Kapitel 3

Es gibt zwei Arten von »Ankommern«. Die einen brauchen nach der Anreise erst einmal Ruhe, die anderen treibt die Neugier sofort hinaus in das fremde Terrain. Maria gehörte offenbar zur Gruppe der Letzteren, was Elke, die es sich gerade im Licht der untergehenden Sonne in einem Korbsessel auf der Terrasse bequem gemacht hatte, ziemlich kalt erwischte, als Maria gegen die Tür ihres gemeinsamen Zimmers klopfte.

»Ich bin’s«, trällerte sie gutgelaunt.

Woher nahm Maria nur diesen Elan? Sigrun blieb nichts anderes übrig, als ihrer besten Freundin in Unterwäsche die Tür zu öffnen. Wie in alten Zeiten im Skilager.

»Ich möchte noch ans Meer. Kommt ihr mit?«, fragte Maria mit Nachdruck.

Sigruns Make-up war noch tadellos. Gute Karten also.

»Klar«, tönte es vom Balkon.

»Ich zieh mir nur noch schnell was über.« Sigrun hasste es, sich bei der Auswahl eines Kleides zu hetzen, aber in diesem Fall wollte sie mal ein Auge zudrücken.

Sigrun übernahm beim gemeinsamen Ausflug zum Meer die Führungsrolle, was Maria ganz recht war, schließlich kannte ihre Freundin die Insel am besten. Irgendwie fühlte Sigrun sich an vorderster Front auch sehr gewohnt an. In zweiter Reihe hinterherzulaufen hatte außerdem den Vorteil, weniger auf den Weg achten zu müssen und mehr mitzubekommen, zum Beispiel den gutgekleideten älteren Herrn in Lacoste-Outfit, der Sigrun von Kopf bis Fuß musterte.

Auch Elke, die neben Maria lief, war der bewundernde Blick des Mannes offenbar nicht entgangen.

»So viel Glück möchte ich auch mal haben«, beschwerte sie sich.

Die arme Elke! Ein glückliches Händchen hatte sie in der Auswahl ihrer Männer bisher ja nicht bewiesen. Sie ein bisschen zu trösten, konnte nicht schaden.

»Wer weiß, vielleicht findest du auch irgendwann den Richtigen.«

»Den Richtigen? Den gibt’s nicht, jedenfalls nicht für mich«, stellte Elke ohne den Schatten eines Zweifels fest.

»Du hattest Glück mit deinem Edgar.« Sigrun musste Elkes Bemerkung trotz des heftig tosenden Abendwindes aufgeschnappt haben und warf Elke einen unübersehbaren mahnenden Blick zu.

Einfach rührend, zu sehen, wie sehr alle um sie besorgt waren. Sigrun würde nun bestimmt versuchen, sie möglichst schnell auf andere Gedanken zu bringen. Maria war gespannt darauf, was ihre Freundin sich einfallen lassen würde, um sie vermeintlich aufzumuntern, und prompt sondierte Sigrun in blindem Aktivismus das Terrain nach möglichen Ablenkungen.

»Die Postkarten da drüben, die solltet ihr euch mal ansehen.«

Maria war sich sicher, dass Sigrun den Postkartenstand rein zufällig ins Visier genommen hatte. Dennoch eine nette Geste, und tatsächlich hatte der Stand sehr schöne Ansichtskarten. Ein Panoramamotiv der Dünen hatte es ihr besonders angetan. »Vielleicht sollte ich Robert noch heute eine Karte schreiben, damit er sich keine Sorgen macht«, überlegte Maria laut.

»Wie ich ihn kenne, macht er sich sowieso keine Sorgen.«

Sigrun traf ins Schwarze. Auch das war Sigrun. Etwas schönzureden war ihr fremd, und genau diese Charaktereigenschaft schätzte Maria so sehr an ihr.

»So schlimm ist er nun auch wieder nicht. Er hat mich zum Flughafen gefahren.«

»Hat er es von sich aus angeboten?«

Maria schwieg.

»Na also!«

»Er ist viel unterwegs … eigentlich hast du ja recht.«

Ein leichter Ostwind bewegte den Sand, umgarnte die Blätter der Palmen und Sukkulenten, die spärlich aus dem von der untergehenden Sonne rot gefärbten Wüstenteppich sprossen. Vom Anblick der Dünen konnte Maria anscheinend gar nicht genug bekommen – eine große Erleichterung für Elke. Vielleicht hatten sie sich ja doch die richtige Ecke auf der Insel ausgesucht. Der anstrengende Spaziergang dünauf, dünab bereitete Maria offensichtlich großen Spaß.

