Kapitel 13
Wer hat sie entführt? Wo sind sie mit ihr hin? Beruhigen Sie sich doch bitte, Miss Buddley. Oder holen Sie Calthrop ans Telefon. Ist er da?«
»Er liegt auf dem Bo-Boden. Ich glaube, er ist tot.« »Mein Gott! Hören Sie zu, Miss Buddley, Präsident Svenson und ich werden so schnell wie irgend möglich bei Ihnen sein. Haben Sie schon die Polizei von Lumpkinton angerufen?« »N-nein.«
»Dann tun Sie das bitte sofort. Schließen Sie alle Türen, bis die Polizei da ist, und machen Sie sich eine Tasse Tee oder sonst irgendwas.«
Thorkjeld Svenson war schon dabei, den Käse in Stücke zu hacken und große Cracker-Sandwiches zu machen, damit sie auf der Fahrt etwas zu essen hatten. Peter nickte, unterbrach die Verbindung und wählte neu.
»Hallo, Mrs. Swope. Ist Cronkite zu Hause? Hier ist Peter Shandy.«
Mrs. Swope stellte keine Fragen, sondern holte in Windeseile ihren Sohn an den Apparat. »Was ist los, Professor?«
»Sie wohnen doch ganz in der Nähe der Forschungsstation, am besten, Sie fahren umgehend hin. Winifred Binks ist gekidnappt worden. Viola Buddley ist allein mit Calthrop. Vielleicht ist er sogar schon tot. Der Präsident und ich machen uns sofort auf den Weg. Ich habe Miss Buddley gesagt, sie soll umgehend die Polizei von Lumpkinton benachrichtigen, aber Gott weiß, wann die eintreffen.«
»Bin schon unterwegs.«
Peter knallte den Hörer auf die Gabel und griff nach dem Telefonblock. »Swope ist schon unterwegs. Nein, Jane, du kannst diesmal nicht mit. Ich schreibe nur noch schnell eine Nachricht für Helen. Wann kommen Sieglinde und die Mädchen nach Hause?«
»Weiß der Himmel. Gegen neun, hoffe ich.«
»Ich habe Helen gebeten, bei Ihnen zu Hause anzurufen. Verdammt schade, daß ich den Wagen schon weggestellt habe.«
Peter riß seinen Plaidmantel vom Haken und zog ihn sich über, während er versuchte, Svenson zu folgen, der mit Riesenschritten davoneilte. Er hatte noch nicht alle Knöpfe zugemacht, als sie auch schon an Charlie Ross' Tankstelle angekommen, ins Auto gestiegen und auf die Straße gefahren waren. Es wäre zwecklos gewesen, Ottermole zu benachrichtigen, denn die Forschungsstation befand sich außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs.
Verflixt, er wünschte, sie hätten genug Zeit gehabt, um ein ordentliches Abendessen zu sich zu nehmen, man konnte schließlich nie wissen, auf was sie sich jetzt wieder einließen. Während des Fahrens kaute Peter ein paar von Svensons Crackern und gönnte sich immer dann einen Biß, wenn er eine Hand vom Lenkrad nehmen konnte. Bei dem Tempo, das er an den Tag legte, war dies nicht sehr oft der Fall. Er hoffte inständig, daß man ihn nicht wegen überhöhter Geschwindigkeit anhalten würde, denn es war den Lumpkintoner Trotteln durchaus zuzutrauen, daß sie ihre Zeit damit verschwendeten, Verkehrssünder zu stoppen, statt sich auf dem schnellsten Wege zur Forschungsstation zu begeben.
Glücklicherweise waren seine Befürchtungen unbegründet. Als er mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz fuhr, wartete Swope schon auf sie. Die Polizei von Lumpkinton war natürlich noch nicht eingetroffen. Der Krankenwagen von Clavaton war bereits wieder fort, Swope hatte ihn sofort nach seinem Eintreffen gerufen. Calthrop hatte aus Nase und Ohren geblutet und eine Art Krampfanfall gehabt. Er hatte eine Verletzung am Kopf davongetragen, sein Kopf war geschwollen und sein Gesicht aschfahl gewesen. Der Sanitäter war ziemlich sicher, daß es sich um eine Schädelfraktur handelte.
»Was ist mit Miss Buddley?« fragte Peter.
