Kapitel 4
TALIESIN
Es war das alte Problem: Wie sollte er bauen, was er vor seinem geistigen Auge sah, wie sollte er etwas Schönes errichten, damit die Menschen es betrachten und noch in hundert Jahren bewundern konnten, wenn er nicht zuerst das Geld aufbrachte, damit das Gedachte entstehen konnte? Immer war es eine Frage des Geldes. Vor vielen Jahren hatte er sich Geld von Sullivan* geliehen, um das Grundstück in Oak Park zu kaufen. Zwar konnte er das Haus nicht einfach gegen Catherines Willen verkaufen, doch er war bereits auf eine Lösung verfallen: Er würde es so umbauen, dass sie die Hälfte vermieten und so wenigstens ein regelmäßiges Einkommen haben konnte. Auf diese Weise würde er für sie und die Kinder sorgen, das war seine Verantwortung, und der würde er sich nicht entziehen - niemand sollte sagen können, dass er nicht für sie aufkam, mochten die Leute auch wegen Mamah über ihn herziehen, soviel sie wollten, mochten sie die Nase rümpfen und die Straßenseite wechseln, als wäre er ein Aussätziger. Er würde eben einen Weg finden müssen, Geld aufzutreiben, nicht nur für den Umbau, sondern auch für das neue Haus, das in seinen Träumen und auch in seinen wachen Stunden bereits Gestalt annahm: ein Ort fern dieses Durcheinanders, wo er in Frieden leben und arbeiten konnte, bis Gras über die Sache gewachsen war.
* Louis H. Sullivan war der große Chicagoer Architekt, für den Wrieto-San von 1888 bis 1893 als Zeichner arbeitete und der ihn entließ, weil er nebenbei auf eigene Rechnung Häuser entwarf (obwohl Wrieto-San, großsprecherisch wie immer, behauptete, er habe selbst gekündigt). Jedenfalls war Wrieto-San, wie wir bereits gesehen haben, geschickt, wenn es darum ging, Geld zu leihen, schien sich jedoch mit dem Gedanken an Rückzahlung nicht anfreunden zu können.
Das war etwas, was er einfach nicht verstehen konnte: wie alle sich auf ihn gestürzt hatten, als wäre er ein Axtmörder oder ein Anarchist oder dergleichen. Er hatte vor einem Jahr ein gutgehendes Architekturstudio aufgegeben, um nach Europa zu reisen und seinen Horizont zu erweitern, und jetzt hatte er nichts. Wie sollte er arbeiten, wenn niemand vertrauensvoll mit ihm verhandeln oder ihm auch nur in die Augen sehen wollte, aus Angst, er könnte sich mit Unmoral anstecken? Wie sollte er denn seinen Lebensunterhalt verdienen, wie hatten sie sich das gedacht, diese Moralapostel, gefangen in ihren kleinen, armseligen Leben, in Ehen, die so lieblos und tot waren wie die Teppiche auf den Böden der langweiligen Schachteln, die sie als ihr »Heim« bezeichneten? Es gab keine christliche Nächstenliebe - das war ja nichts weiter als ein trauriger Witz - und auch keine Vergebung. Er war noch keine drei Tage wieder zu Hause gewesen, da hatte der Reverend George M. Luccock von der First Presbyterian Church, ein Mann, den er kaum kannte, eine Predigt gegen ihn gehalten, die natürlich sogleich von den Zeitungen zitiert worden war. Die Worte hatten sich ihm ins Gedächtnis gebrannt - Wenn ein Mann seine Frau und seine Familie verlässt und zu einer anderen Frau geht, so hat er jeden Begriff von Moral und Religion verloren und ist schuldig und verdammt -, obwohl er die Zeitung zusammengeknüllt und ins Feuer geworfen hatte wie einen Schmutzlumpen. Schuldig und verdammt. Warum konnten sie ihn sein Leben nicht so leben lassen, wie er es für richtig hielt? Wer machte die Regeln, nach denen er sich richten sollte? Regeln waren für die anderen, die gewöhnlichen Menschen, für Menschen, die weder Einsicht noch Originalität oder irgendeinen Begriff von der Welt hatten, der über das hinausging, was ihnen von Reverend Luccock und seinesgleichen eingetrichtert worden war.
Nun, er würde diese Scharade in Oak Park so lange mitspielen, wie er konnte: Er war der liebevolle Vater und reuige Ehemann, der zu seiner Familie zurückgekehrt war, der die männlichen Aufgaben übernahm, den Weihnachtsbaum schmückte, Holz für den Kamin hackte, die Weihnachtsgans schlachtete und die Kinder an seine Brust drückte, doch er blickte viel weiter, als irgendeiner von denen es sich auch nur vorstellen konnte. Und während das Jahr sich rundete und er überall nach Arbeit, Aufträgen oder einfach nur Darlehen suchte, während das Haus seiner Mutter zum Verkauf angeboten wurde und Kitty vor Wut kochte und die Zeitungen sich auf irgendeinen neuen Skandal stürzten, konnte er an nichts anderes denken als an das Grundstück in Wisconsin, an den Hügel, seinen Aussichts- und Fluchtpunkt. Auf der Flanke dieses Hügels war er als Junge herumgestreift, auf seinem Gipfel hatte er gesessen und das unter ihm ausgebreitete Tal betrachtet, während Wolken über den Himmel getrieben waren und die Insekten gezirpt hatten und Hirsche aus dem Schatten getreten waren, um im hohen Gras am Waldrand zu äsen. Es war ein magischer Ort, so heiter und rein und unberührt wie der offene Himmel über ihm und die Grundmoränen unter ihm, zur einen Seite ging der Blick auf den Wisconsin, zur anderen auf das Ende des Paradieses. Und er lag genau in der Mitte des Tals, in dem seine Großeltern sich niedergelassen hatten, gegenüber dem Hang, wo die Schule seiner Tante und das Haus standen, das er für seine Schwester gebaut hatte - der beste Ort der Welt für das Haus, das Farm und Studio zugleich sein würde und das er vor seinem inneren Auge aus heimischem Holz, bernsteingelbem Putz und Stein entstehen sah, aus gelbem Dolomit, roh behauen, praktisch so belassen, wie er aus dem Steinbruch kam. Ein Haus, das das Licht einfing. Eingefasst von Obst-, Gemüse- und Ziergärten. In dem man lebte, als hätte es schon immer dort gestanden.
