein Inspektor, dem die Führung eines Field Office wenig gefiel. Er war Teil einer kleinen Mannschaft erfahrener Ermittler, die dem Direktor unterstanden, inoffizielles Inspektorat, das im Feld die Sachen im Auge behielt, hauptsächlich empfindliche Fälle. Er war ein guter Cop, der Schreibtischkram haßte, und Price mußte zugeben, er konnte eine Ermittlung führen, besser noch, er stand außerhalb der Befehlskette und würde keine Show abziehen, um befördert zu werden.
Hergefahren war er mit einem Allrad-Pick-up – Cowboystiefel trug er! – und mochte wohl Publicity so wie die Pocken. AD Tony Caruso also würde als nomineller Leiter dem Justizministerium Bericht erstatten, aber Patrick O'Day würde die Kette umgehen und Murray direkt berichten – der wiederum als persönlichen Gefallen dem Präsidenten O'Day zuschanzen würde. Sie hielt Murray für einen ganz Gewieften – immerhin hatte ihn Bill Shaw als persönlichen Entstördienst eingesetzt.
Und Murrays Treue galt der Institution FBI. Es gab Schlechteres, mußte sie zugeben. Für O'Day war's noch einfacher – der war mit Leib und Seele Ermittler, und wenn er auch zu eilig Schlüsse zog, dieser verpflanzte Cowboy ging nach dem Textbuch vor. Auf die alten Kumpels mußte man ein Auge haben – sie versteckten ihre Intelligenz zu gut. Er hätt's aber nie bis ins Detail geschafft, tröstete sie sich.
*
»Schönen Urlaub gehabt?« Mary Pat Foley war entweder schon sehr früh oder noch sehr spät da, sah Clark. Wieder dachte er, daß von allen führenden Leuten in der Regierung Präsident Ryan wohl den meisten Schlaf bekam, sowenig das auch war. Gute Art, eine Bahngesellschaft in die Hölle zu führen – die Leistung ließ nach, wenn man nicht ausgeruht war, das war ihm aus leidvoller Erfahrung im Feld bewußt. Setzte man einen aufs hohe Roß, vergaß der's sofort – der Faktor Mensch verschwand im Nebel. Kurz drauf fragten die sich, wie sie solchen Mist hätten bauen können. Aber bis dahin hatte meist ein armes Schwein im Feld dran glauben müssen.
»MP, wann zum Teufel hast du das letztemal geschlafen?« So konnten nicht viele mit ihr reden, John aber war mal ihr Ausbildungsoffizier gewesen.
Ein mattes Lächeln. »John, du bist nicht Jude, und du bist auch nicht meine Mutter.«
Clark sah sich um. »Wo ist Ed denn?«
»Auf dem Weg zurück vom Golf. Konferenz mit den Saudis«, erklärte sie. Mrs. Foley stand zwar im Rang über Mr. Foley, aber die Saudi-Kultur war noch nicht soweit, mit einem weiblichen König Spook – einer Queen Spook, korrigierte sich John lächelnd – zu verhandeln, und Ed war bei Konferenzen sowieso besser.
»Etwas, das ich wissen sollte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Routine. So, Domingo, hast du sie gefragt?«
»Du spielst aber hart heut morgen«, stellte Clark fest, noch ehe sein Partner etwas sagen konnte.
Chavez grinste nur. Das Land mochte in Aufruhr sein, aber es gab Wichtigeres. »Könnte schlimmer sein, Mr. C. Ich bin ja kein Anwalt, oder?«
»Latino. So geht die Nachbarschaft zum Teufel«, grummelte John und fuhr ernsthafter fort. »Wie geht's denn Jack?«
»Planmäßig soll ich ihn nach dem Lunch sehen, aber es würde mich nicht wundern, wenn's gestrichen wird. Der arme Bastard wird wohl lebendig begraben.«
»Wie er da hineingeraten ist – stimmt's, was die Zeitungen schreiben?«
»Ja. So haben wir nun ein Kelly-Girl als Präsident«, scherzte die DDO, stellvertretende CIA-Direktorin, Hauptabteilung Operations.
