47

Index-Fall

Für Mark Klein, Ordinarius für Infektionskrankheiten an der Medizinischen Fakultät, war ein Anruf abends um neun ungewöhnlich, aber als Arzt kam er, wenn er gerufen wurde. Die Fahrt zu seinem reservierten Parkplatz dauerte diesen Montag abend zwanzig Minuten. Er passierte mit einem Nicken die Sicherheitskontrolle, zog sich um, betrat die Notaufnahme von hinten und fragte die leitende Schwester, wo Quinn sei.

»Isolation zwei, Doktor.«

Dort war er in zwanzig Sekunden und stoppte an der Tür, als er die Warnhinweise sah. Okay, dachte er und zog Maske und Handschuhe an.

»Tag, Joe.«

»Ich möchte mich hier nicht ohne Sie festlegen, Herr Professor«, sagte Quinn ruhig und gab ihm die Kurve.

Klein überflog sie, sein Denken gefror, und er begann wieder von vorn, mit Blicken zur Patientin als Vergleich zu den Daten. Weiblich, weiß, ja, Alter 41, wohl richtig, geschieden, ging nur sie an, Apartment ca. zwei Meilen von hier, gut, Temperatur bei der Aufnahme 40,2, verflixt hoch, Blutdruck, der war ja arg niedrig. Petechien?

»Laßt mich mal sehen«, sagte Klein. Die Patientin wachte langsam auf, bewegte etwas den Kopf. »Wie ist ihre Temperatur jetzt?«

»39, kommt gut wieder runter«, antwortete der Assistent, als Klein das grüne Laken zurückzog. Die Patientin war jetzt nackt, und die Flecken hoben sich vorzüglich gegen ihre sonst sehr helle Haut ab. Klein sah die anderen Ärzte an.

»Wo ist sie gewesen?«

»Wissen wir nicht«, gab Quinn zu. »Wir haben die Handtasche durchgesehen. Sie ist wohl im Management bei Sears, Büro drüben im Tower.«

»Haben Sie sie untersucht?«

»Ja, Doktor«, antworteten Quinn und der jüngere Assistent gleichzeitig.

»Tierbisse?« fragte Klein.

»Keine. Keine Nadelspuren, nichts ungewöhnliches. Sie ist clean.«

»Ich sage jetzt mögliches hämorrhagisches Fieber, Übertragungsweg bisher unbekannt. Ich will sie oben, volle Isolation und Vorbeugemaßnahmen. Dieser Raum wird geschrubbt – alles, was mit ihr in Berührung kam.«

»Ich dachte, Übertragung dieser Viren geschieht nur …«

»Das weiß keiner, Doktor, und was ich nicht erklären kann, macht mir angst. Ich war in Afrika, habe Lassa- und Q-Fieber, nicht aber Ebola gesehen. Doch was sie hat, sieht verflucht nach so etwas aus«, sagte Klein und sprach damit den entsetzlichen Namen aus.

»Aber wie …«

»Wenn man etwas nicht weiß, weiß man's halt nicht«, sagte Professor Klein dem Assistenten. »Bei Infektionskrankheiten, wenn der Übertragungsweg nicht bekannt ist, nimmt man das Schlimmste an. Am schlimmsten ist der Luftweg, Aerosol, und so wird diese Frau behandelt.

Wir bringen sie rauf zu meiner Station. Wer immer Kontakt mit ihr hatte, schrubbt sich von oben bis unten. Wie bei AIDS oder Hepatitis.

Volle Vorbeugemaßnahmen«, betonte er nochmals. »Wo ist's Blut, das Sie entnommen haben?«

»Gleich hier.« Der Assistent wies auf einen roten Plastikbehälter.

»Was jetzt?« fragte Quinn.

»Eine Probe geht gleich nach Atlanta, aber ich glaube, ich seh's mir auch selber an.« In seinem prächtigen Labor arbeitete Klein jeden Tag, vor allem an AIDS, seiner Leidenschaft. Diesmal nahm er Quinn mit.

*

»Ich wußte, Holtzman bringt es für mich«, sagte Arnie. Er feierte gerade mit einem Drink, als die 747 zum Anflug auf Sacramento ansetzte.

»Was?« fragte der Präsident.

»Bob iss 'n zäher Hundesohn, aber 'n ehrlicher Hundesohn. Das heißt auch, er bringt Sie ehrlich an den Marterpfahl, wenn er glaubt, Sie verdienen es. Denken Sie immer daran«, riet ihm der Stabschef.