Darwin, der gute alte Darwin, hatte ihm Geld gegeben - eigentlich ein Darlehen, für das ein Treuhandvertrag über das Haus in Oak Park als Sicherheit diente. Fünfundzwanzigtausend Dollar, genug, um die Farbholzschnittsammlung auszulösen, die er Little als Sicherheit gegeben hatte*, die Umbauten in Oak Park zu bezahlen, die amerikanischen Rechte am Wasmuth-Portfolio zurückzukaufen und mit den Vorbereitungen für den Bau von Hillside, dem Haus für seine Mutter, zu beginnen. Das war jedenfalls das, was er Darwin erzählte. Und er gelobte auch, Mamah aufzugeben, denn Darwin missbilligte diese Beziehung ebensosehr wie alle anderen, auch wenn er es besser hätte wissen sollen. Dennoch - er war ein hochgesinnter, großzügiger und gutherziger Mann. Und er erkannte ein Genie, wenn es vor ihm stand.
* Francis W. Little. Wrieto-San hatte sich 10 000 Dollar von ihm geliehen, um seinen Europa-Aufenthalt zu finanzieren, und ihm den größten Teil seiner ukiyoe als Sicherheit gegeben. 1902 hatte er ein Haus für Little gebaut, einen der wenigen Kunden, die Wrieto-San ein zweites Mal beauftragten: Er ließ sich Northome am Minnetonka-See von ihm bauen, an jenem See in Minnesota, an dessen Ufer das Haus stand, in dem Wrieto San und Olgivanna später verhaftet wurden. So fügt sich eins zum anderen.
Aber Mamah aufgeben? Niemand konnte auch nur annähernd verstehen, was zwischen Mamah und ihm bestand, und ganz gewiss nicht Darwin Martin, der mit trübem Blick über den Esstisch hinweg seine mausgraue Hausfrau anblinzelte, oder Kitty, deren Begriff von Ehe anscheinend nicht über Küche, Wäsche, Kleidung für die Kinder sowie gewisse Blicke und Stimmungen hinausreichte. Die ganze Zeit erfüllte ihn die Sehnsucht nach Mamah mit einem unstillbaren Schmerz, einem steten, brennenden Leid, das so allgegenwärtig und körperlich spürbar war wie der Verlust eines Armes oder Beines: Er konnte nicht vor die Tür treten, er konnte nicht atmen, ohne an sie zu denken, sich nach ihr zu sehnen oder sich um sie zu sorgen, und sobald er das Geld hatte, floh er wieder nach Deutschland, um bei ihr zu sein. Das konnte er natürlich weder Darwin noch Kitty oder irgend jemand anders gegenüber zugeben: Er kehrte nur darum nach Berlin zurück, weil er die Drucklegung des Portfolios überwachen musste - eine mühselige, aber absolut unerlässliche Aufgabe, wenn nicht die Arbeit eines ganzen Jahrs umsonst gewesen sein sollte, und jedermann wusste ja, wie sehr er Schiffsreisen verabscheute.
Diesmal waren sie diskret. Sie trafen sich in einem Hotel am Tiergarten, wo die Klientel so dezent und zurückhaltend war, wie die des Adlon sich chic und mondän präsentierte. Er brauchte beinahe eine Stunde, um es überhaupt zu finden, und musste in seinem rudimentären und zusehends schlechter werdenden Deutsch Passanten fragen. Stechender Tiergeruch trieb durch die Gassen, und aus der Ferne ertönten Geheul und Gezwitscher. Als er schließlich in die Hotelhalle getreten war und sich an der Rezeption angemeldet hatte, war er so enerviert, so ungeduldig und wütend auf sich selbst - und so lüstern, so verrückt nach ihrer Berührung -, dass er sich erst einen Augenblick lang sammeln musste, bevor er imstande war, dem Pagen in den dritten Stock zu Mamahs Zimmer zu folgen. Es kostete ihn erhebliche Mühe, aus den ungewohnten Münzen ein Trinkgeld für den Mann zusammenzustellen und an die Tür zu klopfen - worauf starrte der Kerl, und was sollte dieses kranke Grinsen, oder war das eine Grimasse? -, doch er schaffte es. Und dann stand sie vor ihm.
»Frank«, sagte sie, und er sagte ihren Namen, doch er zögerte einen Augenblick, bevor er sie umarmte. Zwischen ihnen war eine Fremdheit, die sie beide spürten, eine Luftigkeit, als hätte das Gebäude keine Wände, als striche der Wind einfach hindurch und als wäre der Himmel über ihnen voller verrückter Wolkenbilder. Sie sah anders aus, ganz anders, ihr Gesicht war gerötet und ihr Haar heller, als er es in Erinnerung hatte ... Während der ganzen Reise über den Atlantik hatte er sich diesen Moment vorgestellt, ihren Duft, wie sie sich anfühlte, den Ausdruck auf ihrem Gesicht und wie sie den Kopf in den Nacken warf, wenn sie lachte. Er hatte sich vorgestellt, wie er sie sofort zum Bett führen würde, doch so war es nicht. Er fühlte sich desorientiert und unsicher. Der Hauch eines Verdachts überkam ihn: Sie hatte einen anderen kennengelernt, natürlich - eine attraktive, sinnliche Frau, die das Banner der freien Liebe schwenkte, allein in einer europäischen Hauptstadt ...
