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Maturafeier

Zweihundert Akten bedeutete, zweihundert Geburtsbescheinigungen, zweihundert Führerscheine, Häuser oder Wohnungen, Kreditkartensätze und alle möglichen Varianten davon zu prüfen. Es war unausweichlich, daß nach einer solchen Untersuchung Spezialagent Raman besondere Aufmerksamkeit seitens der 300 FBI-Agenten genießen würde, die dem Fall zugewiesen waren. Tatsächlich aber war jeder Angestellte des Secret Service, der regelmäßigen Zugang zum White House hatte, auf der Checkliste für detaillierte Prüfung. Im ganzen Lande begannen Agenten mit Geburtsscheinen und fuhren u.a. fort mit Prüfung der Schuljahrbuch-Fotos zwecks Vergleich mit den ID-Bildern aller Agenten. Drei Agenten des Detail erwiesen sich als Immigranten, deren persönliche Einzelheiten nicht leicht geprüft werden konnten. Einer war in Frankreich geboren, nach Amerika in den Armen seiner Mutter gekommen. Eine weitere stammte aus Mexiko, tatsächlich illegal mit ihren Eltern gekommen; sie hatte später ihren Status legalisiert und sich als Genie in der Abteilung Technical Security hervorgetan – und als wild entschlossene Patriotin im Team. Da blieb ›Jeff‹ Raman als Agent mit fehlender Dokumentation, leicht erklärbar durch den Flüchtlingsstatus, den seine Eltern angaben.

In mancherlei Hinsicht war es zu leicht. In den Aufzeichnungen war festgehalten, daß er im Iran geboren und nach Amerika eingewandert war, als seine Eltern beim Sturz des Schahs flüchteten. Seitdem wies jeder Indikator darauf hin, daß er seinem neuen Heimatland voll angepaßt war, besonders der Erwerb einer fanatischen Begeisterung für Basketball, die im Service zur halben Legende wurde. Er verlor fast nie eine Wette zu einem Spiel, und der Witz kursierte, daß ihn vor wichtigen Spielen berufsmäßige Glücksspieler nach den Chancen fragten. Er war auch stets dabei, nach Dienstschluß ein Bier mit den Kollegen zu genießen. Er hatte einen hervorragenden Ruf als Agent im Felde, war unverheiratet, aber das war beim Secret Service nicht ungewöhnlich. Man hatte ihn in Frauenbegleitung gesehen, aber darüber verlor er wenig Worte. Wenn er ein Privatleben hatte, war es ruhig. Sicher war, daß er nicht den geringsten Kontakt zu anderen Einwanderern oder Ausländern aus dem Iran hatte, daß er nicht religiös war, daß er nicht einmal den Iran bei Unterhaltungen erwähnte, außer daß er dem Präsidenten mal gesagt hatte, die Religion habe seiner Familie so viel Leid zugefügt, daß er das Thema gerne beiseite ließe.

Inspektor O'Day, von Direktor Murray mit den empfindlichen Fällen betraut, war von dieser oder anderen Geschichten nicht beeindruckt. Er beaufsichtigte die Untersuchung. Er nahm an, sein Gegner, fall der existierte, würde Experte sein, daher war für ihn die plausibelste und schlüssigste Identität nur eine potentiell zu prüfende Tarnung. Besser als das, hier waren die Regeln aufgehoben. Das hatte Agent Price selbst festgelegt. Das örtliche Untersuchungsteam suchte er selber in der Zentralabteilung und dem Washington Field Office aus. Den Besten teilte Aref Raman zu, der jetzt günstigerweise in Pittsburgh war.

Dessen Mietwohnung im Nordwesten D.C.s war bescheiden, aber bequem. Der Einbruchalarm war kein Problem. Unter den gewählten Agenten war ein technischer Zauberer, der nach zwei Minuten die Schlösser öffnete, das Bedienungsfeld erkannte und den Herstellerkode eingab – die hatte er alle auswendig gelernt –, um das System stillzulegen. Diese Vorgangsweise hieß früher ›Job mit den schwarzen Taschen‹, ein überholter Ausdruck, wenn auch die Tätigkeit selbst es nicht war.

Jetzt nannte man sie ›Spezialoperationen‹, und das konnte alles heißen.

Zuallererst wurde die Wohnung auf der Suche nach Fallen fotografiert: anscheinend unschuldige oder willkürliche Objekte, deren geringste Verlagerung dem Bewohner verraten hätte, daß jemand eingedrungen wäre. Das konnten Dinge sein, deren Entdeckung und Vereitelung teuflisch schwierig sein könnte, aber alle fünf Agenten waren Mitglieder des FCI, Abteilung für Spionageabwehr im FBI, sowohl ausgebildet als auch trainiert durch berufsmäßige Spooks. Die Durchsuchung der Wohnung würde Stunden feinfühligster Arbeit erfordern. Sie wußten, mindestens fünf weitere Teams machten bei anderen potentiell Verdächtigen das gleiche.

Der PC-3C schwebte am Rande der Radardeckung des indischen Schiffsverbands, hielt sich niedrig und rumpelte durch die aufgewühlte Luft über der warmen Oberfläche des Indischen Ozeans. Sie verfolgten dreißig Radarquellen von neunzehn Objekten. Die mächtigen, niederfrequenten Suchradare bereiteten ihnen die meisten Sorgen, wenn auch die Bedrohungssensoren hier und da einen Hauch von SAM-Lenkradar aufnahmen. Angeblich führten die Inder eine Übung durch, ihre Flotte war nach langer Wartungspause wieder auf See. Problematisch war, daß sich Manöver zur Prüfung der Bereitschaft überhaupt nicht von Kampfvorbereitungen unterscheiden ließen. Die vom ELINT-Team an Bord aufbereiteten Daten wurden direkt zu Anzio und den anderen Geleitschiffen des Sonderverbands Comedy, wie die Seeleute die vier Bob Hopes mit Eskorte zu nennen begannen, durchgegeben.

