Siebzehntes Kapitel

 

Emily konnte sich nicht mehr riechen - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, stank sie doch von Kopf bis Fuß nach Mist, der ihr einfaches Kattunkleid durchtränkt hatte, als wäre sie in eine Jauchegrube gefallen. Und ein ähnliches Missgeschick war ihr auch passiert.

Während Abby zum Jäten in den Gemüsegarten gegangen war, hatte sie den Stall ausgemistet. Zwar wäre eigentlich Rosanna damit an der Reihe gewesen. Aber sie hatte darauf bestanden, ihr diese nicht gerade angenehme Arbeit abzunehmen, zum Dank für die vielen kleinen und großen Aufmerksamkeiten, mit denen Rosanna sie auf ihre mütterliche Art bei allen nur möglichen Gelegenheiten beschenkte. Gleiches galt auch für Andrew und insbesondere für Abby, die ihr in den vergangenen Monaten wie zu einer lieben älteren Schwester geworden war, zu der sie mit all ihren Kümmernissen und Sorgen kommen konnte. Und Andrew war ein Mann, zu dem man einfach aufschauen musste, so wie sie es einst bei ihrem Vater hatte tun können.

Welch großes Glück sie doch gehabt hatte, gerade bei ihnen so herzliche Aufnahme gefunden zu haben und sich nicht wie eine lästige Verpflichtung vorkommen zu müssen, der man sich so schnell wie möglich zu entledigen wünschte. Ja, die Chandlers und Rosanna waren zu ihrer neuen Familie geworden, soweit das überhaupt möglich war, wenn man in so kurzer Zeit die Brüder und Eltern verloren hatte.

Wütend über ihre eigene Ungeschicklichkeit, folgte sie dem schmalen Trampelpfad, den sie im Laufe der vergangenen Monate auf ihrem eigenen Land, der noch brachliegenden und ungerodeten McGregor-Parzelle, selber in das Gras getreten hatte und der sich um Dickichte und mehrere Eukalyptushaine schlängelte. Dieser Pfad teilte sich unterhalb eines kleinen Hügels. Die rechte Abzweigung wand sich zum Fluss hinunter, während die linke zum Hügel hinaufführte, wo sie im Schutz einer Gruppe von Frangipanis und einigen Queckenbüschen ein Kreuz für ihren Vater errichtet hatte.

Andrew hatte ihr angeboten, ihr bei der Anfertigung des Kreuzes zur Hand zu gehen. Sie hatte jedoch darauf bestanden, die beiden Latten eigenhändig aus einem Brett zu sägen, die Kanten sorgfältig abzuschleifen, die Enden ein wenig zu verzieren und zum Schluss den Namen ihres Vaters sowie das Jahr seiner Geburt und seines Todes in die Querstrebe einzuschnitzen.

Auch hatte sie vor dem Kreuz einen selbst angefertigten, kleinen Holztrichter in die Erde gesetzt, den sie regelmäßig mit frischen Wildblumen schmückte. Kein Tag verging, an dem sie diesem Ort nicht wenigstens einen kurzen Besuch abstattete und zu einem Gebet für die Seele ihres Vaters niederkniete. Eines Tages, vielleicht schon im kommenden Februar, würde hier auch der Leichnam ihres Vaters ruhen, das hatte ihr Andrew versprochen. Und sie zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass er sein Wort auch halten würde.

Aber an diesem heißen Oktobernachmittag ging sie nicht zuerst auf den Hügel, sondern nahm die Abzweigung zum Fluss hinunter. Denn so verschmutzt, wie sie war, und so, wie sie stank, würde sie kaum die nötige Andacht finden, die das Andenken ihres Vaters verdiente. Wie hatte sie bei der letzten Fuhre Mist sich auch nur so dumm anstellen können, dass sie ausgerutscht und der Länge nach mitten in den frischen Mist gefallen war!

Es drängte Emily, an jene Stelle hinunterzukommen, wo der Stony River eine kleine Ausbuchtung aus dem Ufer gespült hatte und wo zu beiden Seiten weidenähnliche Bäume wuchsen. Eine bessere Stelle, an der sie sich unbesorgt das Kleid abstreifen und ein Bad im klaren Wasser nehmen konnte, gab es weit und breit nicht. Denn auf der anderen Uferseite hatte sich kein Siedler niedergelassen. Auch bildeten dort Bäume und wildes Gestrüpp eine dichte grüne Barriere.

