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Eröffnungen

Die meisten Amerikaner erfuhren beim Aufwachen, was ihr Präsident bereits wußte. Bei einem Flugzeugunglück auf der anderen Seite der Welt waren elf amerikanische Bürger umgekommen, drei weitere wurden vermißt. Ein lokales Fernsehteam hatte es gerade noch bis zum Flughafen geschafft, da eine hilfreiche Seele im Terminal sie vom Notfall unterrichtet hatte. Ihr Video zeigte kaum mehr als einen fernen, in den Himmel steigenden Feuerball, worauf noch einige nähere Aufnahmen folgten, die aber auch so nichtssagend waren, daß sie von überall her gekommen sein konnten. Zehn Löschfahrzeuge standen um das brennende Wrack, überschütteten es mit Schaum und Wasser, was aber niemanden mehr rettete. Rettungswagen sausten durch die Gegend. Einige Menschen, offensichtlich Überlebende, wanderten herum, von Schock und Orientierungslosigkeit benommen. Es gab das übliche Chaos, das nach irgendeinem Eingreifen schrie.

Taipeh gab eine scharfe Erklärung über Luftpiraterie heraus und forderte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates. Peking veröffentlichte eine eigene Erklärung, die sagte, sein Jagdflugzeug sei auf friedlichem Übungsflug angegriffen worden und hätte in Selbstverteidigung das Feuer erwidert. Peking stritt jede Beteiligung an der Beschädigung des Verkehrsflugzeugs ab und schob die ganze Schuld ihrer rebellischen Provinz zu.

»Also, was haben wir noch herausbekommen?« fragte Ryan Admiral Jackson um halb acht.

»Wir haben uns etwa zwei Stunden lang die beiden Bänder noch einmal angesehen. Ich habe ein paar Jagdflieger zugezogen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, und noch zwei Jungs von der Air Force, und wir haben's hin- und hergewendet. Also erstens, die Rotchinesen …«

»So solltest du sie nicht nennen, Robby«, bemerkte der Präsident.

»Alte Gewohnheit, tut mir leid. Die Herren der PRC also – die wußten, daß wir Schiffe dort haben. Die Funksignatur eines Aegis-Schiffs ist wie Mount St. Helens mit einem Anliegen, okay? Und die Fähigkeiten des Schiffs sind kein Geheimnis. Sie sind beinahe zwanzig Jahre in Dienst. Also wußten sie, daß wir zusehen und alles sehen würden. Halten wir das fest.

Zweitens, wir haben ein Lauscherteam auf der Chandler, das den Funkverkehr abhört. Wir haben den Sprechfunkverkehr der chinesischen Jagdflieger übersetzt. Ich zitiere: ›Ich hab' ihn, ich hab' ihn, ich löse aus.‹ Okay, der Zeitpunkt stimmt genau mit dem Abschuß des Wärmesuchers überein.

Drittens haben alle Piloten, mit denen ich gesprochen habe, das gleiche wie ich gemeint – warum ein Verkehrsflugzeug am Rande deiner Schußweite abschießen, wenn du Jäger direkt vor Augen hast? Jack, das hier schmeckt mir überhaupt nicht.

Zu unserem Leidwesen können wir nicht beweisen, daß der Sprechfunk vom Jagdflieger kommt, der den Airbus beschossen hat, aber ich vertrete die Ansicht, und meine Kumpels drüben überm Fluß auch, daß es ein bewußter Akt war. Sie haben absichtlich das Verkehrsflugzeug tunken wollen«, schloß der DO des Pentagons. »Wir haben Glück, daß überhaupt welche davongekommen sind.«

»Admiral«, fragte Arnie van Damm, »könnten Sie damit vor irgendein Gericht?«

»Sir, ich bin kein Anwalt. Ich verdiene nicht mein Geld damit, etwas zu beweisen, aber ich sage Ihnen, es steht eins zu hundert, daß wir uns da irren.«

»Das kann ich aber nicht vor Kameras behaupten«, sagte Ryan, der auf die Uhr blickte. Er würde in ein paar Minuten geschminkt. »Wenn die es mit Absicht getan …«

»Kein ›wenn‹, Jack, okay?«

»Verdammt noch mal, Robby, ich hab' dich schon verstanden!« brauste Ryan auf.

Er schwieg kurz und holte Luft. »Ich kann einen souveränen Staat nicht ohne absoluten Beweis einer kriegerischen Handlung beschuldigen. Aber dann, okay, gut, sie haben's mit Absicht getan und dabei gewußt, daß wir's mitbekommen. Was soll das bedeuten?«

Jacks nationales Sicherheitsteam hatte eine lange Nacht hinter sich.

Goodley ergriff die Initiative. »Schwer zu sagen, Mr. President.«

»Wollen sie auf Taiwan los?« fragte der Präsident.

»Das können sie nicht«, sagte Jackson. »Sie sind physisch nicht in der Lage zu einer Invasion. Es gibt keine Anzeichen bei ihren Bodentruppen in diesem Gebiet, bloß das Zeug, das sie im Nordwesten veranstalten und die Russen so aufregt. Also lautet die Antwort aus militärischer Sicht nein.«

»Invasion aus der Luft?« fragte Ed Foley. Robby schüttelte den Kopf.

»Sie haben auch nicht die Luftlandekapazität, und selbst wenn sie es probierten, die ROC hat genug Luftverteidigungskräfte, um daraus ein Wildentenschießen zu machen. Sie könnten eine Luft-See-Schlacht anzetteln, wie ich dir letzte Nacht gesagt habe, aber es wird sie Schiffe und Flieger kosten – zu welchem Zweck?« fragte der J-3.

