11
Früh am nächsten Morgen kam
Alinath vorbei. Seraph hatte die Jungen und Rinnie bereits in die
Scheune geschickt, um Werkzeuge und Befestigungsmaterial für Dinge
zu holen, die sie unterwegs brauchen würden. Hennea schlief immer
noch.
»Ich wusste nicht, wie bald ihr aufbrechen würdet«,
sagte Alinath in einer Art Entschuldigung für diesen frühen Besuch.
»Ich habe das hier mitgebracht.« Sie stellte einen großen Korb mit
Reisebrot auf den Tisch. »Wir haben es gestern gemacht, also sollte
es mindestens einen Monat halten.« Seit sie hereingekommen war,
hatte sie Seraph nicht ein einziges Mal direkt angesehen.
»Wie geht es Bandor?«, fragte Seraph.
»Er ist beinahe wieder der Alte, aber er kann sich
an nicht viel erinnern«, erwiderte Alinath und blickte endlich auf.
»Danke, dass du ihn mir zurückgegeben hast.«
»Ich bin froh, dass du gekommen bist«, sagte
Seraph, nachdem sie sich beide auf die Küchenbank gesetzt hatten,
die von ihrem üblichen Platz am Tisch weggezogen worden war. »Sonst
wäre ich zu dir gekommen. Es ist weit nach Taela, und Tier
zurückzuholen könnte gefährlich werden. Ich würde Rinnie nur ungern
auf einen solchen Weg mitnehmen. Würdet ihr für mich auf sie
aufpassen?«
»Selbstverständlich«, sagte Alinath nach einem
Augenblick
des Schocks. »Selbstverständlich werden wir das tun! Wir haben
viel Platz - sie kann Tiers altes Zimmer haben.«
»Vielen Dank«, antwortete Seraph lächelnd. »Ich
habe ihr gesagt, Bandor würde sich noch eine Weile nicht gut fühlen
und du brauchtest ihre Hilfe. Gib ihr etwas zu tun, damit sie mich
nicht für eine Lügnerin hält.«
»Ganz bestimmt«, versprach Alinath. »Karadoc lässt
ausrichten, dass die anderen Ältesten mit seiner Geschichte
zufrieden waren. Alle außer Willon, der gesehen hat, wie Bandor
Rinnie zum Tempel trug. Aber Willon hat versprochen, das nicht zu
erwähnen.«
Alinath griff in einen großen Beutel, den sie
dabeihatte, und holte mehrere gefaltete Pergamentstücke heraus.
»Willon schickt euch diese Landkarten. Und, Seraph …« Alinath legte
einen kleinen Beutel Münzen auf den Tisch. »Die hier kommen aus der
Bäckerei. Nutze sie, wenn du sie brauchst - ich will Tier ebenso
zurückhaben wie du.«
Seraph nahm die Münzen. »Danke. Ich will nicht
abstreiten, dass das unsere Reise einfacher machen wird.«
»Ich werde morgen früh um diese Zeit wieder hier
sein«, sagte Alinath und stand auf. »Um Rinnie abzuholen und euch
zu verabschieden.«
»Danke, Alinath«, erwiderte Seraph.
Alinath blieb am Eingang stehen und drehte sich
noch einmal um. »Nein, Seraph. Ich habe zu danken. Und ich freue
mich über dein Vertrauen, besonders nachdem …«
»Er konnte nicht anders«, sagte Seraph. »Vergiss
das nicht. Selbst umschattet ging es Bandor vor allem darum, Rinnie
zu retten.«
Der nächste Morgen war kalt, und die Sonne ließ
gerade erst eine bleiche Linie über den Bergen aufsteigen, als sie
Scheck das Gepäck aufbanden. Gura winselte Seraph von seinem
selbst gefundenen Wachtposten neben den Dingen an, die immer noch
aufgeladen werden musste.
»Alberner Hund«, sagte Seraph freundlich. »Ja, du
kommst auch mit.«
»Aber ich nicht«, sagte Rinnie von der Veranda
aus.
»Ich brauche jemanden, der sich um deine Tante und
deinen Onkel kümmert«, sagte Seraph. »Tante Alinath würde am
liebsten alles fallen lassen und mitkommen, aber sie muss bei
Bandor und in der Bäckerei bleiben.« Sie holte tief Luft. »Und ich
muss wissen, dass du in Sicherheit bist. Bitte.«
Rinnie sah sie kühl an. »Also gut«, sagte sie. »Ich
bleibe.«
Seraph, Hennea, Jes und Lehr brachen auf, bevor
die Sonne noch richtig aufgegangen war, und Alinath und Rinnie
sahen ihnen von der Veranda aus hinterher.
Ein paar Meilen weiter südlich gelangte man vom
Bauernhof aus auf die Hauptstraße. Willons Landkarten halfen ihnen
zwar, aber die Straße nach Taela zu finden war ohnehin nicht
schwieriger, als einen Bach zu finden, der schließlich ins Meer
münden würde.
»Es ist nicht einfach, Rinnie zurückzulassen.« Lehr
tätschelte Schecks Hals. »Sie fehlt mir jetzt schon.«
»Mir fehlt alles«, sagte Jes, aber er wirkte
vergnügt.
Lehr gab seine finstere Stimmung auf und tätschelte
Jes’ Rucksack. »Das kann ich mir vorstellen.«
»Weißt du, wo dein Clan ist?«, fragte Seraph
Hennea, die weiter hinten in der kleinen Karawane neben ihr
herging.
»Nein«, sagte Hennea. »Aber ich kann sie finden,
wenn es sein muss. Ich werde dir allerdings mehr nützen als
ihnen.«
»Hennea …«, begann Seraph leise.
»Ja.«
»Wenn du mich jemals wieder aus eigensüchtigen
Gründen
belügst - wie du es getan hast, damit ich den Priester für dich
töte -, dann wird dich das teuer zu stehen kommen.«
»Ich werde es nicht vergessen«, sagte Hennea.
»Nein, das solltest du lieber nicht tun.«
Seraph ließ am ersten Reisetag bewusst früh ein
Lager errichten. Hennea sah blass und abgehärmt aus, und obwohl ihr
Arm gut heilte, tat er immer noch weh. Das Zelt, das sie
mitgebracht hatten, war das alte, das Seraph benutzt hatte, als sie
mit ihrem Bruder unterwegs gewesen war. Seraph ging davon aus, dass
es ein paar Tage Übung brauchen würde, bevor sie es im Dunkeln
aufstellen konnten.
Nach dem Abendessen überließ sie den Jungen das
Geschirrspülen und Aufräumen und holte die Mermora von Isolda der Schweigsamen heraus.
»Du bist also die letzte Überlebende deines Clans«,
stellte Hennea fest.
Seraph lockerte die Schnur um ihren Rucksack,
sodass Hennea die anderen Mermori sehen
konnte, die sie dabeihatte. »Die letzte von ziemlich vielen Clans«,
sagte sie.
»Wie vielen?«, fragte Hennea entsetzt.
»Zweihundertvierundzwanzig«, antwortete
Seraph.
