3
Seraph gestattete sich
nicht zurückzuschauen, sondern stapfte rasch durch das vom Unwetter
halb zerstörte Lager auf ihrem Feld und ignorierte dabei die Leute,
die sich ihrerseits beeilten, ihr auszuweichen. Sie starrte zu
Boden, um ihnen ihren Blick zu ersparen, bis sie den Wald
erreichte, der an den Hof grenzte.
Was hatte sie tun wollen?
Sie blieb lange Zeit stehen.
Sie musste sie schützen … bei Lerche und Rabe, sie
war machtkrank! Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr
fassen.
Der Schutzzauber. Sie sollte den Schutzzauber neu
setzen. Langsam ging sie zu der Stelle, an der er verlaufen war,
und kniete sich auf den Boden.
Es gibt zwei Möglichkeiten,
Schutzzauber zu setzen. Die Stimme ihres alten Lehrers war so
klar, als stünde er hinter ihr. Für eine Nacht
genügt ein schlichter Bann, ein Seil, das die Zelte und Wagen
umgibt und für ihre Sicherheit sorgt. Aber wenn man sich irgendwo
länger aufhält, oder wo die Gefahren größer sind, wird ein
Schutzzauber an besten als eine Kette mit miteinander verbundenen
Gliedern angelegt, jedes ein wenig anders als das vorangehende,
damit die anderen immer noch schützen können, selbst wenn ein
einzelnes Glied bricht.
Sie drückte die Hände in den Boden, fing an zu
arbeiten und ignorierte die hässliche, flüsternde Stimme, die sie
verleiten
wollte, die Macht, die in ihr rauschte, zu behalten. Wenn sie
einen Troll mit einem Flüstern töten konnte, wie viel Gutes würde
sie dann mit der Macht erreichen können, über die sie jetzt
verfügte?
Ihre Hände kribbelten, als sie vorsichtig eine
gebogene Linie in den Dreck zog. Sie hatte noch nie solche Macht
gehabt.
Erst als der schreckliche Rausch des Todes
vergangen war, hatte sie verstanden, wie alt der Troll gewesen war.
Sie spürte sein Alter im Brennen der Magie, die nicht geringer
wurde, selbst als sie mit der Erneuerung des Schutzzaubers begann,
der den Schatten für Generationen fernhalten sollte.
Sie fürchtete, selbst den Schutzzauber neu
einzurichten, würde nicht genügen, um so viel Macht zu absorbieren,
also begann sie, einen Teil davon in den Wald zu leiten. Wenn sie
zu viel entsandte, würde sie mehr Schaden anrichten als helfen,
aber ein kleines Rinnsal von Magie sollte keine schlechten
Auswirkungen haben.
Nach und nach versank sie im Erschaffen.
Schutzzauber einzurichten hatte ebenso viel mit Mathematik wie mit
Kunst zu tun und verlangte genügend Aufmerksamkeit, dass der Teil
von ihr, der sich immer noch den Machtrausch zurückwünschte, zu
einem Gemurmel schrumpfte, welches sie ignorieren konnte.
Sie wurde sich seiner nur nach und nach bewusst -
eine helle Gestalt, die friedlich neben ihr graste. Das Plätschern
des Regens wurde vom Knirschen von Zähnen auf Gras begleitet.
Dieses vertraute, friedliche Geräusch half ihr irgendwie, und sie
spürte eine tiefe innere Zufriedenheit.
Sie war zu Hause.
Sie beendete das Kettenglied, an dem sie arbeitete,
lehnte sich zurück und drückte sich die Fäuste gegen den
schmerzenden Rücken, als sie sich streckte.
»Du siehst nicht sonderlich gut aus«, sagte
sie.
»Eines der besudelten Geschöpfe hat den Priester
angegriffen«, erwiderte das helle Pferd, das Jes’ Waldkönig war.
Seine Stimme war samtig und sehr tief. »Ich habe ihn gerettet, aber
es war knapp. Karadoc ist nicht mehr jung, nicht einmal nach
Rederni-Maßstäben, und jetzt ist er auch noch krank. Und ohne einen
Priester war es erschöpfend, gegen die Besudelten zu kämpfen,
selbst mithilfe deiner Tochter.«
Sie dachte über das nach, was er gesagt hatte, und
ging ihre Fragen noch einmal durch. Dass sie immer noch nur langsam
denken konnte, erinnerte sie daran, dass sie die Machtkrankheit
noch lange nicht losgeworden war.
»Der Troll war nicht das erste vom Schatten
besudelte Geschöpf, das hierherkam?«, fragte sie. Sie brauchte Lehr
oder Jes nicht, die ihr sagten, dass der Troll besudelt gewesen
war. Anders als ein Nebelmahr war ein Troll von vornherein
schattengeboren, ein Geschöpf, dessen einziges Ziel darin bestand,
zu zerstören und zu töten.
»Nein, es gab auch andere Dinge, Wesen, wie ich sie
seit dem Fall des Schattens nicht mehr gesehen hatte, wenn auch
keines so gefährlich war wie der Troll. Sie kamen, um zu zerstören
und den Schatten zu nähren.«
Seraph saß reglos da. »Ich hatte gehofft, dass wir
uns irrten. Bist du sicher, dass es einen anderen Schatten gibt?
Volis hätte ihn ganz bestimmt nicht heraufbeschwören können.«
Das Pferd schnaubte. »Geschöpfe wie dieser Troll
würden nur dem Ruf eines Schattens folgen.« Er rieb sich die Nase
am Knie.
»Du meinst, der Schatten ist hier?«, fragte Seraph, dann schauderte sie, als ihre
Magie sich aufbäumte, weil die Beherrschung ihrer Gefühle ins
Schwanken geriet. Sie holte mehrmals tief Luft, bis alles sich
wieder beruhigte.
Der Waldkönig wartete, bis sie fertig war, dann
sagte er:
»Jetzt nicht mehr, denke ich. Aber er ist hier gewesen. Er hat
eine Rune im Tempel zurückgelassen, die vor ein paar Wochen
ausgelöst wurde.« Er hob den Kopf, um zu wittern, dann schüttelte
er die Mähne und sah sie wieder an. »Ich kümmere mich nicht
genügend um die Stadt. Wenn Karadoc mich nicht gerufen hätte, als
die ersten Geschöpfe erschienen, hätte ich vielleicht zu lange
gebraucht, um die Rune selbst zu finden. Selbst so konnte ich kaum
mehr tun, als sie zu zerstören; ich konnte in den Steingebäuden des
Dorfes nichts weiter ausrichten, daher rief ich die Leute hier
heraus, wo dein Schutzzauber einen Teil der Arbeit leisten konnte,
während ich mich um die besudelten Geschöpfe kümmerte. Ich hatte
allerdings keinen Troll erwartet, also verbrauchte ich meine Kraft,
indem ich versuchte, den Priester zu heilen und die kleineren
Geschöpfe zu vertreiben. Ein Troll …« Er seufzte. »Ein normaler
Troll wäre nicht allzu schwierig gewesen, aber dieser da … Deine
Schutzzauber haben ihn bis heute überwiegend von den Dorfleuten
ferngehalten.«
»Es gab eine Rune im Tempel«, murmelte
Seraph.
»Um diese Geschöpfe, die dem Schatten gehorchen, zu
wecken und anzuziehen«, erklärte der Waldkönig. »Der Priester
brachte mich in den Tempel, und wir haben die Rune zerstört. Aber
es war beinahe zu spät.«
Runen waren überwiegend Solsenti-Zauberei. Seraph kannte sich kaum mit der
zugehörigen Theorie aus - aber es gab ein paar nützliche Runen, die
sie manchmal gebrauchte. Sie wusste, dass sie gezeichnet und dann
veranlasst werden konnten zu warten, bis etwas sie auslöste. Der
neue Tempel war jedoch erst im vergangenen Winter gebaut worden,
also musste der Schatten sich seitdem irgendwann in Redern
aufgehalten haben.
Zusammen mit Volis, dem Zauberer-Priester, den sie
im neuen Tempel getötet hatte, waren verschiedene Zauberer des
Pfades nach Redern gekommen. Diese Männer hatten Tier entführt und
ihn dann nach Taela gebracht. Der Schatten war womöglich einer von
ihnen gewesen.
Vielleicht hatte die Rune ja auch den Nebelmahr,
der die Tochter des Schmieds getötet hatte, aus seinem Versteck und
in Richtung Redern gelockt. Nachdem der Waldkönig den Ruf
unterbrochen hatte, hatte das Wesen sich im Brunnen des Schmieds
niedergelassen. Seraph fragte sich unglücklich, wie viele andere
Geschöpfe im Augenblick harmlosen Dorfbewohnern auflauerten -
vielleicht war Benroln deshalb in den Kampf gerufen worden.
Das Brennen der Macht verlangsamte Seraphs Gedanken
immer noch, und sie wandte sich wieder ihrem Schutzzauber zu. Der
Waldkönig folgte ihr, wenn sie weiterzog, und graste, während sie
arbeitete.
Es wurde langsam dunkel, aber Seraph konnte dort,
wo der Wald nicht zu dicht war, immer noch ein wenig Licht sehen.
Die Vögel schwiegen nun und ließen sich zum Schlafen nieder, aber
vom Bauernhof her erklang Musik. Sie lächelte. Wenn mehr als zwei
Rederni zusammen waren, gab es immer Musik.
Kritisch betrachtete sie den Fortschritt ihrer
magischen Arbeit und war zufrieden mit dem, was sie sah. Ihre
Gedanken waren jetzt ein wenig klarer und die Schutzzauber stark
und fest gewoben.
