Bei Phil & Joanna 1: 60/40

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Es war in der Woche, als Hillary Clinton doch noch ihre Niederlage eingestand. Auf dem Tisch war ein Durcheinander von Flaschen und Gläsern; und obschon der Hunger gestillt war, bewirkte eine sanfte soziale Sucht, dass sich immer wieder Hände ausstreckten, um noch eine Traube zu schnappen, einen Brocken aus dem bröseligen Käsekliff herauszubrechen oder eine Praline aus der Schachtel zu klauben. Wir hatten über Obamas Chancen gegen McCain gesprochen und darüber, ob Hillary in den vergangenen Wochen Mut bewiesen oder sich nur etwas vorgemacht habe. Wir erörterten auch, inwiefern sich Labour noch von den Konservativen unterscheide, die Straßen von London sich für die Gelenkbusse eigneten, wie groß die Wahrscheinlichkeit eines Al-Qaida-Anschlags während der Olympiade von 2012 sei und wie der Treibhauseffekt sich auf den englischen Weinbau auswirken könnte. Joanna, die zu den letzten beiden Themen geschwiegen hatte, sagte jetzt mit einem Seufzer:

»Wisst ihr was, jetzt hätte ich wirklich Lust auf eine Zigarette.«

Alle schienen leise auszuatmen.

»Genau in Situationen wie dieser, nicht wahr?«

»Das Essen. Dieses Lamm, übrigens …«

»Danke. Sechs Stunden. So wird es am besten. Und Sternanis.«

»Dann der Wein …«

»Nicht zu vergessen die Gesprächspartner.«

»Als ich aufhören wollte, ging mir vor allem die Missbilligung auf den Zeiger. Du fragst, ob es jemandem was ausmacht, alle sagen ›Nein‹, aber du spürst, wie sie sich abwenden und möglichst nicht einatmen. Und dich entweder bemitleiden, was herablassend wirkt, oder dich geradezu hassen.«

»Und dann gab es nie einen Aschenbecher, sondern man hat das Haus auf den Kopf gestellt, bis man nach übertrieben langer Suche eine einsame Untertasse gefunden hatte.«

»Die nächste Stufe war dann: hinausgehen und sich zu Tode frieren.«

»Und wenn du sie dann in einem Blumentopf ausgedrückt hast, haben sie dich angeschaut, als hättest du einer Geranie Krebs angehängt.«

»Ich habe meine Kippen in der Handtasche nach Hause mitgenommen. In einer Plastiktüte.«

»Wie Hundescheiße. Wann hat das eigentlich angefangen? Etwa zur selben Zeit? Dass die Leute mit über die Hand gestülpten Plastiktüten rumspazieren und darauf warten, dass ihr Hund scheißt.«

»Ich stelle mir immer vor, die muss doch warm sein. Dann fühlst du durch eine Plastiktüte warme Hundescheiße.«

»Muss das sein, Dick?«

»Ich habe jedenfalls noch nie gesehen, dass einer gewartet hätte, bis sie abkühlt. Du vielleicht?«

»Diese Pralinen, um das Thema zu wechseln. Warum entspricht das Bild auf der Verpackung nie dem, was innen drin ist?«

»Oder verhält es sich vielleicht umgekehrt?«

»Umgekehrt wird ein Schuh draus.«

»Die Bilder außen drauf sind nur eine Approximation. Wie auf einer kommunistischen Speisekarte. Eine Art Idealbild. Man muss sie als Metaphern betrachten.«

»Die Pralinen?«

»Nein, die Bilder.«

»Ich habe früher sehr gern Zigarren geraucht. Es musste keine ganze sein. Eine halbe reichte.«

»Die haben unterschiedliche Arten von Krebs verursacht, nicht wahr?«

»Wer? Was?«

»Zigaretten, Pfeifen, Zigarren. Bekam man von Pfeifen nicht Lippenkrebs?«

»Und von Zigarren?«

»Was besonders Vornehmes!«

»Was soll denn das sein, eine vornehme Form von Krebs? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?«

