Kapitel 18


Fred Smith war pünktlich. Zwei Minuten später saßen Peter und Winifred schon in seinem Wagen und befanden sich auf dem Weg nach Briscoe. Sie hatten gut daran getan, etwas früher zu fahren, abgebrochene Äste lagen auf den Straßen, überall waren Pfützen. Am schlimmsten waren die Unmengen von Laub, die der Regen in eine nasse, dunkelbraune Masse verwandelt hatte, die genauso glatt war wie Eis, und sogar noch gefährlicher. Es dauerte tatsächlich volle dreißig Minuten, bis sie die häßlichen gelbbraun gestrichenen Betongebäude erreichten, denen höchstwahrscheinlich diverse Verschönerungen bevorstanden, wenn Peter Winifreds Gesichtsausdruck richtig deutete.


»Das war früher mal eine Brauerei«, erklärte Smith. Sehr gesprächig war er bisher nicht gewesen, doch auch seine Fahrgäste hatten kaum etwas gesagt, da sie ihn nicht beim Fahren stören wollten. »Bill und Dodie haben sich die Gegend wegen des Wassers ausgesucht, oben in den Hügeln gibt es nämlich Naturquellen. Warum steigen Sie nicht einfach hier schon aus? Bill und Dodie müßten eigentlich da drin sein, drüben vor dem Haupteingang steht nämlich ihr Kombi. Gehen Sie einfach schnurstracks hinein, und rufen Sie, wenn das Mädchen nicht am Empfang sitzt. Aber passen Sie beim Aussteigen auf.«

»Nochmals vielen Dank, Smith. Es war wirklich nett von Ihnen, daß Sie uns mitgenommen haben.«

Peter stieg als erster aus und hielt Winifred, die emanzipiert genug war, kleine männliche Gefälligkeiten nicht abzulehnen, die Tür auf. Sie freute sich augenscheinlich wie eine Schneekönigin, den Compotes endlich ihre Pläne für Golden Apples unterbreiten zu können. Peter war dabei etwas mulmig zumute. Die Firma war eindeutig die Erfüllung von Bills und Dodies Träumen, ihre eigene Idee, auch wenn die beiden sie nur mit dem Zaster des alten Binks hatten verwirklichen können. Wie würden sie sich wohl fühlen, wenn ihnen urplötzlich ein weiteres Mitglied der Familie Binks ins Haus schneite, mit dem nötigen Kleingeld in der Tasche, das zu machen, was sie selbst durch jahrelange Plackerei und Hingabe nicht hatten erreichen können?

Dabei war es gar nicht Winifreds Verdienst. Er hoffte inständig, daß die Compotes vernünftig genug waren, um einzusehen, daß Winifred ihnen das Angebot niemals machen würde, wenn sie nicht seit so vielen Jahren höchsten Wert auf Qualität und Dienst am Kunden gelegt hätten. Andernfalls würde Winifred ihnen jetzt nämlich keinen roten Heller anbieten, und erst recht nicht die unerschöpflichen Schatztruhen der Binks für sie öffnen und ihnen erlauben, sich nach Herzenslust daraus zu bedienen.

Jedenfalls stand die Stunde der Wahrheit unmittelbar bevor. Winifred rauschte hocherhobenen Hauptes und selbstbewußten Schrittes durch die Tür. Der Empfangsbereich war groß und wirkte ein wenig leer, das einzig interessante Möbelstück war ein reichlich alberner, verzierter Schreibtisch, der möglicherweise das Einweihungsgeschenk von Großvater Binks gewesen war, wie Peter vermutete. Dahinter saß eine relativ junge Dame in einem gelben Overall, die ihn entfernt an jemanden erinnerte, an wen genau, wollte ihm allerdings nicht einfallen. Winifred strahlte sie an wie die gute Fee aus dem Märchen.

»Guten Morgen. Mein Name ist Binks, ich würde gern mit Mr. oder Mrs. Compote sprechen, am besten sogar mit beiden.«

Die Rezeptionsdame erwiderte das Lächeln nicht. »Haben Sie denn einen Termin?«

»Nein, ich war nur zufällig in der Gegend und wollte die Gelegenheit nutzen, ihnen einen kleinen Besuch abzustatten.«

»Ohne Termin können Sie nicht mit ihnen sprechen.«

Da war sie bei Winifred aber an der falschen Adresse. »Unsinn, selbstverständlich kann ich das. Ich nehme an, das da vorn ist ihr Büro.« Sie bewegte sich zielstrebig auf die Tür hinter dem Schreibtisch zu. »Wenn Sie mich nicht anmelden wollen, muß ich es eben selbst tun.«

