Die Welt des Gärtners

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Im achten Jahr ihrer Beziehung hatten sie den Punkt erreicht, wo sie einander nützliche Geschenke machten, Geschenke, die ihr gemeinsames Lebensprojekt untermauern sollten, statt ihre Gefühle auszudrücken. Beim Auspacken von Kleiderbügeln, Vorratsdosen, einem Oliven-Entsteiner oder einem elektrischen Bleistiftspitzer sagten sie gern: »Genau das, was ich gebraucht habe«, und das war ehrlich gemeint. Selbst Unterwäsche schien nun eher ein praktisches als ein erotisches Geschenk zu sein. Einmal hatte er ihr zum Hochzeitstag eine Karte überreicht, auf der »Ich habe alle deine Schuhe geputzt« stand – und wirklich hatte er alle Wildlederschuhe gegen Regen eingesprüht, ein Paar alte, aber immer noch getragene Tennisschuhe geweißt, die Stiefel zu militärischem Glanz aufpoliert und auch ihr übriges Schuhzeug mit Schuhcreme, Bürste, Tüchern, Lappen, körperlichem Muskeleinsatz, Hingabe und Liebe behandelt.

Ken hatte vorgeschlagen, dieses Jahr auf Geschenke zu verzichten, weil sein Geburtstag nur sechs Wochen nach dem Einzug in das Haus war, aber sie schlug das Angebot aus. Also betastete er am Samstag zur Mittagszeit behutsam die beiden vor ihm liegenden Päckchen und versuchte zu erraten, was wohl darin sein mochte. Früher hatte er laut geraten, aber wenn er das Richtige traf, war sie sichtlich enttäuscht, und wenn er alberne Vermutungen anstellte, war sie auf andere Art enttäuscht. Also sprach er jetzt nur mit sich selbst. Das erste Päckchen, weich: Das musste etwas zum Anziehen sein.

»Gartenhandschuhe! Genau das, was ich gebraucht habe.« Er probierte sie an, bewunderte die Mischung von Geschmeidigkeit und Robustheit und machte eine Bemerkung über die Lederbänder, die den gestreiften Canvas an entscheidenden Stellen verstärkten. Sie hatten zum ersten Mal einen Garten, und dies war sein erstes Paar Gartenhandschuhe.

Das andere Geschenk war eine längliche Schachtel; als er das Paket schütteln wollte, wies sie ihn darauf hin, dass manches darin zerbrechlich sei. Er zog das Klebeband vorsichtig ab, weil das Geschenkpapier zur Wiederverwendung aufgehoben wurde. In der Hülle fand er einen grünen Diplomatenkoffer aus Plastik. Stirnrunzelnd klappte er den Deckel auf und erblickte eine Reihe von Reagenzgläsern mit Korkverschluss, einen Satz Plastikfläschchen mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten, einen langen Plastiklöffel und ein Sortiment geheimnisvoller Hacken und Schaufeln. Wenn er alberne Vermutungen angestellt hätte, dann hätte er womöglich auf eine Weiterentwicklung des Schwangerschaftstests getippt, den sie vor langer Zeit einmal verwendet hatten, als sie sich noch Hoffnungen machten. Jetzt behielt er den Vergleich lieber für sich. Stattdessen las er den Titel auf dem Handbuch vor.

»Ein Test-Set für Bodenanalysen! Genau das, was ich gebraucht habe.«

»Die funktionieren offenbar wirklich.«

Es war ein schönes Geschenk, das etwas in ihm – was genau? – ansprach, vielleicht den Rest von Männlichkeit, den der Abbau der Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der modernen Gesellschaft noch nicht erfasst hatte. Der Mann als Forscher, als potenzieller Jäger und Sammler, als Pfadfinder: etwas von alledem. In ihrem Freundeskreis waren beide Geschlechter gleichermaßen für Einkaufen und Kochen, Hausarbeit und Kinderbetreuung, Autofahren und Geldverdienen zuständig. Außer dem Anziehen der eigenen Kleider tat der eine Partner kaum etwas, was der andere nicht ebenso gut gekonnt hätte. Und ebenso gern oder ungern übernahm. Aber ein Test-Set für Bodenanalysen, das war eindeutig Männersache. Da hatte Martha mal wieder ins Schwarze getroffen.

In dem Handbuch stand, mit dem Set könne man Bodenproben auf Kalium, Phosphat, Kaliumkarbonat sowie auf den pH-Wert testen, was immer das sein mochte. Und dann holte man sich wahrscheinlich unterschiedliches Zeug und grub das ein. Er lächelte Martha an.

»Damit können wir vermutlich auch rauskriegen, was wo am besten gedeiht.«

Als sie nur zurücklächelte, nahm er an, dass sie annahm, dass er auf das umstrittene Thema seines Gemüsebeets angespielt hatte. Seines theoretischen Gemüsebeets. Des Beets, für das es ihrer Meinung nach keinen Platz und auch überhaupt keinen Bedarf gab, schließlich fand auf dem nahe gelegenen Schulhof jeden Samstagmorgen ein Bauernmarkt statt. Ganz zu schweigen von dem Bleigehalt, das jedes so dicht an einer der wichtigsten Ausfallstraßen von London angebaute Gemüse voraussichtlich aufweisen würde. Er hatte eingewandt, dass die meisten Autos heutzutage mit bleifreiem Benzin fuhren.

»Dann eben Diesel«, hatte sie erwidert.