»Also haben sie ein Verkehrsflugzeug getunkt, um uns zu prüfen?« wunderte sich POTUS. »Das ergibt doch auch keinen Sinn.«

»Wenn Sie statt ›uns‹ ›mich‹ sagen, könnte es so sein«, sagte der DCI leise.

»Aber, Direktor«, wandte Goodley ein. »In dem Flieger saßen zweihundert Leute, und sie müssen damit gerechnet haben, alle umzubringen.«

»Wir sollten nicht zu naiv sein, Ben«, bemerkte Foley. »Sie haben dort drüben nicht unsere sentimentale Einstellung zum menschlichen Leben.«

»Nein, aber …«

Ryan unterbrach. »Okay, halt mal. Wir glauben, es war ein bewußter Akt, aber wir haben keinen sicheren Beweis, und wir haben keine Ahnung, was der Zweck des Ganzen war – und wenn wir die nicht haben, kann ich es nicht einen bewußten Akt nennen, stimmt's?« Rundum wurde genickt. »Na schön, in fünfzehn Minuten muß ich runter in den Presseraum und diese Erklärung abgeben, und dann werden mir die Reporter Fragen stellen, und ich kann ihnen nur Lügen als Antwort bieten.«

»So etwa ließe sich's nennen, Mr. President«, bestätigte van Damm.

»Na, ist ja großartig«, knurrte Jack. »Und Peking wird wissen, zumindest vermuten, daß ich lüge.«

»Möglicherweise, aber da wäre ich mir nicht sicher«, bemerkte Ed Foley.

»Ich kann nicht gut lügen«, sagte ihnen Ryan.

»Dann lernen Sie's«, riet der Stabschef, »rasch.«

*

Auf dem Flug von Teheran nach Paris gab es keine Gespräche. Adler suchte sich hinten einen bequemen Sitzplatz, holte ein Blatt Papier hervor, schrieb während des ganzen Flugs und nahm sein trainiertes Gedächtnis zu Hilfe, um die Unterhaltung zu rekonstruieren. Er fügte noch eine Reihe persönlicher Bemerkungen zu allem hinzu, von Daryaeis äußerlicher Erscheinung bis zum Wirrwarr auf seinem Schreibtisch.

Dann überprüfte er die Notizen eine Stunde lang und machte noch analytische Kommentare. Der Aufenthalt in Paris dauerte eine knappe Stunde, Zeit genug für Adler, sich noch mal kurz mit Claude zu treffen, und für seine Begleiter, schnell einen Drink zu nehmen. Dann ging es wieder mit der Air Force VC-20B weiter.

»Wie ist es gelaufen?« fragte John.

Adler mußte sich ins Gedächtnis rufen, daß Clark zur Sondereinschätzungsgruppe gehörte und nicht bloß ein waffenstarrender Leibwächter war.

»Zuerst, was haben Sie auf Ihrem Spaziergang ergattert?«

Der CIA-Beamte langte in seine Tasche und übergab dem Außenminister eine goldene Halskette.

»Heißt das, wir sind verlobt?« fragte Adler mit einem überraschten Auflachen.

Clark wies auf seinen Partner. »Nein, Sir. Er ist verlobt.«

Da sie nun in der Luft waren, schaltete der Kommunikationsoffizier seine Geräte ein. Das Faxgerät zwitscherte sofort.

*

»… wir haben die Bestätigung für elf tote amerikanische Staatsbürger, wobei noch weitere drei vermißt werden. Vier der amerikanischen Überlebenden sind verletzt und werden in den dortigen Krankenhäusern behandelt. Damit endet mein Erklärung«, sagte ihnen der Präsident.

»Mister President!« riefen dreißig Stimmen gleichzeitig.

»Einer nach dem andern, bitte.« Jack deutete auf eine Frau in der ersten Reihe.

»Peking behauptet, daß Taiwan zuerst geschossen hat. Können Sie das bestätigen?«

»Wir untersuchen noch gewisse Daten, aber es wird dauern, bis wir das geklärt haben, und solange wir keine definitiven Informationen haben, halte ich es nicht für angemessen, eindeutige Schlußfolgerungen zu ziehen.«

»Aber beide Seiten haben geschossen, nicht wahr?« hakte sie nach.

»Es sieht wohl so aus, ja.«

»Wissen wir dann, wessen Rakete den Airbus getroffen hat?«

»Wie gesagt, wir untersuchen noch die Daten.« Fasse dich kurz, Jack, sagte er sich. Und das war nicht direkt eine Lüge, oder? »Ja?« Er wies auf einen anderen Reporter.

»Mr. President, bei so vielen umgekommenen Amerikanern, was werden Sie für Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, daß dies nicht noch einmal geschieht?« Darauf konnte er wenigstens eine aufrichtige Antwort geben.

»Wir prüfen derzeit die Möglichkeiten. Darüber hinaus habe ich nichts zu sagen, außer daß wir beide Chinas dazu aufrufen, innezuhalten. Keinem Land ist daran gelegen, daß Unschuldige ihr Leben verlieren. Militärübungen finden dort nun schon seit einiger Zeit statt, und die sich daraus ergebende Spannung dient nicht der regionalen Stabilität.«

»Werden Sie also beide Länder bitten, ihre Übungen zu unterbrechen?«

»Wir werden sie bitten, das in Erwägung zu ziehen, ja.«

»Mr. President«, sagte John Plumber, »das ist Ihre erste außenpolitische Krise, und …«

Ryan blickte zu dem älteren Reporter herab, und ihm lag es auf der Zunge, zu sagen, daß seine erste innenpolitische Krise auf ihn zurückzuführen war, aber er konnte es sich nicht leisten, sich die Presse zum Feind zu machen, und er konnte sie nur wohlgesonnen stimmen, wenn sie einen mochten – eine insgesamt unwahrscheinliche Möglichkeit, hatte er allmählich begriffen.