»Wir nehmen eine umfassende Bedrohungseinschätzung vor. Und ich möchte euch beide dabeihaben.«
»Wieso uns?« fragte Chavez.
»Weil ich's satt habe, das alles von der Hauptabteilung Intelligence tun zu lassen. Ich will euch mal eins sagen: Wir haben jetzt einen Präsidenten, der versteht, was wir hier machen. Wir werden Operations aufmotzen, bis ich das Telefon nehmen und eine Frage stellen kann und die Antwort verstehe.«
»Plan Blau?« fragte Clark und erhielt ein willkommenes Nicken.
›Blau‹ war seine letzte Funktion gewesen, bevor er das CIA-Trainingslager, bekannt als die ›Farm‹, in der Nähe des Navy-Kernwaffendepots Yorktown, Virginia, verließ. Statt Intellektuelle von der Ivy League – wenigstens rauchten sie nicht mehr Pfeife – einzustellen, hatte er vorgeschlagen, die Agency solle Cops rekrutieren, Polizisten direkt von der Straße. Cops, meinte er, wußten, wie man mit Informanten umging, sich auf der Straße verhält und in gefährlichen Gegenden überlebt. Das alles ließ Ausbildungsdollars einsparen und brachte vermutlich bessere Feldoffiziere hervor. Der Vorschlag wurde von zwei DDOs in Folge zur Akte 13 gelegt, Mary Pat aber hatte von Anfang an davon gewußt und das Konzept gutgeheißen. »Kannst du's durchdrücken?«
»John, du wirst mir helfen, es zu verkaufen. Sieh doch, wie gut sich Domingo gemacht hat.«
»Heißt das, ich bin nicht mehr ›Affirmative Action‹?« fragte Chavez.
»Nein, Ding, nur bei seiner Tochter«, sagte Mrs. Foley. »Ryan wird's umsetzen. Er ist nicht begeistert vom Direktor. Wie auch immer, im Moment möchte ich, daß ihr beiden über SANDALWOOD Bericht erstattet.«
»Was ist mit unserer Deckung?« wollte Clark wissen. Er mußte nichts erklären. Mary Pat hatte sich nie die Hände im Feld schmutzig gemacht – sie hatte zur Espionage gehört, nicht zur paramilitärischen Seite von Operations –, doch sie verstand ganz gut.
»John, ihr habt auf Befehl des Präsidenten gehandelt. Schriftlich niedergelegt und archiviert. Keiner wird hinterfragen, was ihr getan habt, vor allem, wo ihr Koga gerettet habt. Der Intelligence Star wartet auf euch. Präsident Durling wollte euch in Camp David die Medaillen selbst überreichen. Ich nehme an, Jack wird das jetzt tun.«
Mensch! sagte sich Chavez hinter starren Augen, doch so nett der Gedanke auch war, er hatte auf der dreistündigen Fahrt von Yorktown hierher an was anderes gedacht. »Wann beginnt die Bedrohungsanalyse?«
»Morgen, was unseren Teil betrifft. Weshalb?« wollte MP wissen.
»Ma'am, ich glaube, da kommt Arbeit auf uns zu.«
»Ich hoffe, du irrst«, erwiderte sie, nachdem sie genickt hatte.