»Nein! Das dürfen Sie nicht!« Die Frau - Grundgütiger, sie war wirklich ein richtiger Koloß - sprang auf und versperrte Winifred den Weg, indem sie sich mit ausgebreiteten Armen vor der Tür postierte, und begann zu schreien wie am Spieß: »Hilfe! Hilfe! Kommen Sie! Schnell!«

Die Tür wurde von innen aufgerissen. Über der Schulter der Schreienden erschien das Gesicht eines Mannes, ein langes, gebräuntes Gesicht mit einem dichten, rötlichblonden Haarschopf.

»Immer mit der Ruhe, Elvira! Was ist denn bloß passiert?«

»Die will hier einfach rein!«

»Wer will hier rein?«

»Die da!«

»Ich kann niemanden sehen, würden Sie bitte zur Seite treten?« »Nein! Nein! Nein!«

Ihre Schreie hatten wagnerianische Intensität erreicht. Der Mann, der noch größer war als sie, warf den Besuchern einen Blick zu, der wütend, verwirrt, aber vor allem verlegen war.

»Elvira, was zum Teufel ist bloß in Sie gefahren? Dodie, komm mal schnell! Das Mädchen hat einen Anfall oder so was. Es tut mir schrecklich leid, gnädige Frau!« Er mußte laut schreien, um sich verständlich zu machen, denn die junge Frau brüllte inzwischen wie ein wildgewordener Stier.

Winifred erspähte einen Wasserspender in der Empfangshalle, rannte hin, holte ein Glas mit eiskaltem Wasser und schüttete es mitten in Elviras Gesicht. Die Frau blinzelte, brüllte jedoch unbeirrt weiter. Inzwischen war eine weitere Person, bei der es sich vermutlich um Dodie handelte, hereingestürzt. Sie packte Elvira von hinten bei den Schultern und schüttelte sie wie einen Staubwedel.

»Elvira, Schluß jetzt! Weg von der Tür! Kannst du sie nicht irgendwo einschließen, Bill? Elvira, mein Gott, so hören Sie doch auf!«

Nur mit brutaler Gewalt gelang es den Compotes, ihre rasende Empfangsdame von der Tür zum Büro zu entfernen, was jedoch alles nur noch schlimmer machte. Elvira sprang Winifred an wie eine wütende Tigerin und hätte sie sicher zu Boden geworfen, wenn die Erbin nicht so schnell und behende gewesen wäre. Die Compotes packten sie schließlich bei den Armen und hielten sie fest wie Schraubstöcke. Sie waren beide nicht gerade klein, doch die Furie schleuderte sie umher wie junge Katzen.

»Geben Sie ihr eine Ohrfeige«, keuchte Dodie.

»Mit Vergnügen.« Winifred gehorchte. Doch selbst das hatte nicht den geringsten Erfolg.

Peter stand ein wenig abseits, mischte sich nicht ein und dachte angestrengt nach. Plötzlich dämmerte es ihm. Er griff in Fanshaws Tasche, zog die goldene Kette mit der Goldmünze hervor und begann sie langsam vor Elviras geschwollenem, verzerrtem Gesicht hin und her pendeln zu lassen.

»Konzentrieren Sie sich auf die Münze, Elvira. Hin und her, hin und her, hin und her.«

Widerstrebend, doch sehr bald schon fasziniert, folgten Elviras Augen der glänzenden Münze. Sie hörte auf zu schreien, ihre Muskeln entspannten sich.

»Ganz ruhig, Elvira. Sie werden jetzt sehr müde. Sie wollen nur noch schlafen. Nur noch schlafen.«

Sie sackte in sich zusammen und glitt auf den Boden, ihr Unterkiefer fiel herab, ihre Augen schlossen sich. Sie atmete tief und gleichmäßig. Sie schlief.