»Donner und Plumber haben gelogen«, dachte Jack laut. »Verflucht.«

»Jeder lügt, Jack. Auch Sie. Manche Lügen sollen die Wahrheit schützen. Manche sollen sie verbergen. Manche sollen sie leugnen. Und zu manchen Lügen kommt es, weil's allen verdammt egal ist.«

»Und was ist hier geschehen?«

»Eine Kombination, Mr. President. Ed Kealty hat sie übers Ohr gehauen, damit sie Ihnen einen Hinterhalt legen. Aber den verräterischen Bastard hab' ich für Sie erlegt. Ich wette, morgen gibt es einen Bericht auf der Titelseite der Post, der Kealty als den entlarvt, der zwei ranghohe Reporter böswillig irregeführt hat, und die Presse-Wölfe werden über ihn herfallen.« Bei den Reportern hinten im Flieger summte es schon wie im Bienenstock. Arnie hatte ihnen das Band mit den NBC News abspielen lassen.

»Weil er sie hat schlecht aussehen lassen …«

»Jetzt haben Sie's, Boß«, bestätigte van Damm und verputzte den Rest des Drinks. Nicht hinzufügen durfte er, daß dies vielleicht ohne den Überfall auf Katie Ryan so nicht gelaufen wäre. Auch Reporter hatten gelegentlich Mitgefühl, und das könnte ausschlaggebend für Plumbers Kehrtwende in der Sache gewesen sein. Er aber hatte die wohldosierten Indiskretionen Holtzman gegenüber begangen. Arnie entschied, sich nach der Landung eine gute Zigarre von einem Secret-Service-Agenten suchen zu lassen. Ihm war jetzt schon danach.

Adlers Biorhythmus war jetzt völlig durcheinander. Gelegentliche Nickerchen fand er hilfreich, und es half auch, daß die Nachricht, die er zu überbringen hatte, einfach und günstig war. Der Wagen hielt. Ein unbedeutender Beamter öffnete ihm die Tür und verbeugte sich knapp. Adler unterdruckte ein Gähnen, als er das Ministerium betrat.

»Schön, Sie wiederzusehen«, wurde der PRC-Außenminister gedolmetscht. Zhang Han San war auch wieder dabei und begrüßte ihn ebenfalls.

»Ihre großzügige Zustimmung zu direkten Flügen erleichtert mir gewiß den Vorgang. Dafür meinen Dank«, antwortete SecState, als er Platz nahm.

»Solange Sie verstehen, daß dies außergewöhnliche Umstände sind«, bemerkte der Außenminister.

»Selbstverständlich.«

»Welche Nachrichten bringen Sie von unseren eigensinnigen Cousins?«

»Man stimmt völlig zu, Ihrer Einschränkung von Aktivitäten gleichzuziehen, mit der Absicht, die Spannungen zu vermindern.«

»Und ihre beleidigenden Anschuldigungen?«

»Herr Minister, das Thema kam gar nicht zur Sprache. Ich glaube, dort ist man ebensosehr daran interessiert, zu friedlichen Bedingungen zurückzukehren, wie Sie hier.«

»Wie entgegenkommend«, stellte Zhang fest. »Die beginnen Kampfhandlungen, schießen zwei unserer Flugzeuge ab, beschädigen eine ihrer eigenen Verkehrsflugzeuge, töten, ob mit Absicht oder durch Inkompetenz, mehr als hundert Menschen, und sagen dann, sie würden uns in der Reduktion provokativer Handlungen beipflichten. Ich hoffe, Ihre Regierung ist sich der Zurückhaltung bewußt, die wir hier zeigen.«

»Herr Minister, Friede dient dem besten Interesse aller, oder nicht?

Das Verhalten beider Parteien in diesen informellen Verhandlungen weiß Amerika zu würdigen. Die Volksrepublik hat sich in mancher Hinsicht großzügig verhalten, und die Regierung in Taiwan ist gewillt, es Ihnen gleichzutun. Was wäre darüber hinaus noch erforderlich?«

»Sehr wenig«, antwortete der Außenminister. »Lediglich Wiedergutmachung für den Tod unserer vier Flieger. Jeder von ihnen hinterläßt eine Familie.«

»Die Kampfflugzeuge der anderen haben zuerst geschossen«, hob Zhang hervor.

»Das mag zutreffen, aber die Frage der Verkehrsmaschine ist noch offen.«

»Mit Sicherheit hatten wir damit nichts zu tun.« Dies kam vom Außenminister.

