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Einsatzrichtlinien
Diggs hatte noch keinen rechten Einsatzbefehl erhalten, und seine Operation BUFORD war auch noch ziemlich ohne Plan. Die Army bildete ihre Kommandeure aus, schnell und entschieden zu handeln, aber wie bei Ärzten im Krankenhaus waren Not-OPs weniger willkommen als Wahleingriffe. Der General war im ständigen Kontakt mit seinen beiden Regimentskommandeuren der Kavallerie, dem Air-Force-Befehlshaber – dem Ein-Sterner, der das 366ste hergebracht hatte –, den Saudis, den Kuwaitern und diversen nachrichtendienstlichen Leuten.
Er versuchte sich ein Bild davon zu machen, was der Feind wirklich tat und was er vielleicht plante – von da aus würde er versuchen, irgendeinen eigenen Plan zu gestalten, der über Ad-hoc-Reaktionen hinausging. Die Befehle und Einsatzrichtlinien trafen um 11.00 Uhr Washington-Zeit, 16.00 Zulu, 19.00 Lima oder Ortszeit, auf seinem Faxgerät ein.
Hier war die Erklärung, die er vermißt hatte. Er gab sie umgehend an seine Untergebenen weiter und rief seinen Stab zusammen. Die Truppe, sagte er den versammelten Offizieren, würden es von ihrem Obersten Befehlshaber erfahren. Die Offiziere sollten dann bei ihren Truppen sein.
Es war genug los. Satelliten zeigten, daß die Armee Gottes nur noch 150 Kilometer von der kuwaitischen Grenze entfernt war; sie näherte sich in Kolonnen von Westen her und hielt sich wie erwartet an die Straßen. Das ließ die Saudi-Aufstellung recht gut aussehen, denn drei ihrer Brigaden deckten den Zugang zu den Ölfeldern ab.
Noch immer waren sie nicht bereit. Das 366. Flugregiment war im Königreich, aber es reichte nicht, die Flieger auf den richtigen Horsten zu haben. Die F-16 aus Israel waren schon gut drauf, hatten alle 48 der einmotorigen Jäger im Betrieb und sogar einige Abschüsse in den ersten Scharmützeln verbucht, aber der Rest brauchte noch einen Tag. Ähnlich stand es mit den Bodentruppen. Die 10. Cav war voll bereit, die 11. aber nicht, richtete sich noch aus und bewegte sich zum ersten Aufstellungspunkt. Seine dritte Brigade hatte gerade begonnen, Gerät zu fassen. Eine Armee war keine Ansammlung von Waffen. Sie war ein Team aus Leuten, die wußten, was sie zu tun hatten. Aber die Wahl von Zeit und Ort eines Kriegs war meistens Sache des Aggressors, und das war eine Rolle, in der sein Land nicht sehr geübt war.
Er besah sich wieder das Drei-Seiten-Fax. Es schien in seinen Händen hochbrisant zu sein. Sein Planungsstab las die Kopien und war gespenstisch still, bis der S-3 vom 11ten, Operationsoffizier des Regiments, es für alle zusammenfaßte: »We're gonna get some.«
Drei Russen waren vor kurzem eingetroffen. Clark und Chavez mußten sich ständig vergegenwärtigen, daß dies nicht eine Art alkoholinduzierter Traum war. Die zwei CIA-Offiziere wurden von Russen unterstützt, mit Missionsbefehl aus Langley via Moskau. Eigentlich waren es zwei Missionen. Die Russen hatten die schwere und hatten im diplomatischen Gepäck die Gerätschaften mitgebracht, mit denen sich die Amerikaner an der leichten versuchen wollten. Eine Mitteilung war aus Washington via Moskau mitgekommen, die sie gemeinsam lasen.
»Zu schnell, John«, hauchte Ding. Dann erschien sein Missionsgesicht. »Aber was soll's, zum Teufel noch mal.«
Der Presseraum war unterbevölkert. So viele der Dauergäste fehlten, manche waren auswärts, durch das Reiseverbot hängengeblieben, andere einfach verschwunden, und keiner wußte eigentlich, wieso.
»Der Präsident hält in einer Stunde eine Rede«, teilte ihnen van Damm mit. »Leider fehlt die Zeit, Ihnen Vorauskopien der Rede zu geben. Teilen Sie bitte Ihren Networks mit, daß dies eine Sache größter Wichtigkeit ist.«
»Arnie!« schrie ein Reporter, aber der Stabschef hatte sich bereits abgewandt.
Die Reporter in Saudi-Arabien wußten mehr als ihre Freunde in Washington und zogen aus, um zu ihren Einheiten zu stoßen. Für Tom Donner war dies die B-Truppe, 1. des 11. Er war voll ausgerüstet in Wüsten-BDU und traf den Einheitskommandeur neben seinem Panzer an.