»Tier erzählte mir einmal, er glaube, Jes’
Waldkönig habe viel mit Ellevanal gemeinsam«, sagte sie
beiläufig.
Ellevanal war der Gott, den die Bewohner der Berge,
darunter auch die Rederni, anbeteten. Seraph hatte ihn heute erst
zum zweiten Mal gesehen, aber Jes hatte, seit er alt genug gewesen
war, um laufen zu können, viele seiner sommerlichen Wanderungen in
Gesellschaft eines Geschöpfs verbracht, das er den Waldkönig
nannte.
»Barden sehen Dinge, die anderen verborgen
bleiben«, stimmte der Waldkönig zu und riss einen Büschel Gras
ab.
»Was würden die Rederni sagen, wenn sie ihren Gott
des Waldes Gras fressen sähen?«, fragte Seraph.
»Sie sind keine Reisenden«, erwiderte der Gott,
nachdem er fertig gekaut hatte. »Sie würden nicht sehen, was du
siehst.«
Sie musste einfach lachen. »Das ist wirklich eine
gute mystische Antwort.«
»Das dachte ich ebenfalls«, bestätigte er. »Aber
sie ist dennoch wahr.«
»Götter sehen für ihre Anbeter nicht krank und
ausgemergelt aus?«
»Du glaubst nicht an die Götter«, stellte Ellevanal
fest. »Woher solltest du also wissen, was sie tun oder nicht?« Dann
verlor seine Stimme den spöttischen Unterton. »Es heißt, die
Reisenden glauben nicht an Götter, weil sie die ihren getötet und
verschlungen haben.«
»Das habe ich noch nie gehört.«
»Selbstverständlich nicht«, sagte Ellevanal. »Du
bist eine Reisende, die nicht an Götter glaubt.«
»Wie lange bist du schon hier und bewachst den
Wald?«
Das Pferd hob den Kopf erneut und witterte, und
sein Brustkorb hob und senkte sich, als wäre es gerannt und hätte
nicht nur eine Stunde oder länger friedlich an ihrer Seite gegrast.
Es hatte Schlamm an Beinen und Bauch.
»Schon lange«, sagte er. »Ich war schon hier, bevor
der Schattenkönig kam und die Welt verwüstete. Bevor die Überreste
der ruhmreichen Armee der Menschheit nach dem Fall hier eintrafen,
eine sichere Zuflucht fanden und mich in ihrer Dankbarkeit zum Gott
ernannten.« Er warf ihr einen schalkhaften Blick zu. »Bevor das
Undenkbare geschah und Tieragan, der Bäcker, mit einer Weisung
geboren wurde und die Welt der Reisenden auf den Kopf
stellte.«
»Er hat die Welt der Reisenden nicht auf den Kopf
gestellt«, widersprach sie.
»Ach ja?« Das Pferd schnaubte und warf den Kopf
hoch. »Warte ab und sieh, was ein Rederni mit einer Weisung tun
kann. Der Wind trägt das Wort bereits umher, und einige werden
kommen und vernichten wollen, was aus euch werden könnte.«
Seraph zog eine Braue hoch.
Er senkte listig den Kopf. »Ein Gott darf in
Rätseln sprechen, wenn er will.«
Sie schüttelte den Kopf und machte sich wieder an
die Arbeit, weil die Macht erneut angefangen hatte zu flüstern. Der
Waldkönig begann wieder zu weiden.
Als sie eine Stelle erreichte, von der aus sie den
Bauernhof sehen konnte, stellte sie erfreut fest, dass das Lager
wohlgeordnet und entspannt wirkte.
Eine Gruppe von Männern befestigte die Zelte neu
und hängte schlammig gewordene Planen zum Trocknen auf. Eine andere
Gruppe kümmerte sich um die Lagerfeuer - so viele Menschen konnten
nicht allein aus ihrer Küche ernährt werden. Seraph entdeckte
niemanden von ihrer Familie, aber die Bewegungen der Dorfbewohner
hatten alle etwas Vergnügtes, Energisches an sich, das ihr sagte,
dass niemand ernstlich verletzt worden war; und außerdem gab es
Musik.
»Wenn du ein Gott bist«, sagte Seraph, »solltest du
dann nicht viel besser imstande sein, mit einem Troll fertig zu
werden, als wir?«
»Ich bin nur ein kleiner Gott«, erwiderte das Pferd
belustigt. »Ich konnte den Troll nicht vernichten - nicht diesen Troll, der ein Diener des Schattens war und
aus der Schlacht floh, um Hunderte von Jahren länger zu leben, als
ein Troll leben sollte -, denn sonst hätte ich meinen Priester
nicht am Leben erhalten können. Der Tod gibt das, was ihm
rechtmäßig
zusteht, nicht gern wieder her, und Heilen fällt eigentlich nicht
in meine Zuständigkeit.«
»Warum hast du ihn nicht sterben lassen?«, fragte
sie, obwohl sie sich wirklich nicht wünschte, dass Karadoc starb.
»Niemand hat je gesagt, die Priester Ellevanals seien
unsterblich.«
Er lachte über ihren kritischen Ton. »Er ist ein
hervorragender Skiri-Spieler, und das sind
Priester selten. Die meisten kümmern sich mehr um Dinge des Geistes
als um geistreiche Spiele.« Das Bild eines Priesters, der sich mit
seinem Gott bei einem Brettspiel die Zeit vertrieb, kam Seraph sehr
seltsam vor, aber bevor sie weiterfragen konnte, wurde der
Waldkönig wieder ernst. »Es gibt keinen anderen, der seinen Platz
einnehmen könnte. Sein Lehrling wird in ein paar Jahren dazu in der
Lage sein, aber ich brauchte meinen Priester jetzt.«
Der Regen hatte aufgehört, und die aufsteigende
Wärme verwandelte die Feuchtigkeit im Gras zu Nebel, während das
letzte Sonnenlicht die kleine Lichtung erhellte, auf der der Gott
stand. Dampf stieg von den Flanken und Rippen des weißen Pferdes
auf, von Rippen, die nun erheblich weniger vorstanden als bei ihrer
ersten Begegnung.
»Du hast gefressen«, sagte sie.
Das Pferd steckte die Nase in ein kniehohes
Grasbüschel und riss ein paar Halme ab. Es hob den Kopf und kaute
demonstrativ.
Seraph schüttelte den Kopf. »Kein Gras kann Rippen
so schnell polstern.«
»Was glaubst du denn, wohin die Macht geht, die du
dem Wald zuleitest?« Er lachte erneut. »Bevor der erste
Rederni-Barde hier geboren wurde, war ich kaum mehr als ein sehr
alter Hirsch, der im Wald umherwanderte. Aber ein Barde ist sehr
mächtig, wenn auch auf raffinierte Art. Es gibt vielleicht
mehr als nur einen einzigen Grund, wieso Reisende nie lange an
einer Stelle verweilen.«
Seraph starrte ihn an. Selbstverständlich war Tier
nicht der erste Rederni-Barde, nicht, wenn man bedachte, dass Musik
diese Leute wie Blut durchfloss.
»Du lebst von Magie?«, fragte sie und schob die
Frage nach weiteren Solsenti mit einer
Weisung beiseite.
»Habe ich das gesagt?«, fragte das Pferd. »Ich
würde dich nie belügen, Rabe. Ich lebe von dem, was das Land mir
gibt.« In seinem Blick stand ein schelmisches Lachen, weil sie
enttäuscht schnaubte. »Pass auf, Rabe! Zorn und Magie sind eine
explosive Mischung. Ich verstehe es selbst nicht so recht.«
»Was verstehst du denn?«, fragte sie.
»Es sind seit langer Zeit keine Reisenden mehr
hierhergekommen«, sagte er. »Nicht seit dem Fall, und auch davor
waren sie selten. Erst als du herkamst, um mit Tier
zusammenzuleben, fiel mir auf, dass es an den Weisungen etwas gibt,
was das Land … lebendiger macht. Es ist keine Magie, jedenfalls
sehe ich das nicht so. Da.« Er schüttelte die Mähne. »Ich habe dir
so viel gesagt, wie ich weiß. Der Wald ist mein Reich, und die
Geheimnisse des Waldes gehören mir. Reisende beten keine Götter an,
und ich glaube, sie haben mehr Geheimnisse als die meisten.«
Er blieb bei ihr, bis sie den schützenden Kreis
vollendet hatte, dann wanderte er weiter und schnippte dabei
verärgert mit dem Schwanz nach einem dreisten Insekt.
Seraph kam beinahe taumelnd auf die Beine und
musste an Tier denken, weil ihre Knie so wehtaten, und ihr Rücken
ebenfalls. Sie hatte sich ein Loch in die Hose gerissen, aber das
war unwichtig. Jetzt, nachdem sie zu Hause war, würde sie wieder
die Röcke einer Redernifrau tragen.
Als Seraph müde den Hang hinunterstieg, kam Jes
ihr entgegen. Sie hörte ihn schon, bevor sie ihn sehen konnte, denn
er sang leise vor sich hin. »Ich habe sie gefunden.«
Er lachte, als er vor ihr stehen blieb. »Ich habe
dich gefunden«, sagte er. »Ich habe dich schneller gefunden, als
Lehr es konnte.«
Sie berührte leicht seine Schulter. »Das hast du.
