34. Kapitel
Sobald sie verschwunden waren, schlug und drückte ich mit den Händen immer wieder gegen den Deckel. Das Plastik auf der Innenseite war alt und brüchig und zerbröckelte, sobald ich dagegenschlug. Ich pulte es ab, riss die Isolierung heraus und hämmerte gegen den Metalldeckel. Trotzdem bekam ich ihn nicht auf. Ich probierte auch, ihn mit den Beinen aufzustemmen, aber ich hatte nicht genügend Kraft. Schließlich musste ich, zerschlagen und zerschunden, wie ich war, eine Pause einlegen. Ich schnappte nach Luft und hyperventilierte fast. Die Dunkelheit lag drückend auf mir und schien alle Luft aus meinen Lungen zu pressen. Meine Beine zitterten, meine Ohren dröhnten. Die Welt schien sich zur Seite zu neigen, und ich glaubte, ohnmächtig zu werden. Dann erinnerte ich mich.
Wir sind draußen, Blaubeeren sammeln, während die anderen spazieren gehen. Die Luft ist schwer und dicht von der Hitze. Ich trage Shorts und ein weites T-Shirt, doch der Schweiß lässt es an meinem Körper kleben. Ich ziehe es immer wieder an der Vorderseite ab, weil es mir nicht gefällt, wie Aaron mich anschaut. Meine Hände haben rote Flecken von den Beeren, die ich an meinen Shorts abzuwischen versuche. Er sieht mir dabei zu und sagt: »Ich will meditieren.«
Die Beeren, die ich gegessen habe, rühren sich in meinem Magen, ihre Süße schmeckt jetzt bitter in meinem Mund. Ich weiß, was er wirklich will.
Ich sage: »Ich will das nicht mehr machen.«
»Ist dir deine Mom völlig egal?«
»Du hilfst ihr nicht. Es geht ihr wieder schlechter.« Seit zwei Wochen ist sie wieder launisch und still, schläft den ganzen Tag in ihrer Hütte und isst kaum.
Er sagt: »Bei unseren Meditationen sagt sie, sie denke wieder daran, sich selbst zu töten. Ich habe es ihr ausgeredet und heile sie. Aber vielleicht will ich das auch nicht mehr machen. Vielleicht ist sie auf der anderen Seite glücklicher.«
Ich starre ihn an. Er sagt die Wahrheit, ich sehe es ihm an.
Er sagt: »Leg dich hin, Nadine.«
Ich gehe in die Knie und lege mich im langen, trocknen Gras auf den Rücken. Meine Augen sind bereits voller Tränen. Ich versuche, an das Gras zu denken, das an meinen Beinen kratzt, an das Summen der Libellen neben mir in der Luft. Aber ich habe Angst.
Er legt sich neben mich und presst seinen Mund auf meinen. Meine Hände greifen hilflos in die Mohnblumen. Er öffnet meine Shorts, schiebt seine Hände hinein und berührt mich zwischen den Beinen. Er zerrt die Hose weiter herunter und legt sich auf mich, er schiebt seine eigene Shorts nach unten und zwängt sich in mich hinein.
Es tut weh, und ich schreie laut. Er presst seinen Mund noch kräftiger auf meinen.
Ich drehe mein Gesicht fort. »Hör auf. Ich will nicht.« Ich stoße ihn und schlage ihn mit der Faust. Ich ramme ihm das Knie zwischen die Beine. Er brüllt auf, hält die Hände in den Schritt. Ich ziehe meine Shorts hoch und renne auf den Stall zu. Ich suche meine Mutter, meinen Bruder, irgendjemanden, der helfen kann, denn in meiner Panik habe ich vergessen, dass sie alle spazieren gegangen sind. Seine Schritte sind laut hinter mir. Ich schaffe es halb hinauf auf eine der Heumieten, als er meinen Fuß packt und mich herunterzieht, bis ich nah genug bin, dass er mein Haar packen und den Kopf zurückreißen kann. Ich versuche, zu schreien, aber er hält mir den Mund zu. Er lässt meine Haare los, schlingt einen Arm fest um meine Brust und Schultern, so dass ich meine Arme nicht mehr bewegen kann, und presst mir die Luft aus den Lungen. Dann hebt er mich an, so dass er mich seitlich tragen kann wie einen Sack Korn, und trägt mich zur Rückseite des Stalls, wo sie unter der Vorratskammer einen Rübenkeller ausgehoben haben.
