Vierundzwanzigstes Kapitel

 

Cleo brauchte zwei mühselige Tage, um mit ihrem einachsigen Wagen zum Hawkesbury River zu gelangen. George Hennessey hatte ihr einen unansehnlichen Gaul verkauft, der sich zwar als zäh erwies, aber nicht dazu zu bringen war, zwischendurch einmal ein flottes Tempo vorzulegen. Am großen Fluss eingetroffen, vergingen dann noch einmal drei ärgerliche und heiße Tage, bis sie endlich auf der abgelegenen Farm Marramarra auf Lieutenant Danesfield und sein Kommando stieß.

An ihren toten Mann, den Cecil Boone vermutlich am Morgen nach ihrem Aufbruch aus Sydney in ihrem Quartier vorgefunden hatte, hatte sie in diesen Tagen kaum einmal gedacht. Und wenn doch, dann nur flüchtig und ohne allzu viel Bedauern. Nach seiner Gesellschaft hatte sie schon lange vor ihrem letzten Streit, der zu seinem tödlichen Sturz geführt hatte, kein Verlangen mehr gehabt. Kein Hahn würde nach ihm krähen. Und sie war sicher, dass man sie nach ihrer Rückkehr mit der Führung des Gefängnisses betrauen würde. Sie besaß nicht nur die nötige langjährige Erfahrung, sondern hatte zweifellos auch einen Anspruch auf diese Position, sozusagen als gerechte Belohnung für das, was sie für Danesfield und Grenville getan hatte. Denn ohne sie würden sie wohl nie auf die Spur des heimlichen Trecks gestoßen sein. Ja, sie hielt in diesem Spiel lauter Joker in der Hand!

Danesfield war mit seinen zwölf Soldaten, von denen nur sechs beritten waren, während der Rest auf den harten Bänken eines offenen Kastenwagens folgte, der auch Wasser, Zeltbahnen und Proviant geladen hatte, den Hawkesbury immer weiter flussabwärts gezogen. Er hegte die irrige Vermutung, dass sich Abby und Andrew Chandler im nördlichen Grenzgebiet der Kolonie auf einer der Farmen versteckt hielten, die in der Einsamkeit dieses Landstriches lagen. In jeder kleinen Siedlung und auf jeder Farm hatte er Halt gemacht und die Leute unter Androhung schwerer Strafen befragt, ob sie etwas über den Verbleib der Gesuchten wussten. Aber bis auf vage Gerüchte hatte er nichts Konkretes in Erfahrung bringen können. Und in entsprechend übellauniger Stimmung befand er sich, als er mit seinem Trupp lustloser und hitzegeplagter Soldaten nach Marramarra kam.

Als Cleo auf der Farm eintraf, hatte er sich gerade den Farmer vorgenommen, einen Mann namens Charles Raleigh. Der große, breitschultrige Mann überragte den Offizier um gut eine Haupteslänge, hatte ein kantiges und wettergegerbtes Gesicht und den Stolz und das Selbstbewusstsein eines freien Siedlers, der sich auch von einem Lieutenant Seiner Majestät nicht einschüchtern ließ.

»Mäßigen Sie sich gefälligst in Ihrem Ton, Lieutenant!«, hörte Cleo ihn gerade mit scharfer Stimme sagen, als sie ihr Gefährt auf den Hof lenkte, der für ihren Geschmack einen geradezu makellosen Eindruck machte. Neid kroch wie bittere Galle in ihr hoch. Sogar die Nebengebäude, nicht eines windschief und lieblos zusammengezimmert, wie man sie auf vielen anderen armen Heimstätten vorfand, hätten als Musterbeispiel für eine vorbildlich aufgebaute und geführte Farm herhalten können. Kein Zweifel, dieser Farmer war nicht mit leeren Taschen nach New South Wales gekommen, sondern hatte die finanziellen Mittel besessen, sich ein kleines Reich zu schaffen, auf das er auch in England hätte stolz sein können.

