19

Lacock Abbey

Zelda ließ uns nicht ins Bett, bevor sie alles über den Choristen und Longspees Herz gehört hatte, aber zur Schule schickte sie uns am nächsten Morgen trotzdem. Nicht, ohne uns vorher zu versprechen, dass sie auf die Urne aufpassen und sie notfalls mit ihrer Krücke verteidigen würde.

Schule. Mathematik, Geschichte, englische Grammatik. Das alles kam mir so lächerlich vor, gemessen an dem, was ich in den letzten Tagen und Nächten erlebt hatte. Ich wollte auf mein Pult klettern und rufen: »Seht ihr es nicht? Ich bin so gut wie erwachsen. Ich hab auf einem Kirchturm im Körper eines Ritters gegen einen Mörder gekämpft! Ich bin William Longspees Knappe geworden und hab sein gestohlenes Herz gefunden! Was wollt ihr mir nach all dem noch beibringen?«

Aber natürlich blieb ich auf meinem Stuhl sitzen. In Englisch flog mir eine ziemlich abscheuliche Kritzelei auf den Tisch, die Ella und mich beim Küssen zeigte, und ich wartete den ganzen Tag darauf, dass Aleister auftauchen und das Herz zurückverlangen würde. Er erschien mir schließlich tatsächlich, im Jungenklo, aber statt das Herz zu erwähnen, jammerte er darüber, dass er seit dem Zusammenstoß mit mir vollkommen durcheinander war und nichts als Mathehausaufgaben und die Kreuzfahrerstrategien von Richard Löwenherz im Kopf hatte. Ich war ziemlich überrascht, dass der Zusammenstoß mit mir diese Wirkung gehabt hatte, denn über Schule hatte ich in den letzten Tagen nun wirklich nicht nachgedacht, aber es war mir nur recht, dass es ihm schlecht ging, und ich ließ ihn mit dem Rat stehen, sich endlich und endgültig in Luft aufzulösen.

Meine Hausaufgaben machte ich an diesem Tag auf dem Rücksitz von Zeldas Auto. Es ist eine lange Fahrt von Salisbury nach Lacock und auf dem Beifahrersitz stand diesmal die Urne mit Williams Herz. Das Siegel war aufgebrochen.

»Ich dachte, ich seh besser nach, ob wirklich drin ist, was wir hoffen«, sagte Zelda, als sie meinen entgeisterten Blick bemerkte. »Und ich denke, die Antwort ist: ja. Zumindest sieht der Inhalt so aus, wie ich mir ein achthundert Jahre altes Herz vorstelle. Aber glaubt mir: Auch wenn wir einen alten Schuh in Lacock begraben würden – das Einzige, was zählt, ist, dass William Longspee nun wieder an sich selbst glaubt, und das hat er euch zu verdanken. Und seinem eigenen Mut.«

Ella warf mir einen Blick zu, der eindeutig sagte, dass sie trotzdem sehr froh darüber war, dass wir keinen alten Schuh nach Lacock brachten.

»Denkst du, dass Longspee seine Frau irgendwann wiedersehen wird?«, flüsterte sie mir zu, während Zelda einen Lastwagenfahrer verfluchte, der ihrer Meinung nach viel zu langsam fuhr. »Glaubst du an so was wie Himmel und Hölle, Jon?«

»Ich weiß nicht«, flüsterte ich zurück. »Ich hoffe nur, dass Stourton sich entweder in Luft aufgelöst hat oder an einem Ort gelandet ist, der ihn mir für alle Ewigkeit vom Leib hält! Angus glaubt ganz fest an den Himmel. Aber das Problem ist – wenn es ihn gibt, wer kommt hinein?«

»Genau!«, flüsterte Ella. »Würde Zelda zum Beispiel reinkommen?«

»Das habe ich gehört, Ella Littlejohn!«, sagte Zelda, während sie den Laster in so haarsträubendem Tempo überholte, dass ich sicher war, ihr armes, altes Auto würde alle vier Räder bei der Anstrengung verlieren. »Und nein, sie würden mich vermutlich nicht reinlassen. Aber ich glaube eh nicht an einen Himmel oder eine Hölle.«

Bevor ich sie fragen konnte, wo wir dann ihrer Meinung nach enden würden und ob ihre Kröten auch dorthin kamen, fuhr Zelda auf den Parkplatz von Lacock Abbey.

Ich glaube, ich hätte nichts dagegen, wenn jemand mein Herz in Lacock Abbey begraben würde. Man hat das Gefühl, dass der Weg in die nächste Welt von dort nicht allzu weit ist – was immer das für eine nächste Welt sein wird.

