Als ich »Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen« schrieb, wünschte ich mir, das Buch würde Angehörige der Kriegskinder-Jahrgänge miteinander ins Gespräch bringen – was dann auch geschah. Womit ich nicht gerechnet hatte, war die große Resonanz der Kinder jener »vergessenen Generation«, also die Kinder der Kriegskinder, im Wesentlichen Angehörige der 1960er Jahrgänge. Sie sagten, die Lektüre habe ihnen zu mehr Verständnis für ihre Eltern verholfen. Darüber hin aus signalisierten fast alle Kriegsenkel große Probleme mit Mutter oder Vater. Dabei waren die Töchter und Söhne schon zwischen 40 und 50 Jahre alt. Sie befanden sich also in einem Lebensabschnitt, in dem Menschen üblicherweise die Ablösung von ihren Eltern schon geraume Zeit hinter sich haben. Die im vorliegenden Buch wiedergegebenen Klagen über Mutter und Vater sind keine Schuldzuweisungen. Schon gar nicht handelt es sich eine pauschale Anklage gegen die Kriegskinder.
Gleichfalls berichteten viele Kriegsenkel von einem verunsicherten Lebensgefühl, von unauflösbaren Ängsten und Blockaden. Hatte man sich bis dahin als Generation ohne Eigenschaften gesehen, verblüffte und erleichterte die Kinder der Kriegskinder der Gedanke, offenbar doch generationsspezifische Probleme zu haben. Sie zogen daraus den Schluss, es könne sich lohnen, einem Themenkomplex auf den Grund zu gehen, der in der eigenen Altersgruppe auffällig oft anzutreffen ist.
Am Zustandekommen des vorliegenden Buches haben viele Menschen maßgeblich mitgewirkt, vor allem jene, die darin zahlreich zu Wort kommen – die Kriegsenkel selbst. Für ihre [14]Bereitschaft und Offenheit danke ich ihnen sehr, denn ihre Erfahrungen, Einsichten und Bekenntnisse halfen mir, etwas zunächst schwer Fassbares zu begreifen. In ihnen sehe ich die Pionierinnen und Pioniere, die sich aufgemacht haben, die Spuren der deutschen Vergangenheit in ihrer Familiengeschichte und in ihrem eigenen Verhalten oder Vermeiden zu erforschen. Indem sie über ihre Lebenswege und Hemmnisse berichteten, tragen sie dazu bei, über ein noch wenig bekanntes gesellschaftliches Thema aufzuklären. Ihre Geschichten wurde anonymisiert und ihre geänderten Namen mit einem * gekennzeichnet.
Mit diesem Buch möchte ich die Kinder der Kriegskinder einladen, sich in ihren Jahrgängen unbefangener als bislang üblich über Spätfolgen von Krieg und NS-Zeit auszutauschen. Neugier ist eine gute Voraussetzung für ein zunächst beklemmendes, später dann spannendes und in der Konsequenz Erleichterung bringendes Thema. Ich möchte die Kriegsenkel ermutigen, ihre Familiengespenster endlich aus ihrem Schatten herauszulocken, damit diese keine Verwirrung mehr stiften können.
Köln, im Januar 2009 Sabine Bode