Hennea runzelte die Stirn. »Warum sind sie alle zu
dir gekommen?«
»Und nicht zu einem Clanführer, der tatsächlich
einen Clan hat?« Seraph zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich
habe im Lauf der Jahre viel darüber nachgedacht. Die letzten
dreiundachtzig fand ich in einer einzigen Gruppe, und angeblich
hatte sie ein einziger Mann gesammelt. Es könnte bedeuten, dass die
Mermori von anderen Mermori angezogen werden. Je mehr Mermori man hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass
die Mermori weiterer verlorener Clans auch
zu dir kommen. Oder vielleicht hat auch Schattenfall einen gewissen
Einfluss.«
»Es ist mehr als das«, sagte Hennea bedächtig. »Wie
ist es dir gelungen, einen Solsenti zu
finden, der eine Weisung hat? Warum habt ihr beide drei Kinder mit
Weisungen? So etwas funktioniert nicht wie beim Pferdezüchten: Die
Weisungen gehen, wohin sie wollen - obwohl ich wirklich dachte, um
eine Weisung zu bekommen, müsse man zumindest Reisendenblut haben.
Ich kenne nicht viele Clans, die fünf Mitglieder mit Weisungen
haben, und ich habe auch noch nie von einer Familie gehört, bei der
jede einzelne Person zu einer Weisung geboren wurde.«
»Es macht mir Angst«, gab Seraph zu und warf einen
Blick zu den Jungen, die das letzte Geschirr einpackten. »Mein
Vater sagte gern: ›Wenn du auf der Straße eine Münze findest und
sie aufhebst, wirst du zweimal so lange brauchen, um die nächste
Meile hinter dich zu bringen.‹ Er behauptete immer, die Weisungen
gingen dahin, wo sie am dringendsten gebraucht würden. Aber ich
würde mich lieber nicht inmitten von Ereignissen befinden, die
Rabe, Eule, Adler, Falke und Kormoran brauchen.«
Hennea lächelte dünn. »Ich ebenso wenig. Vielleicht
sollte ich tatsächlich meiner eigenen Wege gehen.«
Sie scherzte nur, aber Seraph nickte ernst. »An
deiner Stelle würde ich mir das überlegen. Es ist gut für uns, dass
du uns helfen willst, Tier zu finden, aber es könnte gefährlich
werden. Du brauchst dein Leben nicht für jemanden aufs Spiel zu
setzen, den du nicht einmal kennst.«
Lachend schüttelte Hennea den Kopf. »Das ist nun
einmal die Berufung eines Raben, das weißt du doch. Man riskiert
sein Leben für Leute, die einen am liebsten lebendig verbrennen
würden.«
»Ganz schön verdreht.« Seraph grinste. »Es kam mir
immer so vor, dass diejenigen, die am dringendsten Hilfe brauchten,
sie am wenigsten haben wollten. Wie auch immer, ich habe die
Mermora herausgeholt, damit wir in Isoldas
Haus gehen und sehen können, ob zu ihren Zeiten jemand so etwas wie
die Steine mit den Weisungen geschaffen hat.«
»Sie hatten noch gar keine Weisungen, als Isoldas
Bibliothek zusammengestellt wurde«, sagte Hennea.
»Das stimmt«, erwiderte Seraph. »Aber sie haben mit
ihrer Suche nach Wissen viel Böses angerichtet. Und dabei haben sie
vielleicht etwas gefunden, was uns helfen könnte. Ich will diese
Steine nicht zerstören, ohne zu wissen, was das der dort
eingefangenen Weisung antun wird.«
Jes und Lehr, die mit ihrer Arbeit fertig waren,
kamen zu ihnen, weil sie sehen wollten, was Seraph vorhatte. Sie
steckte die Mermora in den Boden und
beschwor Isoldas Haus herauf.
»Kommt herein«, sagte sie. »Seid willkommen im Haus
von Isolda der Schweigsamen.«
Sie fielen bald in das Reisemuster, an das Seraph
sich von früher erinnerte. Hennea und Jes gingen vorn, Seraph und
Lehr hinter ihnen. Gura trabte davon, um sich umzusehen, und kehrte
dann nervös zurück, um sich zu überzeugen, dass sie immer noch da
waren. Nach einer Woche hatte Seraph das Gefühl, dass sie langsam
die Haut der Bauersfrau aus Redern abwarf, die sie gewesen
war.
Jeden Abend holte sie Isoldas Mermora heraus und suchte in der Bibliothek, um
herauszufinden, was sie mit den Weisungssteinen tun sollte.
»Warum benutzt du sie nicht?«, fragte Lehr eines
Abends. Er saß Seraph an dem kleinen Tisch gegenüber und spielte
mit Figuren, die zu einem Spiel gehörten, das niemand mehr kannte.
»Wir hätten gegen Volis beinahe verloren - und bei Papa werden noch
mehr Zauberer sein. Würde die zusätzliche Macht da nicht
helfen?«
»Reisende haben nicht gerne mit den Toten zu tun«,
sagte Jes. Er hatte sich auf dem Boden niedergelassen, hielt so
viel von Gura auf dem Schoß, wie er konnte, und kämmte den Hund mit
einem silbernen Kamm, der neben Isoldas Bett gelegen hatte.
»Es geht nicht unbedingt darum.« Hennea blickte von
ihrem Buch auf. »Aber uns ist bewusst, dass es gefährlich sein
kann, mit dunkler Magie zu spielen.«
»Besonders, wenn einen das gegenüber dem
Pirschgänger verwundbar macht«, stimmte Seraph zu. »Da wir jetzt
wissen, dass er bereits mit diesen Dingen zu tun hat, wäre es dumm
von uns, ihm auch noch Gelegenheit zu geben, eine von uns
einzuladen.«
»Ich bin gern unterwegs«, sagte Jes
zufrieden.
Hennea warf ihm einen Blick zu. Er hatte die Augen
halb geschlossen und hob das Gesicht zur Sonne. Seraph und Lehr
befanden sich ein gutes Stück hinter ihnen; Jes ging meistens
schneller, als es Scheck gefiel. Seraph wollte das alte Pferd nicht
drängen, also gingen Hennea und Jes eine Weile vor, und dann
setzten sie sich und warteten, dass die anderen sie
einholten.
»Was gefällt dir daran?«, fragte sie.
»Der Hüter ist froh, weil wir Papa holen werden«,
sagte er. »Und Rinnie ist bei Tante Alinath in Sicherheit. Ich mag
Tante Alinath nicht, aber ich weiß, dass Rinnie sie gern hat. Und
ich weiß, dass Tante Alinath und Bandor gut auf sie aufpassen
werden. Mutter und Lehr sind ebenfalls in Sicherheit, weil sie bei
mir und bei Scheck und Gura sind. Ich bin draußen, und die Sonne
scheint und wärmt mir das Gesicht.«
»Ich bin auch gern unterwegs«, gab Hennea zu.
»Warum?« Er hüpfte einen Schritt vor, dann drehte
er sich um und sah sie mit einem strahlenden Lächeln an, das seine
Augen leuchten ließ und das tiefe Grübchen in seiner Wange
sichtbar machte.
Sie erwiderte das Lächeln; sie fand es beinahe
unmöglich, nicht so auf Jes zu reagieren, wenn er glücklich war.