Noch bevor Emily das Ziel ihrer eiligen Schritte erreicht hatte, knöpfte sie sich das Kleid am Rücken auf und zog es sich über den Kopf. Augenblicke später watete sie, nur noch mit ihrem ebenfalls verschmutzten Leibchen und der knielangen Unterhose bekleidet, im Schutz der Bäume in das Wasser. Es war kalt, und im ersten Moment sog sie die Luft scharf ein, weil ihr die Beine vor Kälte kribbelten, als stachen ihr tausend winzige Nadeln in die Haut. Doch dann zögerte sie nicht länger und tauchte ganz unter. Und schnell gewann das Gefühl herrlicher Frische die Oberhand.

Nachdem sie ihr Kleid mehrfach durch das Wasser gezogen und den Mist mit Flusssand gründlich abgerieben hatte, hängte sie es am Ufer über einen tief hängenden Zweig. Dann machte sie sich daran, ihr Leibchen zu säubern. Sie zog es kurzerhand aus, weil sie nicht recht sehen konnte, ob sie auch ganze Arbeit leistete, wenn es ihr klatschnass am Körper klebte. Und dann entledigte sie sich auch ihrer Unterhose. Es gefiel ihr, das Wasser auf ihrer nackten Haut zu spüren. Für eine Weile verharrte sie sogar kniend im Wasser und wartete, bis die Oberfläche wieder so glatt wie ein Spiegel geworden war, und musterte ihr Abbild, das sich nun auf dem Wasser abzeichnete. Mit einem teils versonnenen, teils stolzen Lächeln wandte sie ihren Oberkörper ganz vorsichtig, um keine Bewegung in das Wasser zu bringen, mal nach rechts und dann nach links, um sich auch im Halbprofil zu mustern. Und ihr Lächeln wurde noch um eine Spur breiter, als sie sah, wie das Spiegelbild keck ihre schon sehr fraulich entwickelten Brüste von der Seite zeigte.

»Ich wünschte, ich hätte das Talent zum Malen!«, sagte plötzlich eine Stimme vom Ufer her.

Emily stieß einen erschrockenen Schrei aus, griff nach ihrer Leibwäsche und presste sie sich vor die entblößte Brust, bevor sie herumfuhr.

Es war Stanley, der am Ufer stand und sie so erschreckt hatte. Über der rechten Schulter trug er einen Buschhacker, einen kräftigen Holzstab von der Länge eines Forkenstiels, an dessen Ende eine breite, sichelförmige Schneide angebracht war. Damit machte man Gestrüpp und Büsche mit dünnen Stämmen am einfachsten nieder.

»Wie kannst du es wagen, dich heimlich anzuschleichen, wenn ich ein Bad nehme!«, rief sie empört und lief puterrot an. Denn dass er sie splitternackt vor Augen hatte und wohl auch mitbekommen hatte, wie sie das Abbild ihrer Brüste im Wasser betrachtet hatte, stand außer Frage. »Das hätte ich von dir nicht gedacht! Wahrlich nicht!« Bisher hatte sie eine hohe Meinung von ihm gehabt. Ja, wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, dann empfand sie sogar noch beträchtlich mehr für ihn. Sie hatte sich in den gut aussehenden Stanley Watling ernsthaft verliebt, und sie musste sich schon sehr täuschen, wenn er nicht genau dieselben Gefühle für sie hegte.

»Tut mir Leid, wenn ich dich erschreckt habe!«, sagte er, ohne jedoch ein Grinsen verbergen zu können. »Aber angeschlichen habe ich mich nicht, Ehrenwort!«

»So? Verirrt haben wirst du dich doch wohl kaum!«

»Nein, das nicht, aber ich habe mich auch nicht angeschlichen!«, bekräftigte er noch einmal. »Ich war auf dem Weg zu euch, um Mister Chandler den Buschhacker zurückzubringen, den er uns vor ein paar Tagen geliehen hat. Und da habe ich dich zwischen den Büschen in meine Richtung gehen sehen. Ich dachte erst, ich würde dich oben auf dem Hügel bei der Grabstelle deines Vaters antreffen. Aber dort warst du nicht. Und da bin ich eben dem anderen Weg hier zum Fluss hinunter gefolgt, um zu sehen, ob du vielleicht mit einem Eimer Wäsche oder so zum Wasser runtergegangen bist.«

»Mit einem Eimer Wäsche oder so!«, wiederholte sie unwirsch, aber ohne die Empörung des ersten Augenblicks. Denn alles deutete darauf hin, dass er die Wahrheit sagte. »Seit wann schleppe ich denn dreckige Sachen erst über die Chandler-Farm und dann noch über mein Land, um sie hier zu waschen?«

»Na ja, gewaschen hast du ja wirklich«, sagte er mit einem entwaffnenden Lächeln und deutete auf das Kleid, das ganz in seiner Nähe vom Ast hing.

