Kapitel 1

FÜR DIE TOTEN TANZEN

 

An dem Tag im Herbst 1924, als er bei einer Ballettvorstellung in Chicago Olga Lazovich Milanoff Hinzenberg kennenlernte, war Frank Lloyd Wright* optimistisch gestimmt, geradezu vergnügt. Mag sein, dass es an jenem Tag regnete - doch, es regnete, das graue Gestrichel verwandelte die nähere Umgebung in ein pointillistisches Gemälde, gebeugte Gestalten stapften unter dem Schutz ihrer Regenschirme die Straße entlang, Graupelschauer waren angekündigt, gefolgt von Schnee -, doch seine Stimmung war durch nichts zu trüben. Er hatte sich immer als ein heiteres Gemüt betrachtet, sonnig und übersprudelnd, als einen jener seltenen Menschen, die die Stimmung eines ganzen Raums verändern können, indem sie einfach nur zur Tür hereintreten, doch die Gefühlswirren der letzten zwei Jahre - jedenfalls seit seiner Rückkehr aus Japan - hatten ihn zermürbt. Das Problem, oder vielmehr dessen Gipfel und Krönung, war natürlich Miriam. Hinzu kamen Geldnöte. Zu wenige Aufträge, hasenherzige Kunden und die tief verwurzelte Ignoranz (und Feigheit, auch Feigheit) seiner Landsleute angesichts der Fauvisten, Futuristen, Dadaisten, Kubisten und all der anderen -isten und -ismen, Duchamp, Braque und Picasso sowie, noch schlimmer, des soi-disant Internationalen Stils von Le Corbusier, Gropius, Meyer, Mies - all dieser neuen Bewegungen, durch die er sich veraltet und bedrängt fühlte. Das alles machte die Sache nicht besser. Während er im Fernen Osten gewesen war, waren die Europäer in Amerika eingefallen.

 

* Im Original Wrieto-San.

 

Doch es ging bergauf. Miriam war fort, seit Mai, mochte er auch, jedesmal wenn er über einer Zeichnung oder einem Buch die Augen schloss, ihr Gesicht sehen, das tragische, das sie wie eine Maske trug:

Es erschien vor seinem inneren Auge, um sich schließlich in einem Wirbel dunkelvioletter Flecken aufzulösen. Trotzdem, sie war fort, und in Taliesin herrschte wieder Frieden. Zur Zeit wohnten drei junge Paare dort - die Neutras, die Tsuchiuras und die Mosers -, und es gab Musikabende, Kameradschaft, die Beschaulichkeit vorm Kamin. Und nun war er geschäftlich wieder hier in Chicago, stampfte sich im Theaterfoyer den Regen von Hut und Mantel, reif für ein bisschen Unterhaltung.

Ein Freund* hatte ihn gefragt, ob er Lust habe, am Nachmittag die Vorstellung der Karsavina zu besuchen, die Auszüge aus »Dornröschen«, »Die schlecht behütete Tochter« und »Les Sylphides« darbot, und er hatte die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, mochte die Primaballerina ihre besten Zeiten auch längst hinter sich haben und ihre überirdische Schönheit nur noch ein Schatten dessen sein, was sie einst gewesen war. Er wollte gesehen werden, und sei es nur, um ein paar Fusseln von der mottenzerfressenen Decke der Gerüchte und blanken Lügen abzuschütteln, die die Klatschmäuler über ihm ausgebreitet hatten - er würde am Ersten des Jahres hier wieder ein Büro eröffnen und musste Präsenz zeigen. Na schön. Draußen regnete es, die Tür öffnete und schloss sich, ließ einen Hauch des sich ankündigenden Winters herein, im Foyer herrschte Gedränge: Männer in modischer Aufmachung oder in dem Anzug, den sie in der Kirche getragen hatten, in Perlen und Pelze gehüllte Frauen, deren Stimmen zwitschernd und tirilierend aufstiegen wie der Gesang der Vögel im Aviarium des Lincoln Park Zoo. Ging man ihm aus dem Weg? War das nicht -?

 

* Nicht identifiziert; vielleicht einer seiner Bekannten aus früheren, glücklicheren Tagen in der Chicagoer Gesellschaft.

 

Doch. Olivia Westphal, die er einst in seinem ersten Wagen um den Oak Park herum spazierengefahren hatte (das spezialgefertigte Stoddard-Dayton Sportkabrio, das auf der Geraden 90 Stundenkilometer schaffte, ein Auto, von dem er noch heute in den Momenten kurz vor dem Aufwachen träumte, der »Gelbe Teufel«, vor dem sich die Leute auf den Gehweg retteten und der ihm den ersten Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung eingebracht hatte, der jemals auf diesen verschlafenen, von Pferdefuhrwerken befahrenen Straßen ausgestellt worden war, weil er auf einen Bauauftrag von ihr und ihrem neuen Ehemann hoffte (und schon damals war sie ihm in den Rücken gefallen, denn sie entschied sich, Patton und Fisher einen völlig überladenen Kasten für sie bauen zu lassen, so fade wie eine Portion Kellogg’s Cornflakes, die man über Nacht hat stehenlassen. Auf der Küchentheke. In einer Lache sauer gewordener Milch). Und was hatten die Jahre aus ihr gemacht - sie war jetzt eine richtige Matrone, hatte an Gesicht und Oberarmen Fett angesetzt, und ihre massige, gedrungene Figur ließ ihre einst so reizvollen Kurven kaum mehr ahnen. Sie schaute ihm direkt in die Augen - erkannte ihn, das sah er - und schaute wieder weg.