Was war das erste, das sie sagte? Wie schön, dich zu sehen - ja, natürlich. Du hast mir gefehlt. Du hast mir so sehr gefehlt. Ja, und ihm war es nicht anders gegangen. Aber dann, ganz zusammenhanglos, sagte sie: »Ich habe angefangen, Schwedisch zu lernen.«
Sie standen verlegen mitten im Zimmer und hielten einander noch immer umarmt, doch nun führte sie ihn zu der Couch und dem niedrigen Tisch, auf dem Blumen, ein Teller mit Sandwiches und eine Flasche Wein standen. »Schwedisch?« wiederholte er. Und dann dämmerte es ihm. »Für Ellen Key?«
Ihre Augen leuchteten. »Ich habe sie kennengelernt. Und sie ist die erstaunlichste ... Habe ich dir erzählt, dass sie mich ihre amerikanische Tochter nennt? Kannst du dir das vorstellen?«
Bei seiner Ankunft war die Abenddämmerung hereingebrochen. Unter dem Winterhimmel wirkte die graue Stadt noch grauer, und nach und nach kroch die Dunkelheit in den Raum, bis Mamah aufstehen und die Lampen einschalten musste. Dann setzte sie sich neben ihn auf die Couch und nahm seine Hand, und sie sprachen von Belanglosigkeiten, erzählten einander, was in der Zwischenzeit passiert war, und sparten den ganzen Rest aus. Die freie Liebe war ihm angenehm gewesen, zweifellos, aber das galt gewiss auch für andere Männer, für irgendeinen Lothar oder Henning oder Heinrich.
Sie lachte ihr volles Lachen, als er von seiner Mutter und ihrer nicht enden wollenden Fehde mit Kitty und Kittys Mutter und sogar ihrer Großmutter erzählte, sie warf den Kopf in den Nacken und verdrehte vor Freude die Augen, und dann sagte er: »Du hast doch nicht jemand anders kennengelernt, oder?«
Sie bedachte ihn mit einem kühlen Blick. »Wovon redest du? Kennengelernt? Wen soll ich kennengelernt haben? Ich gehe in die Bibliothek und wieder nach Hause, ich spreche mit meinen Schülern, mit Frau Eisermann, der Dame am Empfang - hast du sie bemerkt? Die kleine Frau mit dem Schnurrbart?«
»Das habe ich nicht gemeint. Ich meinte -«
»Männer?«
»Nein«, sagte er, »nein. Es war nur so eine Frage. Nach deinem gesellschaftlichen Leben. Du musst einsam sein. Ich mache mir Sorgen um dich.«
Wie um ihn besser mustern zu können, lehnte sie sich ein wenig zurück. »Ich habe kein gesellschaftliches Leben.« Er sah zu, wie sie ihr Weinglas an den Mund hob, einen Schluck der blassgelben Flüssigkeit trank - es sei ein Johannisberger, hatte sie gesagt, ein besonderer Wein für eine besondere Gelegenheit, obwohl er sich aus Wein nichts machte - und das Glas wieder abstellte. »Ich warte auf meine Scheidung, wenn du das meinst«, sagte sie und betonte dabei jedes Wort. »Und auf dich.« Sie sah ihn unverwandt an. »Nur auf dich.«*
* Edwin hatte die Scheidung wegen böswilligen Verlassens eingereicht. Das Gesetz des Staates Illinois verlangte eine zweijährige Trennung, bevor die Scheidung ausgesprochen werden konnte. Da Kitty sich weigerte, in eine Scheidung von Wrieto-San einzuwilligen, glaubte Mamah wohl, sie habe keine andere Wahl, als in Europa zu bleiben, weit entfernt von der Neugier der amerikanischen Presse. Allerdings auch weit entfernt von ihrem Geliebten. Und ihren Kindern. Und ihrem übrigen Leben.
»Ich will nicht, dass du wartest, jedenfalls nicht hier.« Er beugte sich vor. Jetzt war der Augenblick für eine Beteuerung, für einen Kuss, doch er hielt sich zurück. »Ich will, dass du nach Hause kommst. So bald wie möglich.«
Ihr Lächeln war schmal und hatte einen Hauch von Bitterkeit. Sie senkte die Stimme. »Hast du meine Kinder gesehen?«
»Nein. Ich bringe es nicht einmal über mich, durch die Straße zu fahren, in der -«
»Sie beantworten meine Briefe nicht. Dahinter steckt Edwin. Er hat sie gegen mich aufgebracht. Ich bin mir ganz sicher.« Ihr Blick ging ins Leere und kehrte dann zu ihm zurück. »Und wohin soll ich gehen, wenn ich zurückkehre? Ich kann ... ich werde nie wieder nach Oak Park gehen, das schwöre ich.«
»Ich habe mich darum gekümmert«, hörte er sich sagen, und mit einemmal war alles in Ordnung: Es war ein bauliches Problem, das durch Entwürfe, Pläne und Materialien zu lösen war. »Du erinnerst dich an den Hügel in Wisconsin? Er gehört uns.
Zweihundert Morgen, unbebaut und ungenutzt. Ich baue ein Haus für dich - ein Haus, das alles, was ich bisher gebaut habe, in den Schatten stellen wird. Etwas Neues, etwas vollkommen Neues.«
»Sie fehlen mir. Besonders die Kleine - Martha. Ich frage mich immer wieder, was sie wohl über mich denken. Dass ich in einem Gefängnis bin? Dass ich tot bin? Dass ich sie nicht mehr liebe?«
Er hatte die Lösung, die Lösung für alles. »Bring sie nach Hillside. Wann immer du willst.«
»Edwin würde es nicht zulassen. Niemals. Lieber würde er sterben. Ich kenne ihn.«
»In den Ferien. In den Sommerferien. Es wird ihnen dort gefallen - und dir auch.«
Es trat Schweigen ein. Niemand fuhr irgendwohin. Alles befand sich im Stillstand, und dieser legte sich lastend über den Augenblick und ihr Wiedersehen. Wieder fühlte er sich ganz verlassen. Die zweiwöchige Schiffsreise hierher und eine zweiwöchige Schiffsreise zurück, nur für diese paar Tage, und jetzt verrannen die kostbaren Minuten, und Mamah war praktisch wie eine Fremde. Es war hoffnungslos. Der Raum schrumpfte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Doch dann - es war überaus seltsam, und er würde sich sein Leben lang mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Verwunderung daran erinnern - begann im Tiergarten ein Löwe zu brüllen. Es war ein lautes, wütendes, kampflustiges Geräusch, das in der Dunkelheit ertönte und allen Mauern und Gittern und all den spießigen Menschen trotzte, die sich in ihren spießigen Wohnungen an den baumbestandenen breiten Straßen zum Abendessen setzten. Die Wahrheit, die der Welt trotzte. »Mamah«, sagte er, und mit einemmal fühlte er sich voller Energie, voller Kraft - und Liebe, ja, auch voller Liebe. »Stell es dir vor, stell dir vor, wie es sein wird, wenn wir beide wieder zusammen sind ... « Seine Hand fuhr durch die Luft, als wollte er das Bild einfangen, bevor es davonschwebte.