Er sah – immer noch – nicht ein, warum er nicht hinten an der Gartenmauer, wo schon ein Brombeerstrauch stand, ein kleines quadratisches Beet anlegen durfte. Dort könnte er vielleicht Kartoffeln und Mohrrüben anbauen. Oder Rosenkohl, der seine Süße, wie er einmal gelesen hatte, gleich nach dem ersten strengen Frost entwickelt. Oder Saubohnen. Oder irgendwas anderes. Sogar Salat. Er könnte Blattsalat und Kräuter ziehen. Er könnte einen Komposthaufen anlegen, und dann könnten sie noch mehr recyceln als jetzt schon.

Aber Martha war dagegen. Sie hatten kaum ein Angebot auf das Haus abgegeben, als Martha schon anfing, Artikel diverser Gartenbauexperten auszuschneiden und abzuheften. Viele behandelten das Thema »Wie mache ich das Beste aus einem schwierigen Stück Land?«, und was man als Besitzer eines Reihenhauses sein Eigen nannte – einen langen, schmalen, von gräulich-gelben Steinmauern umgrenzten Streifen – war unbestreitbar »ein schwieriges Stück Land«. In den schickeren Gartenzeitschriften rieten sie gern, das Beste daraus zu machen, indem man es in mehrere kleine, anheimelnde Bereiche mit unterschiedlicher Bepflanzung und unterschiedlicher Funktion aufteilte, vielleicht durch einen gewundenen Pfad verbunden. Vorher-nachher-Bilder demonstrierten die Verwandlung. Statt eines sonnigen Plätzchens war da ein kleiner Rosengarten, ein Wasserspiel, ein Rondell mit Pflanzen, die allein nach der Farbe ihrer Blätter ausgesucht worden waren, ein von Hecken umschlossenes Geviert mit einer Sonnenuhr und so weiter. Manchmal beriefen sie sich auf japanische Lehren der Gartenkunst. Ken, der sich wie die meisten Anwohner der Straße für in Rassenfragen tolerant und aufgeschlossen hielt, erklärte Martha, die Japaner hätten zwar viele bewundernswerte Eigenschaften, aber er wüsste nicht, warum sie einen japanisch angehauchten Garten anlegen sollten, schließlich liefe Martha auch nicht im Kimono herum. Insgeheim hielt er das alles für hochgestochenen Quatsch. Eine Terrasse zum Draußensitzen, am besten mit Grillplatz, dazu noch Rasen, Rabatten, ein Gemüsebeet – so sah für ihn ein Garten aus.

»Ein Kimono würde mir doch gut stehen, meinst du nicht auch?«, hatte sie gefragt und damit seine Argumentation auf den Kopf gestellt.

Und überhaupt, so versicherte sie ihm, nehme er das alles viel zu wörtlich. Sie sollten sich ja keine blühenden Kirschbäume, Kois und Gongs zulegen; vielmehr gehe es um die vernünftige Interpretation eines allgemeinen Prinzips. Im Übrigen hätten ihm ihre Lachsfilets in Sojamarinade doch immer geschmeckt, oder nicht?

»Ich wette, die Japaner bauen auch Gemüse an«, hatte er mit aufgesetzter Brummigkeit geantwortet.

Marthas Interesse für den Garten hatte ihn überrascht. Als sie sich kennenlernten, besaß sie einen Blumenkasten, in dem sie ein paar Kräuter zog; später, als sie zusammenzogen, bekamen sie Zugang zu einer gemeinschaftlichen Dachterrasse. Dort legte sie sich einige Terrakotta-Kübel mit Schnittlauch, Minze, Thymian und Rosmarin zu, wovon ein Teil, wie sie beide vermuteten, von ihren Nachbarn geklaut wurde; dazu kam noch der Lorbeerbaum, den ihre rührseligen Eltern ihnen als Unterpfand ehelichen Glücks geschenkt hatten. Der Baum war ein paar Mal umgetopft worden und stand nun unverrückbar in einem dicken Holzbottich vor ihrer Haustür.

Die Ehe ist eine Zwei-Personen-Demokratie, sagte er gern. Irgendwie war er davon ausgegangen, dass Entscheidungen über den Garten so getroffen würden wie die über das Haus, in einem von Vernunft geleiteten und zugleich mit Leidenschaft betriebenen Beratungsprozess, in dem Bedingungen aufgestellt, unterschiedliche Vorlieben berücksichtigt und Finanzen veranschlagt wurden. Infolgedessen gab es im Haus praktisch nichts, was er regelrecht hasste, und vieles, was seinen Beifall fand. Jetzt ärgerte er sich im Stillen über die ständig eintrudelnden Kataloge für Teakholzmöbel, die Gartenbauzeitschriften, die sich auf Marthas Nachttisch stapelten, und über ihre Angewohnheit, ihn zum Schweigen zu verdonnern, wenn im Radio die Stunde für den Gartenfreund kam. Er erlauschte etwas von Kräuselkrankheit und Schwarzfleckenkrankheit, von einer neuen Gefahr, die Glyzinien drohte, und Ratschläge, was man am besten unter einem Holunderbeerbaum an einem Nordhang anpflanzen sollte. Bedrohlich fand er Marthas neu erwachtes Interesse nicht, er fand es nur übertrieben.