Wie er sich daraufhin fühlte? Kämpferisch. Wütend. Angewidert. Sollten sie ihn doch ignorieren, diese Tugendwächterinnen und die schüchternen kleinen Nager, mit denen sie verheiratet waren, zu ängstlich, um je aus dem Glied zu treten, zu leben, die große Geste zu wagen, irgendeine Geste ... doch jetzt hatte ihn sein Begleiter* am Arm gefasst und führte ihn zu einer Gruppe Männer mitten im Geschehen - war das Robert? Oscar? -, und er spürte, wie ihm die Brust schwoll, bis er kurz davor war, seinen Stock Pirouetten drehen zu lassen. Was er nicht bemerkte - und sein Begleiter ebensowenig -, war die große, dunkelhaarige junge Frau mit dem ernsten Gesicht, die zur Tür hereinschlüpfte, in der einen behandschuhten Hand die Eintrittskarte, in der anderen ihre Abendtasche. Sie hingegen bemerkte ihn, als sie von einer Ecke des Foyers aus den Blick über die Menge schweifen ließ - durchaus gewillt, gesehen zu werden, doch zugleich auf Anonymität bedacht, ohne Begleitung auf einer Matinee, von ihrem Mann getrennt und ungebunden, eine Anhängerin des Tanzes und dessen, was die Karsavina einst verkörpert hatte, eine alleinstehende Frau, die an einem regnerischen Nachmittag ausging. Olgivanna sah dieselben Hüte, Schultern, Pelze und geschwätzigen Münder, die auch er gesehen hatte, ein Kotillon, eine Hackordnung, die Gesellschaft in all ihren Facetten, und dann war plötzlich er da, und ihre Augen hefteten sich auf ihn.

 

* Nennen wir ihn der Einfachheit halber Albert Bleutick - ein Mann von mittlerer Größe, mittlerer Haarfarbe, mittlerem Bauchumfang und einer weder dominanten noch introvertierten Persönlichkeit, ein Begleiter aus dem zweiten Glied, der verlässlich die Rechnung für das Mittagessen übernahm und Karten für Ballett, Sinfonieorchester und Museum besorgte. Sein Schicksal war das aller Nebenfiguren im Leben eines bedeutenden Menschen: eine Funktion zu erfüllen und dann abzutreten, so farblos wie der Regen, der auf die tristen grauen Straßen fiel, an einem Tag, der sich ebensogut hätte selbst wegspülen können.

 

Das erste, was sie spürte, war die prickelnde Erregung, die sich einstellt, wenn man in der Öffentlichkeit ein berühmtes Gesicht entdeckt, ein Erbeben des ganzes Nervensystems, begleitet von einer gewissen Genugtuung, als hätte sie infolge eines Geistesblitzes die Lösung eines Rätsels gefunden. Sodann überkam sie das Gefühl, unbedingt mit ihm reden zu müssen - ein so unwiderstehlicher Drang, dass sie fast durch die Menge zu ihm gestürmt wäre, obwohl sie hier doch eine Fremde war, ohne Begleitung und niemandem vorgestellt, doch sie unterdrückte den Impuls aus Scheu und einem Schwindelgefühl, das an Panik grenzte: Was sollte sie zu ihm sagen? Wie sollte sie das Eis brechen? Ihn auch nur dazu bringen, sie anzusehen? Und schließlich meldete sich, stärker als die beiden anderen Wahrnehmungen, der in hormonelle Aufwallung gewandete Gedanke, dass er sie auf einer sehr tiefgehenden, unergründlichen Ebene erkennen würde, als wäre es ihnen vorbestimmt, als wären sie wiedergeborene Liebende aus dem Mahabharata oder einem Roman von Rice Burroughs - ja mehr noch: dass er sie in Besitz nehmen, sie bändigen würde in einer wilden Mischung aus Macht und Unterwerfung.

 

** Ich lernte sie in Taliesin als eine missmutige, dünne, humorlose Frau kennen, die in jenem ersten Jahr schwindsüchtig war und immer beschäftigt, beschäftigt mit all den anfallenden Hausarbeiten, sie scheuerte, hängte Wäsche auf, hackte die Beete, spaltete Holz für den Herd, den Ofen und die siebzehn Kaminfeuer, die wir in diesem höhlenartigen Gebäude ständig unterhielten und die doch nur eine kümmerliche Wärme ausstrahlten. Doch auch sie war einmal ein junges Mädchen und verliebt. Das sei ihr zugestanden.

