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Guert Affenlight, sechzig Jahre alt, Präsident des Westish College, tappte mit einem italienischen Halbschuh auf die verworfenen Dielen seines Büros im Erdgeschoss der Scull Hall und ließ einen letzten Tropfen lichtdurchschossenen Scotch im Glas kreisen. Auf dem kleinen Zweiersofa ihm gegenüber saß Bruce Gibbs, der Vorsitzende des Hochschulrats. Es war der letzte Nachmittag im März, im achten Jahr der affenlightschen Amtszeit.

Außer Affenlights Schreibtisch und dem Sofa enthielt der Raum zwei hölzerne Stühle mit verstrebter Lehne und den Westish-Insignien, zwei hölzerne Aktenschränke und eine Anrichte mit dunklen alkoholischen Getränken. In den maßgefertigten Bücherregalen, die bis zur Decke reichten, standen in Leder gebundene Bände aus dem und über das 19. Jahrhundert, ein eintöniges und dennoch hübsches Meer aus Braun-, Oliv- und verblichenen Schwarztönen, neben ordentlichen Reihen von Heftmappen und Journalen, die Geschäftliches des Westish College enthielten, und die Stereoanlage aus gebürstetem Stahl, über deren versteckte Boxen Affenlight sich seine Lieblingsopern anhörte. Seine weitaus farbenfrohere Sammlung von theoretischer Literatur und Belletristik der Nachkriegszeit bewahrte er oben in seinem Arbeitszimmer auf, zusammen mit der Handvoll wirklich kostbarer Bücher, die er besaß – frühe Ausgaben von Walden, Ein Yankee aus Connecticut an König Artus’ Hof und sowohl eine Reihe weniger bedeutsamer Romane von Melville als auch das Buch. Es gab so viele Bücherregale, dass nur Platz für ein einziges Kunstwerk war, ein schwarz-weißes handgemaltes Schild, das Affenlight vor Jahren in Auftrag gegeben hatte und das zu seinen kostbarsten Gegenständen zählte: HIER BITTE KEIN SELBSTMORD, stand darauf, UND IM SALON BITTE NICHT RAUCHEN.

Gibbs’ Gehstock, den er nie Krückstock nannte, lehnte seitlich am Sofa. Gibbs sank tiefer ins Leder, ließ die bernsteinfarbene Flüssigkeit im Glas rotieren und sah auf den einsam dahinschmelzenden Eiswürfel hinab. »Torfig«, sagte er. »Sehr gut.«

Affenlights Scotch war längst leer, aber wenn er sich nachschenkte, würde das Gibbs ermuntern, noch zu bleiben. Die kühle Luft vom Fensterbrett in seinem Rücken erinnerte ihn daran, wie gern er jetzt draußen gewesen wäre, am Baseballfeld, bevor er nach Milwaukee fuhr, um Pella vom Flughafen abzuholen.

Gibbs räusperte sich. »Ich bin irritiert, Guert. Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, neue Projekte so lange hintanzustellen, bis wir finanziell saniert sind. Wir haben an den Märkten ziemlich einstecken müssen, wir verlieren mehr und mehr Finanzhilfen, und« – er sah Affenlight unverwandt in die Augen – »über Spenden kommt fast überhaupt nichts herein.«

Affenlight verstand die Warnung. Er war der Geldbeschaffer, das Gesicht der Universität. In seinen ersten Jahren hier hatte er die erfolgreichste Finanzkampagne in der Geschichte von Westish auf die Beine gestellt. Aber die Wirtschaftslage der letzten Jahre – der Kollaps, die Krise, die Rezession, wie auch immer man es nannte – hatte sowohl diese Gewinne abgetragen als auch die Sponsoren verschreckt. Sein Einfluss im Hochschulrat, einst nahezu grenzenlos, nahm langsam ab.

»Und jetzt«, fuhr Bruce fort, »legst du plötzlich all diese neuen Vorhaben auf den Tisch. Thermische Solaranlagen. Komplett CO2-neutrale Technik. Automatische Temperaturabsenkung. Guert, woher kommt dieser ganze Schwachsinn?«

»Von den Studenten«, sagte Affenlight. »Ich habe mit einer Reihe studentischer Gruppen eng zusammengearbeitet.« Eigentlich hatte er nur mit einer einzigen Studentengruppe eng zusammengearbeitet. Gut, eigentlich nur mit einem einzigen Studenten – dem einen Studenten, wegen dem er gerade unbedingt zum Baseballfeld wollte, um ihn spielen zu sehen. Aber davon brauchte Gibb nichts zu wissen. Dass die Studenten die Kohlenstoffemissionen senken wollten, stimmte ja.

»Die Studenten«, sagte Gibbs, »sind weltfremd. Erinnerst du dich, wie sie verlangten, dass wir uns von allen Ölanlagen trennen? Öl bedeutet Geld. Erst beschweren sie sich über die Anhebung der Studiengebühren und dann darüber, dass die Stiftung Geld erwirtschaftet.«

»Die Emissionen zu senken wird uns aber einen warmen Regen in Sachen PR bescheren«, sagte Affenlight. »Und es wird uns Zehntausende an Heizkosten einsparen. Die meisten unserer Benchmark-Universitäten sind bereits in dem Bereich aktiv.«

»Das ist doch Unsinn. Wie soll uns das einen warmen PR-Regen bescheren, wenn unsere Benchmarks da längst aktiv sind? Wenn wir nicht die Ersten sind, laufen wir einfach im Rudel mit. Im Rudel mitzulaufen bringt uns keine PR. Da lehnen wir uns besser zurück und lernen aus den Fehlern der anderen.«

»Bruce, das Rudel ist uns meilenweit voraus. Ökologisch verantwortliches Handeln ist längst Rentabilitätsprämisse. Es wird zu einem der fünf wichtigsten Entscheidungskriterien potentieller Studenten werden. Wenn wir uns dem nicht stellen, wird man uns das bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag bei jedem Campusrundgang aufs Brot schmieren.«

Gibbs seufzte, erhob sich und humpelte zum Fenster. Der Management- und Consulting-Sprech, Begriffe wie Rentabilitätsprämisse oder Entscheidungskriterium, waren der Kitt ihrer Beziehung – Affenlight versuchte so viele davon zu lernen wie möglich und die, die er noch nicht kannte, intuitiv zu benutzen oder sogar selbst welche zu erfinden. Gibbs starrte hinaus zu der Melville-Statue, die über den See schaute. »Wenn es ein Entscheidungskriterium ist, werden wir uns der Sache stellen«, sagte er. »Aber ich bezweifle, dass wir uns das in diesem Jahr leisten können.«

»Wir sollten loslegen«, sagte Affenlight. »Die Erderwärmung wartet auf niemanden.«

Das stimmte natürlich – er hatte die Bücher gelesen, er hatte die Fakten auf seiner Seite – und dennoch fürchtete er, dass Gibbs oder irgendjemand sonst den tieferen Grund für sein Drängen entdeckte. Natürlich wollte er das Richtige tun, wollte Westish für das kommende Jahrhundert fit machen, aber außerdem wollte er O. beweisen, dass er in der Lage war, hier tatsächlich etwas zu bewegen. Ein Jahr, zwei, drei – die in der Hochschulbürokratie gängigen Zeiträume entsprachen nicht seinen Vorstellungen. Wenn es darum ging, jemanden zu beeindrucken, den man unter Umständen zu lieben meinte, gab es zwischen einem Jahr und der Ewigkeit keinen Unterschied.