Nun machten sich die vielen Stunden im Fitnessstudio bezahlt. Elke hatte keine Mühe, die Gipfel der großen Dünen zu erklimmen, Sigrun und Maria dagegen gerieten dabei ganz schön ins Schwitzen, aber die Anstrengung lohnte sich. Was für ein herrliches Panorama. Der Sand schimmerte rötlich, die Dünen warfen geheimnisvolle lange Schatten. Die Sonne hüllte jene Bungalowsiedlung, die sie bereits von der Anhöhe der Schnellstraße aus gesehen hatten, in einladend warmes Licht.

»Das sind wieder diese Bungalows«, stellte Maria zu Elkes Zufriedenheit fest.

»Sind die nicht wunderschön? Stell dir nur vor, einer davon steht sogar zum Verkauf.«

Da war er wieder, der sanfte Druck, bei dem sich Elke erneut ertappte.

»Das können wir uns doch bestimmt nicht leisten.«

Maria schien angebissen zu haben.

»Kommt darauf an«, warf Sigrun ein.

Elke schluckte. Sie wusste ganz genau, dass es einzig und allein darauf ankam, ob sie Maria für ihr Traumobjekt begeistern konnten.

»Am besten, wir besprechen das alles bei einem gemütlichen Abendessen.«

Jeden Tag im Freien essen zu können, war für Maria eines jener unschlagbaren Argumente, die ihr den Gedanken an ein Rentnerleben unter Palmen ein Stück näher brachten. Der ruhig gelegene Tisch, auf dem ein geschmackvoll arrangiertes Blumengesteck seinen verführerischen Duft verströmte, und der Blick aufs Meer, das im Licht des Mondes mit sanfter Brandung gegen das Ufer schlug, luden nach einem opulenten Menü förmlich zum Träumen ein.

»Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so lecker gegessen habe«, würdigte sie das Dreigängemenü à la carte, zu dem sie Elke und Sigrun eingeladen hatten.

»Uns geht es so richtig gut.« Damit erhob Elke das Glas zu einem Toast. »Auf deinen ersten Tag.«

Maria stieß gerne mit an. »Und darauf, dass wir uns über all die Jahre nicht aus den Augen verloren haben.« Drei Gläser trafen im Gleichklang zufriedener Seelen aufeinander.

»Um ganz ehrlich zu sein, ich hätte nicht gedacht, dass es hier so schön ist. Überlegt mal, wir könnten jeden Abend auf unserer eigenen Terrasse sitzen …«

»Und ich hätte nicht gedacht, dass du auch nur den Gedanken in Erwägung ziehen könntest«, gab Sigrun zu. »Bei Elke war ich mir übrigens auch nicht so ganz sicher.« Sie wandte sich Elke zu, die sie fragend ansah. »Um ein Haar hättest du dich doch in ein neues Eheabenteuer gestürzt.«

Die Neuigkeit überraschte Maria gewaltig. Elke hatte sich über ihre Beziehungen bisher am Telefon immer sehr zurückgehalten, was vermutlich auch daran lag, dass Maria immer sehr viel von sich erzählte. »Was war eigentlich los mit diesem …« Maria versuchte sich an den Namen des letzten Freundes von Elke zu erinnern.

»Bruno«, stellte Elke mit unverkennbarem Schmachtblick klar. »Er hat ja so was von gut ausgesehen und war sehr nett. Ich war richtig verknallt … Wir haben uns super verstanden, ja, ich hab sogar darüber nachgedacht, ihn zu heiraten.«

Maria verstand die Welt nicht mehr und warf ihr einen dementsprechend verwirrten Blick zu.

Elke schien eine halbe Ewigkeit zu brauchen, um sich aus ihrer Verklärung zu lösen.

»Aber dann ist wieder Schema F abgelaufen«, fuhr sie auf einmal ganz sachlich fort.

»Was macht er denn beruflich?«, wollte Maria wissen.

»Er ist Schuhverkäufer in der Frankfurter Innenstadt, und früher war er mal Leistungssportler. Das sieht man ihm heute noch an.«

»Schade. Gutaussehende Männer in diesem Alter sind eine Rarität.« Sigruns Mund tat Wahrheit kund.