 

Frank** bemerkte nichts. Er stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, renommierte und paradierte vor der kleinen Gruppe, die sich um ihn versammelt hatte, vor alten Freunden und frisch gewonnenen Bekannten, scherzte, lachte, gab eine Geschichte nach der anderen zum besten und machte seine trockenen Bemerkungen über dieses oder jenes Paar - sollten sie doch gaffen, nur zu, nur zu -, doch da ertönte das Läuten, Albert nahm ihn beim Arm, und sie begaben sich zu einer der vorderen Reihen. Zufällig schob sich Albert als erster hinein und setzte sich auf den mittleren von drei leeren Plätzen, Frank ließ sich zu seiner Rechten nieder. Die Lichter verlöschten. Im Orchestergraben stand der Dirigent auf, die Arme über das Notenpult erhoben. Und dann glitt im letzten Moment Olgivanna anmutig durch den Mittelgang, ein beweglicher Schatten vor dem Hintergrund der Bühne. Der Platzanweiser trat zur Seite, der Vorhang hob sich, das Publikum regte sich, da war ihr Platz, ihr blieb kaum Zeit, die unauffällige Gestalt neben sich wahrzunehmen, als auch schon die Musik begann und die Tänzerinnen erschienen, und mit einemmal bemerkte sie, dass er hier war, hier, nur zwei Sitze weiter.

 

** Im Original, auch ff., Wrieto-San.

 

Frank für sein Teil hatte aufgeschaut, als sie sich auf ihren Platz gesetzt hatte - ein Reflex des menschlichen Organismus: wenn sich irgendwo etwas bewegt, wandern die Augen unwillkürlich hin -, so wie er zu jedem aufgeschaut hätte, zu einer dieser Kühe aus dem Foyer oder dem Wichtigtuer, der sie begleitete, ja selbst zu einem seiner eingeschworenen Feinde. Ein kurzer Blick, mehr nicht, doch was er sah, gefiel ihm.

Kein Hut, kaum Make-up, das in der Mitte gescheitelte Haar zum Chignon geschlungen, die Schultern von einem Spitzenschal umfangen. Das fiel ihm auf - die Schlichtheit des Kleids und des Stils, eine Art Reinheit, ein Vertrauen in die eigene Schönheit, das all die aufgeblasenen, gepuderten und huttragenden Matronen beschämte, und schließlich ihre Art, sich zu bewegen, eine große junge Frau in ihren Zwanzigern, die ihren Sitzplatz im Ballett mit einer ganz eigenen tänzerischen Anmut einnahm. Er warf noch einen verstohlenen Blick auf sie. Und noch einen.

Auf der Bühne entstand Bewegung, Beifall brauste auf, als die Karsavina erschien - ihre Beine waren immer noch in Ordnung, ihr Gesicht nicht mehr ganz so -, und erstarb dann wieder. Frank nahm stummes Bemühen wahr, Männer und Frauen, die herumwirbelten und -wankten wie Kegel, die nicht umfallen wollten, und er erkannte sofort, dass dies eine mittelmäßige Vorstellung einer im Niedergang begriffenen Künstlerin werden würde. Langweilig. Ein vergeudeter Nachmittag. Er beugte sich vor, um an Albert vorbeizuschauen. Die junge Frau - eigentlich noch ein Mädchen - saß still da, die Hände im Schoß gefaltet, den Blick auf die Bühne geheftet. Sie gab ein tadelloses Bild ab, von der Haltung ihrer Schultern über die Rundung ihrer Brüste bis zu den klaren Konturen von Kiefer und Wangenknochen im Profil, dem schönen muschelförmigen Ohr und dem hellen Diamanten, der an ihrem Ohrläppchen glitzerte - minimalistisch, ihr ganzes Äußeres war eine einzige minimalistische Komposition.

Aber sie war keine Amerikanerin, da hätte er gewettet.

Zehn Minuten nach Vorstellungsbeginn - vielleicht auch später, vielleicht waren es zwanzig - wurde er unruhig. Er wäre am liebsten aufgestanden und gegangen - was dort auf der Bühne stattfand, war reine Routine, müde, leblos, und niemand im Publikum merkte es -, doch noch stärker war sein Impuls, zu bleiben und irgendwie die Aufmerksamkeit dieses Mädchens zu gewinnen, denn er kannte sie, er kannte sie allein durchs Betrachten, und er wollte mehr, viel mehr, er wollte Kontakt,

Anerkennung, einen Blick, ein Lächeln. »Die sind vollkommen leblos«, murmelte er, zu Albert gebeugt, und das verblüffte Gesicht seines Freundes schien im Lichtschein der Bühne zu schweben wie eine Kürbislaterne an einem Draht. »Wie tot«, sagte er, gerade so laut, dass sie es hören konnte - und sie hörte es auch, das merkte er an ihrer Reaktion, wenngleich sie den Blick nicht von der Bühne wandte -, »Tote, die für Tote tanzen.«