Vor dem Loch bleibt er stehen und dreht sich so, dass meine Füße über den Rand baumeln. Dann nimmt er die Hand von meinem Mund. Ich schaue hinunter. Zuerst begreife ich nicht, warum er mir den Keller zeigt. Dann stelle ich fest, dass das Loch nur ein paar Schritte tief und hoch ist, und ich denke, dass er mich zur Strafe weitergraben lassen wird.
Dann sagt er: »Siehst du, Nadine? Siehst du, wohin du jetzt kommst?«
Jetzt verstehe ich. Er will mich in das Loch stecken.
Ich trete um mich und kämpfe, aber er hält mich fest. Er tritt zurück und schwingt mich herum, dann packt er eines der alten Metallfässer, die an der Wand aufgereiht stehen. Mit einer Hand hebt er den Deckel hoch. Er hebt mich über den Rand des Fasses.
Aus dem Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr, ein Schatten, der sich an der Tür bewegt und den schmalen Lichtstreifen blockiert. »Hilfe!«, schreie ich und denke, dass dort jemand ist, dass mich jemand retten wird. Aber es ist nur ein Schwarm Vögel, die zu den Dachsparren emporflattern.
Ich beiße ihn in den Arm, versuche, meine Beine nicht in das Fass gelangen zu lassen, aber er schlägt mir kräftig gegen die Schläfe. Benommen erschlaffe ich in seinen Armen. Er stopft meine Beine in das Fass, nimmt die Knie zur Hilfe, um meinen Rücken hinunterzudrücken. Ich packte den Metallrand. Er schlägt auf meine Fingerknöchel, biegt meine Finger auf, bis ich loslassen muss. Er keucht vor Anstrengung und kriecht umher, dann senkt sich der Deckel über meinen Kopf, und Aaron drückt ihn mit seinem ganzen Gewicht nach unten. Ich schreie laut, aber es klingt gedämpft.
Er hämmert den Deckel mit den Fäusten fest.
Zwischen dem Deckel und meinem Körper sind nur wenige Zentimeter Luft. Ich bin von Metall umgeben, meine Knie berühren fast mein Kinn, ich hab keinen Platz, um mich zu bewegen oder zu atmen.
Das Fass kippt. Ich lande auf der Seite. Ich höre auf zu schreien, versuche zu begreifen, was passiert. Jetzt rollt das Fass, dann habe ich das Gefühl zu fallen. Ich schlage dumpf auf, mein Körper kracht gegen die Metallwände. Ich schnappe nach Luft.
Eine Sekunde lang ist alles still. Dann bekomme ich etwas Luft, ich schreie immer wieder, aber niemand kommt. Mir ist heiß, und ich schwitze. Der Schweiß tropft mir vom Gesicht. Ich keuche.
Ich höre einen dumpfen Schlag und begreife, dass es sich um Erde handelt, die auf das Fass geschaufelt wird. Ich brülle: »Bitte, nein, bitte, lass mich raus!«
Noch mehr Erde prasselt auf das Fass. Es gelingt mir, neben meinem Ohr einen Arm nach oben zu schieben und gegen den Deckel zu drücken, aber er rührt sich nicht von der Stelle. Drückende Hitze legt sich wie eine schwere Decke auf mich und verschließt mit jedem Atemzug meine Kehle ein wenig mehr. Ich kratze an den glatten Wänden, versuche, meinen Körper zu drehen, doch das macht die Luft nur noch dicker, macht es noch schwerer zu atmen. Ich weine und keuche. Ich höre erstickte Laute aus meiner Kehle, mehr Erde fällt auf das Fass, immer und immer wieder. Dann Stille. Ich stöhne und schluchze wimmernd.
Ein leises, dumpfes Geräusch, als sei jemand in das Loch gesprungen.
»Bitte, bitte, lass mich raus!« Ich bin außer mir und weine.