Der Verbandskommandeur saß im Combat Information Center seines Kreuzers. Die drei großen Schautafeln (eigentlich Rückprojektions-Fernseher, verbunden mit dem Aegis-Radar-Computersystem) zeigten recht genau die Lage des indischen Kampfverbandes. Er wußte sogar, welche Spuren wahrscheinlich die Träger waren. Seine Aufgabe war kompliziert. Comedy war jetzt voll formiert. Die UnReps – Bevorratungsschiffe – Platte und Supply hatten aufgeschlossen mit ihren Eskorten Hawes und Carr, und während der kommenden Stunden würden die Geleitschiffe abwechselnd längsseits gehen, um ihre Treibstoffbunker zu füllen – für die Marinekommandeure war ›zuviel Treibstoff‹ wie ›zuviel Geld‹ haben: unmöglich. Danach sollten die UnRep-Schiffe Außenpositionen in Höhe der beiden mit Panzergerät beladenen, vorausfahrenden Frachtfähren einnehmen und die Fregatten in Höhe des nachfolgenden Paares. O'Bannon würde zur Fortführung ihrer ASW-Suche vorauseilen – die Inder hatten zwei Reaktor-U-Boote, deren Lage momentan keinem bekannt zu sein schien. Kidd und Anzio, beide SAM-Schiffe, würden sich zur Fliegerabwehr im Nahbereich in die Formation hinein zurückfallen lassen. Normalerweise würde der Aegis-Kreuzer weiter außenbordwärts laufen, jetzt aber nicht.

Der Grund hierfür war nicht seine Missionsorder, sondern das Fernsehen. Jedes Marinefahrzeug des Verbands hatte Satellitenempfänger an Bord; während die Crew in der Freizeit vor allem die Spielfilmkanäle bevorzugte, war der Verbandskommandeur dabei, sich eine CNN-Überdosis zu holen, denn wo seine Missionsorder oftmals mit Hintergrundinformation zu seinen Aufgaben geizte, war dies beim kommerziellen Fernsehen anders. Die Mannschaften waren angespannt. Nachrichten zu den Geschehnissen daheim konnte man in keinem Fall unterdrücken, und die Bilder von kranken und sterbenden Menschen, gesperrten Fernstraßen und verkehrsleeren Städten hatten sie anfangs schwer erschüttert, so daß sich Offiziere und Bootsmänner mit den Männern zur Lagebesprechung auf die Messedecks begaben. Dann kamen diese Befehle.

Im Persischen Golf geschah etwas. Zu Hause passierte etwas, und plötzlich liefen die MPS-Schiffe, mit ihrem Brigadesatz von Kampffahrzeugen, den saudischen Hafen Dhahran an … und die Indische Marine stand ihnen im Weg. Die Crew war jetzt ruhiger, sah Captain Kemper der USS Anzio. Seine Chiefs berichteten, daß die Truppe nicht mehr in der Messe lachte oder herumalberte, und die anhaltenden Simulationsübungen am Aegis-Kampfsystem hatten in den letzten paar Tagen eine eigene Botschaft übermittelt. Comedy lief der Gefahr entgegen.

Jedes Geleitschiff hatte einen Hubschrauber an Bord. Diese wurden vom erstklassigen ASW-Team auf O'Bannon koordiniert, Tauferbin des ›goldenen Schiffes‹ der Navy im zweiten Weltkrieg, ein Zerstörer der Fletcher-Klasse, der alle nennenswerten Gefechte auf dem Schauplatz Pazifik ohne Opfer oder Kratzer mitgemacht hatte. Das neue Schiff hatte sich ein goldenes ›A‹ an den Aufbauten verpaßt, das Abzeichen eines U-Boot-Killers von hohem Ansehen – zumindest in der Simulation. Die Ahnentafel der Kidd war weniger glücklich. Benannt nach Admiral Kidd, der an Bord der USS Arizona am Morgen des 7. Dezember 1941 gefallen war, kam sie aus der ›Toter Admiral‹-Klasse. Anzio verdankte ihren Namen, eine der seltsameren Traditionen der Navy, einer Landschlacht im Italien-Feldzug 1943, bei der sich eine gewagte Invasion zu einem verzweifelten Ringen entwickelt hatte. Kriegsschiffe wurden ja schließlich für jenes Geschäft gebaut, aber es war Sache ihrer Kommandeure, zu bewirken, daß deren verzweifelte Seite die anderen Typen betraf.

Bei einem echten Krieg wäre das leicht gewesen. Anzio hatte 15 Cruise-Missiles vom Typ Tomahawk an Bord, jede mit Ein-Tonnen-Sprengkopf, fast in Reichweite zum indischen Kampfverband. Unter idealeren Bedingungen würde er sie bei etwas mehr als 300 Kilometern loslassen, gefüttert mit Zielinformation von den Orions – die könnte auch von seinen Hubschraubern kommen, aber die P-3C hatten eine deutlich höhere Lebenserwartung im Kampf.

»Captain!« Es war der Oberbootsmann an der ESM-Tafel. »Wir bekommen Fliegerradar herein. Orion bekommt Gesellschaft, sieht aus wie zwei Harrier, Entfernung unbekannt, Peilung konstant, Signalstärke nimmt zu.«

»Danke. Der Himmel ist frei, bis jemand was anderes sagt«, erinnerte Kemper jedermann.

Vielleicht war es eine Übung, aber der indische Kampfverband hatte seit dem Vortag keine 65 Kilometer zurückgelegt, sondern kreuzte hin und zurück, Ost und West, seinen eigenen Kurs wieder und wieder durchkreuzend. Eine Übung wäre eigentlich lockerer. Das sagte dem Captain der Anzio, daß man jenes Stück Ozean als Besitz absteckte. Und die Inder befanden sich zufälligerweise zwischen Comedy und dem Ort, wo sie eigentlich hinwollten.

