Idylle auf hohem Niveau
Der diskrete Charme von Gstaad
Was haben Polo und Käse gemein? Monsieur Biver überlegt nicht lange und sagt: Gras. Jean-Claude Biver ist ein Schnelldenker, ein Mann von Entschlusskraft, und das ist wohl nur ein Geheimnis seines Erfolges. Der charismatische Chef von Hublot und Hersteller von Schweizer Luxusuhren liebt außer Chronometern noch zwei Dinge: Rassepferde und Simmentaler Kühe. Hochleistungstiere, die gutes Gras brauchen. Aus der Milch seiner achtzig Weltklasserinder produziert Biver, der zudem leidenschaftlicher Gourmet ist, jährlich fünftausend Käselaibe auf der eigenen Alp. Polopferde symbolisieren die gleichen Werte wie seine Uhren: Tradition, Eleganz, Präzision und Vermögen. Deshalb ist Biver vom Genfersee nach Gstaad gekommen. Seine Luxusmarke ist Partner des Hublot Polo Gold Cup im August. Denn Polo ist ein Sport für Reiche, und am Rande des Turniers versucht er natürlich bei dem betuchten Gstaader Publikum seine exklusive Uhrenkollektion ins Spiel zu bringen.
Alles hängt miteinander zusammen. In Gstaad landen die Gäste mit dem Helikopter oder dem eigenen Jet auf dem kleinen Flugplatz Saanen. Die Dichte von luxuriösen Limousinen und Sterneköchen ist höher als in den meisten anderen Dörfern in der Schweiz. In dem verträumten Tal im Berner Oberland hat Reichtum Tradition. Nach Gstaad kommt Prominenz aus Adel, Wirtschaft, Finanzwelt, Kunst und Kultur, jene VIPs, die vor allem eines schätzen: in Ruhe gelassen zu werden. Die Gastgeber bieten dafür seit mindestens einem Jahrhundert die Gewähr. Diskretion ist oberstes Gebot. Schaulaufen, Programmjäger und Paparazzi, wie im mondänen Zermatt oder in St. Moritz, gibt es in Gstaad nicht.
Wie vielen Prominenten sie private Skistunden gegeben hat und wie sie heißen, wird Anita Roth nicht verraten. »Es sind viele«, sagt sie diskret. Die gelernte Apothekerin sattelte vor Jahren um, führt Gäste durchs Dorf oder erteilt Skiunterricht. »Publicity würde unserem Berufsstand das Genick brechen.« Und doch fällt es den Einheimischen manchmal schwer, den Stolz zu zähmen. Unter der Hand kursieren viele Namen der internationalen Prominenz, die den Ort schon beehrt haben. Liz Taylor und Gunter Sachs gehören dazu, Richard Burton, Roger Moore, Tony Curtis, Michael Jackson, Sophia Loren, Audrey Hepburn, Jacqueline Kennedy, Winston Churchill, der König von Spanien, Bernie Ecclestone, Yehudi Menuhin, Louis Armstrong, Tina Turner, Liza Minelli, Quincy Jones und Axel Springer.
Für die Gstaader gehören sie zum Alltag, auch wenn auf den Parkplätzen nicht nur Bentleys und Ferraris stehen. »Jeder Gast ist ein König, aber jeder König ist auch nur ein Gast«, sagt Anita und meint es philanthropisch: »Jeder von uns ist ein VIP.« Im Dorf hat man einen Sinn für das soziale Miteinander. Wer auf der Straße einen Star erkennt, rot wird und um ein Autogramm bittet, der ist hier peinlich. Furcht vor der Zukunft bedeutet in Gstaad nicht die Gletscherschmelze, sondern der Medienrummel. Deshalb rollte Ende 2009 eine bedrohliche Lawine wie ein Albtraum ins beschauliche Saanental. Starregisseur Roman Polanski wurde mit elektronischer Fußfessel in seinem Gstaader Chalet unter Hausarrest gestellt. Die USA hatten seine Auslieferung verlangt, um ihm den Prozess in einem alten Missbrauchsfall zu machen. Vor seiner Auffahrt lauerte täglich eine Meute von Journalisten und Fotografen. Zwar hatte Polanski das Gefängnis in Winterthur verlassen dürfen, doch hier saß er im Medienknast. Das reiche, ruhige Gstaad war angewidert. Als Polanski kurz darauf von der Berlinale 2010 mit dem Silbernen Bären für die beste Regie geehrt wurde, waren die Gstaader mit der »guten Presse« wieder etwas versöhnt.