Geht es allen gut?«
Er nickte und ging neben ihr her. »Hennea hat uns
ausgeschickt. Sie sagte, es sollte inzwischen in Ordnung sein, dich
zu suchen. Sie befürchtete, wenn wir es nicht täten, würde Papa
noch alles ruinieren, was sie für seine Knie getan hat, indem er
dich selbst suchen ginge.«
Seraph erinnerte sich daran, wie der Troll die
Faust um Tiers Beine geschlossen hatte. »Geht es ihm gut?«
Jes nickte. »Er beschwert sich wegen seiner Knie,
also müssen sie ziemlich in Ordnung sein.«
Seraph lächelte. »Wahrscheinlich.« Wenn der Troll
ihn ernstlich verletzt hätte, wäre kein Wort über Tiers Lippen
gekommen. »Und Rinnie?«
»Sie ist neben Papa eingeschlafen, der mit Ciro
singt. Sie hat eine Beule am Kopf und einen etwa so großen …«, Jes
zeigte die Größe mit den Händen an, und Seraph konnte nur hoffen,
dass er übertrieb, obwohl das im Allgemeinen nicht zu Jes’ Fehlern
zählte, »blauen Fleck an der Schulter.
Lehr sagt, er beneidet sie«, fuhr er fort. »Er
sagt, er hätte noch nie einen so großen blauen Fleck gehabt. Ich
schon. Erinnerst du dich, wie ich von der Scheune gefallen bin?
Danach hatte ich einen größeren blauen Fleck als Rinnie.«
»Ich hoffe, dass niemand von uns je wieder einen so
großen haben wird.«
Jes nickte. »Ich auch. Und hier kommt Lehr. Ich
habe sie zuerst gefunden, Lehr! Wir sehen uns daheim.« Jes
verschwand
in der Dunkelheit, und Seraph blieb allein mit ihrem jüngeren
Sohn.
»Nachdem ich aufgehört habe, Spuren zu lesen, und
nur dem Geräusch von Jes’ Stimme folgte, wart ihr nicht schwer zu
finden. Jes freut sich, wieder zu Hause zu sein«, sagte Lehr. »Du
siehst müde aus, Mutter. Ist alles in Ordnung?«
Seraph nickte. »Ja. Ich bin nur ein wenig
erschöpft. Schließlich bin ich nicht daran gewöhnt, mit so viel
Magie umzugehen. Jes sagte, dein Vater und Rinnie seien nicht
schwer verletzt?«
»Sie sind nur ein bisschen zerschlagen«, antwortete
Lehr, und etwas in Seraph entspannte sich. »Ciro hat Papa allen
erzählen lassen, was passiert ist, während wir weg waren.«
Ciro, der Vater des Gerbers, war ein guter Freund
von Tiers Großvater gewesen und hatte Tier geholfen, die Musik
lieben zu lernen. Nicht, dass er viel Ermutigung gebraucht
hätte.
»Ciro sagte, er werde ein Lied aus Papas Geschichte
machen. Und dann fingen sie einen Wettstreit an, wem die
komischsten Strophen einfielen.« Er wandte die Aufmerksamkeit einen
Moment dem unwegsamen Boden zu, dann sagte er: »Es gab hier in den
vergangenen Wochen einigen Ärger. Der Troll war das Schlimmste,
aber es sind auch Kobolde und andere Wesen hergekommen.«
»Der Waldkönig suchte mich auf, als ich versuchte,
die Todesmagie des Trolls loszuwerden«, sagte Seraph. »Er erzählte,
der Zauberer-Priester Volis habe etwas getan, um die Diener des
Schattens hierherzurufen. Es muss Hennea und mir entgangen sein,
als wir den Tempel durchsuchten. Karadoc unterbrach offenbar den
Ruf, aber er wurde krank davon.« Sie warf ihrem Sohn einen
Seitenblick zu.
Lehr nickte. »Ja, er ist in unserem Haus.« Er
räusperte sich. »Tatsächlich schläft er in deinem Zimmer. Papa
sagte, wir sollten ihn heute Nacht dort lassen. Er sieht ziemlich
schlecht aus,
blass und zerschlagen, aber sie haben ihn nach draußen getragen,
damit er die Musik hören kann, also wird es nicht gar so schlimm
sein.«
Seraph war müde, ihre Kleidung war nass, und sie
hatte sich schon darauf gefreut, in ihrem eigenen Bett schlafen zu
können. »Karadoc ist kein junger Mann mehr. Wenn er verletzt ist,
sollte er lieber in unserem Bett bleiben, bis sie ins Dorf
zurückziehen - was nicht allzu lange dauern sollte. Der Waldkönig
sagte mir, Karadoc habe geholfen, die Rune zu zerstören, die all
die besudelten Ungeheuer herbeirief. Der Troll war hoffentlich das
letzte dieser Wesen. Ich denke, die Leute aus dem Dorf werden
morgen oder übermorgen alle nach Redern zurückkehren.« Das hoffte
sie jedenfalls.
»Jes wird sich freuen, das zu hören«, sagte Lehr.
»Er hat einen einzigen Blick auf Tante Alinath geworfen und sich
hinter Hennea versteckt.«
»Sie hat sich für uns um Rinnie gekümmert«,
erwiderte Seraph und stolperte über einen Ast, den sie nicht
gesehen hatte.
Lehr nahm ihren Arm. »Ich weiß. Aber sie hat nie
gewusst, wie sie mit Jes umgehen soll.«
»Sie wäre nicht so schlimm gewesen, wenn Jes sich
ihr gegenüber nicht absichtlich immer von der schlechtesten Seite
gezeigt hätte.«
Lehr schnaubte. »Papa sagt das Gleiche von Tante
Alinath und dir.«
Eine kleine Gruppe von Personen hatte sich vor
dem Haus niedergelassen, wo sie trotz der Feuchtigkeit ein
Lagerfeuer angezündet hatten. Tier, ein Knie fest verbunden und das
Bein lang ausgestreckt, spielte die Laute, die er aus Taela
mitgebracht hatte. Rinnie war in eine Decke gewickelt und
eingeschlafen, den Kopf auf Tiers unverbundenem Knie.
Ciro hatte eine kleine Trommel mitgebracht, und er
und Tier sangen gemeinsam. Die Stimme des alten Mannes war so klar
wie eh und je, und Tier … Seraph hatte immer gesagt, er habe die
anpassungsfähigste Stimme, die sie je gehört hatte. Wenn er
Liebeslieder sang, klang es wie zerlassene Butter mit Zucker, und
dann stimmte er ein raues altes Kriegslied an, und seine Stimme
hörte sich an, als könne sie durch Stein schneiden. Im Augenblick
überließ er dem alten Sänger die Melodie und sang die Oberstimme
dazu, leiser, um Ciros Stimme zu schmeicheln - die das kaum
gebraucht hätte.
Direkt außerhalb des Feuerlichts blieb Seraph
stehen. »Habt ihr euch unter den Rederni nach Besudelten
umgesehen?« Der Schatten könnte schließlich auch jemand sein, den
sie kannten.
Lehr nickte. »Hennea hat Jes und mich dazu
ausgeschickt. Aber selbst Onkel Bandor hatte keine Anzeichen davon.
Hennea meint, wahrscheinlich hätte jemand, wenn er besudelt war,
den Schutzzauber nicht überqueren können - und das ganze Dorf ist
hier.«
»Gut.« Sie hatte sich nicht wirklich Sorgen
gemacht, ein Rederni könne besudelt sein, obwohl sie das vielleicht
hätte tun sollen. Immerhin hatte der Schatten bis zum letzten
Augenblick vor Lehr und Jes verbergen können, was er war. Es war
durchaus möglich, dass er sich selbst vor ihren Söhnen verstecken
konnte.
Sie hielt es allerdings für unwahrscheinlich, dass
der Schatten jemand aus dem Dorf war, den sie kannte. Also schob
sie diese Gedanken erst einmal beiseite und nahm sich vor, darüber
nachzudenken, wenn sie weniger müde war.
Tiers Stimme bebte ein wenig, als er seine Frau
sah, und dann schwieg er und beendete die Vibration der
Lautensaiten mit der Hand. Nach ein paar Takten schwieg Ciro
ebenfalls.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Ciro.
Tier schüttelte den Kopf, aber er sah weiterhin
Seraph an. »Ich bin heute Abend müde. Ich überlasse dir die
Musik.«
»Wenn Karadoc in unserem Bett liegt, brauchen wir
einen anderen Schlafplatz«, sagte Seraph leise, um Ciros Musik
nicht zu stören. Sie beugte sich vor, um Rinnies Gesicht zu
berühren, dann blickte sie auf zu Tier. Selbst im Dunkeln sah er
blass und abgehärmt aus - seine Knie mussten wirklich wehtun.
»Irgendwo, wo wir allein sein können«, stimmte Tier
zu. »Aber das Haus ist voll.«
Seraph warf einen prüfenden Blick zum Himmel, das
Unwetter war weitergezogen. »Ich könnte vielleicht einen Platz
finden. Lehr, würdest du unser Bettzeug und mein Gepäck holen? Und
suche für dich, Hennea, Jes und Rinnie Schlafplätze.«
Er nickte. »Ich komme sofort wieder.«
Das tat er, und er reichte Seraph beide
Bettzeugrollen, bevor Ciro mit seinem zweiten Solostück fertig
war.
»Rinnie hat immer noch ihr Bett im Haus. Ich werde
sie reintragen.« Lehr sprach leise, obwohl Ciro einen Augenblick
aufgehört hatte zu singen. »Wir anderen müssen mit der Scheune
vorliebnehmen. Brauchst du Hilfe, Papa?«
Tier kam selbst auf die Beine und schüttelte den
Kopf. »Solange wir nicht weit gehen müssen, ist es in
Ordnung.«
Seraph nickte Lehr zu und beugte sich vor, um
Rinnie einen Kuss auf den Kopf zu drücken. »Wir sehen uns morgen
früh«, sagte sie zu ihrem Sohn.