Aarons Stimme. »Bist du bereit, dich dem Licht hinzugeben?«
»Ja, ja. Ich bin bereit.«
Erneute Stille. Dann: »Ich glaube dir nicht.«
Wieder ein dumpfes Geräusch, als die Erde auf das Fass fällt. Schaufel um Schaufel regnet auf mich herab. Ich schreie, ein wildes, schrilles Kreischen, bis ich keine Luft mehr bekomme und zu hyperventilieren beginne, Tränen und Rotz vermischen sich auf meinem Gesicht.
Endlich hört er auf und ruft hinunter, gedämpft durch die Erde und das Metall: »Willst du von deinen Ängsten befreit werden, Nadine?«
»Ja«, schluchze ich. »Ja. Bitte. Ich tue, was du willst.«
Eine Pause. Er wird mich herauslassen. Ich spüre die Erleichterung in jeder Faser meines Körpers.
Dann beginnt er, noch mehr Erde hinunterzuschaufeln. Ich weiß nicht, ob ich schon fast begraben bin, aber die Geräusche werden immer leiser. Ich mache mir in die Hose. Ich denke an meine Mutter, an Robbie und an meinen Vater. Ich werde sterben. Ich schließe die Augen und singe stumm bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte.
Die Geräusche verstummen. Es gibt nichts mehr außer Stille. Ist er fortgegangen? Mir ist schwindelig, ich schlottere vor Schluchzern und vor Panik. Die Sekunden verstreichen. Jetzt bin ich sicher, dass er fortgegangen ist. Ich halte es nicht länger aus. Ich schnappe nach Luft, aber ich kann nicht mehr atmen.
Dann ein Geräusch ganz in meiner Nähe, etwas kratzt oben auf dem Deckel. Ich erstarre. Noch ein Kratzen, ganz rhythmisch, und ich begreife, dass er die Erde wegschaufelt. Eine Welle der Hoffnung, gefolgt von Angst. Spielt er nur wieder mit mir? Ich drücke erneut gegen den Deckel, flehe mit letzter Kraft: »Bitte. Ich will nicht sterben.«
Das kratzende Scharren von Metall auf Metall, dann wird der Deckel hochgeklappt. Ich blinzele hinauf ins Licht, ringe keuchend nach Luft. Halb blind kann ich nur Aarons Umrisse im Licht der Öffnung erkennen. Er greift hinunter, zieht mich heraus, stellt mich auf die Beine, aber ich bin so benommen und schwach, dass ich auf dem Boden zusammensacke.
Er kauert sich vor mich, umfasst meinen Nacken und blickt mir in die Augen.
»Du kannst nicht vor mir davonlaufen, Nadine. Wir sind jetzt eine Familie.«
Die Worte kommen verwaschen aus meinem Mund, meine Zunge und Lippen sind trocken, die Kehle ist wund vom Schreien. »Es tut mir leid … es tut mir leid. Bitte, tu mir nicht weh.«
Der Griff an meinem Nacken wird stärker. Er beugt sich zu mir, er riecht nach Schweiß. Er will etwas sagen. Dann hören wir in der Ferne die Stimmen der Kommunemitglieder, die singend von ihrem Spaziergang zurückkommen.
Ich öffne den Mund, um zu schreien.
Er schlägt mich. Mein Kopf knallt gegen das Fass hinter mir, ich bin erneut benommen. Er hält mir den Mund zu, so dass meine Zähne sich in die Lippen bohren. »Wenn du irgendjemandem davon erzählst, mache ich es wieder – aber dann lasse ich dich nicht wieder heraus.«
Der Druck seiner Hand wird stärker. Ich schmecke Blut. Er sagt: »Ich werde dich lebendig begraben. Hast du mich verstanden?«
Ich nicke entsetzt.
Er sagt: »Warte ein paar Minuten, dann gehst du runter zum Fluss und machst dich sauber.« Er beugt sich dicht an mein Ohr, seine Stimme klingt gedämpft und verzerrt, als käme sie aus weiter Ferne. »Denk daran, erzähl es irgendjemandem, und das nächste Mal lasse ich dich sterben.«
Er hebt mich aus dem Loch und lässt mich auf den Boden der Vorratskammer fallen.