»Mr. Plumber, bevor wir etwas unternehmen, müssen wir die Fakten eruieren. Wir arbeiten daran mit höchstem Tempo. Ich hatte meine nationale Sicherheitsgruppe hier …«

»Aber ohne Minister Adler«, strich Plumber heraus. Als guter Reporter hatte er die Staatslimousinen auf dem West Executive Drive überprüft. »Warum war er nicht hier?«

»Er wird später kommen«, wich Ryan aus.

»Wo ist er jetzt?« beharrte Plumber.

Ryan schüttelt bloß den Kopf. »Können wir uns auf einen Punkt beschränken, bitte? Es ist ein bißchen früh am Morgen für so viele Fragen, und wie Sie herausgestrichen haben, habe ich eine schwierige Lage zu bewältigen, Mr. Plumber.«

»Aber er ist Ihr wichtigster außenpolitischer Berater, Sir. Wo ist er jetzt?«

»Nächste Frage«, sagte der Präsident knapp. Er bekam, was er in etwa hätte vorhersehen müssen, von Barry von CNN: »Mr. President, gerade sprachen Sie von den beiden Chinas. Sir, signalisiert dies einen Wechsel in unserer China-Politik, und wenn ja …«

In Peking war es kurz nach acht Uhr abends, und alles lief gut. Das konnte er am Bildschirm sehen. Wie seltsam, einen Politiker zu sehen, dem so auffallend Charme und Geschick fehlten, insbesondere bei einem Amerikaner. Zhang Han San zündete sich eine Zigarette an und gratulierte sich. Er hatte es wieder geschafft. Die »Übung« war etwas gefährlich gewesen, aber dann hatten die Flieger der Republik netterweise mitgespielt und als erste geschossen, ganz wie er gehofft hatte, und nun gab es eine Krise, die er nach Belieben kontrollieren und jederzeit beenden konnte, indem er einfach seine Streitkräfte zurückrief. Er würde Amerika nicht aktiv, sondern eher inaktiv zu einer Reaktion zwingen – und dann würde ein anderer das Provozieren des neuen Präsidenten übernehmen. Er hatte keine Ahnung, was Daryaei im Sinn hatte. Einen Mordanschlag vielleicht? Er brauchte nur zuschauen und die Ernte einfahren, wenn sich die Gelegenheit bot. Amerika konnte nicht ewig Glück haben. Nicht mit diesem jungen Narren im Weißen Haus.

»Barry, ein Land nennt sich die Volksrepublik China und das andere Republik China. Ich muß sie doch irgendwie nennen, nicht wahr?« fragte Ryan gereizt. Oh, Scheiße, bin ich wieder reingetappt?

»Ja schon, Mr. President, aber …«

»Aber wir haben wahrscheinlich vierzehn tote Amerikaner zu beklagen, und das ist nicht die Zeit, sich mit Semantik herumzuschlagen.«

Da, schluck das.

»Was werden wir tun?« wollte eine Frauenstimme wissen.

»Zuerst werden wir herausfinden, was stattgefunden hat. Dann können wir an Reaktionen denken.«

»Aber warum wissen wir das noch nicht?«

»Ja, so gerne wir wissen würden, was jede Minute weltweit geschieht, es ist einfach nicht möglich.«

»Lassen Sie deshalb den CIA-Apparat so radikal aufblähen?«

»Wie ich schon gesagt habe, reden wir hier niemals über Geheimdienstangelegenheiten.«

»Mr. President, es gibt veröffentlichte Berichte über …«

»Es gibt auch veröffentlichte Berichte, daß Ufos hier regelmäßig landen«, schoß Ryan zurück. »Glauben Sie das auch?«

Es wurde einen Augenblick still im Raum. Sie sahen nicht jeden Tag, daß ein Präsident die Beherrschung verlor. So etwas liebten sie.

»Meine Damen und Herren, ich bedaure, daß ich nicht alle Ihre Fragen zur Ihrer Zufriedenheit beantworten kann. Tatsächlich stelle ich mir die gleichen Fragen selbst, aber schlüssige Antworten brauchen Zeit. Wenn ich auf Informationen warten muß, dann Sie auch«, sagte er, womit er die Pressekonferenz wieder ins Gleis brachte.

»Mr. President, ein Mann, der ganz wie der frühere Vorsitzende des KGB aussieht, ist live im Fernsehen aufgetreten und …« Der Reporter verstummte, als er sah, wie Ryans Gesicht unter der Schminke rot anlief. Er erwartete einen weiteren Ausbruch, aber der kam nicht. Die Knöchel des Präsidenten am Pult wurden elfenbeinweiß, doch er holte nur tief Luft.

»Bitte fahren Sie mit Ihrer Frage fort, Sam.«

»Und dieser Herr sagte, er sei es wirklich. Sir, jetzt ist die Katze wohl aus dem Sack, und ich glaube, meine Frage ist legitim.«

»Ich habe noch keine Frage gehört, Sam.«

»Ist er wirklich derjenige, der er zu sein behauptet?«

»Dazu brauchen Sie mich nicht, um Ihnen das zu sagen.«

»Mr. President, dies Ereignis, diese … Operation ist von großer internationaler Tragweite. Ab einem gewissen Punkt haben Geheimdienstoperationen, ernsthafte Auswirkungen auf internationale Beziehungen. Das Volk Amerikas will dann wissen, was sich abspielt.«

»Sam, ich werde dies ein letztes Mal sagen: Ich werde nie, niemals Geheimdienstangelegenheiten besprechen. Ich bin heute morgen hier, um unsere Mitbürger von einem tragischen und bislang ungeklärten Vorfall zu unterrichten, bei dem über hundert Menschen, darunter vierzehn amerikanische Staatsbürger, ihr Leben verloren haben. Diese Regierung wird ihr Äußerstes tun, um festzustellen, was stattgefunden hat, und dann über ein angemessenes Vorgehen entscheiden.«

»Sehr wohl, Mr. President. Haben wir eine Ein-China-Politik oder eine Zwei-China-Politik?«

»Wir haben nichts verändert.«

»Könnte sich aus diesem Zwischenfall eine Änderung ergeben?«

»Ich werde nicht über etwas so Bedeutsames spekulieren. Und nun, wenn Sie gestatten, muß ich wieder an die Arbeit.«

»Danke, Mr. President!« hörte Jack im Hinausgehen. Um die Ecke hing ein gut versteckter Gewehrschrank. POTUS donnerte mit der Hand so heftig dagegen, daß einige Uzis drinnen klapperten.