»Arschkrebs muss wohl das Hinterletzte sein.«

»Dick, also wirklich.«

»Hab ich was gesagt?«

»Herzkrebs – gibt es so was?«

»Nur metaphorisch, würde ich sagen.«

»George VI. – war das die Lunge?«

»Oder der Kehlkopf?«

»Wie auch immer, es war ein weiterer Beweis für seine Volksnähe, nicht wahr? Er ist ja auch während der Bombardierungen im Buckingham Palace geblieben und dann durchs zerstörte East End gegangen und hat den Leuten die Hand geschüttelt.«

»Und dass er eine gewöhnliche Form von Krebs bekommen hat, habe dazu gepasst, willst du das sagen?«

»Ich weiß auch nicht so recht, was ich sagen will.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Hände schütteln gegangen ist – als König.«

»So, mal was Ernsthaftes: Obama, McCain, Clinton – wer von den dreien hat zuletzt geraucht?«

»Bill oder Hillary?«

»Hillary natürlich.«

»Was Bill mit Zigarren veranstaltet hat, wissen wir ja.«

»Schon, aber hat er sie danach geraucht?«

»Oder in einem speziellen Humidor aufbewahrt, wie sie ja ihr Kleid aufbewahrt hat?«

»Er könnte sie versteigern lassen und so Hillarys Kampagnenschulden bezahlen.«

»McCain hat bestimmt geraucht, als er Kriegsgefangener war.«

»Obama hat sich bestimmt ein, zwei Joints reingezogen.«

»Ich möchte wetten, Hillary hat nie inhaliert.«

»An ihrem Rauchen sollt ihr sie erkennen.«

»Als Amerikaner vom Dienst hier möchte ich sagen: Obama war ein starker Raucher. Als er zu kandidieren beschloss, hat er sich auf Nicoretten verlegt. Er soll aber rückfällig geworden sein.«

»Sympathisch, der Mann.«

»Wenn jetzt einer von denen in dieser Beziehung sündigen und dabei fotografiert würde – würde das jemanden kümmern?«

»Kommt drauf an, welchen Grad und welche Spielart der Zerknirschung er an den Tag legt.«

»Wie Hugh Grant nach dem Blowjob in seinem Auto.«

»Die Dame hat auf jeden Fall inhaliert.«

»Dick, hör auf. Nehmt ihm die Flasche weg.«

»Grad und Spielart der Zerknirschung – schön gesagt.«

»Wobei Bush sich nie dafür entschuldigt hat, dass er mal eine Koksnase war.«

»Er hat damit auch niemand anderen gefährdet.«

»Hat er sehr wohl.«

»Was? Wie beim Passivrauchen? Also vom Passivkoksen habe ich noch nie gehört.«

»Es sei denn, der Kokser muss niesen.«

»Das hat auf andere also keine schädlichen Auswirkungen?«

»Na ja: Wenn du stundenlang jemandem zuhören musst, der von sich selbst besoffen vor sich hin labert …«

»Übrigens …«

»Ja?«

»Wenn Bush in seinem früheren Leben also ein Alki war, wie es heißt, und eine Koksnase, dann erklärt das einiges an seiner Präsidentschaft.«

»Du meinst von wegen Hirnschaden.«

»Nein, von wegen Absolutismus des geheilten Süchtigen.«

»Du hast heute vielleicht Formulierungen drauf.«

»Na ja, das ist schließlich mein Beruf.«

»Der Absolutismus des geheilten Süchtigen. Tja, Pech für die Leutchen in Bagdad.«

»Wenn ich euch recht verstehe, wollt ihr sagen: Es kommt drauf an, was jemand raucht.«

»Von Zigarren wurde ich jedenfalls ganz locker.«

»Von Zigaretten war ich manchmal so aufgeputscht, dass ich ein Kribbeln in den Beinen bekam.«

»Genau, daran kann ich mich auch erinnern.«

»Ich kannte einen, der hat den Wecker gestellt, damit er mitten in der Nacht noch eine rauchen konnte.«