»Weder haben Sie einen Untergebenen vor sich noch einen Emanzipisten oder gar einen Sträfling, den Sie nach Gutdünken anbrüllen und bedrohen können und der nach Ihrer Peitsche tanzen muss. Mein Name ist Raleigh, Lieutenant! Charles Clifford Raleigh! Der Name sollte sogar Ihnen etwas sagen. Meine Familie hat nicht nur hier in der Kolonie einen guten Namen, sondern auch bei gewissen Leuten im Kolonialamt in London - wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will! Und ich werde nicht mit Raleigh angesprochen, sondern mit Mister Raleigh, so wie es mir zusteht!«

»Das mag sein, wie es will!«, erwiderte Danesfield, doch schon deutlich beherrschter. »Aber auch Sie haben mir Auskunft zu erteilen, Mister Raleigh! Jeder hier in der Kolonie, welchen Namen oder Rang er auch tragen mag, hat bei einer solchen Strafverfolgung dem Verantwortlichen Rede und Antwort zu stehen, ganz besonders wenn es sich um einen gesuchten Sträfling handelt. Und dieser Verantwortliche bin in diesem Fall ich, Mister Raleigh!«

»Und ich habe Ihnen schon zweimal gesagt, dass ich nicht weiß, wo sich Mister Chandler mit seiner Frau aufhält, Lieutenant!«, erwiderte der Farmer, abweisend in Ton und Miene. »Und das gilt auch für meine Familie und die Leute, die für mich arbeiten.«

Danesfield funkelte ihn an, sichtlich am Rande seiner Beherrschung. Mit seiner Reitgerte schlug er nervös gegen seinen Stiefel. »Es fällt mir schwer, Ihren Worten Glauben zu schenken!«, stieß er mit hochrotem Kopf hervor.

Charles Raleigh stellte die Beine leicht auseinander und verschränkte die Arme vor seiner imposanten Brust. »So?«, fragte er gedehnt. »Nun, um Ihnen in Fragen des Glaubens zu tieferer Erkenntnis zu verhelfen, bin ich leider der falsche Mann, Lieutenant. Mit diesem Problem sollten Sie besser einen Geistlichen aufsuchen!« Seine Stimme triefte vor beißendem Spott, und einige der Soldaten, die sich in den Schatten der Veranda geflüchtet hatten, wagten sogar, leise zu lachen.

Danesfield hatte noch immer nicht Cleo bemerkt, die ein gutes Dutzend Schritte von ihm entfernt von ihrem Wagen geklettert war und sich ihm nun näherte, ein leicht schadenfrohes Grinsen auf dem Gesicht. Sie genoss die Hilflosigkeit des Offiziers.

»Ich warne Sie!«, zischte Danesfield und ließ seine Reitgerte dabei mit einem wütenden Schlag auf seinen Schaftstiefel klatschen, dass es wie ein scharfer Pistolenknall klang. »Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, dass Sie und die Chandlers nicht nur befreundet sind, sondern dass Sie auch Kenntnis haben, wo sie sich versteckt halten. Und wenn sich das bewahrheitet, wird Sie auch Ihr Name oder was Sie an Einfluss zu haben glauben, nicht davor bewahren, sich vor Gericht verantworten zu müssen!«