»Gottverdammt noch mal!« fluchte er auf dem Rückweg ins Office.

»Mr. President?« Ryan drehte sich rasch um. Es war Robby, der seine Aktenmappe hielt. Es schien so abwegig, daß ein Flieger so etwas trug.

»Ich muß mich bei dir entschuldigen«, sagte Jack, bevor Robby weiterreden konnte. »Tut mir leid, daß ich dich angeschnauzt hab'.«

Admiral Jackson klopfte seinem Freund auf den Arm. »Beim nächsten Golfspiel gibt's für jedes Loch einen Dollar, und wenn du dich aufregst, dann mir, nicht denen gegenüber, okay? Mann, ich kenn' doch dein Temperament. Schalt's runter. Ein Kommandant kann nur vor der Truppe zum Schein, nicht im Ernst, rumbrüllen – Menschenführung nennen wir das. Das Personal anschnauzen ist etwas anderes. Ich gehör' zum Personal«, sagte Robby. »Schnauz mich an.«

»Ja ja, ich weiß. Halt mich auf dem laufenden und …«

»Jack?«

»Ja, Rob?«

»Du machst es gut, aber bleib cool.«

»Aber ich dürfte es nicht so weit kommen lassen, daß Amerikaner getötet werden, Robby. Dazu bin ich nicht hier.« Seine Hände ballten sich wieder zu Fäusten.

»Mist passiert immer. Wenn du meinst, du kannst das ganz aufhalten, machst du dir selbst was vor. Aber dir brauch' ich das ja nicht sagen. Du bist nicht Gott, Jack, aber ein recht guter Kerl, der seinen Job recht gut macht. Wir werden dich weiter informieren, sobald wir's beisammen haben.«

»Wenn sich die Lage beruhigt, wie war's dann mit einer Golfstunde?«

»Ich stehe zu Diensten.« Die beiden Freunde gaben sich die Hand.

Jackson ging Richtung Tür, Ryan zum Office. Auf dem Wege rief er: »Mrs. Sumter!« Vielleicht half ja ein Glimmstengel.

*

»Also, was gibt's, Herr Minister?« fragte Chavez. Das dreiseitige Fax, das über sichere Satellitenverbindung hereingekommen war, sagte ihnen alles, was der Präsident in der Hand hatte. Adler hatte es ihnen auch gezeigt.

»Ich weiß nicht«, gab SecState zu. »Chavez, diese Magisterarbeit, von der Sie mir erzählt haben?«

»Was ist damit, Sir?«

»Sie hätten mit der Abfassung warten sollen. Jetzt wissen Sie, wie es hier oben ist. Wie beim Völkerballspielen in der Schule, nur müssen wir hier keinem Gummiball ausweichen, oder?« Der Außenminister steckt seine Notizen ein und winkte dem Luftwaffensergeant, der sich um sie kümmern sollte. Er war nicht so reizend wie die Französin.

»Ja, Sir?«

»Hat Claude uns was dagelassen?«

»Ein paar Flaschen aus dem Loiretal«, erwiderte der NCO lächelnd.

»Könnten Sie eine entkorken und ein paar Gläser holen? Ich werde mir ein oder zwei Gläser genehmigen und dann ein bißchen schlafen. Sieht so aus, als hätte ich weitere Reisen vor mir«, sagte ihnen SecState.

»Peking.« Kein Wunder, dachte John.

»Philadelphia wird's nicht sein«, sagte Scott, als Flasche und Gläser gebracht wurden. Dreißig Minuten später klappten alle drei Männer die Sitze zurück. Der Sergeant zog für sie die Sichtblenden runter.

Diesmal konnte Clark einschlafen, Chavez aber nicht. Adlers Bemerkung hatte einen wahren Kern. In seiner Arbeit hatte er Staatsmänner der Jahrhundertwende heftig wegen ihrer Unfähigkeit angegriffen, über unmittelbare Probleme hinauszublicken. Jetzt wußte Ding es ein wenig besser. Der Unterschied zwischen einem unmittelbaren taktischen Problem und einem echt strategischen war schwer zu erkennen, wenn einem ständig Kugeln um die Ohren flogen, und Geschichtsbücher konnten die Stimmung, das Zeitgefühl, worüber sie berichteten, nicht nachbilden. Sie vermittelten auch einen falschen Eindruck von den Menschen. Minister Adler, der nun in seinem zurückgeklappten Ledersitz schnarchte, war ein Vollblutdiplomat, rief sich Chavez ins Gedächtnis, und er hatte sich das Vertrauen und die Achtung des Präsidenten erworben – eines Menschen, den er selbst hoch achtete. Der war nicht dumm.

Der war nicht käuflich. Aber er war bloß ein Mensch, und Menschen machten Fehler … bedeutende Menschen machten große Fehler. Eines Tages würde ein Historiker über die jetzige Reise berichten, aber würde er wirklich wissen, wie sie gewesen war – und wenn er es nicht wußte, wie würde er das, was stattgefunden hatte, kommentieren?

