Wir sollten schon bald einen Wagen in die Kolonie schicken«, sagte Douglas Brown. »Früher oder später müssen wir es ja doch riskieren, also warum nicht jetzt gleich? Bis es an die Ernte geht, sind es ja noch ein paar Monate hin. Und wenn wir die Männer schon jetzt losschicken, können sie noch gut vor dem Weihnachtsfest zurück sein und einiges mitbringen, was für glänzende Augen an den Festtagen sorgen wird.« Er nahm einen Schluck von dem Tee, den Abby zubereitet und dann in einem tiefen Loch am Fluss kalt gestellt hatte. »Dein Tee ist einfach köstlich, Abby! Du musst Deborah unbedingt verraten, wie du das fertig bringst!«
Abby nahm das Kompliment mit einem Lächeln entgegen. »Dahinter verbirgt sich überhaupt kein großes Geheimnis, Douglas. Ich habe ihn aus den Blättern der Sarsaparolla-Pflanze gekocht, die schon selbst einen leicht süßlichen Geschmack hat. Verfeinert habe ich nur mit ein wenig Ingwerpulver! Übrigens mit dem letzten Löffel, den wir noch im Haus hatten.«
»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist, jetzt schon aufzubrechen«, sagte Andrew skeptisch. »Wegen der großen Hitze ist das Land staubtrocken, und wir müssen reichlich wässern, damit der Weizen und der Mais, der noch so prächtig steht, keinen Schaden nehmen. Da wird jede Hand gebraucht. Also, ich bin dafür, erst im neuen Jahr loszuziehen.«
Terence, der seine hochschwangere Frau an seiner Seite hatte, nickte. »Jessica kann jeden Tag niederkommen und da möchte ich sie nicht allein lassen. Aber lasst uns morgen darüber reden, wenn die ganze Versammlung zusammentrifft. Jetzt sollten wir uns erst einmal Gedanken machen, was wir gegen die verdammten Dingos unternehmen, die auf unserer Talseite schon das dritte Schaf gerissen haben.«
Douglas, der mit seiner Familie auch am Ostufer des Stony River gesiedelt hatte, gab einen schweren Seufzer von sich. »Ja, ich fürchte, wir werden nicht umhinkommen, unsere Nachtwachen zu verstärken, um diese Räuberbande zu erledigen.«
Emily hörte in der Küchenecke nur mit halbem Ohr auf das, was Andrew, Terence, Douglas und die Frauen vor dem Haus unter dem Vordach beredeten. Es war später Nachmittag, und ihre Gedanken weilten bei Stanley, mit dem sie sich an ihrem geheimen Treffpunkt verabredet hatte. Bis dahin war noch reichlich Zeit, aber sie war voll freudiger Unruhe, ihn wiederzusehen, in seine Arme zu fallen und sich ganz seinen Küssen und behutsamen Liebkosungen hinzugeben. Und als sich Rosanna auch noch zu den Erwachsenen unter das schattige Vordach gesellte, schlüpfte Emily leise durch die Hintertür aus dem Haus, lief über die hintere Weide und gelangte schnell außer Sichtweite.
Da es noch mindestens eine gute halbe Stunde dauern würde, bis Stanley unten am Fluss eintraf, blieb ihr genug Zeit, um vorher noch eine Weile am Grab ihres Vaters zu verbringen. Auf dem Weg zum Hügel pflückte sie einen Strauß Wildblumen. Für frisches Wasser wollte sie später sorgen.
Sie setzte sich vor dem Grabkreuz ins Gras und redete in Gedanken mit ihrem Vater, erzählte ihm einmal mehr von ihrer großen Liebe zu Stanley und ihren gemeinsamen Träumen.
Als sie kurz darauf das Knacken trockener Zweige unter Stiefelsohlen und das Rascheln von Zweigen hinter sich vernahm, lachte sie leise auf und rief über ihre Schulter: »Konntest du es auch nicht erwarten?«
»Nein, das konnte ich wirklich nicht, mein Täubchen«, antwortete ihr eine Männerstimme, aber es war nicht die ihres Geliebten, sondern die kratzige Stimme von Henry Blake.