Das spielte sich auch nicht im Geheimen ab. Jedermann tat so, als ob normale Friedensbedingungen vorlagen. Anzio hatte ihr SPY-1-Radar in Betrieb, pumpte Millionen Watt in den Äther. Die Inder benutzten auch ihres. Es war fast wie beim Spiel ›Wer gibt zuerst nach?‹.

»Captain, wir haben Fremdechos, wir haben multiple, unbekannte Luftkontakte, Peilung null-sieben-null, Entfernung drei-vier-null kahemm. Keine Selbstkennung, sie sind nicht kommerziell. Bezeichnet Razzia-Eins.« Die Symbole erschienen auf der Zentraltafel.

»Keine Radarquellen auf dieser Peilung«, berichtete ESM.

»In Ordnung.« Der Captain legte in seinem Befehlshochsitz die Beine übereinander. In den Filmen war dies der Moment, wo sich Gary Cooper eine Zigarette anzündete.

»Razzia-Eins zeigt sich jetzt als vier Flugzeuge im Formationsflug, Geschwindigkeit vier-fünf-null Knoten, Kurs zwo-null-fünf.« Also im Anflug, nicht aber direkt auf Comedy zu.

»Voraussichtlicher CPA?« fragte der Captain.

»Sie werden unseren gegenwärtigen Kurs im Abstand von 30 Kilometern passieren, Sir«, erwiderte ein Seemann präzise.

»Sehr wohl. Okay, Leute, alles herhören. Ich mag es hier kühl und geschäftlich. Sie kennen alle den Drill. Wenn es Grund zur Aufregung gibt, bin ich's, der's Ihnen sagt«, teilte er der CIC-Crew mit. »Waffen gesperrt.« Was bedeutete, daß noch Friedensvorschriften galten und nichts abschußbereit war – ein Zustand, der sich durchs Drehen einiger weniger Schlüssel ändern ließ.

»Anzio, hier Gonzo-Vier, over«, rief eine Stimme auf Luft-Boden-Frequenz.

»Gonzo-Vier, Anzio, over.«

»Anzio, wir haben hier zwo Harrier, die mit uns Fangen spielen. Einer ist gerade bei 50 Metern vorbeigezischt. Hat Weiße auf den Schienen.«

Echte Raketen unter den Flügeln, keine Spielmunition.

»Tun die was?« fragte der Fluglotse.

»Negativ, spielt nur so rum.«

»Geben Sie durch, Mission fortführen«, sagte der Captain, »sich nichts anmerken lassen.«

»Aye aye, Sir.« Die Nachricht wurde weitergegeben.

Sachen dieser Art waren nicht selten. Jagdflieger blieben Jagdflieger, wußte der Captain. Die blieben in dem Stadium hängen, mit ihren Fahrrädern an den Mädels knapp vorbeiflitzen zu müssen. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Razzia-Eins. Kurs und Geschwindigkeit unverändert. Das war nicht feindselig. Die Inder ließen ihn wissen, sie wüßten, wer in der Nachbarschaft war. Das ging aus dem Auftauchen von zwei Kampfflieger-Rotten an zwei Orten gleichzeitig hervor. Jetzt war es definitiv das Spiel ›Wer gibt zuerst nach?‹.

Was nun? überlegte er. Den Starken? Den Dummen? Den Unbeteiligten spielen? Leute übersahen so oft den psychologischen Aspekt von Militäroperationen. Razzia-Eins war jetzt knapp 250 Kilometer entfernt, bald in Reichweite seiner SM-2-MR-SAMs.

»Was halten Sie davon, Weps?« fragte er seinen Waffenoffizier.

»Ich meine, die wollen uns nur anschiffen.«

»Gleichfalls.« Der Captain warf eine geistige Münze. »Gut, sie bedrängen den Orion. Laßt sie wissen, daß wir sie sehen«, befahl er.

Zwei Sekunden später hievte das SPY-Radar seine Leistung auf vier Millionen Watt, schickte diese auf ein Grad Peilung herab zu den anfliegenden Jägern, mit erhöhter ›Verweildauer‹, d.h. sie wurden fast ständig getroffen. Es reichte aus, die Bedrohungssensoren, die sie an Bord haben mußten, an den oberen Anschlag zu schnalzen. Innerhalb von 30 Kilometern konnte es so eine Ausrüstung sogar beschädigen. Dies nannte man einen ›Zorch‹, und der Captain hatte immer noch weitere zwei Millionen Watt im Ärmel. Der Witz war, wenn man einen Aegis wirklich verärgerte, daß die Kinder mit zwei Köpfen zur Welt kommen könnten.

»Kidd hat gerade Gefechtsstation verfügt, Sir«, sagte ihm der Deck-Offizier.

»Gute Zeit zur Übung, nicht?« Die Entfernung zu Razzia-Eins war jetzt gut 150 Kilometer. »Weps, beleuchtense die!«

Auf das Kommando hin drehten sich die vier SPG-51-Zielbeleuchtungs-Radare zu den anfliegenden Jägern hin und sandten bleistiftdicke Strahlen X-Band-Energie auf sie zu. Diese Radargeräte sagten den Raketen, wie sie ihre Ziele finden sollten, und auch das würde den indischen Bedrohungssensoren auffallen. Die Jäger änderten weder Kurs noch Geschwindigkeit.

»Okay, das heißt, wir spielen heute nicht grob. Wenn sie wirklich was vorhätten, würden sie jetzt manövrieren«, sagte der Captain seiner Crew. »Wissen Sie, um die Ecke verschwinden, wenn man einen Cop sieht.« Oder sie hatten statt Blut Eiswasser in den Venen, was er nicht glaubte.

»Wollen wir die Formation ins Auge fassen?« fragte Weps.

»Würde ich tun. Einige Bilder schießen; schauen, was da ist.«

»Einiges passiert plötzlich gleichzeitig, Sir.«

»Jo«, stimmte der Captain zu, die Augen auf der Tafel. Er nahm den Bordfunk-Hörer auf.