»Aus den gleichen Gründen, die du hast. Unterwegs zu sein bedeutet,
dass in diesem Augenblick nichts Schlimmes geschieht. Und es gibt
interessante Dinge, die man betrachten kann. Meine Füße spüren gern
die Straße unter sich.«
»Ja«, sagte er zufrieden. »Genau.«
Eine Minute später fügte er hinzu: »Lehr ist
allerdings nicht froh.«
»Er ist nicht gern unterwegs?«, fragte sie.
Er verzog nachdenklich das Gesicht. »Ich glaube
nicht, dass es darum geht. Er macht sich einfach zu viele Gedanken.
Er ist wie der Hüter. Er glaubt, er muss sich um alle kümmern. Er
weiß nichts vom Unterwegssein. Er ist der Ansicht, dass viele Dinge
schlecht sind, und versucht, Probleme zu lösen, bevor sie wirklich
entstehen.«
Hennea sagte: »Du kennst deinen Bruder ziemlich
gut, wie?«
Jes nickte. »Er ist mein Bruder, und ich mag ihn.
Er hat keine Angst vor dem Hüter; er mag den Hüter ebenfalls. Das
gefällt mir. Und Rinnie liebt uns auch. Aber sie will kein Hüter
mehr sein, weil sie lieber mit dem Wind spielt.«
»Ich mag deine Familie, Jes«, sagte Hennea
leise.
Wieder lächelte er. »Ich ebenfalls.«
Eine Woche vor Korhadan, der ersten großen Stadt
zwischen ihnen und Taela, machten sie zum Mittagessen Halt und aßen
ein wenig entfernt von einer anderen größeren Gruppe, der sie schon
seit ein paar Tagen folgten.
»Wir könnten auch unterwegs essen, Mutter«, sagte
Lehr zu Seraph, als diese sich neben ihn setzte. »In der Zeit, die
Jes zum Essen braucht, könnten wir eine weitere Meile
schaffen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Diesen Vorsprung würden
wir in ein paar Tagen gleich wieder verlieren, wenn Scheck zu müde
wäre, um weiterzugehen. Es ist kein Problem, schnell
voranzupreschen, wenn deine Reise in einem oder zwei Tagen zu Ende
ist, aber wir müssen ein Tempo anschlagen, das wir einen Monat oder
länger aufrechterhalten können. Was ist mit der Blase an deinem
Fuß?«
»Die ist geheilt.«
»Reisendenhure!«
Seraph war aufgesprungen, bevor der Ausruf des
jungen Mannes zu Ende war. Sie sah Hennea neben einem rasch
fließenden Bach stehen, den Trinkbecher locker in der Hand, während
ein Batzen nassen Schlamms von ihrer Wange fiel. Hennea war so
entsetzt, dass sie jung und verwundbar wirkte, aber das würde nicht
lange dauern.
Bevor Seraph mehr als einen oder zwei Schritte tun
konnte, stand Jes mit Gura an seiner Seite zwischen Hennea und
einer kleinen Gruppe junger Männer.
»Entschuldigt euch«, flüsterte Jes.
Seraph wurde schneller.
Die Männer wichen zurück, und die meisten murmelten
eine Entschuldigung. Dass sie nun den riesigen knurrenden Hund oder
Jes anstarrten und nicht mehr Hennea, war durchaus
verständlich.
»Verschwindet!«, rief Jes. »Lasst uns in Ruhe, und
wir werden das Gleiche tun.«
»Heh, was ist hier los? Droht ihr Vagabunden meinen
Söhnen?«
»Jes, ich werde mich um diese Sache kümmern«, sagte
Seraph leise und schob sich zwischen Jes und die jungen Männer. Als
der ältere Mann, wahrscheinlich der Vater der Jungen,
nahe genug war, um Seraph hören zu können, sagte sie ruhiger, als
sie sich fühlte: »Es gab keine Probleme, bis Eure Söhne anfingen,
welche zu machen.«
Der Mann stapfte an seinen Söhnen vorbei und blieb
keine zwei Schritte vor Seraph stehen. Er hatte offenbar vor, sie
mit seiner Größe einzuschüchtern. »Meine Söhne, Reisende?«
Seraph wusste, dass ihr Zorn sie zu etwas Dummem
verleiten würde, und Jes war auch keine Hilfe. Wo war Tier, wenn
man ein diplomatisches Wort brauchte? Sie hätte es Hennea
überlassen können, aber die jüngere Frau hatte sich vor den
Solsenti bereits als schwach gezeigt - wenn
sie jetzt glaubte, es ihnen zeigen zu müssen, würde Blut
fließen.
»Einer Eurer Söhne hielt es für ein interessantes
Spiel, Schlamm nach einer Frau zu werfen, die niemandem schadete«,
sagte Seraph. Sie hätte nicht weiter sprechen sollen, aber sie
konnte es einfach nicht ausstehen, wenn jemand einen anderen
schikanierte. »Er ist offenbar schlecht erzogen: Er hat keine
Manieren.«
»Schlecht erzogen, du Miststück von einer
Reisenden?«, fauchte der Mann. »Wer bist du denn, so etwas zu
behaupten?«
Seraph bemerkte dankbar, dass Jes auf sie gehört
und die Angst zurückgenommen hatte, die er bewirkte. Angst nährte
Zorn, und das würde den Mann vielleicht zu noch dümmeren Reaktionen
verleiten. Sie würde ihre Zunge selbstverständlich beherrschen
müssen, damit sie den Solsenti nicht zu
weit trieb. Noch bevor sie weitersprach, war ihr klar, welche Wahl
sie treffen würde, wenn sie Jahre eiserner Selbstbeherrschung und
Vorsicht wegwarf.
»Tatsächlich.« Sie blieb höflich, obwohl sie
wusste, dass das den Mann mehr ärgern würde als Gekeife. »Mir kommt
es so vor, als wären sie nicht die Einzigen, die schlecht erzogen
wurden.« Sie hielt kurz inne, um das einsinken zu lassen, und
benutzte
dann Jes’ Flüstertechnik. »Hat Eure Mutter Euch nicht beigebracht,
dass Leuten, die Reisende ärgern, schlimme
Dinge zustoßen?«
Sie wusste selbst nicht, ob sie ihn verschrecken
oder ihn dazu bringen wollte, sie anzugreifen. Eigentlich war sie
davon ausgegangen, ihren Hass auf Solsenti,
die die Reisenden hassten und sie dennoch brauchten, lange und tief
begraben zu haben, aber es hatte nur einen Batzen Schlamm
gebraucht, um ihr das Gegenteil zu beweisen. Der Zorn, der sie
durchflutete, fühlte sich gut an, ja sogar läuternd.
Was immer sie mit ihrer Drohung erreichen wollte,
die Begleiter des Mannes, die inzwischen näher gekommen waren,
zwangen ihn zu handeln, statt davonzulaufen. Vielleicht hätte er
zurückweichen können, ohne das Gesicht zu verlieren, wenn Seraph
ein Mann gewesen wäre.
Wenn sie nicht eine ganze Tasche voller Mermori gehabt hätte, die sie daran erinnerten, wie
gefährlich es war, wenn die Solsenti ihren
Respekt vor den Reisenden verloren, hätte sie vielleicht auch
selbst nachgegeben.
»Sei vorsichtig, Seraph«, murmelte Hennea in der
Reisendensprache.