*
»Ich habe heute zwei OPs«, sagte Cathy beim Blick aufs Frühstücksbüffet. Da der Stab noch nicht wußte, was die Ryans morgens gern aßen, hatten sie von allem etwas – besser gesagt, recht viel – zubereitet. Sally und Klein Jack fanden es großartig – noch besser, daß die Schulen geschlossen waren. Katie, erst seit kurzem für feste Nahrung zugelassen, nagte am Stück Speck in der Hand und meditierte über gebutterten Toast. Für Kinder hat das Unmittelbare stets Vorrang. Sally, gerade fünfzehn (fast dreißig, wie ihr Vater mal klagte), überlegte am längsten von den dreien, was sie nehmen sollte, doch dann dachte sie nach, wie sich ihr Leben wohl verändern würde. Für sie alle war Daddy immer noch Daddy, was für einen Job er im Augenblick auch haben mochte. Sie würden es schon noch anders erleben, war Jack sich im klaren, doch eins nach dem anderen.
»Das haben wir noch nicht ausgeknobelt«, erwiderte ihr Mann, während er sich Rührei und Schinken nahm. Heute würde er reichlich Energie benötigen.
»Jack, wir haben ausgemacht, daß ich meiner Arbeit weiter nachgehe, richtig?«
»Mrs. Ryan?« Das war Andrea Price, die immerzu da war, wie ein Schutzengel, aber mit Maschinenpistole. »Wir arbeiten noch die einzelnen Sicherheitsmaßnahmen aus, und …«
»Meine Patienten brauchen mich. Jack, Bernie Katz und Hal Marsh können manches übernehmen, ein Patient aber braucht heute unbedingt mich. Ich muß auch die Lehrvisite vorbereiten«, sie sah auf die Uhr, »in vier Stunden.« Das stimmte, wußte Ryan. Professorin Caroline Ryan, MD, FACS, war Top-Gun in der Laser-Augenchirurgie. Aus aller Welt kamen Leute, um ihr bei der Arbeit zuzusehen.
»Schulen sind aber doch …« Mitten im Satz brach Price ab, ihr war eingefallen, daß sie es besser wußte.
»Medizinische Fakultäten nicht. Wir können Patienten nicht einfach heimschicken. Tut mir leid. Ich weiß, wie kompliziert das ist, aber auf mich sind Leute angewiesen, und ich muß für sie dasein.« Cathy blickte auf die Gesichter der Erwachsenen in der Küche und erhoffte sich eine Entscheidung in ihrem Sinne. Das Küchenpersonal – alles Matrosen – kam rein und ging raus wie bewegliche Statuen und tat, als hörte es nichts. Die Secret-Service-Leute zogen ein anders nichtssagendes Gesicht, mit etwas mehr Unbehagen drin.
Von der First Lady wurde erwartet, unbezahlte Gehilfin des Mannes zu sein. Ein Zustand, der der Änderung bedurfte. Irgendwann würde es auch eine Präsidentin geben, und das würde alles übern Haufen werfen – offensichtlich, aber bisher bewußt ignoriert. Die politische Gattin trat an der Seite des Mannes auf, mit entzückendem Lächeln und wenigen, ausgesucht reizenden Worten, ertrug die Langeweile vom Wahlkampf und die überraschend brutalen Händedrücke – dem durfte Cathy Ryan ihre Chirurgenhände gewiß nicht aussetzen, fiel Price ein. Diese First Lady hatte einen eigenen Job. Mehr noch, sie war Ärztin, der gerade der Lasker Memorial Public Service Award zugesprochen wurde. Und wenn Price eines über Cathy Ryan wußte, dann, daß sie dem Beruf ergeben war und nicht nur ihrem Mann. So bewundernswert das auch war, dem Service würde es kaiserlichen Kopfschmerz bereiten, dessen war sich Price sicher. Schlimmer noch, der Agent, der Mrs. Dr. Ryan zugeteilt war, war Roy Altman, ein stattlicher ehemaliger Fallschirmjäger, der sie noch nicht kannte. Die Wahl ging ebenso auf Roys Körpergröße zurück wie auf seinen Verstand. Es schadete nie, einen offensichtlichen Bodyguard dicht dabei zu halten; die First Lady schien vielen als leichtes Ziel, da war's eine von Roys Funktionen, den potentiellen Täter schon durch seine Anwesenheit abzuschrecken. Andere Mitglieder des Detail wären so gut wie unsichtbar. Eine andere Funktion Altmans war es, mit seiner Masse eventuelle Geschosse abzufangen, etwas, mit dem sich Agenten im Training, nicht aber in Gedanken aufhielten.