Entweder waren sie verheiratet, nach Rosenkriegen mit ihren geschiedenen Partnern seelisch ausgemergelt oder verwitwet. Was Letzteres in Sachen Beziehungsinteresse bedeutete, davon konnte Maria ein Lied in vorderster Reihe des Chors der einsamen Frauen singen.

Elke amüsierte sich über Sigruns Interesse. »Du kannst ihn gerne haben.«

»Er wollte dein Geld?« Maria beschloss, nun doch etwas mehr über Elkes letzten Anlauf in Sachen Liebe zu erfahren.

»Alle wollten bloß mein Geld.«

»Einfach so?« Sigruns Neugierde war offenbar auch geweckt.

»Er hat mich darauf angesprochen, ob wir im Ernstfall finanziell füreinander einstehen würden. Sprich, er wollte mein Geld.«

»Hat er dich angepumpt?«, bohrte Maria nach.

»Nein, das nicht, aber … Wenn du drei Ehen hinter dir hast, in denen es am Ende nur um Geld ging … Wahrscheinlich bin ich die einzige Frau auf der ganzen Welt, die ihren Ehemännern auch noch Unterhalt zahlen durfte.« Elke untermauerte ihre Worte mit einem kräftigen Schluck Wein.

»Hat er dich nun um Geld gebeten oder nicht?« Maria regte es auf, wenn jemand eine einfache Frage nicht kurz und knapp beantwortete.

Elke spielte für einen Moment mit ihrem Weinglas. »Nein, hat er nicht.«

»Woher willst du dann wissen, dass er genauso ist wie deine Exmänner?«

Elke wurde das Thema sichtlich unangenehm, und Maria nahm sich vor, nicht weiter nachzufragen.

»Hak ihn doch einfach ab.« Sigrun sprach Maria aus der Seele. Männer sollten sowieso kein Thema mehr für sie sein, zumindest brauchte man sie nicht, um zu dritt an einem der schönsten Plätze der Welt glücklich zu sein.

»Was glaubst du, weshalb ich hier bin«, erwiderte Elke resolut, was auf Maria aber nicht sonderlich überzeugend wirkte. Sie spürte, dass ihre Freundin immer noch unter der Trennung litt.

»Männer! Ich hab es euch ja immer gesagt. Du kannst nicht mit ihnen leben, aber auch nicht ohne sie.« Solche Sprüche passten ganz und gar nicht zu Elke. So langsam machte Maria sich Sorgen.

»Also, ich kann ganz gut ohne einen Mann leben«, gab sich Sigrun selbstbewusst.

Höchste Zeit, das Thema zu wechseln.

»Erzählt mir von dem Bungalow.«

Elkes Miene hellte sich augenblicklich auf. Wie auf Knopfdruck zog sie aus ihrer Tasche ein ganzes Bündel mit Prospekten heraus.

»Der Immobilienmarkt ist ganz schön abgegrast, jedenfalls was die schönen Objekte betrifft.«

Schon hatte Maria einen Hochglanzprospekt vor sich liegen. »Die Anlage hat einfach alles, was man braucht. Einen eigenen Pool, einen Hausmeister. Man kann zu Fuß zum Einkaufen gehen … und natürlich diese traumhafte Lage.«

Maria blätterte durch den beeindruckenden Prospekt. »Sind die Bungalows denn möbliert?«

»Das ist in Spanien gar nicht so unüblich«, wusste Elke ganz sicher. »Die Anlage ist einfach toll.«

»Phantastisch«, fügte Sigrun hinzu.

Maria sah sich erneut in einem Synchronspringerturnier. Sigrun und Elke grinsten zeitgleich und perfekt orchestriert. Ihr heutiger Auftritt würde für eine Goldmedaille reichen. Die beiden führten etwas im Schilde. Es wurde allerhöchste Zeit, ihren Freundinnen auf den Zahn zu fühlen.

»Was kostet die Immobilie denn?«

Elke schluckte. Maria sah ihr an, dass sie sich ein zuversichtliches Lächeln förmlich abringen musste. Es entging Maria auch nicht, dass Sigrun bei dieser Kernfrage gleich den Rest ihres Weines herunterkippte.

»Für ein normales Apartment für drei Personen zahlt man schon so um die hunderttausend, aber natürlich ist die Lage dann nicht so gut. Das sind Wohnungen und Häuser, wie wir sie auf dem Weg vom Flughafen gesehen haben«, führte Elke ganz sachlich aus.