Sie führte Tier hinters Haus, wo das Land sich zu
einem flachen, mit Gras bewachsenen Sims erhob, das von kleinen
Bäumen und Büschen umgeben war. Tier hinkte schwer, und Seraph
zuckte innerlich bei jedem seiner Schritte zusammen.
Sie legte das Bettzeug auf einen Stein, wo es nicht
zu nass werden sollte, aber sie hielt Tier auf, als er seines
entrollen
wollte. »Nein. Warte kurz, und ich finde etwas viel Besseres für
uns.«
Sie legte ihren Rucksack hin und holte die Tasche
mit ihren Mermori heraus. Es gelang ihr
schnell, Isoldas Mermora zu finden, und sie
steckte das zugespitzte Ende in den Boden. Dann trat sie zurück und
murmelte die Worte, die das uralte Haus von Isolda der Schweigsamen
heraufbeschwören würden.
Es dauerte einen Augenblick, in dem die Magie sich
ordnete. Seraph konnte das vertraute Gewebe von Hinnums Bann
spüren, das sich entfaltete, sich an das Muster von Isoldas Haus
erinnerte und Räume neu erbaute, die längst verrottet sein mussten.
Für Seraph war das Entstehen des Hauses im Schutz des Waldes ebenso
ein körperliches Gefühl wie ein Anblick.
Isoldas Haus war nicht sonderlich groß gewesen, vor
allem nicht für Colossae, aber größer als das Haus, das Tier für
Seraph gebaut hatte. Die Vorderseite von Isoldas Heim war
entworfen, um einen angenehmen Eindruck zu machen, und hatte
dekorative Backsteinmuster. Die Seitenmauern hingegen verliefen
gerade und schlicht - so gerade, das Seraph davon ausging, dass es
direkt an die Nachbarhäuser angebaut gewesen war und nicht frei
gestanden hatte. Der Kontrast zwischen der schönen Fassade und den
Seiten ließ es ein wenig seltsam wirken, besonders wenn es allein
im Wald stand statt an einer lebhaften Straße.
»Wir können heute Nacht hier schlafen«, sagte
sie.
»Ich dachte, das würdet ihr nicht tun«, erwiderte
Tier, aber er folgte ihr eine kleine Treppe hinauf und durch die
Ebenholztür.
»Es kann gefährlich sein«, antwortete sie und
richtete ihre Aufmerksamkeit vor allem auf sein langsames
Vorankommen. »Das hier ist eine Illusion - eine sehr gute Illusion,
aber bei
unangenehmem Wetter kann man in diesem Haus erfrieren, ohne es
auch nur zu merken. Doch es hat aufgehört zu regnen, und wir haben
unsere eigenen Decken.«
»Warum haben wir die Häuser dann auf dem Heimweg
nicht benutzt?«, fragte Tier.
»Magie - jede Magie - neigt dazu, diverse
unangenehme Geschöpfe anzuziehen, die ich lieber nicht wecken
wollte«, sagte Seraph und zog einen Stuhl weg, um den Tier sonst
hätte herumgehen müssen. »Und die Illusion ist gut genug, dass man
nicht hören kann, wenn etwas draußen herumschleicht. Aber heute
Abend - nun, es gab hier genug Magie, um ohnehin alles in der
Umgebung anzulocken, also wird Isoldas Haus keinen Unterschied mehr
machen. Und mit meinem frischen Schutzzauber kann nicht viel
durchkommen. Wir werden hier sicher und allein sein.«
Das Haus wurde von kleinen Laternen beleuchtet.
Tier hinkte hinter ihr durch das Wohnzimmer und in das kleinste
Schlafzimmer. In diesem Raum gab es weniger persönliche Gegenstände
als in den anderen Schlafzimmern. Seraph hatte es immer für ein
Gästezimmer gehalten und fühlte sich hier wohler, weniger wie ein
Eindringling und mehr wie ein Gast.
»Es kommt mir irgendwie falsch vor, diese
schmutzigen Decken aufs Bett zu legen«, sagte Tier.
Sie verstand, was er meinte - Isoldas Bettzeug war
makellos weiß. »Schon gut. Der Schmutz wird beim nächsten Mal, wenn
die Mermora ins Leben gerufen wird, nicht
mehr da sein.«
Tier schüttelte den Kopf, aber er löste die Schnur
um seine Decken und rollte sie auf dem Bett aus. Seraph konnte
sehen, dass ihn an diesem Abend mehr beunruhigte als seine
Knie.
»Du hast Schmerzen«, sagte sie. »Zieh dich aus und
lass mich sehen, was los ist.«
Er musste wirklich müde sein, denn er befolgte ihre
Anweisung ohne ein scherzhaftes Widerwort. Sie drehte den Docht an
der Nachttischlampe höher, damit sie besser sehen konnte.
Er bewegte sich langsam, und sie sah, dass er zu
der neuen Verletzung an seinen heilenden Knien auch noch eine Wunde
an der linken Schulter hatte. Als er ausgezogen war, ging sie
einmal um ihn herum, um sich den Schaden mit Augen anzusehen, die
durch drei Kinder geschult waren, die alle nur zu gern auf Bäume,
Scheunen und an andere Orte kletterten, die für Vögel erheblich
geeigneter waren als für Menschen.
»Nichts, das ein paar Tage Ruhe und ein gutes
heißes Bad nicht heilen könnten«, stellte sie schließlich
erleichtert fest. Ganz gleich, was Lehr gesagt hatte, Tiers
offensichtliche Schmerzen hatten sie beunruhigt. »Leg dich hin«,
bat sie ihren Mann, »und ich werde sehen, was ich tun kann.«
Er setzte sich mit einem erleichterten Grunzen aufs
Bett, und sie half ihm, die Beine auf die Matratze zu heben.
»Also gut«, sagte sie, nachdem sie ihre nasse
Überkleidung ausgezogen hatte. »Ich werde sehen, ob ich es dir
bequemer machen kann. Wenn du Brewydd davon erzählst, wird sie mir
das nie verzeihen. Mit Schmerzen will dein Körper dir mitteilen,
dass du Ruhe brauchst, wenn du dir keinen dauerhaften Schaden
zufügen willst. Und nichts, was ich tun kann, wird dich schneller
heilen lassen, aber ich kann dir für die Nacht den Schmerz
nehmen.«
Sie berührte den Spann seiner Füße, dann die
Fußknöchel und arbeitete sich mit nur einer Spur von Magie weiter
nach oben. Als sie seine Knie berührte, entspannte er sich
vollkommen.
»Das fühlt sich wunderbar an«, flüsterte er.
»Es wird noch besser werden«, versprach sie und
küsste ihn auf den Mund. »Aber morgen früh, wenn ich die Magie
wieder
gehen lasse, wirst du mich verfluchen.« Sie fuhr mit den Händen an
der Außenseite seiner Oberschenkel entlang und über seine
Hüften.
»Habe ich dir heute schon gesagt, dass ich dich
liebe?«, fragte er und schloss verzückt die Augen.
»Du hast nur Angst davor, was ich dir antun könnte,
wenn du es nicht tust«, antwortete sie zerstreut, denn sie musste
sich auf die Magie konzentrieren, die sie vorsichtig über seine
Wunden ausbreitete.
Er öffnete die Augen wieder und legte ihr eine Hand
unters Kinn. »Ich habe keine Angst vor dir«, sagte er und zog sie
zu einem weiteren Kuss herunter, einem sehr sinnlichen,
vielsagenden. »Ich liebe dich«, sagte er, als sie den Kopf wieder
hob.
Sie musste feststellen, dass sie unwillkürlich
lächelte, bevor sie sich wieder an die Arbeit machte. »Der
Waldkönig erzählte mir, die besudelten Geschöpfe seien von einer
Rune im Tempel hierhergerufen worden. Er sagte, nur der Schatten
selbst habe diese Rune herstellen können.«
»Ah«, sagte Tier. »Ich weiß, dass du gehofft hast,
es wäre nicht wahr.«
Sie hielt mit ihrer Magie inne und blies sich eine
Haarsträhne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, aus dem Auge.
»Ein Schatten bringt Kummer mit sich, gehüllt in eine Decke aus
Tod.«
»Ist es der namenlose König, der zurückkehrt?«,
fragte Tier.