»Ja da soll mich doch!« Auch Bill trug einen gelben Overall, er wischte sich mit dem linken Ärmel den Schweiß von der Stirn. »So was Merkwürdiges hab' ich ja noch nie gesehen!«

»Dabei schien Elvira so eine nette Person zu sein«, jammerte seine Frau. »Aber natürlich kennen wir sie nicht allzugut, sie ist erst seit etwa einem Monat bei uns.«

Dodie war einen Kopf kleiner als ihr Mann, doch wenn man ihrem selbstbewußten Gesichtsausdruck Glauben schenken konnte, war sie weder ihm noch sonst jemandem unterlegen. Sie hatte graues Haar, eine schöne reine Haut, rosige Wangen und große blaue Augen. Der gelbe Overall stand ihr hervorragend. Sie sah aus wie jemand, der gern lächelte, doch momentan lag ein besorgter Ausdruck auf ihrem sympathischen Gesicht. »Was in aller Welt ist denn bloß in sie gefahren?«

Peter hielt die Goldkette mit der Zwanzig-Dollar-Münze hoch. »Ich nehme an, das hier ist die Antwort. Die Münze gehört einem Mann, der sich unter anderem Fanshaw nennt. Ihrer Reaktion nach zu urteilen, würde ich sagen, er hat sie damit hypnotisiert und dann als Spionin hier eingeschleust, nachdem er ihr suggeriert hat, Sie unter allen Umständen von Winifred Binks fernzuhalten. Das hier ist übrigens Winifred.«

»Stimmt. Und ich freue mich sehr, Sie endlich kennenzulernen«, sagte die Hauptaktionärin. »Ich nehme an, Sie sind Mr. und Mrs. Compote. Sie werden sich sicher daran erinnern, daß sowohl mein Anwalt als auch ich Sie während der letzten Tage mehrfach angerufen haben, um einen Termin für ein Treffen mit Ihnen zu arrangieren. Ich bin sicher, Sie hatten triftige Gründe, uns nicht zurückzurufen.«

Dodie und Bill tauschten erstaunte Blicke aus. »Ich kann mir das alles nicht erklären. Wir haben Ihre Nachrichten überhaupt nicht erhalten! Sie sind also die Enkelin von Mr. Binks! Wir haben uns schon gefragt, ob wir Sie wohl je kennenlernen würden.«

»Wir hätten uns sicher schon viel früher getroffen, aber ich habe erst letzten Samstag bei einer Unterredung mit meinem Vermögensverwalter erfahren, daß wir überhaupt etwas miteinander zu tun haben. Es interessiert Sie vielleicht, daß ich ihn bereits instruiert habe, Ihrer Firma einen Teil meines Vermögens zukommen zu lassen. Ich kenne und schätze Ihre ausgezeichneten Produkte schon seit langem. Nach einer sorgfältigen Betriebsanalyse bin ich zu dem Schluß gekommen, daß Ihre Firma hervorragend geführt wird, und habe daher beschlossen, Ihnen meine volle Unterstüt-zung zukommen zu lassen. Es war und ist mir eine große Freude, daß wir bereits Geschäftspartner sind.«

»Uns geht es genauso«, sagte Dodie etwas benommen.

Winifred lächelte. »Ich wollte Sie aus folgendem Grund treffen: Ich beabsichtige keineswegs, mich in Ihre Arbeit einzumischen, selbst wenn ich über genügend Sachkenntnis verfügen würde, was sicherlich nicht der Fall ist, aber ich hätte einige Verbesserungsvorschläge, was Vertrieb und Marketing betrifft, die ich Ihnen gern unterbreiten würde. Selbstverständlich würde ich die finanziellen Mittel bereitstellen, die man zur Umsetzung benötigt. Daher habe ich mir auch die Freiheit genommen, mich an Ihrem weiblichen Drachen vorbeizuschmuggeln, und diese unerfreuliche Szene verursacht, wofür ich Sie vielmals um Verzeihung bitte. Aber wahrscheinlich hätte ich Sie nie erreicht, wenn ich es nicht getan hätte. Meinen Sie, wir sollten Elvira auf eine Couch oder so etwas legen?«

»Ich bin geneigt, sie genau da zu lassen, wo sie momentan liegt«, sagte Peter. »Wenn wir versuchen, sie zu bewegen, bevor sie die Möglichkeit hat, sich ordentlich auszuschlafen, laufen wir Gefahr, daß sie noch einen Wutanfall bekommt. Mit Hypnose kenne ich mich nicht besonders gut aus.«

»Also mich haben Sie tief beeindruckt«, sagte Bill. »Ich habe Sie für einen Experten gehalten.«

»Ich hatte lediglich Gelegenheit, zwei Leute zu beobachten, die Fanshaw mit demselben Trick außer Gefecht gesetzt hat. Glücklicherweise trage ich zufällig seinen Anzug, und er ist nicht mehr dazu gekommen, seine Taschen vorher zu entleeren. Ich glaube, wir haben eine Menge zu besprechen. Warum machen wir es uns nicht gemütlich?«