In der Pause - sobald der Applaus erstorben war und noch ehe sie aufstehen und allein davonspazieren konnte - beugte er sich an Albert vorbei zu ihr hinüber und sagte: »Ich habe Ihre Reaktion gesehen - Sie stimmen mir zu, oder? Dass die Karsavina bei der Inspiration, die sie heute an den Tag legt, ebensogut in London hätte bleiben können? Vermutlich sogar lieber in London wäre. Um zu stricken. Oder was immer sie dort tut.«

Sie wandte sich ihm zu und sah ihm in die Augen. Er konnte nicht wissen, was er da sagte, konnte nicht wissen, dass in seinem Kommentar während der Aufführung eines der Dikta Gurdjieffs* angeklungen war, ihres Meisters, der stets danach getrachtet hatte, die Menschheit aus der Leblosigkeit der physischen Welt wachzurütteln und zum Bewusstsein der jenseits davon liegenden mystischen Wahrheiten zu führen, oder dass sie eine von Gurdjieffs führenden Danseuses gewesen war und Paris erst drei Wochen zuvor auf Gurdjieffs Drängen verlassen hatte, nachdem sie ihn so lange gepflegt hatte, bis die schlimmsten Verletzungen verheilt waren, die er bei einem lebensgefährlichen Autounfall davongetragen hatte, oder dass sie Nachmittag für Nachmittag Holz gehackt hatte, um ihn mit Brennstoff einzudecken, damit er den Unbilden des Winters trotzen konnte - und er konnte auch nicht wissen, dass sie auf einer elementareren Ebene mit seiner Einschätzung der Karsavina ganz und gar übereinstimmte. »Ja«, sagte sie, »Sie haben vollkommen recht. Das ist eine völlig mechanische Darbietung. Eine Blamage.«

 

* Georgei Iwanowitsch Gurdjieff 1866(?)—1949. Philosoph, Komponist, Schamane, Hypnotiseur. Hauptwerk: Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel. Vertrat sein Leben lang eine Doktrin namens »Der Vierte Weg«, eine wirre Seinsphilosophie mit eigenem Mythos und eigener Kosmologie, die ihm eine nicht unbeträchtliche Anhängerschaft gewann, deren Mitglieder er willkürlich in den engeren Kreis aufnahm oder verstieß. Er war einmal in Taliesin, ich glaube, es war 1938 - ein watschelnder, uralter armenischer Türke oder Zigeuner mit einem so unverständlichen Akzent, dass er ebensogut durch einen Knebel hätte sprechen können. Ich weiß noch, dass ich ihn jeden Morgen von ferne sah, ein wandelndes Lumpenbündel, das sich mit Mrs. Wright unterhielt, während Wrieto-San wutschnaubend in seinem Atelier saß.

 

Der Klang ihrer Stimme fesselte ihn. Leise, rhythmisch, die Betonung erschuf eine ganz eigene Musik, und was war das für ein Akzent? Irgendein osteuropäischer - polnisch? rumänisch? Er sagte: »Sie ist mit einem Diplomaten verheiratet, nicht wahr?

Und leitet jetzt eine Schule« - er hatte das dem Programm entnommen und fügte überflüssigerweise hinzu - »in London.«

»Die Royal Academy of Dance. Sie hat bei der Gründung mitgewirkt.«

»Ja«, sagte er an Alberts flammendrotem Gesicht vorbei, »ja natürlich. Aber vielleicht darf ich mich vorstellen - mich und meinen Freund: das ist Albert Bleutick -«

Sie senkte kurz die Augen, dann schaute sie ihn wieder an. »Aber Sie müssen sich doch nicht vorstellen«, murmelte sie, und er spürte, wie ihm das Blut durch die Adern schoss, als hätte man eine zu enge Binde gelöst. »Das ist ja wohl gewiss nicht der Fall, nein? Aber ich bin Olga Milanoff. Für meine Freunde« - und hier hielt sie inne, damit er die vielfältigen Bedeutungsnuancen erfassen konnte, die in diesem Hinweis mitschwangen - »Olgivanna.«

Irgendwo, irgendwie verloren sie Albert im Getümmel, und Frank konnte sich nicht erinnern, wann oder wo das passiert war - auf dem Weg zum Tanztee, zu dem er sie eingeladen hatte, oder erst dort? Egal. In der Pause verließen sie zu dritt ihre Plätze, kämpften sich einen Weg hinaus und hielten auf der regennassen Straße nach einem Taxi Ausschau, und die ganze Zeit konnte er an nichts anderes denken als an den Kitzel der sich anbahnenden Affäre, die das alte libidinöse Feuer von neuem schürte* und den Puls der Möglichkeiten beschleunigte. War er zu alt für so etwas? War er misstrauisch nach allem, was er mit Miriam durchgemacht hatte - und vorher mit Mamah, ja sogar mit Kitty? Falls ihm diese Überlegungen durch den Kopf gingen, verwarf er sie sogleich wieder. Sein Alter bedeutete ihm nichts - er war siebenundfünfzig und gesund wie ein Fisch im Wasser -, und er war einer jener Männer mit ausgeprägtem Sexualtrieb, die eine Frau als Mittelpunkt ihres Lebens brauchten.

