Jahr Zwei, 09. Oktober, Abend

Kzu’ul grunzte zufrieden. Seine Krieger und die endlose Masse an Lahmen setzten den Warmen gut zu. Auf breiter Front war die Begrenzung gefallen und die Zombies strömten in das schneebedeckte Land. Wo immer sie auf Warme trafen, taten sie sich an deren Fleisch gütlich. Keiner wurde verschont oder umgewandelt.

Wenn die Horden eine Nahrungsquelle entdeckten, traten die Lahmen mit demütig gesenkten Häuptern zurück, um zunächst die Struggler atzen zu lassen.

Die Rangordnung sah das vor, denn die Struggler bildeten die Elite der Zombies. Sie benötigten das Fleisch und möglichst viel vom warmen roten Saft, um ihre gewaltigen, muskulösen Körper mit Energie zu versorgen. Ihnen folgten die Hunter, auch sie konnten aus dem Fleisch noch Energie gewinnen. Um die Reste dann durften sich die Lahmen balgen. Wenn sie fraßen, dann taten sie es eh nur einem Trieb folgend, der so unsinnig war wie das Trinken von Salzwasser. Ihre minderwertigen Körper konnten die Nahrung überhaupt nicht verwerten, sie besaßen keinen funktionierenden Verdauungstrakt. Die Lahmen schlangen die Fleischbrocken herunter und verloren sie im Gehen als faulende, verweste Masse. Ein stinkender Brei, der aus ihren hässlichen Körperöffnungen herausquoll.

Die Krone dieser widergöttlichen Schöpfung bildeten schließlich die Struggler, die sich von den Lahmen unterschieden, wie der Mensch vom Urzeitaffen. In ihnen lebte das mutierte Virus, das Z1V33, welches die meisten der ursprünglich menschlichen Körperfunktionen emulierte. Sicher, ein Struggler würde nie eine Oper komponieren oder Babies bekommen, aber der Metabolismus und zum Teil sogar die Hirnfunktionen des ursprünglichen Menschenwesens blieben erhalten, wenn der körperliche Tod eintrat.

Genau genommen verlief die Grenze zwischen Leben und Tod mitten durch ihre Erscheinung. Zwar schlug ihr Herz nicht, doch durch die immensen Muskelkontraktionen im Inneren des Körpers wurde ein Liquid durch das Zellgewebe gepumpt, das die Aufgaben des Blutes durchaus erfüllte.

Der Struggler der neuesten Generation konnte denken, er verdaute Nahrung in Minutenschnelle und war fähig, zerstörtes oder abgetrenntes Gewebe binnen Sekunden zu regenerieren, man konnte zusehen, wie zum Beispiel abgetrennte Gliedmaßen nachwuchsen. Ein Struggler war in der Lage, die Körpermasse eines kompletten Menschen binnen kürzester Zeit aufzufressen und zu verdauen. Dabei entstanden nicht einmal Ausscheidungen, denn der Struggler verwertete buchstäblich jedes Atom der aufgenommenen Nahrung.

Diese neue Spezies verhielt sich nicht wie ein untoter Leichnam, vielmehr handelte es sich um eine neue, andere Art von Leben, als sie bisher bekannt war. Das Virus, die eigentliche Lebensform, bemächtigte sich eines Wirtskörpers, breitete sich darin aus und rekonstruierte die DNA über biochemische Vektoren dann komplett. Im Grunde hüllte sich das Virus in einen mächtigen Fleischanzug, den es auf zellulärer Ebene steuerte. Die Schwarmintelligenz der infizierten und mutierten Zellen sorgte dafür, dass sich dieses biologische Vehikel mit erstaunlicher Präzision, Schnelligkeit und Kraft bewegte.

Kzu’uls Pläne waren nicht kompliziert. Zunächst galt es, eine bestimmte Anzahl von Strugglern zu erzeugen. Zwar ermöglichte das Z1V33-Virus es zum Beispiel, Hunter in Struggler zu mutieren, sie also quasi mit einem genetischen Update zu versehen, doch frisches Fleisch eignete sich wesentlich besser für die Umwandlung. Aus diesem Grunde wollte er tief in das Gebiet der Warmen eindringen, um dort den Grundstock seiner neuen Rasse zu legen.

Irgendwann würden alle Warmen aufgefressen sein, dann mussten sich seine Brüder mit den Lahmen und mit Tieren zufriedengeben, zwangsläufig. Aber es gab noch eine andere Möglichkeit, über die er angestrengt nachdachte, und zu der langsam ein Plan in ihm reifte. Grundvoraussetzung für diese Idee blieb jedoch ein erbarmungsloser und brutaler Feldzug gegen die Warmen, den er als Basis für weitere Schritte zu nutzen beabsichtigte.