Auch jedes von Ryans Kindern mußte beschützt werden. Die Wahl von Katies Bodyguard war am schwierigsten, denn um diesen Job hatten Agenten gekämpft. Boß wurde das älteste Mitglied des Teams, ein Großvater namens Don Russel. Klein Jack bekam einen jungen Mann, einen echten Sportsfan, und Sally Ryan erhielt eine Agentin, die knapp dreißig, ledig und hip war, klug in der Art junger Männer und gern in Einkaufszentren unterwegs. Die Familie Ryan sollte sich so behaglich fühlen wie nur möglich angesichts der Tatsache, daß ihnen ständig, außer auf die Toilette, jemand mit geladener Schußwaffe und Funkgerät folgte. Am Ende war's natürlich hoffnungslos. Präsident Ryan wußte Bescheid, und seine Familie müßte sich daran gewöhnen.
»Dr. Ryan, wann müssen Sie aufbrechen?« fragte Price.
»Rund vierzig Minuten. Das hängt vom Verkehr …«
»Nicht mehr«, korrigierte Price die First Lady. Der Tag würde noch schlimm. Ursprünglich sollte der vorige Tag dazu genutzt werden, des Vizepräsidenten Familie ins Nötigste einzuweisen, doch der Plan war zerballert worden. Altman befand sich im anderen Raum, studierte die Karte. Es gab drei Strecken nach Baltimore: die I-95, den Baltimore-Washington Parkway und die US-Route 1, alle morgens vom Berufsverkehr verstopft, dem ein Secret-Service-Konvoi den Gnadenstoß geben würde; ganz abgesehen davon, daß alle drei Strecken potentiellen Attentätern gelegen kämen, so schmal, wie sie nahe Baltimore wurden.
Johns Hopkins Hospital hatte auf dem Pädiatrie-Gebäude einen Hubschrauberlandeplatz, aber keiner hatte die politischen Auswirkungen durchdacht, wenn die First Lady täglich mit einem VH-60 des Marine Corps zur Arbeit flog. Vielleicht wäre das doch eine realisierbare Option, entschied Price. Sie verließ das Zimmer, um mit Altmann darüber zu sprechen, und plötzlich war die Familie Ryan allein und konnte frühstücken, als wären sie immer noch ganz normale Leute.
»Mein Gott, Jack«, atmete Cathy auf.
»Ich weiß.« Statt zu sprechen, genossen sie die Stille eine ganze Minute, schauten auf ihr Frühstück herab und stocherten mit der Gabel darin herum.
»Die Kinder brauchen Sachen für das Begräbnis«, sagte Cathy schließlich.
»Andrea sagen?«
»Okay … Weißt du schon, wann's stattfinden wird?«
»Müßte ich heute erfahren.«
»Ich werde doch noch arbeiten können, oder?« Da Price abwesend war, konnte sie ihre Besorgnis zeigen.
Jack hob den Blick. »Ja. Schau, ich versuche mein Bestes, daß wir so normal bleiben, wie's geht, und ich weiß, wie wichtig deine Arbeit ist. Übrigens hab' ich noch keine Gelegenheit gehabt, dir zu sagen, wie ich über den Preis denke, den du da gerade eingeheimst hast.« Er lächelte. »Ich bin verdammt stolz auf dich, Schatz.«
Price kam wieder herein. »Dr. Ryan?« sagte sie. Und natürlich wandten sich beide Köpfe ihr zu. Sie konnten es an ihrem Gesicht ablesen.