Deshalb hatte sie sich also die Betonbunker ansehen müssen. Maria durchschaute Elkes Strategie, was man ihr offenbar ansah. Sigrun und Elke wurden sichtlich nervös.

»Diese Anlage, wie soll ich sagen …«

»Beste Lage«, warf Sigrun ein.

»Jetzt redet nicht so lange um den heißen Brei herum.« Marias Geduldsfaden wurde immer dünner.

»Nun ja, es ist schon eine beachtliche Summe.«

Maria beschloss, den geschäftlichen Teil des Abends etwas abzukürzen. So teuer würde das neue Zuhause ja wohl nicht sein. Dennoch entschied sie sich dazu, gleich mal etwas höher zu greifen. »Zweihunderttausend?«.

Elke und Sigrun wechselten besorgniserregende Blicke.

»Mehr?«

Elke fasste sich ein Herz: »Es sind vierhundertfünfzigtausend.«

In ihrem langen Geschäftsleben hatte Maria schon einige Überraschungen erlebt, aber diese Summe erschütterte sie für einen Moment bis ins Mark. Erst mal tief Luft holen.

»Wir können natürlich auch nach etwas Einfacherem Ausschau halten.«

Maria las in Elkes Augen, dass diese Möglichkeit zwar rein theoretisch bestand, aber nicht dem entsprechen würde, was sie sich vorstellten. Schön war sie ja, die Anlage. Ein sehr überzeugender Prospekt, der immer noch in ihren Händen lag.

»Das ist zugegebenermaßen mehr, als wir ausgeben wollten.«

Elke nickte schuldbewusst. »Aber dafür bekommen wir auch mehr.«

Sigrun wirkte absolut von dem Objekt überzeugt. »Ich hab zeit meines Lebens hart gearbeitet, und wer weiß, wie lange wir noch leben.«

»Wichtig ist natürlich auch, dass der Wert des Objektes erhalten bleibt«, fügte Elke hinzu.

Maria bekam angesichts des schönen Abends, dieser schier unwiderstehlichen Broschüre und des durchaus überzeugenden Überredungs-Pingpongs ihrer Freundinnen leichte Hitzewallungen, was sicher nicht an dem warmen Klima lag, sondern eher an dem Umstand, dass sie sich in diesem Augenblick bewusstmachte, weshalb sie wirklich hier war. Die Insel einfach nur mal unverbindlich ansehen? Sigrun und Elke hatten sich offenbar schon so weit aus dem Fenster gelehnt, dass Maria jetzt unmöglich einen Rückzieher machen konnte. Und das wollte sie auch gar nicht. Andererseits war die Summe stattlich, um nicht zu sagen uferlos. Elke und Sigrun mussten ihr wohl angesehen haben, wie sehr sie sich von ihnen überrumpelt fühlte. »Wir können uns den Bungalow ja morgen mal ansehen, ganz unverbindlich«, versuchte Sigrun sie zu beschwichtigen.

Das Objekt ihrer Begierde lag direkt an der Avenida Gran Canaria, der Luxusmeile von Playa, die sich halbkreisförmig um die Dünen zog und an der sich die schönsten und wohl auch teuersten Anwesen gruppierten. Die gepflegten Vorgärten und die üppige Bepflanzung sprachen dafür, dass sich jemand regelmäßig um die Anlage kümmerte. Die meisten Bungalows waren eher klein, ganz in Weiß, mit Eisenbeschlägen und schweren Holztüren. Dazwischen gab es größere Häuser, die alle mit einer Dachterrasse ausgestattet waren. Schmale Wege führten zu einem zentralen Swimmingpool, der von saftigem Gras – eine Seltenheit an der Südspitze der Insel – eingesäumt war.

Maria inhalierte die frische Luft vom Meer, die in der Mittagshitze für etwas Abkühlung sorgte. Jetzt nur nichts überstürzen. Einen klaren Kopf bewahren, sagte sie sich, als sie die Anlage betraten. Aus den guten Vorsätzen wurde jedoch nichts. Elke kam nämlich auf die alberne Idee, sie raten zu lassen, welches Haus die beiden als ihr künftiges Zuhause auserkoren hatten. Es fühlte sich in dem Moment fast so an wie Ostern im Garten von Marias Eltern, wo sie Jahr für Jahr nach Eiern und Geschenken gesucht hatten. Ein Riesenspaß, auch noch, als sie schon erwachsen waren. Gute Traditionen soll man fortführen. Warum also nicht? Maria ging zum Pool, der einen Rundblick über die Bungalows ermöglichte. Statt der Ostereier suchte sie nun ein Haus. Die freudige Anspannung war jedoch die gleiche geblieben.