Der Mann kam einen weiteren Schritt näher. Er war
groß und kräftig, aber Seraph war daran gewöhnt, zu Menschen
aufzublicken, und ein paar Zoll mehr machten da kaum etwas aus.
»Dein Mann hätte dir Respekt vor Leuten beibringen sollen, die
etwas Besseres als du sind, Hure«, sagte er direkt im Anschluss zu
Henneas Worten.
Seraph biss sich auf die Zunge. Eine hochgezogene
Braue und ein vielsagender Blick würden genügen. Du? Besser als ich? Das glaube ich nicht.
Er hob die Hand. Gura schnappte zu, und sie konnte
Tiers Schwertscheide rasseln hören, als Lehr sich bereit machte,
die Waffe zu ziehen. Sie hätte sich vielleicht immer noch schlagen
lassen, wenn sie nicht Jes’ schweren Atem neben sich gehört
hätte.
Mit einem Wort und einem Hauch der Macht ließ sie
den Arm des Mannes erstarren.
Als sie die anderen Solsenti anlächelte, wichen einige von ihnen schnell
zurück. Sie hatte das Gefühl, ihr Opfer hätte das auch gern getan,
aber es konnte den Arm nicht bewegen.
»Was ist hier los?«, fragte eine befehlsgewohnte
Stimme, und ein junger Mann drängte sich durch die Menge.
Er hatte aschblondes Haar, das er in einem
taillenlangen Zopf trug, was sein Reisendenblut so deutlich
ankündigte wie ein geschriebenes Schild. Die Solsenti wichen noch weiter zurück.
»Sieh zur Straße, Mutter«, flüsterte Jes.
Seraph tat das, und tatsächlich wartete dort ein
ganzer Reisendenclan.
Schweigen breitete sich aus, überwiegend, weil die
Solsenti die anderen Reisenden noch nicht
bemerkt hatten und nicht wussten, was sie mit ihrem Freund anfangen
sollten, dessen Arm immer noch reglos in der Luft hing.
»Nun?«, sagte der junge Reisende wieder. »Was ist
hier los?«
»Ich bin Seraph«, sagte sie. »Rabe vom Clan von
Isolda der Schweigsamen. Die halbwüchsigen Söhne dieses Mannes
haben meine Freundin beleidigt. Wir sprachen gerade über den
Vorfall.«
Der Fremde nickte zum Arm des Mannes hin.
»Interessantes Gespräch?«
»Nein«, sagte Seraph. »Ich war beinahe fertig. Wenn
du mich einen Moment entschuldigen würdest.« Sie wandte sich dem
Solsenti zu. »Ich habe keine Geduld mehr
mit Euch. Ich verfluche Euch und Eure
Söhne: Wenn Ihr oder Eure Söhne noch ein einziges Mal eine Frau
oder ein Kind schlagt, werdet
Ihr den Gebrauch dessen verlieren, was für Männer das Wichtigste
ist. Und jetzt geht.«
Sie ließ seinen Arm los und starrte die wenigen
Solsenti nieder, die aussahen, als wollten
sie noch bleiben.
Der fremde Reisende wartete, bis sie weg waren,
dann fing er an zu lachen. »Ich bin kein Rabe, aber ich konnte
dennoch sehen, dass hinter diesem Fluch keine magische Kraft
lag.«
Sie lächelte. »Die ist auch nicht nötig.« Wenn
einer von ihnen jemals eine Frau oder ein Kind schlug, würde er
sich an ihre Worte erinnern und sich Sorgen machen. Was leichter
als Magie zu der von Seraph prophezeiten Wirkung führen
konnte.
»Wer bist du?«, brach Jes in das Gespräch
ein.
»Ah, verzeiht! Ich bin Benroln, Kormoran und
Anführer des Clans von Rongier dem Bibliothekar.« Er deutete eine
Verbeugung an. »Wenn wir euch beim Essen Gesellschaft leisten
dürften, könnten wir Geschichten austauschen.«
»Seid willkommen«, sagte Seraph.
Erst einmal wurde es ein wenig chaotisch, als der
Clan von Rongier einen Halt und eine Mahlzeit organisierte und die
Solsenti zur gleichen Zeit schnell packten
und sich auf den Weg machten, wobei die meisten noch die Reste
ihrer Mahlzeit in einer Hand hielten, als sie wieder
aufbrachen.
Die Angst auf ihren Gesichtern machte Seraph
weniger Sorgen als das Gejohle aus dem Clan des Bibliothekars. Ihr
Vater hätte so etwas nie erlaubt, aber Benroln war noch jung, und
vielleicht empfand er das Gleiche wie die anderen jungen Leute, die
den Solsenti Bemerkungen hinterherriefen.
Dennoch, es gab auch Ältere, und Seraph dachte, jemand hätte etwas
sagen sollen.
Ein Blick auf die Wagen des Clans und die Kleidung
der Reisenden sagte ihr, dass sie materiell offenbar nicht unter
einem jungen Anführer gelitten hatten, sosehr sich ihre Manieren
auch verschlechtert haben mochten. Ihre Kleidung war nicht
abgetragen und geflickt, und die Wagen waren alle frisch
bemalt.
Seraphs kleine Familie blieb dicht bei ihr, während
die fremden Clansleute Essen verteilten und sich an die
Vorbereitung weiterer Gerichte machten. Seraphs Jungen fühlten sich
offenbar eingeschüchtert von der fremden Sprache und dem schieren
Lärm, den so viele Menschen machen konnten, die sich der gleichen
Aufgabe widmeten. Seraph hatte gerade ihre Mahlzeit beendet, als
Benroln mit drei anderen Männern auf sie zukam.
»Seraph, das hier ist mein Onkel Isfain«, sagte er
und zeigte auf den ältesten Mann. »Mein Vetter Calahar« war ein
junger Mann mit ungewöhnlich rabenschwarzem Haar. »Kors« war
mittleren Alters und von mittlerer Größe, und er hatte leicht
gebeugte Schultern.
»Das hier«, fuhr Benroln fort, »ist Seraph, Rabe
von Isolda der Schweigsamen, mit ihrer Familie. Dieser junge Mann
hier ist Adler.«
Der ältere Mann, den Benroln als Isfain vorgestellt
hatte, lächelte. »Deine Familie ist mit Weisungen gesegnet. Würdest
du mich ihnen vorstellen?«
Nichts an diesen Worten hätte Seraphs Misstrauen
wecken sollen, aber es lag eine gewisse Betonung in Benrolns
Worten, als er von den Weisungen sprach, und das wiederum hatte bei
Isfain eine gewisse Selbstgefälligkeit hervorgerufen.
Seraph nickte. »Das hier ist mein Sohn Jes, der
Adler. Mein Sohn Lehr und meine Freundin Hennea.« Niemand hätte sie
je bezichtigen können, zu vertrauensselig zu sein. Sie konnte nicht
ignorieren, dass Benroln bereits ihre und Jes’ Weisungen bemerkt
hatte, aber es war nicht notwendig, mehr Informationen
weiterzugeben als nötig. Wenn Seraph erst mehr über den
Clan von Rongier wusste, würde sie für solche Dinge noch genügend
Zeit haben.