Was geht da vor? fragte sich Ding. Iran wird echt aufmüpfig, verpaßt Irak eins und macht einen neuen Staat auf, und gerade, als Amerika damit zurechtzukommen versucht, passiert was anderes. Global gesehen ein geringfügiges Ereignis, vielleicht – aber das ließ sich ja alles erst sagen, wenn alles vorbei war. Wie war das herauszubekommen? Das war immer das Problem. Staatsmänner hatten im Lauf der Jahrhunderte stets Fehler gemacht, denn wer mitten im Lauf der Ereignisse steckte, konnte nicht einen Schritt beiseite treten und sich einen distanzierteren Blick gönnen. Er hatte gerade seine Magisterarbeit abgeschlossen, würde noch dies Jahr sein Diplom bekommen und damit zum Experten für internationale Beziehungen erklärt werden. Aber das war eine Lüge, dachte Ding. Eine flapsige Bemerkung, die er einmal auf einem anderen Flug gemacht hatte, fiel ihm wieder ein. Viel zu oft bestanden internationale Beziehungen schlicht darin, daß ein Land ein anderes vergewaltigte. Domingo Chavez lächelte über diesen Gedanken, aber eigentlich war das überhaupt nicht komisch. Nicht, wenn Leute dabei umkamen.

Und ganz besonders nicht, wenn er und Mr. C. in vorderster Front die Drecksarbeit machen mußten. Etwas war im Mittleren Osten passiert.

Etwas anderes lief mit China ab … viertausend Meilen entfernt. Könnte zwischen den beiden ein Zusammenhang bestehen? Und was, wenn es ihn gab? Aber wie könnte er das herausfinden? Historiker gingen davon aus, daß sich das herausfinden ließe, wenn die Menschen nur schlau genug wären. Aber Historiker mußten nicht die Arbeit …

*

»Nicht seine beste Vorstellung«, sagte Plumber nach einem Schluck Eistee.

»Nun, zwölf Stunden, nicht mal das, um etwas, das auf der anderen Hälfte des Globus abläuft, in den Griff zu kriegen, John«, warf Holtzman ein …

Sie waren in einem typischen Washingtoner Restaurant, pseudofranzösisch mit kleinen Troddeln an der Speisekarte, die zu teuer zu mittelmäßige Mahlzeiten anbot – aber beide waren ja auf Spesen.

»Er sollte sich besser im Griff haben«, bemerkte Plumber.

»Beschwerst du dich, daß er nicht wirkungsvoll lügen kann?«

»Das gehört zu den Dingen, die ein Präsident können sollte …«

»Hat je einer gesagt, es sei ein leichter Job, John? Ich frage mich nur manchmal, ob wir ihm den Job wirklich erschweren sollten.« Aber Plumber biß nicht an.

»Wo ist Adler deiner Meinung nach?« fragte der NBC-Korrespondent.

»Das war eine gute Frage heute früh«, gestand der Post-Reporter ein und hob sein Glas. »Ich laß das von jemand nachprüfen.«

»Wir auch. Ryan hätte doch bloß sagen brauchen, er bereite sich auf ein Treffen mit dem Botschafter der PRC vor. Es hätte das ganze fein vertuscht.«

»Aber es wäre eine Lüge gewesen.«

»Es wäre die richtige Lüge gewesen. Bob, so läuft das Spiel. Die Regierung versucht, etwas im Geheimen zu tun, und wir wollen es herausfinden. Ryan mag diese Geheimniskrämerei ein bißchen zu sehr.«

»Aber wenn wir ihm eins drauf brennen, welchem Programmplan folgen wir dann?«

»Wie meinst du das?«

»Ach komm, John. Ed Kealty hat dir das alles verklickert. Um das rauszufinden, brauch' ich kein Raketenwissenschaftler sein. Das weiß doch jeder.« Bob stocherte in seinem Salat herum.

»Es stimmt alles, nicht wahr?«

»Ja klar«, gab Holtzman zu. »Und da gibt's noch 'ne Menge mehr.«

»Wirklich? Nun, ich weiß, du hattest eine Story in Arbeit.«

»Sogar mehr, als ich hinschreiben kann.«

»Wirklich?« Da wurde John Plumber aufmerksam. Holtzman gehörte für ihn zur jüngeren Generation und zur älteren für die neueste Reporterriege – die Plumber als Grufti ansahen, aber doch seine Journalismusseminare an der Columbia University besuchten.

»Wirklich«, versicherte Bob.

»Wie etwa?«

»Wie eben Sachen, über die ich nicht schreiben kann«, erwiderte Holtzman. »Jedenfalls für eine lange Zeit nicht. John, ich bin einem Teil dieser Story schon jahrelang auf der Spur. Ich kenne den CIA-Beamten, der Gerasimows Frau und Tochter rausgeholt hat. Wir haben eine kleine Abmachung. In ein paar Jahren erzählt er mir, wie das ging. Die U-Boot-Geschichte stimmt und …«

»Ich weiß. Ich hab' ein Foto mit Ryan auf dem Boot gesehen. Warum er das nicht durchsickern läßt, ist mir ein Rätsel.«

»Er verstößt nicht gegen die Regeln. Niemand hat ihm je erklärt, daß so was in Ordnung …«

»Er muß sich mehr an Arnie halten …«

»Im Gegensatz zu Ed.«

»Kealty weiß, wie der Hase läuft.«

»Yeah, das tut er, John, vielleicht ein bißchen zu gut. Weißt du, eins hab' ich nie richtig rausbekommen können«, bemerkte Bob Holtzman.

