»Mein Gott, warum haben sie nicht aufgegeben?«, stieß Abby bestürzt hervor, als die letzten Schüsse verklungen waren und sich für einen beklemmenden Moment eine fast unwirkliche Stille über das Schlachtfeld legte. Der Rauch des Buschfeuers, das an vielen Stellen in sich zusammengefallen war und nur noch schwelte, vermischte sich mit den Schwaden des verbrannten Schießpulvers und trieb wie Nebel nach Süden. »So viele Tote...« Ihr war elend zumute und würgend wandte sie den Kopf ab. Sie wusste, dass dieses Bild sie noch lange verfolgen würde. Es gab keinen Ruhm auf einem Schlachtfeld, sondern nur die abstoßende Fratze des gewaltsamen Todes.
Terence zeigte kein Mitleid. »Sie haben gewusst, was sie erwartet hätte, wenn sie sich ergeben hätten. Ich hätte an ihrer Stelle auch hier den Tod vorgezogen, als mich in Ketten legen und in Sydney aufknüpfen zu lassen«, sagte er. »Und vergiss bitte eines nicht: Diese Banditen kannten kein Erbarmen. Wenn wir sie nicht entdeckt hätten und ihnen der Überfall gelungen wäre, hätten sie jeden von uns gnadenlos niedergemacht.«
Andrew nickte. »Ja, das sollten wir wirklich nicht vergessen. Entweder wir oder sie, das war die Alternative.« Er atmete tief durch. »So, und jetzt wartet ein bitterer Kelch auf uns... wir müssen unsere Waffen niederlegen und uns Lieutenant Danesfield ausliefern.«
»Noch halten wir alle Trümpfe in der Hand«, sagte Terence und deutete auf die Männer und Frauen, die mit Silas Mortlock an der Spitze hinter den Barrikaden hervorkamen. »Wir brauchen ihnen nur ein Zeichen zu geben und dann ist das Schicksal der Soldaten besiegelt!«
»Nein!«, sagte Andrew mit blassem Gesicht, aber fester Stimme. »Es ist schon genug Blut geflossen. Und wir sind keine Schlächter, Terence! Wir ergeben uns. So war es ausgemacht und dabei bleibt es auch.«
»Dann können wir nur hoffen, dass endlich ein neuer Gouverneur eintrifft und wir vor seinen Augen Gnade finden«, murmelte Douglas. »Denn andernfalls landen wir alle auf Norfolk Island.«
»Na, wenigstens bleiben wir zusammen«, warf Arthur Watling mit Galgenhumor ein.
Sie warfen ihre Waffen ins niedergebrannte Gras und liefen mit hoch erhobenen Händen den Hang hinunter. Als Silas dies sah, gab er auch seinen Männern und Frauen den Befehl, die Waffen niederzulegen.
»Was jetzt kommt, wird nicht sehr leicht sein«, sagte Andrew leise zu Abby. »Du wirst sehr tapfer sein müssen.«
»Nicht nur ich, wir alle«, gab Abby ebenso leise zurück und sah, wie Lieutenant Danesfield in herrischer Pose vor einem der Tierkadaver Aufstellung nahm und ihnen triumphierend entgegenblickte. Und schräg hinter ihm tauchte Cleo auf. Sie bleckte die Zähne in einem höhnischen Grinsen.
»Was immer auch geschieht, vergiss nie, dass ich dich liebe und niemals die Hoffnung aufgeben werde, dass dieser Albtraum einmal ein Ende hat und wir hier in Frieden leben können!«
Abby kämpfte gegen die Tränen an, die ihr in die Augen stiegen. »Und ich liebe dich, Andrew! Und es gibt nichts, was ich bereue !«
Augenblicke später standen sie vor Danesfield.