»Vielleicht da drüben?«, mutmaßte sie.

Elke musste herzhaft lachen. Maria machte sich in dem Moment klar, dass ihr Geschmack noch erlesener zu sein schien als Sigruns sicherer Instinkt für Qualität, die auch hier ihren Preis hatte.

»Wenn du eine Million lockermachen kannst.«

Maria erschrak. Das Haus wirkte wie eine kleine Villa. Die Terrasse war komplett mit Blumen geschmückt, pinkfarbenen Bougainvillen, die sich von dem Weiß des Hauses besonders gut abhoben. Ein zweites Objekt in unmittelbarer Nähe war etwas kleiner und sah unbewohnt aus.

»Es wird wärmer«, gab Elke Maria zu verstehen, als sie in die richtige Richtung sah. Das war es also, ihr neues Zuhause.

»Eigentlich sollte der Makler längst hier sein«, bemerkte Sigrun ungeduldig.

»Vielleicht ist ja offen.«

Elke stürmte voran. Sie konnte es kaum erwarten, das Haus wiederzusehen. Hoffentlich würde es Maria gefallen. Dass sie sich fasziniert umblickte, war sicherlich mal ein gutes Zeichen. Einige freundliche Gesichter von potentiellen Nachbarn nickten höflich zum Gruß in ihre Richtung. Andere beäugten sie neugierig, taxierten sie als mögliche Käuferinnen. Soweit Elke dies nach dem ersten Eindruck beurteilen konnte, lag der Altersdurchschnitt bei über fünfzig. »Die meisten hier sind aus Deutschland. Ein paar Spanier und Skandinavier«, belehrte sie Maria und Sigrun, die sie zum Haus begleiteten.

Als sie ihr neues Heim in spe erreichten, merkte Elke deutlich, wie angespannt Maria war. Ihre Hand fuhr in einer fast zärtlichen Bewegung an der Brüstung der Terrasse entlang. Spätestens jetzt fiel Elke die schwere Last, die sie die letzten Tage über geplagt hatte, von den Schultern. Sie wusste nun, dass es Maria hier gefallen würde.

»Klimaanlage, moderne Einbauküche, komplett renoviert. Hier hat bis letztes Jahr ein deutsches Ehepaar aus Stuttgart gewohnt.« Brauchte es noch mehr Überredungskunst?

»Wollen Sie sich ein wenig umsehen?«, fragte eine männliche Stimme, die wie aus dem Nichts zu kommen schien.

Sigrun und Maria fuhren überrascht herum. Von der Terrasse des Nebengebäudes trat ein braungebrannter Mann um die fünfzig, der sie mit einem warmen Speedy-Gonzalez-Lächeln begrüßte.

»Miguel Hernandez oder einfach nur Miguel«, stellte er sich galant vor.

Sigrun ergriff die Initiative. »Elke und Maria. Ich bin Sigrun. Wir sind mit dem Makler verabredet.«

»Der kommt immer zu spät, wenn er denn kommt. Ein Wunder, dass er überhaupt etwas verkauft.«

Marias Leidensmiene aufgrund dieser in Aussicht gestellten Wartezeit schien empathische Gefühle, um nicht zu sagen pures Mitleid bei Miguel zu wecken.

»Ich hab einen Schlüssel, wenn Sie wollen?«, bot er charmant an.

»Wo haben sie den denn her?« Elke gedachte ihm etwas auf den Zahn zu fühlen.

»Ich hab jahrelang für die ehemaligen Besitzer die Blumen gegossen. Die waren ja oft in Deutschland.«

Miguels Grinsen hatte etwas Lausbübisches und war unwiderstehlich. Elke musterte ihn. Er wirkte sehr gepflegt, trug ein seidenes Halstuch und, was ihr sofort ins Auge stach, ein perfekt gebügeltes kurzärmliges Hemd. Seine Bewegungen waren geschmeidig, seine Stimme sanft. Als Miguel ihnen aufschloss, zog Sigrun sie zur Seite und flüsterte ihr »Eine Tunte« ins Ohr.