»Sie haben völlig recht. Kommen Sie doch hier herein.«

Dodie führte sie in einen Raum, der wohl ihr Geschäftsbüro war, auch wenn er Peter eher an das gemütliche kleine Wohnzimmer seiner verstorbenen Tante Effie erinnerte. Neben einem Schreibtisch aus Eichenholz, der immer noch die letzten Reste seines ur-sprünglichen Lacks besaß, bestand die Zimmereinrichtung aus einem Drehstuhl, der höchstwahrscheinlich quietschte, einem Schaukelstuhl aus Ahornholz, einem Sofa mit abgenutztem Chintz-Bezug, einer langhalsigen Schreibtischlampe, einer jener spinnenartigen schwarzen Stehlampen aus Eisen mit vergilbtem Pergamentlampenschirm, wie sie jeder, der sich nichts Eleganteres leisten konnte, in den dreißiger Jahren zu haben pflegte, einigen alten Läufern und einer Unmenge von

Fotografien, von denen einige gerahmt, andere dagegen mit Heftzwecken an den Wänden befestigt waren. Es gab sogar einen altmodischen schwarzen Eisenofen nebst Kohleneimer und dampfendem Wasserkessel. Auf dem Läufer vor dem Ofen lag ein Boston-Terrier, der um die Schnauze herum schon grau war und im Schlaf leise schnaufte.

»Tiger ist unser Wachhund«, erklärte Bill. »Fühlen Sie sich bitte wie zu Hause. Winifred, Sie nehmen den Schaukelstuhl, auf dem hat Ihr Großvater immer am liebsten gesessen. Er war ein interessanter alter Kauz, ständig hatte er neue Flausen im Kopf. Wir haben ihn immer furchtbar gern hier gehabt. Mein Gott, wie schön, Sie jetzt bei uns zu sehen, Winifred. Und Sie selbstverständlich auch-eh-«

»Oh, Sie müssen entschuldigen. Das ist Professor Shandy vom Balaclava Agricultural College, ein guter Freund von mir. Ich bin übrigens ebenfalls dort tätig, was Sie wahrscheinlich noch gar nicht wissen«, fügte Winifred gerade mit kindlichem Stolz hinzu, als die Tür aufging und noch eine Frau in einem gelben Overall, der wohl bei Golden Apples zur Standardkleidung gehörte, mit einer Handvoll Briefe ins Zimmer eilte. Sie war zwar nicht mehr jung, bewegte sich jedoch mit der Leichtfüßigkeit eines zehnjährigen Mädchens.

»Auf eine pflichtbewußte Briefträgerin ist immer Verlaß. Bei Regen, bei Schnee, bei Hochwasser, auch wenn sie sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen hat, um den Jungs die Säcke für den Sand aufzuhalten. Hier ist Ihre Post. Ach herrje, ich wußte gar nicht, daß Sie Besuch haben. Haben Sie übrigens schon gesehen, daß Elvira draußen am Empfang ausgestreckt auf dem Boden liegt und lauter schnarcht als Tiger? Vermutlich ist sie die ganze Nacht auf den Beinen gewesen und hat bei der Sandsacktruppe mitgearbeitet, auch wenn es ihr eigentlich gar nicht ähnlich sieht. Sie ist immer so etepetete. Sollten wir sie nicht lieber ins Zimmer holen und auf das Sofa legen?«

»Nein«, sagte Bill. »Wenn sie so erschöpft ist, wollen wir sie lieber nicht stören. Aber vielleicht sollten wir sie mit einer Decke zudecken. Dodie, vielleicht magst du das übernehmen, damit Mae ihrer Arbeit weiter nachgehen kann. Vielen Dank für die Post, Mae. Hoffentlich sind es nicht wieder nur Rechnungen.«

»Mae ist unser guter Geist«, erklärte er, nachdem die Dame wieder gegangen war. »Sie sorgt für uns wie eine Mutter, wirklich eine sehr nette Frau. Sie war von Anfang an bei uns. Schauen Sie mal, Winifred, hier ist ein Brief von Ihrem Anwalt. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich ihn jetzt öffne?«

»Nein, ganz im Gegenteil. Ich nehme an, er bittet Sie lediglich schriftlich um einen Termin, da er Sie seit Tagen telefonisch nicht erreichen konnte.«

Bill öffnete den Umschlag mit einem etwas merkwürdig aussehenden Plastikbrieföffner, der ein herziges kleines Mädchen mit einer Schleife im Haar darstellte, das ein noch herzigeres Kätzchen mit einer Schleife um den Hals im Arm hielt. Er bemerkte Peters hochgezogene Augenbraue und grinste.