»Darf ich fragen, wieso ihr nur so wenige seid?«,
fragte Kors höflich. »Ich habe gehört, dass der Clan von Isolda vor
Jahren an der Seuche starb.«
Seraph nickte freundlich. »Nur mein Bruder und ich
überlebten. Als mein Bruder starb, hatten wir niemanden mehr.« Zwei
Jahrzehnte unter Solsenti hatten nicht dazu
beigetragen, dass sie sich jetzt weniger schämte - also hob sie das
Kinn, falls jemand irgendwelche Bemerkungen machen würde. »Ich habe
einen Solsenti geheiratet, und wir haben
bei ihm und seiner Familie gelebt, bis er dieses Frühjahr starb.
Seine Verwandten haben uns hinausgeworfen - aber sie wussten nicht,
dass er auch Eigentum in Taela hatte. Wir sind auf dem Weg dorthin,
um sein Geld zu holen.«
Die Männer dachten darüber nach, was sie gesagt
hatte. Es war Reisenden ausdrücklich verboten, Solsenti zu heiraten oder auch nur mit ihnen
zusammenzuleben. Dennoch geschah es. Aber ein sehr strenger
Clanführer konnte jeden, der gegen diese Regel verstieß, mit
Verbannung oder mit dem Tod bestrafen.
Es war allerdings nur Kors, der entsetzt wirkte,
und Benroln tippte ihm auf die Schulter, bevor er sich äußern
konnte.
Isfain sagte eher erfreut: »Es sieht aus, als
hätten wir den gleichen Weg. Unser Clan hat an der Straße nach
Taela zu tun, und wir haben Freunde in der Stadt, die uns helfen
wollen. Wir würden uns freuen, euch begleiten zu dürfen, bis sich
unsere Wege wieder trennen.«
Es gab keine Möglichkeit, dieses großzügige Angebot
abzulehnen, ohne den Clan zu beleidigen, also nickte Seraph. »Eure
Begleitung wäre uns sehr willkommen.«
Calahar warf einen Blick zu Scheck und ging dann
auf ihn zu. »Schönes Pferd«, sagte er.
»Das Schlachtross meines Mannes«, erklärte Seraph.
»Sei vorsichtig. Er ist jetzt alt. Aber er wurde ausgebildet,
Fremde nicht zu nahe kommen zu lassen.«
»Ich habe noch nicht viele Pferde mit solchen
Farben gesehen«, sagte Calahar. »Hat dein Mann ihn als Kriegsbeute
bekommen?«
»Ja.«
»Schade, dass er ein Wallach ist.«
»Ja«, erwiderte Seraph. »Aber er dient uns gut.
Lehr, würdest du bitte überprüfen, ob wir alles gepackt
haben?«
Hennea wartete, bis sie wieder unterwegs waren
und das Durcheinander über die neuen Mitglieder der Gruppe sich ein
wenig gelegt hatte, bevor sie Seraph ansprach.
»Du warst nicht besonders offen«, sagte sie leise.
»Und Scheck hatte nie etwas gegen mich.«
»Aber das brauchen sie nicht zu wissen. Es wäre mir
lieber, wenn niemand unser Gepäck durchwühlt. Etwas an diesem Clan
gefällt mir nicht«, erwiderte Seraph. »Es ist allerdings auch lange
her, dass ich mit Reisenden unterwegs war, also missdeute ich
vielleicht etwas.«
»Vielleicht hast du mit deinem Misstrauen aber auch
recht«, meinte Hennea nachdenklich. »Sie werden zweifellos nicht
erwarten, dass Lehr und ich Weisungen haben, vor allem nicht, da
sie schon von dir und Jes wissen. Wenn sie einen Raben haben, kann
der uns allerdings sofort ansehen, was wir sind.«
»Ich habe mich umgesehen«, sagte Seraph. »Der
Einzige mit einer Weisung, den ich wahrnehmen konnte, ist Benroln
selbst.«
»Ich nehme an, es kann nichts schaden«, sagte
Hennea.
»Wem schadet was nichts?«, fragte Benroln.
Seraph achtete darauf weiterzulächeln. »Uns. Es ist
eine Erleichterung, einen Clan zu finden, mit dem wir reisen können
- aber es stört mich auch, dass wir vielleicht euren Schutz
brauchen. Das hier ist eine Hauptstraße, und sie sollte für
Reisende ungefährlich sein - aber ich mache mir trotzdem
Sorgen.«
»Und es sind nicht nur diese Hitzköpfe«, sagte
Benroln finster. »Es hat lange Zeit keine Versammlung mehr gegeben.
Die letzte wurde von Solsenti-Soldaten
unterbrochen, und die Clans waren der Ansicht, eine weitere
Versammlung würde nur weitere Solsenti-Schwerter anlocken. Die Krankheit, die
unsere Clans vor zwanzig Jahren so dezimierte, tötete mehr als nur
euren Clan. Wenn es nach den Solsenti
ginge, würde es in weiteren zwanzig Jahren überhaupt keine
Reisenden mehr geben.«
Sein Tonfall, wenn er »Solsenti« sagte, erinnerte sie deutlich daran, wie
die verängstigteren Rederni das Wort »Magie« gebrauchten.
»Das wird ihr Untergang sein«, sagte Hennea
gleichmütig. »Wir Reisenden existieren nur, um zu verhindern, dass
die Solsenti für einen Fehler zahlen
müssen, den sie nicht selbst begangen haben.«
»Welchen Fehler?«, fragte Benroln erbost, aber
Seraph sah seinen berechnenden Blick. Er versuchte, seine Zuhörer
auszuhorchen. »Eine Geschichte, die uns die alten Leute erzählen?
Es ist nur eine Geschichte - und sie war schon alt, bevor der
Schatten fiel. Es ist ein Mythos und nicht beweisbarer als der
Unsinn, den die Solsenti über die Götter
verbreiten. Es gibt keine Götter, und es gab nie eine verlorene
Stadt. Es gibt keinen bösen Pirschgänger. Wir haben wieder und
wieder für ein Verbrechen bezahlt, das in einer Bardengeschichte
begangen wurde. Wenn wir nicht klüger werden, werden wir bald
nichts weiter als das Lied eines Solsenti-Bänkelsängers sein, etwas, womit man kleine
Kinder erschreckt.«
»Klüger werden und was tun?«, fragte Seraph.