Nach der offiziellen Trennung von Miriam, für die er zu diesem Zeitpunkt bereits seit über einem Jahr nichts mehr empfand, hatte er schon fast geglaubt, diese Frau in dem Schmollmund und den spöttischen Augen einer gewissen Schriftstellerin** gefunden zu haben, und als sich eine Beziehung dann aus diversen Gründen als unmöglich erwies, hatte er eine Studentin von der University of Wisconsin nach Taliesin und in sein Bett geholt. Doch er war nicht zufrieden. Noch nicht. Nicht einmal ansatzweise. Er brauchte Komplikationen. Liebe, ja. Und Sex natürlich. Aber noch etwas anderes, etwas Vielschichtiges, Spannungsreiches, eine Beziehung, die in jeder Hinsicht die Säfte fließen ließ.

 

* Eine jener eigenartigen überhitzten Formulierungen O ’Flaherty-Sans, die wir hier einmal stehenlassen wollen.

 

**  Zona Gale, Autorin populärer Kitschromane wie Miss Lulu Bett, damals auf dem Höhepunkt ihres Ruhms und - dies nur am Rande - ihrer Schönheit. Aber sie hielt Katzen und hatte selbst scharfe Krallen. Zudem hatte sie natürlich, wie alle aus der schreibenden Zunft, unrealistische Erwartungen.

 

Die Sandwiches waren durchweicht, der Tee lauwarm. Albert verschwand. Das Orchester spielte die alten Lieder im verträumt zivilisierten Stil des Vorkriegs-London (Tango, das schon, aber geradezu einschläfernd dargeboten) und ließ die Finger von dem nervösen Nonsens der Flüsterkneipen. Sie unterhielten sich mehr als zwei Stunden lang. Sie tanzten, und in seinen Armen war sie so leicht wie ein Federkissen. Er sagte ihr, dass er weder rauche noch trinke, und ihr machte das überhaupt nichts aus, während zugleich vielen anderen Paaren auf der Tanzfläche die offensichtliche Wirkung von Alkohol anzumerken war und, jedesmal wenn sie aufblickten, hier oder da gerade ein Mann den Tee seiner Begleiterin mit einer klaren Flüssigkeit aus einer Taschenflasche versetzte. Sie teilte seine Meinung, dass der Jazz größtenteils hyperaktiv sei. Und ja, sie liebe Bach, er sei in ihrer Kindheit in Montenegro eine ihrer ersten musikalischen Inspirationen gewesen.

Er hatte wohl die Augenbrauen gehoben - Montenegro? -, denn sie erklärte ihm, das sei ein Königreich an der Adria und sie stamme aus einer hochgestellten Familie von Kriegern und Richtern. »Wir sind Serben«, teilte sie ihm mit, während sie zuviel Zucker in ihren Tee gab, und dann, als sie ein Gurkensandwich zum Mund führte: »Kennen Sie Serben?«

»O ja«, log er, »selbstverständlich. Hunderte.« Doch er lächelte dabei - seine blitzenden Augen, sein wehendes Haar - und eilte leichtfüßig weiter: »Und ich warte immer noch auf meinen ersten Auftrag aus Montenegro. Meinen Sie, der König dort braucht vielleicht einen neuen Palast? Im Präriestil? Oder wie wäre es mit einem Lustschloss am heiligen Fluss Alph?« Sein Lächeln wurde noch breiter, als er seinen Scherz beschloss: »Oder ist der in einem anderen Teil der Welt?«

Am Abend setzte er sie vor der Wohnung ab, die sie mit einigen anderen Anhängern Gurdjieffs - wie sie selbst aus dessen Enklave in Fontainebleau* verbannt - teilte, und am nächsten Morgen war er mit einem Blumenstrauß in der Hand wieder da, um sie zum Frühstück auszuführen. Das war der Anfang eines kunstvolleren Tanzes, eines Walzers, der sie im Dreivierteltakt durch die Flure von Museen, Galerien und Konzerthallen trug, mit kleinen Abstechern zu den stolz präsentierten Häusern, die er in der Stadt und in Oak Park gebaut hatte, und gekrönt von der unvermeidlichen Einladung nach Taliesin.

 

* Offiziell das »Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen« - ein Oxymoron, wie mir scheint.

*

Es war Dezember, eine Woche vor Weihnachten. Eine Polarfront war über die Großen Seen vorgerückt, der Himmel farblos. Sie packte - nicht viel, ein paar Sachen für Ausflüge in die Umgebung, Gesellschaftskleidung fürs Abendessen -, brachte ihre Tochter bei ihrem getrennt von ihr lebenden Mann* in Chicago unter und kam allein mit dem Zug, durch die weiß überzuckerten Stoppelfelder und die einsamen Dörfer von Illinois und Wisconsin. Sie würde diese Fahrt nie vergessen, dieses Gefühl von Geborgenheit und Umschlossensein, das sie in dem Eisenbahnwagen verspürte, während der Schnee gegen die Fenster trieb und sie die süßen Brötchen, die sie mitgenommen hatte, aß und dazu Kaffee aus dem Becher ihrer Thermosflasche schlürfte, die Welt verkleinert und friedlich. Zwar hatte sie ein Buch dabei - ein gebundenes Manuskript, das Georgei ihr vor ihrer Abreise aus Paris gegeben hatte -, doch sie schlug es nicht einmal auf. Sie nahm die anderen Passagiere kaum wahr, sprach mit niemandem. Sie war in etwas Komplexes vertieft, etwas, das sie in die tiefsten Tiefen ihrer selbst führte, und während der Waggon mal holperte und rumpelte, mal über längere Strecken ruhig fuhr, lehnte sie sich gegen das Fenster und sah zu, wie ihr schemenhaftes Spiegelbild sich mitbewegte.