Erschrocken sprang sie auf und fuhr zu ihm herum. »Was wollen Sie hier?«, stieß sie hervor.
»Endlich das tun, was mir schon seit langem durch den Sinn geistert - und was du mit dem jungen Stanley schon seit Wochen treibst!«, antwortete Henry mit einem heimtückischen Grinsen und kam auf sie zu. »So ein junges Ding wie du ist nämlich ganz nach meinem Geschmack.«
Emily bekam es mit der Angst zu tun. »Verschwinden Sie von meinem Land, sonst wird es Ihnen Leid tun!«, drohte sie und wich vor ihm zurück.
Er lachte auf. »Mir brauchst du nicht die reine Jungfrau vorzuspielen, das heb dir mal für deine Chandlers auf, die nehmen dir das noch ab!«, sagte er höhnisch. »Aber mir machst du nichts vor. Ich habe gesehen, wie dir der Grünschnabel unter das Kleid gegangen ist! Und du hast nicht genug davon bekommen können. Aber dein Jüngelchen ist ein elender Stümper. Ich werde dir zeigen, was ein richtiger Mann ist!«
Emily suchte ihr Heil in der Flucht, doch dafür hatte sie ihn schon zu nahe an sich herankommen lassen. Mit zwei schnellen Sätzen war er bei ihr, bekam ihren Arm zu fassen und riss sie zurück.
»So wird das Spiel nicht gespielt, Liebchen!«, rief er lachend, und sie roch, dass er getrunken hatte. Und zwar einiges, denn sonst hätte er sich wohl kaum dazu hinreißen lassen, über sie herzufallen.
»Lassen Sie mich los!«, schrie Emily in panischer Angst und wehrte sich mit aller Kraft gegen seinen brutalen Griff, doch ohne Erfolg.
Henry schlug ihr mit dem Handrücken so hart auf den Mund, dass ihre Oberlippe aufplatzte. »Ich werde dir ein paar feine Sachen beibringen, mit denen du deinem Stanley den Himmel auf Erden bereiten kannst! Und jetzt hör verdammt noch mal auf, dich zu wehren! Es nützt dir ja doch nichts. Wenn du vernünftig bist, wirst du schon deinen Spaß haben, das verspreche ich dir.«
»Nein! Nein! Nein!« Sie trat und schlug nach ihm.
»Na, dir falsches Luder werde ich es zeigen! Du kannst es auch gern auf die raue Tour haben!«, zischte er wütend. Er griff in den Ausschnitt ihres Kleides und riss den Stoff bis hinunter zu ihren Hüften auf. Dann stieß er sie zu Boden, presste seine linke Hand auf ihre Kehle, sodass sie wie festgenagelt am Boden lag, zerrte mit aller Kraft an ihrer Unterhose, bis sie in Fetzen ging, und machte sich nun an seinem Gürtel zu schaffen.
Emily glaubte schon, der Schändung nicht mehr entkommen zu können. Doch da sah sie einen Schatten durch die Büsche brechen. Es war Stanley, das Gesicht eine verzerrte Maske. Mit beiden Händen einen dicken Ast schwingend, stürzte er auf Henry zu und schlug ihm den Knüppel mit aller Kraft über den Schädel.
Doch er hatte in der Hektik eine schlechte Wahl getroffen. Denn der Ast war morsch und brach beim Aufprall auf Henrys Schädel in mehrere Stücke, ohne den Mann auch nur halbwegs betäubt zu haben.
Henry ließ Emily los, sprang mit einem zornigen Aufschrei hoch und rammte Stanley seine Faust in den Magen. Der wuchtige Schlag traf Stanley völlig unvorbereitet. Er klappte nach vorn zusammen - und zwar geradewegs hinein in den brutalen Aufwärtshaken, den Henry ihm auf das Kinn setzte. Der Haken warf Stanley benommen zu Boden.
Noch bevor Stanley sich von den beiden Schlägen erholen und sich aufrappeln konnte, hatte Henry sein Messer gezogen, Emily mit der anderen Hand ins Haar gegriffen und ihr die Klinge an die Kehle gesetzt.
