Achtundzwanzig
JASON STAND MITTEN im Wohnzimmer von Kiras Eltern, das plötzlich ganz klein wirkte. Kleine Schneehäufchen fielen von ihm herunter, und er hatte ihre Gummistiefel in der Hand. Er machte ein Gesicht, als hätte er seinen besten Freund verloren.
Kira stieß einen Schrei aus und rannte auf ihn zu.
Die Stiefel polterten zu Boden, als Jason Kira auffing und ihren Mund mit dem seinen verschloss.
Der Kuss fühlte sich an wie ihr erster, umwerfend und endlos, gierig und fordernd, voller Leidenschaft.
Dieser Kuss zeigte noch so viel mehr ... Zuneigung und Verlangen ... auf beiden Seiten.
Kira jedenfalls bemühte sich nicht mehr, ihre Gefühle zu verbergen, und ließ sich einfach gehen. Vernunft war jetzt völlig nebensächlich. Sie wollte Jason in sich spüren.
„Ich will dich“, sagte Jason rau vor Lust. „Ich will dich haben.“
„Oben“, keuchte Kira während sie an ihm herumknabberte und ihn küsste.
„In deinem Bett“, befahl er. „Ich will dich in deinem ganz persönlichen Kaninchenbau.“
„Im Bett meines Bruders“, erwiderte sie.
Er lachte und liebkoste ihre Lippen und zog an der Locke über ihrer Augenbraue. „Das ist aber ganz schön schräg!“
Kira kicherte. „Mein Vater hat gesagt, du sollst im Bett meines Bruders schlafen. Lass es uns also ein bisschen durchwühlen, damit es so aussieht, als hättest du es getan, bevor ich wieder in meine Höhle krieche und dich mitnehme.“
Zwei Stunden später, noch ganz von Sex erfüllt, aber bereit für eine Fortsetzung, führte Kira Jason in ihr eigenes Zimmer.
„Oh ja“, sagte er, als er es sah. „Ich muss dich unbedingt hier drin haben. Ich will dich aus deinem Kokon befreien, damit du dich in voller Farbenpracht entfalten kannst.“
„Ja“, erwiderte Kira, als Jason sie auf ihr altes Doppelbett fallen ließ. „Lass mich fliegen, Iceboy.“ Und sie öffnete die Arme und ließ ihn in ihr Herz.
Diesmal war es anders gewesen, dachte sie hinterher. Diesmal hatten sie sich wirklich geliebt.
Am nächsten Morgen kamen sie gegen zehn Uhr Hand in Hand in die überfüllte Küche ihrer Eltern zum sonntäglichen Treffen des Fitzgerald-Clans.
Sie wusste, ihre Brüder würden über die Anwesenheit des Eiswolfs die Augenbrauen heben, und sein Status als bester Küsser würde Neid bei ihren Schwestern wecken. Aber sie ahnte nicht, welche süße Rache sie erwartete.
Völlig überwältigt starrte Regan den berühmten Mann an, den ihre Schwester hinter sich her in die Küche zog. Aber das war noch gar nichts, verglichen mit Charlie dem Sexprotz, dem einfach der Mund offen stehen blieb. Er sah aus wie ein Fisch an Land, der nach Luft schnappt. Kira verkniff sich ein Kichern.
Charlie streckte seinem Idol die Hand hin, aber Jason legte seinen Arm um Kiras Hüfte und knabberte an ihrem Nacken und ihrem Ohr, bis sie wieder kichern musste. Dann tat er so, als würde er erst jetzt Charlies ausgestreckte Hand sehen, und ergriff sie. „War ein hartes Jahr in den unteren Ligen“, meinte Jason. Das saß.
Kira liebte Jason dafür. Nun ja, nicht dass sie ihn tatsächlich liebte ... Wieso eigentlich? Genau das tat sie doch! Sie liebte ihn. Aufrichtig und von ganzem Herzen.
Sie wunderte sich, wie lange es gedauert hatte, bis sie es herausgefunden hatte.