 

* Vlademar Hinzenberg. Ein Architekt. Russe.

 

Tauschte sie einen Guru gegen einen anderen aus, war es das? Einen brillanten, nicht mehr ganz jungen Magier der inneren Gesichte gegen einen ebenso brillanten, nicht mehr ganz jungen Zauberer der äußeren Form und Struktur? Das Innere gegen das Äußere? Wählte sie diesen Mann - sie flüsterte seinen Namen: Frank, Frank -, weil er der höchste Gott auf einem Gebiet war, auf dem Vlademar nicht mehr war als ein Arbeitstier, Vlademar, den sie - mit Achtzehn - zu jung geheiratet hatte, weil sie es nicht besser wusste, und der sich von ihr scheiden ließ, weil er nicht zulassen wollte, dass sie sich verwirklichte, in welcher Weise auch immer? Machte es irgendeinen Unterschied, ob sie sich Frank Wright oder Gurdjieff anschloss - um zu tanzen, zu dienen, die jeweilige Ausstrahlung mit Mund, Fingern, Herz, Geist und Seele aufzusaugen? Oder suchte sie einfach nur einen Vater, einen Ersatz für den Vater, den sie verloren hatte? Es war egal, denn eines war bei alldem gewiss, eines wusste sie absolut sicher: Er gehörte ihr, wenn sie ihn wollte. Und das wiederum würde sich auf dieser Reise, während des Wochenendes, das vor ihr lag, ein für allemal erweisen.

Er erwartete sie am Bahnhof von Spring Green, sein Auto stand mit laufendem Motor am Straßenrand, die Abgaswolke vor dem frisch gefallenen Schnee wirkte geisterhaft. Schnee lag auf seinem Haar, Schnee bestäubte seine Baskenmütze, seinen Mantel und den langen Schal. »Olgivanna«, mehr sagte er nicht, und dann umarmte er sie dort auf dem Bahnsteig vor aller Augen, während sein Chauffeur - Billy Weston, einer der Arbeiter von Taliesin - ihr die Autotür aufhielt. Sie spürte, wie der Boden des Wagens unter ihr vibrierte, bekam einen Schwung Abgas in die Nase, vermischt mit dem Duft der Seife, die Frank benutzte, und dann legte Billy Weston den Gang ein, und sie fuhren los. Rasch blieb der Ort hinter ihnen zurück, und sie waren auf dem Land, die Bäume schneebeladen, die Straße mit weißem Belag, Rauch quoll aus den Schornsteinen der Farmhäuser, Vieh trampelte stumpfsinnig in den Höfen herum. Es war, als wären sie in die Vergangenheit versetzt worden.

Sie sah zu Frank hinüber. Hielt seine Hand fest in der ihren. Er redete unentwegt, die Wörter sprudelten nur so aus ihm heraus, jede Kurve, jeder Blick auf eine verblasste rote Scheunenwand ein Grund zur Freude, seine Stimme so voll und melodiös, als sänge er. Sie beobachtete seine Augen, das Flattern seiner Zunge: Er sang, und sie war sein Publikum. Sie war fast überrascht, als Taliesin in Sicht kam, der zugefrorene See, der unter einer weißen Decke lag, das Haus, das sich flach an den Boden schmiegte, geduckt unter der Last des Schnees und dem Wald von Eiszapfen am Dachgesims. Es sah aus wie etwas, das die alten Kelten oder noch frühere Völker hätten gebaut haben können: mystisch, aus der Zeit gerissen, uralt wie die Erde, auf der es stand, und der Stein der Säulen, die es stützten. Was hatte sie noch gleich gesagt, als sie die gewundene Auffahrt hinauffuhren? Dass es wunderschön sei, magisch? Ach nein: dass es lebendige Kunst sei. So hatte sie es genannt: lebendige Kunst.