»Hör mir zu«, sagte er eindringlich. »Denk an die Villa Medici in Fiesole. Denk daran, wie die Mauern aussahen: als wären sie aus der Erde gewachsen wie Bäume. Und denk daran, wie wir uns dort gefühlt haben, wie zufrieden wir waren, wie das Licht auf die Mauern gefallen ist und dass es überall Ausblicke gab, die sich mit der Tageszeit verändert haben: um elf wie ein Wunder, um drei, um sechs. Das werde ich dir schenken. Das wird deine Zuflucht sein. Zusammen mit mir. Wen interessiert schon, was irgendwelche anderen Leute sagen?« Er zitterte, er brannte innerlich. Die Vision von diesem Ort, der erst noch entstehen sollte, stieg leuchtend vor seinem inneren Auge auf. »Ich will, dass du zurückkommst«, sagte er, und wenn sein Ton scharf und gebieterisch war, so deshalb, weil er jetzt nicht mehr bat und bettelte, weil er keine Ausflüchte mehr machte - Ausflüchte waren etwas für Kleingeister, für ängstliche Menschen ohne Befehlsgewalt oder Ziel. »Diese Trennung ist lächerlich. Ich will, dass du dort bist. Bald. Sobald das Haus ein Dach hat. Versprich mir das. Es reicht.«
Sie gab keine Antwort. Sie sah ihn nur lange an. Dann stand sie auf, nahm seine Hand und führte ihn ins Schlafzimmer.
Zweieinhalb Wochen später war er wieder in Oak Park und spielte abermals mit in der Scharade. Nichts hatte sich geändert. Alles hatte sich geändert. Kitty war so wütend wie zuvor, klapperte mit Küchengerätschaften, straffte, wann immer sie durch die Tür trat, die Schultern wie ein Boxer, wenn die nächste Runde eingeläutet wird, durchbohrte ihn mit einem ganzen Repertoire von finsteren, anklagenden, verächtlichen Blicken, als würde sie ihn am liebsten in der Luft zerreißen, und beschimpfte ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Warum war er noch einmal nach Deutschland gefahren? Waren die Probleme so unüberwindlich, dass Herr Wasmuth nicht imstande war, sie allein zu lösen - denn immerhin war er ja Verleger, oder nicht? War sie dort? War er zu ihr gerannt, hatte er mit ihr geschlafen, ihr irgendwelche Versprechungen gemacht? Und wo war das Geld für die Rechnungen? Konnte er sich überhaupt vorstellen, welche Demütigungen sie zu ertragen hatte, nur um etwas zu essen auf den Tisch zu bringen? Und dann waren da die Kinder mit ihren Bedürfnissen und Ansprüchen und ihrem unaufhörlichen Getrappel auf der Treppe, dieser ganze verrückte Zirkus. Gläubiger tauchten auf wie Schachtelteufel, und weit und breit kein Auftrag, nichts.
All das, ja, aber es war der Mühe wert, es war erträglich, denn er war sich Mamahs jetzt sicher, er war sicher, dass sie zurückkehren würde, und wartete nur darauf, dass der Schnee schmolz und der Boden auftaute und er tun konnte, was sein Lebensinhalt war: bauen. Bis dahin beaufsichtigte er die Arbeiten in Oak Park, bewarb sich um Aufträge, besänftigte seine Mutter und ging Kitty nach Möglichkeit aus dem Weg. Er machte lange Spaziergänge, begleitet nur von seinem Stock, er ritt aus, er fuhr mit dem Automobil in rasender Geschwindigkeit durch die Straßen, wobei es ihm vollkommen gleichgültig war, ob die Leute es schafften, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Und natürlich zeichnete er - Skizzen, Aufrisse, Horizontalschnitte, Grundrisse -, bis das Haus, sein und Mamahs Haus, auf dem Papier Gestalt annahm. Er blickte aus dem Fenster auf die grauen Straßen. Aus Schnee wurde Schneeregen und aus diesem ein kalter Regen, der von Ende März bis in den April hinein fiel und alles in Schlamm verwandelte. Doch dann drehte der Wind auf Nord, wieder fiel Schnee, und jeder Anflug von Frühling war im Keim erstickt.Fast glaubte er, eine neue Eiszeit sei angebrochen, um ihn heimzusuchen - er machte mit Bill Little, dem Zimmermann, mit dem er nach Spring Green gefahren war, um die verschneiten Felder zu betrachten, sogar Witze darüber -, doch schließlich wurden die Tage länger, die Zugvögel kehrten zurück, die Bäume trieben Knospen, und die Krokusse bohrten sich durch die Schneereste. Er gab bekannt, dass er Arbeiter für den Bau eines kleinen, bescheidenen Hauses suchte - es war für seine Mutter bestimmt, ausschließlich für seine Mutter, denn wenn irgend etwas durchsickerte, würde die Presse Lunte riechen und über ihn herfallen, und Gott allein wusste, ob die Leute aus dem Dorf sich nicht ebenfalls gegen ihn erheben würden -, und stellte schließlich Johnnie Vaughn, einen Iren, als Vorarbeiter der Zimmerleute ein. Johnnie konnte stundenlang reden, Tabak kauen und hämmern und schien dabei nicht mal Luft zu holen. Einer, der viel redete, war selten ein guter Arbeiter*, doch Johnnie bildete die Ausnahme: Er war ein hervorragender Organisator, der unablässig arbeitete und jeden Handwerker und Hilfsarbeiter im Umkreis von dreißig Kilometern kannte. Er brachte Ben Davis mit, den kreativsten Erfinder von Flüchen, den die Welt je gesehen hatte. Er sollte die Steinmetzarbeiten und den Transport vom Steinbruch zur Baustelle überwachen, und er war es auch, der die beiden besten Steinmetzen des Bezirks empfahl: Dad Signola, den Tschechen, und Father Larsen, den Norweger. Niemand wusste, wer von beiden älter war. Ihre Finger waren flach und breit, sie gingen gebeugt, und beider Haar war schneeweiß wie das eines Patriarchen. Dad und Father. Wenn sie auch sonst nichts kannten, so kannten sie sich doch mit Steinen aus, ihr Blick war scharf und ihr Urteil immer richtig, und Frank war froh, sie zu haben. Es waren gute Männer, allesamt, und mit jedem Tag verwandelte sich die Kameradschaft, die durch das gemeinsame Ziel entstand, ein Stück mehr in die Freude an der Arbeit und der Aufgabe, die vor ihnen lag.