Kaum etwas war langweiliger als internationale Verhandlungen, aber dafür gab es einen Grund. Plötzliche oder überraschende Züge könnten ein Land zu Entscheidungen aus dem Stegreif verleiten. Unerwarteter Druck erzeugte Zorn, und Zorn war bei hochrangigen Diskussionen und Entscheidungen fehl am Platz. Deshalb entwickelten sich wichtige Gespräche schrittweise, was jeder Seite Zeit gab, ihre Position und die der anderen Seite sorgfältig zu überdenken, damit ein Abschlußkommuniqué entstand, mit dem beide Seiten halbwegs zufrieden sein konnten. Somit war die Forderung nach Wiedergutmachung eine Verletzung der Regeln. Richtiger wäre gewesen, man hätte sie beim ersten Gespräch erhoben und Adler hätte sie mit nach Taipeh gebracht, um sie wahrscheinlich, nach der Zustimmung von Seiten der ROC-Regierung zu gegenseitigem Spannungsabbau, als eigenen Vorschlag einzubringen. Aber das war schon Vergangenheit, und jetzt verlangte die PRC, daß er die Forderung nach Wiedergutmachung, anstelle einer Formel für lokale Entspannung, dorthin zurückbrachte. Das war beleidigend für die Regierung Taiwans und für die amerikanische Regierung, die als Treidelpferd mißbraucht wurde, ebenfalls ein Affront.

Um so mehr traf dies zu, weil Adler und die ROC wußten, wer das Verkehrsflugzeug runtergeholt und damit die Verachtung für Menschenleben gezeigt hatte – und jetzt verlangte die PRC dafür Wiedergutmachung! Adler fragte sich erneut, wieviel von seinem Wissen über den Vorfall der PRC bekannt war. Wenn sie viel wußten, war dies definitiv ein Spiel, dessen Regeln noch entziffert werden mußten.

»Ich hielte es für nützlicher, wenn beide Seiten ihre Verluste und Bedürfnisse selbst abdecken würden«, schlug Adler vor.

»Ich bedaure, das ist unannehmbar. Eine Frage des Prinzips, wissen Sie? Wer unschicklich handelt, muß Schadenersatz leisten.«

»Aber wenn – ich habe hier keine diesbezüglichen Beweise – festgestellt würde, die PRC habe versehentlich das Verkehrsflugzeug beschädigt? Dann könnte Ihr Ersuchen um Wiedergutmachung ungerecht erscheinen.«

»Das ist nicht möglich. Wir haben unsere überlebenden Piloten befragt, und deren Berichte lassen keinen Zweifel zu.« Wieder war es Zhang.

»Was genau verlangen Sie?«

»Zweihunderttausend Dollar für jeden gefallenen Flieger. Das Geld geht natürlich an deren Familien«, versprach Zhang.

»Ich kann dieses Ersuchen an …«

»Entschuldigen Sie. Es ist kein Ersuchen. Es ist eine Bedingung«, wies der Außenminister Adler zurecht.

»Verstehe. Ich kann Ihre Position vortragen, rate aber dringend davon ab, dies zu einer Bedingung für den von Ihnen versprochenen Spannungsabbau zu machen.«

»Das ist unsere Position.« Der Blick des Außenministers war friedlich und heiter.

*

»… und Gott schütze Amerika«, schloß Ryan. Die Menge stand auf und applaudierte. Die Kapelle – wo immer er hinkam, mußte es wohl eine Kapelle geben, nahm Jack an – schlug die ersten Takte an, und er bahnte sich hinter einer Mauer nervöser Secret-Service-Agenten den Weg von der Empore herab. Er unterdrückte noch ein Gähnen. Schon über zwölf Stunden war er unterwegs. Vier Reden schienen nicht arg viel physische Arbeit zu sein, aber Ryan wurde langsam bewußt, wie erschöpfend es sein konnte, Ansprachen zu halten. Vorher immer das Lampenfieber, und wenn das auch rasch verging, der angesammelte Streß machte sich doch bemerkbar.

»Okay«, sagte ihm Arnie, als sich die präsidiale Reisegruppe beim Hinterausgang versammelte. »Für einen, der's gestern noch hinschmeißen wollte, war das sehr gut.«

»Mr. President!« rief ein Reporter.

»Sprich mit ihm«, flüstere Arnie.

»Ja?« sagte Jack und ging hin, sehr zum Mißfallen seiner Sicherheitsleute.

»Ist Ihnen bekannt, was John Plumber heute Abend auf NBC sagte?«

Der Reporter war von ABC und würde kaum die Chance verpassen, der Konkurrenz eins auszuwischen.

»Ja, ich habe davon gehört«, antwortete der Präsident ernst.

»Haben Sie dazu einen Kommentar?«

»Es wird Ihnen einleuchten, daß mir nicht gefällt, dies alles zu erfahren. Aber was Mr. Plumber betrifft, war das der großzügigste Akt moralischer Courage, dem ich seit langem begegnet bin. Meiner Ansicht nach ist er in Ordnung.«

»Wissen Sie, wer es war, der …«

»Bitte, lassen Sie Herrn Plumber das handhaben. Es ist seine Story, und er weiß, wie sie zu erzählen ist. Wenn Sie mich bitte entschuldigen, ich muß den Abflug erwischen.«

»Danke, Mr. President«, sagte der ABC-Reporter zu Ryans Rücken.