Sie wurde vorgestellt - den Neutras, den Mosers und den Tsuchiuras -, dann drehten sie eine flotte Runde ums Haus, damit sie einen Eindruck von der Weitläufigkeit des Anwesens bekam, und sie konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass man hier ein komplettes japanisches Dorf auf einen Hang in den Hügeln von Wisconsin gebaut hatte. Die Innenräume waren aufwendig für Weihnachten dekoriert - Kränze, Zweige, Trockenblumen, das Geglitzer von Silberkugeln, Kunstwerke allenthalben und Stimmung, frohe, festliche Stimmung.* Und dann bezog sie eines der Gästezimmer und kleidete sich fürs Abendessen um, während er, ganz zappelig, vor ihrer Tür wartete und redete, endlos redete, ein Thema ging ins andere über: dass ihre Fahrt durch den Schnee ihn an seine winterlichen Reisen von Fiesole nach Berlin und zurück erinnert habe, in jener Zeit, als er noch sein Portfolio zusammengestellt habe, wie die Sonne in Italien auf die Mauern der Villen geschienen habe und dass ihn das bernsteingelbe Mauerwerk von Taliesin daran erinnere, und wie es denn eigentlich ihrer Tochter gehe? Ob diese ein paar Tage ohne ihre Mutter zurechtkommen werde? Als Olgivanna schließlich aus der Tür trat, reichte er ihr ein Glas heißen Cider und geleitete sie durch das Zimmergewirr, um ihr all die schönen Dinge zu zeigen, die er gesammelt hatte - japanische Drucke von Hiroshige, Hokusai und Sadahide; Ming-Vasen, Marmorköpfe aus der Tang-Dynastie, Stickereien aus der GenrokuÄra, Momoyama Wandschirme -, wobei er sich zugleich über die Reinlichkeit der japanischen Kultur und die schlichte, organische Eleganz der Architektur dieses Landes ausließ. »Und ihre Sexpraktiken«, sagte er, nun vor dem Kaminfeuer in dem großen, niedrigen Raum stehend, der Ausblicke auf Hügel und Tal eröffnete, »ausgesprochen sauber, ausgesprochen zivilisiert. Und offen.«

 

* Wrieto-San liebte Feiertage - den Memorial Day, den Unabhängigkeitstag, Halloween, Thanksgiving, Weihnachten -, und wenn kein Feiertag in Sicht war, dann erfand oder übernahm er einfach einen, das Fundament des Juni, die Mittsommernacht, die Säulen des März, je stärker die heidnische Anmutung, desto besser. Und er war ein leidenschaftlicher Arrangeur, befasste sich immer wieder aufs neue mit der Anordnung seiner Möbel und Kunstgegenstände und widmete sich der jeweiligen festlichen Dekoration mit der ganzen Inbrunst seiner unerschöpflichen Energie (einer Energie, die sich leider oft in einer geradezu übermenschlichen Redseligkeit manifestierte, was es schwierig machte, mehr als ein oder zwei Stunden am Stück in seiner Gegenwart zu verbringen).

 

Sie hätte am liebsten den Kopf in den Nacken gelegt, ihm in die Augen geschaut und ihn gefragt, wie er dieses Wissen eigentlich erworben habe - knisternde Spannung lag in der Luft, und sie würden in dieser Nacht zum erstenmal zusammensein, das war die unausgesprochene Verheißung, wegen der sie die lange Zugfahrt hierher unternommen hatte -, da kamen die Tsuchiuras herein. Sie hatte bei ihrer Ankunft nur ein paar Worte mit ihnen wechseln können, ein Austausch der üblichen Höflichkeiten - Kameki war ein Architekt, der, wenn sie es recht verstanden hatte, sowohl in Japan als auch in Los Angeles mit Frank zusammengearbeitet hatte -, doch jetzt standen sie, fürs Abendessen gekleidet, da und verbeugten sich.

»Habe ich nicht recht, Tsuchiura-San?« fragte Frank, dessen Gesicht einen listigen Ausdruck angenommen hatte.

Eine weitere Verbeugung. Ein Knall wie von einem Gewehrschuss ertönte, ein Astknorren an einem der Holzscheite im Feuer. »Tut mir leid, Wrieto-San, aber ich habe den Anfang nicht gehört. Wir sind ja eben erst gekommen.«

»Ich habe Olgivanna gerade von der sexuellen Offenheit in Ihrem Land erzählt, von der sauberen, gesunden Einstellung, die Frauen wie Männer dort zum Geschlechtlichen haben ... «

Die Tsuchiuras - sie waren jung, in Olgivannas Alter, wie ihr schlagartig bewusst wurde - brachen beide in Gelächter aus.

Zum erstenmal seit sie ihn kannte, schien Frank verlegen zu sein, doch er fing sich schnell wieder. »Im Vergleich zu den Moralpredigern und Puritanern hier bei uns, meine ich, den zaghaften, ängstlichen Kleingeistern, die für alle anderen die Regeln bestimmen wollen -«

»So wie bei der Prohibition, meinen Sie«, warf Olgivanna ein, und sie schwebte innerlich, emporgetragen von den berauschenden Aufwinden dieses Orts, der Gesellschaft, der Unterhaltung.