»Was denn?«

»Das Spiel, in dem wir stecken. Sollen wir da Zuschauer, Schiedsrichter oder Spieler sein?«

»Bob, unser Job ist es, unseren Lesern – für mich sind's die Zuschauer – die Wahrheit zu berichten.«

»Wessen Fakten, John?« fragte Holtzman.

»Ein zorniger und nervöser President Jack Ryan …« Jack hob die Fernbedienung und stellte den CNN-Reporter stumm, der ihm mit der China-Frage in die Quere gekommen war. »Zornig, ja, nervös …«

»Ebenfalls ja«, sagte van Damm. »Sie haben das mit den Chinas vermasselt, und wo Adler ist – übrigens, wo ist er denn?«

Der Präsident blickt auf die Uhr. »Er sollte in etwa anderthalb Stunden in Andrews landen. Er kommt direkt her und fliegt wahrscheinlich gleich weiter nach China. Was zum Teufel haben die vor?«

»Sie fragen mich?« mußte der Stabschef passen. »Wozu haben Sie einen nationalen Sicherheitsstab?«

»Ich weiß soviel wie die, und das is 'n Scheißdreck«, zischte Jack, der sich in seinem Sessel zurücklehnte. »Wir müssen die nachrichtendienstlichen Kapazitäten erhöhen. Der Präsident kann nicht die ganze Zeit hier festsitzen und nicht wissen, was abgeht. Ich kann ohne Informationen keine Entscheidungen treffen, und wir haben nur Vermutungen – außer dem, was Robby uns mitgeteilt hat. Das sind harte Fakten, aber die ergeben keinen Sinn, weil da nichts zusammenpaßt.«

»Sie müssen warten lernen, Mr. President. Selbst wenn's die Presse nicht tut, Sie müssen es, und Sie müssen lernen, darauf zu schauen, was Sie tun können, wenn Sie's tun können. Nun«, fuhr Arnie fort, »haben wir nächste Woche die erste Reihe der Hauswahlen vor uns. Wir haben Sie für einige Ausflüge zu Reden eingeteilt. Wenn Sie die richtige Sorte von Abgeordneten im Kongreß haben wollen, dann müssen Sie dafür unter die Leute gehen. Ich lasse von Callie ein paar Reden für Sie vorbereiten.«

»Mit welchem Schwerpunkt?«

»Steuerpolitik, Verwaltungsverbesserungen, Integrität, alle Ihre Lieblingsthemen. Wir geben Ihnen morgen früh die Entwürfe. Zeit, wieder etwas unter die Leute zu gehen. Lassen Sie sich wieder etwas anhimmeln, und Sie können sie auch wieder ins Herz schließen.« Das trug dem Stabschef einen schiefen Blick ein. »Ich habe es Ihnen schon gesagt, Sie können sich nicht hier einsperren, und der Funk im Flugzeug funktioniert prima.«

»Ein Tapetenwechsel wäre toll«, gab POTUS zu.

»Wissen Sie, was jetzt echt gut wäre?«

»Was denn?«

Arnie grinste. »Eine Naturkatastrophe; gibt Ihnen Gelegenheit, rauszufliegen und präsidial auszusehen, Leute zu treffen, sie zu trösten und Hilfeleistungen des Bundes zu versprechen …«

»Ja, zum Donnerwetter noch mal!« Das war so laut, daß es selbst die Sekretärinnen durch die fünf Zentimeter dicke Tür hörten.

Arnie seufzte. »Sie müssen noch lernen eine scherzhafte Bemerkung hinzunehmen, Jack. Stecken Sie Ihr Temperament in ein Kästchen, und sperren Sie das verdammt noch mal zu. Ich hab' Sie nur spaßeshalber provoziert, und denken Sie daran, ich bin auf Ihrer Seite.« Arnie ging in sein Büro, und der Präsident war wieder allein.

Schon wieder eine Lektion im Präsidenteneinmaleins. Jack fragte sich, wann das aufhören würde. Früher oder später würde er wie ein Präsident handeln müssen. Aber er hatte es noch nicht ganz geschafft.

Arnie hatte das so nicht gesagt und Robby auch nicht. Er gehörte nicht dazu. Tat sein Bestes, aber das war nicht gut genug – noch. Noch? Vielleicht nie. Eins nach dem anderen, dachte er. Was jeder Vater jedem Sohn sagte, aber nie warnte, daß nicht alle sich den Luxus des Nacheinanders leisten konnten. Vierzehn tote Amerikaner auf einer Landebahn auf einer Insel über achttausend Meilen entfernt, wahrscheinlich mit Absicht umgebracht, für einen Zweck, den er nur erraten konnte, und er sollte das beiseite legen und einfach fortfahren? Was brauchte er, um diesen Posten auszufüllen? Tote Mitbürger abschreiben und sich anderem zuwenden? Dazu mußte einer ein Menschenfeind sein, oder? Nun, nicht ganz. Andere mußten es auch – Ärzte, Soldaten, Cops. Er mußte sein Temperament zügeln, seine Frustration besänftigen und für den Rest des Tages was anderes in Angriff nehmen.

*

Movie Star blickte aufs Meer herab, sechs Kilometer unter ihm, schätzte er. Im Norden konnte er auf der blaugrauen Oberfläche einen Eisberg sehen, der im hellen Sonnenlicht glitzerte. War das nicht bemerkenswert? Sooft er geflogen war, er hatte noch nie einen gesehen. Für jemand aus seinem Teil der Welt war das Meer einigermaßen sonderbar, wie eine Wüste, unbewohnbar, aber auf andere Art. Seltsam, wie es bis auf die Farbe so wie die Wüste aussah, so wie Dünen, aber gar nicht einladend.