»Überleben«, antwortete er. »Wir brauchen Essen und
Kleidung. Wir müssen den Solsenti
beibringen, uns in Ruhe zu lassen - so, wie du es mit diesem
Solsenti-Mistkerl gemacht hast, der
versucht hat, Hennea wehzutun.« Er hielt inne, dann fuhr er leiser
fort: »Du hast diesen Mann und seine Söhne gelehrt, uns in Ruhe zu
lassen. Wenn du außerdem noch deinem Adler erlaubt hättest, sie
anzufassen, hätten die anderen Solsenti aus
seiner Gruppe die Geschichte ins Dorf zurückgetragen, und sie
hätten alle vor Angst gezittert.«
»Vielleicht taten das einige ohnehin«, sagte Seraph
kühl. »Und vielleicht haben die Leute mich und meinen Bruder, als
wir vor Jahren in dieses Dorf kamen, ja genau wegen solcher Ängste
nicht willkommen geheißen, sondern meinen Bruder verbrannt.«
»Die Solsenti fürchten uns
bereits, das ist das Problem«, fuhr Hennea fort. »Angst führt zu
Gewalttätigkeit. Die Dorfleute, die Seraphs Bruder töteten, hatten
schreckliche Angst und waren zu ignorant, um zu wissen, dass sie
von einem Reisenden nichts zu befürchten hatten. Vielleicht ist das
ja deshalb so, weil wir ihnen in den letzten paar Generationen
beigebracht haben, uns zu fürchten.«
»Quatsch«, sagte Benroln knapp, bevor er seine
Aufmerksamkeit wieder Seraph zuwandte. »Du hast wie lange unter
ihnen gelebt?« Er warf einen Blick auf Jes und Lehr und kam zu
einer ziemlich akkuraten Schätzung. »Zwanzig Jahre oder mehr? Du
klingst beinahe wie eine von ihnen - oder noch schlimmer, eine der
Alten, die am Feuer sitzen und sagen: ›Es ist unsere Aufgabe, sie
zu schützen.‹« Der Zorn in seiner Stimme war nun echt. »Sollen sie
doch auf sich selbst aufpassen! Sie haben ihre eigenen
Zauberer.«
»Die hilflos sind gegen das Böse, das wir
bekämpfen«, erwiderte Seraph.
Benroln verzog höhnisch den Mund. »Als Solsenti-Soldaten meinen Vater, unseren Jäger und
den Raben allein erwischten, konnten wir nichts anderes tun, als
sie zu beerdigen. Wenn mein Vater nicht an die alten Märchen
geglaubt hätte, hätte er diesem Dorf zeigen können, was es
bedeutet, einem Reisenden wehzutun. Als diese Dorfleute deinen
Bruder töteten, hättest du ihn retten
können. Du hättest ihnen solche Angst einjagen können, dass sie
nicht mehr im Traum daran denken würden, einem von uns zu schaden.
Wie viele von uns sind gestorben, weil du andere Solsenti nicht ebenso belehrt hast wie diesen Mann
heute? Wie viele weitere werden sterben, weil du ihnen nicht deinen
Adler auf den Hals gehetzt hast, statt sie von einem nicht
existierenden Fluch zu überzeugen?«
Ein Teil von Seraph wollte ihm zustimmen. Ein Teil
von ihr hatte das Dorf tatsächlich niederbrennen wollen. Sie hatte
den größten Teil jener ersten Nacht an Tiers Seite damit verbracht,
sich zu fragen, wie lange es dauern würde, um ins Dorf
zurückzukehren und ihren Bruder zu rächen.
Sie hätte sie alle umbringen können.
»Dein Vater wurde getötet?«, fragte Hennea leise,
berührte Benrolns Arm mitleidig und lenkte ihn so von Seraph
ab.
Er nickte, und sein Zorn verschwand angesichts von
Henneas Anteilnahme. »Unser Fährtenleser brachte uns zur Burg des
Sept von Arvill. Mein Vater sagte, sie würden niemals einen ganzen
Clan einlassen, also nahm er, der Rabe war, unseren anderen Raben -
meinen Vetter Kiris, einen Fünfzehnjährigen - und unseren Jäger, um
zur Burg zu gehen. Sie schafften es nicht einmal bis zum Tor, bevor
sie in einen Hinterhalt gerieten.«
»Schrecklich«, stimmte Seraph zu. »Wenn ich mich an
dieses Dorf erinnere, in dem mein Bruder umgebracht wurde, denke
ich daran, wie hilflos die Leute dort angesichts meiner Macht
gewesen wären. Ich denke an die Kinder, die dort lebten,
und die Mütter und Väter. Mehr Tod hilft nicht gegen Verbrechen,
ganz gleich, wie bedauerlich sie sind.« Sie sagte all das in
versöhnlichem Tonfall, aber sie konnte ihm einfach nicht
zustimmen.
Benroln sah sie kurz an, dann senkte er den Kopf zu
der respektvollen Verbeugung eines besiegten Gegners. »Und so lerne
ich von deiner Weisheit.«
Lehr, der bei Seraphs letzten Worten näher gekommen
war, schnaubte und grinste Benroln an. »Das weiß sie besser. Genau
das sagte sie immer zu Papa, wenn sie ihm nicht zustimmen wollte,
er aber eindeutig Sieger der Auseinandersetzung war.«
Seraph lächelte sanft. »Wir können uns immer noch
darauf einigen, dass wir uns nicht einigen können.«
Die Reisenden waren organisiert wie eine gut
ausgebildete Armee, und aus den gleichen Gründen. Jedem war eine
bestimmte Rolle zugewiesen.
Seraph hatte nicht wirklich gewusst, was für ein
unabhängiges Leben sie in Redern geführt hatten. Solange der Sept
seine Steuern bekam, konnten sie überwiegend tun, was sie wollten.
Wenn sie einen anderen Rederni geheiratet hätte, hätte das
wahrscheinlich bedeutet, von ihm abhängig zu sein. Aber Tier war
Tier. Er suchte den Rat seiner Frau, und sie arbeiteten sowohl auf
den Feldern als auch in der Küche Schulter an Schulter. Seraph
hatte sich an die Freiheit gewöhnt, ihre eigenen Entscheidungen zu
treffen.
Als Isfain auf eine Stelle gedeutet und sie
angewiesen hatte, dort ihr Lager aufschlagen, hätte sie ihm beinahe
gesagt, wohin er sich seine Befehle stecken konnte. Wenn sie nicht
bemerkt hätte, dass Lehr sie erwartungsvoll ansah, hätte sie es
vielleicht auch tatsächlich getan. Stattdessen jedoch nickte sie
nur und machte sich an die Arbeit.
Zumindest ließen sie Seraph ein wenig Raum, weil
sie Rabe war und Clanführerin, wenn auch nur für ihre Familie und
Hennea. Lehr hingegen behandelten sie wie einen grünen Jungen -
Tier hatte das nie getan. Sie hoffte nur, dass er seinem Vater
ähnlich genug war, um ruhig zu bleiben, bis sie mehr über diesen
Clan wusste: Sie könnten vielleicht dabei behilflich sein, Tier
zurückzuholen.
Seraph ging den anderen bei der Vorbereitung des
Abendessens zur Hand. Ein paar Männer kümmerten sich um die Pferde
und Ziegen, einige gingen angeln, und eine kleinere Gruppe zog in
den Wald, in der Hoffnung, dort Wild erlegen zu können. Jes und
Lehr schlossen sich dieser Gruppe an. Seraph hatte Zeit gehabt, mit
Lehr zu sprechen, und sie wusste, er würde sich nicht verraten.
Auch er mochte Benroln nicht besonders.
»Mein Kors sagte mir, du warst mit einem Solsenti verheiratet«, sagte die Frau links von
Seraph, während sie mit geschickten Fingern und einem scharfen
Messer einen der Kaninchenkadaver ausbeinte, die die Grundlage des
Abendessens bilden würden.
Die Worte kamen so bewusst neutral heraus, dass
Seraph nicht antwortete und so tat, als benötige ihre eigene Arbeit
ihre gesamte Konzentration.
»Ja, wie war das denn?«, fragte die Frau, die ihr
gegenüber arbeitete, mit mühsam gedämpfter Neugier. »Ich habe
gehört, die Solsenti-Männer …«
Sie wurde schnell von den anderen Frauen zum
Schweigen gebracht, die sie kichernd zu tadeln begannen.