Im Saanenland schätzt man Idylle auf hohem Niveau. Das Berner Oberland geizt in dieser Gegend mit Charaktergipfeln. Die Bergwelt ist eher flach, das Wasserngrat erreicht knapp die Zweitausend-Meter-Grenze, das Lauenenhorn immerhin beinah zweitausendfünfhundert Meter und der Giferspitz wenig darüber. Die sonnenverbrannten Gstaader Berghäuser, Chalets genannt, umspannen einen Höhenzug von gut tausend Metern und gehören zur Gemeinde Saanen, die aus neun Dörfern mit rund siebentausend Einwohnern besteht. Gstaad rühmt sich, nicht verschandelt zu sein. Der Chaletstil ist ein ländlicher Haustyp, der aus Holz gefertigt ist und ein flaches Satteldach mit weitem Dachüberstand besitzt und an Charme schwer zu überbieten ist. Vorbild ist das Saanehus aus dem 16. Jahrhundert, das etwas außerhalb des Zentrums überdauert hat. Feine farbige Schnitzereien schmücken die Fassade, zwei Treppen schwingen sich an den Seiten empor, an den Balkonen Geranienromantik. Seit 1958 gibt es strikte Bauvorschriften, um den traditionellen Dorfcharakter zu bewahren und Bausünden zu vereiteln. Der Grundsatz lautet: In Gstaad sind die Häuser aus Holz – Privathäuser, Hotels und Gaststätten. Eine Holzverkleidung ist das Mindeste. Mehr als drei Etagen sind nicht drin – nach oben. »Auch die Reichen müssen sich an die Bauvorschriften halten«, meint Anita. Sie weiß allerdings, dass manche Promi-Chalets drei bis vier in den Fels getriebene Kellergeschosse haben. »Was unten geschieht, geht niemanden etwas an.«
Den Aufstieg vom einfachen Bauerndorf zum exklusiven Ferienort kam Anfang des 20. Jahrhunderts. Genau genommen verdankt ihn Gstaad den Internationalen Elite-Internaten vom nahen Genfersee, die für die Kinder aus reichen Familiendynastien gegründet worden waren. Das älteste und exklusivste ist das Le Rosey, das in Gstaad 1916 eine Dependance gründete – und es ist das teuerste, was der Nobelschule einen Eintrag im Guinness Buch der Rekorde eingebracht hat. Das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes schrieb 1999 einmal, dass das Le Rosey der einzige Ort auf der Welt sei, wo Kinder auf ihre künftige Rolle als Milliardäre vorbereitet würden. Fünfzehnjährige tragen hier gebügelte Hosen, Gürtel von Hermès und das goldene Institutswappen auf dem weißen Blazer. Hinter den Internatsmauern wird hart gebüffelt; es geht um Disziplin, Verantwortung und Network. Die Zöglinge hießen Rockefeller, Rothschild, Aga Khan, Grimaldi, und auch die Kinder von John Lennon, Diana Ross, Elizabeth Taylor und Roger Moore drückten hier die Schulbank. Im Le Rosey trifft sich die globale Elite, in Gstaad wächst eine Leadership-Generation heran.