»Nein«, sagte sie. »Wie andere vor ihm, ist er ein
Mann, der sich zum Sklaven des Pirschgängers gemacht hat, um Macht
und Unsterblichkeit zu erlangen.«
»Es hat schon andere gegeben?«
Sie nickte und fuhr mit dem Finger über eine
verblasste Narbe an Tiers Brust, die von einem Kampf gegen die
Fahlarn
stammte, aus der Zeit, bevor sie und Tier sich kennengelernt
hatten. Die Wunde wäre beinahe tödlich gewesen, und Tier sprach
selten darüber. »Ein paar.«
»Der Pirschgänger ist das Wesen, das die Zauberer
von Colossae gefangen gesetzt haben, indem sie ihre Stadt
zerstörten.«
Seraph legte ihm die flache Hand auf die Brust und
wärmte sie an seiner Haut. »Sie haben die Stadt nicht zerstört,
Tier. Sie haben sie geopfert.«
Er verlagerte ruhelos das Gewicht. »Das hast du mir
schon einmal gesagt. Sie haben mit Ausnahme der Zauberer, die den
Bann wirkten, alle umgebracht, die dort lebten.«
»Ja und nein.« Es war eine alte Geschichte, aber
keine, über die die Reisenden oft sprachen. »Jeden Morgen steht
Alinath auf und zündet das Feuer im Backofen an, wie es deine
Familie schon getan hat, seit die Bäckerei vor Jahrhunderten
errichtet wurde. Alle im Dorf haben ihre Aufgaben, die sie jeden
Tag erfüllen - Rituale des Alltagslebens. Auch darin liegt Macht,
Tier, ebenso wie Macht in dem Lebensfunken liegt, der den
Unterschied zwischen deinem Körper und einem Tontopf bildet. Die
Zauberer nahmen die Macht aus diesen täglichen Ritualen, aus
Generationen des Lebens, ebenso wie aus dem Tod ihrer Familien und
Freunde, die ihnen vertraut hatten. Sie töteten die Menschen, die
sie liebten, und auch darin lag Macht - mehr, als Tod an sich
gebracht hätte. Sie nutzten all diese Macht und wussten, dass es
immer noch nicht genügen würde, um ihre Schöpfung zu vernichten;
sie konnten sie nur gefangen nehmen.«
»Was will der Pirschgänger denn?«, fragte Tier,
stets der Geschichtenerzähler. »Was hat er getan, um den Zauberern
solche Angst einzujagen, dass sie ihre Familien töteten?«
»Das Reisendenwort, das dem Begriff der Allgemeinen
Sprache für Pirschgänger entspricht, lässt sich auch mit ›Töten
einer verfolgten Beute‹ gleichsetzen - nicht, um von dieser Beute
zu leben, sondern allein aus Freude am Zerstören.« Sie zuckte
unglücklich die Schultern. »Das ist alles, was wir darüber wissen -
dass die Zauberer von Colossae ihn den Pirschgänger nannten und
dann ihre eigenen Leben zerstörten, um ihn gefangen zu
setzen.«
»Der namenlose König hätte beinahe die ganze
Menschheit vernichtet.«
Seraph nickte. »Nebelmahre leben für gewöhnlich von
kleinen Tieren. Sie spielen nicht mit ihrem Fressen, wie es eine
Katze tut. Der besudelte Mahr, den wir gefunden haben, hat den
Schmied bewusst terrorisiert, weil es ihm Spaß machte. Vielleicht
treibt der Pirschgänger ja jene, die ihm dienen, auf die gleiche
Weise zu schrecklichen Taten. Und ganz bestimmt folgt dem Schatten
und denen, die besudelt sind, der Tod.«
»Du sagtest, Bandor war umschattet«, sagte
Tier.
Sie nickte. »Ja, und das ist ungewöhnlich. Der
größte Teil der Besudelung, den wir Reisende zu sehen bekommen,
stammt immer noch vom namenlosen König.«
»Wie kann es also geschehen sein?«
»Ich dachte zuerst, Volis hätte es getan«, sagte
sie. »Er war ganz bestimmt selbst besudelt, wie alle Meister des
Pfads. Aber mein alter Lehrer Arvage sagte mir einmal, er glaube,
dem Pirschgänger sei verboten, anderen seinen Willen aufzuzwingen -
eine Einschränkung, die dem Schatten nicht auferlegt ist. Wenn das
stimmt, dann war der Schatten verantwortlich für die Besudelung des
Pfads und für die von Bandor.«
»Worin besteht der Unterschied zwischen einem
Menschen, der vom Schatten besudelt wurde, und dem Schatten
selbst?«
»Eine Besudelung wird dir auferlegt«, sagte Seraph.
»Du brauchst kein großer Sünder zu sein; es genügen versteckte
Ablehnung und Zorn, und darauf baut die Besudelung auf, bis diese
Empfindungen weiter nach vorn gezerrt werden. Bandor hat deine
Schwester geschlagen - ganz ruhig, Tier, es war nicht seine Schuld!
Ich nehme ihn nur als Beispiel dafür, wie sehr eine Besudelung die
Persönlichkeit verändern kann. Wenn du dagegen ankämpfst, wird sie
dich zerfressen, bis du kaum mehr bist als ein wildes Tier und
deinen Wahnsinn nicht mehr verbergen kannst. Aber soweit ich sagen
kann, lebten die Meister damit schon seit Jahren.«
»Und die Schatten?« »Wir wissen nicht, wie sie
entstehen. Wenn wir das wüssten, könnten wir vielleicht verhindern,
dass es noch einmal passiert. Alle Schatten waren Zauberer. Ich
denke, sie müssen sich irgendwie mit dem Pirschgänger in Verbindung
setzen - vielleicht gibt es einen Bann, der irgendwo in einem Buch
der Solsenti-Magie aufgezeichnet wurde.
Oder vielleicht kann der Pirschgänger einen Zauberer, der für seine
Zwecke geeignet ist, zu sich rufen. Wie auch immer, der Schatten
opfert freiwillig die Leben der Menschen in seiner Umgebung, um
Macht und Unsterblichkeit zu erlangen. Ich weiß nicht, was der
Pirschgänger davon hat oder was er über Tod und Zerstörung hinaus
haben will. Vielleicht genügt ihm das. Menschen, die vom Schatten
besudelt sind, werden oft innerhalb eines Jahres oder vielleicht
sogar innerhalb von Monaten verrückt, aber mit dem Schatten
passiert das nicht.«
Tier schwieg, und einen Augenblick später begann
Seraph erneut, ihm seine Schmerzen zu erleichtern. Es brauchte
nicht viel Magie, nur Feingefühl.
Sie berührte einen rötlichen Fleck an seinen
Rippen, der am nächsten Tag eine Prellung sein würde, und ließ den
Schmerz mit einem magischen Streicheln geringer werden. Tier mochte
verwundet und zerschlagen sein, aber sie liebte seinen sehnigen,
zähen Körper, der sowohl alte als auch neue Narben hatte.
Als sie fertig war mit der Magie, berührte sie
ihn immer noch mit den Fingerspitzen und fuhr sanft über seine
Haut.
Er war wieder zu Hause. Endlich zu Hause und in
Sicherheit.
Sie streichelte ihn weiter mit den Fingerspitzen,
und er packte ihre Hand und murmelte: »Wenn du willst, dass wir
heute Nacht schlafen, würde ich vorschlagen, dass du dich neben
mich legst, statt mich anzufassen.«
Sie setzte sich auf seine Hüften, der Stoff ihrer
Unterwäsche nur ein dünner Schleier zwischen ihrer Haut und der
seinen.
»Mhm«, sagte sie. »Es fühlt sich aber nicht an, als
wäre dir nur an Schlafen gelegen.«
Er lachte, ein tiefes Lachen aus dem Bauch, das es
nicht ganz bis zu seinem Mund schaffte.
»Beweg dich nicht«, sagte sie und beugte sich vor,
bis sie seinen Mund mit ihren Lippen berühren konnte. »Du könntest
dir wehtun, wenn du dich bewegst.«
Eine lange, befriedigende Weile später sagte
Tier: »Das hat mir gefehlt.«
»Mir auch«, sagte sie. Widerwillig stand sie auf
und verdunkelte das Licht. »Es wird nicht vollkommen ausgehen. Kein
Raum in einer der Mermora kann vollkommen
verdunkelt werden - ich glaube, das hat etwas mit dem Wesen der
Illusion zu tun.«
»Schon in Ordnung«, sagte er. »Ich wollte ohnehin
noch ein wenig mit dir reden, und wenn es dunkel wäre, könnte ich
wahrscheinlich nicht wach bleiben.«
»Oh.« Sie nahm ihr eigenes Bettzeug und breitete
die Decken über Tier, bevor sie sich wieder neben ihn legte. Mit
einem Seufzen schmiegte sie sich an seine Wärme und gähnte. »Dann
rede schnell.«
»Erzähl mir von Hennea«, sagte er.
Sie hob den Kopf, aber das Licht befand sich hinter
Tier, und sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen.
»Hennea?«
Er lachte. »Wenn du nur deine Stimme hören
könntest! Mir sind nur ein oder zwei merkwürdige Dinge aufgefallen,
und da unser Sohn sich so sehr für sie interessiert, wüsste ich
gerne mehr über sie.«
Sie lehnte sich an ihn. »Merkwürdige Dinge? Was für
merkwürdige Dinge?«
Er lachte. »Erzähl mir einfach etwas über sie«, bat
er. »Dann werde ich dir sagen, wieso ich frage.«
»Sie ist ein Rabe des Clans von Rivilain mit dem
Mondhaar«, begann Seraph zögernd. »Das ist eine bekannte Abstammung
bei Reisenden. Ich habe gehört, dass es drei oder vier von
Rivilains Clans im Kaiserreich gibt und anderswo noch ein paar
mehr. Sie kam zu uns …« Sie hielt inne. »Willst du, dass ich dir
die ganze Geschichte erzähle? Das habe ich doch schon einmal
getan.«
»Bitte erzähl es mir noch einmal«, sagte er.
Sie zuckte die Achseln. »Sie kam zu uns, weil sie
festgestellt hatte, dass du vom Pfad entführt worden warst. Sie
hatte zusehen müssen, wie diese Zauberer ihren Geliebten
umbrachten. Sie wollte Rache, und sie wollte den Pfad
aufhalten.«
»Aber sie kam nicht direkt zum Bauernhof«, sagte
er.
»Stimmt. Sie ging zunächst zu der Stelle, wo du
angeblich gestorben warst. Sie war auf dem Weg zum Hof, als der
Waldkönig sie in Schlaf versetzte und dann Jes ausschickte, um sie
herzubringen.«
»Der Waldkönig wollte sie nicht in seinem Reich?«,
fragte Tier scheinbar unbeteiligt.