Regan nahm einen Schluck Saft und räusperte sich. „Du kannst es auch genauso gut jetzt gleich erfahren, Sis. Charlie hat mich gebeten, ihn zu heiraten. Und ich habe ja gesagt.“
„Oh!“, bemerkte Jason. „Ich gratuliere. Ihr beide habt euch wirklich verdient.“
Kiras jüngerer Bruder lachte auf, und ihre Mutter gab ihm eine Kopfnuss. Ihr Vater lächelte auf seinen Teller hinunter. Als Regan mit Charlie nach Hause gekommen war, musste ihr Vater begriffen haben, was wirklich passiert war.
Charlie schnaubte voller Abscheu. „Sie ist schwanger.“
„Nicht ohne deine Hilfe“, fuhr Regan ihn an und brach einen Streit vom Zaun, in den sie die ganze Familie verwickelte.
Jason wandte dem Tisch den Rücken zu und beugte sich hinunter zu Kiras Ohr. „Sieht so aus, als hätte dein Zauber nicht gewirkt“, flüsterte er.
„Der Zauber sollte bewirken, dass er bekommt, was er verdient, und Verantwortung für seine Handlungen übernimmt. Er heiratet Regan. Es hat also funktioniert.“
„Was höre ich da?“, fragte Jason. „Du meinst, ich habe den Zauberspruch falsch verstanden?“
„Das hast du.“
„Also hätte ich überhaupt keine Angst zu haben brauchen.“ Kira zwinkerte ihm zu. „Oh, das würde ich nicht unbedingt sagen.“
Jason küsste sie, und sie erwiderte den Kuss, was ihre Familie zum Schweigen brachte und den Streit fürs Erste beendete. Dann quetschten sie und Jason sich noch mit an den Tisch, und plötzlich fingen alle auf einmal an zu reden.
Ihre Brüder stellten Fragen über Hockey, und ihre Schwestern wollten alles über die Kuss-Show wissen. Kira fühlte sich selbst wie ein Star.
Jason erkundigte sich, wie Kira als Kind gewesen war, und brachte ihre Eltern auf seine charmante Art dazu, genau jene Geschichten zu erzählen, wie sie auch Gram von ihm berichtet hatte. Was in Kira ein warmes Gefühl der Geborgenheit hervorrief und Regan offensichtlich zu Tode langweilte.
Noch nie hatte Kira ein Frühstück mit der Familie so gut gefallen.
Als das Gespräch auf Hockey kam, sagte Jason, dass er in ein paar Tagen zu den Wizards zurückkehren würde. „Aber ich werde zu jeder Veranstaltung der Stiftung kommen“, sagte er zu Kira. „Bis meine sechs Monate vorbei sind. Das verspreche ich.“
„Großartig“, sagte sie und war sich nicht sicher, warum seine Ankündigung sie überraschte. Wahrscheinlich war sie davon ausgegangen, dass sein plötzliches Erscheinen eine Änderung seiner Pläne bedeutete.
Was für ein absurder Zeitpunkt, um zu begreifen, dass sie sich in ihn verliebt hatte - trotz der Indigo-Kerzen, um sich genau davor zu schützen, und der Sprüche, mit denen sie sich aufgemuntert hatte, und der vielen Versprechungen, die sie sich selbst und ihm gemacht hatte.
Sie war ja solch eine Versagerin!
Jason blieb übers Wochenende, lachte und spielte mit ihren Brüdern und Schwestern Brettspiele im Haus und Football und Baseball im Park. Und ohne Regan und Charlie, wann immer es möglich war.
„Du kannst dich wirklich glücklich schätzen, eine solch große Familie zu haben“, meinte Jason nach einer irgendwie verkrampften Runde Sex am Sonntagabend.
Ja, klar, dachte sie. Sie hatte gerade zum letzten Mal mit dem Mann geschlafen, den sie liebte.
Sie war wirklich ein richtiger Glückspilz.
Nachdem sie Jason am darauf folgenden Montagmorgen zum Flughafen gebracht hatte, fuhr sie allein zur Arbeit.
Von dem Augenblick an, als die Nachrichten zum ersten Mal darüber berichteten, dass er wieder bei den Wizards spielen würde, begannen die Leute ihre Karten für die weihnachtliche Schlittentour zu den Villen abzubestellen.