»Ich habe eine Freundin, die im Museumsladen arbeitet«, sagte Zelda, während sie über den Parkplatz voranhumpelte. (Sie weigerte sich immer noch standhaft, ihre Krücken für etwas anderes als die Bekämpfung von Geistern zu benutzen.) »Margaret und ich sind zusammen zur Schule gegangen. Sie hat einen Dummkopf geheiratet und ist selbst nicht die Hellste, aber sie wird uns bestimmt helfen.«

Margaret stand hinter der Ladenkasse. Sie war ziemlich groß und so dick, dass vier Zeldas in ihre Kleider gepasst hätten. Ihre wasserblauen Augen standen leicht vor, was sie etwas erstaunt dreinblicken ließ. Zelda fragte nach ihren Enkelkindern und zählte ihr das Geld für unsere Eintrittskarten in die Hand, aber dann kam sie schnell zur Sache.

»Hör zu, Margaret!«, raunte sie ihr über den Ladentisch zu. »Ich brauche deine Hilfe. Wir müssen etwas in Ella von Salisburys Grab vergraben.«

Margaret sprangen fast die wasserblauen Augen aus dem Kopf.

»Was ist das wieder für eine Verrücktheit, Zelda?«, flüsterte sie, während sie nervös zu ihrer Kollegin hinübersah, die gerade den Postkartenständer aufstockte. »Ich hab mich damit abgefunden, dass mir Kröten um die Füße springen, wenn ich mit dir Tee trinke, aber mehr kannst du beim besten Willen nicht verlangen!«

»Himmel, Margaret, ich habe nichts von dir verlangt, seit du mich in der Schule hast abschreiben lassen!«, gab Zelda leise zurück. »Also stell dich nicht so an. Du weißt doch bestimmt, dass Ella von Salisbury das Herz ihres Mannes angeblich hier begraben hat, oder?«

Margaret legte die Stirn in Falten. »Hat sie nicht auch das ihres Sohnes hierher gebracht? Du weißt schon, der arme Junge, der vor Jerusalem zerhackt wurde … oder war das ein anderer?«

Zelda schüttelte ungeduldig den Kopf. »Keine Ahnung. Diese Herzbegraberei ist irgendwann allzu beliebt gewesen. Aber nein. Mir geht es nur um das ihres Mannes.« Zelda lehnte sich über den Tresen. »Ella hat das falsche Herz begraben, Margaret! William Longspees Mörder hat sein Herz gestohlen und Ella das seines Dieners untergeschoben!«

Margaret presste sich die Hand aufs Herz, als hätte sie Angst, jemand könnte ihr das gleiche Schicksal bescheren. »Nein! Aber das ist ja furchtbar!«

»Entspann dich!«, raunte Zelda. »Wir haben das richtige Herz. Also zeig uns, wo Ellas Grab ist, und wir bringen das Ganze in Ordnung!«

Margaret starrte die Plastiktüte an, die Ella in der Hand hielt.

»Ist es da drin?«, flüsterte sie.

Ella runzelte die Stirn. Und nickte.

Margaret schnappte nach Luft, und für einen Moment dachte ich, die Augen würden ihr wirklich aus dem Kopf fallen.

»Aber es gibt kein Grab!«, stieß sie hervor. »Es gibt nur den Gedenkstein in den Kreuzgängen, und es ist nicht mal sicher, dass sie darunter liegt!«

Ella und ich wechselten einen besorgten Blick, doch Zelda konnte eine solche Kleinigkeit nicht erschüttern.

»Was soll’s«, murmelte sie. »Dann vergraben wir das Herz eben möglichst nah bei dem Stein. Denkst du nicht auch, dass das Longspee recht wäre, Jon?«

»Longspee?« Margaret richtete die wasserblauen Augen entgeistert auf mich.

»William Longspee, Ellas Ehemann«, erklärte Zelda. »Oh, nun schau nicht so dumm drein, Margaret. Wer, glaubst du, hat uns von dem gestohlenen Herzen erzählt, wenn nicht Longspees Geist?«

Das brachte die Ärmste natürlich endgültig aus der Fassung, und Zelda musste all ihre Überredungskunst einsetzen, bevor Margaret hinter dem Ladentisch hervorkam und mit uns hinüber zur Abtei ging.

