Kapitel 9

 

 

Blau-weiße Blitze zuckten knackend zwischen den Computern im Laboratorium.

»Verdammt! Overload! Das System ist total überlastet! Alles runterfahren, sonst verlieren wir sämtliche Daten!«

Einer der Techniker sprang zwischen den verschiedenen Terminals hin und her. »Versuche ich doch schon die ganze Zeit!«

»Dann versuch es eben noch mal!«

Der Techniker hackte aufgeregt auf eine Tastatur ein. »System reagiert nicht! Sperre ist aktiviert!«

Victor stieß ihn grob beiseite, bückte sich neben dem Computertisch nieder und riss den Stecker aus der Steckdose.

Der Monitor leuchtete kurz auf, dann wurde es still im Raum.

»Es wäre Zeitverschwendung zu versuchen, die Sache zu reparieren«, sagte Cross. »Lade einfach die Backup-Dateien hoch.«

Das Telefon an der Wand summte, und eine Frauenstimme ertönte: »Äh … Mr Cross? Schlechte Nachrichten.«

Victor riss den Hörer vom Gerät. »Was ist denn jetzt schon wieder?«

»Wir haben einen Test am Nukleus durchgeführt, aber nur mit halber Belastung. Dabei kam es zu einer Art Kurzschluss. Keine Ahnung, wie das passiert ist, aber jedenfalls gab es bei sämtlichen Computern Stromausfall. Vermutlich ist aber kein Schaden entstanden.«

»Und ob ein Schaden entstanden ist! Wir hatten einen Totalcrash beim Hauptrechner. Wer in drei Teufels Namen hat überhaupt diesen Test angeordnet?«

»Niemand, aber wir dachten, dass …«

Er unterbrach sie. »Ihr habt eben nicht gedacht! Wenn ihr gedacht hättet, dann hättet ihr mich erst gefragt! Welche Verluste haben wir?«

»O’Brien und Hammond – beide noch am Leben, aber mit bösen Verbrennungen.«

»Ich meine die Geräte!«

»Oh. Äh – nichts, was man nicht ersetzen könnte.«

»Dein Glück. Stelle sofort zwei Leute ab. Sie sollen die gesamte Basis durchsuchen. Wir müssen herausfinden, warum es zu der Netzüberlastung kam. Sag ihnen, das Sicherheitssystem hat oberste Priorität! Ihr anderen repariert alles und dann macht ihr mit dem Nukleus weiter. Ich will nicht, dass wir damit noch mehr Zeit verlieren!«

»Jawohl, Sir!«

Victor knallte den Hörer auf die Telefonschale und bellte den nächststehenden Techniker an: »Bericht! Welche Schäden?«

»Ich glaube, die Datenspeicher sind unbeschädigt. Das Backup-System wird in ein paar Minuten online sein. Was war das überhaupt?«

»Sie glauben, im Nukleus sei ein Leck aufgetreten.«

Der Mann wurde blass. »Ist das gefährlich?«

»Nur für einen Supermenschen.«

 

 

Der Energiestoß war durch die gesamte Anlage gefahren. Die Techniker, die die Schäden feststellen sollten, untersuchten sämtliche Ebenen und Räume des Komplexes. Ein paar Computerkomponenten waren durchgebrannt, aber sonst waren nur minimale Schäden entstanden.

Schließlich erreichten die beiden Techniker auch den Lagerraum auf Ebene eins. Einer schaltete das Licht ein und blickte in den Raum.

»Hier drin ist nichts«, sagte er zu seinem Kollegen. »Nur ein paar alte Kisten und diese seltsame Glasstatue.«

»Die ist nicht aus Glas«, meinte der andere. »Kulvinder und ich haben sie vor Kurzem hierhergeschafft. Kulvinder ist ausgerutscht und dann ist die Statue über das Geländer geglitten. Stürzte bis auf Ebene sieben runter und kriegte nicht den kleinsten Kratzer ab. Eine Glasstatue wäre in eine Million Scherben zersplittert. Und dann mussten wir das verdammte Ding wieder hier raufschleppen.«

Sie schlossen die Tür und gingen zum nächsten Raum.

Ein paar Sekunden später ging dieselbe Tür wieder auf. Ohne hineinzuschauen, streckte einer der Techniker die Hand durch den Türspalt, schaltete das Licht aus und schloss die Tür wieder.