»Hallo«, sagte der Captain und sah halb von seiner Landkarte auf.
»Wo wollen Sie mich haben?« fragte Donner.
Der Captain lachte. »Fragen Sie nie einen Soldaten, wo er einen Reporter haben will, Sir.«
»Dann bei Ihnen?«
»Ich fahre in dem hier«, erwiderte der Offizier und nickte zum Panzer. »Sie setze ich in einen Bradley.«
»Ich brauche ein Kamerateam.«
»Sind schon da«, sagte ihm der Captain und zeigte hin. »Dort rüber. Sonst noch was?«
»Yeah. Möchten Sie wissen, worum es hier überhaupt geht?« fragte Donner. Die Journalisten waren im Hotel in Riad so gut wie Gefangene gewesen, durften nicht mal zu Hause ihren Familien Bescheid sagen, wo sie waren – bekannt war nur, daß die Reporter weggerufen worden waren, und ihre Muttergesellschaften hatten Vereinbarungen unterzeichnet, daß sie den Zweck ihrer Abwesenheit bei solchen Einsätzen nicht aufdecken durften. In Donners Fall hieß es lapidar, er sei ›auf Recherche‹. Aber man hatte ihnen die Gesamtlage mitgeteilt, und damit hatten sie einer Menge Soldaten etwas voraus.
»Bekommen wir in einer Stunde oder so mit, hat uns der Colonel gesagt.« Aber der junge Offizier war jetzt interessiert.
»Dies ist etwas, das Sie wissen sollten, ehrlich.«
»Mr. Donner, ich weiß, was Sie mit dem Präsidenten angestellt haben, und …«
»Wenn Sie mich erschießen wollen, bitte später. Hören Sie mir zu, Captain. Es ist wichtig.«
»Sie haben das Wort, Sir.«
Es lag etwas Perverses darin, in einem solchen Moment in der Maske zu sitzen. Wie immer war es Mary Abbot, in Maske und diesmal auch Handschuhen, während beide Teleprompter einen Probelauf machten.
Ryan hatte weder Zeit noch Lust gehabt, das hier zu proben. So wichtig die Rede war, er wollte sie nur einmal halten.
»Die können es nicht über Land bringen«, insistierte der saudische General. »Sie haben dafür nicht geübt, und sind daher straßengebunden.«
»Es gibt gegenteilige Informationen, Sir«, sagte Diggs.
»Wir sind bereit für sie.«
»Man ist dafür nie bereit genug, General. Keiner ist es.«
Es war gespannt, aber sonst normal bei PALM BOWL. Runtergeladene Satellitenbilder zeigten ihnen, daß die UIR-Streitmacht noch immer in Bewegung war, und wenn sie weiterzogen, würden sie auf zwei kuwaitische Brigaden in eigenem Terrain treffen, unterstützt von einem amerikanischen Regiment in Reserve und den Saudis, bereit zur raschen Verstärkung. Sie wußten nicht, wie die Schlacht ausgehen würde – die Zahlen waren nicht so berauschend –, aber es wäre diesmal nicht so wie beim letztenmal, sagte sich Major Sabah. Es erschien ihm eine Narretei, daß die alliierten Streitmächte nicht zuerst losschlagen durften. Sie wußten doch, was kam.
»Einiges an Sprechfunkverkehr«, meldete ein Techniker. Draußen begann gerade der Sonnenuntergang. Die Satellitenbilder, die den Nachrichtendienst-Offizieren vorlagen, waren über vier Stunden alt.
Die nächsten wären erst in zwei Stunden verfügbar.
STORM TRACK lag nahe der Saudi-Arabien/UIR-Grenze, zu weit für Mörserfeuer, aber nicht sicher vor echter Rohrartillerie.
Eine Kompanie aus vierzehn saudischen Panzern war zwischen Horchposten und der Berme postiert. Hier begann man ebenso, zum ersten Mal seit Tagen, Funkverkehr abzufangen. Die Signale waren chiffriert. Da sie nicht unmittelbar lesbar waren – das war Aufgabe der Rechner in KKMC –, begannen sie, die Quellen zu orten. Nach zwanzig Minuten hatten sie dreißig Punktquellen. Zwanzig stellten Brigadehauptquartiere dar. Sechs Kommandoposten für Divisionen. Drei für die Korpskommandeure und einer fürs Armee-Oberkommando. Die schienen ihr Komm-Netz zu testen, entschieden die ELINT-Leute. Sie müßten abwarten, bis die Computer die Funksprüche aus Rührei zurückverwandelten, um zu erfahren, was gesagt wurde. Die Peilungsanlagen orteten den Gegner noch auf der Straße nach Al Busajjah, immer noch im Anmarsch auf Kuwait.