Lacock Abbey liegt so weit abseits der Straße, als hätte sie sich zwischen den Bäumen vor einer Welt versteckt, in der die Besucher schon lange nicht mehr wie Ella Longspee mit dem Pferd kommen. Margaret erzählte, dass die Abtei nicht mehr von Nonnen bewohnt wurde, seit Heinrich der Achte alle Klöster schließen ließ, aber ich glaubte, Longspees Frau hinter jedem Fenster stehen zu sehen – als hätte sie all die Jahrhunderte auf sein Herz gewartet.

»Ich glaube, du willst mich nur wieder veralbern, Zelda Littlejohn!«, stellte Margaret irgendwann mit gesenkter Stimme fest, während wir einem Touristenpaar den Pfad entlang folgten, der in den Kreuzgängen der Abtei endet. »So, wie du mir als Kind weismachen wolltest, dass es in deinem Garten Feen gibt!«

»Na gut, das mit den Feen stimmte wirklich nicht«, erwiderte Zelda. »Aber alles andere ist die reine Wahrheit.«

Margaret blickte für einen Moment so betrübt drein, als hätte sie tatsächlich gehofft, in Zeldas Garten eines Tages eine Fee zu entdecken. Aber sie verdaute die Enttäuschung schnell.

»Zwei der Aufseher«, sagte sie mit gesenkter Stimme, »behaupten, sie hätten Ela von Salisburys Geist in den Kreuzgängen gesehen!«

Ella und ich wechselten einen raschen Blick, aber Zelda schien alles andere als erstaunt.

»Ja, so etwas habe ich auch schon gehört«, sagte sie.

»Was? Warum hast du davon nichts erzählt?«, fragte ich entgeistert.

»Weil es nichts als ein Gerücht ist, Jon Whitcroft«, gab Zelda zurück. »Hast du eine Vorstellung davon, wie leicht Menschen sich einbilden, Geister zu sehen? In dieser Abtei wurden schon Dutzende gesichtet, unter anderem Heinrich der Achte und drei seiner Frauen, zwei von ihnen mit dem Kopf unterm Arm!«

»Aber vielleicht …«, stammelte ich, »vielleicht wartet Ella auf William!«

»Wartet?« Margaret starrte erneut mit weiten Augen auf die Plastiktüte, in der die Urne steckte. »Himmel!«

Zelda warf ihr einen irritierten Blick zu.

»Vielleicht«, sagte sie. »Aber vielleicht auch nicht, und vielleicht haben die Aufseher nur den Geist irgendeiner unglücklichen Nonne gesehen, die hier an der Pest gestorben ist! In dieser Abtei sind viele Frauen gestorben, nicht nur Ella von Salisbury.«

»Aber Longspee …«, begann ich, doch Ella legte mir die Hand auf den Arm.

»Lass uns erst mal ihr Grab finden, Jon«, sagte sie. Und damit hatte sie natürlich, wie immer, recht. Allerdings war es, wie Margaret gesagt hatte: Ella Longspee hatte kein Grab. Es gab nur einen Gedenkstein mit ihrem Namen in einem der Kreuzgänge, und Ella und ich starrten ratlos auf den gefliesten Boden, der den Stein umgab.

»Tja!«, sagte Zelda mit gerunzelter Stirn. »Hier geht es wohl nicht. Aber dort –«, stellte sie mit einem Blick auf die Rasenfläche fest, die zwischen den Kreuzgängen lag, »– würde es Longspee sicher auch gefallen.«

Margaret sah sie alarmiert an.

»Keine Sorge«, raunte Zelda ihr zu. »Wir warten mit dem Graben, bis die Abtei geschlossen ist. Was denkst du? Wo verstecken wir uns am besten, damit die Wächter uns nicht sehen?«

Offenbar liebten alle Littlejohns die Idee, sich an öffentlichen Orten einschließen zu lassen. Kathedralen, Abteien … ich fragte mich, was als Nächstes kommen würde. Margaret aber verschränkte die enormen Arme und schüttelte energisch den Kopf.

»Zelda –!«, begann sie – und verstummte, bis sich eine Gruppe russischer Touristen an uns vorbeigeschoben hatte. »Du benimmst dich immer noch so, als kämst du mit Dingen davon, die Zehnjährige tun!«, zischte sie Zelda zu, als die Russen in einer der Seitenkammern verschwunden waren. »Du erinnerst dich bestimmt, wie es ausging, als du mich überredet hast, dich im Chemiesaal einzuschließen. Damals hab auch ich den ganzen Ärger abbekommen. Nein!«

»Nun«, antwortete Zelda mit marzipansüßem Lächeln, »dann muss Jon dem Geist von Longspee wohl erzählen, dass du uns nicht helfen wolltest. Gib nur nicht uns die Schuld, wenn er dich dafür eines Nachts besucht. Du hast noch nie einen Geist getroffen, oder? Es kann etwas beunruhigend sein, und Longspee ist nicht die friedlichste Sorte, wie Jon dir bestätigen wird. Aber ich bin sicher, du wirst keinen allzu großen Schaden nehmen.«

Margaret warf mir einen entsetzten Blick zu.