* Mitte der dreißiger Jahre hatten wir unter den Schülern einen Mann namens Ken Milligan. Er hatte eben erst das College abgeschlossen und redete unablässig, was die anderen ablenkte, so dass Wrieto-San darauf bestand, dass er allein arbeitete. Eines Morgens erschien Wrieto-San auf der Baustelle und brachte einen Stukkateur mit, der taub war. Er wies Ken an, zusammen mit dem Neuen zu arbeiten. Drei Tage später fragte Ken beim Abendessen in die Runde: »Ich glaube, der Neue versteht kein Wort von dem, was ich sage. Was ist der eigentlich - ein Pole oder was?«
Es war Juni, das Fundament war gelegt, und über ihm erhoben sich die Kamine und die Mauern der vier Innenhöfe, so dass das Skelett des Hauses sichtbar war: Stein, nichts als Stein - druidisch, vorsintflutlich, organisch im eigentlichen und besten Sinne, und er arbeitete zusammen mit den anderen Männern, er sang den Leib, den elektrischen, er war so erfüllt von Freude wie noch nie zuvor. Dies war es, wofür er geboren war. Dies war es, das einen Sinn ergab. Nur dies.
Eines frühen Morgens gab er dem Mann vom Sägewerk Anweisungen, wohin er das Holz bringen sollte. Der Wagen war überladen, die Pferde rutschten immer wieder auf der steilen, matschigen Zufahrt aus, und er wusste beim besten Willen nicht, warum man nicht einen halbwegs kompetenten Mann ausgewählt hatte, um auf dem Kutschbock zu sitzen, die Zügel zu halten und zuzusehen, wie die mächtigen, verschwitzten, mit Fliegen gesprenkelten Pferde die Arbeit für ihn taten, als jemand ihm auf die Schulter tippte. Er drehte sich um, und da stand der breit grinsende Johnnie Vaughn. Der Mann neben ihm war etwa dreißig und hochgewachsen, mit breiten Schultern und einem flachen Hut, dessen Krempe er bis zu seiner Brille in die Stirn gezogen hatte. Er trug den einen Arm in einer Schlinge, aus der ein Gipsverband ragte wie ein Ladestock. »Mr. Wright«, sagte Johnnie, »Boss, ich möchte Ihnen den neuen Mann vorstellen, den besten Zimmermann von ganz Wisconsin - er ist noch besser als ich, besser als jeder andere. Warten Sie nur, bis Sie ihn arbeiten sehen. Stimmt’s? Stimmt’s, Billy?«Man musste auf seine Instinkte vertrauen - das sagte er sich selbst, und er predigte es auch anderen. Im Lauf der Jahre hatte er zahllose Männer eingestellt und entlassen, angefleht, angetrieben und angewiesen, und er war stolz auf seine Fähigkeit, jemanden auf den ersten Blick einschätzen zu können. Das, was er hier sah, gefiel ihm: der abgetragene Overall, so oft gewaschen, das er fadenscheinig war, das Flanellhemd mit den aufgekrempelten Ärmeln und dem offenen Kragen, unter dem der Halsausschnitt des weißen Unterhemds zu sehen war - alles an dem Mann war sauber und ordentlich, sogar die Schlinge, sogar der Gipsverband. Aber wie sollte er mit einem gebrochenen Arm arbeiten? Er wollte ihn fragen, doch statt dessen grinste er nur und sagte: »Noch ein Billy?«
Der Mann streckte die Linke aus, schüttelte ihm unbeholfen die Hand und warf mit einer kleinen Bewegung den Kopf in den Nacken, so dass der Hut ein wenig aus der Stirn rutschte und seine Augen, so grau wie das Wasser in der Zisterne, Frank durch die Brillengläser ansahen. »Billy Weston«, sagte er und fügte hinzu: »Zimmermeister. « »Ich weiß, was Sie denken, Mr. Wright«, sagte Johnnie. »Aber der Gips kommt in zwei Wochen runter, und ich schwöre, dass Billy auch mit einem Arm besser und schneller ist als jeder andere auf der Baustelle. Er ist ein guter Mann. Ich verbürge mich für ihn.«
In diesem Augenblick stieß Ben Davis, der den Hügel hinunterging, um den Idioten auf dem Kutschbock zusammenzustauchen, eine Reihe vielsilbiger Verwünschungen aus und stellte den Geisteszustand des Kerls, die moralische Standfestigkeit seiner Mutter sowie sein Verständnis der Idee einer Lieferung an den Ort, wo sie gebraucht wurde, in Frage. »Ganz oben auf dem verdammten Gipfel von dem verdammten Scheißhügel!«
Der Kutscher blieb ihm nichts schuldig.