»Sie ist in Ordnung. Jedenfalls mehr oder weniger. Ich habe ihr literweise Kamillentee eingeflößt. Das hat sie ein wenig beruhigt, bloß daß sie sich dauernd - aber da ist sie ja.«
Viola war inzwischen wieder mehr oder weniger in der Lage, zusammenhängend zu sprechen. Was sie zu sagen hatte, war zwar schrecklich, aber leider nicht besonders hilfreich.
»Knapweed saß wie üblich an seinem Tisch und experimentierte mit seinem Unkraut herum. Professor Binks saß am Schreibtisch und schrieb einen wütenden Brief an Mr. Sopwith. Er hatte sie immer noch nicht zurückgerufen. Ich bin nach draußen gegangen, um nach den Futterspendern zu sehen. Ich war auf dem Weg zurück ins Haus, als plötzlich jemand aus dem Wald gesprungen ist, mich von hinten gepackt hat und mir mit einem Tuch die Augen verbunden hat. Dann wurde ich gegen einen der Ahornbäume am Parkplatz gedrückt und gefesselt.«
»War das derselbe Mann, der Sie gestern auch gefesselt hat?«
»Woher soll ich das wissen? Ich konnte doch nichts sehen! Ich hab' geschrien und um mich getreten und versucht, mich loszureißen, aber es hat alles nichts genutzt. Ich glaube, diesmal waren es mehrere Personen. Sie sind in die Station gelaufen, ich konnte hören, wie der Kies unter ihren Füßen knirschte, und Miss Binks schrie: >Was fällt Ihnen ein?< Es war das erste Mal, daß ich Miss Binks habe schreien hören. Dann hab' ich gehört, wie man sie zum Parkplatz gezerrt hat.«
»Was genau haben Sie gehört?« erkundigte sich Peter.
»Ich habe gehört, wie Professor Binks Geräusche gemacht hat. Es klang wie >mpf, mpf, mpf <, als ob ihr jemand den Mund zugehalten hätte. Und ich habe gehört, wie der Kies nach allen Seiten gespritzt ist. Sie hat sich bestimmt nicht ohne Gegenwehr mitnehmen lassen, soviel ist klar.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Sie sagten gerade, es waren mehrere Personen. Wie viele genau?«
»Wenigstens drei, würde ich sagen. Zwei für die Drecksarbeit und einer, der den Wagen gefahren hat. Er muß irgendwo in der Nähe gewartet haben, ich habe gehört, wie er vorgefahren ist, als sie mit ihr nach draußen kamen. Dann haben sie noch eine Weile geflucht und Krach gemacht, während sie versucht haben, sie in den Wagen zu drücken.«
»Sie haben sie nicht verletzt?«
»Ich glaube nicht. Ich hab' gehört, wie jemand gesagt hat: >Sei vorsichtig, wir wollen doch unsere kostbare Fracht nicht beschädigen^ Dann haben sie die Türen zugeschlagen und sind wie der Teufel davongebraust. Der Kies, den sie aufgewirbelt haben, ist mir gegen die Beine geflogen, so nah sind sie gewesen. Es hat nicht weh getan, weil ich meine Stiefel anhatte, aber ich hab' eine Höllenangst ausgestanden.«
»Ungh«, sagte Dr. Svenson. »Und dann?«
»Als sie weg waren, hab' ich versucht, mich loszumachen. Ich vermute, sie hatten nicht genug Zeit, mich ordentlich zu fesseln, jedenfalls habe ich es nach einiger Zeit geschafft, die Fesseln ein bißchen zu lockern, und danach war alles ganz leicht. Ich war stinkwütend auf Knapweed, weil er nicht rauskam, um mir zu helfen, also bin ich ins Haus gestürmt, um ihn zurechtzustauchen, und da hab' ich ihn auf dem Boden liegend gefunden, ganz voll Blut. Ich dachte, ich würde in Ohnmacht fallen, aber ich wußte, daß ich unbedingt Hilfe holen mußte, also hab' ich Sie angerufen. Und dann ist Cronkite gekommen und hat mir Tee zu trinken gegeben - ich glaube, das ist alles, mehr weiß ich auch nicht.«