»Rühr dich bloß nicht von der Stelle, wenn dir das Leben dieses Flittchens etwas wert ist!«, stieß er hervor. »Ich mache keine leeren Drohungen, verstanden? Ich steche zu! Und dann nehme ich mir dich zur Brust, du Milchbube!«
Emily stand wie erstarrt und Todesangst zeigte sich in ihren weit aufgerissenen Augen. Deutlich spürte sie, wie das breite Buschmesser die Haut über ihrem Kehlkopf spannte.
Mühsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete sich Stanley auf. »Du... du musst verrückt sein!«, stieß er hervor.
»Was du nicht sagst!«
»Wenn du... Emily auch nur ein Haar krümmst, bist du... erledigt!«
Henry lachte höhnisch. »Dein Blick scheint reichlich getrübt zu sein! Sonst würdest du sehen, dass ich ihr schon mehr als nur ein lausiges Haar gekrümmt habe!«, sagte er und ruckte kurz an Emilys Haarschopf, in dem sich seine Linke vergraben hatte.
»Du weißt, was ich damit gemeint habe!«, erwiderte Stanley und sah voller Verachtung zu ihm hoch. »Dass du versucht hast, Emily zu... zu schänden, ist schon schlimm genug. Dafür wird dich der Fünfer-Rat bestrafen. Ja, die Peitsche ist dir sicher, Henry Blake. Aber wenn dir dein eigenes Leben lieb ist, wirst du sie jetzt loslassen. Andernfalls wirst du am Galgen landen. Oder glaubst du vielleicht, du könntest hier ein Verbrechen begehen und ungeschoren davonkommen?« Und dann, einer spontanen Eingebung folgend, fügte er noch beschwörend und im Vertrauen darauf, dass Henry Blake sich noch einen Rest von Anstand und Skrupel bewahrt hatte, hinzu: »Denn was immer dich dazu getrieben hat, Emily hier aufzulauern - ein kaltblütiger Mörder, der ein wehrloses Mädchen absticht, bist du nicht. Also, noch liegt es ganz in deiner Hand, welche Konsequenzen auf dich warten. Noch ist es nicht zu spät, dich selbst vor dem Strick zu bewahren!«
Henry starrte ihn schweigend an, und Stanley hatte den Eindruck, als wären seine Worte nicht ohne Wirkung geblieben, zeigte sich doch plötzlich ein ernüchterter Ausdruck auf Henrys Gesicht. Und fast glaubte er ihm ansehen zu können, wie sich die Gedanken hinter seiner Stirn jagten, um einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden.
»Bitte, tun Sie mir nichts, Henry!«, flehte Emily und Tränen rannen ihr nun über die Wangen. »Noch... noch ist doch nichts allzu Schlimmes passiert!... Bitte, lassen Sie mich leben. Ich könnte doch Ihre Tochter sein.«
»Hör auf zu jammern und zu flennen!«, knurrte Henry, doch seine Stimme hatte den harten, wild entschlossenen Tonfall verloren. Nervös leckte er sich über die Lippen. »Also gut, ich werde euch nichts tun. Aber einfach laufen lassen kann ich euch auch nicht. Ich... ich brauche Zeit.«
Stanley wusste, was er damit meinte. Auch wenn er sich nicht an Emily verging und sie am Leben ließ, waren seine Tage im Frangipani Valley gezählt. Um seiner gerechten Strafe zu entkommen, die zweifellos die Peitsche bedeutete, musste er sein Heil in der Flucht suchen. Und um wenigstens eine Chance zu haben, brauchte er einen genügend großen Vorsprung.
»Wir geben Ihnen Zeit bis Sonnenuntergang«, bot Stanley ihm an. »Wir versprechen Ihnen, uns bis dahin hier nicht vom Fleck zu rühren, nicht wahr, Emily?«
»Ja, das versprechen wir, bei allem, was uns heilig ist!«, stieß Emily hastig hervor.