»Genau richtig«, sagte Arnie lächelnd. »Der Tag war lang, aber gut.«

Ryan ließ die angehaltene Luft raus. »Wenn Sie's sagen.«

*

»O mein Gott«, flüsterte Professor Klein. Da war er, auf dem Bildschirm.

Der Hirtenstab, wie aus dem medizinischen Lehrbuch. Wie zum Teufel war er nach Chicago gelangt?

»Das ist Ebola«, sagte Dr. Quinn und fügte hinzu: »Das ist nicht möglich.«

»Wie gründlich war Ihre körperliche Untersuchung?« hakte der Ältere nach.

»Hätte besser sein können, aber – keine Bißwunden, keine Nadelspuren. Mark, dies ist Chicago. Ich hatte vor Tagen Frost auf der Windschutzscheibe.«

»Schlüssel in ihrer Handtasche?«

»Ja, Sir.«

»Erstens, da sind Cops bei der Notaufnahme. Holen Sie einen, als Polizeieskorte zu ihrer Wohnung, damit wir uns dort umschauen können. Sagen Sie ihm, die Frau ist in Lebensgefahr. Vielleicht gibt's ein Haustier, eine tropische Pflanze oder was. Wir haben den Namen vom Hausarzt. Der muß aufstehen, muß hierher, uns sagen, was er von ihr weiß.«

»Behandlung?«

»Wir kühlen sie ab, ersetzen Flüssigkeit, verabreichen Schmerzmittel, aber's gibt eigentlich nichts, das hier wirklich hilft. Rousseau in Paris hat Interferon und einiges andere versucht, aber kein Glück gehabt.« Er blickte den Bildschirm wieder finster an. »Wie hat sie's bekommen. Wie zur Hölle hat sie sich diesen kleinen Bastard zugezogen?«

»CDC?«

»Sie holen uns einen Cop rauf. Ich faxe Gus Lorenz an.« Klein sah auf seine Uhr. Verdammt.

*

Die Predators waren wieder in Saudi-Arabien, weiterhin unentdeckt.

Man hielt's allerdings für ein wenig zu gefährlich, sie über feste Stellungen wie Divisionslager kreisen zu lassen, also erfolgte die Aufklärung von oben jetzt mittels Satelliten, von denen aus die Fotos zum National Reconnaissance Office herabgefunkt wurden.

»Zieh dir das mal rein«, sagte einer von der Nachtwache dem Typ an der nächsten Workstation. »Was sind das für Dinger?«

Die Panzer der UIR-Division ›Die Unsterblichen‹ waren gruppiert wie auf einem großen Parkplatz, in gleichmäßigen Abständen und langen Reihen zur Zählung bereit. Jetzt waren alle Fahrzeuge zurück, und Männer waren um die Panzer und anderen Kampffahrzeuge ausgeschwärmt, um die Wartungsaufgaben, die jedem Manöver folgten, wahrzunehmen. Vor jedem Panzer in der ersten Reihe sah man zwei dunkle Linien, jede rund einen Meter breit und zehn Meter lang. Der Mann an diesem Platz kam von der Air Force und war somit eher mit Flugzeugen als mit Landfahrzeugen vertraut.

Sein Nachbar brauchte nur einen Blick. »Ketten.«

»Was?«

»Wie beim Reifenwechsel. Ketten leiern aus, und man zieht neue auf. Die alten kommen in die Werkstatt zur ›Runderneuerung‹, Laufwulste ersetzen und so. Keine großartige Geschichte.«

Ein näherer Blick zeigte, wie das lief. Die neuen Ketten legte man vor den alten aus. Die alten wurden gelöst und die neuen daran befestigt, und der Panzer fuhr einfach vorwärts, bis die Sprossenräder die neuen Ketten über die Rollräder an ihren Platz gezogen hatten. Es war schweißtreibende Arbeit für mehrere Männer, erforderte aber für eine geübte Mannschaft im Idealfall nur rund eine Stunde, was hier, so erklärte der Exsoldat, der Fall war. Im Grunde zog sich der Panzer die neuen Ketten im Fahren an.

»Wußt' ich nie, wie die das machen.«

»Besser das, als so 'ne Riesensau aufbocken zu müssen.«

»Wie lang hält so 'n Satz Ketten?«

»Auf so einem, querfeldein in der Wüste? Nenn's so tausend Meilen, vielleicht ebbes weniger.«

Tatsächlich, die zwei Sofas in der vorderen Kabine von Air Force One ließen sich zu Betten aus falten. Ryan entließ den Stab, hängte die Kleider auf und legte sich hin. Saubere Laken und alles, und er war müde genug, daß es ihm nichts ausmachte, im Flugzeug zu sein. Bis Washington waren es viereinhalb Stunden, und dann könnte er in seinem eigenen Bett weiterschlafen.