»Wer war das, Schatz?«

»Vor deiner Zeit.«

»Das will ich verdammt noch mal hoffen.«

»Hat jemand gesehen, was über Macmillan in der Zeitung stand?«

»Den von der Krebshilfe?«

»Nein, den ehemaligen Premierminister. Als er Finanzminister war, 55, 56 um den Dreh rum. Da gab es eine Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs. ›Verfickt‹, dachte er, ›wo soll das Geld herkommen, wenn wir Fluppen verbieten müssen? Dann müssten wir die Einkommensteuer um 15 Prozent erhöhen.‹ Dann sah er sich die Zahlen an, ich meine die Sterblichkeitsraten. Lebenserwartung eines Rauchers: 73. Lebenserwartung eines Nichtrauchers: 74.«

»Stimmt das?«

»So stand’s in der Zeitung. Worauf Macmillan auf den Bericht schrieb: ›Finanzministerium hält Staatseinkünfte für wichtiger.‹«

»Ganz schön verlogen.«

»War Macmillan Raucher?«

»Pfeife und Zigaretten.«

»Ein Jahr. Ein Jahr Unterschied. Erstaunlich, wenn man es bedenkt.«

»Vielleicht sollten wir alle wieder anfangen. Bloß hier an diesem Tisch. Klammheimlicher Widerstand gegen eine Welt der politischen Korrektheit.«

»Warum soll man sich nicht zu Tode rauchen? Wenn man nur ein Jahr verliert.«

»Vergiss nicht, dass du entsetzliche Schmerzen und andere Beschwerden bekommst, bevor du dann mit 73 stirbst.«

»Reagan hat für Chesterfield geworben, nicht? Oder war es Lucky Strike?«

»Wo ist da der Zusammenhang?«

»Es muss doch einen geben.«

»Ganz schön verlogen.«

»Das hast du schon mal gesagt.«

»Stimmt aber. Deshalb sag ich es. Die Regierung sagt den Leuten, es sei schädlich für sie, und lebt derweil von den Steuern. Die Zigarettenhersteller wissen, dass es schädlich ist, und verkaufen das Zeug in der Dritten Welt, weil sie hier verklagt werden.«

»In den Entwicklungsländern, nicht der Dritten Welt. Das sagt man nicht mehr.«

»Den Krebsentwicklungsländern.«

»Und dann die Geschichte mit Humphrey Bogart. Könnt ihr euch erinnern? Die wollten eine Briefmarke mit ihm drauf machen, aber auf dem Foto hat er geraucht, und da haben sie das wegretuschiert. Sonst hätten die Leute ja die Marke aufkleben, Bogey rauchen sehen und plötzlich denken können: Was für eine gute Idee!«

»Die schaffen es bestimmt noch, die Raucherei aus den Filmen rauszuschneiden. So wie sie Schwarz-Weiß-Filme kolorisieren.«

»In meiner Jugend in Südafrika hat die Zensurbehörde jeden Film geschnitten, in dem Weiße und Schwarze normalen Kontakt miteinander hatten. Von Heiße Erde sind gerade mal vierundzwanzig Minuten übrig geblieben.«

»Ach, die meisten Filme sind eh zu lang.«

»Wusste gar nicht, dass du in Südafrika aufgewachsen bist.«

»Außerdem haben in den Kinos immer alle geraucht. Könnt ihr euch erinnern? Vor der Leinwand war eine Wand von Tabakdunst.«

»Aschenbecher in den Armlehnen.«

»Genau.«

»Aber was Bogey und die Raucherei betrifft … Manchmal, wenn ich mir einen alten Film anschaue, und da gibt es eine Szene in einem Nightclub mit einem Paar, das trinkt und raucht und coole Sprüche klopft, dann denke ich: ›Verdammt, das hat einfach Stil‹, und dann denke ich: ›Könnte ich jetzt gleich eine Zigarette und einen Drink haben?‹«