»Also wirklich!«, rief eine raue Stimme. Seraph
drehte sich um und sah eine winzige, uralte Frau auf die Tische
zukommen, wo sie das Essen vorbereiteten. Ihr Haar war hellblond
und dünn, und es hing ihr in einem Zopf vom Oberkopf bis zu den
Hüften. Ihre Schultern waren gebeugt, die Hände so knotig
wie der Stock, auf den sie sich stützte. »So, wie ihr euch
benehmt, sollte man glauben, ihr hattet nie zuvor einen Mann! Sie
ist unser Gast. Ah, ihr seid eine Schande für den Clan.«
»Brewydd«, sagte die Frau, die das Gespräch
begonnen hatte. »Was führt dich her?«
»Brewydd?«, fragte Seraph, legte den gehäuteten
Kaninchenkadaver hin und wischte sich die Hände an der geliehenen
Schürze ab. »Bist du die Heilerin?« Selbst vor zwanzig Jahren war
Brewydd die Heilerin uralt gewesen.
Die alte Frau nickte. »Ja, die bin ich«, sagte sie.
»Ich kenne dich, Kind - Isoldas Rabe. Die, die überlebte.«
Die Frau zu Seraphs Rechten schob beiseite, woran
sie arbeitete, und eilte zu der alten Frau, um ihr die Hand unter
den Arm zu schieben und sie zu stützen. »Komm, Großmutter. Du musst
dich hinsetzen.« Mit einem leisen Tadel führte sie Brewydd zu einem
Wagen, der Wände auf allen vier Seiten und ein Dach hatte wie ein
kleines Haus auf Rädern - Karis nannte man
diese Gefährte, nach dem Wort für Kari, die
Ältesten, die einzigen Reisenden, die sie benutzten.
»Rabe«, sagte die alte Frau, die noch einen Moment
stehen geblieben war, um Seraph anzusehen. »Nicht alles Böse kommt
vom Schatten.«
»Menschen können auch von ganz allein böse sein«,
stimmte Seraph zu.
Zufrieden mit Seraphs Antwort kehrte die alte Frau
zurück zu ihrem Karis.
»Sie kann immer noch heilen«, sagte die Frau links
von Seraph. »Aber sie ist ein bisschen seltsam. Es ist das Alter.
Sie will niemandem verraten, wie alt sie ist, aber mein Kors ist
ihr Urenkel.«
In den nächsten drei Tagen mit Rongiers Clan
lernte Seraph vieles über sie. Benroln und die alte Heilerin waren
die einzigen
unter ihnen, die Weisungen hatten, obwohl es ein paar gab, die
nach Art der Solsenti zaubern konnten - mit
Worten und Bannsprüchen, die darauf zugeschnitten waren, genug frei
schwebende Magie einzufangen, um die Aufgabe erledigen zu
können.
Es war ausgesprochen bemerkenswert, dass sie
überhaupt Ergebnisse erzielten, dachte sie, als sie zusah, wie ein
junger Mann namens Rilkin mithilfe eines Zaubers ein feuchtes
Scheit anzündete. Ihr Vater hatte ebenfalls über diese Begabung
verfügt, und sie hatten viele Tage auf Reisen damit verbracht, die
Unterschiede zwischen seiner Magie und der von Seraph zu
erforschen. Ein Solsenti-Zauber warf so gut
wie blind ein Netz ins Meer, um herauszuholen, was an frei
schwebender Magie darin hängen blieb. Weisungsmagie war mehr, als
senke man einen Eimer in einen Brunnen.
Seraph striegelte Scheck weiter und dachte über
ihre derzeitigen Sorgen nach. Wegen Tier konnten sie nichts
unternehmen, ehe sie Taela erreichten, also hatte sie ihre Angst um
ihn beiseitegeschoben, bis sie sie vielleicht nutzen konnte. Ihre
unmittelbaren Bedenken galten Lehr und Jes. Die Jungen waren mehr
und mehr unzufrieden über ihr ununterbrochenes Zusammensein mit dem
Reisendenclan.
Scheck reckte den Hals genussvoll, als der Striegel
über eine besonders gute Stelle strich. Zumindest Scheck liebte die
Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde.
Lehr jedoch hasste es, dass alle Männer und die
meisten Frauen des Clans glaubten, ihn herumkommandieren zu dürfen.
Er konnte ihren Respekt nicht mit seinen Erfolgen auf der Jagd
gewinnen, ohne zu verraten, was er war, also behandelten sie ihn
wie all die anderen jungen Männer.
Niemand gab Jes Anweisungen - alle wussten, was er
war. Den Tageslicht-Jes verstörte es, dass alle in seiner Nähe die
Blicke senkten und ihn mieden. Seraph erinnerte sich nicht daran,
dass ihr Clan ihren Hüter-Bruder so behandelt hätte.
Der Bibliothekarsclan kränkte Jes mit seinem abweisenden
Verhalten, und das machte den Hüter ruhelos: Jes gehörte immerhin
zu den Menschen, die er beschützte.
Hennea war eine große Hilfe. Sie strickte abends
und fand dabei immer Dinge, für die sie Jes’ Hilfe brauchte. Er
wurde in ihrer Gegenwart ruhiger; vielleicht war es die Disziplin
des Raben, die Hennea für Jes erträglicher machte. Mit einigen
Personen, zum Beispiel mit Alinath, konnte er kaum im selben Raum
sein.
»Mutter?« Das war Lehr. »Hast du Jes gesehen? Er
war beim Abendessen in meiner Nähe, aber irgendwer glaubte, ein
Zugtier zu brauchen, und ich war das nächste, was sie finden
konnten. Als ich zu den Esstischen zurückkam, war Jes weg. Ich habe
schon bei den Pferden nachgesehen, und dort war er auch nicht.
Hennea sucht ihn ebenfalls. Er ist nicht im Lager, Mutter. Ich habe
Hennea gesagt, dass ich dich fragen werde.«
Er wollte wissen, ob sie wollte, dass er
weitersuchte, obwohl jemand bemerken könnte, was er tat.
»Ich denke nicht …« Dann brach Seraph ab.
Über Lehrs Schulter sah Seraph Benroln, Kors und
Calahar näher kommen. Isfain, der vierte Mann, war nirgendwo zu
sehen. Benrolns grimmig triumphierende Miene war ebenso eindeutig
wie Kors’ schuldbewusster Gesichtsausdruck.
Seraph ging um Lehr herum und stellte sich zwischen
ihn und die Anführer des Clans von Rongier.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Benroln.
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Seraph leise. »Ich
denke, du könntest es mir vielleicht sagen. Wo ist Jes,
Benroln?«
Benroln hob die Hände, Handflächen nach außen, um
anzudeuten, dass er nichts Böses plante. »Er ist in Sicherheit,
Seraph. Ich werde ihm nichts antun, es sei denn, es gibt keine
andere Möglichkeit, meinen Clan zu retten.«
Seraph wartete.
»Jes ist in einem der Zelte, und Isfain hält
Wache.«
»Was willst du?«, fragte sie.