Die grundlegendsten Fragen waren noch ungeklärt. Sollte sie sie Doctor Ryan nennen, MISSUS Ryan oder …
»Machen wir's einfacher für alle, okay? Nennen Sie mich Cathy.«
Das konnte Price nicht, doch sie ließ es für den Augenblick im Raum stehen. »Bis wir's besser hinbekommen, fliegen wir Sie dorthin. Die Marines sind mit einem Helikopter hierher unterwegs.«
»Ist denn das nicht teuer?« fragte Cathy.
»Doch, aber Vorgangsweisen müssen erst festgelegt werden, und im Moment ist's so am einfachsten. Und« – ein sehr großer Mann betrat den Raum – »das ist Roy Altman. Er ist fürs erste Ihr Hauptagent.«
»Ach«, war alles, was Cathy im Augenblick sagen konnte. Ein Meter neunzig und einhundert Kilogramm Roy Altman kamen herein. Er hatte schütteres blondes Haar, einen blassen Teint und einen verlegenen Gesichtsausdruck, wohl wegen des kräftigen Körpers. Wie bei allen Secret-Service-Agenten war sein Anzug weit geschnitten, um eine Waffe zu kaschieren. Altman kam herüber, um ihr die Hand zu geben, was er mit erstaunlicher Zartheit tat.
»Ma'am, Sie wissen, was mein Job ist. Ich werde mich bemühen, Ihnen so gut aus dem Weg zu bleiben wie möglich.« Zwei weitere Leute kamen herein. Altman stellte sie vor als den Rest ihrer heutigen Leibwache. Alle waren sie nur vorläufig zugeteilt. Sie alle mußten mit den Schützlingen auskommen, und ob das klappte, war oft schwer vorherzusagen, auch wenn es so liebenswerte Prinzipale waren, wie die Ryans zu sein schienen.
Cathy war versucht zu fragen, ob das nötig wäre, doch besann sich eines Besseren. Sie wechselte einen Blick mit Jack und erinnerte sich, daß sie nicht in dieser Lage wäre, wenn sie nicht Jacks Ernennung zum Vizepräsidenten zugestimmt hätte, die wie lang? – fünf Minuten? – gedauert hatte. Dann war das Dröhnen des Sikorsky Black Hawk Helicopter zu hören, der auf der kleinen Anhöhe nebenan landete und dort, wo einmal ein kleines astronomisches Observatorium gewesen war, einen kleinen Schneesturm entfachte. Jack sah auf die Uhr und stellte fest, die Marines von VMH-1 brannten tatsächlich auf kurzer Lunte. Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis die überbordende sie alle erdrückte.
*
»Diese Aufnahme kommt live vom Gelände des Naval Observatory in der Massachusetts Avenue«, sagte der NBC-Reporter nach Freigabe vom Aufnahmeleiter. »Sieht wie ein Hubschrauber der Marines aus. Ich vermute, der Präsident fliegt irgendwohin.« Als die Schneewolke sich ein wenig setzte, zoomte die Kamera ran.
»Eine amerikanische Black Hawk, mit einigen Raffinessen ausgestattet«, sagte der Nachrichtendienstler. »Sehen Sie? Das ist ein ›Black-Hole‹-Infrarot-Unterdrückungssystem, Schutz vor Boden-Luft-Raketen, die der Wärmespur eines Motors folgen.«
»Wie effektiv?«
»Sehr, aber nicht gegen lasergeführte Waffen«, fügte er hinzu. »Und bringt auch nichts gegen Gewehre.« Kaum war der Hauptrotor zum Stehen gekommen, war der Hubschrauber auch schon von Marines umgeben. »Ich brauche eine Karte der Gegend. Wo immer die Kamera sich befindet, es würde ein Mörser genügen. Das trifft natürlich auch auf das White-House-Gelände zu.« Und jeder, das wußten sie, konnte mit einem Mörser umgehen, um so eher mit neuen lasergelenkten Granaten, die die Briten entwickelt hatten und bald danach von der übrigen Welt kopiert worden waren. Es waren ja Amerikaner gewesen, die den Weg wiesen. Einer ihrer Aphorismen besagte: Was man sehen kann, kann man treffen. Und was man treffen kann, kann man töten. Und jeden darin, was immer dieses »was« auch sein mochte.
