Jahr Zwei, 18. Oktober, Morgen I
»Sie brechen durch! Wir können die Stellung nicht halten! Schickt Verstärkung!«
Leutnant Hardinger, Kommandeur des 32. vereinten Panzerbataillons, hörte seine Vorposten im Funk um Hilfe rufen. Er war mit über fünfzig Kampfpanzern verschiedener Bauarten und etwa 600 Soldaten zur Verteidigung eines wichtigen Versorgungs- und Munitionslagers nordöstlich von Kursk abkommandiert worden, um sich hier den Zeds, welche die Grenzanlagen überwunden hatten, entgegenzustellen.
Er hatte nie um dieses Kommando gebeten, doch seine Vorliebe für junge – sehr junge – Damenbegleitung hatte ihm eine Beförderung an die Ostfront eingebracht. Hardinger hasste den Osten. Hier war es verdammt nochmal noch kälter als in seiner Heimat Munster, wo er als Ausbilder im 93. Panzerausbildungsbataillon stationiert gewesen war.
Seine Führung – tadellos. Familienvater, treusorgender Ehegatte, gepflegte Erscheinung, kinderlieb. Seine besondere Liebe zu Kindern, vornehmlich weiblichen Geschlechts, stellte er auch zweimal jährlich bei Auslandsreisen nach Asien und Mittelamerika unter Beweis, wenn er mit ungefähr zwölfjährigen Mädchen liebevoll umging.
Seltsam, denn jeden, der das mit einer seiner Töchter täte, hätte er wohl getötet. Aber er redete sich ein, diesen jungen Dingern ja schließlich etwas Gutes zu tun, wenn er sie für zwei Wochen ausführte, ihnen teure Geschenke machte und im Gegenzug erwartete, dass sie sich hin und wieder seinen sehr speziellen Bedürfnissen widmeten.
Doch dann kam die Katastrophe. Seine Familie wurde von den furchtbaren Zombies gefressen oder ebenfalls zu Monstern gemacht, als er in der Kaserne um sein Leben und um das der Kameraden kämpfte. Viele Kameraden hatten ihr Leben bereits am ersten Tag verloren. Der Zufall wollte es, dass er Generalmajor Rinteln in dem Chaos das Leben rettete und mit einer der letzten Maschinen nach Norden ausgeflogen wurde.
Hier hatte er in der neu aufgestellten New World Army seine bewährten Talente als Offizier unter Beweis gestellt. Nur eben ohne Familie, Zweitwagen und Eigenheim. Als er auch hier gelegentlich in Ermangelung entfernter Urlaubsziele seiner Neigung zu jungen Mädchen frönte, flog sein Treiben auf und er bekam das Ticket für den Ostfront-Express.
Und hier stand er nun, mitten im Nirgendwo, in seinem Kommandostand und befehligte ein Panzerbataillon, das gegen die Zombies kämpfen sollte.
Eigentlich skurril, dachte er, mit modernsten Panzerwaffen gegen sabbernde, zerfledderte Monster anzutreten. Und nicht selten hatten diese Schreckgestalten die Auseinandersetzungen auch noch gewonnen. Sie waren einfach zu viele. So wie einen Angriff der Zombieherden hatte man sich wohl vor 50 Jahren eine Invasion der gelben Gefahr vorgestellt, wenn Millionen chinesischer Soldaten aus den Gullydeckeln hervorgekrochen kämen, um die noch junge Demokratie in Deutschland mit kommunistischer Fäulnis zu ersticken. Nun, die Realität zeigte sich wie so oft von einer viel schlimmeren Seite als die Schreckgespenster der Propaganda von einst.
»Herr Leutnant! Ihre Befehle!?«
Die Frage des Hauptfeldwebels neben ihm riss Hardinger aus seinen Gedanken. Er überlegte eine Sekunde.
»Die Panzer sollen die Stellungen um uns herum halten. Feuer nach eigenem Ermessen.«
»Aber, Herr Leutnant … die Munition …«
»Haben Sie mich nicht gehört?«
»Selbstverständlich, Herr Leutnant. Zu Befehl. Feuer nach eigenem Ermessen.«
Draußen in der etwas tiefer gelegenen Ebene hatten die Panzer sich zu einem Halbkreis aufgestellt, jeweils in Sichtweite des nächsten Fahrzeugs. Die Panzergrenadiere und weitere Hilfstruppen nahmen Deckung hinter den Fahrzeugen, und alle brachten ihre Waffen in Anschlag.