»Dennoch hättest du so viel Anstand haben müssen, dich viel früher bemerkbar zu machen!«, hielt sie ihm vor.

Er zuckte in einer scheinbar hilflosen Geste die Achseln. »Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist, als ich dich da so... so im Wasser vor mir gesehen habe. Ich glaube, ich war irgendwie ... na ja, verzaubert eben.« Und nun schoss ihm das Blut ins Gesicht.

Emily wusste nicht, was sie darauf sagen sollte, begann ihr Herz doch wie wild zu rasen. »Der Zauber hat jetzt ein Ende!«, stieß sie schließlich mit belegter Stimme hervor, als sie sich wieder unter Kontrolle hatte. »Und jetzt dreh dich gefälligst um. Mir wird langsam kalt und ich will aus dem Wasser.«

»Klar doch!«, sagte er. Doch statt sich umzudrehen, zog er das Kleid vom Ast und sagte mit einem verschmitzten Lächeln: »Aber alles hat seinen Preis, du Wassernixe!«

»Was soll das?«

»Wenn du willst, dass ich dir das Kleid zurückgebe, kostet es dich einen Kuss!«, sagte er.

»Rede keinen Unsinn, Stanley Watling! Leg sofort das Kleid zurück! Und dann gehst du nach oben und drehst dich um, bis ich mich angezogen habe!«

Lachend schüttelte er den Kopf. »Nein, werde ich nicht! Unter einem Kuss mache ich es nicht.« Seine Stimme nahm einen veränderten, zärtlichen Tonfall an, als er dann noch hinzufügte: »Denn ich finde, es wird höchste Zeit für einen ersten Kuss.« Fragend sah er sie an.

»Du bist unverschämt, Stanley!«, stieß sie hervor, vermochte sich jedoch nicht dazu zu bringen, ihn empört anzusehen. Denn ihn zu küssen, davon träumte auch sie schon seit langem.

»Wenn du beim Grab deines Vaters schwörst, dass dir nichts an einem Kuss von mir liegt, dann werde ich nicht darauf bestehen und dir das Kleid einfach so geben und verschwinden, Emily«, sagte er leise. »Aber wenn du auch nur halbwegs das für mich empfindest, was ich für dich empfinde, dann möchte ich diesen Kuss - und zwar jetzt.« Und fast flehend setzte er hinzu: »Bitte, Emily!... Nur einen einzigen Kuss!«

Wie konnte sie schwören, nichts für ihn zu empfinden, wo doch das genaue Gegenteil zutraf! Und sie wusste, dass er es wusste.

»Das ist... nicht fair, Stanley«, hauchte sie mit glühenden Wangen, und ihr war, als wäre ihr wild jagendes Herz ihr in die Kehle gerutscht.

»Stimmt, aber ich weiß nicht, wann ich wieder den Mut aufbringe, dich darum zu bitten«, erwiderte er.

»Also gut! Aber nur einen Kuss«, sagte sie und gab ihren Widerstand auf, der sich allein ihrer Erziehung und dem Gebot der Schicklichkeit verpflichtet fühlte, nicht jedoch ihren Gefühlen. Und die waren stärker als alles andere. »Aber zuerst wirst du dich umdrehen, damit ich meine Leibwäsche anziehen kann.«

Er nickte, legte das Kleid zurück, ließ den Buschhacker neben sich ins Gras gleiten und wandte ihr den Rücken zu.

Emily stieg aus dem Fluss, schlüpfte rasch in ihre Unterhose und zog das Leibchen über. Beides klebte ihr wie eine zweite dünne Haut pitschnass am Körper und betonte mehr ihre reizvollen Formen, als dass sie etwas verhüllten. Aber das kümmerte sie jetzt nicht mehr.

Dann trat sie zu ihm und räusperte sich verlegen. »So. Jetzt... jetzt kannst du deinen Kuss bekommen, Stanley.«

Er drehte sich wieder zu ihr um.

Aufgeregt und hastig beugte sie sich zu ihm vor, stellte sich auf ihre Zehenspitzen und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund.

»Nein!«, rief er halb lachend, halb protestierend. »Das ist kein richtiger Kuss, Emily!... So hat mich meine Mutter immer auf die Stirn geküsst, wenn sie mich als kleines Kind ins Bett gebracht hat.«

Bevor Emily noch etwas erwidern konnte, legte er auch schon seine linke Hand in ihren Nacken, zog sie mit sanftem, aber unwiderstehlichem Druck zu sich heran und küsste sie auf die Lippen, während sich seine andere Hand nun auf ihren Rücken presste.