»Brücke«, sagte der Deck-Officer.

»Sagen Sie Ausguck, ich will wissen, was die sind. Fotos, wenn möglich. Wie ist die Sicht da oben?«

»Diesige Oberfläche, oben nicht schlecht, Sir. Hab' schon Leute an den Dicken Augen.«

»Sehr gut.«

»Die passieren unsere Nordseite, wenden links und kommen auf Backbord herab«, sagte der Captain voraus.

»Sir, Gonzo-Vier berichtet einen sehr knappen Vorbeiflug vor ein paar Sekunden«, sagte ihm der Fluglotse.

»Weitergeben: Cool bleiben.«

»Aye, Cap'n.« Danach entwickelte sich die Situation schnell. Die Jäger umkreisten Comedy zweimal, nie näher als 10 Kilometer. Die indischen Harrier verbrachten noch eine Viertelstunde beim patrouillierenden Orion und drehten dann ab, um zu tanken. Ein weiterer Tag auf See ging vorbei, ohne Schüsse, ohne offensichtliche Feindseligkeiten, wenn man das Jäger-Geplänkel beiseite ließ, und so was war eigentlich Routine. Als sich alles beruhigt hatte, rief der Captain seinen Funkoffizier.

»Ich muß mit CinCLant sprechen. Oh, Weps?«

»Ja, Sir?«

»Jedes Kampfsystem auf diesem Schiff wird voll durchgecheckt.«

»Sir, wir haben gerade vor zwölf Stunden ein …«

»Jetzt sofort, Weps«, betonte er ruhig.

»Und das ist die gute Nachricht?« fragte Cathy.

»Doktor, es ist recht einfach«, antwortete Alexandre. »Sie haben heute früh zugesehen, wie einige Leute gestorben sind. Morgen werden Sie mehr sehen, und das ist schwer. Aber Tausende ist besser als Millionen, oder? Ich meine, diese Epidemie wird sich ausbrennen.« Er fügte nicht hinzu, daß es für ihn leichter war. Cathy war eine Augenärztin und nicht so mit dem Tod vertraut. Er war in Infektionskrankheiten tätig und daran gewöhnt. Gewöhnt? War das das Wort? »In ein paar Tagen wissen wir aus der statistischen Fallanalyse mehr.«

Der Präsident nickte stumm, van Damm sprach für ihn: »Was wird die Gesamtzahl sein?«

»Unter zehntausend, nach den Computermodellen bei Reed und Detrick. Sir, ich nehme das nicht auf die leichte Schulter. Ich sage nur, daß zehntausend günstiger ist als zehn Millionen.«

Einen Moment lang war es sehr still im Oval Office. Das waren immer noch erschreckende Zahlen.

»Was bedeutet das für die Reisesperre?« fragte Ryan dann.

»Es heißt, wir halten sie mindestens noch eine Woche aufrecht. Unsere Vorhersage ist nicht in Stein gemeißelt. Die Inkubationszeit für diese Krankheit ist leicht variabel. Man schickt die Feuerwehrwagen auch nicht gleich heim, wenn die letzten Flammen ausgehen, sondern wartet weitere Ausbrüche ab. So ist es auch hier. Was bisher für uns gearbeitet hat, ist, daß die Leute zu Tode erschrocken sind. Deshalb ist die persönliche Interaktion minimiert, und das ist ein Weg, wie man die Ausbreitung kappt. Die neuen Fälle werden eng umschrieben sein. Wir werden sie angehen wie seinerzeit die Pocken. Die Fälle identifizieren, alle testen, die mit ihnen Kontakt hatten, jene mit Antikörpern isolieren und zuschauen, wie's denen geht. Wer auch immer es getan hat, hat sich verrechnet. Die Krankheit ist nicht annähernd so ansteckend, wie die angenommen haben. Verdammt, deshalb hatten wir keine Fälle beim medizinischen Personal. Wir hatten schon reichlich Übung durch AIDS und Hepatitis. Die gleichen Vorsichtsmaßnahmen wirken auch bei dieser Sache.«

»Wie verhindern wir, daß so was noch mal geschieht?« fragte van Damm.

»Sagte ich schon. Finanzierung, Grundlagenforschung auf der genetischen Seite und besser fokussierte Arbeit bei den Krankheiten, die wir schon kennen. Es gibt keine besonderen Gründe, weshalb bei Ebola und anderen Krankheiten keine sichere Impfung zustande kommt.«

»AIDS?« fragte Ryan.

»Schwierig. Der Virus ist ein geschickter kleiner Bastard. Kein Impfversuch ist bisher auch nur knapp drangekommen. Nein, auf der Seite ist genetische Grundlagenforschung erforderlich, um festzustellen, wie der biologische Mechanismus abläuft, und von dort aus das Immunsystem dazu zu bringen, ihn zu erkennen und zu töten – irgendein Impfstoff, darum handelt es sich im Endeffekt. Noch haben wir das aber nicht ausbaldowert. Das wäre ein Weg, eine Wiederholung zu unterbinden. Sie, Mr. President, arbeiten am anderen. Wer hat's getan?«

Er mußte nicht sagen, wie geheim dies war: »Iran. Der Ajatollah Mahmoud Hadschi Daryaei und seine lustigen Kumpane.«

Alexandre wurde wieder zum Army-Offizier: »Sir, Sie dürfen so viele von denen umbringen, wie Sie wollen, nach meinem Dafürhalten.«

Es war interessant, den internationalen Flughafen Mehrabad bei Tageslicht zu sehen. Clark hatte Iran nie als freundliches Land gesehen.