Mit dem Sonnenuntergang wurden die Predator wieder gestartet und brummelten nordwärts. Erst steuerten sie die Radioquellen an. Ihre Kameras wurden zehn Meilen innerhalb der UIR eingeschaltet, und als erstes sah einer davon eine Batterie 203-mm-Feldartillerie, von den Schleppern gelöst, Stützschenkel gespreizt und die Rohre nach Süden gerichtet.
»Colonel!« rief ein Sergeant, Dringlichkeit in der Stimme.
Draußen hatten die Saudi-Panzerfahrer Hügel als Verstecke gewählt und schickten Besatzungen vor als Beobachter. Die ersten paar hatten gerade ihre Beobachtungsposten bezogen, als der nördliche Horizont orange aufblitzte.
Diggs war noch dabei, Aufstellungsmuster zu besprechen, als die erste Meldung eintraf.
»Sir, STORM TRACK berichtet Artilleriefeuer auf ihre Stellung.«
»Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen«, sagte Ryan in die Kameras. Es wurde weltweit übertragen. Seine Stimme würden auch die ohne Fernseher hören. In Saudi-Arabien gingen seine Worte über AM-, FM- und Kurzwellen raus, damit jeder Soldat, Seemann und Flieger das hören würde, was er zu sagen hatte. »Wir haben in den letzten zwei Wochen viel durchgemacht.
Als erstes steht an, Ihnen von den erreichten Fortschritten zu berichten gegen die Epidemie, die man in unserem Land ausgelöst hat.
Es fiel mir nicht leicht, ein Reiseverbot zwischen Bundesstaaten zu befehlen, aber auf Grund der besten ärztlichen Beratung hielt ich es für nötig. Nun kann ich Ihnen sagen, daß es die gewünschte Wirkung erzielte. Neuerkrankungen haben seit vier Tagen nachgelassen. Zum Teil liegt es an dem, was Ihre Regierung getan hat, mehr aber daran, daß Sie die nötigen Selbstschutzmaßnahmen ergriffen haben. Wir geben Ihnen im Laufe des Tages dazu mehr Information, aber jetzt kann ich Ihnen versichern, daß die Ebola-Epidemie abebben wird. Viele der neuen Fälle sind Menschen, die es mit Sicherheit überleben werden. Die medizinischen Berufsstände Amerikas haben übermenschliche Anstrengungen erbracht, um den Leidenden zu helfen und um uns verstehen zu helfen, was geschehen ist und wie es bekämpft wird. Diese Aufgabe ist noch nicht vollbracht, aber unser Land wird diesen Sturm überstehen, wie wir viele andere überstanden haben.
Vorhin sagte ich, daß diese Epidemie ausgelöst worden ist.
Das Auftreten dieser Krankheit in unserem Land war kein Unfall.
Wir wurden Ziel einer neuen, barbarischen Art des Angriffs. Sie wird biologische Kriegsführung genannt. Sie verstößt gegen internationales Recht. Biologische Kriegsführung hat den Zweck, in einem Land Schrecken und Lähmung zu verbreiten, nicht es zu zerstören. Wir alle haben den Horror und die Abscheu gespürt über das, was in unserem Land geschehen ist, wie diese Krankheit Menschen durch Zufall befällt.
Meine Frau Cathy hat rund um die Uhr mit Ebola-Opfern in ihrem Krankenhaus in Baltimore gearbeitet. Wie sie wissen, war ich vor wenigen Tagen selbst dort. Ich sah die Opfer und sprach mit den Ärzten und Schwestern.
Ihnen kann ich es jetzt sagen, daß wir von Anfang an den Verdacht hatten, diese Epidemie stamme von Menschenhand. Im Laufe der letzten Tage haben unsere Gesetzesvertreter und Nachrichtendienste die nötigen Beweise zusammengetragen, damit ich Ihnen sagen kann, was Sie jetzt hören werden.« Auf Bildschirmen in der ganzen Welt erschienen die Gesichter eines afrikanischen Knaben und einer belgischen Nonne in Weiß.
»Diese Krankheit begann vor einigen Monaten im Land Zaire«, fuhr der Präsident fort. Er mußte alle hier hindurchführen, langsam und sorgfältig, und fand es schwer, seiner Stimme die Festigkeit zu bewahren.
Der saudische Panzertrupp bestieg sofort wieder seine Fahrzeuge, zündete die Turbinen und verlegte die Stellung für den Fall, daß man sie bemerkt hatte. Das Feuer, sahen sie aber, war auf STORM TRACK gerichtet.
Logisch, dachte ihr Kommandeur. Der Horchposten war der primäre Punkt für die Sammlung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse. Aufgabe seiner Leute war dessen Schutz, was sie gegen Panzer und Truppen, nicht aber gegen Artilleriefeuer vermochten. Der Saudi-Hauptmann war 25 Jahre jung, gutaussehend, fast schneidig. Er war auch sehr religiös und daher darauf bedacht, die Amerikaner als Gäste seines Landes zu sehen, seinem Schutz anvertraut. Er funkte das Bataillons-Hauptquartier an, damit gepanzerte Mannschaftswagen – Hubschrauber wären selbstmörderisch gewesen – kamen, um die Nachrichtendienstler zu evakuieren.