Jeden Moment mussten die Angreifer den etwa fünfhundert Meter entfernt liegenden kleinen Höhenzug überwinden, um hinunter ins Tal zu gelangen. Auf der anderen Seite der Hügelkette hatten MG-Nester und Schützengräben die Zombies scheinbar nicht aufhalten können, doch nun liefen sie geradewegs in eine voll ausgebaute Panzerstellung hinein. Alle Panzer waren zwar gut bestückt, doch es gab zur Zeit keine Möglichkeit, die Kampfwagen im Gefecht mit Munition zu versorgen. Der Ansturm der Untoten musste im ersten Waffengang aufgehalten werden.
Als die Kommandanten der Panzer im halbrunden Schutzwall um den Kommandounterstand sahen, womit sie es zu tun bekamen, wurde ihnen mehr als nur unwohl in ihrer Haut.
Am Horizont brodelte eine undefinierbare Masse aus Tausenden und Abertausenden von Leibern und brandete gegen den Hügel wie eine Welle, die bei Sturmflut auf einen Deich läuft und überschwappt. Mehr und mehr Walker und Hunter rückten nach, sie schoben sich über die Hügelkuppe wie ein übelriechender Brei. Durch die lauten Motoren der Panzer konnten die Insassen das Kreischen und Brüllen der Zeds nicht hören, diese abartige Kakophonie des Grauens, die das Zombieheer wie eine Wand aus Lärm vor sich her trieb. Die Panzergrenadiere und Infanteriesoldaten in den Schützengräben hatten es da nicht so einfach. Sie hörten und sahen das Elend auf sich zu kommen und ein kaltes Grausen packte sie, welches sicherlich nicht durch das arktische Klima hervorgerufen wurde. Die ersten Schüsse wurden aus den mächtigen einhundertfünfundzwanzig-Millimeter-Glattrohrkanonen der russischen T90-Kampfpanzer abgefeuert und schlugen auf der Hügelkuppe ein. Die Flanken der Verteidigungsphalanx verschossen zunächst At-11 Sniper Lenkwaffen. Heftige Explosionen der Splittergranaten vom Typ FRAG-HE richteten unter den heranstürmenden Zeds ein wahres Massaker an. Die ersten Reihen der anstürmenden Horde wurden förmlich in blutige Fetzen gerissen, doch immer wieder rückten neue Kontingente nach.
Salve um Salve schossen die Panzer in die wimmelnde Masse aus untoten Leibern, doch nach gut fünfzig Einzelschüssen war Schluss, die Munition eines Kampfpanzers war räumlich beschränkt, und die Tanks waren auf Munitionsnachschub angewiesen. Einige der Panzerkommandanten baten dringendst um Erlaubnis zum Stellungswechsel für die Munitionsaufnahme, doch diese wurde ihnen verwehrt. Hardinger befahl MG-Feuer bis zur letzten Patrone.
Als die ersten Panzer ihre komplette Munition bereits verschossen hatten, ohne dass dies den Strom der heranstürmenden Zeds irgendwie nennenswert beeinflusste, handelten einige Kommandanten der Phalanx auf eigene Verantwortung. Sie gruppierten das Bataillon um und stellten sechs der stählernen Riesen frei, die zum Angriff übergingen.
Die riesigen Zwölfzylinder-Triebwerke brüllten auf und die Maschinen donnerten der Zombieflut entgegen, um sich in die Wogen aus Fleisch und Knochen zu werfen. Die ersten Wellen von Hunter-Zeds hatten bereits die Schützengräben erreicht und schwappten beißend und geifernd in die Stellungen. Tausende Zeds stürzten sich auf die trotz ihrer schweren Bewaffnung wehrlosen Soldaten und rissen blutige Brocken aus ihren Körpern. Blut spritzte und gellende Schreie vereinten sich mit dem Gebrüll der gierigen Monster.
Einer der T90-Kommandanten erinnerte sich einer Technik, die den Erzählungen nach das erste Mal im Großen Vaterländischen Krieg die deutschen Tiger-Kommandanten angewendet hatten und die als verfemt und unehrenhaft, wenngleich doch effektiv galt.
Er setzte seinen schweren Tank über den zombieverseuchten Schützengraben und wendete schnell auf der Kette. Die Wände brachen ein und alle Wesen, die sich in dem Graben befanden, wurden verschüttet und unter Tonnen von Eis und gefrorenem Sand begraben. Die Ketten wühlten den Boden trotz des eisigen Winters auf und zermahlten eisige Erde und blutigen Matsch miteinander. Auch die anderen Panzerfahrer, die inmitten gigantischer Zombiehorden standen, vollzogen volle Drehungen und zerrieben die Untoten unter ihren Ketten zu Brei.