»Haben Sie die Polizei von Lumpkinton denn nicht benachrichtigt?«
»Das weiß ich nicht. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Vielleicht bin ich doch ohnmächtig geworden. Ich kann es einfach nicht mehr ertragen, dauernd an irgendwelche blöden Bäume gebunden zu werden!«
»Ich habe die Polizei sofort benachrichtigt, nachdem ich den Krankenwagen gerufen habe«, sagte Cronkite. »Sie haben behauptet, es hätte niemand angerufen, aber Sie kennen sie ja. Sie sagten, die Hälfte der Jungs hätte sich zum Abendessen abgemeldet, und sie würden jemanden schicken, wenn sie wieder zurück wären. Bescheuert, nicht?«
»Urrgh!« sagte Svenson. »Welcher Baum war es?«
»Der, um den das Seil hängt«, fauchte Viola, »was macht das schon für einen Unterschied? Für den Rest meines Lebens hab' ich wirklich genug von Bäumen, ich will nur noch weg aus Balaclava County und nie mehr zurückkommen. Ich kündige, und zwar auf der Stelle.«
»Geht nicht. Gibt sonst niemanden, der hier aufpaßt. Werde Ihnen einen Wachmann besorgen. Kündigen Sie, wenn Binks wieder hier ist.«
»Und wie lange wird das dauern? Sie wissen doch nicht mal, wer sie gekidnappt hat, wohin man sie gebracht hat oder was die Kerle mit ihr vorhaben. Sehen Sie doch, was mit Knapweed passiert ist! Die beiden könnten genausogut tot sein!«
»Bah. Verbinden Sie mich mit dem College. Apparat fünf.«
Viola machte Anstalten zu protestieren, überlegte es sich jedoch anders und gehorchte. Was Peter nicht sonderlich überraschte, denn er wußte genau, was der Präsident vorhatte. Viola war gerade im Begriff, sich wieder in einen hysterischen Anfall hineinzusteigern, Grund genug hatte sie schließlich dazu. Sie mit einer kleineren Aufgabe abzulenken würde sie wieder auf den Boden der Normalität zurückbringen, ihr die Möglichkeit geben, sich zusammenzunehmen. Als sie den Anruf durchgestellt hatte, war sie tatsächlich ruhig genug, Peters Vorschlag nachzukommen, sich ein wenig frisch zu machen und ihr Haar wieder in Ordnung zu bringen, auch wenn Peter letzteres im stillen für verlorene Liebesmüh hielt.
Während Viola sich frisch machte, kommandierte Svenson zwei College-Wachmänner zur Forschungsstation ab. Peter fragte sich gerade, was sie wohl als nächstes unternehmen sollten, als ein Streifenwagen der Lumpkintoner Polizei vorfuhr. Zwei uniformierte Beamte kamen herein, inspizierten interessiert die Blutspuren, die Knapweed in der Eingangshalle hinterlassen hatte, stellten diverse überflüssige Fragen, machten einige nutzlose Notizen, schnüffelten ein wenig herum, bedauerten, daß es keine besseren Spuren gab, sprachen Viola ihr Mitgefühl aus, als sie schließlich aus dem Badezimmer heraus kam, erstaunlicherweise sogar noch ein wenig zerzauster als vorher, ließen sich von Cronkite Swope ablichten und verabschiedeten sich wieder.
Sie versprachen zwar, eine Suchmeldung durchzugeben, obwohl sie sich keine allzu großen Hoffnungen auf Erfolg machten, da Viola ihnen weder eine Beschreibung des Fluchtwagens, des Fahrers oder eines anderen Beteiligten mit Ausnahme von Winifred Binks geliefert habe; und letztere befand sich zweifellos entweder in eine Decke eingewickelt unter dem Rücksitz oder im Kofferraum eines geschlossenen Lieferwagens. Ihrer Meinung nach konnte es nur ein Lieferwagen gewesen sein, ansonsten höchstens eine Art Kombi.