Angeblich waren die Leute vor dem Sturz des Schahs halbwegs freundlich gewesen, aber er war nicht rechtzeitig dorthin gereist. 1979 und dann noch mal 1980 war er verdeckt im Land gewesen, erst um Information zu sammeln, und dann, um am Geiselrettungsversuch teilzunehmen. Es gab die Worte nicht, um ein Land unter revolutionären Verhältnissen zu beschreiben. Seine Zeit im Umfeld Sowjetunion war wesentlich angenehmer gewesen. Feind oder nicht, Rußland war immer ein zivilisiertes Land gewesen, mit einer Menge Regeln und Bürgern, die sie brachen. Aber der Iran war hochgegangen wie ein trockener Wald nach Blitzeinschlag. ›Tod den Amerikanern‹ war auf den Lippen aller gewesen, und das, erinnerte er sich, war in etwa so beängstigend, wie inmitten des Mobs das Lied zu hören. Hierzulande erschossen sie Kriminelle, aber Spione hängten sie meistens. Das schien eine unbotmäßig herzlose Art, einem Mann das Leben zu nehmen.

Manches hatte sich in den Jahren inzwischen geändert. Manches nicht. Noch immer gab es das Mißtrauen Ausländern gegenüber. Der Beamte am Zollschalter wurde durch bewaffnete Wachen unterstützt, und ihr Job war es, Leuten wie ihm die Einreise zu verwehren. Für die neue UIR, wie für das frühere Land, war jedes neue Gesicht ein potentieller Spion.

»Klerk«, sagte er und überreichte seinen Paß, »Iwan Sergejewitsch.«

Zum Teufel, die russische Tarnidentität hatte schon mal funktioniert, und er hatte sie schließlich parat. Besser noch, sein Russisch war perfekt.

Als Sowjetbürger war er bei uniformierten Beamten schon des öfteren durchgekommen.

»Tschekow, Jewgenij Pawlowitsch«, sagte Chavez dem Beamten am nächsten Schalter.

Sie waren wieder einmal Nachrichtenkorrespondenten. Vorschriften untersagten, daß CIA-Beamte als amerikanische Reporter auftraten, aber das traf nicht auf ausländische Medien zu.

»Der Zweck Ihres Besuches?« fragte der erste Beamte.

»Mehr über Ihr neues Land zu erfahren«, erwiderte Iwan Sergejewitsch. »Es muß wohl für jeden sehr aufregend sein.« Für ihre Arbeit in Japan hatten sie eine Fotoausrüstung gehabt und einen nützlichen kleinen Apparat, der so aussah wie ein helles Licht und es eigentlich auch war. Jetzt aber nicht.

»Er und ich sind zusammen«, erzählte Jewgenij Pawlowitsch seinem Beamten.

Die Pässe waren brandneu, auch wenn es keiner bei einfacher Musterung erkannt hätte. RVS-Tradecraft war bis aufs I-Tüpfelchen genauso gut wie früher beim KGB. Sie stellten einige der weitbesten Dokumentenfälschungen her. Die Seiten waren von Stempeln bedeckt, viele davon überlappten sich, und hatten die Falten und Eselsohren von Jahren des scheinbaren Gebrauchs. Ein Inspektor schnappte sich ihre Taschen und öffnete sie. Er fand Kleidung, sichtlich gebraucht, zwei Bücher, die er nach pornografischem Inhalt durchblätterte, zwei Kameras mittlerer Qualität, ihre schwarze Emaille abgenützt, die Objektive aber neu. Jeder hatte eine Tragtasche mit Notizbuch und Mini-Tonbandgeräten. Die Inspektoren nahmen sich Zeit, auch nachdem die Schalterbeamten fertig waren, und ließen die Besucher ihres Landes schließlich, sichtlich widerstrebend, passieren.

»Spassiba«, sagte John freundlich, nahm seine Taschen und ging los.

In den Jahren hatte er gelernt, seine Erleichterung nicht ganz zu verstecken. Normale Reisende waren eingeschüchtert. Er mußte es auch sein, wenn er sich nicht von ihnen abheben wollte. Die beiden CIA-Beamten gingen raus zum Taxistand und reihten sich schweigend in die Warteschlange. Chavez ließ seine Tasche fallen, der Inhalt fiel heraus, und Clark und er ließen zwei andere vor, während er ihn wieder einsammelte. Das garantierte fast ein willkürliches Taxi, es sei denn, sie wurden alle von Spooks gefahren.

Der Trick war, in jeder Hinsicht normal auszusehen. Nicht zu blöd.

Niemals zu schlau. Die Orientierung verlieren und nach dem Weg fragen, aber nicht zu oft. Billige Hotels bewohnen. Und in ihrem besonderen Fall, zu hoffen, daß niemand, der sie bei ihrem kurzen Vorbesuch in dieser Stadt gesehen hatte, jetzt ihren Weg kreuzte. Diese Mission sollte eine einfache sein. Das war ja meistens der Fall. Man schickte Intelligence-Offiziere selten auf komplizierte Missionen – sie würden den Grips haben, abzulehnen. Die einfachen waren ja haarig genug, wenn man einmal da draußen war.

*

»Er heißt Sonderverband COMEDY«, sagte ihm Robby. »Heut früh hat man an ihrer Tür geläutet.« Der J-3 erklärte es ein paar Minuten lang.

»Grobe Spielweise?« fragte der Präsident.