Außer seinem Aussehen – da war er ziemlich eitel; er liebte das Lächeln, das beispielsweise Stewardessen ihm zuwarfen – war für ihn fast nichts einladend. Die Welt haßte ihn und seinesgleichen, und selbst diejenigen, die sich seiner Dienste versicherten, hielten ihn lieber auf Abstand wie einen bösartigen, aber gelegentlich nützlichen Hund. Er verzog das Gesicht und schaute hinunter. Hunde wurden in seiner Kultur nicht besonders geschätzt. Und nun war er hier, wieder in einem Flugzeug, allein, während seine Leute in Dreiergruppen in anderen Fliegern saßen und auf einen Ort zuflogen, wo sie entschieden unwillkommen wären, von einem Ort geschickt, wo sie es genausowenig waren.

Erfolg würde ihm – was einbringen? Geheimdienstler würden ihn zu identifizieren und aufzuspüren suchen, aber die Israelis hatten das schon jahrelang getan, und er war immer noch am Leben. Wofür machte er das alles? fragte sich Movie Star. Die Frage kam ein bißchen zu spät.

Wenn er die Mission abbrach, wäre er nirgendwo mehr willkommen. Er sollte für Allah kämpfen, nicht wahr? Dschihad. Heiliger Krieg. Es war ein religiöser Begriff für einen militärisch-religiösen Akt, der den Glauben bewahren sollte, aber daran glaubte er nicht mehr, und es war etwas beängstigend, kein Land, keine Heimat zu haben und dann … keinen Glauben? Hatte er den noch? fragte er sich und gestand sich ein, daß er keinen mehr hatte, wenn er schon fragen mußte. Er und seinesgleichen, zumindest diejenigen, die überlebten, wurden zu Automaten, geschickten Robotern – Computern in der modernen Zeit. Maschinen erledigten so was auf Geheiß von anderen und wurden weggeworfen, wenn es gerade paßte. Aber er hatte keine Wahl.

Vielleicht würden die Menschen, die ihn auf diese Mission geschickt hatten, gewinnen, und er würde eine Belohnung bekommen. Er redete sich das ständig ein, obwohl nichts in seiner Lebenserfahrung diesen Glauben bestärkte – und wenn er seinen Glauben an Gott verloren hatte, wie konnte er dann einer Beschäftigung treu bleiben, die selbst seine Arbeitgeber mit Abscheu betrachteten?

Kinder. Er hatte nie geheiratet, nie seinem Wissen nach eines gezeugt.

Die Frauen, die er gehabt hatte, vielleicht – aber nein, das waren lasterhafte Frauen, und seine religiöse Erziehung hatte ihm eingetrichtert, sie zu verachten, selbst wenn er sich ihrer Körper bediente; und wenn sie Nachkommen hervorbrachten, dann wären auch die Kinder verflucht.

Wie kam es, daß ein Mann sein ganzes Leben lang einer Idee nachjagte und dann merkte, daß er auf einmal auf eine der unwirtlichsten Gegenden herabblickte – einen Ort, wo weder er noch irgendein Mensch leben konnte – und sich hier mehr zu Hause fühlte als anderswo? Und so würde er dem Tod von Kindern Vorschub leisten. Ungläubige, politische Erklärungen, Dinge. Aber das waren sie nicht. Sie waren in diesem Alter nicht schuldfähig, ihre Körper noch nicht ausgebildet, ihr Geist noch nicht mit dem Wesen von Gut und Böse erfüllt.

Movie Star sagte sich, daß ihm solche Gedanken auch schon früher gekommen waren, daß Zweifel bei schwierigen Aufgaben normal waren und daß er sie jedes Mal bisher beiseite gewischt und weitergemacht hatte. Wenn die Welt sich geändert hatte, dann vielleicht …

Doch die einzigen Veränderungen, die sich ergeben hatten, waren seiner lebenslangen Aufgabe zuwidergelaufen, und konnte es sein, daß er für nichts getötet hatte und deshalb weiter töten mußte, in der Hoffnung, etwas zu erreichen? Wohin führte dieser Weg? Wenn es einen Gott gab und einen Glauben und ein Gesetz, dann …

An etwas mußte er doch glauben. Er blickte auf die Uhr. Noch vier Stunden. Er hatte eine Auftrag. Daran mußte er glauben.

*

Sie kamen in Wagen statt im Hubschrauber, weil letztere zu sehr auffielen. Um die Sache noch mehr abzuschirmen, fuhren die Autos zum Eingang des Ostflügels. Adler, Clark und Chavez wurden vom Geheimdienst ins White House geschleust auf demselben Weg, den Jack an seinem ersten Abend beschritten hatte. Ihre Ankunft entging der Presse.

Das Oval Office war gut gefüllt. Goodley und die Foleys waren da und selbstverständlich Arnie.

»Wie sieht's mit dem Jetlag aus, Scott?« fragte Jack zuerst, der ihn an der Tür empfing.

»Wenn heute Dienstag ist, dann muß das Washington sein«, erwiderte SecState.

»Heute ist nicht Dienstag«, bemerkte Goodley, der's nicht kapierte.

»Dann muß der Jetlag ganz schön schlimm sein.« Adler nahm Platz und holte seine Aufzeichnungen heraus. Ein Messesteward der Navy kam mit Kaffee, dem Treibstoff Washingtons.

»Erzählen Sie uns von Daryaei«, befahl Ryan.

»Er sieht gesund aus. Ein bißchen müde«, gab Adler zu. »Sein Schreibtisch ist einigermaßen sauber. Er hat leise gesprochen, aber er war nie einer, der in der Öffentlichkeit die Stimme erhoben hat, soweit ich weiß. Interessanterweise ist er um die Zeit, als wir landeten, auch erst eingetroffen.«

»O?« sagte Ed Foley, der von seinen Notizen aufblickte.