In der großen Kabine taten die Reporter es ihm nach, da sie entschieden hatten, die erstaunliche Plumber-Enthüllung dem nächsten Tag zu überlassen. Viel zu sagen hatten sie eh nicht: Eine so dicke Story wurde mindestens auf der Ebene eines Assistant Managing Editor abgewickelt.

Die Journaille träumte von erscheinenden Editorials, die Fernsehleute unterdrückten ihr Schaudern darüber, was dies ihrer Glaubwürdigkeit antun würde.

Mittendrin war der Stab. Alle beim Lächeln, oder fast.

»Nu, jetzt hat er mir sein Temperament gezeigt«, sagte Arnie zu Callie Weston. »Wow.«

»Möchte wetten, er kennt jetzt auch Ihres.«

»Und meins hat gewonnen.« Arnie nippte an seinem Drink. »Wissen Sie, ich glaub', wir haben hier einen recht ordentlichen Präsidenten.«

»Er haßt es.«

Arnie van Damm war das gleich: »Fabelhafte Reden, Callie.«

»Es ist so einnehmend, wie er sie vorträgt«, meinte sie. »Jedesmal beginnt er verkrampft, mit Verlegenheit, dann übernimmt der Lehrer in ihm, und er legt richtig los. Er weiß es nicht mal.«

»Ehrlichkeit. Kommt echt rüber, gell?« Arnie hielt inne. »Es wird ein Gedenkgottesdienst für die gefallenen Agenten geben.«

»Bin schon am Überlegen«, versicherte ihm Weston. »Was werden Sie mit Kealty machen?«

»Den Bastard werden wir ein für allemal versenken.«

*

Badrayn war wieder an seinem Rechner, prüfte die entsprechenden Internet-Sites. Noch immer nichts. Ein Tag noch, und er würde vielleicht anfangen, sich zu sorgen, aber sein Problem war das eigentlich nicht, wenn nichts geschah, oder? Was er tat, hatte ja perfekt geklappt.

Alle merkten auf, als Patientin null die Augen öffnete. Ihr Fieber war jetzt auf 38,7 gesunken, nur wegen der Kältepackungen, die ihren Körper umhüllten wie einen Fisch auf dem Markt. Ihr Gesicht war eine Studie aus Schmerz und Erschöpfung. Insofern sah sie aus wie Patienten mit fortgeschrittenem AIDS, einer Krankheit, die ihr Arzt allzugut kannte.

»Hallo. Ich bin Dr. Klein«, sagte ihr der Professor von hinter der Maske. »Sie haben uns da für einen Moment Sorgen gemacht, aber jetzt ist alles unter Kontrolle.«

»Tut weh«, sagte sie.

»Weiß ich, und wir werden Ihnen damit helfen, aber vorher muß ich Ihnen ein paar Fragen stellen. Können Sie mir antworten?« fragte Klein.

»Okay.«

»Sind Sie in letzter Zeit gereist?«

»Wie meinen Sie das?« jedes Wort kostete Energiereserven.

»Haben Sie das Land verlassen?«

»Nein. Flog nach Kansas City … vor zehn Tagen, sonst nichts. Tagesfahrt.«

»Okay.« Das war's nicht. »Hatten Sie Kontakt mit jemandem, der außer Landes war?«

»Nein.« Sie versuchte ein Kopfschütteln. Er bewegte sich vielleicht fünf Millimeter.

»Vergeben Sie mir, dies muß ich aber fragen. Haben Sie ein sexuelles Verhältnis im Moment?«

Die Frage erschütterte sie. »AIDS?« japste sie. Dachte, das war's Schlimmste, das sie haben könnte.

Klein schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, definitiv nicht. Machen Sie sich darüber bitte keine Sorgen.«

»Geschieden«, sagte die Patientin. »Nur ein paar Monate. Noch keine … neuen Männer in meinem Leben.«

»Na, so hübsch, wie Sie sind, hält das nicht lange an«, meinte Klein, der sie zum Lächeln ermuntern wollte. »Was machen Sie bei Sears?«

»Weiße Ware, Einkäuferin. Gerade … große Show … McCormick Center … Menge Papierkram … Bestellungen un' Zeugs.«

Dies führte nirgendwohin. Klein versuchte ein paar weitere Fragen.

Sie führten auch nirgendwohin. Er drehte sich um und zeigte zur Schwester.