»Ich weiß nicht, was er wollte«, sagte Seraph. »Du
kannst ihn ja fragen und sehen, ob er dir eine direktere Antwort
gibt. Wenn der Waldkönig geglaubt hätte, dass sie uns etwas
Böses wollte, hätte er sicher Jes nicht geholt, um sie zu uns zu
bringen.«
Tier widersprach nicht, also entspannte sich Seraph
und schmiegte sich wieder an ihn. »Auf dem Weg nach Taela half sie
mir, den Jungen so viel wie möglich beizubringen. Sie hat Jes
gerettet.«
»Das hast du vorher nicht erzählt. Wie das
denn?«
»Weißt du, was ein Foundrael ist?«, fragte sie.
»Nein … warte mal. Ist das nicht dieses Hüter-Ding,
das du einmal erwähnt hast? Das, was die Hüter beherrschen sollte,
sie aber stattdessen in den Wahnsinn getrieben hat?«
Sie nickte. »Es gab ursprünglich zehn von ihnen -
jetzt sind es nur noch neun. Benroln - ich habe dir doch erzählt,
dass sein Clan einer von denen war, die die Solsenti ausnutzen. Er war der Meinung, gute Gründe
dafür zu haben; Solsenti hatten seinen
Vater und andere Clanmitglieder getötet. Er glaubte, mich zwingen
zu können, ihm zu helfen, indem er Jes mit einem Foundrael festhielt. Während ich mich um Benroln
kümmerte, ist es Hennea gelungen, das Foundrael zu zerstören.«
»Es war also schwierig?«, fragte Tier mit neutraler
Stimme.
Seraph schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich
habe so etwas nie versucht.«
»Wie mächtig ist Hennea eigentlich?«, fragte
er.
»Ich weiß es nicht. Es gibt keine Maßstäbe für
Magie«, sie runzelte die Stirn und fuhr dann verärgert fort,
»obwohl Solsenti -Zauberer offenbar denken,
dass es so etwas geben sollte. Ausbildung ist ebenso wichtig wie
Macht - wenn auch weniger für Raben als für Zauberer ohne Weisung.
Hennea ist gut ausgebildet; das merkt man ihr an. Die Leute sagen:
›beherrscht wie ein Rabe‹, und es ist genau diese Gelassenheit, die
sie damit meinen.« Unwillkürlich klang sie bei diesen Worten ein
wenig sehnsüchtig.
Tier hörte es offenbar, denn er rieb ihr
spielerisch die Nase.
»Du kannst dich gut genug beherrschen, dass die
meisten Leute denken, du wärest kein bisschen aufbrausend. Was mich
angeht, habe ich hier und da nichts gegen eine laute
Auseinandersetzung.«
Sie lachte. »Welch ein Unsinn! Es ist unglaublich
schwer, einen guten Streit mit dir anzufangen.« Sie wartete einen
Herzschlag oder zwei. »Was hältst du also von Hennea?«
»Wie alt ist sie?«, fragte er.
Diese Frage hätte sie nicht erwartet, obwohl es
Hennea offenbar störte, älter zu sein als Jes.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Sie sieht etwa
zehn Jahre jünger aus als ich. Vierundzwanzig oder fünfundzwanzig
vielleicht? Der Altersunterschied ist geringer als der zwischen uns
beiden.«
Er drehte sich, bis seine Schulter unter ihrem Kopf
lag. »Ich glaube, sie ist erheblich älter, als sie aussieht.«
»Warum sagst du das?«
»Ich sehe es in ihren Augen. Wenn mich meine Augen
nicht an ihr offenbares Alter erinnern, habe ich das Gefühl, sie
sei eine sehr alte Frau.«
Seraph dachte einen Moment darüber nach, was er
gesagt hatte.
»Die Beherrschung, die Raben anstreben, ist für
gewöhnlich eine Domäne der sehr Alten«, sagte sie. »Ich habe es
auch schon bei anderen Raben erlebt, auch wenn es mir selbst nie
gelang, es richtig zu machen.« Seraph wusste, dass die Rederni sie
für kalt hielten, aber es war für sie so schwer, ihre Gefühle in
Schach zu halten - und wenn sie es nicht täte, könnte sie für alle
sehr, sehr gefährlich sein. Magie verlangte einen kühlen Kopf, und
sie war eigentlich viel zu aufbrausend. »Henneas Selbstbeherrschung
ist, glaube ich, der Grund, wieso Jes es ertragen kann, dass sie
ihn berührt, während die meisten anderen Menschen ihn
stören.«
»Magie kann das Leben von Menschen verlängern«,
sagte Tier. »Ich bin einmal einem siebzigjährigen Zauberer
begegnet, der nicht älter aussah als vierzig.«
»Zauberei, ja, aber ich habe dir schon gesagt, dass
die Weisungen diese Wirkung nicht haben. Heiler wie Brewydd können
vielleicht ihr Leben verlängern, aber nicht extrem lange.«
»Aber du sagtest, dass es Zauberei auch bei den
Reisendenclans gibt«, sagte Tier. »Könnte Hennea auch eine Zauberin
sein?«
Seraph setzte sich hin, überkreuzte die Beine und
starrte ihm in dem trüben Licht ins Gesicht. »Du bist offenbar
vollkommen davon überzeugt, dass sie wirklich alt ist.« Eulen
konnten feststellen, wenn jemand log, aber weiter ging ihre
Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, nicht - das hatte sie
jedenfalls immer angenommen.
»Es ist nur so ein Gefühl«, sagte er beinahe
entschuldigend.
»Alle Raben sind auch Zauberer«, erklärte sie.
»Genau, wie alle Hüter Empathen sind. Also ja, Hennea ist auch eine
Zauberin. Aber ein Rabe, der bei seiner Magie nicht seine Weisung
einsetzt … das wäre, als würdest du dir Watte in die Ohren stecken,
wenn du singst.«
»Ich weiß, dass der Unterschied zwischen Zauberern
und Raben darin besteht, dass Zauberer rituelle Magie einsetzen und
Raben nicht darauf angewiesen sind«, sagte Tier. »Aber ich habe
auch schon beobachtet, wie du auf Rituale zurückgegriffen
hast.«
Seraph nickte. »Stimmt. Zauberei ist Wissen, und
Rabesein hat mehr mit Intuition zu tun. Bis zu einem gewissen Grad
stimmt das alles, aber am Ende ist es eher das Ergebnis des
Unterschieds als der Unterschied selbst. Es ist, als würdest du
sagen, der Unterschied zwischen einem Hund und einer Katze bestehe
darin, dass ein Hund gehorsam und eine Katze unabhängig ist.«
»Kannst du es mir erklären?«
Sie dachte kurz nach. »Stell dir vor, Magie sei
eine Bäckerei, die es nur einigen Menschen erlaubt, Brot
herzustellen. Diese Leute können weder riechen noch
schmecken.«
»Schwierig, dann zu backen«, stellte Tier
fest.
»Sehr schwierig. Aber sie schaffen es, weil sie die
Rezeptbücher sehr genau studieren und lernen, jede Tasse Mehl und
jedes Zuckerkörnchen abzumessen.«
»Solsenti-Zauberer.« Tier
nahm eine ihrer Hände und spielte mit ihren Fingern.
»Stimmt. Und jetzt stell dir vor, dass ein paar von
diesen Zauberern einen Ring erhielten, der ihnen gestattete, zu
riechen und zu schmecken.«
»Und dieser Ring nennt sich Weisung des
Raben.«
»Stimmt.«
»Aber sie könnten den Ring abnehmen.«
Seraph verdrehte gereizt die Augen und sprach
schneller. »Nur wie mit einer ätzenden Seife, die ihre Haut
verbrennt. Und in der Bäckerei ist es heiß, so heiß, dass einige
Leute davon sterben. Andere lernen, mit der Hitze zurechtzukommen,
und es gelingt ihnen, lange Zeit dort zu bleiben - aber nur, weil
sie nichts anderes tun als Brot backen, und sie können nicht gehen
oder aufhören zu backen, denn sonst sterben sie - das sind die
Zauberer, die Jahrhunderte alt werden. Aber der Ring schützt vor
der Hitze.«
Er legte einen Arm um ihre Taille und rollte sie
lachend unter sich. »Also gut, also gut. Kein Rabe würde sich auch
nur im Traum einfallen lassen, Zauberei einzusetzen, und Raben
werden nicht Jahrhunderte alt.«
»Stimmt«, sagte Seraph und vergrub das Gesicht an
seinem Hals. »Hennea ist also keine jahrhundertealte Zauberin - und
sie ist auch nicht der Schatten. Das würden wir wissen - Jes würde es wissen.«
Tier rollte sich auf die Seite und schwieg einen
Moment. Sie dachte schon, er wäre eingeschlafen, und war selbst
dabei einzudösen, als er wieder zu sprechen begann.
»Wenn Hennea sich mit dir zusammengetan hat, um den
Pfad zu stürzen, warum ist sie dann immer noch hier? Warum sucht
sie nicht nach ihrem Clan, um sich ihm wieder anzuschließen? Du
sagtest, der Pfad habe nicht ihren gesamten Clan umgebracht, nur
ihren Geliebten, der ebenfalls Rabe war.«
Seraph setzte zu einer Antwort an, aber er fuhr
fort. »Ich stelle diese Fragen wegen Jes. Ich denke, wenn sie
glaubte, einfach gehen zu können, hätte sie uns so schnell wie
möglich verlassen, schon wegen Jes.«
»Wie meinst du das?«, fragte Seraph stirnrunzelnd.