»Das Schlimme ist, daß diese Schwachköpfe sogar recht haben«, stöhnte Peter, als das Duo wieder abgefahren war, zweifellos mit dem befriedigenden Gefühl, alle Pflichten erledigt zu haben. »Heiliges Donnerwetter, es muß doch irgendwo einen Anhaltspunkt geben!«
Die Polizisten hatten auf dem Parkplatz nur aufgewühlten Kies und unter dem von Viola als Tatbaum identifizierten schlanken Ahorn nur ein Stück Seil gefunden, genau wie Viola gesagt hatte. Das Seil paßte zu dem Beweisstück, mit dem man sie bei ihrer letzten Entführung gefesselt hatte, doch das hatte nicht allzuviel zu bedeuten. Es stammte von einer ganz normalen Wäscheleine und konnte in jedem Haushaltswarengeschäft erstanden und in jedem Garten entwendet worden sein. Peter fragte sich nur, wo das Tuch hingekommen war.
»Oh, jetzt erinnere ich mich wieder«, sägte Viola. »Ich hab' es mit ins Haus genommen. Es war nur mein Stirnband, ich hatte es um den Kopf geschlungen, und die haben es mir dann über die Augen gezogen. Als ich dann gesehen habe, wie Knapweed in seinem Blut lag, hab' ich versucht, ihn zu - eh - ich glaube, ich habe mir die Hände daran abgewischt.«
»Beruhigen Sie sich, Miss Buddley, ist ja gut. Haben Sie Ihr Stirnband danach in den Mülleimer geworfen?«
»Weiß ich nicht. Soll ich nachsehen?«
»Nein, lassen Sie nur. Ich möchte wirklich nicht sexistisch sein, aber könnten wir Sie überreden, uns etwas Kaffee zu machen? Präsident Svenson und ich haben noch nicht zu Abend gegessen.«
»Aber natürlich. Es macht mir wirklich nichts aus. Aber wir haben nur Kaffee aus Zichorien und Löwenzahn. Die Spezialmischung von Professor Binks.«
»Schon in Ordnung.«
Peter ließ sich auf alle viere nieder und begann, den robusten Bodenbelag im Empfangsraum zu untersuchen. Nach dem gestrigen Regen war er zwar voller Schmutz und Steinchen, doch das Material ließ leider keine klaren Fußspuren erkennen. Auch Cronkite kroch inzwischen auf dem Boden herum, doch sie fanden beide nur einige trockene Blätter einer Labkraut-Untergruppe in der Nähe des großen Tisches und einen billigen Wegwerfkuli unter Professor Binks' Schreibtisch.
»Winifred muß ihn fallen gelassen haben, als man sie gepackt hat«, sagte Peter. »Sie ist viel zu ordentlich, um ihn hier einfach herumliegen zu lassen.«
»Vielleicht gehört er einem der Kidnapper?« schlug Cronkite vor.
Thorkjeld Svenson knurrte verneinend. »Serienmodell. College-Ausstattung. Haben zweihundert Stück gekauft. Sonderangebot. Spare in der Zeit, so hast du in der Not.«
»Hmja.« Peter hatte in der Zwischenzeit Winifreds Schreibtischschubladen untersucht. »Ich kann keinen anderen Kuli finden, also ist es ziemlich wahrscheinlich, daß sie diesen hier benutzt hat. Miss Buddley, Sie haben vorhin am Telefon erwähnt, daß Miss Binks gerade dabei war, einen Brief an Sopwith zu schreiben.« »Der liegt noch auf ihrem Schreibtisch.«
Normalerweise hätte Peter nicht im Traum daran gedacht, fremde Briefe zu lesen, doch Taktgefühl war in dieser Situation wirklich fehl am Platz. »Meine Güte, Sie hat kein Blatt vor den Mund genommen. Dieser Brief würde Sopwith als Kidnapper sehr wahrscheinlich machen, wenn er ihn schon gelesen hätte.«
»Im Grunde hätte jeder Miss Binks wegen ihres Geldes kidnappen können«, sagte Cronkite Swope. »Sie ist ja so verteufelt reich.«
»Sie hat einen Großteil ihres Erbteils in die Station investiert«, widersprach Peter. »Das ist inzwischen allgemein bekannt. Das sollten Sie eigentlich am besten wissen, Swope, Sie haben die Artikel schließlich geschrieben.«
»Stimmt, aber viele Leute glauben einfach nicht, was in der Zeitung steht. Außerdem denken sie vielleicht, daß sie in der Zwischenzeit noch sehr viel mehr Geld gemacht hat.«
»Ungh«, sagte Svenson.