»Ein feiner Plan, sich aus der Kolonie zu stehlen und sich hier mit anderen Gesetzlosen zu verstecken, Andrew Chandler! Und deine Flucht von der Phoenix war auch recht geschickt eingefädelt!«, begrüßte er Andrew und Abby mit einer Mischung aus Verachtung und triumphierender Genugtuung. »Aber ihr und eure Komplizen habt die unverzeihliche Dummheit begangen, euch ausgerechnet mit mir anzulegen!«
Cleo nahm ihren Blick nicht von Abby. Der Hass und das unstillbare Verlangen nach Rache sprühten förmlich aus ihren Augen.
»Die angeblich Gesetzlosen, von denen Sie gerade sprachen, haben Sie und Ihre Männer vor dem sicheren Tod durch die Buschbanditen bewahrt, Lieutenant. Nicht den Schimmer einer Überlebenschance hätten Sie ohne uns gehabt!«, erwiderte Andrew kühl und ohne ein Zeichen von Angst. »Es wäre uns ein Leichtes gewesen, auch Ihren kleinen Trupp ins Kreuzfeuer zu nehmen und...«
Weiter kam er nicht, denn Danesfield riss seine Reitgerte aus dem Schaftstiefel und schlug nach ihm. Andrew warf den Kopf geistesgegenwärtig zur Seite, sodass ihn die Gerte nur an der Schulter traf.
»Du hältst dein Maul!«, schrie Danesfield ihn an. »Corporal, lassen Sie diesen Mann und dieses Weibsstück sofort in Eisen legen!«
Jethro Haines machte eine unglückliche Miene. Er und die fünf anderen Soldaten, die den Überfall der Buschbanditen überlebt hatten, wussten nur zu gut, was sie den Siedlern zu verdanken hatten - nämlich ihr Leben.
»Sir, reicht es nicht, wenn...«, setzte er zu einem vorsichtigen Einwand an.
»Das ist ein Befehl, Corporal!«, schnitt Danesfield ihm herrisch das Wort ab und drohte: »Noch ein Widerwort und auch Sie werden sich in Eisen wiederfinden!« Er hob seine Stimme, damit ihn jeder hören konnte. »Und das gilt für jeden, der es wagen sollte, meinen Befehlen nicht auf der Stelle Folge zu leisten! Habe ich mich deutlich ausgedrückt, Corporal?«
»Jawohl, Sir!«, sagte Jethro Haines mit verschlossener Miene und winkte zwei seiner Männer heran. »Ihr habt gehört, was der Lieutenant befohlen hat. Legt sie in Eisen.«
Als sich die breiten Eisenbänder, die durch eine kurze Kette miteinander verbunden waren, um Abbys Fußgelenke schlössen, trat Cleo zu ihr.
»Ich habe den Lieutenant auf eure Spur gebracht, mein Täubchen, damit du es nur weißt!«, sagte Cleo mit höhnischem Triumph in Stimme und Augen. »Ja, mir allein habt ihr es zu verdanken, dass euer Plan gescheitert ist und du nun doch noch auf Norfolk Island landen und dort verrotten wirst! Weißt du, was dein Fehler gewesen ist?«
Abby hielt ihrem giftigen Blick mit unbewegtem Gesicht stand, antwortete ihr jedoch nicht.
»Dass du Miststück dich mit mir auf der Kent angelegt und mich vor den anderen blamiert hast, das ist dein größter Fehler gewesen! Denn so etwas vergesse ich nie!«, zischte Cleo und spuckte dabei Speichel. »Und dein anderer Fehler war, dass du geglaubt hast, mich austricksen zu können. Aber mich legt man nicht ungestraft aufs Kreuz, mein Täubchen. Wer sich mich zum Feind gemacht hat, zieht am Ende immer den Kürzeren. Immer! Ich denke, das wirst auch du jetzt endlich begriffen haben. Und du wirst bestimmt noch oft daran denken, vor allem wenn du auf die Hölleninsel kommst und dort elendig vor die Hunde gehst!«
Abby sah sie scheinbar unbewegt an. All der Abscheu und auch die Angst, die sie im Kerker von Sydney vor Cleo gehabt hatte, fiel wie tote Haut von ihr ab. Eine große seelische Erschöpfung überkam sie.