Henry schnaubte unwirsch. »Auf euer Wort gebe ich nicht mal einen lausigen Furz! Ich werde schon selbst dafür sorgen, dass ihr euch nicht vom Fleck rühren könnt, und zwar länger als nur bis Sonnenuntergang.« Und dann forderte er Stanley auf, sein Hemd auszuziehen und es in mehrere lange Streifen zu zerreißen. »So, und jetzt kriechst du zu dem Baum hinter dir und bindest dir dort mit einem der Streifen die Beine zusammen. Und dann legst du die Arme nach hinten um den Stamm!... Na los, Beeilung!«
Stanley tat, wie ihm geheißen. Er war sicher, dass Henry ihnen kein Leid mehr zufügen würde, sondern vollauf damit beschäftigt war, sich einen Plan zurechtzulegen, wie er schnell genug aus dem Tal kommen und es seinen Verfolgern unmöglich machen konnte, ihn einzuholen.
Als er mit dem Rücken gegen den Baum gelehnt hockte, dessen Stamm er leicht mit seinen Armen umfassen konnte, und er sich selber die Füße zusammengebunden hatte, führte Henry Emily hinter den Baum und zwang sie, Stanley nun die Hände zu fesseln.
» Fester!«, herrschte Henry sie an und versetzte ihr einen derben Schlag an den Kopf. »Hältst du mich für einen Tölpel, dass ich nicht sehe, was du vorhast? Zieh fest zu!... Ja, so ist es richtig!... Und weil du das so schön kannst, machst du gleich noch einen zweiten Knoten!«
Stumm folgte Emily seinen Anweisungen.
»So, und jetzt runter mit dem Kleid!«, befahl er, als er sich vergewissert hatte, dass beide Fesseln straff gebunden und fest verknotet waren.
»Bitte, nicht!«, rief Emily entsetzt und von der Angst gepackt, dass er nun doch noch tun würde, wovon ihn Stanleys Auftauchen im letzten Augenblick abgehalten hatte. »Sie haben doch versprochen...«
»Halt das Maul!«, fuhr er sie an. »Mir ist bei deinem jämmerlichen Gewimmer längst die Lust vergangen, dir zu zeigen, was ein richtiger Mann ist! Vielleicht kommt dein Grünschnabel ja irgendwann mal auf den Trichter, wie man es einer Frau richtig besorgt! Und jetzt runter mit dem Kleid! Ich brauche den verdammten Fetzen, um auch dich zu fesseln. Und jetzt mach schon!«
Am ganzen Leib zitternd, zog Emily ihr Kleid aus und hockte sich dann einige Schritte von Stanley entfernt an einen anderen Baum, damit er sie fesseln konnte.
Als das geschehen war, benutzte Henry die restlichen Stoffstreifen, um ihnen Knebel anzulegen. »Wir wollen doch nicht die friedliche Stille mit wildem Geschrei stören«, sagte er sarkastisch.
Er hatte sich schon von ihnen abgewandt, als er plötzlich innehielt und zu Stanley zurückkehrte.
»Wir wollen voneinander Abschied nehmen, so wie du es verdient hast, du Held!«, sagte er verächtlich - und schlug ihm das Griffende seines Buschmessers brutal gegen die rechte Schläfe.
Stanley gab einen erstickten Aufschrei von sich und sackte bewusstlos in sich zusammen.
»Das war für den Versuch, mir den Schädel einzuschlagen, Bursehe!«, sagte Henry mit grimmiger Genugtuung. Dann wandte er sich Emily zu, tippte sich mit der Messerspitze wie zum Gruß leicht gegen die Stirn und sagte mit beißendem Spott: »So, jetzt habt ihr euer kleines Liebesnest ganz für euch allein. Nun genießt mal die vielen Stunden! Könnte eure erste gemeinsame Nacht werden!« Und mit höhnischem Gelächter machte er sich davon.
Verzweifelt und voller Angst versuchte Emily, Stanleys Namen zu rufen. Sie fürchtete, Henry könne ihn erschlagen haben. Aber der Knebel erstickte jeden Laut in ihrem Mund. Tränen liefen ihr über das Gesicht.