Tier konnte besser mit Menschen umgehen als sie, aber sie war
sicher, dass Hennea sich zu Jes hingezogen fühlte. »Sie mag
Jes.«
»Sie liebt ihn«, erklärte er mit größerer
Sicherheit, als Seraph sie je anderen gegenüber empfinde konnte.
»Und deshalb würde sie gehen, wenn es ihr möglich wäre.«
»Das verstehe ich nicht.« Sie konnte es nicht
ausstehen, wenn Tier so etwas tat - er hatte so gut wie immer
recht, was Menschen anging, aber sie konnte es nicht leiden, wenn
er sich bewusst unklar ausdrückte, und genau deshalb tat er es
natürlich.
Tier grinste, und seine Zähne blitzten hell in dem
trüb beleuchteten Raum. »Nicht du, meine Liebe. Du nimmst die Welt
und schüttelst sie so lange, bis sie dir passt. Die meisten von uns
haben dafür zu viele Zweifel. Und Hennea macht sich Sorgen um Jes.
Nicht nur, weil er zu jung ist, sondern auch wegen seiner Weisung.
Er befindet sich mitten in einer Veränderung - das muss dir doch
aufgefallen sein.«
»Ja.« Seraph unterdrückte strengstens die Angst,
die dieser Gedanke ihr verursachte. »Jes verwandelt sich nun
häufiger in den Hüter, und es passiert schneller.« Sie sagte das
Nächste
sehr rasch, als ob sie damit verhindern könnte, dass es wahr war.
»Und ich glaube nicht, dass der Hüter in letzter Zeit wirklich
vollkommen verschwunden war.«
»Jes hat mir als Hüter gesagt, was im Brunnen des
Schmieds lebte«, erzählte er ihr. »Er sagte, er könne es riechen.
Ist Jes jemals einem Nebelmahr begegnet?«
Seraph zupfte nervös an der Decke. »Nicht, dass ich
wüsste. Hier in den Bergen gibt es keine Nebelmahre, und auf dem
Weg nach Taela haben wir auch keinen gesehen.«
»Das dachte ich mir schon. Ich fragte ihn, wie er
das wisse, und der Hüter verschwand willentlich und ließ Jes lange
genug herauskommen, um mir zu sagen, er wisse nicht, warum, und
dann kehrte der Hüter zurück.«
»Warum sollte er so etwas tun?«
»Ich denke, wenn der Hüter mir gesagt hätte, dass
er es nicht wisse, hätte er gelogen.«
»Der Hüter weiß Dinge, die Jes nicht weiß?« Seraph
tastete nach Tiers Hand und drückte sie sehr fest, als sie sie
fand. »Das ist nicht gut. Wenn Jes überleben soll, müssen er und
der Hüter eins sein.« Das hatte ihr Vater jedenfalls ihrem
Hüterbruder gesagt.
»Ich werde mit ihm reden«, sagte Tier, als ob Reden
alle Probleme lösen könnte.
Seraph gestand sich zumindest zu, sich danach
besser zu fühlen. Für Tier löste Reden wirklich viel mehr Probleme
als für sie.
Tier bewegte sich und sie, bis ihr Kopf wieder an
seiner Schulter lag, dann deckte er seine Frau gut zu.
Hennea liebte Jes. Seraph war ziemlich sicher, dass
Jes dasselbe empfand, obwohl so etwas bei ihm manchmal schwer zu
sagen war.
»Sie hat nie davon gesprochen, aber ich denke, sie
hat vielleicht keinen anderen Platz, wohin sie gehen kann«,
spekulierte
Seraph. »Ich weiß nicht, was Jes zu ihr gesagt hat, um sie dazu zu
bringen, mit uns zu kommen, aber Lehr erwähnte, dass sie eigentlich
mit Benroln gehen wollte. Ich weiß allerdings, was sie dazu bringen
könnte zu bleiben.«
»Und das wäre?«
»Pflichtgefühl. Sie ist ein Rabe, Tier. Sie hat
eine Verantwortung, die über Liebe und Familie hinausgeht. Irgendwo
da draußen ist ein Schatten, der uns vernichten will, mein
Liebster. Er wird dich zweifellos verfolgen - und es ist ihre
Pflicht, hier zu sein, wo sie ihn umbringen kann.«
Tier lachte und wiegte ihren Kopf sanft. »Sie oder
ich?«
»Schlaf jetzt gefälligst«, schimpfte sie, um zu
verbergen, wie besorgt sie war.
Als sie und Tier am nächsten Morgen zum Bauernhof
zurückkehrten, saß der Priester auf der Verandabank und hatte die
Augen geschlossen.
»Du siehst müde aus, Karadoc«, sagte Tier und
winkte ein paar Leuten zu, die ihn vom Feld aus grüßten, wo sie die
Zelte abbauten.
Karadoc öffnete die leuchtenden braunen Augen. »Du
musst reden! Wenn ich sehe, wie du dich bewegst, würde ich sagen,
deine blauen Flecken sind mindestens so schlimm wie meine.«
Tier nickte zu den Feldern hin. »Ist es in Ordnung,
wenn die Leute nach Redern zurückkehren?«
Karadoc lächelte; ein geheimnisvolles, erfreutes
Lächeln. »Ellevanal sagt ja, also habe ich allen ausrichten lassen,
sie sollen packen. Ihr werdet euer Zuhause heute Abend wieder für
euch haben.«
Karadocs Vorhersage war ein wenig optimistisch
gewesen, und Seraph und Tier verbrachten eine weitere Nacht in
Isoldas
Mermora-Haus. Die
Dorfbewohner interessierten sich mehr dafür, ihren Sieg zu feiern,
als gleich nach Hause zurückzukehren. Seraph vermutete, dass sie
auch ein wenig nervös waren, was die Rückkehr ins Dorf anging. Es
würde eine Weile dauern, bis Redern sich für sie wieder sicher
anfühlte, was immer Karadoc ihnen versprach.
»Danke, dass du für uns auf Rinnie aufgepasst
hast«, sagte Seraph, als sie Alinath half, ihre Sachen aus der Ecke
des Hauses zu holen, in der Lehr und Jes für gewöhnlich
schliefen.
Es war der Nachmittag des zweiten Tages seit ihrer
Rückkehr, und Seraph hoffte, dass in der kommenden Nacht alle
wieder in ihren eigenen Betten schlafen würden. Zu diesem Zweck
hatte sie Tier und ihre Kinder ausgeschickt, um auch die letzten
Dorfbewohner zu ermutigen, nach Redern zurückzukehren.
»Rinnie ist eine Freude«, sagte Tiers Schwester,
faltete ein Hemd ordentlich und steckte es in eine Tasche. »Bevor
wir hierherkamen, half sie uns in der Bäckerei.« Sie hielt inne.
»Ich danke dir, dass du meinen Bruder gefunden hast. Wenn du und
die Reisenden ihn nicht gefunden hätten, wäre er tot.«
Seraph zuckte unbehaglich die Schultern. Sie wusste
nicht, was sie Alinath antworten sollte. Die alte Feindseligkeit
zwischen ihnen verging nach und nach, aber sie war nicht sicher,
womit sie sie ersetzen sollte.
»Tier weiß sich zu helfen«, sagte sie schließlich.
»Hat er dir erzählt, dass ihn sogar der Kaiser um seinen Rat
bat?«
Alinath lächelte, und die Erleichterung auf ihrer
Miene machte Seraph deutlich, dass ihre Schwägerin die Lage nicht
einfacher fand als sie selbst. »Ja, er erwähnte es, aber ich
dachte, er übertreibt.«
Seraph schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe nie
gehört, dass er übertrieben hätte, wenn es um seine eigenen
Verdienste ging - eher das Gegenteil.«
»Tatsächlich?« Alinath dachte kurz darüber nach.
»Hat er wirklich all die jungen Raufbolde genommen und sie in eine
Armee für den Kaiser verwandelt?«
»Sie sind immer noch Raufbolde. Jedenfalls die
meisten. Aber sie beten Tier an und haben um seinetwillen für den
Kaiser gekämpft. Tier kann gut mit jungen Männern umgehen.«
»Da wir gerade von jungen Männern sprechen«, sagte
Alinath. »Ist dir aufgefallen, dass mindestens die Hälfte der
Dorfmädchen Lehr anschmachten? Er ist ein Held, weil er gegen
diesen Troll gekämpft und ihn getötet hat.«
»Er und die meisten Männer aus dem Dorf«,
verbesserte Seraph trocken. »Und ich habe
den Troll getötet.«
Alinath grinste; das ließ sie Tier sehr ähnlich
sehen. Es war kein Ausdruck, den Seraph je zuvor auf Alinaths Zügen
gesehen hatte - aber ihre Schwägerin war seit Tiers Heirat auch nur
selten in so guter Laune gewesen. »Niemand wird sich diesmal
darüber beschweren, dass du Magie verwendet hast. Ich bezweifle
allerdings, dass dich jemand anschmachten wird.«
Seraph bediente sich der Lieblingsmiene ihrer
Tochter und verdrehte die Augen. »Wahrscheinlich rennen sie lieber
weg. Sie haben zwanzig Jahre gebraucht, um zu vergessen, dass ich
beinahe die Bäckerei zum Einsturz gebracht habe - denkst du, es
wird auch zwanzig Jahre dauern, bis sie den Troll vergessen?«
Alinath steckte das letzte von Bandors Hemden in
die Tasche. »Ich glaube nicht, dass sie das jemals vergessen
werden«, erklärte sie ernst. »Aber ich denke auch, es ist
vielleicht nicht unbedingt schlecht, wenn sie sich erinnern, dass
du nicht nur eine Bauersfrau bist.«
»Genau das bin ich doch.« »Nein.« Alinath band die
Tasche zu und hob sie hoch. »Du bist eine Reisende, ein Rabe des
Clans der Schweigsamen.«
»Des Clans von Isolda der Schweigsamen«,
verbesserte Seraph. »Aber ich bin auch Seraph Tieragansweib.