»Du tust mir Leid, Cleo«, sagte sie ohne jeden Sarkasmus. »Ja, mit dir kann man wirklich nur Mitleid haben. Du bist von Hass und Bösartigkeit ja geradezu zerfressen. Menschen wie du schaffen sich schon auf Erden ihre eigene Hölle. Darin bist du ein Meister. Weißt du, was du bist? Du bist nichts anderes mehr als ein Sklave deines Hasses.«
Cleos Gesicht verzerrte sich. »Wie sprichst du mit mir?«, keifte sie und riss die geballten Fäuste hoch. »Dir werde ich es zeigen!«
Augenblicklich griff Corporal Haines ein. Er rammte Cleo den Kolben seines Gewehrs in die Seite, noch bevor sie auf Abby losgehen konnte. Cleo stürzte zu Boden und erstarrte, als der Corporal blitzschnell das Gewehr in seinen Händen umdrehte und ihr die Bajonettspitze ans Kinn setzte.
»Du hältst dich von unseren Gefangenen fern!«, herrschte er sie mit schneidender Stimme an. »Und das gilt ganz besonders für diese Person hier! Wenn du einen der Chandlers auch nur noch einmal ansprichst oder gar die Hand gegen sie erhebst, lasse ich dir den Rücken bis auf die Knochen blutig peitschen und dich ebenfalls in Eisen legen!«
Erst verstört, dann Hilfe suchend, blickte Cleo zu Lieutenant Danesfield hinüber.
Doch dieser dachte gar nicht daran, sie vor seinem Corporal in Schutz zu nehmen. Dafür war seine Verachtung für sie viel zu groß. »Ja, sorgen Sie mit eiserner Hand dafür, dass sich weder dieses Weibsbild noch sonst jemand irgendwelche Eigenmächtigkeiten herausnimmt, Corporal! Wir haben einen langen Weg zurück in die Kolonie vor uns. Und wer es wagt, meinen Befehlen und den Anweisungen meiner Männer nicht unverzüglich Folge zu leisten, wird bestraft - und zwar ohne jede Ausnahme!«
In maßloser Entrüstung schnappte Cleo nach Luft, wagte jedoch nicht ein Wort des Protestes. Doch der unbändige Hass, der in ihren Augen stand, galt nun auch dem Offizier und seinem Corporal.
Danesfield gönnte seinen Soldaten eine Ruhepause von drei Tagen, die auch nötig waren, um die Toten am Fuß der Vorberge zu beerdigen und den Rücktransport der Siedler vorzubereiten. Er requirierte Fuhrwerke, Ochsen und Pferde, erlaubte jedoch nur leichtes persönliches Gepäck und einen knappen Vorrat an Proviant. Alles andere blieb im Tal zurück, auch das restliche Vieh. Danesfield wollte so schnell wie möglich zurück in die Kolonie, um seinen Ruhm zu ernten.
Abby und Andrew blieben die ganze Zeit unter Bewachung. Am Morgen des Aufbruchs kletterten sie mit rasselnden Fußketten auf den Transportwagen der Rotröcke. Jonathan durfte an ihrer Seite bleiben, so viel Menschlichkeit hatte der Lieutenant doch noch gezeigt. In beklommenem Schweigen blickten sie zurück ins Tal mit seinen verlassenen Farmen, während die lange Wagenkolonne dem ersten Pass entgegenstrebte.
Würden sie je wieder in dieses wunderbare Tal der Frangipanis zurückkehren? Ein solch gnädiges Schicksal war ihnen wohl nicht mehr beschert. Welche schmerzhaften Prüfungen mochten nun stattdessen auf sie warten?