Jason erschien zwar wie versprochen zu der Veranstaltung, aber es fiel ihm nicht einmal auf, wie wenig Leute gekommen waren, und sie wies ihn auch nicht darauf hin. Er blieb ohnehin nicht lange genug, um viel zu reden, geschweige denn, um sich zu lieben.
„Zum Weihnachtsball am nächsten Wochenende komme ich wieder her“, erklärte er und fuhr schon um zehn los, um seinen Flieger zu bekommen. Kein auf Wiedersehen. Kein Kuss.
Nun stand es endgültig fest: Durch Jason Goddards Adern lief Eiswasser.
Am Freitagmorgen betrat Bessie Kiras Büro, es war der Tag vor dem Weihnachtsball. „Jason hat angerufen“, sagte sie. „Es tut ihm leid, aber er schafft es nicht zu kommen. Er hat uns gebeten, ihm zu verzeihen. Er hat am nächsten Tag ein Spiel. Aber Weihnachten will er nach Hause kommen.“
„Na klar“, erwiderte Kira, wandte sich dem Fenster zu und starrte hinaus. Sie war gerade von dem Mann, den sie liebte, durch seine Großmutter versetzt worden. Gram drückte mitfühlend Kiras Schulter und ging wieder hinaus.
Zehn Minuten später kam Billy in ihr Büro gesegelt. „Bessie sagt, jemand brauche einen Tanzpartner für den Weihnachtsball.“
Der Herr segne Bessie!
„Ich hätte Zeit“, meinte er. „Hast du Lust, mit mir auf den Ball zu gehen?“
Kira grub ein Lächeln aus. „Schrecklich gern. Danke.“
Während des Balls stellte Kira ihr Handy aus, denn es klingelte immer wieder und zeigte Jasons Namen auf dem Display. Morgens um zwei kam sie nach Hause und starrte auf ihren Wecker, anstatt zu schlafen. Ihr Handy schaltete sie erst um vier wieder ein.
Es klingelte sofort.
„Bist du verrückt geworden?“, fragte Jason, bevor sie auch nur Hallo sagen konnte.
„Wie hast du es herausgefunden?“, wollte sie wissen. Ihr war klar, dass es ihm nicht passte, dass sie mit Billy zum Ball gegangen war.
„Gram hat mich angerufen und es mir gesagt. Sie meinte, es habe dir viel Freude gemacht.“
„Und was stört dich daran? Soll ich jetzt in Trauer versinken und wieder Schwarz tragen, nur weil du wieder Hockey spielst? Das glaubst du wohl selbst nicht.“
„Du bist verrückt, und das weißt du auch. Billy ist nichts als ein fauler Süßholzraspler, der nur auf eins aus ist.“
„Und da frage ich dich noch einmal, inwieweit sich Billy eigentlich von dir unterscheidet“, spottete sie.
Jason verstummte.
„Das Leben ist eben kein Kaninchenbau“, fuhr Kira fort. „Ich gehöre dir nicht. Ich kann ausgehen und sogar bumsen, mit wem ich will!“ Kira legte auf, hasste sich selbst dafür und heulte.
Eine Minute später rief Jason wieder an, und während sie noch versuchte, nicht ranzugehen, hörte es auf zu klingeln. Eine Sekunde später zeigte das Display eine Nachricht auf ihrer Mailbox an.
Sie gab den Code ein und hörte sich an, was der Sportler zu sagen hatte. „Sieh dir verdammt noch mal morgen mein Spiel an!“ „Den Teufel werde ich tun.“
Eine halbe Stunde nachdem Jasons Spiel angefangen haben musste, wurde Kira es müde, vor ihrem Fernsehgerät auf und ab zu laufen, und schaltete es ein. „Ich kann mir das blöde Zeug genauso gut ansehen“, murmelte sie. Einen Löffel und ein Glas Schokoladensoße hatte sie längst bereitgestellt.
Nachdem sie zwei Sekunden zugesehen hatte, war Kira schon hin- und hergerissen. Wünschte sie sich eigentlich nun, dass Jason gewann oder verlor?
