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Jetzt trampeln im Lohnhof Polizistenstiefel durch die Gänge. Waffenschränke fliegen auf, Karabiner und Stahlhelme werden verteilt, Polizeihunde aus den Zwingern geholt. Jedes verfügbare Auto, jeder Lastwagen, jedes Motorrad wird mit Polizisten beladen und fährt los ins Basler Hinterland.

Zurück bleiben die Journalisten, die ihre Wurstbrote und Bierflaschen in den Papierkorb werfen und vergeblich um eine Mitfahrgelegenheit betteln. Erst als die ersten Bürger eintreffen, die der Polizei freiwillig ihre Privatautos für die Verbrecherjagd zur Verfügung stellen, erlaubt der Staatsanwalt den Journalisten zuzusteigen – allerdings auf eigene Rechnung und eigene Gefahr.

Der junge Reporter von der »National-Zeitung« ergattert einen Platz auf dem Rücksitz eines Opel, der mit drei Detektiven in den Jura fährt. »Wir rasen das Birsigtal hinauf nach Ettingen. Von dort führt unser Weg bergauf durch den Wald, auf lehmweichem, glitschigem Boden klettert das Auto bergan. Unsere drei Detektive haben Befehl: Spur von Ruine Tschäpperli weg verfolgen. Beim Blockhaus auf der Felsspalte stoppen wir. Wir entsichern unsere Waffen. Zunächst untersuchen wir das Blockhaus – alles in Ordnung – Türen und Fenster hermetisch verschlossen. In großem Umkreis suchen wir die Gegend um das Blockhaus nach allfälligen Spuren ab – während einer von uns als Wachtposten beim Auto zurückbleibt. Auf der dünnen Schneedecke suchen wir eifrig nach Fußspuren – eine Viertelstunde lang streifen wir kreuz und quer, möglichst geräuschlos, durch den Wald. Plötzlich entdecken wir auf schmalem, abschüssigem Waldweg die frischen Spuren von zwei Menschen. Und wir alle sind nun überzeugt: Wir sind auf den Spuren der Mörder! Vorsichtig folgen wir dieser Spur, die zunächst steil abwärts führt. Wir gelangen zu einem weiten Schneefeld, das ringsum von einem Stacheldraht eingehagt ist. Dort verlieren wir vorläufig die Spur, finden sie aber bald wieder: Sie führt nun rechts den Wald hinauf.«

 

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Es ist fünf Uhr abends, die Dämmerung legt sich übers Land. Während der junge Reporter hinter seinen drei Detektiven durch den Wald hetzt, betreten im nahe gelegenen Städtchen Laufen zwei junge Burschen mit lehmverschmierten Hosenbeinen und Schuhen das Restaurant »Zum Bahnhof«. »Gueten-Oobe mitenand!« ruft der Größere zum Stammtisch hinüber. Sie nehmen Platz. Der Große bestellt »zwäimoll Röschti mit Brotwurscht und eme griene Salat«. Nach dem Essen ruft er: »Kennt ich denn zahle, bittschön?« Dann verschwinden die beiden in die Nacht hinaus. Die Serviererin wird kurz darauf schwören, der Große könne unmöglich ein Deutscher gewesen sein, der habe ganz einwandfrei Baseldeutsch gesprochen. Über den Kleineren könne sie nichts sagen, der habe die ganze Zeit geschwiegen.

 

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Der Reporter der »National-Zeitung« pirscht noch immer »durch den stillen Wald – stets die Spur vor den Augen. Die Schneedecke wird immer dünner und durchsichtiger – vereist! und es wird dunkel. Immer schwerer werden die Spuren erkennbar – schließlich entschwinden sie ganz im Dunkel der Nacht. Was tun? Wir wissen ungefähr, in welcher Richtung Zwingen liegt. Dorthin wollen wir. Bergab stolpern wir über lehmig-weichen Boden, klumpenweise klebt der Dreck an den Stiefeln. Plötzlich menschliche Stimmen: Mit schussbereiter Waffe pirschen wir vorsichtig den Hang hinauf. Ein Zigeunerlager! Es wird peinlich untersucht, unter lautem Geschimpfe der Nomaden. Unterwegs entdecken wir einen einsamen Bauernhof – die ›Rote Grube‹ –, eine Motorradpatrouille ist kurz vor uns dort vorbeigerast und hat die Bauersleute vor den Mördern gewarnt. Knechte zeigen uns den Weg ins Tal hinunter. Kurz vor Zwingen begegnet uns eine Autopolizeistreife – sie nimmt uns mit ins Dorf, wo wir auch unseren eigenen Wagen treffen, der mittlerweile dort angelangt war. Kurz vor sieben Uhr sitzen wir in einer kleinen Wirtschaft und stärken uns. Plötzlich stürzt schmutzbedeckt ein Polizist herein und stammelt in höchster Erregung: ›Jetzt haben sie noch einmal zwei Polizisten erschossen!‹«

 

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Wenige Minuten zuvor hat sich ein Motorrad mit Seitenwagen dem Städtchen Laufen genähert. Am Lenker sitzt der sechsundfünfzigjährige Polizeidetektiv Walter Gohl, im Seitenwagen Detektivkorporal Hans Maritz, der in den letzten vierundzwanzig Stunden nacheinander Kurt Sandweg, Waldemar Velte, den schwerverletzten Polizeimann Alfred Nafzger und Dorly Schupp einvernommen hat. Fünfhundert Meter vor Laufen fährt das Motorrad an einem Steinbruch vorbei, der rechts im Dunkeln liegt. Hans Maritz, der in drei Monaten sein fünfundzwanzigjähriges Dienstjubiläum feiern will, glaubt im Steinbruch etwas Verdächtiges gesehen zu haben. Er fordert Gohl mit Handzeichen zum Umkehren auf. Das Motorrad wendet und fährt langsam auf den Steinbruch zu. Da fallen aus dem Dunkel fünf Schüsse. Die ersten zwei treffen Detektivkorporal Maritz in den Kopf. Er ist sofort tot. Der dritte Schuss zerschmettert Gohls Unterkiefer, der vierte und fünfte dringen in seine Brust ein.