Und so trieb der mächtige Struggler seine Horde weiter in das Land der Warmen hinein. Durch deren Waffen verloren sie viele der Lahmen im Kampf, aber die Hunter und Struggler konnten sich an den zerstörten Körpern der Gefallenen laben. Mit den Waffen der Gegner konnten die Struggler nichts anfangen. Ihre Programmierung sah die Benutzung von Werkzeugen und Waffen nicht vor, sie war völlig auf animalische Triebe ausgelegt. Möglicherweise hätte die Intelligenzleistung eines Strugglers durchaus gereicht, um Werkzeuge sinnvoll einzusetzen, doch sie taten es einfach nicht. Mit ihren mächtigen Armen rissen sie Hindernisse nieder, ihre hammerschlaggleichen Fausthiebe beendeten Leben in Sekundenbruchteilen, und ihre mutierten Kiefer, in denen Zähne in Reihen wuchsen wie bei einem Hai, bildeten mächtige Waffen.

Trotz der großen Verluste drangen die Zombies weiter und weiter in das Binnenland der New World vor, und aus dem Osten rückten mehr und mehr Untote nach. Der Strom der Zombies riss einfach nicht ab. Die Angriffsmacht der Zombiearmee übertraf die des ersten Ausbruchs um ein Maß, das ohne weiteres nicht feststellbar war, doch sie traf auf eine Menschheit, die im Vergleich zum Beginn der Apokalypse enorm geschwächt wirkte.

Inzwischen trafen die ersten Kontingente der Zeds in Lukojanow, etwa fünfhundert Kilometer östlich von Moskau, auf eine völlig unvorbereitete Bevölkerung, die aus etwa sechshundert Siedlern und einigen Heimatschutzsoldaten bestand. Wie ein raubgieriger Heuschreckenschwarm brachen die Untoten über das Dorf herein und stürmten durch leere Gassen ins Ortszentrum. Früher lebten hier mehr als zweitausend Menschen, doch nun beschränkte sich die Bevölkerung auf unliebsame New World-Siedler und Soldaten der zweiten Wahl. Es gab keine schweren Waffen in dem Dorf, und die Bewohner verließen sich stets darauf, dass die Truppen der New World Army das Siedlungsgebiet am großen Zaun verteidigten. Wie sehr sie sich geirrt hatten, sollten sie an diesem Tage erfahren.

Von allen Seiten fielen die zerfledderten, sabbernden Untoten in die Siedlung ein, und ihr infernalisches Gebrüll bildete zusammen mit den Angstschreien der Menschen eine furchtbare Kakophonie des Grauens. Die Hunter trieben die Menschen aus ihren Häusern, wo sie von gierigen Walkern aufgehalten und zerbissen wurden.

Etwa einhundertfünfzig Menschen trieben die Hunter am Bahnhof auf dem Vorplatz zusammen und umringten sie dort, wartend. Die anderen Bewohner wurden von den Zeds gejagt, gefressen, und ihre Gebeine wurden achtlos liegengelassen.

Um die Gefangenen bildete sich ein Kreis aus grunzenden und sabbernden Kreaturen, die direkt der Hölle oder einem Clive-Barker-Film entsprungen schienen. Viele der Zombies wiesen schwerste Beschädigungen auf. Ihnen fehlten oft Gliedmaßen, und nicht wenige hatten deutliche Bissspuren, die zum Teil bis auf die Knochen reichten und ihnen von ihren kruden Artgenossen zugefügt worden waren. Selbst ihre nutzlosen Gedärme und Innereien hingen zum Teil aus geöffneten Leibeshöhlen heraus, und eklig aussehende Flüssigkeiten mit der Konsistenz von Altöl troffen auf den schneebedeckten Boden.

Die Konstitution der Hunter erwies sich im Allgemeinen als stabiler. Sie trugen wesentlich weniger schwere Wunden, und ihre Torsos waren meist relativ intakt. Ihr Verdauungssystem funktionierte, und nur wenige hatten Glieder verloren. Was sie mit ihren lahmen Artgenossen verband, waren die ausgedehnten dunklen Flecken in ihren Beinkleidern, so sie denn welche trugen.

Einige Zombies waren gänzlich unbekleidet und hängten ihre zerfrorenen Genitalien in den Eiswind, so sie nicht abgefault oder abgefressen waren.