»Somit haben wir die Krankheit von Afrika zum Iran verfolgt. Woher wissen wir das alles?« fragte der Präsident. »Wir wissen es, weil die Krankheit in diesem Flugzeug nach Afrika zurückkehrte. Sehen Sie sich bitte die Registrierung an: HX-NJA. Es ist dieselbe Maschine, die angeblich mit Schwester Jean Baptiste abgestürzt ist …«
Wir brauchen noch einen Tag, verflucht! dachte Diggs. Und die feindliche Streitmacht war bereits über 300 Kilometer westlich von dem Ort, an dem sie sie alle erwartet hatten.
»Wer ist am nächsten dran?« fragte er.
»Territorium der vierten Brigade«, erwiderte der Saudi-Oberbefehlshaber. Aber die Brigade war über eine Front von 150 Kilometern verteilt.
Es gab einige Hubschrauber-Aufklärungs-Ressourcen dort, aber die Kampfhubschrauber waren auch am falschen Ort, 80 Kilometer südlich Wadi al Batins. Der Feind kooperierte nicht sonderlich gut.
Es schockierte Daryaei, sein Gesicht im Fernsehen zu sehen. Schlimmer noch, mindestens zehn Prozent der Leute in seinem Land sahen hier zu.
Amerikanisches CNN war in der UIR nicht verfügbar, aber British Sky News Service war es, und keiner hatte daran gedacht, dies zu …
»Dieser Mann steckt hinter dem biologischen Angriff auf unser Land«, sagte Ryan mit der Art Ruhe, die fast roboterhaft schien. »Er ist der Grund, daß mehrere tausend unserer Bürger gestorben sind. Ich werde Ihnen nun erzählen, warum er das tat, weshalb es einen Überfall aufs Leben meiner Tochter Katie gab und warum es einen Anschlag auf mein eigenes Leben gab, hier im Oval Office vor wenigen Stunden. Ich kann mir vorstellen, daß Herr Daryaei dieser Sendung ebenfalls zusieht, gerade jetzt. Mahmoud Hadschi«, sagte er direkt ins Auge der Kamera, »Ihr Mann Aref Raman ist jetzt in Bundesgewahrsam. Glauben Sie wirklich, Amerika wäre so dumm?«
Wie alle anderen bei Blackhorse hörte Tom Donner zu – in seinem Fall mit einem Paar Kopfhörer vom Radio des Bradley. Es gab nicht genügend für alle, und die Crew mußte teilen. Er sah ihre Gesichter. Sie waren ebenso kalt und bar jeden Gefühls wie Ryans letzter verächtlicher Satz.
»Verfickt!« sagte ein Spec-4.
»Mein Gott«, preßte Donner noch raus.
Ryan fuhr fort. »UIR-Streitkräfte sind jetzt aufgestellt, um unseren Alliierten, das Königreich Saudi-Arabien, zu überfallen. In den letzten zwei Tagen haben wir Streitkräfte dorthin verlegt, um unseren Freunden beizustehen.
Was ich jetzt sagen muß, ist sehr wichtig. Der Überfall auf meine Tochter, das Attentat auf mich und der barbarische Angriff auf unser Land wurden von Leuten unternommen, die sich Muslime nennen. Wir müssen verstehen, daß Religion mit all diesen unmenschlichen Taten nichts zu tun hat. Der Islam ist eine Religion. Amerika ist ein Land, in dem die Glaubensfreiheit die erste in der Verfassung verbriefte Freiheit ist. Der Islam ist kein Feind unseres Landes oder anderer. Wie meine Familie einst von Leuten angegriffen wurde, die sich Katholiken nannten, so haben diese Menschen ihren eigenen Glauben verzerrt und beschmutzt für irdische Macht und sich dann dahinter versteckt wie die Feiglinge, die sie sind. Was Gott davon hält, kann ich nicht sagen. Ich weiß aber, daß der Islam, wie das Christentum und Judentum, von einem Gott der Liebe, der Barmherzigkeit – und der Gerechtigkeit spricht.
Nun, Gerechtigkeit wird es geben. Wenn die UIR-Streitkräfte an der Grenze zu Saudi-Arabien vorrücken, werden wir ihnen begegnen. Unsere Streitkräfte sind jetzt im Felde, wo ich zu ihnen spreche, und ich wende mich direkt an sie: Jetzt wissen Sie, warum Sie von Heim und Herd wegmußten. Jetzt wissen Sie, warum Sie die Waffen aufnehmen müssen zur Verteidigung unseres Landes. Jetzt wissen Sie ums Wesen unseres Feindes und seiner Taten.