»Du meinst …«, erwiderte Elke.

»Na klar, das sieht doch ein Blinder.«

Das Haus war ein Traum in Weiß, das von massiven Holzelementen geschickt gebrochen wurde. Maria steuerte schnurstracks auf die Küche zu, denn dies war der Raum, in dem sie sich für gewöhnlich am liebsten aufhielt. Gemütlich musste sie sein und geräumig. Eine Küche sagte zudem viel über das ganze Haus aus. Miguel begleitete sie, hatte ihr sogar galant die Tür aufgehalten. Elke und Sigrun inspizierten in der Zwischenzeit die anderen Räume im oberen Stockwerk.

»Das Haus ist sehr gepflegt. Die Leute waren nicht oft hier«, bemerkte Miguel, als er sich in der Küche umsah.

»Wie lange sind Sie schon auf Gran Canaria?«

»Eine halbe Ewigkeit. Ab einem gewissen Alter hört man auf, die Jahre zu zählen«, sagte er mit einem Lächeln.

»Sie sind doch noch recht jung«, wandte Maria ein.

»Das täuscht, meine Teuerste. Mein Spiegel sagt mir jeden Morgen etwas anderes.«

»Da können wir uns ja die Hand reichen, aber da muss man durch«, solidarisierte sich Maria mit ihrem netten Nachbarn. Den müssen wir uns warmhalten, dachte sie.

»Genau das sage ich auch immer. Haltung bewahren, Contenance.« In seiner Stimme lag ein Hauch von Aristokratie und zugleich etwas Damenhaftes, das Maria schmunzeln ließ. Miguels positive Ausstrahlung und sein gepflegter Humor kamen gut bei ihr an.

»Sie sollten den Makler herunterhandeln. So viele Interessenten für das Haus gibt es nicht. Ich kriege von nebenan aus alles mit.«

Elke drängte sich in die Küche. Sie wurde immer hellhörig, wenn es um Verhandlungen ging. »Uns hat er erzählt, es gebe zahlreiche Interessenten.«

»Ich fürchte, er hat recht«, desillusionierte Sigrun die beiden. Durch die geöffnete Terrassentür hatte sie den Makler in Begleitung eines Ehepaars Mitte vierzig, das in Anbetracht der Anzahl von Goldketten, die um den Hals der Gattin baumelten, sehr finanzkräftig aussah, zuerst bemerkt.

Maria hielt es nicht mehr in der Küche. Ein anderer Bewerber? Das kam nicht in Frage. Diese Küche gehörte ihr, und niemand sollte es wagen, ihr das Allerheiligste streitig zu machen.

»Wenn Sie mich fragen, ein Berliner Geschäftsmann mit seiner Goldelse.« Miguel verzog verächtlich das Gesicht. »Seien wir doch mal ehrlich. Wer will schon neben solchen Leuten wohnen? Überhaupt, diese Karohosen! So was tragen doch nur noch Gruftpuppen auf dem Golfplatz.«

Miguel hatte es spätestens jetzt geschafft, Marias Herz zu erobern. Sigrun ging es offenbar genauso. Ihr warmes Lächeln zeugte von großer Sympathie für ihren Nachbarn in spe. Maria wusste, dass sie derbe Sprüche liebte, und für einen Nachbarn wie Miguel würde sie töten. Mit ebenjenem Killerblick empfing sie nun den Makler, eine wieselgleiche, hagere Gestalt mit Hakennase, der fast aus den Schuhen kippte, als er sah, dass bereits jemand im Haus war.

»Wir hatten einen Termin. Sie erinnern sich«, fuhr ihn Sigrun angriffslustig an.

Maria bewunderte sie für ihre natürliche autoritäre Ausstrahlung und den schneidenden Ton in ihrer Stimme.

»Hola«, mehr brachte der Makler nicht hervor, als sich die Frauenfront bedrohlich vor ihm aufbaute.

»Was geht hier eigentlich vor?«, wollte der Berliner Karohosenträger wissen.

»Hier hat wohl jemand einen desolat geführten Terminkalender«, setzte Sigrun nach.

»Tut mir leid, Señoras, meine Sekretärin …«

Die »Goldelse« machte Anstalten, das Haus zu betreten. Maria war froh, dass Sigrun sich ihr wie eine Löwin entgegenstellte. Sigruns Gesten und Körperhaltung, vor allem aber ihr stechender angriffslustiger Blick wirkten fast etwas bedrohlich, wenn auch der Situation angemessen.