»Okay, wir tun jetzt was gegen den Schmerz«, sagte der Professor.

Die Schwester startete die Morphiumzufuhr am IV-Ständer. »Dies wird in ein paar Sekunden wirken, okay? Bin bald wieder da.«

Quinn wartete draußen im Gang mit einem uniformierten Polizeioffizier.

»Doc, worum geht's denn?« fragte der Cop.

»Diese Patientin hat etwas sehr Ernstes, möglicherweise sehr Ansteckendes. Ich muß ihr Apartment ansehen.«

»Das ist nicht legal, wissen Sie. Normal müssen Sie vom Richter …«

»Officer, dafür ist keine Zeit. Wir haben ihre Schlüssel, könnten glatt einbrechen, aber ich möchte Sie dabeihaben, damit wir nichts machen, was falsch wäre.« Außerdem, wenn sie eine Einbruchssicherung hatte, war's schlecht, sich einbuchten zu lassen. »Zeit ist knapp. Diese Frau ist sehr krank.«

»Okay, mein Wagen ist draußen.« Sie gingen zusammen raus.

»Fax nach Atlanta schon weg?« fragte Quinn. Klein schüttelte den Kopf.

»Sehen wir uns erst ihre Bude an.« Er verzichtete auf den Mantel.

Draußen war's kalt, und die Temperatur würde dem Virus unwirtlich erscheinen, wenn sich der im unwahrscheinlichen Fall im Kittel eingenistet hätte. Vernunft sagte ihm zwar, es gäbe keine wirkliche Gefahr.

Ebola war er klinisch nie begegnet, wußte aber mehr darüber als viele Experten. Leider war es normal, daß Leute mit unerklärlichen Virenerkrankungen auftauchten. Oft würde eine sorgfältige Untersuchung die Infektionsquelle aufdecken, aber nicht immer. Auch bei AIDS gab es die Handvoll unerklärlicher Fälle. Aber man begann nicht mit einer von denen als Index-Fall. Professor Klein zitterte draußen. Die Temperatur war knapp über dem Gefrierpunkt, das war aber nicht der Grund für seinen Schüttelfrost.

*

Price öffnete die Tür zur Kabine. Die Lampen waren bis auf einige indirekte Leselämpchen aus. Der Präsident lag auf dem Rücken und schnarchte laut genug, um trotz Motordröhnen gehört zu werden. Sie mußte den Impuls unterdrücken, sich reinzuschleichen und ihn zuzudecken. Statt dessen lächelte sie und schloß die Tür von draußen.

»Vielleicht gibt es so was wie Gerechtigkeit, Jeff«, bemerkte sie zu Raman.

»Sie meinen die Newsie-Geschichte?«

»Yeah.«

»Wetten Sie lieber nicht drauf«, sagte der andere Agent.

Sie sahen sich um. Endlich schliefen alle, sogar der Stabschef. Oben machte die Flugbesatzung ihren Job, wie auch anderes USAF-Personal.

Die zwei Agenten gingen zu den Sitzen zurück. Drei Mitglieder ihres Kommandos spielten Karten, leise. Andere lasen oder dösten.

Ein Air Force Sergeant kam mit einem Ordner die Treppe herab.

»FLASH-Nachricht für den Boß«, gab sie bekannt.

»Ist es so wichtig? In rund neunzig Minuten sind wir in Andrews.«

»Ich nahm sie ja nur von der Faxmaschine«, entgegnete sie.

»Okay.« Price nahm die Nachricht und ging zu Goodley. Es war sein Job, dem Präsidenten zu sagen, was er über die wichtigen Dinge in der Welt wissen mußte – oder in diesem Fall die Wichtigkeit einer Nachricht festzulegen. Price schüttelte ihn an der Schulter. Der National Intelligence Officer machte ein Auge auf.

»Hnghn?«

»Wecken wir den Boß für das hier auf?«

Der Geheimdienstspezialist überflog die Nachricht und schüttelte den Kopf. »Kann warten. Adler weiß, was er tut, und bei State gibt's eine Arbeitsgruppe dafür.« Er drehte sich ohne ein weiteres Wort in seinen Sitz zurück.

*

»Nichts anfassen«, sagte Klein dem Polizisten. »Am besten bleiben Sie direkt bei der Tür, aber wenn Sie hinter uns herumgehen, fassen Sie nichts an. Warten Sie.« Der Arzt langte in die Mülltüte, die er mitgebracht hatte, und zog eine steril verpackte Maske heraus. »Setzen Sie die auf, okay?«

»Zu Befehl, Doc.«

Klein reichte den Hausschlüssel rüber. Der Polizeioffizier öffnete die Tür. Es gab tatsächlich einen Alarm. Die Regeltafel war gleich hinter der Tür, aber nicht eingeschaltet. Die beiden Ärzte legten ihre Masken und Gummihandschuhe an. Zuerst schalteten sie alle Lichter ein.