»Nun«, sagte Frank und beugte sich vor, um das Feuer zu schüren, »Sie wissen ja, dass ich nichts vom Trinken halte - ich habe zu viele gute Männer daran zugrunde gehen sehen, Zimmerer, aber auch Zeichner-«

Wieder lachten die Tsuchiuras - und sie, taumelig, stimmte ein. »Wie Sand am Meer, Wrieto San«, sagte Kameki, der vor lauter Lachen kaum mehr Luft bekam, »all die betrunkenen Zeichner. Aber nicht Tsuchiura Kameki, nicht ein guter, ehrenwerter japanischer Zeichner -« »Und die Prohibition ist gar nicht so eine üble ... « begann Frank, doch dann sah er die drei an und musste selbst lachen. »Aber vielleicht« - mit einem demonstrativen Augenzwinkern legte er das Schüreisen wieder auf den unbearbeiteten Stein der Kamineinfassung - »sind es ja die Schweizer und Österreicher, auf die wir ein Auge haben müssen, was meinen Sie, Kameki?«

Die Neutras und die Mosers waren gerade in den Raum geschlendert, angeregt auf deutsch plaudernd, und Werner Moser griff den letzten Satz auf und fragte: »Was wirft man uns Österreichern und Schweizern denn vor?«

»Sex«, sagte Kameki. »Guten, sauberen, offenen und - was war es noch, Wrieto-San - zivilisierten Sex.«

Weiteres Gelächter. Gelächter in der ganzen Runde, nur Dione Neutra schien verwirrt, bis Frank wieder das Wort ergriff, nun plötzlich mit nüchterner Miene - oder ernst, das war es. Ernst. Er hatte seinen Spaß an dem Geflachse gehabt - er war die Leichtherzigkeit in Person, der überschwenglichste Mann, dem Olgivanna je begegnet war, und er begrüßte es, wenn seine Mitarbeiter und Schüler ausgelassen waren -, doch jetzt nahm er wieder die Rolle des Meisters ein und kehrte zu dem zurück, was er eigentlich hatte sagen wollen. Ihretwegen. »Sie wissen doch genau, dass ich von der - wie soll ich es nennen? -, der Freiheit der Japaner in sexuellen Dingen gesprochen habe, von ihrer Sichtweise des Sex als einer wesentlichen und notwendigen Funktion, die durch den Sittenkodex von Kirche und Politik nicht behindert oder ... oder belastet wird. Und diese Sauberkeit. Die Kimonos, das Zelebrieren von Schönheit und Ritual - nehmen Sie zum Beispiel die Teezeremonie. Und das strahlt in alle anderen Bereiche der Gesellschaft ab.«

»Sie sprechen von den Geishas«, hörte Olgivanna sich sagen. Um sie herum schien die Zeit stillzustehen, das Leuchten des Kaminfeuers, die Weihnachtskränze, in denen sich das Licht fing, die großflächigen Fenster mit Blick auf die Nacht und den verwehten Schnee. Geishas, dachte sie. Die Kurtisanen mit ihren Holzschuhen und Kimonos und ihrem glänzendschwarzen Haar. War es das, was er wollte?

»Frauen der fließenden Welt«, sagte Kameki mit sanfter Stimme.

Frank drängte sich an sie, legte ihr den Arm um die Taille, seine Hitze wie ein zweites Feuer, ein transportabler Ofen. »Ja«, sagte er, »die Geishas. Aber keine von denen -jedenfalls keine, die ich gesehen hätte - kann es an Schönheit und Anmut mit Ihnen aufnehmen.«

Und dann sagte jemand: »Na denn«, alle hoben ihre Cider-Gläser, und er sah ihr unverwandt ins Gesicht, hingerissen von diesem Augenblick. Sie schloss die Augen für den öffentlichen Kuss, für Stempel, Siegel und Imprimatur ihres neuen Meisters, und war so entrückt, dass sie das Bild von Georgei - runzelig, bleich, in die grau werdenden Laken und die Festung seines Geistes gesunken - in ihrem Innern verblassen ließ, bis es nicht mehr da war.

Und dann - dann gab es Abendessen, reichliche, einfache Kost und die Sorte Gespräch, die die Welt bereicherte, wobei alle außer Frank mit Akzent Englisch sprachen, mit japanischem, deutschem, montenegrinischem Einschlag - und als sie danach am Kaminfeuer zusammensaßen und Dione Cello spielte und dazu mit der Stimme eines auf die Erde herabgestiegenen Engels Schubert sang, fühlte sich Olgivanna so wohl in ihrer Haut, so unbefangen, dass sie aufstand und für alle tanzte.

Das Lied{1} war ihr nur vage bekannt, doch das machte nichts, denn hier war ein tieferer Rhythmus am Werk, ein Zauber, der sie berauschte. Sie ließ sich in dieses Gefühl hineinsinken, in die harmonische Bewegung, in die Trance der Sufi-Mystiker, in alles, was Georgei sie gelehrt hatte, und brachte es an die Oberfläche ihres Seins, dort, in dem großen Raum in Taliesin, vor dem Kaminfeuer, das prasselte und fauchte zu diesem alles verschmelzenden Schöpfungsakt - und sie tanzte nicht für ein Publikum in irgendeinem Theater, sondern nur für ihn, für ihn allein.

 

* »Der Elfenkönig« - was hätte passender sein können?