Im Reich der hohen Erwartungen

Backstage im Grandhotel Beau Rivage-Palace in Lausanne

Fünftausend Hummer, achtzehntausend Austern, drei Tonnen Rinderfilet, 76.740 Eier, 17.400 Kilogramm Mehl, 2.760 Kilogramm Tafelbutter, dreißigtausend Liter Milch, zwanzigtausend Liter Sahne – Edouard Millet geht seine Liste im Computer durch, in der er den Verbrauch des letzten Jahres genauestens festgehalten hat; er ist Chef-Einkäufer im Beau-Rivage Palace in Lausanne. Das Grandhotel am Genfersee verbraucht von allem unvorstellbare Mengen: neuntausend Flaschen Champagner, 29.260 Flaschen Tafelwasser und zwanzig Tonnen Saftorangen, 4261 Liter Olivenöl, viereinhalb Tonnen Erdbeeren und zwölftausend Kochmützen, 53.072 Seifenstücke, 43.050 Fläschchen Duschgel, zwanzigtausend Nagelfeilen, hundertfünfzigtausend Kugelschreiber und 49.670 Pantoffelpaare. Millet ist der Herr über eine tausend Quadratmeter große Lagerfläche.

Während im Souterrain bei der Warenannahme die Lieferwagen Schlange stehen, fahren oben am Hoteleingang Limousinen und Taxis vor. Am Eingang liegt ein roter Teppich. Es ist ein ganz normaler Donnerstagnachmittag in Lausanne-Ouchy. Die kleine Drehtür des Belle-Époque-Palastes ist das Nadelöhr zum Reich der hohen Erwartungen. Durch diese Tür kommen sie alle, die Prinzen und Prinzessinnen, Bankiers, Plantagenbesitzer und Operndiven. Gratis Champagner, gut gekühlt, erwartet den Gast in jedem Zimmer, ein Tellerchen Petit Fours, hauseigene Herstellung, und frische Blumen passend zu den Raumfarben. Im Bad Bulgari-Seife, Superflausch-Bademäntel und eine Doppelbadewanne mit Sprudeldüsen. Die schönsten Suites verfügen über Seeblick und Balkon.

Seit 1861 hat das Grandhotel seinen Platz am Ufer des Genfer Sees, schräg gegenüber vom Mont Blanc. Bei den Sonderwünschen gibt es hier Möglichkeiten, an die man selbst vorher nie gedacht hat. Dreihundertvierzig Zimmermädchen-, Kellner-, Floristinnen- und Pagenhände sorgen in hundertneunundsechzig Zimmern und dreiunddreißig Suiten dafür, dass der Gast, der zu Hause alles hat, sich wie zu Hause fühlt. Verschwiegenheit ist Ehrensache. Auch dafür lieben Leute wie König Hussein von Jordanien, Prinz Charles, Michail Gorbatschow, Meryl Streep, Phil Collins und Steffi Graf das Beau-Rivage.

»Oui«, sagt Sylvie Chaperon an der Rezeption mit ihrem gewinnenden Lächeln. »Ja« ist das Lieblingswort der Chef-Concierge, die diese Männerdomäne 1998 als erste Frau in der Schweiz besetzte. Kaum ein Gästewunsch, den die Chef-Concierge mit ihrem vierzehnköpfigen Team nicht erfüllen könnte. Flugreservierungen, Ausflugstouren und Aspirin gehören zum Standardrepertoire. Die Adressen von Cartier, Gucci, Audemars Piguet und sämtlichen Bankhäusern sagen sie im Schlaf auf. Sylvie besorgt Zigarren und Ingwerstäbchen ebenso wie Zweitvillen oder Internatsplätze. Der Bruder eines arabischen Königs bestellte bei ihr Fruchtbarkeitshormone für Kamele. Sylvie trieb drei Ampullen auf. Als dann Schweizer Kühe auf dem Wunschzettel standen, musste Sylvie jedoch passen. Um keinen Preis in der Welt wollten die Bauern ihre Gescheckten in die Wüste schicken.