Charles Raleigh ließ sich davon nicht im Geringsten beeindrucken. »So, Sie haben Gerüchte gehört?« Er lachte trocken auf. »Geben Sie mir nur einen Penny für jedes Gerücht, das mir in den letzten Jahren hier in der Kolonie zu Ohren gekommen ist, und ich werde noch reichlich Geld übrig haben, um Sie mit einer fetten Offizierspension zurück nach England schicken zu können. Denn eines der vielen hässlichen Gerüchte, die ich gehört habe, besagt, dass die Herren Offiziere vom New South Wales Corps ganz versessen darauf sind, so schnell wie möglich so viel Geld wie möglich aus der Kolonie zu pressen, um sich in der Heimat damit ein schönes, geruhsames Leben zu machen.« Und bevor Danesfield seine Beherrschung verlieren und explodieren konnte, fügte er mit raffinierter Schläue und treuherzigem Blick hinzu: »Wie gesagt ein ganz hässliches, übles Gerücht von vielen. Mir jedenfalls käme es nie in den Sinn, einer so bösartigen Unterstellung Glauben zu schenken. Und so sollten auch Sie nicht allem bösartigen Klatsch Glauben schenken, der Ihnen von irgendwelchen Dummköpfen und respektlosen Lästermäulern aufgetischt wird, meinen Sie nicht auch?«

Danesfield schnappte hörbar nach Luft. Was dieser Farmer wirklich von ihm und seinen Offizierskameraden hielt, stand außer Frage. Verachtung sprach aus seiner Haltung und seinen Worten. Aber er hatte seine Beleidigung so geschickt formuliert, dass er ihm daraus keinen Strick drehen konnte.

Voller Häme hatte Cleo dem hitzigen Wortwechsel zugehört und sich an der Ohnmacht von Danesfield geweidet. Aber nun drängte es sie, im Mittelpunkt zu stehen und endlich ihre sensationelle Information loszuwerden.

»Ich glaube nicht, dass Sie aus diesem Farmer irgendetwas Hilfreiches herausholen, Lieutenant Danesfield«, meldete sie sich nun in seinem Rücken zu Wort. »Aber das ist auch nicht notwendig. Denn alles, was Sie wissen wollen, können Sie von mir erfahren.«

Der Lieutenant fuhr herum und starrte sie entgeistert an. Es dauerte einen Moment, bis er richtig begriffen hatte, wer hier auf dem Hof von Marra- marra, mehrere Tagesreisen von Sydney entfernt, vor ihm stand und ihn mit einem geradezu unverschämten Grinsen auf dem Gesicht anblickte.

»Was hast du hier verloren?«, fauchte er sie an, und seine ohnmächtige Wut, die der Farmer in ihm zum Kochen gebracht hatte, richtete sich augenblicklich auf sie.

»Ich habe seit Tagen nach Ihnen gesucht.«

»Was?«, schrie er außer sich. »Du hast es gewagt, mir und meinen Soldaten zu folgen?« Er hob die Reitgerte.

Cleo ahnte, dass jetzt nicht der Moment war, um ihren Triumph auszukosten, indem sie sich mit wortreichen Erklärungen aufhielt. Sie musste sofort mit der Nachricht heraus, wenn sie nicht seine wilde Wut an ihrem Leib zu spüren bekommen wollte.

»Ich weiß, wo Abby und Andrew Chandler sich versteckt halten!«, rief sie hastig.

Die Reitgerte verharrte in der Luft. »Was sagst du da?« Mit ungläubiger, verkniffener Miene starrte er sie an, als überlegte er, ob er nicht besser doch zuschlagen und seiner angestauten Wut damit Luft machen sollte.

»Ich habe herausgefunden, wohin die beiden verschwunden sind! Allein deshalb habe ich nach Ihnen gesucht! Fünf Tage hat es mich gekostet, damit ich Ihnen diese Nachricht überbringen kann!«

Der Farmer spuckte zum Zeichen seines Abscheus in den Sand vor seinen Füßen, drehte sich dann um und befahl einem seiner Arbeiter, die Tiere der Soldaten mit Wasser zu versorgen und den Männern eine Stärkung zu bringen. Er wusste offenbar nur zu gut, wie weit er gehen konnte. Niemand sollte ihm nachsagen können, er hätte ihnen seine Hilfe verwehrt. Dann verschwand er ohne ein weiteres Wort im Haus.