Die Flecken in den Beinkleidern jedoch stammten von den nur halb oder gar nicht verdauten Fleischmengen, die sie verschlungen hatten und die sich irgendwann auf die eine oder andere Weise aus ihrem Körper wieder herausbewegten.

Ein Zombie ging nicht aufs Klo, und was seine Körperöffnungen verließ, das lief und plödderte einfach heraus, wo der Zombie ging oder stand. Ein bestialischer Gestank umwehte die Gruppe, zu deren Füßen sich der Schnee schmutzig braun färbte.

Inmitten dieses grotesk anmutenden Krals drückte sich die Menge von Menschen furchtsam aneinander. Es waren Schwache, Alte, Frauen und Kinder, die von den Huntern hier zusammengetrieben worden waren. Die Kinder schrien entsetzlich vor Angst, hysterische Mütter versuchten, sie zu beruhigen und die alten Männer bildeten einen Kreis um Frauen und Kinder, so als könnten sie diese beschützen. Eine heroisch anmutende, jedoch völlig sinnlose Geste, wie sich kurz darauf herausstellen sollte.

Mit einem Mal teilte sich die Front der grauenerregenden Gestalten und eine Gasse tat sich auf. Keiner der Eingekesselten kam auf die Idee, es könnte sich um einen Fluchtweg handeln, und das zu Recht. Am Ende der Gasse stampfte eine riesige, hünenhafte Gestalt durch die Reihen, zwei Köpfe größer als die kräftigsten Hunter und mindestens doppelt so breit. Es war Kzu’ul, der Anführer der Zombiearmee.

Sein Tritt war derart kräftig, dass der Boden sogar ein wenig erzitterte. Er blieb kurz stehen und entließ aus seiner Kehle ein Gebrüll, das einem T-Rex zur Ehre gereicht hätte. Dann setzte er seinen Weg zum Zentrum der Versammlung fort, ihm folgten ein gutes Dutzend ähnlicher Horrorgestalten, die sich aufführten wie ein Rudel Hyänen. Sie bleckten die Zähne, schnappten nach den umstehenden Walkern, kreischten und heulten, manche knurrten und wieder andere grunzten.

Als der Hüne in das Zentrum des Kreises stapfte, trat ihm ein etwa siebzigjähriger Pope entgegen und hielt ein orthodoxes Kreuz hoch, dann setzte er an, um irgendeine Formel zu sprechen, doch dazu kam er nicht. Mit einer beiläufigen Handbewegung fegte Kzu’ul ihn von den Beinen und ließ ihn mit zerschmettertem Brustkorb vor den Füßen der Hunter niedergehen, die sich sofort auf das jammernde Priesterlein stürzten und es zerfleischten.

In der zusammengetriebenen Gruppe fing ein kleines Mädchen schrill und hysterisch an zu kreischen, und das tat sie in einer Lautstärke, die alle anderen Geräusche bei weitem übertraf. Kzu’ul stürmte zielgerichtet in die Menge, griff sich das Kind und biss ihm den Kopf ab. Die Schreie erstarben schlagartig in einem gurgelnden Fluss von Blut.

Nun brach Panik unter den Menschen aus. Sie versuchten zu fliehen, doch vergebens. Der Ring aus Untoten um sie herum war fest geschlossen, und sie waren mit den Strugglern allein. Kein Hunter und kein Walker wagte es, den Riesen ihre Beute streitig zu machen. Die Struggler begannen ihr gotteslästerliches Mahl und zerrissen die schreienden Menschen, um deren Fleisch in ihre Schlünde zu stopfen. Die mehrreihig mit scharfen Zähnen bestückten Kiefer zersägten das Fleisch in Brocken, die sie hastig hinunterwürgten.

Ab und zu warfen sie in ihrer rasenden Gier einen halb zerfressenen Torso in die Menge der Hunter, die sich darauf stürzte und sich um die Reste balgte wie Schakale.

Nach und nach dezimierten die Struggler die kleine Menschenmenge. Diejenigen, die das Pech hatten, in der Mitte des Pulks zu stehen, traf der Fluch, den grausamen Tod ihrer Mitmenschen mit ansehen zu müssen, wissend, dass sie dasselbe Schicksal ereilen würde.

Über zwei Stunden dauerte die Blutorgie der Bestien, bis sie sich reichlich am Fleisch und Blut der Menschen genährt hatten und ihren hündischen Vasallen die Reste zum Fraß vorwarfen.

Kzu’uls Gebrüll hallte durch die leeren Gassen der Stadt, und selbst der Schnee vermochte nicht, seinen Kriegsruf zu dämpfen.