»Es hatte sehr wohl Stil.«

»Bis auf den Krebs.«

»Bis auf den Krebs.«

»Und die Verlogenheit?«

»Na ja, du darfst einfach nicht inhalieren.«

»Passivverlogenheit?«

»Das gibt es. Und wie.«

»Ist ›kolorisieren‹ eigentlich das richtige Wort?«

»Will noch jemand Kaffee?«

»Nur, wenn du eine Zigarette hast.«

»Das gehörte immer dazu, nicht wahr? Die Zigarette zum Kaffee.«

»Ich glaube nicht, dass wir welche im Haus haben. Jim hat das letzte Mal, als er hier war, Gauloises dagelassen, aber die waren so stark, dass wir sie weggeschmissen haben.«

»Und diese Freundin von dir hat Silk Cuts dagelassen, aber die sind zu schwach.«

»Letztes Jahr waren wir in Brasilien, und dort sind die Warnungen auf den Päckchen geradezu apokalyptisch. Farbige Bilder von Scheußlichkeiten: Babys mit Missbildungen, eingelegte Lungen und solches Zeug. Und dann die Warnungen … Nicht so höfliche Formulierungen wie ›Die Regierung Ihrer Majestät‹ oder ›Warnung des Gesundheitsministers‹. Die schildern drastisch, was draufgeht. Da ging einmal einer in ein Geschäft und kaufte ein Päckchen … weiß nicht mehr, was. Er kommt raus, liest die Warnung, geht wieder rein, gibt das Päckchen zurück und sagt: ›Die machen impotent. Haben Sie welche, die Krebs verursachen?‹«

»Aha.«

»Also ich fand’s lustig.«

»Vielleicht hast du ihnen die Geschichte schon mal erzählt, Schatz.«

»Lachen könnten die Arschgeigen trotzdem. Immerhin trinken sie meinen Wein.«

»Es liegt eher daran, wie du die Geschichte erzählt hast, Phil. Bisschen langatmig.«

»Arschloch.«

»Ich glaube, wir haben noch etwas Gras, das jemand dagelassen hat.«

»Ach ja?«

»Ja, in der Kühlschranktür.«

»Wo in der Kühlschranktür?«

»In der Ablage mit dem Parmesan und dem Tomatenmark.«

»Und wer hat es dagelassen?«

»Weiß nicht mehr. Es muss ziemlich alt sein. Hat wohl keinen Saft mehr.«

»Keinen Saft mehr? Gras?«

»Alles verliert mit der Zeit den Saft.«

»Präsidentschaftskandidaten?«

»Die ganz besonders.«

»Ich hatte es Doreena angeboten.«

»Wer ist Doreena?«

»Unsere Putzfrau.«

»Eine Putzfrau namens Doreena, die …«

»Bloß keinen Limerick!«

»Du hast es Doreena angeboten?«

»Allerdings. Verstößt das gegen das Arbeitsgesetz oder was? Sie hat es aber nicht gewollt. Sie hat gesagt, darüber ist sie hinaus.«

»Du lieber Gott, so weit kommt’s noch, dass Putzfrauen geschenkte Drogen ablehnen!«

»Natürlich, wir wissen ja, dass Zigaretten schneller süchtig machen als alles andere: Alkohol, weiche Drogen, harte Drogen. Sogar schneller süchtig als Heroin.«

»Das wissen wir?«

»Ich hab’s in der Zeitung gelesen. Zigaretten: Platz eins.«

»Dann wissen wir’s?«

»Schneller süchtig als Macht?«

»Sehr gute Frage!«

»Wir wissen auch – und das hab ich nicht aus der Zeitung –, dass alle Raucher Lügner sind.«