Dann ist er verschwunden.
Nach einer Weile reiße ich mich zusammen, verlasse schwankend den Stall, taumele über die hintere Wiese hinunter zum Fluss. Ich gehe zu einem Pool weit unterhalb der Kommune, wo keines der Mitglieder schwimmt. Weinend und zitternd wasche ich mich im eiskalten Wasser. Ich wasche auch meine Kleidung, lege sie auf einen Felsen in die Sonne, rolle meinen nackten, zerschlagenen Körper zu einer Kugel zusammen, verborgen hinter einem großen Felsen, warmer Sand umgibt mich. Ich schlafe ein.
Stunden später, als ich zur Kommune zurückkehre, fragt mich meine Mutter, wo ich gewesen sei. Am Fluss, sage ich. Und dass ich mir die Lippe an einem Felsen aufgeschlagen habe.
Und dass ich mich an nichts mehr erinnern kann.
Jetzt zwang ich mich, meinen Körper zu entspannen und bewusst ein- und auszuatmen. Ich hatte Angst, meine Knie zitterten, aber ich musste mich ganz auf den Augenblick konzentrieren, die Situation analysieren und Schritt für Schritt vorgehen. Hol ein paarmal tief Luft. Du kannst hier rauskommen, wenn du ruhig bleibst.
Aaron würde nicht meinetwegen zurückkommen. Er hatte mich vor Jahren gewarnt, und sein Zorn war zu groß. Dieses Mal würde er mich sterben lassen. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und ich suchte nach einem Lichtspalt am Rand des Deckels, aber mich umgab nichts als Schwärze und der faulig-ranzige Geruch nach altem Pferdefutter. Mein Kopf füllte sich mit entsetzlichen Bildern von Gefriertruhen, die in den siebziger Jahren zurückgerufen worden waren, weil Kinder darin gestorben waren, und mit Erinnerungen an die ständigen Warnungen, niemals beim Spielen in so eine Truhe zu klettern.
Ich versuchte zu berechnen, wie viel Luft ich hatte, wie lange ich überleben könnte. Ich wusste, dass ich, wenn ich zu hektisch atmete, die Luft schneller verbrauchen würde, also versuchte ich, langsamer zu atmen. Ich glaubte nicht, dass ich viel Zeit hatte, die Luft schmeckte bereits anders, mein Kopf fühlte sich ganz leicht an, und das Blut rauschte laut in den Ohren. Ich versuchte, die Tatsache zu akzeptieren, dass ich sterben könnte. Ich dachte an meine Familie. Was würde mit Lisa geschehen? Würde sie jemals erfahren, wo meine Leiche war? Tränen liefen mir übers Gesicht, als ich an Robbie dachte und mich fragte, ob er auch irgendwo begraben lag, gegen einen Deckel starrte und um Hilfe schrie. Würden wir einen leichten Tod haben? Würden wir einfach einschlafen, oder würden wir in unseren improvisierten Gräbern bis zum Schluss verzweifelt nach Luft ringen? Erneut überkamen mich Panik und Wut über meine Hilflosigkeit. Ich schlug gegen den Deckel, ein zorniger Stoß, der mir gar nichts brachte. Ich brach in Tränen aus, schluchzte in der Dunkelheit, wie ich es als Kind getan hatte. Ich presse die Hände an die Augen, holte ein paarmal tief Luft und versuchte, mich wieder zu konzentrieren.
Ich hatte zwei Möglichkeiten. Ich konnte mein Schicksal akzeptieren und darum beten, dass Daniel begriff, dass sein Vater mich sterben lassen wollte, und es irgendwie schaffte, beide Männer zu überwältigen. Darauf hoffen, dass Mary die Polizei rufen und ich irgendwie Glück haben und überleben würde.
Oder ich konnte auf Teufel komm raus versuchen zu entkommen.
Ich beugte die Knie, stützte mich mit beiden Händen an den Seitenwänden ab und bohrte meine Absätze in die Stirnwand. Sie gab nicht nach. Ich versuchte, gegen die Seitenwände zu drücken, gegen die Wand hinter meinem Kopf, gegen den Deckel. Die Truhe war stabil.
