Epilog

Schreberwerder hielt Hof.

Auf karierten Picknickdecken, alten Perserteppichen und bunten Kissen saßen Insulaner und Besucher und genossen die warme Sommersonne und das opulente Speisenangebot. Tapetentische ächzten unter Schüsseln mit Salaten, Platten mit Buletten-Pyramiden, köstlichen Süßspeisen und Kuchen. Matthias Wittig und Stephan Kästner standen am qualmenden Grill und achteten darauf, dass sich Gemüsespieße, Steaks und Würstchen nicht in Kohle verwandelten.

Pippa lehnte an Herrn X’ Fahnenmast und betrachtete das Genrebild in seinem Garten.

»Na, Kleene? Schön, oder?«

Bertie Bolle legte den Arm um die Schulter seiner Tochter und drückte sie an sich.

Pippa nickte. »Danke, dass ihr das Picknick nach Schreberwerder verlegt habt.«

Bertie Bolle lachte. »Wir wollten nur Luis zurückbringen.« Er zwinkerte ihr zu. »Er brauchte eine Eskorte, damit er nicht auf halber Strecke umkehrt, um seine lautstarken Diskussionen mit Ede Glassbrenner fortzusetzen. Luis war drauf und dran, die friedliche Transvaal 55 in eine Außenstelle von Bonnies Ranch zu verwandeln.«

Pippa knuffte ihren Vater liebevoll in die Seite. »Stimmt, Luis macht auch dir noch was vor, Papa.« Sie machte eine Pause und sagte mehr zu sich selbst, als zu ihrem Vater: »Und jetzt zum Höhepunkt des Tages.«

Sie nahm die Fahnenleine und schlug damit gegen den Metallmast. Das Geräusch brachte ihr die Aufmerksamkeit der munteren Gesellschaft.

Aber ehe Pippa sprechen konnte, ergriff Viktor das Wort.

»Liebe Gäste aus dem Transvaal, liebe Nachbarn, herzlich willkommen bei unserer kleinen Feier zu Ehren der jungen Dame, die uns unseren Inselfrieden zurückgebracht hat. Liebe Pippa, vielen Dank für deinen Einsatz.«

»Durch den wir endlich mal wieder lecker essen können!«, rief Freddy mit vollem Mund und erntete Applaus.

»Durch dich, Pippa, ist Schreberwerder wieder zu dem idyllischen Fleckchen Berlin geworden, das es vor den Ereignissen der letzten Wochen war«, fuhr Viktor fort.

»Ick weeß nich, ick weeß nich«, murrte Luis, »keene Ahnung, wer sich nu die Parzellen von Erdmann krallt. Ick bin zu alt für böse Überraschungen.«

»Es wird nur noch eine einzige Überraschung geben«, sagte Pippa und winkte Herrn X, der sich bisher schüchtern im Hintergrund gehalten hatte. Er übergab Pippa ein mehrseitiges Dokument, das sie auf einen bereitstehenden Campingtisch legte.

»Ohne Herrn X wäre es nicht gelungen, Angelika zu überführen. Er hat den Erbschein, den Kommissar Schmidt bereitgestellt hat, meisterhaft manipuliert.«

»Klatschen!«, schrie Luis, und alle jubelten frenetisch.

Herr X verbeugte sich tief, um seine Verlegenheit zu verbergen.

Pippa hob die Hände. »Außerdem ist Herr X Gründungsmitglied des Vereins Glückliches Schreberwerder e.V., dessen fünfjähriges Bestehen wir heute feierlich begehen.«

Die Gesichter der Insulaner zeigten gelindes Erstaunen bis Verwirrung.

»Wie sich alle Insulaner erinnern werden«, fuhr Pippa fort, »wurde damals eine Satzung entwickelt, die nach den Ereignissen der letzten Tage erstmalig zum Tragen kommt – jedenfalls sobald die fehlenden Unterschriften geleistet sind. Dazu würde ich allen gerne noch einmal Paragraph 13 in Erinnerung rufen. Viktor, würdest du bitte vorlesen?«

»Gern.« Er streifte Pippa mit einem fragenden Blick und las vor: »Jede Parzelle, die beim Ableben des Besitzers nicht an nahe Familienangehörige vererbt werden kann, geht automatisch in das Gesamtvermögen des Vereins Glückliches Schreberwerder e.V. über und wird zu Gemeinschaftseigentum erklärt. Paragraph 13 kommt ebenfalls zur Anwendung, wenn der Besitzer eines Grundstücks durch gesetzwidriges Verhalten rechtskräftig zu mehr als fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt werden sollte. Schreberwerder, 10. Juni 2006, gezeichnet … Dorabella von Schlittwitz, Erdmann senior …«

Viktor starrte fassungslos auf die Unterschriften, blickte Pippa an, danach Herrn X, dann wieder das Dokument. Seine Mundwinkel zuckten amüsiert, als ihm ein Licht aufging. Dann nahm er den bereitliegenden Stift und setzte seinen Namen unter die Vereinssatzung.

Er richtete sich auf und rief: »Der Nächste, bitte!«

Schlagartig kam Leben in die Insulaner, die der Szene gespannt gefolgt waren. Sie sprangen auf und bildeten eine Warteschlange, um das Dokument zu unterschreiben.

Karin und Matthias stellten sich neben Pippa.

»Das habt ihr gut gemacht«, raunte Matthias, »so konnte Herr X endlich beweisen, dass er außer dem X auch alle anderen Buchstaben des Alphabets beherrscht.«

Pippa kam nicht dazu etwas zu entgegnen, denn die Kasulke-Schwestern übergaben ihr ein flaches Paket.

Pippa strahlte. »Liebe Freunde, die Transvaal 55 hat ein Gastgeschenk mitgebracht, das ich stellvertretend an Herrn X übergeben möchte.«

»Auspacken! Auspacken!«, skandierten alle im Chor.

Herr X öffnete das Paket. »Eine Fahne!«

Er zog den schweren Stoff heraus. Karin half ihm, die Flagge auseinanderzufalten.

Auf havelblauen Grund hatten die Kasulke-Schwestern die Insel Schreberwerder gestickt. Alle Parzellen waren deutlich im nierenförmigen Umriss der Insel zu erkennen. Im Halbkreis darüber bildeten glänzend goldene Buchstaben den Schriftzug Glückliches Schreberwerder e.V.

»Die Piratenflagge ist jetzt überflüssig, und da …«

Pippas Worte gingen im allgemeinen Jubel unter, als Herr X die Inselfahne hisste. Als sie im lauen Wind flatterte, deklamierte Nante:

»Wenn Pippa löst ’nen schweren Fall,

dann endet er mit großem Knall.

Frau Bolle, wir zieh’n unsren Hut,

denn: Ende gut – ist alles gut!«