»Macht mal halblang!« rief Frank. »Sie - fahren Sie wieder runter und versuchen Sie’s noch mal, und zwar da, wo wir geschottert haben. Und wenn das nicht funktioniert, dann laden Sie in Gottes Namen unten ab.« Er hielt inne und sah den Mann mit einem bedeutsamen Blick an. »Hat ja wohl keinen Sinn, die Tiere wegen einer Ladung Holz umzubringen.«
Als er sich wieder umwandte, standen die beiden noch immer geduldig da, doch Billy hatte inzwischen den Hut abgenommen und hielt ihn in seiner unversehrten Hand. »Er ist mit beiden Händen gleich geschickt, Mr. Wright«, fuhr Johnnie fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben. »Er ist das, was man beid... beidseitig oder so nennt.« »Beidhändig.«
»Ja, genau. Beidhändig. Mann, er kann mit zwei Händen gleichzeitig hämmern.« Quietschend rollte der Wagen zurück, und Ben Davis ließ ein paar weitere Flüche vom Stapel. Die Pferde blieben steif stehen. Ganz langsam, Zentimeter für Zentimeter, dirigierte der Fuhrmann sie zurück, bis die Räder durch das Eigengewicht des Wagens freigekommen waren, und ließ die Tiere dann wieder ziehen.
»Glauben Sie, dass Sie mit dem Gipsverband arbeiten können?« fragte Frank und wandte sich zum erstenmal direkt an Billy.
Billy sah zu Boden und zog mit der Stiefelspitze einen Strich in den Matsch. »Ich werd’ schon zurechtkommen.«*
* Jahre später vertraute Billy mir an, er habe nicht gewusst, warum man ihn eingestellt habe, aber immer vermutet, man habe ihn wegen seines Werkzeugs genommen. »Ich glaube, sie waren knapp mit Werkzeug«, sagte er, »und ich hatte die Sachen von meinem Vater - Zwingen, Brustbohrer, Stangenbohrer, Beitel, Zugmesser, Schabhobel, Langhobel, Stoßaxt, Schmiegen und alle möglichen Sägen - und außerdem das, was ich mir im Lauf der Jahre für diesen oder jenen Job zugelegt hatte. Ich schätze, denen hat’s an Werkzeug gefehlt, und ich hatte jede Menge davon.«
Frank brauchte ein, zwei Tage, um zu erkennen, was für eine Untertreibung das gewesen war. Billy arbeitete für zwei: Jedesmal wenn man ihn sah, wuchtete er Balken, hantierte mit Werkzeug und half aus, wo Not am Mann war, und dabei leuchtete sein weißer Gips. Am ersten Tag legte er die Schlinge ab, und gegen Ende der Woche schien der Gipsverband ebenso zu seinem Körper zu gehören wie der Arm, den er umhüllte, und die starke, geschickte Hand, die an seinem unteren Ende hervorschaute. Jeder Sägeschnitt, jeder linkshändig eingeschlagene Nagel saß genau da, wo er sitzen sollte, und Billy ging mit so intensiver Konzentration zu Werk, dass es nicht leicht war, ihn dazu zu bringen, eine Mittagspause oder auch nur eine Kaffeepause einzulegen - und wenn er sich dann mal setzte, blieb er nie lange sitzen.
Er zappelte und tappte mit den Füßen und betrachtete die Baustelle, wo die Stützbalken in den Aufnahmen der Querbalken standen, als sähe er schon jetzt das ganze Haus und wollte nicht ruhen, bis es fertiggestellt war. Er kletterte wie ein Akrobat, das Werkzeug baumelte an seinem Gürtel, und er hängte den Gipsarm über einen Balken, während er einen anderen festhämmerte. Morgens war er der erste auf der Baustelle und abends der letzte, der nach Hause ging, und als Frank ihn nach einer Weile fragte, ob seine Frau ihn nicht vermisse, sah er auf seine Stiefelspitze, die einen kleinen Kreis in das Sägemehl malte, und sagte: »Nicht besonders, glaube ich.«
Gegen Ende des Monats kamen alle möglichen Leute, um sich das entstehende Haus - sie nannten es »Franks Bungalow« - anzusehen, und Frank bemühte sich, sie gastlich zu empfangen, denn er würde unter ihnen leben müssen, und natürlich war ihm sein Ruf vorausgeeilt. Nach dem, was die Zeitungen über ihn geschrieben hatten, nahm er an, dass sie dachten, er werde Feuer speien und mit gespaltener Zunge sprechen, und natürlich kamen die örtlichen Farmer und ihre Frauen, um ein Urteil über ihn zu fällen, doch das hätten sie bei jedem getan, der mitten unter ihnen zweihundert Morgen Land kaufte, ein Haus und eine Scheune errichtete und vorhatte, das Land zu bebauen und von den Erträgen zu leben. Dass er ein Lloyd Jones war, der Sohn von Anna und ein Neffe von James und Jenkin und den anderen, brachte ihm keinen Bonus ein. Nein, eigentlich machte es ihm das noch schwerer, denn sie hatten hohe Maßstäbe - er sah es ihnen an, während er einen stockkonservativen alten walisischen Farmer nach dem anderen herumführte, so geduldig wie möglich den Bauplan erläuterte und erklärte, wie er auf den Hügeln Obst- und Gemüsegärten und Weiden anlegen wollte. Und was sagten sie, wenn er ihnen alles gezeigt und ewig geredet hatte? »Ganz schön groß, wo doch bloß Ihre Mutter da wohnen soll, oder?« Und: »Muss Sie ja ein Vermögen kosten.«
Geschnüffel. Endloses Geschnüffel. Er war eine Person des öffentlichen Interesses, und dieses richtete sich auch auf den Bau, ganz gleich, wie diskret er ihn abwickeln wollte.
Die Arbeiter gingen abends heim zu ihren Frauen. Im Sägewerk, im Steinbruch, im Futtermittelgeschäft, beim Lebensmittelhändler und in der Kirche unterhielten sie sich mit anderen. Ob es ihm nun gefiel oder nicht: In der ganzen Gegend wusste man, was er vorhatte, und auch wenn niemand Mamah erwähnte - das wagte man nicht -, so waren die Gerüchte über sie wie ein gewaltiges klebriges Spinnennetz, an dem alle Wichtigtuer des Bezirks webten und zupften. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der erste Reporter auftauchte.