Die exklusive Schule zog immer mehr Reiche, Adlige und Stars ins Saanenland. Das gründerzeitliche Schlosshotel Gstaad Palace bot den Eltern auf Besuch seit 1915 eine standesgemäße Unterkunft, oder eines der vielen anderen Fünf-Sterne-Häuser, oder sie kauften sich auf dem »Goldhügel« gleich ein Chalet. Das Internatswesen war seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein Wirtschaftsfaktor. Außer dem Le Rosey gibt es zwei weitere Eliteschulen, die renommierte Kennedy School und die Gstaad International School.
Das exklusive Dorf schien lange eines der letzten Refugien der Reichen zu sein. Doch seit der Finanz- und Wirtschaftskrise, die das neue Millennium beschert hat, geben auch die Reichen das Geld nicht mehr ganz so leicht wie früher aus. Gstaad reagiert mit ungewohnten Maßnahmen: Der Nobelort wirbt für sich, wie jedes normale Feriendorf, um neue Gäste. Die Suche führt bis nach Russland und China. Seinem Image will man gern treu bleiben, was mit hochrangigen Veranstaltungen unterstrichen wird: dem Gourmet-Festival »Davidoff Saveurs«, dem Yehudi-Menuhin-Musikfestival, dem Golfturnier UBS Gstaad Pro-Am, dem Tennisturnier Allianz Swiss Open oder eben dem Hublot Polo Gold Cup. Die Kunst des stilvollen Verarmens muss man in Gstaad noch nicht lernen.
Sonst scheint alles zu sein, wie es immer war. Rundum sonnen sich Wiesen und Matten, auf denen im Winter Schnee liegt und im Sommer das Vieh weidet. Schnell überkommt einen das alpine Heile-Welt-Gefühl. Manchmal trotten auf der Hauptstraße sogar die braunen Kühe durch das Dorf, und dann müssen auch die Bentleys und Maybach-Limousinen warten. Wenn die Fenster der Bauernhäuser geschlossen sind oder keine Geranien davor stehen, weiß man, dass die Bauern mit den Kühen im Bergsommer sind. Auch Jakob und Erika Zumstein ziehen auf die Alp, von denen es noch um die hundert gibt. Glockengeläut und das Anschlagen von Hund Brita, wenn Gäste kommen, sind die markanten Geräusche, wenn man zur Alp Turnels aufsteigt. Sonst ist es still, oben auf neunzehnhundert Metern. Die schwarzgebräunte Hütte, unter deren Dach Mensch und Tier zusammenleben, liegt oberhalb der Waldgrenze. Auch Jakob schätzt das Simmentaler Fleckvieh, jenes Hausrind aus dem Nachbartal. »Ein robuster Weidetyp, gut im Fleisch«, sagt Jakob. Es kostet ein Vermögen, aber die Gourmets lieben es. »Hier oben wachsen viele wilde Kräuter«, freut sich Jakob. Gut für das Fleisch und den Käse, für den die Zumsteins schon eine Goldmedaille bekommen haben. »Den Unterschied zwischen Alp- und Talkäse schmeckst du genau«, erklärt Erika. »Den Unterschied von Alp zu Alp merkt nur ein Kenner.« Sie lacht, weil sie weiß, dass es von den Kennern in Gstaad viele gibt. Jakob sitzt in Gummistiefeln am langen Holztisch und schenkt einen Williamsbrand ein. Das Wasser aus dem Hahn ist Quellwasser. Erika stellt eine Schale Salat und einen großen Topf mit Spaghetti dazu, aus dem sie großzügige Portionen auf die Teller lädt, wie sie es oft für Gäste tut. Essen auf der Alp ist ein Gemeinschaftserlebnis. Zum Nachtisch gibt es Obstsalat und dicke fette Sahne, aus eigener Milch. Am nächsten Morgen macht sie aus dem Rest der geschöpften Sahne Butter. »Im Sommer kommen viele, auch die Promis«, sagt Erika. Manchmal wollen sie im Heu übernachten, manchmal nur etwas essen. Sie suchen die Natur, die meisten sind sehr zurückhaltend und bescheiden. »Hochnäsige haben wir in Gstaad nicht.«