»Nach der Schilderung haben sie der P-3 eine echte Schau geboten. Hab' ich selbst schon öfters getan, in jungen, törichten Tagen. Die wollen, daß wir merken, daß sie da draußen und nicht eingeschüchtert sind. Der Verbandskommandeur ist Greg Kemper. Kenn' ich nicht, aber sein Ruf ist in Ordnung. CinCLant mag ihn. Er bittet um Änderung der ROE.«

»Noch nicht. Später am heutigen Tag.«

»Okay. Ich würde zwar keinen Nachtangriff erwarten, aber denken Sie dran, daß Sonnenaufgang dort Mitternacht hier ist, Sir.«

»Arnie, was ist mit der Premierministerin?«

»Sie und Botschafter Williams tauschen keine Weihnachtsgeschenke aus«, antwortete der Stabschef. »Sie sind ihr hier im East Room begegnet.«

»Sie zu verwarnen riskiert, daß sie Daryaei Bescheid gibt«, erinnerte Ben Goodley alle. »Wenn Sie die hart angehen, packt sie aus.«

»Und? Was hieße das, Robby?«

»Wenn wir an den Indern vorbeikommen, und sie warnt Daryaei? Die können versuchen, die Seestraße zu blockieren. Der Verband vom Mittelmeer kommt in ein paar Stunden um die Ecke und schließt 25 Seemeilen vorm Eingang auf. Wir werden den Luftschirm haben. Es könnte aufregend werden, sie sollten aber durchkommen. Seeminen könnten einem angst machen, aber die Seestraße ist ein bißchen tief dafür. Näher bei Dhahran ist's 'ne andere Geschichte. Je länger die UIR im dunkeln tappt, desto besser, die wissen aber vielleicht schon, woraus COMEDY besteht.«

»Oder auch nicht«, überlegte van Damm. »Wenn sie glaubt, daß sie's alleine schafft, versucht sie vielleicht, Daryaei zu zeigen, was sie für Eier hat.«

Die Verlegung wurde Operation Custer genannt. Alle 40 Maschinen, jede mit rund 250 Soldaten, waren jetzt in einer Schlange von 10.000 Kilometer Länge in der Luft. Die führenden Flugzeuge waren noch sechs Stunden vor Dhahran, verließen den russischen Luftraum und überflogen die Ukraine.

Die F-15-Piloten waren jetzt müde. Ihre Hintern waren wie schmerzhaftes Blei von der ganzen Zeit im Sitz. Die Verkehrsflieger konnten mal aufstehen und rumgehen; hatten sogar WCs, was den Jägerpiloten mit ihrem Apparat, der Erleichterungsrohr hieß, luxuriös erschien. Arme verkrampften sich. Muskel schmerzten vor Bewegungslosigkeit. Langsam wurde die Luftbetankung schwierig, und sie 1000 kamen allmählich zur Auffassung, daß Luftkampf eine Stunde vorm Ziel vielleicht doch keinen Spaß machen würde. Die meisten tranken Kaffee, versuchten mal einen Handwechsel am Steuerknüppel und reckten sich, so gut es ging.

Die meisten Soldaten schliefen, noch immer in Unkenntnis ihrer Mission. Die Fluggesellschaften hatten die Maschinen wie üblich bevorratet, und die Truppe erging sich an dieser wohl letzten Gelegenheit zu einem Drink für längere Zeit. Wer schon 1990/91 in Saudi-Arabien gewesen war, erzählte Kriegsgeschichten, aus denen hauptsächlich hervorging, daß das Königreich nicht das war, das man wegen des Nachtlebens besuchen wollte.

*

Indiana auch nicht, fanden Brown und Holbrook heraus, zumindest nicht jetzt. Wenigstens waren sie schlau genug gewesen, vor der allgemeinen Panik ein Motel aufzusuchen, und jetzt waren sie dort gefangen.

Das Motel war für Trucker ausgelegt, hatte ein großes Restaurant, die alte Art mit Theke und Abteilen und jetzt mit maskierter Bedienung und Kunden, die sich einander nicht mehr gesellig nähern wollten. Statt dessen nahmen sie ihre Mahlzeiten und suchten wieder ihre Zimmer, oder auch ihre Trucks, zum Schlafen auf. Es gab so was wie eine tägliche Tanzveranstaltung. Die Laster mußten bewegt werden, damit das Verweilen auf einem Fleck nicht die Reifen beschädigte. Jeder hörte Radio bei den stündlichen Nachrichten. Die Zimmer, das Restaurant und sogar einige der Trucks hatten Fernseher zur weiteren Information und Zerstreuung. Es gab Langeweile von der gespannten Art, die Soldaten kannten, aber die Mountain Men nicht.

»Gottverdammte Regierung«, sagte ein Möbelschlepper; seine Familie war noch zwei Staaten von hier weg.

»Ich mein', die haben uns gezeigt, wo's langgeht, oder?« gab Ernie Brown für die Allgemeinheit zum besten.

Die Daten würden später zeigen, daß nicht ein Fernfahrer das Virus eingefangen hatte. Ihre Lebensweise war dafür zu einzelgängerisch.

Aber ihr Arbeitsleben hing von Beweglichkeit ab, zum einen, weil sie so ihren Unterhalt bestritten, aber auch, weil sie sich's so ausgesucht hatten. Stillzusitzen entsprach nicht ihrem Wesen. Dazu verdonnert werden noch weniger.

»Zur. Hölle damit«, fügte ein weiterer Fahrer hinzu. Ihm fiel nichts anderes ein. »Verdammt froh, daß ich's noch aus Chicago rausgeschafft hab'. Was ma' hört, da wird dir ja bange.«

»Glaubense, das hat' all's 'n Sinn?« fragte jemand.

»Seit wann isses denn sinnvoll, was die Regierung so macht?« meckerte Holbrook.

»Das is' bei mir angekommen«, stimmte einer zu, und endlich fühlten sich die Mountain Men irgendwo zu Hause. Dann war es, nach unausgesprochener Übereinstimmung, Zeit zu gehen.

»Wie lange noch hängen wir verdammt noch mal hier fest, Pete«, wollte Ernie wissen.