Ich überlegte, ob ich mehr Kraft hätte, wenn ich mit den Schultern drücken würde. Ich winkelte meine Arme an und versuchte, mich in dem winzigen Raum umzudrehen, bis ich meine Hände endlich auf den Boden der Truhe aufsetzte. So kräftig ich konnte, drückte ich mich hoch. Hals und Schultern schmerzten, die Knie brannten. Doch ich spürte, wie der Deckel leicht nachgab. War die Schließe des Riegels vielleicht verrostet? Oder die Schrauben, mit denen er an der Truhe befestigt war?
Ich stieß kräftig zu und hörte ein leises Geräusch, als hätte etwas nachgegeben. Immer wieder stemmte ich mich ruckartig hoch und schwitzte und keuchte bald vor Anstrengung. Ich machte eine Pause, schnappte in großen Zügen nach Luft, besorgt darüber, wie viel Sauerstoff ich verbrauchte, doch dann dachte ich: Wenn ich sterbe, dann geht es wenigstens schnell.
Mit allerletzter Kraft drückte ich meinen Rücken erneut gegen den Deckel, woraufhin ein heftiger Schmerz meine Wirbelsäule durchzuckte. Es gab eine lautes, knirschendes Geräusch, als hätte der Deckel sich gelockert und das Schloss nachgegeben. Ich stieß erneut zu und mobilisierte alle Kräfte meines Körpers. Metall quietschte, als die Bolzen herauszureißen begannen. Jetzt brauchte ich nur noch ein paarmal zuzustoßen und alle Muskeln anzuspannen, bis ich in dem winzigen Raum beinahe die Beine durchdrückte. Endlich riss die Schließe des Riegels heraus, und der Deckel sprang auf.
Ich kletterte aus der Truhe, mein Rücken und die Beine schrien fast vor Schmerz. Mit ausgestreckten Armen ertastete ich mir meinen Weg durch den dunklen Raum. Immer wieder blieb ich stehen und lauschte auf näher kommende Schritte. Dann war ich an der Tür. Ich hätte gedacht, Aaron hätte sie ebenfalls blockiert, doch als ich probeweise dagegendrückte, schwang sie auf. Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass mir die Flucht gelingen würde.
Ich kroch um die Seitenwand des Stalls herum und am Waldrand entlang. Ohne das Haus aus den Augen zu lassen, arbeitete ich mich bis zu seiner Rückseite vor. Ich wusste nicht, wie ich zu den Fahrzeugen gelangen sollte – meines stand vor dem Haus, aber ich entdeckte nun auch einen grünen Truck hinter dem Haus. Er musste Daniel gehören. Er kam mir bekannt vor, und ich dachte an den Truck, der vor meinem Haus abgebremst hatte. Daniel musste mich im Auge behalten haben. Vielleicht hatte er versucht, seinen Vater zu schützen. Als ich mich dem Haus näherte, hörte ich Stimmen. Ich kauerte mich hinter einem Baum zusammen und lauschte. Es klang, als würden sie streiten. Daniel rief wütend: »Du hast gesagt, du wolltest nur mit ihnen reden – du hast mir nicht gesagt, dass du irgendjemandem etwas antun willst. Wann willst du sie rauslassen?«
Aaron antwortete: »Wenn das Licht sagt, dass es so weit ist. Sie ist nicht bereit.«
Verzweifelt schrie Daniel: »Sie wird sterben.«
Aaron redete erneut mit leiser Stimme auf ihn ein, als versuchte er, Daniel zu beruhigen, doch ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Ich hoffte, dass Joseph ebenfalls im Haus war.
Ich drückte mich tief hinter den Baum und überlegte, was ich tun sollte. Um zu meinem Wagen zu gelangen, müsste ich um das ganze Haus herumkommen, ohne dass sie mich entdeckten. Wenn sie das Auto starten hörten, würden sie mich verfolgen, also musste ich zuerst den Truck fahruntüchtig machen. Adrenalin verlieh mir die nötige Stärke, verengte meinen Fokus auf diesen einzigen Moment, in dem ich hinüberkroch und dann vorsichtig aufstand und in die Fahrerkabine des Trucks lugte. Keine Schlüssel im Zündschloss. Ich würde ein paar Kabel rausreißen müssen. Als die Stimmen im Haus erneut lauter wurden, öffnete ich vorsichtig die Tür des Trucks und hielt den Atem an, als ich die Verriegelung der Motorhaube öffnete.