Aber Amerika hat nicht die Tradition vorsätzlicher Angriffe auf Unschuldige. Sie werden stets im Einklang mit unseren Gesetzen handeln.
Ich muß Sie nun in die Schlacht schicken. Ich wünschte, es wäre nicht nötig. Ich war selbst Soldat und weiß, wie es ist, in der Fremde zu sein.
Aber ihr steht dort für euer Land, und hier zu Hause steht euer Land für euch. Ihr werdet in unseren Gebeten sein.
Unseren Alliierten in Kuwait, dem Königreich Saudi-Arabien, Katar, Oman und allen Golfstaaten. Amerika steht Ihnen gegen Aggression und für die Wiederherstellung von Frieden bei. Viel Glück.« Ryans Stimme ließ erstmals Gefühle erkennen.
Die Crew im Kommandofahrzeug der B-Truppe sah einander mehrere Sekunden an, bevor einer was sagte. Sie vergaßen sogar den Reporter. Der jüngste, ein PFC, sah runter auf seine zitternden Hände und sprach.
»Ficker werden bezahlen. Mammaficker werden dafür bezahlen, Jungs.«
Vier gepanzerte Mannschaftswagen rasten durch die Wüste. Sie vermieden die Straße zu STORM TRACK in der richtigen Vermutung, sie wäre von Artilleriefeuer erfaßt. Die erste Ansicht ihres Ziels war eine Wolke aus Rauch und Staub, die von der Antennenfarm wegdriftete. Eines der drei Gebäude stand wohl noch, brannte aber, und der Saudi-Lieutenant, der die Aufklärungspatrouille führte, fragte sich, ob jemand dort noch leben konnte. Im Norden sah er eine andere Art Blitz, die horizontale Flammenzunge einer Panzerkanone. Eine Minute später verschob sich das Feuer zu dem Ort, wo anscheinend die Panzer dem Feind begegneten, der sein Land mit motorisierten Einheiten angriff. Er dankte Allah, daß sein Job gerade leichter geworden war. Sein Funker meldete mit dem taktischen Gerät ihre Ankunft voraus.
Die vier APC stöberten vorsichtig zwischen umgestürzten Antennen umher, bis sie die zerstörten Baracken erreichten. Dreißig Männer und Frauen hatten hier gewirkt. Sie fanden neun Unverletzte und fünf Verwundete. Sie nahmen sich rund fünf Minuten, die Ruinen zu durchsuchen, fanden aber keine Lebenden mehr. Die Kettenwagen machten kehrt und rasten Richtung Bataillons-CP, wo Hubschrauber warteten, um die Amerikaner wegzufliegen.
Es erstaunte den Saudi-Panzerkommandeur, daß man sie überrascht hatte. Er wußte, daß die Streitkräfte seines Landes großenteils 300 Kilometer weiter östlich lagen. Aber der Feind war hier und drängte südwärts. Die fuhren gar nicht nach Kuwait oder zu den Ölfeldern. Das wurde ihm klar, als die ersten UIR-Panzer auf seinem IR-Bildschirm erschienen, außer Reichweite, weil er Befehl hatte, nicht zu nahe ranzufahren. Der junge Offizier wußte nicht recht, was er tun sollte, und so funkte er nach hinten um Instruktionen. Aber der Bataillonskommandeur war beschäftigt, sein Kommando bestand aus 54 Panzern und weiteren Fahrzeugen, die über 30 Kilometer Front verteilt waren und alle unter indirektem Artilleriefeuer lagen. Es wurde mehrfach von feindlichen Panzern berichtet, die in Begleitung von Mannschaftswagen die Grenze überquerten.
Der Offizier entschied, seine Panzer angreifen zu lassen. Bei 3000 Metern eröffneten sie das Feuer; die ersten 14 Schüsse brachten 8 Treffer, unter den Umständen für Freizeitsoldaten nicht schlecht. Seine 14 Panzer standen in einer Linie von drei Kilometern Länge; eine haltbare Stellung, aber stationär. Die zweite Garbe brachte wieder 6 Treffer, doch dann erhielt einer der Panzer einen direkten Artillerietreffer, und die Crew purzelte hervor, wurden aber von weiterem Feuer zerfetzt, bevor sie fünf Meter gelaufen waren. Er schaute gerade dorthin und sah sie in 400 Meter Entfernung sterben, und er wußte, es war jetzt ein Loch in seiner Linie und daß er dagegen was tun sollte.