»Das fragste mich?«

*

»Eine dicke Menge Nichts«, faßte der führende Agent zusammen. Für einen Alleinstehenden war Aref Raman ein bißchen sehr ordentlich, aber nicht arg. Einer der FBI-Agenten hatte überrascht bemerkt, daß der Mann sogar sein Socken sauber faltete, wie alles andere in den Schubladen seiner Kommode. Das brachte einen anderen auf eine Studie über Footballspieler der NFL. Ein Psychologe hatte nach vielen Monaten festgestellt, daß Spieler der Angriffslinie, die den Job hatten, den Quarterback zu schützen, in ihren Spinden Ordnung hielten, während die der Verteidigungslinie, die gegnerische Quarterbacks in den Rasen zu stampfen hatten, in jeder Hinsicht Schweine waren. Es reichte für einen Lacher und als Erklärung. Sonst war nichts zu finden. Es gab ein Foto seiner Eltern, beide verstorben. Er abonnierte zwei Nachrichtenzeitschriften, hatte sämtliche Kabeloptionen für seine beiden Fernseher, kein Gesöff im Haus und aß gesund. Er hatte eine besondere Vorliebe für koschere Würstchen, nach der Gefriertruhe zu urteilen. Es gab keine versteckten Schubladen oder Fächer – die hätten sie gefunden – und nichts, das im geringsten verdächtig erschien. Das waren sowohl gute als auch schlechte Nachrichten.

Das Telefon klingelte. Keiner ging ran, weil sie nicht da waren und weil sie für den eigenen Verbindungsbedarf ihre Pieper und Handys dabeihatten.

»Hello, dies ist 536-3040«, sagte die Aufnahme von Ramans Stimme nach dem zweiten Ton. »Es ist gerade keiner hier, der das Telefon abnimmt, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, wird Sie jemand zurückrufen.« Gefolgt von einem Piepton und in diesem Fall einem Klicken.

»Zupf die Nachrichten«, befahl der Leiter dem technischen Genie des Teams.

Raman besaß ein digitales Aufnahmesystem, und wieder war es ein Ziffernkode, den der Hersteller einprogrammiert hatte. Der Agent drückte die sechs Tasten und begann zu notieren. Es gab vier Klicks und eine falsche Nummer. Jemand rief für Mr. Sloan an, wer auch immer das war.

»Teppich? Mr. Alahad?«

»Klingt nach einem Teppichhändler«, sagte ein anderer. Aber als sie sich umsahen, gab es keinen solchen Teppich in der Wohnung, bloß den üblichen, billigen Teppichbelag, den man in Wohnungen dieser Art fand.

»Verwählt.«

»Prüf trotzdem die Namen.« Es war mehr Gewohnheit als irgendwas anderes. Man checkte einfach alles. Es war wie bei der FCI-Arbeit. Man wußte ja nie.

Gerade dann läutete das Telefon wieder, und alle fünf Agenten drehten sich um und starrten zum Anrufbeantworter, als wäre der ein echter Zeuge mit richtiger Stimme.

Scheiße, dachte Raman, er hatte vergessen, die früheren Nachrichten zu löschen. Es war nichts Neues drauf. Sein Führungsoffizier hatte nicht wieder angerufen – das hätte ihn auch überrascht. Nach dieser Feststellung tastete Raman den ›Lösche alles‹-Befehl von seinem Hotelzimmer in Pittsburgh aus ein. Bei den neuen Digitalen wär's nett, daß, wenn's gelöscht wurde, es für immer weg war. Das traf bei denen, die Minikassetten verwendeten, nicht unbedingt zu.

Die FBI-Agenten registrierten das untereinander mit Blicken.

»He, das machen wir doch alle.« Allgemeine Zustimmung. Und jeder bekam Anrufe von Leuten, die sich verwählt hatten. Aber sie würden die Nummern trotzdem prüfen.

*

SURGEON war, zur Erleichterung ihres Detail, oben im Wohnbereich schlafen gegangen. Roy Altman und der Rest derer, die sie zu schützen hatten, waren mit ihr auf der Seuchenstation – wie sie's nannten – in Johns Hopkins fast ausgerastet, nicht nur wegen der physischen Gefahr, sondern auch, weil sie bis zur völligen Erschöpfung arbeitete. Die Kids, wie Kids halt sind, hatten die Zeit wie die meisten amerikanischen Kinder verbracht, beim Fernsehen und Spielen, unter den Augen ihrer Wachen, die sich jetzt übers Auftreten von Grippesymptomen sorgten – bis jetzt zum Glück auf dem ganzen Areal nicht vorhanden. SWORDSMAN war im Lagebesprechungsraum.

»Wie spät ist es dort?«

»Zehn Stunden voraus, Sir.«

»Macht den Anruf«, befahl POTUS.

Die erste 747, in den Farben von United, erreichte den saudischen Luftraum aufgrund günstiger Polarwinde ein paar Minuten früher als erwartet. Eine umständlichere Route hätte jetzt auch nicht viel gebracht.

Sudan hatte auch Flugplätze und Radar, wie Ägypten und Jordanien, und es war anzunehmen, daß die UIR irgendwo in den Ländern Informanten hatte. Die saudische Luftwaffe, verstärkt durch die F-16C, die für Buffalo Forward am Vortag aus Israel reingeschlichen waren, flog kampfbereit Luftstreife an der Saudi-UIR-Grenze entlang. Zwei E-3B AWACS waren oben und ließen über den Rümpfen ihre Radarscheiben kreisen. Die Sonne ging gerade auf – zumindest konnte man in ihrer Flughöhe schon erstes Licht sehen, obwohl die Oberfläche zehntausend Meter weiter unten noch dunkel war.

»Guten Morgen, Premierministerin. Hier spricht Jack Ryan«, sagte der Präsident. »Welche Freude, Ihre Stimme zu hören. In Washington ist es spät, nicht wahr?« fragte sie.

»Wir haben beide unregelmäßige Arbeitszeiten. Ich vermute, Ihr Tag beginnt gerade.«

»So ist es«, antwortete die Stimme. Ryan hatte einen konventionellen Hörer am Ohr. Das Gespräch ging auch über Lautsprecher und in ein digitales Aufnahmegerät. Der CIA hatte sogar ein Gerät zur Streßanalyse bereitgestellt. »Mr. President, die Schwierigkeiten in Ihrem Land, haben die nachgelassen?«

»Wir haben etwas Hoffnung, aber nein, bisher nicht.«

»Gibt es irgend etwas, womit wir helfen können?« Keine der Stimmen zeigte die geringste Gefühlsregung, bis auf die falsche Freundlichkeit von Menschen, die einander mißtrauen und das zu verbergen versuchen.