Doch immer mehr dieser Gestalten schleppten sich über die Kuppe; nun folgte eine schier unübersehbare Masse an Walkern, die zwar unglaublich langsam waren aber dafür in riesiger Zahl vorandrängten.
Reihe um Reihe zermatschten die fast fünfzig Tonnen schweren Kettenfahrzeuge ihre Gegner, doch es wurden mehr und mehr statt weniger. Als die etwa siebenhundert Schuss Granaten und die Lenkwaffen der Panzer sowie die etwa dreißigtausend Schuss MG-Munition abgefeuert waren, hatten die Panzerkommandanten nur noch Stahl und Masse als Waffen, um die Zeds zu dezimieren.
Die massiven Fahrzeuge brachen wie Rhinozerosse oder wütende Drachen durch die Zombiemenge, Tausende Untote wurden zerfetzt. Ihre zertrümmerten Schädel, die zerriebenen Körper und der übelriechende Schleim, der einst ihre Gebeine bekleidet hatte, bildete, mit dem meterhohen Schnee vermengt, eine einzige glitschige Rutschbahn auf dem gefrorenen Boden, so dass die Panzer irgendwann keinen Halt mehr fanden und zu den Seiten wegdrifteten.
Einer der Panzer schmierte ab und kippte in einen offenen Schützengraben; er wurde sofort unter unzähligen Leibern der Zeds begraben, die sich auf das Gefährt stürzten, um an das herrliche warme Fleisch zu kommen, das darin um Hilfe rief.
Den anderen Fahrern erging es nicht besser, ihre Ketten drehten auf dem mit Fleischbrei überzogenen Eis durch, und die Mengen an Zeds, die sie umgaben, reichten inzwischen aus, die manövrierunfähigen Panzer zu stoppen. Sie waren einfach viel zu viele. Unzählbar.
Mitten aus der Menge sprangen nun einige besonders kräftige Zeds hervor, die Struggler. Vielleicht zwei Dutzend von ihnen rannten mitten durch die Menge, trampelten Walker und Hunter nieder, schleuderten die minderwertigen Zombies nach rechts und links fort und steuerten die Turmluken der Panzer an. Mit ihren muskelbepackten Armen rissen sie die Deckel auf und sogar aus den Scharnieren und schleuderten sie weit von sich, bis sie in einiger Entfernung niedergingen und einige Zeds enthaupteten.
Die Struggler zerrten die Besatzungen der Panzer aus den Fahrzeugen heraus und bissen sich in den schreienden Soldaten fest, einige von ihnen warfen sie mitten in die brodelnde Zombiemenge. Einer der Struggler riss einen Soldaten förmlich in der Mitte durch und fraß sich blutüberströmt an dessen Herz und Lunge satt, während die anderen Zeds gierig nach den Innereien angelten, die auf dem Turm des Panzers verteilt lagen.
Die Panzerwaffe war geschlagen. Nach und nach erstarben die Motorengeräusche auf dem im wahrsten und widerlichsten Sinne des Wortes Schlachtfeld. Die Zombies hatten in der Tat ein komplettes Panzerbataillon besiegt.
Leutnant Hardinger blickte von seinem Kommandounterstand aus irritiert, ja geradezu verwirrt auf die grauenvolle Szenerie, die sich in einigen Hundert Metern Entfernung abspielte. Er konnte und mochte nicht glauben, was seine Augen dort sahen. Sein Geist wurde augenblicklich zurückversetzt in die Zeit des Ausbruchs der furchtbaren Seuche, als die Zivilisation, wie er sie kannte, binnen kürzester Zeit von diesen Monstern vernichtet wurde. So langsam wurde ihm auch klar, wie diese schmatzenden, hinkenden Gestalten es fertiggebracht hatten, einen technisch hochgerüsteten Militärapparat zu überwältigen. Sie waren so viele. Allein durch ihre Zahl schon hatten sie den Sieg davongetragen. Diese Zombiearmee besiegte ihre Feinde nicht nur, sie rekrutierte die Besiegten auch umgehend.
»Wir haben keine Chance«, flüsterte er, als seine Hand zum Koppel wanderte.
»Herr Leutnant! Was sollen wir …«
Den Rest der Frage, die ein Feldwebel an ihn gerichtet hatte, hörte er nicht mehr, denn eine Pistolenkugel brach sich ihren Weg durch seine Schläfe in das Gehirn, wo sie das Licht ausknipste.