Sein Kanonier versuchte feindliche Panzer anzupeilen, T-80 mit ihren breiten, kuppelförmigen Türmen, als der erste Schwarm Panzerabwehrraketen heranflog. Es gab Treffer, und obgleich sie die Frontalpanzerung nicht überwinden konnten, wurden Ketten abgeschlagen, Motorräume entzündet, Feuerleitsysteme beschädigt. Er entschied sich zum Rückzug, da brannte schon die Hälfte seiner Truppe. Vier leiteten die Bewegung ein, huschten zwei Kilometer nach Süden. Der Captain blieb mit den übrigen dreien und schoß noch einen Panzer ab. Die Luft war jetzt voller Raketen, eine traf den Turm hinten und entzündete den Munitionskasten. Die Stichflamme saugte die Luft aus der offenen Luke und erstickte die Mannschaft, während sie ihn bei lebendigem Leibe verbrannte. Führungslos fiel die Kompanie zurück, und schließlich rasten die drei überlebenden Panzer südwärts zum Bataillonskommandoposten.
Den gab es nicht mehr. In der ungeschützten Stellung geortet durch den Funkverkehr, war er von der UIR-Artillerie in den Boden gestampft worden, just als die Überlebenden von STORM TRACK mit dem Kundschaftstrupp eintrafen. In der ersten halben Stunde des zweiten Golfkriegs war ein 50 Kilometer breiter Riß in den saudischen Linien entstanden, der den Weg nach Riad freigab. Dafür hatte die Armee Gottes eine halbe Brigade geopfert; ein hoher Preis, den sie aber zu zahlen bereit war.
Der erste Eindruck war unklar. Das war der Vorteil, den fast jeder Angreifer hatte, wußte Diggs, und die Aufgabe eines Kommandeurs lag darin, Ordnung aus Chaos zu erzeugen. Mit der Zerstörung von STORM TRACK waren momentan keine Predator verfügbar. Das 366. war ohne J-STARS-Fähigkeit verlegt worden, sie hatten also kein fliegendes Radar, um Truppenbewegungen am Boden aufzuspüren. Oben waren zwei E-3B-AWACS-Maschinen, jede eng von vier Jägern eskortiert. Zwanzig UIR-Jäger stiegen auf und griffen sie an. Das würde aufregend für die Air Force.
Aber Diggs hatte eigene Probleme. Ohne Predator war er weitgehend blind, und um das zu beheben, befahl er als erstes, daß das Luftgeschwader der 10. Cav westwärts kundschaften sollte. Eddingtons Worte klangen ihm in den Ohren: Das Angriffsziel war vielleicht doch nicht der ökonomische Schwerpunkt Saudi-Arabiens.
»Unsere Streitkräfte sind ins Königreich vorgedrungen«, sagte der Nachrichtenchef. »Sie treffen auf Widerstand, brechen aber durch. Der amerikanische Spionageposten ist zerstört.«
Die Nachricht machte Daryaei nicht glücklicher. »Wie konnten sie wissen – wie konnten sie es wissen?«
Der Chef des Nachrichtendienstes wagte nicht zu fragen, wer was wissen konnte. Also wich er der Frage aus: »Es ist unerheblich. Wir werden in zwei Tagen in Riad sein, dann ist nichts anderes mehr von Bedeutung.«
»Was wissen wir von der Krankheit in Amerika? Warum sind nicht mehr Leute krank? Wie können sie Truppen verlegt haben?«
»Das weiß ich nicht«, gab der Geheimdienstler zu.
»Was wissen Sie denn überhaupt?«
»Es scheint, die Amerikaner haben ein Regiment im Kuwait, ein weiteres im Königreich und ein drittes, das in Dhahran Gerät von den Schiffen holt.«
»Also greifen Sie sie an!« Mahmoud Hadschi brüllte fast. Die Arroganz dieses Amerikaners, ihn beim Namen zu nennen auf eine Weise, die sein eigenes Volk vielleicht gesehen und gehört hatte …
»Unsere Luftwaffe greift im Norden an. Das ist der Ort der Entscheidung. Eine Ablenkung davon wäre Zeitverschwendung«, erwiderte der Offizier in vernünftigem Ton.
»Dann Raketen!«
»Ich werde sehen.«
Dem General der 4. saudischen Brigade hatte man gesagt, er solle allenfalls einen Ablenkungsangriff auf sein Gebiet erwarten und sich bereithalten, einen Gegenangriff in die UIR zu lancieren, sobald die ihren massiven Angriff gegen Kuwait begannen. Er hatte den Fehler gemacht, seinem Nachrichtendienst zuviel Glauben zu schenken. Seine drei motorisierten Bataillone deckten einen Sektor von 50 Kilometern ab, mit einer 8 bis 12 Kilometer großen Lücke dazwischen. In der Offensivrolle wär's eine flexible Aufstellung gewesen, geeignet, den Feind an der Flanke zu quälen. Doch so hatte der Verlust seines mittleren Bataillons sein Kommando entzweigespalten. Verschlimmbessert hatte noch, daß er vorrückte, statt zurückzuweichen. Bei der mutigen Entscheidung vergaß er die 150 Kilometer Tiefe hinter ihm Richtung KKMC: Spielraum zur Aufstellung eines gewichtigen Gegenschlags statt eines fragmentiert improvisierten.