Mit diesem Gedanken begann ein Plan zu entstehen. Er schaute auf die Uhr, die auch eine Stoppuhrfunktion besaß, drückte auf den entsprechenden Knopf und wartete. Der TV-Aufnahmeleiter, sechstausend Meilen entfernt, hatte sonst nichts zu tun, als die Tele-Einstellung zu halten. Nicht lang, da näherte sich ein großes Fahrzeug, und vier Personen stiegen aus. Sie gingen direkt auf den Helikopter zu, von dessen Besatzung einer die Tür aufhielt.
»Das ist Mrs. Ryan«, sagte der Kommentator. »Sie ist Ärztin im Johns Hopkins Hospital in Baltimore.«
»Meinen Sie, sie fliegt zur Arbeit?« fragte der Reporter.
»In einer Minute werden wir's wissen.«
Womit er recht hatte. Der Geheimdienstler drückte auf den Knopf seiner Uhr, als die Tür sich schloß. Ein paar Sekunden später begann sich der Rotor wieder zu drehen, die beiden Turbinentriebwerke liefen hoch, und der Hubschrauber hob ab, mit der Nase nach unten, gewann an Höhe und flog davon, vermutlich nach Norden. Er schaute auf die Uhr, um zu sehen, wieviel Zeit verstrichen war vom Schließen der Tür bis zum Abheben. Der Hubschrauber hatte eine militärische Besatzung, und die würde Wert darauf legen, alles genauso zu machen wie immer.
Zeit genug für eine Mörsergranate, die erforderliche Entfernung mehr als dreimal zurückzulegen, schätzte er.
Sie flog zum erstenmal in einem Hubschrauber. Sie ließen Cathy auf dem Notsitz hinter den Piloten sitzen. Die Zelle des Black Hawk ist so konstruiert, daß sie bei einem Aufprall volle vierzehn G absorbiert, und dieser Platz war, statistisch gesehen, der sicherste im Vogel. Der Vierflügelrotor sorgte für ruhigen Flug, und die einzige Unannehmlichkeit, die sie in Kauf nehmen mußte, war die Kälte. Niemand hatte je ein Militärflugzeug mit effizienter Heizung entwickelt. Der Flug hätte sogar interessant sein können, wenn die Secret-Service-Agenten nicht ständig zu den Türen hinausgespäht und nach irgendwelcher Gefahr Ausschau gehalten hätten. Ihr wurde langsam klar, daß sie einem an allem den Spaß nehmen konnten.
»Ich schätze, sie ist unter die Pendler gegangen«, entschied der Reporter.
Die Kamera war dem VH-60 gefolgt, bis er hinter Bäumen verschwand.
Endlich was zum Schmunzeln. Alle Fernsehgesellschaften taten dasselbe, wie nach dem Attentat auf John F. Kennedy. Das gesamte normale Programm war gestrichen, während man sich – heute rund um die Uhr, was 1963 nicht der Fall war – genüßlich der Katastrophe und den Nachwirkungen hingab. In Wahrheit ging es um die Goldgrube für die Kabelkanäle, wie diverse Quotenwächter zeigten, aber den Fernsehgesellschaften kam eine gewisse Verantwortlichkeit zu, und dies war verantwortlicher Journalismus.
»Nun, sie ist ja Ärztin. Man vergißt so leicht, daß trotz der Katastrophe, die über die Regierung hereingebrochen ist, die Leute außerhalb des Beltway ihrer normalen Arbeit nachgehen. Kinder werden geboren.
Das Leben geht weiter«, dozierte der Kommentator, wie es sein Job war.
»Und das Land ebenso.« Der Reporter sah direkt in die Kamera, bis auf Werbung umgeschaltet wurde. Die Stimme aus so weiter Ferne hörte er nicht.