Hätte er hineingeschaut, so hätte er gesehen, dass sich die Statue des Mädchens bewegt hatte.

 

 

Colin war in seinem Sitz festgeschnallt und trug Handschellen. Er saß neben seinen Eltern und Danny auf einer Seite des Helikopters. Danny war immer noch bewusstlos und schnarchte leise.

Colins verschärftes Gehör war vor ein paar Minuten wieder zurückgekehrt; er hörte die Piloten und Facade miteinander reden.

»Treibstoff ist bald alle«, informierte er seinen Vater flüsternd. »Wir werden jeden Moment landen, um zu tanken.«

»Wo sind wir?«

»Irgendwo über dem Atlantik«, antwortete Colin. »Vielleicht landen wir auf einem Flugzeugträger oder so.«

»Nein«, meinte sein Vater. »Das ist eine Boing CH-47 Chinook, sie kann auf dem Wasser landen.« Er nickte in Richtung von zwei großen Metallfässern, die hinter dem Cockpit festgezurrt waren. »Ich vermute, dass die Fässer dort Reservetreibstoff enthalten. Sie werden wassern und die Tanks auffüllen. Wahrscheinlich haben sie genug Treibstoff, um uns bis aufs amerikanische Festland zu bringen.«

»Was haben sie mit uns vor, Dad?«

»Keine Ahnung.«

Colin blickte zu Danny hinüber. »Und was ist mit Dannys Bruder? Wenn sich Facade so lange als Mr Cooper ausgegeben hat, dann müsste er doch Nialls Vater sein?«

»Ja, das wird wohl so sein.«

Die Tür zum Cockpit flog auf und Facade kam heraus. Er ging vor Danny in die Hocke und hielt ihm den Zeigefinger an die Halsschlagader.

»Lassen Sie ihn in Ruhe!«, fauchte Colin. »Haben Sie nicht schon genug angerichtet?«

Facade drehte sich zu ihm um. »Ich wollte nur nachschauen, ob mit ihm alles in Ordnung ist.« Seine Stimme klang leise, fast sanft, und es war dieselbe Stimme, die Colin seit vielen Jahren kannte – nur hatte der Mann jetzt einen harten, entschlossenen Gesichtsausdruck. Facade richtete sich auf und streckte sich. In diesem Augenblick ging der Helikopter abrupt in den Sinkflug über. Facade musste sich am Handlauf festhalten. »War schon eine Ewigkeit nicht mehr in so einem Ding«, sagte er.

»Was ist damals passiert?«, fragte Warren. »Ich vermute, du hattest dich in Quantum verwandelt, und als Ragnarök seine Waffe einsetzte, konntest du dich nicht mehr zurückverwandeln, stimmt’s?«

»Richtig.«

»Darf ich mal was fragen?«, mischte sich Colin ein.

Facade zuckte die Schultern. »Nur zu.«

»Wenn Sie Mr Coopers Leben weitergeführt haben, dann ist doch Niall vermutlich Ihr eigener Sohn?«

»Ja, das ist er.«

»Sie haben ihn zurückgelassen.«

»Ich weiß. Aber das hier ist sehr wichtig.«

»Wird er Ihnen nicht fehlen?«

»Ich habe nicht vor, für immer wegzubleiben.«

Colins Vater fragte: »Warum tust du das überhaupt, Facade?«

»Weil es getan werden muss«, antwortete der Mann. »Danny war der älteste Supermensch, dessen Kräfte sich noch nicht entwickelt hatten, als Ragnarök seine Maschine einsetzte. Ich erhielt den Befehl, Danny zu bewachen. Hatte keine Ahnung, dass es so lange dauern würde. Und ich hatte auch nicht erwartet, dass ich für immer und ewig wie Quantum aussehen würde. Aber nachdem wir alle unsere Kräfte verloren hatten, konnte ich mich nicht mehr zurückverwandeln.«

»Und was geschah mit Dannys richtigem Vater?«, wollte Warren wissen.

»Das brauchst du nicht zu wissen«, antwortete Facade.

»Dann sag mir wenigstens, warum du so lange gewartet hast. Nachdem der Panzer zerstört war, hättest du doch deinen Auftrag abbrechen können. Ragnarök war tot – es war niemand mehr da, der dir Befehle erteilen konnte.«

Facade schüttelte den Kopf. »Es geht um etwas Größeres, Warren. Größer und wichtiger als du oder ich oder irgendwelche Jungen.«