»Es gibt sehr anspruchsvolle und sehr bescheidene Gäste«, erklärt Resident Manager Lucas Johansson. Ansprüche zu haben, ist ihr gutes Recht, findet der zweitwichtigste Mann im Hause, der offenbar nie schlaflose Nächte hat. Nur wenn sehr anspruchsvolle Gäste das erste Mal kommen, wird es spannend. »Der Reiz des Neuen«, plaudert er lässig dahin, als brauchte er nur an der Öllampe zu reiben. Irmgard Müller leitete das Grandhotel schon in den siebziger Jahren. »Wenn Kaiser Hirohito da ist, muss alles bis zu den weißen Handschuhen des Oberkellners exakt durchgeplant sein«, erinnert sich die Direktorin, die schon viele Hotelbeben gemanagt hat. »Ein Körnchen Sand im Getriebe, und es brechen Katastrophen aus.« Das Gegenteil ist bei Arabern der Fall. »Außer den fünf Gebeten am Tag ist dann nichts geregelt«, sagt die charmante Grand Dame. Alles andere muss sich fügen. Sie weiß auch noch, dass Madame Fox von Century Fox Movie einmal eine Wand aus ihrer Suite herausreißen ließ, um es etwas geräumiger zu haben. Oder die Geschichte mit Juan Antonio Samaranch, der 1990 für König Juan Carlos von Spanien ein Festessen gab. Minuten vor der Vorspeise entschied der Ex-IOC-Präsident plötzlich, dass er die Tafel lieber im Garten hätte. »Das war eine echte Herausforderung«, lacht Frau Müller – zum Glück ging alles glatt.

»Viele Gästewünsche haben wir schnell im Griff, weil wir uns auf Landesgewohnheiten einstellen«, sagt Resident Manager Johansson. Der islamische Gast findet einen Gebetsteppich mit Kompass im Zimmer, damit er gleich weiß, wo Mekka liegt. Amerikaner brauchen große Suiten, weil sie mit Bodyguard, Nanny und Gepäck wie für den Umzug kommen. Araber brauchen viele Suiten, weil sie nie ohne ihre weitverzweigte Familie reisen – manchmal mit fünfhundert Personen. Ganz typisch: Ein Amerikaner bleibt nur eine Nacht, aber jedes Hemd aus seinen fünfzehn Koffern muss frisch aufgebügelt werden. Wünsche, die nur mit einem hohen Mitarbeiterstamm zu bewältigen sind.

Anweisungen, wie das Frühstücksei oder der Toast auszusehen haben, na klar. Austern morgens um vier. Keep smiling, sagt sich der Kellner. Das persönliche Glück reicht von den Feinheiten der Teezubereitung bis zum gewohnten Griff auf das Silbertablett. Roomservice-Chef Pierre Fauchon zupft aus einem Karteikasten eine Zeichnung mit detaillierten Regieanweisungen. Da haben die Tasse und die Teekanne ihren festen Platz. Für den Zucker einen Zusatzlöffel. Croissants und Graubrot im Brotkorb nicht mischen! Manche Sonderwünsche werden bis ins winzigste Detail festgelegt. Für einige braucht er mehrere Karteikarten. Das feinlinierte Papier kennt alle Launen.

Die meisten Extrawürste bringen jedoch die Chef-Hausdame Samantha Polgar und ihre Housekeeping-Mannschaft auf Trab. Samantha führt die Equipe der Etagengouvernanten, Zimmermädchen, Portiers, Floristinnen, Näherinnen, Büglerinnen und Putzkolonnen. In ihrem Depot hortet sie Kopfkissen in acht verschiedenen Größen und Qualitäten, unvorstellbare Mengen, von hart bis ultrasoft, auch Allergikerkissen, Daunenbetten in drei verschiedenen Gewichtsklassen, Matratzen und Fußkeile. Franzosen schlafen mit Kissenrolle und unter einem Laken. Nordeuropäer verlangen nach einer Daunendecke und einem Kingsize-Bett. Japaner wünschen getrennte Betten, selbst im Honeymoon.

»Jeder Sonderwunsch wird notiert«, sagt Samantha, die langsame Bewegungen nicht kennt, »damit der Gast beim nächsten Besuch das richtige Kissen automatisch vorfindet. Eine Karteikarte gilt der Primadonna, die im Bad fünfzig verschiedenfarbige Lippenstifte aufgereiht vorfinden möchte. Und der Diplomat, der Wert darauf legt, dass die Doppelmanschetten offen gebügelt und nicht umgeklappt sind. Auf der Karte eines Leinwandhelden ist vermerkt, dass er immer genau acht Flaschen stillen Wassers einer bestimmten Marke und zehn Wassergläser vorfinden will. Oder die Gräfin, die im Bad die zwanzigfache Anzahl von Handtüchern und Vorlegern sowie fünf Paar Pantoffeln und zwei Verlängerungskabel mit vier Anschlüssen benötigt. »Manche Sachen müssen wir nicht verstehen«, sagt Samantha und lächelt weise. Es ist ein ganz normaler Donnerstagnachmittag in Lausanne-Ouchy.