»Altes Familienerbstück. Meine Großmutter hat es während der Weltwirtschaftskrise bei einer Lotterie im Kino gewonnen und mit nach Hause gebracht. Sie war so versessen auf Ramon Navarro, daß Opa damals sogar versucht hat, ihn wegen Entfremdung der Ehepartnerin zu verklagen. Nanu? Was soll das denn?«

Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, seine Kiefermuskeln verspannten sich. »Winifred, hier steht, daß Sie bei uns aussteigen wollen.«

»Wie bitte? Lassen Sie mal sehen.«

Selbst Winifreds gute Erziehung hielt sie nicht davon ab, den Brief an sich zu reißen. »Was soll das denn? Das ist ja eine Unverschämtheit! Was hat er sich dabei wohl gedacht? Peter, Sie waren dabei, Sie haben doch meine Instruktionen gehört. Ich hoffe doch sehr, daß ich mich klar genug ausgedrückt habe?«

»Klarer geht es gar nicht. Winifred hat sich am Samstag morgen mit Debenham, dem langjährigen Anwalt der Familie, und einem Mann namens Sopwith, dem neuen Treuhänder für das Binks-Ver-mögen, getroffen«, erklärte Peter den Compotes. »Präsident Svenson und ich waren ebenfalls anwesend. Winifred hat dem College nämlich einen Teil ihres Vermögens gestiftet, damit wir eine Forschungsstation einrichten, zu der auch ein kleiner Fernsehsender gehört. Ihre finanzielle Lage ist daher auch für uns von großem Interesse, ganz zu schweigen von der Tatsache, daß sie eine gute Freundin ist und wir nicht wollen, daß man sie übers Ohr haut.«

»Und?« Bill Compote klang immer noch sehr argwöhnisch.

»Wir sind ihre diversen Beteiligungen durchgegangen, und sie hat Sopwith beauftragt, einige Aktien abzustoßen, die ihr Großvater an einer Firma namens Lackovites besaß, der Name wird Ihnen zweifellos ein Begriff sein, und die Gewinne in Golden Apples zu reinvestieren.«

»Ich habe diese Entscheidung getroffen«, fügte Winifred hinzu, »weil ich die Geschäftsgepflogenheiten beider Firmen eingehend studiert habe und feststellen mußte, daß Golden Apples zwar einen hervorragenden Ruf genießt, was Qualität und Lauterkeit betrifft, jedoch gewisse Schwächen aufweist, was die Verkaufsförderung betrifft, wenn Sie mir meine Offenheit verzeihen, während die Lackovites-Leute ausgezeichnete Verkaufsstrategien entwickelt haben. Aber da ihre Produkte ungenießbar sind, wollte ich mich auf der Stelle von ihnen trennen. Als ich erfuhr, wie groß meine Anteile an Golden Apples bereits sind, habe ich beschlossen, mich persönlich einzusetzen und eine offensivere Werbung anzukurbeln. Aus diesem Grund habe ich Mr. Debenham beauftragt, ein Treffen mit Ihnen zu arrangieren. Nichts lag mir ferner, als Sie zu bitten, mir meine Anteile abzukaufen, selbst wenn -ehm -«

»Selbst wenn wir das Geld dazu hätten, was wir natürlich nicht haben«, beendete Bill ihren Satz. »Ja, aber wie sollen wir dann diesen Brief verstehen?«

»Das weiß ich auch nicht. Und noch dazu Mr. Debenham! Ich -ich bin erschüttert. Bitte entschuldigen Sie.«

Winifred schniefte und wühlte verzweifelt in sämtlichen Hosentaschen. Dodie reichte ihr eine Schachtel mit Papiertüchern.

»Vielen Dank, Dodie. Es tut mir ja so leid. Wir haben bloß in der letzten Zeit schon so viel - sagen Sie es ihnen, Peter.«

Winifred vergrub ihr Gesicht in einem Taschentuch, Peter räusperte sich und hätte verflucht gern gewußt, was er ihrer Meinung nach erzählen sollte. Nachdem er Bill und Dodie auf ihrem eigenen Grund und Boden getroffen hatte, konnte er sich nur schwer vorstellen, daß sie in üble Machenschaften verwickelt sein könnten. Aber warum sollte er ihnen über den Weg trauen, wenn sich schon so viele andere Menschen als Verräter entpuppt hatten? Er konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob Tiger wirklich ihr Hund war.