»Yeah, kam mit 'nem Geschäftsjet an, einer Gulfstream«, berichtete Clark. »Ding hat ein paar Bildchen geknipst.«

»So, er kommt also auch etwas rum. Ich schätze, das macht Sinn«, bemerkte POTUS. Seltsamerweise konnte Ryan Daryaeis Probleme verstehen. Sie waren gar nicht so anders wie seine, obwohl das Vorgehen des Iraners kaum unterschiedlicher hätte sein können.

»Sein Stab hat Angst«, fügte Chavez impulsiv hinzu. »Wie aus einem alten Kriegsfilm die Schergen. Im Außenbüro, die waren so gespannt, hätte jemand ›Buh‹ gesagt, wären sie an der Decke gelandet.«

»Dem stimme ich zu«, sagte Adler, den die Unterbrechung nicht störte. »Sein Benehmen mir gegenüber war sehr altmodisch, leise, Platitüden, solche Sachen. Es war so, daß er nichts wirklich Bedeutendes gesagt hat – vielleicht gut, vielleicht schlecht. Er ist bereit, die Kontakte mit uns fortzusetzen. Er sagt, er wünscht Frieden mit allen. Er hat sogar ein gewisses Eingehen auf Israel durchblicken lassen. Bei dem Treffen hat er mich hauptsächlich belehrt, wie friedlich er und seine Religion seien.

Er betonte den Wert des Öls und der für alle Beteiligten sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Beziehungen. Er leugnete, irgendwelche territorialen Ansprüche zu haben. An allem war nichts Überraschendes.«

»Okay«, sagte der Präsident. »Wie war es mit der Körpersprache?«

»Er wirkt sehr zuversichtlich, sehr sicher. Er mag es, wo er jetzt ist.«

»Kein Wunder«, entfuhr es Ed Foley.

Adler nickte. »Stimmt. Wenn ich ihn mit einem Wort beschreiben sollte, wäre es ›gelassen‹.«

»Als ich ihn vor ein paar Jahren traf«, erinnerte sich Jack, »war er aggressiv, feindselig, suchte nach Feinden, so in etwa.«

»Heute früh war nichts davon zu spüren.« SecState fragte sich, ob es noch derselbe Tag war. Wahrscheinlich. »Wie schon gesagt, gelassen, aber dann auf dem Rückweg hat Mr. Clark hier etwas aufgebracht.«

»Was denn?« fragte Goodley.

»Das hat den Metalldetektor ausgelöst.« John zog wieder die Halskette heraus und gab sie dem Präsidenten.

»Haben Sie einen Einkaufsbummel gemacht?«

»Na ja, alle wollten doch, daß ich spazierengehe«, erinnerte er seine Zuhörer. »Wo besser als auf dem Markt.« Clark schilderte den Vorfall mit dem Goldschmied, während POTUS die Halskette ansah.

»Wenn er solche Sachen für siebenhundert Eier verkauft, dann sollten wir alle vielleicht seine Adresse notieren. Ein Einzelfall, John?«

»Der französische Außenstellenleiter war bei mir. Er hielt den Kerl für ziemlich repräsentativ.«

»Also?« fragte van Damm.

»Also hat Daryaei vielleicht gar nicht so viel, das ihn gelassen stimmt«, mutmaßte Scott Adler.

»Solche Leute wissen nicht immer, wie das einfache Volk denkt«, ließ sich der Stabschef vernehmen.

»Das hat den Schah zu Fall gebracht«, sagte ihm Ed Foley. »Und Daryaei gehört zu den Leuten, die das in die Wege geleitet haben. Ich glaube nicht, daß er diese eine Lektion vergessen hat … und wir wissen, daß er immer noch Leute absägt, die vom Weg abweichen.« Der DCI wandte sich zu seinem Auslandsagenten um: »Gut gemacht, John.«

»Lefevre – der französische Spook – sagte zweimal, wir hätten nicht das richtige Gefühl für die Stimmung auf der Straße dort. Vielleicht wollte er mich aufziehen«, fuhr John fort. »Ich meine, nicht.«

»Wir wissen, daß es Abweichungen gibt«, sagte Ben Goodley.

»Aber wir wissen nicht, wieviel.« Das war wieder Adler. »Insgesamt, glaube ich, haben wir es mit einem Mann zu tun, der aus einem bestimmten Grund gelassen wirken möchte. Er hat ein paar gute Monate hinter sich. Er hat einen größeren Feind erledigt. Er hat einige internationale Probleme, deren Größenordnung wir abschätzen müssen. Er flitzt ständig rüber in den Irak – das haben wir gesehen. Er sieht müde aus. Personal angespannt. Ich glaube, er braucht Zeit zur Konsolidierung. Clark hier sagt mir, daß die Lebensmittelpreise hoch sind. Es ist ja ein an sich reiches Land, und Daryaei kann die Lage am besten beruhigen, wenn er seinen politischen Erfolg ausspielt und ihn so rasch wie möglich in wirtschaftlichen Erfolg ummünzt. Essen auf den Tisch zu stellen würde nicht schaden. Im Augenblick muß er nach innen, nicht nach außen blicken. Und deshalb halte ich es für möglich, daß sich uns da ein Fenster öffnet«, schloß SecState.

»Sollen wir also die Hand zur Freundschaft reichen?« fragte Arnie.

»Ich glaube, wir sollten erst mal die Kontakte still und informell halten. Und dann schauen wir mal, was sich ergibt«, meinte SecState.

Der Präsident nickte. »Gut gemacht, Scott. Und jetzt schätze ich, sollten wir Sie schleunigst nach China schicken.«

»Wann fliege ich?« wollte SecState mit gequälter Miene wissen.

»Diesmal werden Sie ein größeres Flugzeug haben«, versprach ihm sein Präsident.