»Na ja«, murmelte ich. »Er kann schon ziemlich wütend werden. Und er hat ein Schwert.«

Margaret presste die Lippen aufeinander.

»Also gut, Zelda!«, flüsterte sie schließlich. »Aber ich helfe euch nur, weil ich Ela von Salisbury immer bewundert habe und es ein abscheulicher Gedanke ist, dass sie vielleicht all die Jahre hier herumgegeistert ist, weil sie das falsche Herz begraben hat!«

Zelda verdrehte natürlich die Augen über so viel Sentimentalität – Ella ist ihr in der Hinsicht ziemlich ähnlich –, aber Margaret sah das zum Glück nicht. Die Kammer, zu der sie uns führte, war kaum mehr als ein dunkles Loch, in das sich sicher nicht mal die neugierigsten Touristen verirrten.

»Bist du sicher, dass ich die Kinder nicht besser mit mir nehmen sollte, Zelda?«, fragte sie, bevor sie uns allein ließ. »Hier würde ich auch ohne Geister vor Angst umkommen, wenn es dunkel wird!«

»Nein, danke«, antwortete Ella an Zeldas Stelle. »Jon und ich waren nachts schon an wesentlich schlimmeren Orten.«

Der Blick, den Margaret Zelda darauf zuwarf, drückte deutliche Zweifel an ihren Qualitäten als Großmutter aus. Aber Zelda legte mir und Ella zur Antwort nur die Arme um die Schultern und schenkte Margaret ein breites Lächeln.

»Ella hat recht«, sagte sie. »Die zwei wissen inzwischen mehr über Geister als ich!« – eine Feststellung, die Margaret endgültig zurück hinter die Ladentheke trieb.

In unserem Versteck wurde es tatsächlich dunkel wie in einem Grab, als draußen endlich die Sonne unterging. Aber als wir uns im Schein unserer Taschenlampen zurück in die Kreuzgänge schlichen, gehörte Lacock Abbey uns. Keine Touristen, keine Führer, keine lebende Seele außer ein paar Mäusen und Vögeln. (Und Spinnen, würde Ella hinzufügen. Ella hat vor Spinnen noch mehr Angst als vor Hunden.)

»Gut. Zeit, an die Arbeit zu gehen. Ich denke, das wollt ihr lieber allein machen«, sagte Zelda, als wir wieder vor Ellas Grabstein standen, und drückte mir die Schaufel in die Hand, die sie unter dem Mantel versteckt hatte (für Littlejohns sind auch versteckte Schaufeln und Taschenlampen eine ganz alltägliche Sache). »Ich geh so lange im Garten spazieren. Ich schätze, die einzigen Geister hier sind Nonnen, und das sind meist recht friedliche Seelen.«

Damit humpelte sie davon, und Ella und ich kletterten über die niedrige Mauer, die die Kreuzgänge von dem grasbewachsenen Innenhof trennte. Der Regen der letzten Wochen hatte die Erde ziemlich aufgeweicht, aber ich brauchte trotzdem ziemlich lange, bis ich ein Loch gegraben hatte, das tief genug war.

»Hier ist es, Ella Longspee!«, flüsterte Ella, als sie die Urne hineinstellte. »Tut mir wirklich leid, dass du so lange auf das richtige Herz warten musstest!«

Wir taten unser Bestes, die Grassoden wieder so an ihren Platz zu drücken, dass man nicht sah, wo ich gegraben hatte. Dann füllten wir die überflüssige Erde in die Tüte, die wir mitgebracht hatten, und kletterten über die Mauer zurück in den Kreuzgang. Der Mond hing hell wie eine Silbermünze am Himmel, und wir standen schon wieder zwischen den Pfeilern, als Ella nach meiner Hand griff.

Auf der anderen Seite des Hofes stand eine Frau. Die Pfeiler der Kreuzgänge waren so deutlich durch ihren Körper zu sehen, als wären sie ein Teil von ihr.