»Für den Augenblick.«
Um die Kinder kümmerten sich ihre Bodyguards, und die echte Arbeit des Tages begann. Arnie van Damm sah aus wie Hülle. Der knallt gleich an die Wand, stellte Jack fest; die zermürbende Arbeit und der Kummer haben ihn gleich geschafft. Gut und schön, daß vom Präsidenten soviel wie möglich ferngehalten wurde, wußte Ryan, aber doch nicht auf Kosten der Leute, auf die er so sehr angewiesen war.
»Teil aufsagen, Arnie, dann ab und 'ne Weile hinlegen!«
»Sie wissen, daß ich das nicht …«
»Andrea?«
»Ja, Mr. President?«
»Wenn wir hier fertig sind, lassen Sie Arnie nach Hause fahren. Vor sechzehn Uhr lassen Sie ihn nicht wieder ins Haus!« Ryan wandte den Blick. »Arnie, Sie werden mir nicht kaputtgehen. Ich brauche Sie zu sehr.«
Der Stabschef war viel zu müde, um Dankbarkeit zu zeigen. Er übergab einen Ordner. »Hier sind die Pläne für die Trauerfeier, übermorgen.«
Ryan schlug den Ordner auf. Wer immer den Plan aufgestellt hatte, es war mit viel Geschick und Gefühl geschehen. Vielleicht gab es einen Eventualplan für diesen Fall, eine Frage, die Ryan nie stellen würde. Wie auch immer, jemand hatte gute Arbeit geleistet. Roger und Anne Durling würden im White House feierlich aufgebahrt, da die Rotunde des Capitol nicht zur Verfügung stand, und die Menschen hätten vierundzwanzig Stunden Gelegenheit, ihnen die letzte Ehre zu erweisen, durch den Vordereingang herein und über den Ostflügel wieder hinaus. Am Morgen darauf würden die Durlings mit Leichenwagen zur National Cathedral gefahren, zusammen mit drei Mitgliedern des Kongresses, einem Juden, einem Protestanten und einem Katholiken, zur interkonfessionellen Trauerfeier. Ryan hatte zwei Reden zu halten. Die Texte von beiden befanden sich hinten im Ordner.
»Wofür ist der da?« Cathy trug einen Schutzhelm mit Anschluß an die Gegensprechanlage. Sie zeigte auf einen anderen Hubschrauber, der etwa fünfzig Meter rechts hinter ihnen flog.
»Bei uns fliegt immer eine Ersatzmaschine mit, Ma'am. Falls was ausfällt und wir landen müssen«, erklärte der Pilot auf dem Vordersitz, »Sie sollen nicht unnötigerweise zu spät kommen.« Er sagte nicht, daß im anderen Helikopter weitere vier Secret-Service-Agenten waren, mit schwereren Waffen.
»Wie oft passiert den so etwas, Colonel?«
»Solange ich dabei bin nicht, Ma'am.« Er sagte auch nicht, daß 1993 ein Black Hawk der Marines in den Potomac abgestürzt war, mit Verlust aller Insassen – das war ja lang her. Aufmerksam suchte der Pilot mit seinen Blicken die Luft ab. Bei VMH-1 wurde die Erinnerung daran wachgehalten, was wie ein versuchter Zusammenstoß über dem Wohnsitz Präsident Reagans in Kalifornien ausgesehen hatte. In Wirklichkeit hatte die Unachtsamkeit eines Privatpiloten ihn etwas vom Kurs abkommen lassen. Nach seinem Gespräch mit dem Secret Service hat der arme Kerl das Fliegen wohl ganz aufgegeben. Sie waren die humorlosesten Menschen, wußte Colonel Hank Goodman aus langer Erfahrung.