Frank war gerade in dem Kellerraum, in dem der Heizkessel für das Warmwasser und die Dampfheizung stehen sollte, lauschte dem metronomischen Tap-Tap-Tap von Billy Westons Hammer und sah sich mit einem letzten prüfenden Blick um, als dieser Augenblick gekommen war. Zwischen den Hammerschlägen ertönte eine Männerstimme: »Hallo? Hallo!«
Das Hämmern verstummte. »Ja?«
»Ich komme ... ich komme von der Trib. Mein Name ist Adler. Sie arbeiten hier für Wright?« »Ja.«»Ziemlich großes Haus, was? Und ganz schön künstlerisch, oder? Würden Sie sagen, das ist moderne Architektur?«
Keine Antwort. Frank hörte das Hämmern der anderen Zimmermänner, so vielstimmig und regelmäßig wie Regen. Es roch nach Erde, Steinen und frischem Holz.
»Wright hat anscheinend große Pläne mit dem Ding.« Eine Pause. »Hat er mal diese Cheney erwähnt?«
Keine Antwort.
»Und wenn, dann würden Sie’s mir nicht sagen, was?«
»Nee, wohl nicht.«
»Tja, wieviel Geld steckt denn wohl in dem Ding, was schätzen Sie? Bis jetzt, meine ich. Muss ein hübsches Sümmchen sein.« Schweigen. Noch mehr Gehämmer. »Ich glaube, ich hab noch nie gesehen, dass für ein so kleines Haus so viele Steine verbaut worden sind. Und wie viele Arbeiter hier herumlaufen. Man könnte glatt meinen, er baut einen von diesen Chicagoer Wolkenkratzern, finden Sie nicht?«
»Würde ich eigentlich nicht sagen.«
»Was würden Sie denn sagen?«
Wieder Schweigen. Und dann das regelmäßige Klopfen von Billy Westons Hammer, das für ihn antwortete: tap-tap-tap.
Billy sprach nicht mit dem Mann, und soviel Frank wusste, sprach auch kein anderer mit ihm. Sollte irgendwer den Mund aufmachen, dann konnte er sich gleich nach einem anderen Job umsehen, das machte er allen klar, von Ben Davis und Johnnie Vaughn bis hinunter zum letzten Hilfsarbeiter, der nur dazu da war, Baumaterial den Hügel hinaufzuschaffen oder irgendwelche Sachen zu besorgen. Keine Ausreden. Er erwartete absolute und unbeirrbare Loyalität, und das bedeutete, dass jeder den Mund hielt wie Billy Weston. Dennoch - und das reizte ihn, wie man einen Bullen reizte, bevor man ihn aus seiner Box in die Rodeo-Arena ließ - erschien die Tribune am folgenden Tag mit einem ganzseitigen Artikel unter der Schlagzeile: ARCHITEKT WRIGHT BAUT LIEBESNEST FÜR MRS. CHENEY.
Es erstaunte ihn immer wieder, wie schnell die Zeit verging, wenn die Arbeit gut lief: schöne, warme Morgen, an denen die Sonne unmerklich höher stieg und ihnen allen die Hautfarbe von Mulatten verlieh, Nachmittage, an denen Gewitter die Ständerpfosten durchnässten und den Erdboden in eine Matschsuppe verwandelten, und unterdessen bekam das Haus Fleisch auf die Rippen, und es entstanden das anheimelnd flach geneigte Dach und die weiten Überhänge, an denen im Winter Eiszapfen wachsen würden. Er hatte noch nie viel Schlaf gebraucht - fünf bis sechs Stunden pro Nacht, der Rest war für Langschläfer - und war beim ersten Tageslicht auf den Beinen. Dann ging er an der Hügelflanke auf und ab, prüfte die Ausstrahlung und den Geruch des Ortes und konnte es kaum erwarten, die Arbeit wiederaufzunehmen. An den Sonntagen fehlte ihm etwas. Er lauschte den Krähen, den Hähern und Pirolen, er beugte sich zur Erde und ließ sie durch seine Finger rinnen, er stellte sich die Blumen vor, die er im Frühjahr pflanzen würde, die Kirsch-, Pfirsich- und Apfelbäume, den Spargel, den Rhabarber, die Melonen.
Meist kam dann Billy Weston und begrüßte ihn mit einem knappen »Morgen«. Seine breitschultrige Gestalt tauchte aus dem Dunst auf, der aus den Feldern emporstieg; der Gipsverband war verschwunden, so dass der rechte Arm wieder kräftiger wurde und Farbe bekam, der Werkzeuggürtel baumelte in seiner linken Hand, und die Hutkrempe war bis zur Brille in die Stirn gezogen. Bei Kaffee und frisch gebackenen Brötchen unterhielten sie sich leise, bis sich die übrigen Arbeiter einer nach dem anderen einfanden, oder vielmehr: Er sprach, und Billy hörte zu. Das waren überaus gute Gespräche, die Art von Gesprächen, die seinen Geist befreiten und ihn begreifen ließen, und es dauerte nicht lange, bis Billy ebenfalls zu begreifen begann. Taliesin wuchs, und es war nicht nur für ihn und seine Mutter und Mamah, sondern auch für Billy und die anderen Menschen in dieser Gegend, es war ein Objekt von großer Schönheit, das die Maßstäbe, nach denen man die bedeutenden Gebäude der Welt beurteilte, verschieben würde, und in den kommenden Jahren würden die Menschen Schlange stehen, um es zu bestaunen. Er ließ den Blick über die dunstigen Felder schweifen und spürte, dass sein Genie ihn einhüllte wie ein Umhang. Er war tatsächlich der größte Architekt der Welt. Er war es tatsächlich.*
* Dabei fällt mir eine Geschichte über einen der zahlreichen Zivilprozesse ein, die gegen Wrieto-San geführt wurden. Der Richter fragte ihn nach seinem Beruf, worauf er antwortete, er sei Architekt - der größte Architekt der Welt. »Der größte?« fragte der Richter. »Wie können Sie das behaupten?« Wrieto-San antwortete: »Nun, Euer Ehren, ich stehe schließlich unter Eid.«
Als in der ersten Augustwoche Mamahs Scheidung ausgesprochen wurde, war der größte Teil der Fassade fertiggestellt - jedenfalls so weit, wie es bei einem Rohbau möglich war. Der Dachstuhl war errichtet, die Schindeln wurden aufgenagelt. Die beiden Billys kletterten wie Äffchen auf den Balken herum. Die Männer riefen sich Bemerkungen zu und rissen Witze, undJohnnie Vaughn plapperte unentwegt, während Ben Davis vor sich hin fluchte. Irgend jemand hatte die Zeitung dabei, die Frank nicht einmal eines Blickes würdigte - nur noch mehr Lügen, Erfindungen, Rufmorde -, und beim Mittagessen hatte er ein paar deutliche Worte über die Presse zu sagen, sehr zum Vergnügen von Billy Weston und einigen anderen, doch nachdem alle gegangen waren, musste er einfach die Seite aufschlagen und sie wenigstens überfliegen.