Isoldas Clan ist schon seit mehr als zwanzig Jahren tot. Ich war
länger Rederni, als ich Reisende war.«
»Seraph«, sagte Alinath. »Du warst immer Reisende -
und auch Rabe. Das wissen wir seit dem Tag, an dem du in der
Bäckerei deine Kräfte gezeigt hast, wir alle - selbst Tier.«
Sie griff nach ihren Taschen und ließ Seraph
stehen.
Einen Moment später schüttelte Seraph die
Nachwirkung von Alinaths Worten ab. Alinath war nicht Tier, der
ausgesprochen zutreffende Beobachtungen machte, wenn es um Menschen
ging.
Sie hatte ihr Reisendenerbe aufgegeben und es gegen
Tier und ihre Kinder getauscht. Sicher, die Zeit, die sie diesen
Sommer bei Benrolns Clan verbracht hatte, war angenehm gewesen, so
als hole man ein Hemd heraus, das man jahrelang weggepackt hatte,
um festzustellen, dass es immer noch passte. Aber das hier war
genau der Ort, wo sie hingehörte.
Nur, dass sie immer noch Reisendenkleidung trug und
nicht die Röcke einer Redernifrau.
Mit raschen Bewegungen zog Seraph die Bettwäsche
ab, damit sie sie waschen konnte. Sie ging auf die Leiter zu, dann
drehte sie sich wieder um. Der Raum war klein und karg, ein Drittel
der Zelle, die Tier im Palast in Taela bewohnt hatte. Es war der
Raum, in dem sie ihre Kinder zur Welt gebracht hatte.
In ein paar Wochen würde die Erntezeit beginnen.
Dieses Jahr würden sie keine Ernte haben, aber das war gut so, denn
sie mussten sich um den Schatten und das Problem der Edelsteine mit
den Weisungen kümmern. Reisendenangelegenheiten, die sie hinter
sich bringen musste, bevor sie sich wieder niederlassen und zur
Redernifrau werden konnte.
Dann würde es keine Magie mehr geben; sie würde nur
in jeder Jahreszeit den Schutzzauber verstärken.
»Das hier ist mein Heim«, sagte sie laut, um diesem
erstickenden Gefühl, das ihre Brust so eng machte, etwas
entgegenzusetzen. »Ich gehöre hierher.«
Seraph beauftragte Tier und ihre Söhne, den
Auszug der Dorfbewohner zu beschleunigen - wobei Tier nur die
Aufsicht führte -, und ließ sich von Rinnie helfen, um das Haus
sauber zu machen und sich alles in Ruhe anzusehen.
»Es ist gut, dass du dich um den Garten gekümmert
hast, als wir weg waren«, sagte Seraph und schrubbte einen neuen
Fleck auf dem Boden weg. »Ich hatte schon befürchtet, wir müssten
Tier nach Leheigh schicken, damit er dort einkauft, aber mit dem
Garten werden wir es schaffen.«
»Tante Alinath, Onkel Bandor und ich sind einmal in
der Woche hierhergekommen.« Rinnie stieg auf den Tisch, damit sie
den Inhalt der Schränke besser sehen konnte. »Die Arbeit in der
Bäckerei ist wirklich schwer. Ich verstehe, wieso Papa lieber Bauer
sein wollte.«
»Einen Hof zu bebauen ist ebenfalls schwere
Arbeit«, sagte Seraph. »Und die Bäckerei bringt viel Geld
ein.«
»Aber in der Bäckerei muss man dauernd im Haus
sein.« Rinnie holte einen Krug aus einem Schrank und spähte hinein.
»Mir haben Gura und Scheck und der Garten gefehlt.«
»Und wir nicht?«
Rinnie grinste. »Ich habe euch auch vermisst. Wenn
ihr das nächste Mal zu einem Abenteuer auszieht, komme ich
mit.«
»Es sah für mich ganz so aus, als hättest du dein
eigenes Abenteuer gehabt«, stellte Seraph fest.
»Mutter, Kormorane sind für überhaupt nichts gut«, beschwerte sich Rinnie und
stellte den Krug ab. »Sieh doch nur, wie Papa, Jes, Lehr und du
gegen den Troll gekämpft habt. Ich konnte es nur auf ihn regnen lassen.«
»Die Weisungen unterscheiden sich voneinander«,
sagte Seraph. »Wir sind unterwegs einem anderen Kormoran begegnet -
hat dein Vater dir das schon erzählt? Er hat einiges Geld verdient,
indem er das Wetter manipulierte. Er suchte sich ein reiches Dorf
aus und sorgte einen Monat oder zwei für Trockenheit, dann ließ er
sie dafür bezahlen, dass er Regenwolken schickte.«
Rinnie richtete sich vollkommen verdutzt auf.
»Reisende sollen anderen doch helfen,
Mutter!«
»Das habe ich ihm auch gesagt«, erklärte Seraph
ernst. »Er tut es jetzt nicht mehr.«
Rinnie grinste. »Ich wünschte, die Leute würden,
wenn ich ihnen etwas sage, auf mich auch so
hören wie auf dich.«
Die Tür wurde aufgerissen, und Jes kam herein. »Sie
sind weg, und wir sind wieder da«, sagte er in einem Atemzug. »Wir
haben sie nach Redern begleitet. Ich bin froh, dass sie weg
sind.«
Seraph zog die Brauen hoch. »Stiefel?«, fragte sie
leise. »Ich habe gerade den Boden gewischt und nicht vor, das so
bald wieder zu tun.«
Er wich rasch aus dem Haus zurück und setzte sich
auf die Veranda. »Alle mussten mich anfassen, anfassen, anfassen.
›Hallo, Jes‹, sagten sie. ›Schön, dass du wieder da bist.‹ Und dann
ging es weiter: grabsch, grabsch, grabsch.«
»Das tut mir leid. Du hättest sie bitten sollen,
das nicht zu tun.«
»Hennea sagte: ›Hört auf, den Mann anzufassen, ihr
Dummköpfe. Es tut ihm weh‹, und sie haben aufgehört.« Er zog einen
Stiefel aus und blickte erfreut auf.
»Hennea ist wütend geworden?«, fragte Seraph
überrascht.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, sie sagte es nur
sehr entschieden. Aber sie darf mich berühren. Das habe ich ihr
auch gesagt.«
»Vor allen anderen?«, fragte Rinnie entsetzt.
Seraph musste sich anstrengen, nicht laut zu
lachen.
Lehr und Gura kamen auf die Veranda, als Jes mit
seiner Geschichte fertig war.
»Hennea wurde rot und stolzierte davon«, ergänzte
Lehr. »Papa lachte und erklärte, es sei unhöflich, einer Frau zu
sagen, sie könne einen anfassen, wenn andere Leute zuhören. Alle
haben Jes gratuliert, weil er ein so hübsches Mädchen gefunden
hat.«
»Arme Hennea.« Es fiel Seraph wirklich schwer, sich
ihr Lächeln zu verkneifen.
»Wir sollen dir von Papa ausrichten, dass er heute
Abend im Dorf bleibt, um Tante Alinath und Onkel Bandor zu helfen.
Er wird morgen früh nach dem Backen zurückkommen. Die Bäckerei war
in ziemlich schlechter Verfassung. Es sieht aus, als hätte etwas
anderes als der Troll dort alles demoliert.«
»Schlimm?«
Lehr schüttelte den Kopf. »Es wirkte, als wären ein
paar Kinder eingebrochen und hätten versucht, so viel Unheil
anzurichten, wie sie nur konnten. Einer der Töpfe mit Hefe war
umgekippt, aber Papa sagt, sie werden sie wohl retten können. Wenn
nicht, kann Alinath mit dem Braumeister um neue verhandeln.«
»Was ist mit Hennea?«
Lehr grinste wieder. »Ich nehme an, sie wird bald
hier sein. Ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist, aber sie hat
ihre Verlegenheit inzwischen sicher überwunden.«
»Wo wird sie schlafen?«, fragte Jes. »Wir werden
ein paar Latten aus der Scheune holen«, meinte Lehr nach kurzem
Nachdenken. »Dann können wir Rinnies Teil des Raumes mit einem
Rahmen abtrennen, den wir mit Stoff bespannen. Rinnie und Hennea
können dahinter schlafen.
Papa hat ohnehin schon davon gesprochen, dieses Jahr so etwas für
Rinnie zu machen.«
»Gute Idee«, sagte Seraph. »Und wir haben noch eine
alte Matratze in der Scheune. Sie muss nur neu gestopft werden. Du
solltest deine Stiefel vielleicht wieder anziehen, Jes.«
Jes seufzte tief und steckte den Fuß in den
Stiefel. »›Zieh die Schuhe aus, Jes, du machst den Boden
schmutzig.‹ Und dann heißt es plötzlich: ›Zieh sie wieder an, Jes,
ich habe Arbeit für dich.‹«
»Es ist für Hennea«, erinnerte Lehr ihn.
Jes seufzte und band sich den Stiefel wieder
zu.