Im Haus wurde es still, und ich befürchtete, sie hätten mich gehört, doch dann begann Daniel erneut zu schreien: »Wir können das nicht machen – wir können die Leute nicht sterben lassen.«
Hastig riss ich jedes Kabel und jeden Schlauch raus, die ich zu fassen bekam. Als ich fertig war, schaute ich hinüber zum Haus und sah Mary an der Hintertür stehen.
Sie hatte mich beobachtet. Wir starrten einander an. Ich war sicher, dass sie die Männer rufen würde, aber sie nickte nur kurz, drehte sich um und ging wieder hinein.
Ich schlich ums Haus, kletterte in meinen Wagen und sah den Schlüssel im Zündschloss stecken. Ich startete den Motor und fuhr los. Daniel, Joseph und Aaron stürmten aus dem Haus. Im Rückspiegel sah ich, wie Mary Daniel am Arm packte und ihn zurückhielt. Die Hunde rannten ebenfalls auf mich zu, und einer sprang direkt vors Auto. Ich trat auf die Bremse, versuchte, ihm auszuweichen, und geriet auf dem losen Schotter ins Rutschen, bis ich vor einem Baum zum Stehen kam. Ich legte den Rückwärtsgang ein.
Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr und sah Aaron auf mich zurennen. Er warf etwas auf mein Fenster, und ich duckte mich automatisch. Glas splitterte, und ein Stein traf meinen Arm. Schmerz durchschoss mich, als ich das Lenkrad packte, Gas gab und versuchte, um ihn herumzufahren. Joseph rannte vor das Auto. Das Gewehr in seiner Hand zielte auf mich.
Ich trat auf die Bremse und duckte mich erneut. Aaron steckte die Hand durch das zerbrochene Fenster und schlug mich kräftig seitlich auf den Kopf. Ich saß benommen da, als er die Tür entriegelte und den Gang rausnahm. Ich kroch über den Beifahrersitz, doch er packte meine Beine und zerrte daran. Ich klammerte mich an das Lenkrad und trat mit aller Kraft nach hinten aus.
Wo war Joseph? Ich schaute kurz nach links. Er stand immer noch vor dem Wagen, das Gewehr auf mich gerichtet, und wartete auf den nächsten Befehl seines Bruders.
Ich sah durch das Rückfenster, suchte nach Hilfe, nach einer Fluchtmöglichkeit, nach irgendetwas. Mary schrie hysterisch und schlug die Hände vor dem Mund zusammen. Daniel starrte wie gelähmt zu uns herüber, das Gesicht voller Entsetzen und Panik. In seiner Hand hielt er das zweite Gewehr.
Ich brüllte: »Daniel, schieß. Du musst auf ihn schießen. Heather hat dich geliebt. Sie hätte nicht gewollt, dass du das hier zulässt.«
Daniel weinte. Er hob das Gewehr.
Aaron drehte sich nicht um. Er versuchte immer noch, mich aus dem Wagen zu zerren, so sicher war er sich der Kontrolle über seinen Sohn.
Ich hörte ein Krachen. Aaron ließ meine Beine los. Ich schaute über die Schulter und sah ihn: Er hielt sich verblüfft die Seite, ehe er auf dem Boden zusammensackte.
Joseph kam herüber und starrte mit ausdrucksloser Miene auf ihn hinunter, das Gewehr an seiner Seite.
Daniel rannte auf Joseph zu und griff ihn an.
Während die Männer sich kämpfend auf dem Boden wälzten, kletterte ich zurück auf den Fahrersitz und legte den ersten Gang ein. Joseph riss sich los und rannte auf den Truck zu, Daniel folgte ihm auf den Fersen.
Ohne zurückzublicken, gab ich Gas und preschte über die Auffahrt davon.