»Jon, das ist sie!«, flüsterte Ella. »Siehst du? Sie hat gewartet! Sie wusste, dass sie das falsche Herz hat!«

»Woher willst du wissen, dass es Williams Ella ist?«, flüsterte ich zurück. »Du hast gehört, was Zelda gesagt hat. Es kann irgendeine Nonne sein.«

Ich hatte mich inzwischen so an den Anblick von Geistern gewöhnt, dass die weiße Gestalt mich nicht mehr erschütterte als die Tauben, die verschlafen auf dem Abteidach hockten.

»Natürlich ist sie es!«, zischte Ella ungeduldig. »Ruf ihn, wenn du mir nicht glaubst. Na los!«

Ella kann sehr überzeugend sein, aber ich zögerte trotzdem. Ich wollte nicht, dass Longspee erschien, nur um einer Fremden zu begegnen. Erst, als die Frau zögernd auf die Stelle zuschritt, an der wir das Herz begraben hatten, presste ich meine Finger auf das Löwenmal. Dann verbarg ich mich mit Ella hinter einem der Pfeiler und wartete.

William erschien genau dort, wo wir die Urne vergraben hatten. Seine Silhouette malte sich in die Nacht, als hätte der Mond ihn hergebracht, und die bleiche Frauengestalt blieb stehen. Sie standen beide einfach nur da, blasse Schatten der Menschen, die sie einmal gewesen waren. Sie waren beide nicht mehr jung gewesen, als sie starben. Ella war der Geist einer alten Frau, aber als sie und William sich anblickten, wurden sie wieder so jung, als hätte ihnen das Mondlicht die Jahrhunderte von den Gesichtern gewaschen. Longspee streckte die Hand aus, und als Ella dasselbe tat, verschmolzen ihre Finger miteinander.

Mir schlug das Herz bei dem Anblick, als wäre es wieder Longspees Herz, und plötzlich drehte er sich um und blickte dorthin, wo wir uns hinter den Pfeilern verbargen.

Ella gab mir einen Stoß in den Rücken und ich stolperte hinaus ins Mondlicht. Ich werde nie vergessen, wie er mich ansah.

Er presste die Faust dorthin, wo vor langer Zeit sein Herz geschlagen hatte, und ich tat es ihm nach. Ich bin sicher, ich sah wie ein Dummkopf aus, aber das tun wir alle nun mal, wenn wir glücklich sind. Bis auf Longspee. Er sah auch glücklich einfach nur wunderbar aus.

Ich konnte meine Augen nicht von ihm wenden, aber Ella griff nach meinem Arm und zog mich mit sich. Als ich mich noch einmal umblickte, verschmolz Williams Gestalt mit der seiner Frau, und ich wusste nicht, ob mir nach Lachen oder Weinen zumute war.

Wir fanden Zelda auf einer Bank vor der Abtei. Sie blickte sich erst um, als sie unsere Schritte hinter sich hörte.

»Und?«, fragte sie.

»Alles bestens«, sagte Ella, während sie die Tüte mit der Erde ausleerte, die Longspees Herz hatte Platz machen müssen. »Es war Williams Ella, also hat Jon ihn gerufen.«

»Na, das kann man dann wohl ein glückliches Ende nennen«, sagte Zelda, aber als sie sah, wie sehnsüchtig ich zu der Abtei hinüberstarrte, stand sie auf und legte mir ihre kleine magere Hand auf die Schulter. Ich glaube, Zelda ist in einem früheren Leben ein Vogel gewesen. Ein ziemlich kleiner Vogel.

»Dir gefällt dieses Ende nicht sonderlich, oder, Jon?«, fragte sie leise.

Ich schluckte. Ich fühlte mich so dumm.

»Na, ja … Was passiert nun?«, stammelte ich. »Ich mein … wird er …«

»… mit ihr gehen?«, vollendete Zelda den Satz. »Und wenn ja, wohin? Wer weiß? Ich habe nie verstanden, warum manche Geister eines Tages verschwinden und andere bleiben. Vielleicht finde ich es erst heraus, wenn ich selbst ein Geist werde. Was hoffentlich nicht passiert!«, setzte sie hinzu, während sie sich bei mir und Ella einhakte. »Ich würde es wirklich vorziehen, einfach nur tot zu sein. Und jetzt muss ich ins Bett. Dieser Fuß bringt mich um. Vielleicht lass ich ihn mir doch absägen.«

Das war es.

Ella und ich sprachen nicht ein Wort auf der Fahrt zurück, aber es fühlte sich gut an, dass sie neben mir saß.