»Was suchen wir?« fragte Quinn.

Klein suchte schon. Keine Katze oder Hund hatte ihr Eintreffen bemerkt. Kein Vogelkäfig. Teils hatte er auf einen Affen als Haustier gehofft, aber gewußt, daß dies nicht drin war. Dann Pflanzen, dachte er.

War's nicht eigenartig, wenn Ebolas Wirt nicht tierisch wäre? Das wäre ja eine Premiere in gewisser Art.

Es gab Pflanzen, aber nichts Exotisches. Sie standen im Zentrum des Wohnzimmers, berührten nichts mit den Handschuhen, auch nicht mit den grüngekleideten Hosenbeinen, als sie sich langsam suchend umwandten.

»Ich sehe nichts«, berichtete Quinn.

»Auch ich nicht. Küche.«

Dort gab es weitere Pflanzen, zwei in kleinen Töpfen, die wie Kräuter aussahen. Klein entschied sich, sie einzusacken.

»Warten Sie, hier«, sagte Quinn, öffnete eine Schublade und fand Gefrierbeutel. Da kamen die Pflanzen rein, die der jüngere Arzt sorgfältig versiegelte. Klein öffnete den Kühlschrank. Nichts ungewöhnliches.

Gleiches bei der Gefriertruhe. Er hätte gedacht, daß irgendein exotisches Nahrungsmittel – aber nein. Alles, was die Patientin aß, war typisch amerikanisch.

Das Schlafzimmer war ein Schlafzimmer, nichts weiter. Keine Pflanzen.

»Kleidungsartikel? Leder?« fragte Quinn. »Milzbrand kann …«

»Ebola nicht. Zu empfindlich. Wir kennen den Organismus, mit dem wir's zu tun haben. Er kann in dieser Umgebung nicht überleben. Geht nicht.« Der Professor bestand darauf. Viel wußten sie nicht über den kleinen Bastard, aber eine der Dinge, die man in CDC erforschte, war, die Umweltbedingungen festzustellen: wie lange der Virus bei verschiedenen Parametern überleben konnte. Chicago war zu dieser Jahreszeit so unwirtlich zu diesem Virus wie ein Hochofen. Orlando, irgendwo im Süden vielleicht. Aber Chicago? »Nichts haben wir«, schloß er frustriert ab.

»Vielleicht die Pflanzen?«

»Wissen Sie, wie schwer es ist, eine Pflanze durch den Zoll zu bekommen?«

»Hab's nie versucht.«

»Ich aber, mit ein paar wilden Orchideen aus Venezuela einmal …«

Er sah sich noch um. »Hier gibt es nichts, Joe.«

»Ist Ihre Prognose so schlecht wie …«

»Yeah.« Behandschuhte Hände rieben gegen die grünen Hosen. Im Latex schwitzten jetzt seine Hände. »Wenn wir nicht feststellen können, wo es herkam …« Er sah seinen jüngeren, größeren Kollegen an. »Ich muß zurück. Ich will diese Struktur noch mal anschauen.«

»Hello«, sagte Gus Lorenz. Er sah auf die Uhr. Was zum Teufel?

»Gus?« fragte die Stimme.

»Ja, wer ist dran?«

»Mark Klein in Chicago.«

»Was ist?« fragte Lorenz, halb da. Die Antwort machte seine Augen ganz auf.

»Ich glaube – nein, Gus, ich weiß, ich habe hier oben einen Ebola-Fall.«

»Wie kannst du dir sicher sein?«

»Ich habe den Hirtenstab. Selbst mikrografiert. Es ist der Hirtenstab, ohne Scheiß, Gus. Ich wünschte, es wäre nicht so.«

»Wo ist er gewesen?«

»Er ist 'ne Sie, und sie ist nirgends besonders gewesen.« Klein faßte in unter einer Minute zusammen, was er wußte. »Hier gibt es keine unmittelbar erkennbare Erklärung.«

Lorenz hätte einwenden können, daß dies nicht möglich wäre, aber er kannte Mark Klein als Ordinarius an einer der weitbesten medizinischen Fakultäten. »Nur ein Fall?«

»Die fangen alle so an, Gus«, erinnerte Klein seinen Freund. Tausend Meilen entfernt schwang Lorenz seine Beine aus dem Bett auf den Boden.