Es war kein stürmischer, doch ein langer und inniger Kuss, der sie bis in ihr Innerstes erschauern ließ und mit einer Zärtlichkeit erfüllte, die sie nicht für möglich gehalten hätte. Ihr war, als wiche alle Kraft aus ihrem Körper, während ihre Lippen verschmolzen und sie an ihn geschmiegt stand.

»O Stanley!«, flüsterte sie atemlos und fast schwindelig vom Aufruhr ihrer Gefühle, als sich sein Mund schließlich widerstrebend von ihren Lippen löste. Doch seine Hände hielten ihren Körper weiterhin umfangen.

»Wie oft habe ich mir vorgestellt, wie es wohl sein würde, dich in meinen Armen zu halten und zu küssen. Ich wusste, dass es so wunderschön sein würde, Emily. Und ich wünschte, ich könnte dich immer so halten und dich küssen«, sagte er leise. Seine Hand strich zärtlich über ihre Wange und glitt dann mit den Fingerspitzen über ihre feuchten Lippen.

»Ja, ich auch«, gestand sie mit einem glückseligen Lächeln. »Aber wir müssen vernünftig sein.« Und behutsam löste sie sich aus seiner Umarmung, hielt jedoch seine Hand fest und drückte sie.

Er seufzte. »Ja, ich weiß. Wir haben eine lange Zeit des Wartens vor uns, bis ich mit Mister Chandler über dich und mich sprechen kann. Aber jetzt weiß ich wenigstens, dass auch du auf mich warten wirst.«

»Ja, das werde ich, Stanley«, versicherte sie zärtlich und hatte Mühe, ihr unbändiges Verlangen zu zügeln, ihn noch einmal so innig zu küssen wie eben. »Aber jetzt muss ich mich sputen. Rosanna wird bald das Essen auftischen. Und ich möchte nicht, dass jemand fragt, wo ich so lange geblieben bin. Es ist besser, du gehst jetzt schon zur Farm, damit man uns nicht zusammen sieht und sich etwas zusammenreimt.«

Er lachte. »Na, so ganz ahnungslos dürften die Chandlers wohl längst nicht mehr sein. Aber du hast Recht, wir wollen besser keine unnötigen Schwierigkeiten heraufbeschwören.« Er nahm den Buschhacker wieder auf. »Sehen wir uns morgen hier wieder? Zur selben Zeit?«

»Ja, ich werde es versuchen«, versprach sie.

»Ich muss dir aber noch etwas sagen...«

»Was denn?«, fragte sie besorgt.

»Dass ich dich liebe!«, flüsterte Stanley, drückte ihr schnell noch einen Kuss auf den Mund und lief dann los.

Mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht sah sie ihm nach, bis er hinter den nächsten Büschen verschwunden war. Sie schmeckte noch immer seinen Kuss auf ihren Lippen und wünschte, dieses wunderbare Gefühl würde sich niemals verflüchtigen.

Nun ist es geschehen!, ging es ihr träumerisch durch den Kopf. Wir haben uns einander versprochen!

Noch eine ganze Weile stand sie so in ihren Träumen von einer gemeinsamen Zukunft versunken da und dachte darüber nach, wie lange sie wohl warten musste, bis Stanley es wagen konnte, Andrew um ihre Hand zu bitten. Gewiss mindestens bis zu ihrem sechzehnten Geburtstag, vielleicht auch noch länger. Aber so lang ihnen die Zeit bis dahin bestimmt auch werden würde, so war sie doch nichts im Vergleich zu der beglückenden Gewissheit, dass sie eines Tages Mann und Frau sein würden.

Mit diesem Gedanken griff sie nach ihrem Kleid, zog es sich über den Kopf und schloss die Knopfreihe im Rücken. Als sie den schmalen Pfad in Richtung Hügel hinaufging, hörte sie plötzlich zu ihrer Rechten ein Rascheln hinter einem Queckendickicht.

»Stanley?... Bist du das?«, rief sie und blieb stehen. Ihr war, als hätte sie hinter dem dichten Laubkleid einen davonhuschen-den Schatten bemerkt, und eine unerklärliche Unruhe erfasste sie.

Doch es blieb still, niemand antwortete ihr. Es gab auch kein weiteres Rascheln mehr.

Vermutlich nur ein Vogel oder ein Wombat, den ich aus seinem Versteck aufgeschreckt habe!, sagte sie sich und schüttelte über ihre eigene Schreckhaftigkeit den Kopf. Und schnell ging sie weiter, erfüllt von ihrer Liebe.