Der pH-Wert war, wie er erfuhr, eine Maßzahl für den sauren oder basischen Charakter einer Lösung, definiert als der negative dekadische Logarithmus der Wasserstoffionenkonzentration, hier aber durch eine Formel auf eine Standardlösung von Kaliumhydrogenphthalat bezogen, die bei 15 Grad Celsius den Wert 4 hatte. Ach, scheiß drauf, dachte Ken. Man kann sich doch einfach einen Beutel Knochenmehl und einen Sack Kompost besorgen und das Zeug untergraben. Aber Ken wusste wohl, dass er eine gewisse Eigenart hatte, eine Neigung, sich mit dem Ungefähren zufriedenzugeben, sodass eine Freundin ihn einmal im Zorn ein »unsägliches stinkfaules Aas« genannt hatte – eine Bezeichnung, die ihn noch immer entzückte.

Also las er den größten Teil der Gebrauchsanleitung, die seinem Bodenanalyse-Set beilag, wählte verschiedene wichtige Stellen im Garten aus und zog stolz seine neuen Handschuhe an, dann grub er kleine Proben aus der Erde und bröselte sie in die Reagenzgläser. Während er tropfenweise Flüssigkeiten zusetzte, die Korken hineinschob und den Inhalt schüttelte, warf er hin und wieder einen Blick zum Küchenfenster in der Hoffnung, Martha würde sein professionelles Vorgehen liebevoll belächeln. Oder doch sein Bemühen um ein professionelles Vorgehen. Bei jedem Experiment wartete er die vorgeschriebene Anzahl Minuten ab, zog ein kleines Notizbuch hervor und hielt seine Befunde fest, ehe er zur nächsten Stelle weiterging. Ein-, zweimal wiederholte er den Test, wenn das erste Ergebnis zweifelhaft oder unklar gewesen war.

Am Abend war für Martha deutlich zu erkennen, dass er heiterer Laune war. Er rührte im Kaninchenfrikassee herum, beschloss, es noch weitere zwanzig Minuten köcheln zu lassen, schenkte jedem ein Glas Weißwein ein und setzte sich auf Marthas Stuhllehne. Er blickte nachsichtig auf einen Artikel über verschiedene Kiessorten hinab, spielte mit den Haaren in Marthas Nacken und sagte fröhlich lächelnd:

»Ich hab leider schlechte Nachrichten.«

Sie schaute auf und wusste nicht recht, wo dieser Satz auf einer Skala von sanfter Stichelei bis offenem Widerstand einzuordnen war.

»Ich habe den Boden analysiert. An manchen Stellen musste ich es mehrfach tun, bevor ich mir meiner Befunde sicher war. Doch jetzt kann der Gutachter Bericht erstatten.«

»Ja?«

»Nach meiner Analyse, gnädige Frau, ist in Ihrer Erde keine Erde.«

»Ich verstehe nicht.«

»Es lassen sich keine Unzulänglichkeiten im terroir ausmachen, weil in Ihrer Erde keine Erde ist.«

»Das sagtest du bereits. Und was ist da stattdessen?«

»Tja, vor allem Steine. Staub, Wurzeln, Lehm, Giersch, Hundescheiße, Katzenkacke, Vogeldreck und Ähnliches mehr.«

Er fand es gut, wie er »in Ihrer Erde« gesagt hatte.

An einem Samstagmorgen drei Monate später, als die Dezembersonne so tief stand, dass der Garten über jedes bisschen Wärme und Licht froh sein konnte, kam Ken ins Haus und warf seine Gartenhandschuhe hin.

»Was hast du mit dem Brombeerstrauch angestellt?«

»Welchem Brombeerstrauch?«

Das machte ihn noch wütender. So groß war ihr Garten ja nun nicht.

»Dem an der hinteren Gartenmauer.«

»Ach, dieses Dornengestrüpp.«

»Dieses Dornengestrüpp war ein Brombeerstrauch mit Brombeeren dran. Ich hab dir zwei gebracht und persönlich in den Mund gesteckt.«

»An dieser Mauer will ich was anpflanzen. Einen Knöterich vielleicht, aber das wäre mir nicht mutig genug. Ich dachte an eine Klematis.«

»Du hast meinen Brombeerstrauch ausgerissen.«

»Deinen Brombeerstrauch?« Sie war immer besonders abweisend, wenn sie wusste – und wusste, dass er wusste –, dass sie eine Eigenmächtigkeit begangen hatte. Die Ehe war eine Zwei-Personen-Demokratie, außer bei Stimmengleichheit, da verkam sie zur Autokratie. »Das war ein dämliches Dornengestrüpp.«

»Ich hatte damit etwas vor. Ich wollte seinen pH-Wert verbessern. Dann zurückschneiden und dergleichen mehr. Und überhaupt, du hast gewusst, dass es ein Brombeerstrauch ist. Brombeeren«, fügte er gebieterisch hinzu, »wachsen auf Brombeersträuchern.«

»Na schön, es waren schwarze Beeren dran.«

»Schwarze Beeren!« Das wurde allmählich lächerlich. »Aus diesen schwarzen Beeren macht man Brombeergelee, weil das nämlich Brombeeren sind.«

»Kannst du wohl herausfinden, was wir dem Boden zusetzen müssen, damit eine Klematis an einer nach Norden gelegenen Mauer besser gedeiht?«

Ja, dachte er, ich könnte dich sehr wohl verlassen. Doch bis dahin reg ich mich nicht auf, ich wechsle einfach das Thema.

»Wir kriegen einen strengen Winter. Die Wetten stehen nur 6 zu 4 gegen weiße Weihnachten.«

»Dann müssen wir so eine Plastikplane besorgen und alle empfindlichen Pflanzen abdecken. Vielleicht auch noch Stroh.«

»Ich werd mal im nächsten Stall vorbeischauen.« Plötzlich war er nicht mehr sauer. Wenn ihr der Garten mehr Freude bereitete, konnte sie ihn haben.