»Also, ich muss doch sehr bitten. Wir haben auch einen Termin. Herbert, jetzt sag endlich mal was!« Die Stimme der Frau, die wie das piepsige Gekläffe eines Chihuahuas klang, war Maria unerträglich.

»Komm, Schatz, wir trinken einen Kaffee, bis die Damen fertig sind«, lenkte ihr Gatte jovial ein.

Gott sei Dank musste Maria diese Leute nicht länger ertragen. Zumindest hatten sie nun eine kleine Verschnaufpause. Auch der Makler wirkte erleichtert.

»Wie lange brauchen Sie?«, wollte Herbert wissen.

»Vielleicht eine halbe Stunde?«

Miguel mischte sich ein. »Also, das ist ja mal nicht die feine englische Art. Sie können die Damen doch nicht durch das Haus hetzen.«

Karo-Herbert wurde die Diskussion zu dumm. Er nahm seine Gattin an der Hand und zog mit den Worten »Die können sich das Haus ja sowieso nicht leisten« von dannen.

Als Maria die Bemerkung, die der Unsympath im Gehen lautstark und somit für alle unüberhörbar von sich gab, mitbekam, verengten sich ihre Augen.

»Wie ich Ihnen schon sagte, die Anlage ist sehr begehrt. Ich fürchte, ich kann den ursprünglichen Preis nicht mehr halten.«

»Was soll das heißen?« Wenn es ans Eingemachte ging, konnte Maria auch ziemlich schnell auf den Punkt kommen.

»Die anderen Interessenten wären bereit, noch ein wenig mehr zu investieren, für den Umbau …«

»Ich dachte, die Anlage sei renoviert. Was gibt es denn da umzubauen?«, fauchte Sigrun den Makler an. So wütend hatte Maria ihre Freundin noch nie erlebt.

»Wenn ich mich recht erinnere, gab es bei Ihnen doch noch Probleme mit der Finanzierung.«

Von wegen Umbau oder Finanzierung. Ein Preistreiber war er, und so etwas konnten sie ihm nicht durchgehen lassen.

»Die haben sich eben geklärt«, trat Maria ihm resolut entgegen.

»Wir haben Ihr schriftliches Angebot, gültig bis morgen«, sagte Sigrun bestimmt. Von einem schriftlichen Angebot wusste Maria zwar noch nichts, aber wenn es eines gab, umso besser. Nun wurden ihr Sigruns und Elkes konspirative Blicke und ihre Synchronschwimmerauftritte vollends klar. Die beiden waren also sogar schon zwei Schritte weiter, als sie ursprünglich hatten verlauten lassen. Suchten sich ihre Freundinnen doch glatt, ohne auf sie zu warten, ein Haus aus und ließen sich auch noch ein Preisangebot machen. Egal. Das Haus war wunderschön, und die beiden hatten es sicher nur gut gemeint. Der Makler schien sich erst jetzt wieder daran zu erinnern.

»Am Preis wird nicht mehr gedreht.« Sigruns eiskalter Blick und der scharfe Ton sorgten für Totenstille im Haus.

»Tja, dann … geben Sie mir bitte bis morgen Bescheid. Zehn Uhr«, lenkte der Makler etwas kleinlaut ein.

»Machen wir!«, gab ihm Maria mit auf den Weg.

»Adios, Señoras. Es war mir ein Vergnügen.«

Miguel schüttelte ungläubig den Kopf. »Das glaube ich nicht. Eine Schande ist das. Also wenn es nach mir ginge, ich würde mich sehr freuen.«

Maria musste das alles erst einmal verdauen. Sie ging nach draußen auf die Terrasse und blickte auf die weite Dünenlandschaft, die sich vor ihr bis zum Meer erstreckte. Nein, dieses Haus gehörte ihnen. Sie fühlte sich auf einen Schlag stark, fast wie die Heldin aus ihrem Lieblingsfilm Vom Winde verweht, den sie mit Edgar unzählige Male gesehen hatte. Sie war in diesem Moment mindestens so trotzig wie Scarlett O’Hara. »Das Land ist das Einzige, wofür es sich zu arbeiten lohnt, zu kämpfen und zu sterben. Denn nur das Land ist ewig, sonst nichts.«