Jedes Mal, wenn der Puck in seine Richtung flog, zuckte sie zusammen. Sie wusste im Nachhinein nicht mehr, wie oft es geschehen war, aber bestimmt mehr als hundert Mal. Jason fing jeden einzelnen ab, und kurz bevor die Wizards das Spiel gewannen, nannte der Kommentator Jason wieder bei seinem alten Namen, Eiswolf. Das Spiel endete eins zu null. Die Menge war völlig aus dem Häuschen.
Vor der Arena fiel dann die Presse über Jason her.
„Der Eiswolf ist zurück!“, sagte ein Journalist begeistert und hielt Jason das Mikro unter die Nase, und Kira konnte seine Begeisterung spüren, als er in die Kameras grinste.
„Was ist das für ein Gefühl?“, wollte der Journalist wissen. „Wie Magie“, erwiderte Jason und sah sie direkt an, als würde er nur mit ihr sprechen, dachte Kira. Dann warf sich das Blondchen von der Auktion in seine Arme, und Kira schaltete den Fernseher aus.
Das war es also. Sie hatte ihn nicht nur ans Hockeyspielen verloren, sondern auch an das Blondchen.
Es war schon seltsam, dass man nie merkte, wie sehr man jemanden liebte, bis es zu spät war.
Jetzt war es an der Zeit, den Job zu wechseln. Auf keinen Fall würde sie es ertragen, dass Jason immer wieder in ihrem Leben auftauchte, wenn er Bessie besuchte.
Am folgenden Tag bekam Kira einen Anruf von Travis, dessen Stimme so von Panik erfüllt war, dass sie Jason anrief. Aber die Frau, die an sein Handy ging, wusste nicht, wo er war.
Zum Teufel mit ihm, dachte Kira und beschloss, selbst nach St. Anthony's zu fahren, denn die Zwillinge sollten offenbar adoptiert werden. Allerdings einzeln, und das durfte nicht geschehen. Die beiden überhaupt zu verlieren war etwas, was sie jetzt nicht auch noch ertragen konnte.
Andererseits konnte sie es genauso wenig ertragen, Jason zu verlieren. Aber sie hatte zumindest versucht, ihm dabei zu helfen, das zu bekommen, was er sich wünschte. So wie sie den Zwillingen helfen würde, Eltern zu finden, die sie gemeinsam haben wollten. Egal, was das für sie selbst bedeutete.
Vielleicht würde sie die Stiftung doch noch nicht verlassen. Ihr Handy klingelte und zeigte eine Nummer, die sie nicht kannte, aber nach Travis' Anruf ging sie trotzdem dran.
„Kira“, sagte Jason. „Ich bin ...“
„Hast du meine Nachricht schon bekommen?“
„Welche Nachricht? Ich habe mein Handy vergessen. Ich bin in einer Telefonzelle.“
„Ruf Travis auf St. Anthony's an“, sagte Kira. „Er braucht dich. Und Jason! Lass ihn nicht hängen. Du bist sein Idol. Er glaubt, dass du alles wieder in Ordnung bringen kannst.“
„Das klingt so, als wärst du weniger davon überzeugt.“
„Ist doch egal.“
„Du hast dir das Spiel nicht angesehen“, stellte Jason fest. „Vergiss das Spiel“, entgegnete Kira. „Travis braucht dich.“ Jason seufzte. „Was soll ich denn für ihn in Ordnung bringen?“
„Er sagt, eine Frau namens Cruella will ihn adoptieren, aber sie hat kein Interesse an Zane.“
„Das geht doch nicht. Ich bin schon auf halbem Weg nach Hause“, erwiderte Jason. „Hol mich in zwei Stunden am Providence Airport ab.“
Jason legte auf, bevor Kira ihn fragen konnte, wovon zum Teufel er eigentlich redete. Er hatte am nächsten Tag ein Spiel an der Westküste. Wie konnte er da auf dem Weg nach Rhode Island sein?
Zwei Stunden? Kiras Herz raste.
Sie wusste genau, was sie anziehen würde.