»Willst du damit sagen, wir seien alles ehemalige Lügner?«

»Genau. Ich eingeschlossen.«

»Geht’s vielleicht ein bisschen spezifischer?«

»Du belügst deine Eltern, wenn du damit anfängst. Du lügst, wenn’s darum geht, wie viele du rauchst – du unter- oder übertreibst. ›Also ich rauche vier Päckchen täglich‹, was so viel heißt wie: ›Also ich hab einen Riesenschwanz.‹ Oder dann: ›Also wir rauchen nur gelegentlich mal eine‹, was so viel heißt wie: mindestens drei täglich. Und dann lügst du, wenn du es aufgeben willst. Und dann lügst du dem Arzt gegenüber, wenn du Krebs hast: ›Wieso, ich hab doch nie viel geraucht?‹«

»Bisschen verbiestert, würd ich sagen.«

»Stimmt aber. Sue und ich haben einander betrogen.«

»Da-vid!«

»Ich spreche von Zigaretten, Liebling. Die ›Ich-hatte-nur eine-nach-dem-Mittagessen-Nummer.‹ Und: ›Nein, die anderen haben geraucht. Drum riecht das so.‹ Das haben wir beide praktiziert.«

»Dann müssen wir der Nichtraucherin die Stimme geben. Wählt Hillary.«

»Zu spät. Außerdem lügen Raucher nur in Sachen Rauchen, glaube ich. Wie Trinker in Sachen Trinken.«

»Stimmt nicht. Ich habe Trinker gekannt. Schwere Trinker lügen in jeder Hinsicht. Damit sie trinken können. Auch ich habe in anderer Hinsicht gelogen – damit ich rauchen konnte. So zum Beispiel: ›Ich geh mal kurz an die frische Luft‹ oder ›Nein, ich muss los, die Kinder brauchen mich.‹«

»Will heißen: Raucher und Trinker sind ganz allgemein verlogen.«

»Wählt Hillary.«

»Will heißen: Alle Lügner lügen kategorisch.«

»Das ist mir zu philosophisch zu dieser fortgeschrittenen Stunde.«

»Außerdem lügen sie sich selbst in die Tasche, das kommt noch dazu. Jerry, ein Freund von uns, war ein großer Raucher, das war noch diese Generation. Als er in den Sechzigern war, ließ er einen Check-up machen, und da hieß es, er hat Prostatakrebs. Er entschied sich für einen radikalen Eingriff. Die haben ihm die Eier gekappt.«

»Die Eier gekappt?«

»Genau.«

»Dann – hatte er nur noch seinen Schwanz?«

»Nein, sie haben ihm künstliche Eier reingemacht.«

»Und woraus sind die?«

»Weiß nicht, Plastik, glaube ich. Sie sind gleich schwer, du merkst es also nicht.«

»Du merkst es nicht?«

»Sind die dann auch so frei beweglich wie die richtigen?«

»Sind wir nicht etwas vom Thema abgekommen?«

»Wisst ihr, wie Eier in der französischen Umgangssprache heißen? Valseuses. Walzertänzerinnen. Eben weil sie beweglich sind.«

»Ist das nicht weiblich? Valseuses, meine ich.«

»Doch.«

»Warum sind Klöten auf Französisch weiblich?«

»Wir sind eindeutig vom Thema abgekommen.«

»Testicules ist nicht weiblich. Aber valseuses.«

»Weibliche Klöten. Das bringen nur Franzosen.«

»Kein Wunder, dass die gegen den Irak-Krieg waren.«

»Na und. Alle an diesem Tisch ebenso.«

»Ich war irgendwie so 60/40.«

»Wie kannst du bei so etwas wie Irak 60/40 sein? Und bei der Theorie, die Erde sei eine Scheibe, bist du da auch 60/40?«

»Genau. Da bin ich auch 60/40.«

»Wie auch immer, ich habe von Jerry gesprochen, weil er gesagt hat, er sei erleichtert, dass es die Prostata sei. Er hat gesagt: ›Wäre es Lungenkrebs gewesen, hätte ich aufhören müssen zu rauchen.‹«

»Der hat also weitergeraucht?«

»Ja.«

»Und?«

»Ein paar Jahre war er okay. Mehrere Jahre. Dann kam der Krebs wieder.«

»Hat er dann aufgehört?«

»Nein. Er hat gesagt, in diesem Stadium habe das keinen Sinn mehr. Er möchte es lieber noch genießen. Ich weiß noch, wie wir ihn das letzte Mal im Krankenhaus besucht haben. Da saß er im Bett, sah sich das Cricket-Match an, und vor ihm ein Riesenaschenbecher voller Kippen.«