»Hoffentlich kriegen wir ganz viel Schnee«, sagte er wie ein kleiner Junge.

»Wollen wir das?«

»Jawohl. Richtige Gärtner beten um einen strengen Winter. Macht allem Ungeziefer den Garaus.«

Sie nickte; das gestand sie ihm zu. Sie beide sahen diesen Garten mit verschiedenen Augen. Ken war auf dem Land aufgewachsen und konnte es in jungen Jahren kaum erwarten, nach London zu kommen, auf die Universität, in den Beruf, ins Leben. Für ihn war die Natur entweder feindselig oder öde. Er erinnerte sich, dass er im Garten ein Buch lesen wollte und die Verbindung von wechselndem Sonneneinfall, Wind, Bienen, Ameisen, Fliegen, Marienkäfern, Vogelgezwitscher und seiner hin- und herrennenden Mutter das Lernen im Freien zum Albtraum machte. Er erinnerte sich, mit welchen Bestechungen er dazu gebracht wurde, widerwillig Schwerarbeit zu leisten. Er erinnerte sich an die horrenden Erträge der Gemüsebeete und Obstbaumkäfige seines Vaters. Seine Mutter packte die Fülle an Bohnen und Erbsen, Erdbeeren und Johannisbeeren immer brav in die Kühltruhe und warf dann jedes Jahr, wenn sein Vater nicht da war, schuldbewusst alle Beutel weg, die mehr als zwei Jahre alt waren. Ihre Küchenversion einer Fruchtwechselwirtschaft, könnte man sagen.

Martha war ein Stadtkind, das die Natur für grundsätzlich gut hielt, über das Wunder des Keimens staunte und ihn ständig zu Spaziergängen auf dem Land animieren wollte. In den letzten Monaten hatte sie den fanatischen Eifer aller Autodidakten entwickelt. Ken hielt sich für einen instinktgeleiteten Amateur, Martha hingegen für eine Technokratin.

»Schon wieder am Lesen?«, fragte er sanft, als er ins Bett ging. Sie las ein Buch über Kletterpflanzen.

»Das kann nie schaden, Ken.«

»Wie ich aus leidvoller Erfahrung weiß«, antwortete er und knipste seine Nachttischlampe aus.

Das war kein Streit, jetzt nicht mehr, das war nur eine anerkannte Wesensverschiedenheit. Für Martha war es zum Beispiel nur vernünftig, sich beim Kochen an Rezepte zu halten. »Kannst wohl kein Ei kochen, ohne ein Kochbuch aufzuschlagen?«, hatte er einmal etwas plump bemerkt. Er dagegen warf lieber nur einen kurzen Blick auf ein Rezept, um sich Anregungen zu holen, und improvisierte dann. Sie konsultierte gern Reiseführer und benutzte selbst in London einen Stadtplan; ihm waren ein innerer Kompass, Glückstreffer und das Vergnügen an kreativen Irrwegen lieber. Das führte gelegentlich zu Auseinandersetzungen im Auto.

Sie hatte ihn auch darauf hingewiesen, dass es beim Sex umgekehrt war. Er hatte sich zu ausgiebigem Bücherstudium im Vorfeld bekannt, während sie, wie sie es einmal formulierte, im laufenden Geschäft gelernt hatte. Er hatte erwidert, das solle er hoffentlich nicht wörtlich nehmen. Nicht, dass an ihrem Liebesleben irgendwas auszusetzen wäre – jedenfalls seiner Meinung nach. Vielleicht hatten sie das, was jede Partnerschaft braucht: einen Bücherwurm und ein Naturtalent.

Während er darüber nachsann, spürte er, dass sich bei ihm unversehens eine, wie ihm schien, kolossale Erektion eingestellt hatte. Er drehte sich zu Martha um und legte ihr die linke Hand auf die Hüfte, was je nach Laune als Signal interpretiert werden konnte oder auch nicht.

Martha merkte, dass er noch wach war, und murmelte: »Ich hatte an einen trachelospermum jasminoides gedacht, aber wahrscheinlich ist der Boden zu sauer.«

»Schon recht«, murmelte er zurück.

Mitte Dezember schneite es, erst ein täuschend leichter Flaum, der sich auf dem Straßenpflaster sofort in Wasser verwandelte, dann mehrere kompakte Zentimeter. Als Ken von der Arbeit nach Hause kam, lag eine dicke weiße Schicht auf den flachen Blättern des Lorbeerbaums, ein unpassendes Bild. Am nächsten Morgen ging er mit der Kamera vor die Tür.

»Diese Schweine!«, rief er ins Haus zurück. Martha kam im Morgenrock herunter. »Guck mal, diese Schweine«, wiederholte er.

Draußen stand nur ein halb mit Erde gefüllter Bottich aus Eichenholz.

»Ich weiß ja, dass manche Leute Weihnachtsbäume klauen ...«

»Die Nachbarn haben uns gewarnt«, antwortete sie.

»Ach ja?«

»Ja, Nummer 47 hat uns geraten, den Baum an der Wand anzuketten. Du hast gesagt, dir würde das Anketten von Bäumen so wenig zusagen wie in Ketten gelegte Bären oder Sklaven.«

»Hab ich das gesagt?«

»Ja.«

»Kommt mir ziemlich schwülstig vor.«

Sie hakte sich mit einem in Frottee gehüllten Arm bei ihm ein, und beide gingen ins Haus zurück.