»Nun, ja, das gibt es wirklich.«

»Bitte, wie können wir dann von Nutzen sein?«

»Premierministerin, wir haben momentan einige Schiffe auf dem Weg ins Arabische Meer«, sagte Ryan.

»Tatsächlich?« Die Stimme blieb völlig neutral.

»Ja, Ma'am, so ist es, und Sie wissen es, und ich will Ihre persönliche Zusicherung, daß Ihre Marine deren Passage nicht stören wird.«

»Aber warum erbitten Sie das? Weshalb sollten wir stören – und was das angeht, was bezwecken Sie mit der Bewegung der Schiffe?«

»Ihr Wort in der Sache wird genügen, Premierministerin«, sagte ihr Ryan. In der rechten Hand hielt er einen Bleistift Härte 2.

»Aber Mr. President, mir entzieht sich der Zweck dieses Anrufs.«

»Der Zweck diese Anrufs ist es, Sie um Ihre persönliche Zusicherung zu ersuchen, daß die Indische Marine die friedliche Passage von Schiffen der United States Navy durch das Arabische Meer nicht stören wird.«

Er war so schwach, dachte sie, sich so zu wiederholen.

»Mr. President, ich finde Ihren Anruf beunruhigend. Amerika hat nie zuvor mit uns über so eine Angelegenheit gesprochen. Sie sagen mir, Sie verlegen Kriegsschiffe in die Nähe meines Landes, aber nicht den Grund für die Verlegung. Die Verlegung solcher Fahrzeuge ohne Erklärung ist nicht die Handlung eines Freundes.« Ob sie ihn zum Nachgeben zwingen konnte?

Was habe ich Ihnen gesagt? stand auf der Notiz von Ben Goodley.

»Gut, Premierministerin, jetzt zum drittenmal, geben Sie mir Ihre Zusicherung, daß es keine Störung dieser Aktivität geben wird?«

»Aber warum dringen Sie in unsere Gewässer ein?« fragte sie erneut.

»Sehr gut.« Ryan hielt inne, und dann änderte sich sein Tonfall. »Premierministerin. Der Zweck der Verlegung ist für Ihr Land ohne direkten Belang, doch ich versichere Ihnen, diese Schiffe werden zu ihrem Ziel gelangen. Da deren Mission für uns von Wichtigkeit ist, werden wir keine, ich wiederhole keine Störung irgendwelcher Art zulassen, und ich muß Sie warnen, daß wenn sich irgendein nicht identifiziertes Schiff oder Flugzeug unserem Verband nähern sollte, die Folgen nachteilig sein könnten. Nein, entschuldigen Sie, es wird dann zu solchen Folgen kommen. Um das zu vermeiden, mache ich Ihnen Mitteilung von der Durchfahrt, und ich ersuche um Ihre persönliche Zusicherung an die Vereinigten Staaten von Amerika, daß es keinen Angriff auf unsere Schiffe geben wird.«

»Und jetzt drohen Sie mir? Mr. President, ich begreife den Streß, unter dem Sie stehen, aber, bitte, Sie dürfen souveräne Staaten nicht so behandeln.«

»Premierministerin, dann werde ich sehr deutlich sprechen. Es hat einen offenen Kriegsakt gegen die Vereinigten Staaten von Amerika gegeben. Jegliche Störung von oder Angriff auf irgendeinen Teil unserer Streitkräfte wird als Kriegshandlung gewertet, und welches Land auch immer einen solchen Akt begeht, muß mit den ernsthaftesten aller möglichen Konsequenzen rechnen.«

»Aber wer hat Ihnen dies angetan?«

»Premierministerin, das ist für Sie ohne Belang, es sei denn, Sie wünschen es so. Ich denke, im Interesse Ihres Landes und des meinen, daß es gut wäre, wenn Ihre Marine umgehend ihre Heimathäfen wieder anläuft.«

»Und Sie beschuldigen uns, Sie befehlen uns?«

»Ich begann mit einem Ersuchen, Premierministerin. Sie haben es für nötig gehalten, meinem Ersuchen dreimal auszuweichen. Ich empfinde das als unfreundlichen Akt. Und somit habe ich eine neue Frage. Wünschen Sie Krieg mit Amerika?«

»Mr. President …«

»Denn wenn jene Schiffe den Weg nicht räumen, Premierministerin, wird das die Folge haben.« Der Bleistift zerbrach in Ryans Hand. »Ich denke, Sie haben sich vielleicht zu den falschen Freunden gesellt, Premierministerin. Ich hoffe, ich irre mich, aber wenn mich mein Eindruck nicht trügt, könnte Ihr Land für diese Fehleinschätzung teuer bezahlen müssen. Wir haben einen direkten Angriff auf unsere Bürger erlitten. Es war ein besonders grausamer und barbarischer Angriff unter Verwendung von Massenvernichtungsmitteln.« Diese Worte sprach er überdeutlich aus. »Sobald dies unseren Bürgern bekannt ist, Premierministerin, werden jene, die den Angriff verschuldet haben, unserer Gerechtigkeit gegenüberstehen. Es wird keine Protestnoten geben. Wir werden keine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates in New York beantragen. Wir werden Krieg führen, Premierministerin. Wir werden Krieg führen, mit aller Gewalt und Wut, die unser Land und unsere Bürger aufbringen können. Begreifen Sie jetzt, was ich sage? Normale Männer, Frauen und jetzt auch Kinder sind innerhalb unserer Grenzen durch eine fremde Macht ermordet worden. Es hat sogar einen Angriff auf mein eigenes Kind gegeben, Premierministerin. Will Ihr Land mit diesen Handlungen in Verbindung gebracht werden? Wenn ja, Premierministerin, wenn Sie wünschen, daran beteiligt zu sein, dann beginnt der Krieg jetzt.«