»Die haben ihn im Krankenhaus rauchen lassen?«

»Er hatte ein Einzelzimmer. Es war eine Privatklinik. Und es ist ein paar Jahre her. Er hatte bezahlt, das war sein Zimmer. So sah er das.«

»Und warum erzählst du uns von diesem Mann?«

»Weiß ich auch nicht mehr, wegen euch hab ich den Faden verloren.«

»Sich in die Tasche lügen.«

»Stimmt. Sich in die Tasche lügen.«

»Also für mich hört sich das nach dem genauen Gegenteil an: Der hat doch ganz genau gewusst, was er gemacht hat. Vielleicht fand er einfach, das sei ihm die Sache wert.«

»Genau das meine ich mit ›sich in die Tasche lügen‹.«

»Dann musst du Raucher gewesen sein, damit du mal Präsident werden kannst.«

»Ich glaube, Obama schafft das. Ich als Amerikaner vom Dienst.«

»Ich auch. Na ja, sagen wir 60/40.«

»Du bist ein Liberaler, deshalb bist du bei allem 60/40.«

»Ich bin mir da nicht so sicher.«

»Siehste, er ist 60/40 sogar in der Frage, ob er 60/40 ist.«

»Übrigens, bei Reagan liegst du falsch.«

»Hat er nicht für Chesterfield geworben?«

»Nein, was ich sagen will: Der ist nicht an Lungenkrebs gestorben.«

»Hab ich auch nie behauptet.«

»Nicht?«

»Nein. Der hatte Alzheimer.«

»Statistisch gesehen bekommen Raucher viel seltener Alzheimer als Nichtraucher.«

»Weil sie in dem Alter, wo man das normalerweise kriegt, schon tot sind.«

»Neue brasilianische Zigarettenpäckchenwarnung: ›Diese Zigaretten helfen gegen Alzheimer.‹«

»Neulich haben wir mal wieder die ›New York Times‹ gelesen. Im Flugzeug. Da war etwas drin über eine Studie zur Lebenserwartung und den jeweiligen Kosten für den Staat oder vielmehr das Land je nach Todesart. Und so eine Statistik hat man Macmillan – wann gegeben?«

»55, 56, glaub ich.«

»Die kannste vergessen. Wahrscheinlich war die schon damals falsch. Als Raucher stirbst du in der Regel Mitte siebzig. Wenn du dick bist, stirbst du in der Regel mit achtzig. Und wenn du ein gesunder, nicht dicker Nichtraucher bist, stirbst du in der Regel mit 84.«

»Und dafür braucht man eine Studie?«

»Nein, eine Studie braucht man, um Folgendes festzuhalten: Was die Gesundheitsversorgung den Staat kostet. Und jetzt kommt’s: Die Raucher sind die Billigsten. Dann kommen die Dicken. Und all die gesunden, nicht dicken Nichtraucher, die kosten das Land am allermeisten.«

»Unglaublich. Das ist das Wichtigste, was heute Abend gesagt worden ist.«

»Abgesehen davon, wie gut das Lamm war.«

»Da brandmarkt man die Raucher, besteuert sie, bis sie Blut pissen, und zwingt sie, an Straßenecken im Regen zu stehen, statt ihnen zu danken, dass sie es dem Land so leicht machen.«

»Ganz schön verlogen.«

»Außerdem sind Raucher netter als Nichtraucher.«

»Abgesehen davon, dass sie Nichtrauchern Krebs anhängen.«

»Meines Wissens entbehrt die Theorie des Passivrauchens jeglicher medizinischen Grundlage.«

»Meines Wissens auch. Wobei ich kein Arzt bin. So wenig wie du.«

»Ich glaube, man muss das eher metaphorisch sehen. Im Sinne von: Komm mir nicht ins Gehege.«