Tatsächlich, da war eine Abbildung von Mamah im Profil, und in der oberen Ecke rahmte ein amateurhaft gezeichnetes Herz ein winziges Bild von Edwin mit seinem missmutig verzogenen Mund und dem haarlosen Eierkopf. Flucht mit Seelenverwandtem endet mit Scheidung verkündete die Überschrift, und in dem Artikel versicherte der Verfasser dem gewissenhaften und neutralen Leser mit der ganzen Autorität eines blinden Sehers, dass Mamahs »Seelenverwandter« ihrer überdrüssig geworden sei, das Vertrauen seiner Frau in ihn gerechtfertigt habe und in den Schoß seiner Familie zurückgekehrt sei.
Zum Abendessen ging er zu seiner Schwester in Tan-y-deri. Er erwähnte den Artikel ebensowenig wie sie. Das Essen war außergewöhnlich lecker, und er fühlte sich wohl bei Jennie und ihrem Mann Andrew. Die Unterhaltung bewegte sich sprunghaft und sehr angenehm von einem Thema zum anderen, genau wie er es liebte: schlagfertige Antworten, These und Antithese, unbeschwertes Lächeln und entschlossen vertretene Ansichten, und Taliesin auf dem gegenüberliegenden Hügel war ein herrlicher Anblick. Doch was in der Zeitung stand, war Unsinn, und der Gedanke daran brannte in ihm wie ein Anfall von Sodbrennen. Am liebsten hätte er die Männer verprügelt, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten, anderer Leute schmutzige Wäsche zu durchwühlen, die sogenannten Journalisten, denn sie waren nichts weiter als Zuhälter. Kretins. Sie wussten gar nichts, sie würden nie etwas wissen.
Das Schmerzliche dabei war der Gedanke daran, was es Mamah und ihrem Ruf zufügte - oder vielmehr dem, was davon noch übrig war. Schlimm genug, dass man sie wegen ihrer Scheidung durch den Schmutz zog - aber dass man es so darstellte, als wäre sie für ihn nichts weiter als ein flüchtiges Vergnügen gewesen, war einfach nur grausam.
Und unwahr, durch und durch erlogen. Als er auf der Veranda von Jennies Haus saß und über die in Schatten getauchten Hügel blickte, spielte er für einen Augenblick mit dem Gedanken, einen Anwalt, einen richtigen Eisenfresser, zu beauftragen, diese Kerle wegen Diffamierung zu verklagen. Sie sollten vor ihm im Staub kriechen. Sie sollten sich winden, sie sollten leiden und die Hände ringen. Sie sollten eine Gegendarstellung drucken und zur Abwechslung mal die Wahrheit schreiben. Mamah beteuerte natürlich, dass es ihr nichts bedeutete; sie - und er - ständen so weit über diesen Klatschmäulern, dass es war, als existierten sie gar nicht, doch er hörte den Schmerz und die Unsicherheit in ihrer Stimme, als sie auf einer Direktleitung nach Chicago miteinander telefonierten. (Und wenn diese großmächtigen Herren Journalisten so allwissend waren, warum wussten sie dann nicht, dass sie dort war, kaum dreihundert Kilometer von ihm entfernt? Sie war diskret. Sie lebte zurückgezogen. Sie wartete.)
Drei Wochen später verließ er Taliesin in seinem Roadster und fuhr allein nach Chicago.
Er verhielt sich so unauffällig, wie es - angesichts der Farbe des Wagens und der Tatsache, dass die Reifen bei jeder Kurve erschrocken zu kreischen schienen - möglich war. Er hatte auch versucht, sich unauffällig zu kleiden: Den Umhang und die Reithose hatte er zu Hause gelassen und sich statt dessen für die Art von schmalkrempigem Hut und straff gebundener Krawatte entschieden, die seiner Meinung nach ein amerikanischer Durchschnittsmann anziehen würde, wenn er sich ein Baseballspiel oder ein Feuerwerk ansehen wollte, und dennoch blickte er sich jedesmal schuldbewusst um, wenn er anhalten musste, um einen Fußgänger über die Straße zu lassen, und zweimal fuhr er, aus Angst, es könnte ihm jemand gefolgt sein, ein Stück zurück. Nach einer Reihe solcher Täuschungsmanöver stand er schließlich vor einer namenlosen kleinen Pension, wo man ihn, dessen war er sicher, nicht erkennen würde - ebensowenig wie die ehemalige Mrs. Cheney, die hier unter ihrem Mädchennamen abgestiegen war.
Die Straße war beinahe menschenleer. Eine große, seifigweiße Wolke tanzte über das Dach, Spatzen saßen auf diversen Vorsprüngen, und hinter den Fenstern im Erdgeschoss standen ein paar künstliche Blumen. Es war ein hässlicher, aufgetakelter Kasten, und wenn er im großen Feuer abgebrannt wäre, hätte ihm niemand eine Träne nachgeweint, doch das interessierte Frank nicht, heute nicht. Er pfiff sogar ein Liedchen, als er auf die Haustür zuging, und war der harmloseste, diskreteste Mann, den man sich nur vorstellen konnte, als er ihr Gepäck einlud, sie vom Haus zum Wagen eskortierte und ihr die Tür aufhielt. Dann ließ er den Motor an und fuhr äußerst achtsam durch die vertrauten Straßen, so umsichtig und rücksichtsvoll wie ein Richter - bis zur Stadtgrenze, wo er das Gaspedal durchtrat und den Gelben Teufel den ganzen Weg zurück nach Wisconsin seinem Namen gerecht werden ließ.