Die Luft war klar und kalt, aber ruhig. Den Steuerknüppel führte er mit den Fingerspitzen, während sie der I-95 nach Nordosten folgten. Baltimore war schon in Sicht, und den Anflug zum Hopkins kannte er aus der Dienstzeit bei der Patuxent River NAS, die gelegentlich mit Navy- und Marine-Helos aushalf, Unfallopfer zu transportieren. Hopkins, erinnerte er sich, bekam die pädiatrischen Traumafälle.
Fast dasselbe ging Cathy durch den Kopf, als sie am Schocktrauma-Gebäude der University of Maryland vorbeiflogen. Das jetzt war doch nicht ihr erster Flug in einem Hubschrauber. Nur, daß sie beim anderen bewußtlos gewesen war. Jemand hatte versucht, sie und Sally umzubringen, und all die Leute um sie herum waren in Gefahr, wenn es wieder jemand versuchte – warum? Wegen dem, was ihr Mann war.
»Mr. Altman?« hörte Cathy über die Bordsprechanlage.
»Ja, Colonel?«
»Sie haben doch vorher angerufen?«
»Ja, sie wissen, daß wir kommen, Colonel«, versicherte Altman ihm.
»Nein, ich meine, ist das Dach gecheckt für einen VH-60?«
»Wie meinen Sie?«
»Das bedeutet, daß dieser Vogel hier schwerer ist als der, den die Polizei benutzt. Ist ihre Rampe zugelassen für uns?« Schweigen war auch eine Antwort. Colonel Goodman sah seinen Kopiloten an und verzog das Gesicht. »Okay, diesmal kommen wir auch so zurecht.«
»Links frei.«
»Rechts frei«, erwiderte Goodman. Er kreiste einmal, Augen auf der Windsocke. Lediglich kleine Stöße aus Nordwesten. Sie sanken ruhig, und der Colonel behielt die Funkantennen zur Rechten im Auge. Er setzte weich auf und hielt etwas Collective, damit der Flieger nicht mit vollem Gewicht auf das Stahlbetondach drückte. Vermutlich nicht nötig – Bauingenieure geben den Gebäuden immer Reservestabilität. Doch Goodman hatte es nicht zum Voll-Colonel gebracht, indem er unnötige Risiken einging. Der Chef seiner Mannschaft öffnete die Tür. Die Secret-Service-Agenten stiegen als erste aus und suchten das Gebäude mit Blicken ab, während Goodman die Hand am Hubkrafthebel hielt, bereit, ihn hochzureißen und vom Gebäude davonzuschießen. Dann halfen sie Mrs. Ryan heraus, und sein Tag konnte weitergehen.
»Wenn wir zurück sind, rufen Sie selber hier an und fragen nach der Tragkraft des Daches. Dann bitten Sie um Pläne für unsere Unterlagen.«
»Jawohl, Sir. Es ging einfach zu schnell, Sir.«
»Brauchen Sie mir nicht zu sagen.« Er schaltete auf Funk. »Marine Three, Marine Two.«
»Two.« Der kreisende Begleithubschrauber antwortete sofort.
»Geht los.« Goodman zog den Hubkrafthebel, hob ab und drehte nach Süden. »Sie scheint ganz nett zu sein.«
»Wurde kurz vor der Landung nervös«, stellte der Crew-Chef fest.
»Ich auch«, sagte Goodman. »Ich rufe an, wenn wir zurückkommen.«
Der Secret Service hatte natürlich angerufen, bei Dr. Katz, der drinnen wartete, zusammen mit drei Hopkins-Sicherheitsleuten. Man machte sich gegenseitig bekannt. Namensschilder wurden ausgegeben und die drei Agenten zu angeblichen Mitgliedern der Medizinischen Fakultät gemacht, und der Tag von Associate Professor Caroline M. Ryan, MD, FACS, begann.
»Wie geht's Mrs. Hart?«
»Ich habe sie vor zwanzig Minuten gesehen, Cathy. Sie ist eigentlich stolz darauf, von der First Lady operiert zu werden.«