»Sollen wir die Polizei rufen?«

»Der Baum ist wahrscheinlich schon in den hintersten Winkel von Essex verpflanzt«, erwiderte er.

»Das bringt doch kein Unglück, oder?«

»Nein, das bringt kein Unglück«, sagte er bestimmt. »Wir glauben nicht daran, dass es Unglück bringt. Da hat nur irgendein Spitzbube den Baum mit den verschneiten Blättern gesehen und wurde von einer seltenen Anwandlung ästhetischer Wonne ergriffen.«

»Du bist heute ja grenzenlos milde gestimmt.«

»Muss wohl an Weihnachten liegen. Übrigens, du wolltest doch zwischen Rosenhain und laubiger Pracht ein Wasserspiel anlegen?«

»Ja.« Sie ging nicht auf seine parodistische Ausdrucksweise ein.

»Was ist mit den Mücken?«

»Wir lassen das Wasser ständig zirkulieren. Dann haben wir keine.«

»Wie?«

»Elektrische Pumpe. Wir können ein Kabel von der Küche herauslegen.«

»In dem Fall habe ich nur noch einen Einwand. Können wir es bitte, bitte nicht Wasserspiel nennen? Wasserfall, Kaskade, Lilienteich, Minibächlein – alles, nur nicht Wasserspiel.«

»Ruskin hat gesagt, er habe immer besser arbeiten können, wenn er fließendes Wasser hörte.«

»Musste er da nicht ständig pinkeln?«

»Warum sollte er?«

»Weil das bei Männern so ist. Vielleicht solltest du gleich daneben ein Toilettenspiel anlegen.«

»Du hast heute wirklich ein sonniges Gemüt.«

Vielleicht lag es am Schnee, der heiterte ihn immer auf. Aber es lag auch daran, dass er sich insgeheim um einen Schrebergarten beworben hatte, in der Kolonie zwischen der Kläranlage und den Eisenbahngleisen. Dem Vernehmen nach war die Warteliste gar nicht so lang.

Zwei Tage später wollte er zur Arbeit gehen, machte die Haustür zu und trat direkt in einen Erdhaufen.

»Diese Schweine!« Diesmal rief er es der gesamten Straße zu.

Sie waren wiedergekommen, hatten den Bottich aus Eichenholz mitgenommen und ihm die Erde dagelassen.

Das Frühjahr stand im Zeichen einer Reihe samstagmorgendlicher Fahrten zum nächsten Gartencenter. Ken setzte Martha am Haupteingang ab, fuhr auf den Parkplatz und hielt sich länger als nötig damit auf, den Rücksitz herunterzuklappen, um Platz zu schaffen für alles, was die neueste Lektüre seiner Frau an Kompost, Lehmboden, Torf, Rindenmulch oder Kies ratsam erscheinen ließ. Dann setzte er sich vielleicht noch ein Weilchen ins Auto und sagte sich, er sei sowieso keine große Hilfe bei der Auswahl. Er zahlte bereitwillig für die Ladung des gelben Plastikwagens, der Martha gewöhnlich zur Kasse begleitete. Ja, das schien ihm das perfekte Arrangement zu sein: Er fuhr sie hin, blieb im Auto sitzen, holte sie an der Kasse ab und zahlte, dann fuhr er sie nach Hause und bezahlte noch einmal mit der Anstrengung, das ganze Zeug aus dem Auto zu holen, durchs Haus in den Garten zu schleppen und sich dabei womöglich einen Bruch zu heben.

Es hatte bestimmt etwas mit seiner Kindheit zu tun, mit grauenhaften Erinnerungen daran, wie er in Baumschulen herumstapfte, während seine Eltern Freilandpflanzen aussuchten. Nicht, dass er jetzt noch seinen Eltern die Schuld geben wollte: Wenn sie Feinschmecker und Weinkenner gewesen wären, hätte er sich womöglich zum abstinenten Veganer entwickelt, aber er hätte doch selbst die Verantwortung dafür übernommen. Dennoch hatten Gartencenter – die mit ihren Bottichen, Pflanztöpfen und Spalieren, ihren Samenbeuteln, Schösslingen und Sträuchern, ihren Bindfadenknäueln und in grünes Plastik eingeschweißten Drahtrollen, ihrem Schneckenkorn und ihren Fuchsabwehrmaschinen und Bewässerungsanlagen und Gartenfackeln ein verlogenes rus in urbe verbreiteten, all diese grünenden Gänge voller Hoffnung und Versprechen, in denen freundliche Sandalenträger mit sich schälender Haut herumstreiften und rote Plastikflaschen mit Tomatendünger schwenkten – das alles hatte etwas an sich, das ihm mächtig auf den Zeiger ging.