Benroln lächelte, als wollte er sagen: Seht ihr, ich wusste doch, dass sie tun wird, was ich
will. Drei Tage hatten offensichtlich nicht genügt, ihm mehr
über sie zu verraten - sie hoffte, dass ihre anderen Geheimnisse
ebenso gut verborgen blieben.
»Mein Onkel hat nach Arbeit für uns gesucht und
welche gefunden, keine fünf Meilen weiter die Straße
entlang.«
»Was ist das für eine Arbeit?«, fragte
Seraph.
»Es gibt dort einen Kaufmann, der Getreide ankauft
und es nach Korhadan transportiert, um es dort zu verkaufen.
Letztes Jahr hat einer der Bauern, mit dem er einen Vertrag hatte,
das Getreide selbst ausgeliefert, was unseren Kaufmann Geld und Ruf
kostete, als er seinen Kunden das versprochene Getreide nicht
bringen konnte. Er ging vor Gericht, aber sie konnten ihm nicht
helfen.«
»Aha«, sagte Seraph neutral.
»Ich möchte, dass du die Felder dieses Bauern
verfluchst.«
»Um ihm eine Lektion zu erteilen«, schloss
sie.
»Genau.« Er lächelte ermutigend. »Wie dem Mann, der
Hennea angriff.«
»Aber dieser Kaufmann wird dich dafür
bezahlen.«
»Ja.« Er besaß nicht einmal den Anstand, verlegen
dreinzuschauen.
»Und was springt dabei für mich heraus?«
»Deine Kinder werden endlich ein Zuhause haben.
Einen Platz, an den sie passen und wo niemand sie wegen ihres
Reisendenbluts verspottet. Wir werden alles, was uns gehört, mit
euch teilen«, sagte Calahar, als böte er ihr ein Geschenk an, statt
sie zu erpressen.
Benroln war klüger als er. »Sicherheit«, sagte er.
»Für dich und deine Familie.«
Seraph starrte ihn lange an.
»Du wirst Jes nicht lange halten können«, sagte
Lehr selbstsicher. »Er mag Fremde nicht besonders - er wird wissen,
dass etwas nicht stimmt.«
Er hatte recht - oder jedenfalls hätte er recht
haben sollen. Seraph beobachtete Benroln genau, aber sein
Selbstvertrauen schwand nicht.
»Du hast ein Foundrael«,
sagte sie, plötzlich überzeugt, dass das der Wahrheit entsprach. Es
gab nicht viele Foundraels, aber es waren
auch nicht mehr viele Clans übrig. Und Benroln und seine Leute
waren nicht dumm genug, einen Hüter festhalten zu wollen, wenn sie
nicht etwas hatten, das ihnen half, ihn zu beherrschen.
»Was ist das?«, fragte Lehr.
»Hüter sind manchmal schwer zu kontrollieren«,
erklärte sie, ohne den Blick von Benrolns Gesicht zu wenden. »Sie
wollen die Ihren um jeden Preis beschützen. Manchmal kann das
unbequem werden; Hüter sind nicht sonderlich gehorsam.« Sie würde
ihnen nicht sagen, dass es unter Adlern durchaus verbreitet war, in
späteren Jahren die Tagespersönlichkeit vollkommen abzuwerfen und
gewalttätig zu werden, selbst gegenüber den Menschen, die sie zuvor
beschützt hatten. »Vor langer Zeit glaubte ein Rabe, eine Lösung
gefunden zu haben. Sie schuf zehn Foundraels - Halsbänder, die verhindern, dass der
Hüter sich befreien kann -, bevor sie erkannte, was die Auswirkung
einer solchen Unterdrückung ist.«
»Was ist damit?«, fragte Lehr. »Ist Jes in
Gefahr?«
Seraph berührte ihr Messer an der Hüfte. »Sagen wir
einfach, wenn die Leute glaubten, Probleme mit ihrem Hüter zu
haben, als sie beschlossen, das Foundrael
zu benutzen, war das nichts gegen das, was sie erlebten, als sie es
zum ersten Mal wieder abnahmen. Die Benutzung von Foundraels ist verboten, es sei denn unter den
schwierigsten Bedingungen.«
»Mein Vater wird schon dafür sorgen, dass er ruhig
bleibt - euer Hüter wird keinen Ärger bekommen, es sei denn, ihr
gebt ihm Grund zu glauben, dass Gefahr besteht«, sagte Calahar, den
ihr verächtlicher Tonfall sichtlich störte.
»Seraph - ich habe überall gesucht …« Henneas
Stimme verklang, als sie erkannte, dass sie eine Konfrontation vor
sich hatte.
»Diese Männer haben Jes gefangen genommen«, sagte
Seraph. »Damit ich ihnen helfe, das Feld eines Mannes zu
verfluchen. Sie werden dafür Gold bekommen.«
Sie sah Henneas Gesicht, auf dem die Sorge nun
einer eisigen Fassade wich - genau so hatte Hennea ausgesehen, als
sie neben dem toten Priester in Redern kniete.
»Sie nehmen Gold, um Leute zu verfluchen?«
Seraph spuckte vor Benroln auf den Boden. »Sie
haben sich entschieden zu vergessen, wer wir sind. Aber sie können
Druck auf mich ausüben.« Sie schüttelte angewidert den Kopf und
warf dann Lehr einen Blick zu.
Sie brauchte jemanden, der sich um Jes kümmerte,
jemanden, dem er vertraute und der ruhig bei ihm sitzen bleiben
würde, bis sie Benroln dazu bringen konnte, das Foundrael abzunehmen - diese Halsbänder konnten nur
von der Person abgenommen werden, die sie auch angelegt hatte. Aber
Lehr war zu zornig, dachte sie beinahe verzweifelt. Jes würde
wissen, dass etwas nicht stimmte.
»Wo ist Jes?«, fragte Hennea Seraph.
Seraph sah der anderen Frau nachdenklich in das
ausdruckslose Gesicht. »Kors«, sagte sie abrupt, »wird dich zu Jes
bringen. Man hält ihn mit einem Foundrael
fest - Isfain soll sich darum kümmern, dass er ruhig bleibt. Ich
wäre dir sehr dankbar, wenn du dafür sorgen würdest, dass Jes sich
nicht aufregt, wenn ich mit Benroln gehe.«
»Ein Foundrael?« Wenn
überhaupt möglich, klang Henneas Stimme noch eisiger als zuvor.
Kors errötete ein wenig. Hennea
hatte den Mund jetzt fest zugekniffen, aber sie nickte Seraph zu.
»Ich kümmere mich um ihn - er hat mir abends immer beim Stricken
geholfen, seit wir diesem Clan begegnet sind. Manchmal helfen
einfache Arbeiten.«
»Danke, Hennea.« Seraph war sehr erleichtert über
die Selbstsicherheit des anderen Raben. Sie zeigte auf den
Zelteingang. »Gura. Sitz. Pass auf.« Sie wollte auf keinen Fall,
dass die Weisungssteine einem dieser Idioten in die Hände fielen.
Sobald der Hund sich niederließ, sagte sie: »Lehr, mein Lieber, es
sieht aus, als würdest du heute Abend die Jagd verpassen. Du kannst
mit mir kommen - ich habe nicht vor, bei dieser dummen Sache mehr
zu verlieren als unbedingt nötig.«