Peter verstand, was er meinte. »Angenommen, Winifred hätte tatsächlich seither schon wieder mehr Geld verdient, als sie ausgegeben hat, woher hätte die Unterwelt das wissen sollen?«
Der Präsident schnaubte.
»Schon gut, Präsident, ich habe verstanden. Debenham könnte in Wirklichkeit weit weniger diskret sein, als er vorgibt. Sopwith ist mit größter Wahrscheinlichkeit entweder ein Gauner oder ein Dummkopf oder auch beides, wenn man sieht, wie er sich in der Sache mit Lackovites verhält. Darüber hinaus nehme ich an, daß alle Einzelheiten, die mit dem Binks-Vermögen zu tun haben, in irgendeinen verflixten Computer eingespeist werden, was bedeutet, daß jeder Hacker, der sein Handwerk versteht, sich Zugang dazu verschaffen kann.«
»Soll heißen?«
»Soll heißen, daß wir in Kürze eine Lösegeldforderung auf den Tisch bekommen, falls es sich wirklich um eine stinknormale Entführung handelt. Darum muß auf jeden Fall jemand die ganze Nacht hier in der Station bleiben.«
»Ich jedenfalls nicht«, protestierte Viola lautstark. »Ich bin nicht in der Verfassung, hier herumzuhocken und darauf zu warten, daß jemand einen Ziegelstein mit einer Nachricht durchs Fenster wirft.«
Peter vertrat zwar die Ansicht, daß diese melodramatischen Methoden längst der Vergangenheit angehörten, doch wenn man bedachte, daß diese Typen altmodisch genug waren, dralle junge Damen an Bäume zu fesseln, konnte man wohl tatsächlich nicht sicher sein. »Sie werden vermutlich anrufen«, versuchte er sie zu beruhigen. »Aber wir erwarten wirklich nicht von Ihnen, daß Sie hier die Stellung halten, Miss Buddley. Wen haben Sie denn herzitiert, Präsident?«
»Bulfinch und Mink.« Beide arbeiteten schon lange als Wachmänner auf dem Campus, sie waren fähige, intelligente Männer, die bis hin zu einem Artillerieüberfall ohne mit der Wimper zu zucken mit allem fertig wurden. »Sehen Sie eine Möglichkeit, die Presse herauszuhalten, Swope?«
»Ach herrje, Dr. Svenson. Keine Ahnung. Ich brauche mich jedenfalls im Moment nicht in der Redaktion zu melden, wir fangen erst morgen früh an zu drucken. Aber immerhin war der Krankenwagen hier und hat Calthrop abgeholt, und Calthrop hatte eine Schädelfraktur, daher befürchte ich fast, daß es längst in aller Munde ist. Ich wette, daß die Nachtschwester im Krankenhaus von Clavaton schon bei Tante Betsy Lomax angerufen hat, und was das bedeutet, brauche ich Ihnen sicher nicht zu sagen.«
»Urr.«
»Na ja, ich mußte den Sanitätern schließlich mitteilen, was passiert war«, unterbrach Viola Buddley. »Die haben mir alle möglichen Fragen gestellt, als sei ich diejenige gewesen, die ihn niedergeschlagen hat.«
»Es wäre also ziemlich sinnlos, wenn der Sprengel-Anzeyger die Story zurückhalten würde«, fuhr Cronkite fort, »es sei denn, wir erhalten eine Nachricht von den Entführern, in der sie damit drohen, daß sie Miss Binks etwas Furchtbares antun, wenn wir reden. Haben die Kerle Ihnen gegenüber erwähnt, daß Sie schweigen sollen, Viola?«
»Die haben überhaupt nichts zu mir gesagt, die haben mich nur gepackt, mir die Augen verbunden und mich an einen Bau-bau - «
Da sie anscheinend wieder kurz vor einem hysterischen Anfall stand, war es höchste Zeit, das Gespräch abzubrechen. »Swope«, sagte Peter, »warum bringen Sie Miss Buddley nicht nach Hause?«
»Ich kann allein fahren«, protestierte Viola. »Ich bin in Ordnung, ganz bestimmt. Ich brauche meinen Wagen sowieso morgen früh, entweder komme ich damit zur Arbeit, oder ich fahre zu meiner Mutter. Ich weiß es noch nicht, ich nehme mal an, daß ich herkomme. Vielleicht bin ich bis morgen wieder etwas mutiger.«
»So ist es richtig«, lobte Peter. »Warum fahren Sie dann nicht einfach hinter ihr her, Swope, und sorgen dafür, daß sie sicher zu Hause ankommt? Der Präsident und ich bleiben hier, bis Mink und Bulfinch eingetroffen sind.«
»Was soll ich denn nun mit meiner Story machen?«
Peter warf dem Präsidenten einen Blick zu. Svenson stieß einen tiefen Seufzer aus. »Wie früh?«
»Sechs Uhr?« Cronkite klang wieder etwas hoffnungsvoller.