Und es erinnerte ihn immer an die letzten Jahre seiner Jugendzeit, Jahre, in denen bei ihm Furcht und Misstrauen gegen die Welt gerade einer zögerlichen Liebe zum Leben weichen wollten, in denen das Leben in der Schwebe hing, bevor es unwiderruflich in die eine oder andere Richtung taumeln würde, in denen sich, wie ihm nun schien, eine letzte Chance bot, klar zu sehen, bevor man endgültig in die Notwendigkeit gestürzt wurde, inmitten von anderen man selbst zu sein, und alles viel zu schnell ging, um sich ein richtiges Urteil zu bilden. Aber damals, genau damals, hatte er das Durchschauen der Heuchelei und Falschheit des Erwachsenenlebens zu seiner besonderen Spezialität entwickelt. Nur gab es in seinem Dorf in Northamptonshire keinen erkennbaren Rasputin oder Himmler; daher musste die große moralische Fehlerhaftigkeit der Menschheit aus der möglicherweise nicht repräsentativen Stichprobe des elterlichen Freundeskreises erschlossen werden. Doch das machte seine Erkenntnisse umso wertvoller. Und es war ihm ein Vergnügen gewesen, die Laster aufzuspüren, die sich unter der scheinbar harmlosen, um nicht zu sagen nutzbringenden Tätigkeit der Gartenarbeit verbargen. Neid, Gier, Missgunst, das Geizen mit Lob sowie falsche, überschwängliche Lobhudelei, Zorn, Wollust, Habsucht und verschiedene andere Todsünden, an die er sich nicht mehr erinnern konnte. Mord? Tja, warum nicht? Bestimmt hatte irgendein Holländer einen anderen Holländer um die Ecke gebracht, um in den Besitz eines dieser überaus wertvollen Sprosse oder Knollen oder wie das gleich hieß – ach ja, Zwiebeln – zu gelangen, als dieser Wahnsinn grassierte, der als Tulpenmanie in die Geschichte einging.

Auf einer normaleren, anständig englischen Skala des Bösen hatte er festgestellt, dass selbst alte Freunde seiner Eltern bei einer Tour durch den Garten verkniffen und gehässig wurden mit ihrem ständigen »Wie habt ihr das hingekriegt, dass das so früh blüht?« und »Wo habt ihr das denn aufgetrieben?« und »Habt ihr ein Glück mit eurem Boden.« Er erinnerte sich an eine dicke alte Scharteke in Tweed-Reithosen, die eines frühen Morgens vierzig Minuten lang das 2000-Quadratmeter-Grundstück seiner Eltern inspizierte und sich bei der Rückkehr nur das selbstgefällige Bulletin abrang: »Bei euch hat der Frost offenbar etwas früher eingesetzt als bei uns.« Er hatte von ansonsten tugendhaften Bürgern gelesen, die mit versteckten Baumscheren und Wilderertaschen zum Verstauen der Beute die berühmten Gärten Englands besuchten. Kein Wunder, dass an den waldigsten und idyllischsten Orten des Landes jetzt häufig Überwachungskameras und uniformierte Posten aufgestellt waren. Pflanzenklau war ein Volkssport geworden, und vielleicht hatte er sich gar nicht des fröhlichen Schnees und der Weihnachtszeit wegen so schnell von dem Diebstahl des Lorbeerbaums erholt, sondern weil dadurch eine grundlegende moralische Erkenntnis seiner Jugendzeit bestätigt worden war.

Am Vorabend hatten sie draußen auf der vor Kurzem gelieferten Teakholzbank gesessen und sich eine Flasche Rosé geteilt. Ausnahmsweise war keine geistlose Musik aus einem Nachbarhaus, keine jaulende Autoalarmanlage, kein Flugzeugdonnern zu hören gewesen; da war einfach nur Stille, die dafür von ein paar verdammt lauten Vögeln gestört wurde. Über Vögel war Ken nicht recht auf dem Laufenden, aber er wusste, dass es erhebliche Verschiebungen bei den Arten gegeben hatte: viel weniger Spatzen und Stare als früher – nicht, dass er die einen oder die anderen vermisste; ebenso Schwalben und dergleichen; bei Elstern war es umgekehrt. Er wusste nicht, was das zu bedeuten hatte oder woran es lag. Umweltverschmutzung, Schneckenkorn, Treibhauseffekt? Oder dieses verschlagene alte Biest namens Evolution. Außerdem gab es in vielen Londoner Parks auffallend viele Papageien – wenn es nicht doch Sittiche waren. Irgendein Zuchtpaar war entflohen, hatte sich vermehrt und die milden englischen Winter überlebt. Jetzt kreischten sie aus den Wipfeln von Platanen; er hatte sogar gesehen, wie sich einer am Vogelhäuschen eines Nachbarn festkrallte.

»Warum müssen diese Vögel so einen verdammten Lärm machen?«, fragte er in grüblerischem, theatralisch klagendem Ton.

»Das sind Amseln.«

»Ist das eine Antwort auf meine Frage?«

»Ja«, sagte sie.

»Würdest du das einem einfachen Jungen vom Lande bitte erklären? Warum sie so einen verdammten Krach machen müssen?«

»Sie behaupten ihr Territorium.«

»Kann man sein Territorium nicht behaupten, ohne so einen Lärm zu machen?«

»Nicht, wenn man eine Amsel ist.«

»Hm.«

Menschen, dachte er, behaupteten gleichfalls ihr Territorium; die ließen dann einfach Gerätschaften und Maschinen den Lärm für sie machen. Er hatte die Mauern neu verfugt, wo der Mörtel rausgebröckelt war, und Spaliere hochgezogen, damit die Grenzmauern zwischen den Gärten höher wurden. Er hatte rustikale Trennwände aus Holzgeflecht zwischen den verschiedenen Teilen des Gartens aufgestellt. Er hatte sogar jemanden dafür bezahlt, dass er einen gewundenen Plattenweg anlegte und ein Elektrokabel an die Stelle führte, wo sich auf Knopfdruck Wasser über große ovale Steine ergoss, die von einem fernen schottischen Strand importiert worden waren.