Der UIR-Angriff lief nach dem Konzept, das die Sowjetarmee in den Siebzigern perfektioniert hatte. Angelpunkt des initialen Einbruchs war eine verstärkte Brigade, die hinter massiertem Artilleriefeuer vorpreschte. STORM TRACK zu eliminieren war von Anfang an Teil des Plans. Mit PALM BOWL zusammen bildete es die Augen der Alliierten. Gegen Satelliten ließ sich nichts unternehmen, aber Horchposten am Boden waren Freiwild. Die Amerikaner hatten, wie erwartet, einige Flieger postiert, aber nicht viele, und zur Hälfte würden sie taggebundene Jäger sein. Nach sowjetischem – wer hatte das Buch der Kampagne bis zur Biskaya geschrieben? – Vorbild würde die UIR den Preis akzeptieren; die Leben aufwiegen mit Zeit, um ihr strategisches Ziel zu erreichen, bevor sie die volle Wucht ihrer potentiellen Feinde treffen könnte. Wenn die Saudis glaubten, Daryaei liege mehr an ihrem Öl, um so besser, denn in Riad waren die Königliche Familie und die Regierung. Dabei riskierte die UIR ihre linke Flanke, aber die Kräfte in Kuwait müßten durchs Terrain von Wadi al Batin, dann noch 300 Kilometer Wüste durchqueren, um hinzugelangen, wo die Armee Gottes bereits gewesen war.
Geschwindigkeit war der Schlüssel und der Schlüssel zur Geschwindigkeit die rasche Vernichtung der saudischen 4. Die Artillerie, noch hinter der Berme postiert, ließ sich einweisen zu den hektisch sendenden Funkquellen und begann ihr unbarmherziges Flächenfeuer zur Unterbrechung von Kommunikation und Zusammenhalt der Einheiten, von denen sie einen Gegenschlag zu erwarten hätten. Die Taktik würde fast sicher gelingen, solange sie den Preis zu zahlen bereit waren. Je eine Brigade hatte man den drei Grenzbataillonen zugedacht.
Der Brigadier der 4. hatte eigene Artillerie, entschied aber, sie gegen den mittleren Durchbruch einzusetzen, der sonst freie Bahn zum Herz seines Landes bot. Sein Artilleriefeuer ging hauptsächlich dorthin, belästigte Leute auf der Durchfahrt statt die Brigaden, die jetzt seine verbleibenden Panzerkräfte aufs Korn nahmen. Mit deren Zerstörung würde die Lücke in der Saudi-Linie aufs Dreifache wachsen.
Diggs war im Posten des Oberkommandos, wo alle Meldungen eingingen, und erkannte, was mit ihnen passierte. Er hatte es 91 den Irakern gegeben, einige Jahre lang auch den Israelis, als CO der Buffalo Cav, und befehligte das NTC schon seit langem. Jetzt sah er die andere Seite der Medaille. Für die Saudis ging alles zu schnell. Sie reagierten, statt nachzudenken, halb gelähmt durch die Geschwindigkeit der Ereignisse, die sie aus umgekehrter Sicht bloß als aufregend empfunden hätten.
»Lassen sie die 4. rund 40 Kilometer zurückweichen«, sagte er ruhig.
»Sie haben dort reichlich Spielraum für Manöver.«
»Wir halten sie gleich dort auf!« erwiderte der Saudi-Oberkommandierende zu automatisch.
»General, das ist ein Fehler. Sie riskieren unnötig diese Brigade. Verlorenen Boden kann man wiedergewinnen, verlorene Zeit und verlorene Männer nicht.«
Aber der hörte nicht zu, und Diggs hatte zuwenig Sterne am Kragen, um mit mehr Nachdruck zu sprechen. Ein Tag, dachte er, noch einen gottverdammten Tag.
Die Hubschrauber nahmen sich Zeit. M-Truppe, 4. des 10. umfaßte 6 OH-58-Kiowa-Kundschafterhubi und 4 AH-64-Apache-Kampfvögel, alle mit mehr Zusatztanks als Waffen beladen. Sie waren avisiert, daß feindliche Jäger oben waren; da verbot es sich, höher zu fliegen. Ihre Sensoren schnüffelten nach SAM-Radaremissionen, während die Piloten sich von Hügel zu Hügel hangelten und mit Lichtverstärkern und Longbow-Radar vorausspähten. Auf UIR-Gebiet sahen sie hier und da Spähfahrzeuge, vielleicht eine Kompanie in Sichtweite zur Grenze über 20 Kilometer verteilt, mehr aber nicht. Die nächsten 80 Kilometer zeigten weitgehend dasselbe, nur schwerere Fahrzeuge. Sie gelangten zu den Außenbezirken Al Busajjahs, wohin die Armee Gottes nach Satelliteninformationen gelangt war, sahen dort aber nur Spuren im Sand und wenige Gruppen Begleitfahrzeuge, vor allem Tanklaster. Die zu zerstören war nicht ihre Mission. Sie sollten den Hauptverband des Feindes und dessen Bewegungsrichtung herausfinden.