»Okay. Ich brauch' eine Probe.«

»Der Bote ist schon auf dem Weg nach O'Hare. Er nimmt den erstbesten Flug. Die Mikrogramme kann ich dir gleich per E-Mail schicken.«

»Brauche vierzig Minuten, reinzukommen.«

»Gus?«

»Ja?«

»Gibt es irgendwas Neues auf der Behandlungsseite? Wir haben hier eine sehr kranke Patientin«, sagte Klein in der Hoffnung, daß er einmal, vielleicht, in seinem ureigenen Fach nicht ganz auf dem laufenden war.

»Leider nicht, Mark. Nichts, von dem ich wüßte.«

»Verdammt. Okay, wir tun hier, was wir können. Ruf mich an, wenn du da bist. Ich bin im Büro.«

Lorenz ging in sein Badezimmer und ließ das Wasser an, um sein Gesicht kalt abzuwaschen; um sich zu beweisen, daß dies kein Traum wär. Nein, dachte er – kein Alptraum.

*

Dieser Präsidialvorteil war einer, den sogar die Presse respektierte. Ryan stieg die Treppe als erster herab, salutierte dem USAF-Sergeanten am Ende und ging die fünfzig Meter zum Helikopter. Drinnen schnallte er sich an und schlief prompt wieder ein. Eine Viertelstunde später weckte man ihn wieder, er salutierte diesmal einem Marine und schleppte sich ins White House. Zehn Minuten später schlief er in einem Bett, das sich nicht bewegte.

»Gute Reise?« fragte Cathy, ein Auge halb offen.

»Lange«, berichtete ihr Mann und schlief wieder ein.

*

Die erste Maschine von Chicago nach Atlanta, hob um 6.15 Uhr ab.

Lorenz war schon früher an seinem Arbeitsplatz und wählte bereits am Telefon, während er seinen Rechner anlaufen ließ.

»Der Download läuft; die Abbildung kommt schon rein.«

Während der Ältere zusah, wuchs das Mikrogramm Zeile für Zeile, schneller, als ein Fax aus der Maschine kommen würde, und mit weit größerer Detailauflösung.

»Sag mir, daß ich mich irre, Gus«, hat Klein.

»Ich glaube, das weißt du schon besser, Mark.« Er hielt inne, als die Abbildung vollständig war. »Das ist unser Freund.«

»Wo ist er denn in letzter Zeit gesehen worden?«

»Nun, wir hatten ein paar Fälle in Zaire, zwei weitere wurden aus dem Sudan gemeldet. Das war's, soviel ich weiß. Deine Patientin, hat sie …«

»Nein. Ich habe bisher keine Risikofaktoren identifizieren können.

Bei der Inkubationszeit hat sie es sich mit fast absoluter Sicherheit hier in Chicago zugezogen. Und das gibt es doch gar nicht, oder?«

»Sex?« fragte Lorenz. Er konnte das Kopfschütteln fast hören.

»Hab' ich sie gefragt. Fehlanzeige. Berichte von woanders?«

»Nein, nichts, nirgendwo. Mark, bist du dir dessen sicher, was du gesagt hast?« So beleidigend die Frage war, sie mußte gestellt werden.

»Ich wünschte, ich war's nicht. Das Mikrogramm ist schon das dritte.

Ich wollte gute Isolation. Ihr Blut ist voll damit, Gus. Warte mal.« – Stimmen im Hintergrund. – »Sie war gerade wieder wach. Sagt, sie hat sich vor 'ner Woche oder so einen Zahn ziehen lassen. Wir haben den Namen des Zahnarztes, gehen dem nach. Mehr haben wir nicht hier.«

»Gut. Laß mich die Vorbereitungen für deine Probe treffen. Es ist nur ein einzelner Fall. Regen wir uns erst mal nicht künstlich auf.«

*

Raman kam kurz vor der Morgendämmerung zu Hause an. Es war gut, daß um diese Tageszeit die Straßen fast leer waren. Mit seiner Fahrtüchtigkeit stand es gerade nicht zum Besten. Zu Hause hielt er die übliche Routine ein. Auf seinem Anrufbeantworter hatte sich wieder mal jemand verwählt: die Stimme von Herrn Alahad.

*

Der Schmerz war so schlimm, daß er aus dem Erschöpfungsschlaf erwachte. Bloß die zwanzig Schritte ums Bett herum ins Bad hinein erschienen ihm wie ein Marathon. Die Krämpfe waren furchtbar, was ihn erstaunte, denn er hatte in den letzten Tagen kaum was gegessen. Mit aller Eile, die er noch zustande brachte, ließ er die Shorts fallen und setzte sich. Gleichzeitig schien sein oberes Gedärm ebenfalls zu explodieren, und der ehemalige Golf-Spieler erbrach sich auf die Kacheln. Der Augenblick von Scham über etwas so wenig Männliches hielt nur an, bis er das sah, was ihm da zu Füßen lag.

»Süße?« rief er schwach. »Hilfe …«