Indessen ließ Danesfield seine Reitgerte sinken, rammte sie sich in seinen rechten Stiefel und packte Cleo grob am Arm. »Wenn du dich damit bloß wichtig machen willst und mir einen Bären aufbindest, wird es dir schlecht ergehen!«

»Nichts liegt mir ferner, Lieutenant! Es ist die Wahrheit!«, versicherte sie und gab sich untertänig. »Hätte ich es denn sonst auf mich genommen, bei dieser brüllenden Hitze fünf Tage lang nach Ihnen zu suchen?«

»Nun rede schon! Was weißt du? Und woher hast du dein Wissen?«, forderte er sie auf.

Cleo berichtete zunächst von dem Gespräch der drei Farmer, das sie im Boar's Head zufällig mit angehört hatte, und wie sie sich danach sofort auf den beschwerlichen Weg gemacht hatte, wobei sie die Strapazen allzu ausführlich schilderte, sodass der Lieutenant ihr mit einer ungeduldigen Handbewegung bedeutete, sich kurz zu fassen. Daraufhin schilderte sie ihm hastig, was sie in Camden aus dem Händler Nicholas Barrymore herausgelockt hatte.

»Sie haben sich also mit einem verbotenen Siedlertreck aus der Kolonie gestohlen!« Danesfield ließ einen lästerlichen Fluch folgen, wurde ihm doch im selben Moment bewusst, wie viel Tage er mit seiner Suche in der völlig falschen Gegend vergeudet hatte - und was für eine große Wegstrecke nun vor ihnen lag, um vom Unterlauf des Hawkesbury erst einmal nach Camden zu kommen und dann von dort die Spur der Siedler aufzunehmen. »Dreimal Hölle und Verdammnis!«

»Ja, es ist ein langer Weg hinunter nach Camden, und es wird mühsam sein, sie in der Wildnis aufzustöbern«, sagte Cleo und fuhr dann mit einer Mischung aus Unterwürfigkeit und schmeichlerischer Bewunderung fort: »Welch ein Glück, dass man gerade Sie mit dieser Aufgabe betraut hat. Wahrlich aus gutem Grund! Denn wenn einer diese gesetzlose Bande finden und stellen kann, dann sind Sie das, Lieutenant. Bei Ihnen sind sie an den Falschen geraten. Egal wie gerissen sie zu sein glauben, Sie werden den Chandlers und ihren Spießgesellen, die mit ihnen losgezogen sind, einen fetten Strich durch die Rechnung machen und sie zur Rechenschaft ziehen! Ich bin sicher, bei Ihrer Rückkehr nach Sydney wird man Sie als Held feiern! Ja, das wird man ganz sicher!«

Danesfield sah sie erst mit gerunzelten Brauen an, als wüsste er nicht, was er von ihren Worten halten sollte. Dann jedoch entspannte sich seine Miene, als fände er auf einmal selber Gefallen an der Vorstellung, sich mit dieser Unternehmung Ruhm und Ehre zu verschaffen. Und er ließ sich nun dazu herab, sie mit einem Lächeln und einem, wenn auch sehr sparsamen, Wort des Lobes zu bedenken.

Und als er nach einer ausgiebigen Rast Marramarra mit seinen Soldaten verließ, um sich auf den langen Weg nach Süden zu machen, hatte er Cleo mit herablassender Huld die Erlaubnis erteilt, ihn und sein Kommando zu begleiten.

Cleo jubilierte innerlich und fühlte sich wie berauscht. Die Strapazen, die vor ihnen lagen, schreckten sie nicht. Zu sehen, wie Abby und Andrew Chandler in ihrer Gegenwart wie die Hasen aus ihrem Bau gejagt, in Eisen gelegt und nach Sydney zurückgebracht wurden,um dort ohne jeden Zweifel am Galgen zu hängen, würde sie um ein Vielfaches für alles entschädigen, was sie bis dahin an Hitze, Staub und Mühsal ertragen musste. Jetzt rückte mit jeder Stunde endlich der süße Augenblick der Abrechnung mit Abby näher!