»Wir werden Ihnen Bescheid sagen.«
»Und was mach' ich, wenn ich nach Hause komme und meine Mutter schon alles weiß?«
Bei dieser Frage konnte sich Svenson ein Grinsen nicht verkneifen. »Wenn Ihre Mutter alles weiß, können Sie es auch drucken.«
»Vielen Dank, Präsident! Sind Sie soweit, Viola?«
Miss Buddley griff nach ihrem leuchtend grünen Regencape aus Vinyl und Warfes sich über die Schultern. »Ich bin schon seit Stunden fertig. Ich hoffe bloß, daß es nicht genau wie gestern wieder anfängt zu schütten, wenn ich draußen bin.«
»Grundgütiger«, sagte Peter. »Ist mir gar nicht aufgefallen.«
Es mußte schon eine geraume Zeit geregnet haben. Die Wagen auf dem Parkplatz glitzerten vor Nässe, und überall, wo sich tiefe Spuren in den Kies gegraben hatten, bildeten sich kleine Pfützen. Nachdem sie die schlingernden Reifen unter Kontrolle gebracht hatten, fuhren Viola und Swope schließlich mit eingeschalteten Scheinwerfern und wild schlagenden Scheibenwischern von dannen. Die Parkplatzbeleuchtung hatte sich automatisch angeschaltet, als es dunkel wurde, schien jedoch gegen die Nacht nicht viel ausrichten zu können. Peter begann allmählich zu begreifen, wie einsam und abgelegen dieser Ort und wie wenig sättigend sein Abendessen gewesen war. Warum hatte Svenson Mink und Bulfinch nicht gebeten, ihnen ein paar Sandwiches mitzubringen?
Plötzlich fiel ihm ein, daß er vor einiger Zeit eine Tafel Schokolade im Handschuhfach verstaut hatte, und zwar eine Riesentafel zum Sparpreis, genug für ihn und den Präsidenten. Oder zumindest für ihn, der Präsident hatte schließlich bereits den größten Teil des Käses verzehrt. Peter machte eine frische Ladung Löwenzahn-wurzelkaffee, warf den Wasserkocher an und ging die Schokolade holen.
Svenson hatte sich in den einzigen Sessel fallen lassen, der groß genug für ihn war, und las gerade das Amicus Journal, die Nickelbrille halb auf der Nase. Peter goß zwei große Becher ein, begab sich mit dem seinen an Winifreds Tisch und setzte sich auf ihren Stuhl. Der Ersatzkaffee schmeckte diesmal irgendwie besser, entweder weil er ein besserer Kaffeekocher war als Viola Buddley oder weil er sich langsam an das Zeug gewöhnte. Die Schokolade schmeckte immer noch hervorragend und war auch nicht weich geworden, sie war mit Rosinen und Nüssen gespickt, genau das, was der Arzt einem hungrigen Mann verschreibt, der auf den Anruf eines unbekannten Entführers wartet.
Allmählich wurde er schläfrig. Wie lange mußte er wohl noch auf seine gemütliche eheliche Couch verzichten? Helen war inzwischen bestimmt von ihrem Treffen zurück, trunken vor Ruhm und um ein hübsches Bouquet reicher. Höchstwahrscheinlich wieder Chrysanthemen. Sie hoffte jedesmal, daß ihre Gastgeber ihr keine überreichen würden, doch meist hoffte sie vergebens. Er hätte sie liebend gern angerufen, doch er wollte die Leitung frei halten. Es konnte schließlich sein, daß die Mistkerle ausgerechnet in dem Moment versuchten, mit ihnen Kontakt aufzunehmen.