Doch was sollte der ganze Unsinn? Falls diese beiden Leute die Fäden in der Hand hielten, bestand keinerlei Grund, warum er ihnen etwas verschweigen sollte, das sie sowieso schon wußten. Falls sie es aber nicht wußten, war es nur fair, ihnen endlich die Augen zu öffnen. Auf irgendeine Weise hatten auch sie mit der Sache etwas zu tun, er brauchte nur an die kleinen Zeichnungen in Emmericks Sachen zu denken, ganz zu schweigen von der schlafenden Schönen draußen auf dem Fußboden. Er fing mit Emmerick an.

Einige Minuten später kratzte sich Bill den roten Schopf wie eine Katze, die versucht, einen Floh loszuwerden. »Herr des Himmels! Wollen Sie damit etwa sagen, daß dieser Emmerick quicklebendig war, als er ins Netz ging, und mausetot, als er wieder herunterfiel? Einfach so?«

»Haargenau. Und als wir am nächsten Morgen die Firma, bei der er angeblich beschäftigt war, von seinem Ableben verständigen wollten, stellte sich heraus, daß man ihn dort nicht kannte.«

»Das hat man uns zumindest mitgeteilt.« Es war Winifreds Geschichte, und sie wollte unbedingt mitreden. »Inzwischen bin ich nicht mehr geneigt, noch irgendeinem Menschen Glauben zu schenken. Obwohl es relativ unwahrscheinlich ist, daß die Meadowsweet Construction Company vorgeben würde, Mr. Emmerick nicht zu kennen, nur weil er auf so groteske Weise ermordet wurde. Man hört zwar immer wieder Gerüchte über die unmöglichsten Vorkommnisse in großen Firmen, weil anscheinend alle ihr sogenanntes Image schützen wollen, aber Meadowsweet ist gar keine besonders große Firma.«

»Die Größe ist dabei unwichtig«, sagte Bill. »Hier bei uns in Briscoe ist vor einigen Monaten auch etwas Merkwürdiges passiert.«

»Also wirklich, Bill, ich glaube nicht, daß Winifred die Geschichte über den Eisenwarenladen hören will«, unterbrach Dodie. »Was ist dann passiert, Professor Shandy?«

Peter hätte zwar gern erfahren, was sich in dem Eisenwarenladen zugetragen hatte, doch vor allem wollte er von hier weg und heim nach Balaclava. Er fuhr also fort, unterstützt von Winifreds zahlreichen Einschüben, schilderte Fanshaws Aussehen, seine Verhaftung, die Hypnosevorstellung im Gefängnis sowie die kurze Entführung von Viola Buddley und beschrieb schließlich die Kritzeleien, die darauf schließen ließen, daß auch die Compotes irgendwie mit der ganzen Geschichte zu tun hatten, da er es für angebracht hielt, sie wissen zu lassen, daß auch sie immer noch zu den Verdächtigen zählten. Schließlich berichtete er von Winifreds Entführung, Fanshaws Rückkehr in neuer Verkleidung und dem spannenden Finale, das zu ihrer Höllenfahrt auf dem Clavaclammer und dem heutigen Besuch bei Golden Apples geführt hatte.

»Menschenskind!« sagte Bill, als sie fertig waren. »Wenn das nicht ein Hammer ist! Was werden Sie als nächstes tun?«

»Gute Frage«, sagte Peter. »Wir haben die Polizei von Clavaton benachrichtigt und sie gebeten, herzukommen und den Schleppkahn abzuholen, weil wir dort einige interessante Beweisstücke entdeckt haben, unter anderem diverse falsche Pässe, die Fanshaw sich unter verschiedenen Namen in allerlei Verkleidungen ausgestellt hat. Angenommen, er ist letzte Nacht ein weiteres Mal entkommen, dürfte es ihm eigentlich nicht mehr möglich sein, das Land zu verlassen, wenn er nicht irgendwo noch einen weiteren Stapel Pässe versteckt hat.«

Peter zuckte mit den Achseln. »Aber das macht es auch nicht leichter, ihn aufzuspüren, befürchte ich. Ein Chamäleon wie Fanshaw könnte sich wahrscheinlich sogar in einer Telefonzelle verstecken. Die große Frage ist, ob er tatsächlich der Rädelsführer ist oder nur ein Bandenmitglied. Was den Sinn dieser rätselhaften Vorfälle betrifft, tappe ich allerdings genauso im dunkeln wie Sie.«