Außerdem verbesserte er in diesem Frühjahr den Boden, wie und wo es angezeigt war. Er grub, wo er nach Marthas Anweisungen graben sollte. Er begann einen Feldzug, der langwierig zu werden versprach, gegen den Giersch. Er fragte sich, ob er Martha noch so liebte wie früher, oder ob er nur ein eheliches Ritual vollzog, das anderen zeigen sollte, wie sehr er sie liebte. Er erfuhr, dass er auf der Warteliste für einen Schrebergarten an dritter Stelle stand. Er ahmte die Stimmen der Experten in der Stunde für den Gartenfreund nach, bis Martha meinte, das sei nun wirklich nicht mehr lustig.

Ein Klopfen dicht an seinem Ohr ließ ihn aufschrecken. Er öffnete die Augen. Martha hatte ihren bis obenhin beladenen gelben Plastikwagen selbst auf den Parkplatz geschoben.

»Ich hab dich sogar auf dem Handy angerufen ...«

»Tut mir leid, Schatz. Hab ich nicht mit. Das ist meilenweit weg. Hast du schon bezahlt?«

Martha nickte nur. Sie war nicht richtig sauer. Sie rechnete schon fast damit, dass sich sein Gehirn ausschaltete, sobald sie in einem Gartencenter ankamen. Ken stieg aus dem Auto aus und machte sich eifrig daran, den Kofferraum zu beladen. Jedenfalls ist diesmal nichts dabei, bei dem man sich gleich einen Bruch hebt, dachte er.

Martha hielt Grillen für leicht ordinär. Sie sprach das Wort nicht aus, aber das brauchte sie auch nicht. Für Ken gab es nichts Schöneres als den Geruch von Fleisch, das über weiß glühenden Kohlen brutzelt. Sie mochte weder den Vorgang noch die Gerätschaften. Er hatte vorgeschlagen, so ein kleines Dingsda anzuschaffen – wie hieß das noch gleich? – ja, Hibachi, der sei doch eigentlich eine japanische Erfindung und daher bestens geeignet für diesen kleinen Flecken von Gottes weiter Erde. Martha fand diesen neuen Japan-Witz mittellustig, ließ sich aber nicht überzeugen. Am Ende gestattete sie den Erwerb eines schicken kleinen Terrakotta-Gebildes in Form einer aufrecht stehenden Minitonne; es war eine Art folkloristischer Ofen im Sonderangebot vom Guardian. Ken musste versprechen, niemals Grillanzünder darin zu benutzen.

Jetzt, da der Sommer gekommen war, revanchierten sie sich für Einladungen aus der Zeit, als im Haus Chaos geherrscht hatte. Marion und Alex und Nick und Anne kamen um acht, als der Himmel noch hell war, aber die ohnehin nicht große Hitze des Tages allmählich nachließ. Die beiden weiblichen Gäste wünschten sofort, sie hätten Strumpfhosen angezogen und sich nicht übertrieben sommerlich gekleidet, und fanden es nicht gerade nett, dass Martha als Gastgeberin sich gegen die abendliche Kühle gewappnet hatte. Doch sie waren zu einem Essen im Freien eingeladen, also würden sie auch im Freien essen. Es wurden Witze über Glühwein und Tapferkeit in Kriegszeiten gemacht, und Alex tat, als würde er sich die Hände an dem Terrakotta-Ofen wärmen, wobei er ihn fast umgeworfen hätte.

Während Ken sich an den Hähnchenkeulen zu schaffen machte und mit einem Spieß hineinstach, um zu sehen, ob der austretende Saft klar war, absolvierte Martha mit den Gästen den »Rundgang«. Da sie nie mehr als ein paar Meter entfernt waren, konnte Ken alle Komplimente für Marthas Einfallsreichtum mit anhören. Für einen Moment wurde er wieder zum verdrossenen Jüngling, der versuchte, die Aufrichtigkeit oder Heuchelei jedes Sprechers zu bestimmen. Dann wurden seine Spaliere bewundert – dieses Lob schien ihm aus ganzem Herzen zu kommen. Gleich darauf hörte er Martha sagen, am hinteren Gartenende sei bei ihrem Einzug »nichts als ein Haufen grässlichen Beerengestrüpps« gewesen.

Das Tageslicht schwand schon, als sie sich zu ihrer Vorspeise von Birne, Walnüssen und Gorgonzola hinsetzten. Alex, der während des Rundgangs offenbar nicht aufgepasst hatte, fragte: »Habt ihr irgendwo einen Wasserhahn laufen lassen?«

Ken schaute zu Martha hin, wollte die Gelegenheit aber nicht ausnutzen. »Das ist wahrscheinlich nebenan«, sagte er. »Da geht es ziemlich drunter und drüber.«

Martha sah ihn dankbar an, darum dachte Ken, es wäre in Ordnung, wenn er seine Geschichte mit dem Test-Set für Bodenanalysen erzählte. Er spann sie ziemlich weit aus, zeichnete ein ausgiebiges Selbstporträt von sich als verrücktem Chemiker und zögerte die Pointe so lange wie möglich hinaus.

»Und dann kam ich rein und sagte zu Martha: ›Ich hab leider schlechte Nachrichten. In deiner Erde ist keine Erde.‹«

Er wurde mit Gelächter belohnt. Und Martha stimmte mit ein; sie wusste, diese Geschichte würde von nun an zu seinem ständigen Repertoire gehören.