»Metaphorisch für die amerikanische Außenpolitik. Sind wir jetzt wieder beim Irak?«

»Was ich sagen wollte, war, äh: Als alle rauchten, hatte ich das Gefühl, die Nichtraucher seien netter. Jetzt ist es umgekehrt.«

»Die verfolgte Minderheit ist immer netter. Ist das der tiefere Sinn von dem, was Joanna uns sagen will?«

»Was ich sagen will: Es hat so was von einer Schicksalsgemeinschaft. Wenn du zu jemandem gehst, der vor einem Pub oder Restaurant auf dem Gehsteig steht, und von dem eine Zigarette abkaufen willst, gibt er dir immer eine.«

»Ich dachte, du rauchst nicht?«

»Tu ich auch nicht, aber wenn ich es täte, würde man mir eine geben.«

»Ich stelle einen interessanten Wechsel zum Konjunktiv fest.«

»Ich hab’s ja gesagt: Alle Raucher sind Lügner.«

»Hört sich an nach etwas, was ausdiskutiert werden sollte, wenn wir alle gegangen sind.«

»Worüber lacht Dick jetzt gerade?«

»Ach, künstliche Eier. Allein schon die Idee. Oder der Ausdruck. Lässt sich bestimmt auch auf anderes anwenden, zum Beispiel die französische Außenpolitik, Hillary Clinton.«

»Dick

»Tschuldigung, ich bin da etwas altmodisch.«

»Ein altmodischer Kindskopf.«

»Aua. Aber Mami, wenn ich mal groß bin, darf ich dann rauchen?«

»Das ganze Gerede davon, dass Politiker Saft in den Eiern brauchen. Das ist doch Quatsch mit Soße.«

»Touché.«

»Also mich wundert ja, dass dieser Freund von euch nicht zum Arzt oder Chirurgen gegangen ist und gesagt hat: ›Kann ich bitte einen anderen Krebs haben als den, der macht, dass Sie mir die Eier abschneiden?‹«

»So war es ja nicht. Er konnte auswählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Er selbst hat sich für die Radikallösung entschieden.«

»Kann man wohl sagen. Nix 60/40.«

»Wie willst du 60/40 machen, wenn du nur zwei Eier hast?«

»60/40 ist eine Metapher.«

»Ach ja?«

»Um diese Zeit ist alles eine Metapher.«

»Könntest du uns dafür ein buchstäbliches Taxi bestellen?«

»Erinnert ihr euch an den Morgen nach einer durchrauchten Nacht? Den Zigarettenkater?«

»Fast jeden Morgen. Der Hals. Die trockene Nase. Die Brust.«

»Und wie er deutlich anders war als der Kater vom Trinken, den man oft gleichzeitig hatte.«

»Alkohol lockert, Tabak macht dicht.«

»Hä?«

»Rauchen zieht die Blutgefäße zusammen. Drum hat man am Morgen nie scheißen können.«

»Ach deshalb?«

»Als Nicht-Arzt würde ich sagen: Das war dein Problem.«

»Dann sind wir also wieder da, wo wir angefangen haben?«

»Nämlich?«

»Bei den umgestülpten Plastiktüten und …«

»Dick, jetzt müssen wir aber wirklich ...«

Doch wir gingen nicht. Wir blieben, und wir redeten weiter und kamen zum Schluss, dass Obama McCain besiegen werde, dass die Konservativen sich nur vorübergehend nicht von Labour unterscheiden ließen, dass al-Qaida während der Olympiade 2012 ganz bestimmt ein Attentat verüben werde, dass die Londoner in ein paar Jahren Heimweh nach den Gelenkbussen haben werden, dass man in ein paar Jahrzehnten wie zur Zeit der alten Römer am Hadrianswall wieder Weinberge anlegen werde und dass es, solange dieser Planet existiere, aller Wahrscheinlichkeit nach immer irgendwo irgendwelche Leute geben werde, die rauchen, diese gottverdammten Glückspilze.