Dazu brauchten sie eine weitere Stunde, sich duckend, seitwärts gleitend, sich überspringend. Hier gab es SAM-Fahrzeuge russischer und französischer Herkunft mit kurzer Reichweite, denen sie auszuweichen wußten. Ein Kiowa-Apache-Team kam nah genug ran, um eine Kolonne Panzer in Brigadestärke eine Einkerbung der Berme passieren zu sehen, und das war knapp 250 Kilometer von ihrem Ausgangsort entfernt. Mit der Information zogen sich die Hubschrauber ebenso vorsichtig ohne einen Schuß zurück.
Das östliche Bataillon der 4. Brigade hielt seine Stellung und starb dort weitgehend. Jetzt waren auch UIR-Angriffshubschrauber mit von der Partie, und obwohl die Saudis gut zielten, gab sie das Manövrierverbot der Vernichtung preis. Das kostete zwar die Armee Gottes eine weitere Brigade, aber am Ende war die Lücke in der Saudi-Linie 110 Kilometer breit.
Im Westen war es anders. Dieses Bataillon, jetzt nach dem Tod seines Oberst von einem Major befehligt, brach vom Konflikt weg, rückte in halber Stärke nach Südwesten ab und versuchte dann nach Osten zu wenden, um sich vor den vorrückenden Angreifer zu setzen. Um eine Stellung zu halten, waren sie nicht stark genug, also stach er zu und lief davon, was den Feind noch 20 Panzer und weitere Fahrzeuge kostete, bevor sie 30 Kilometer nördlich von KKMC mangels Treibstoff liegenblieben. Die Begleitfahrzeuge der 4. waren irgendwo verlorengegangen.
Der Major funkte nach Hilfe und fragte sich, ob welche zu erhoffen war.
Die Überraschung war größer, als sie hätte sein dürfen. Ein DSSP-Satellit über dem Indischen Ozean bemerkte die Fackel des Starts. Die Nachricht ging an Sunnyvale, California, und dann nach Dhahran weiter. Es war schon mal so gewesen, aber nicht mit Raketen aus dem Iran.
Die Schiffe waren erst halb entladen. Der Krieg war erst vier Stunden alt, als die erste Scud-Rakete die Rampe auf ihrem Laster verließ und aus den Zagros-Bergen nach Süden hervorschoß.
»Und jetzt?« fragte Ryan.
»Jetzt sehen wir, weshalb die Kreuzer noch dort sind«, antwortete Jackson.
Luftschutzwarnung war kaum erforderlich. Die drei Kreuzer und die Jones hatten die Radaraugen offen und erfaßten die ankommende ballistische Spur mehr als hundert Meilen entfernt. Männer der National Guard in der Warteschlange, die um Kettenfahrzeuge anstehen mußte, schauten Feuerkugeln nach, die von den Schiffen hochschossen. Die erste Barrage von dreien explodierte im Dunkeln, damit hatte es sich. Aber die Soldaten waren noch motivierter, ihre Panzer abzuladen, als das dreifache Donnern von 30 Kilometer Höhe herabkam.
Auf der Anzio sah Captain Kemper zu, wie die Spur vom Radarschirm verschwand. Es war wieder eine Sache, bei der Aegis gut sein sollte, aber unter Beschuß stillzusitzen hielt er nicht für besonders spaßig.
Das andere Ereignis der Nacht war eine lebhafte Luftschlacht über der Grenze. Die AWACS-Maschinen erfaßten schließlich 24 Jäger, die direkt auf sie zuflogen im Versuch, den Alliierten die Luftdeckung streitig zu machen. Es erwies sich als teures Unterfangen. Kein Angriff auf ein E-3B-Flugzeug wurde wirklich geflogen. Statt dessen bewies die UIR-Luftwaffe weiterhin ihre Fähigkeit, Maschinen ohne Sinn und Zweck zu verlieren. Aber war das von Bedeutung? Der befehlshabende Controller auf dem einen AWACS erinnerte sich an einen alten NATO-Witz: Zwei sowjetische Panzergeneräle begegnen sich in Paris, und der eine fragt »Wer hat eigentlich die Luftschlacht gewonnen?« Die Pointe war, daß ein Krieg am Ende stets am Boden gewonnen oder verloren wurde. So würde es auch hier sein.