Ken fühlte sich bestätigt und beschloss, die Gartenfackeln anzuzünden, meterhohe Wachstürme, die hellauf loderten und ihn vage an römische Triumphzüge denken ließen. Außerdem schaltete er bei der Gelegenheit das aus, was er bei sich immer nur das Wasserspiel nennen würde.

Inzwischen war es eher kalt als kühl geworden. Ken schenkte Rotwein nach, und Martha schlug vor, ins Haus zu gehen, was alle höflich ablehnten.

»Wo bleibt der Treibhauseffekt, wenn man ihn mal braucht?«, fragte Alex fröhlich.

Dann redeten sie über Heizpilze – die wirklich was brachten, aber so umweltschädlich waren, dass es asozial wäre, einen zu kaufen – und CO2-Ausstoß und nachhaltige Fischerei und Bauernmärkte und Elektroautos im Vergleich zu Biodiesel und Windparks und Solarheizungen. Ken hörte das warnende Summen einer Mücke an seinem Ohr; er kümmerte sich nicht darum und zuckte nicht einmal, als er den Stich spürte. Er saß da und genoss es, recht zu haben.

»Ich habe einen Schrebergarten bekommen«, verkündete er. Der feige Trick aller Eheleute, Eröffnungen im Beisein von Freunden zu machen. Doch Martha ließ weder Überraschung noch Enttäuschung erkennen, sie erhob nur mit den anderen das Glas auf Kens löbliches neues Hobby. Er wurde nach Kosten und Örtlichkeit befragt, nach der Bodenbeschaffenheit und seinen Plänen für die Bepflanzung.

»Brombeeren«, sagte Martha, noch ehe er antworten konnte. Sie lächelte ihm zärtlich zu.

»Wie hast du das erraten?«

»Als ich die Katalogbestellungen abgeschickt habe.« Sie hatte ihn gebeten, ihre Berechnungen zu überprüfen; nicht, dass sie nicht addieren konnte, aber da waren viele kleine Summen, die oft mit 99 Pence endeten, und überhaupt war das eine von Kens Aufgaben in ihrer Ehe. Er schrieb auch die Schecks aus, und das hatte er auch hier getan, nachdem er das eine oder andere zu der Bestellung hinzugefügt hatte. Dann hatte er sie an Martha zurückgegeben, denn sie verwaltete in ihrer Ehe die Briefmarken. »Und da fiel mir auf, dass du zwei Brombeersträucher bestellt hattest. Die Sorte hieß Loch Tay, wenn ich mich recht erinnere.«

»Dein Namensgedächtnis ist erschreckend«, sagte er mit einem Blick auf seine Frau. »Erschreckend und fantastisch.«

Es trat ein kurzes Schweigen ein, als wäre aus Versehen etwas Vertrauliches ausgeplaudert worden.

»Weißt du, was wir in dem Schrebergarten anpflanzen könnten?«, fing Martha an.

»Wieso denn wir, Bleichgesicht?«, erwiderte er, noch ehe sie weitersprechen konnte. Das war so ein Scherz unter Eheleuten, immer gewesen; doch das war diesen speziellen Freunden offenbar unbekannt, und sie wussten nicht, ob das der Überrest eines Streits war. Er wusste es übrigens auch nicht; das ging ihm inzwischen häufig so.

Als das Schweigen andauerte, sagte Marion in die Stille hinein: »Ich sag’s nicht gern, aber die Mücken stechen.« Sie hatte eine Hand am Fußknöchel.

»Unsere Freunde mögen unseren Garten nicht!«, rief Ken in einem Ton, der allen versichern sollte, dass hier wohl kaum ein Streit in der Luft lag. Und doch hatte dieser Ton etwas Hysterisches an sich, das die Gäste als Signal verstanden, sich unter Eheleuten verstohlene Blicke zuzuwerfen, ein breit gefächertes Angebot von Tee und Kaffee abzulehnen und ihre Dankesworte zum Abschied vorzubereiten.

Später rief er aus dem Badezimmer: »Haben wir noch was von dieser Kortisonsalbe?«

»Bist du gestochen worden?«

Er zeigte auf seinen Hals.

»Mein Gott, Ken, da sind ja fünf Stiche. Hast du nichts gemerkt?«

»Ja, aber ich wollte nichts sagen. Ich wollte nicht, dass jemand deinen Garten kritisiert.«

»Du Ärmster. Märtyrer. Wahrscheinlich stechen sie dich, weil du süßes Blut hast. Mich lassen sie in Frieden.«

Im Bett zogen sie, zu müde zum Lesen oder für Sex, eine erste Bilanz des Abends und bestärkten sich gegenseitig darin, ihn für einen Erfolg zu halten.

»Ach, du Scheiße«, sagte er. »Ich glaube, ich habe ein Stück Hähnchenfleisch in diesem Tonnendings liegen lassen. Vielleicht sollte ich runtergehen und es reinholen.«

»Ach, lass doch«, sagte sie.

Am Sonntagmorgen schliefen sie lange aus, und als er den Vorhang etwas zur Seite schob, um nach dem Wetter zu schauen, sah er den Terrakotta-Ofen auf der Seite liegen, und der Deckel war in zwei Teile zerbrochen.

»Verdammte Füchse«, sagte er leise, da er nicht wusste, ob Martha wach war oder nicht. »Oder verdammte Katzen. Oder verdammte Eichhörnchen. Verdammte Natur, jedenfalls.« Er stand am Fenster und überlegte, ob er sich wieder ins Bett legen oder nach unten gehen und langsam einen neuen Tag beginnen sollte.